7
»Das ist Viktor?«, flüsterte Tim und parkte den Wagen neben dem silberfarbenen. »Nun, das mit dem Lackaffen habe ich nicht so gemeint«, versuchte er abzuschwächen.
»Stimmt aber«, fiel sie ihm angriffslustig ins Wort. »Und ich wüsste zu gerne, woher er weiß, dass ich hier bin.«
Viktor kam ihnen natürlich nicht entgegen, er blieb vor der Haustür stehen und starrte sie finster an. Auch so etwas, was sie auf den Tod nicht ausstehen konnte, seine Angewohnheit, sie noch immer erziehen zu wollen. Als sei sie ein kleines Kind, das vieles nicht wusste und daher erwachsenen Beistand brauchte.
Sie überlegte, ob sie nicht ebenfalls stehen bleiben sollte. Bis er nachgab. Aber Tim setzte sich schon in Bewegung und sie folgte ihm.
»Hallo«, sagte sie und hörte selbst, wie unfreundlich das klang. »Wie hast du mich gefunden?« Das war auch nicht viel besser.
»Das kann ja wohl kein Problem sein, wenn du die Sekretärin deines Chefs mit der Buchung des Flugs beauftragst.«
Seine Stimme klang messerscharf, wie immer, wenn er wütend war.
Aber woher wusste er, wo der Hof ihres Bruders lag? Sie beschloss, ihn nicht zu fragen, und sagte stattdessen: »Tim, das ist Viktor. Viktor, das ist mein Bruder Tim. Ihr kennt euch ja noch nicht.«
Die Männer reichten sich die Hand. Dann sah Tim sie unschlüssig an.
»Wir waren in der Stadt essen«, sagte sie und konnte den Schluckauf nicht unterdrücken, der den Satz in zwei Hälften teilte. »Hast du schon gegessen?«
»Ja, im Flugzeug.«
Das Gespräch verstummte und Viktor ließ seinen Blick über den Hof, die Stallungen und das Wohnhaus schweifen, und sie sah seinem Gesicht an, was er dachte. Es war ihm nicht nobel genug. Nobel, das war eines seiner Lieblingswörter. Etwas musste nobel sein, sonst taugte es nichts. Und elegant, das war auch wichtig. Und es durfte nicht klein sein. Bei ihm musste alles groß sein. Wie seine Wohnung mit den großen Räumen, wie das Haus, das er bauen wollte, oder das Auto, das er fuhr. Es waren seine Dimensionen, die alles so unbehaglich machten.
Der Hof und die Anlage, alles das war ihm zu klein, zu eng, zu einfach. Er spürte nicht die warme freundliche Atmosphäre, sondern roch stattdessen die Pferde, den Mist, die Ausdünstungen der Tiere.
»Lasst uns doch reingehen«, erinnerte Tim sich an seine Pflichten als Hausherr und schloss die Tür auf. Claire ließ Viktor den Vortritt, der Tim in die Küche folgte. Obwohl sie hinter ihm stand, erkannte sie an seiner Haltung, dass er innerlich auf Distanz ging. Ihre Küche war natürlich nicht mit seiner zu vergleichen. Seine war groß, hell und sauber. Ihre Küche dagegen war klein, etwas unordentlich und musste in seinen Augen wie Stückwerk aussehen.
»Setz dich«, forderte sie Viktor auf und bemühte sich, deutlich zu sprechen. »Möchtest du eine Tasse Tee?«
Viktor nickte gnädig.
»Claire, ich gehe schnell füttern«, sagte Tim, der Feigling.
»Okay.«
War vielleicht besser so. Sie wollte nicht, dass Viktor etwas Negatives über den Hof sagte, was Tim nur verletzen würde.
Sie hantierte mit den Tassen herum und sah unauffällig an sich hinunter. Die alte Jeans, die abgetretenen Schuhe und kein Makeup. So war sie auch in der Stadt gewesen und es hatte sie nicht gestört. Aber auf Viktor mit seinem maßgeschneiderten Anzug und den teuren italienischen Schuhen musste sie bestenfalls zu leger wirken. Schlimmstenfalls schlampig. Wie seine Mutter.
Durch die Wärme des Ofens fühlte sie sich betrunkener, als sie war. Als sie die Tassen zum Tisch balancierte, stolperte sie um ein Haar und ruderte mit dem rechten Arm. Der Tee schwappte über in die Untertasse und sie fluchte unterdrückt.
»Was hast du vor?«, fragte Viktor ohne weitere Überleitung. »Ich gebe ja zu, dass ich möglicherweise etwas unsensibel war, als ich Lena und Max mit eingespannt habe. Wo du die beiden einfach nicht leiden kannst.«
»Unsensibel«, zischte sie. »Das war wirklich das Letzte. Wie kannst du etwas so Privates wie eine Verlobung vor anderen inszenieren? Und Lea, die blöde Kuh, dachte wohl, ich ließe mich von euch täuschen.«
Das Artikulieren fiel ihr schwer.
»Lena ist keine blöde Kuh«, blaffte er erwartungsgemäß zurück. »Ich verstehe einfach nicht, warum du sie nicht leiden kannst.«
»Und ich verstehe nicht, warum du sie auch noch in Schutz nimmst«, sagte sie wütend. »Wenn ich ihr süßliches Grinsen schon sehe. Mit so einer macht man keine gemeinsame Sache.«
Der Schluckauf verschluckte die letzte Silbe.
»Du bist ja betrunken«, sagte er verächtlich. »Und wie es hier aussieht.«
Sein Blick streifte die leeren Weinflaschen und sie ärgerte sich, dass sie sie immer noch nicht fortgebracht hatte. Sie hatte Tim schon etliche Male fragen wollen, wie sie entsorgt wurden, es aber immer wieder vergessen. Außerdem lag auf einem der Küchenschränke die ungeöffnete Post von zwei Tagen. Und das Frühstücksgeschirr war auch noch nicht abgewaschen, sondern stapelte sich neben der Spüle. Warum hatte sie am Morgen denn nicht gespült, überlegte sie angestrengt. Aber es fiel ihr nicht ein.
»Ich glaube, wir reden besser morgen weiter.«
Er stand auf, als Tim gerade wieder in der Tür erschien.
»Wann soll ich morgen kommen?«, fragte er kühl.
»Wollen Sie nicht hier schlafen?«, fragte Tim schüchtern.
»Haben wir denn ein Gästezimmer?«, fragte sie erstaunt. Sie hatte sich das Haus noch gar nicht richtig angesehen.
Viktors Blick sprach Bände.
»Ja, neben deinem. Hast du noch nicht reingeschaut?«, fragte Tim verwundert.
»Nein, ich bin nicht dazu gekommen«, sagte sie und merkte, dass sich alles vor ihr drehte. Was zum Teufel war mit ihr los?
»Erspart mir eurer Gästezimmer. Ich ziehe ein Hotelzimmer in Galway vor.« Viktor sprach zu niemandem im Besonderen, wandte sich jetzt aber an Claire: »Ich denke, morgen geht es dir sicher besser.«
Sie wollte widersprechen, aber Tim griff nach ihrem Arm.
»Das ist eine gute Idee. Wir könnten gemeinsam frühstücken, so gegen neun Uhr.«
Aber Viktor überging Tims Angebot und sagte zu Claire: »Ich bin gegen elf Uhr da. Das sollte reichen.«
Klar, sie schlief ja jeden Morgen bis in die Puppen. Und er ignorierte Tim einfach, was sie sofort wieder wütend machte. Das würde sie ihm morgen vorhalten. Seine schlechten Manieren. Wo er doch auf Umgangsformen so viel Wert legte. Genau, das würde sie tun. Sie brachte ihn zu seinem Wagen.
»Woher wusstest du von dem Hof meines Bruders?«, fragte sie nun doch.
»Ich habe mich nach einer privaten Reitgelegenheit erkundigt. Und da sagte mir jemand, ein Deutscher habe hier einen Hof gekauft. Mit seiner Freundin zusammen. Wo ist die eigentlich?«
Er kannte Nina. Die beiden waren sich einmal bei ihr begegnet, als Nina kurz nach Deutschland musste, um etwas bei einer Behörde zu klären. Sie hatte Viktor kurz gesehen und sofort gesagt, sie möge ihn nicht. Wie hatte sie ihn noch genannt?
»Bekomme ich keine Antwort?«, sagte Viktor, der sich im Recht sah. Wie so oft.
»Was denn?«
»Nina, wo sie ist, obwohl es mich ehrlich gesagt nicht im Geringsten interessiert.«
Sie wollte ihm sagen, dass es ihn auch nichts anginge und Nina ihn sowieso nicht leiden konnte und er sich überhaupt unmöglich benahm, als ihr ein Gedanke kam.
»Nina sieht sich morgen einen Deckhengst an«, sagte sie leichthin. »Ein Spitzentier, riesengroß, springt über die höchsten Hindernisse. Wir wollen vielleicht eine Station aufmachen.«
Nannte man das nicht so?
»Eine Deckstation?«, fragte Viktor. »Aber ein Deckhengst ist doch ziemlich teuer, oder?«
Das schien ihn jetzt doch zu beeindrucken.
»Ja«, improvisierte sie. »Er kostet ungefähr so viel wie ein Einfamilienhaus.«
Das hatte irgendwann einmal Tim erwähnt. Dass Pferde so teuer sein konnten.
»Was, so viel?«, wunderte sich Viktor und ließ seinen Blick mit neu erwachtem Interesse über den Hof gleiten. Das war typisch für ihn. Das imponierte ihm natürlich. Ein großes, teures Pferd.
»Ein Reihenhaus meinst du wahrscheinlich, oder?«
Im ersten Moment verstand sie nicht. Dann erinnerte sie sich.
»Nein, etwas mehr ist es schon«, sagte sie total leger.
In Viktors Miene spiegelte sich ganz kurz so etwas wie Neid oder Missgunst. Er schloss seinen Wagen auf und fragte: »Ist elf Uhr recht oder lieber später?«
»Natürlich ist elf Uhr okay. Was glaubst du denn, wann wir morgens die Tiere füttern?«
Tim zumindest. Sie hatte ja Angst.
Er blieb ihr die Antwort darauf schuldig, reichte ihr nur die Hand, wie einer völlig Fremden, und stieg ein. Sie blieb stehen, bis der Wagen um die Ecke bog. Er hatte noch nicht einmal gefragt, warum sie nach Irland gereist war. Es schien ihn ja nicht sonderlich zu interessieren. Warum war er dann überhaupt gekommen?
Sie ging zurück zum Haus. Dann fiel es ihr ein. »Blödmannsgehilfe«, so hatte Nina ihn einmal genannt.
Tim saß vor seinem Tee und sah unglücklich aus.
»Hey, was ist los?«, sie berührte seine Hand.
»Wirst du mit ihm zurückgehen?«, fragte er.
»Nein«, beruhigte sie ihn. »Mach dir keine Gedanken deshalb.«
Tim lächelte erleichtert.
»Waren die Pferde schon versorgt?«
»Ja«, bestätigte er. »Piet war da gewesen.«
Sie schlief nicht gut, wachte immer wieder auf und drehte sich auf die andere Seite. Am Morgen fühlte sie sich wie gerädert. Und ratlos. Was sollte sie Viktor sagen? Und was erwartete er jetzt von ihr? Sie wusste es. Er erwartete natürlich, dass sie ihre Sachen packte und mit ihm zurückfuhr. Und sich entschuldigte. Und sagte, dass er wieder einmal recht hatte. Und dann würden sie sich verloben. Und heiraten. Und Lena und Max würden die Trauzeugen sein.
Nein, sie würde nicht mit ihm nach Deutschland fahren. Sie musste zuerst prüfen, ob ihr Hotelprojekt zu verwirklichen war. Wenn nicht, konnte sie ihren Bruder immer noch überreden, alles zu verkaufen. Aber bei diesem Gedanken sank ihr Herz. Sie bezweifelte, dass sie das fertigbringen würde. Und sie wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen. Nicht jetzt, wo er wegen Nina sowieso schon so geknickt war. Und sie selbst? Sie hatte dieses wunderschöne Haus gesehen, das absolut perfekte Hotel. Ihr großer Traum. Nein, sie würde nicht aufgeben, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Das konnte niemand von ihr erwarten.
Viktor würde sich gedulden müssen.
Es konnte auch sein, dass Nina wieder zurückkam. Wie es dann weitergehen würde, war auch nicht klar. Obwohl Tim gesagt hatte, er habe noch Kapital, war sie sicher, dass er im Moment aus dem Hof keine Einkünfte erzielte. Wovon lebte er eigentlich?
Sie stand auf und ging ins Bad. Eigentlich konnte sie im Moment keine Entscheidung treffen. Vielleicht sollte sie das Viktor auch so sagen. Dass er warten müsse, dass sie erst einmal sehen musste, wie es weitergehen würde. Immerhin hatte sie geplant, drei Wochen zu bleiben. Vorher würde sie auf keinen Fall zurückfahren. Ja. So würde sie es machen, entschied sie. Das konnte er sicher verstehen.
Sie frühstückte schnell und beschloss, sich das Haus endlich gründlicher anzusehen. Und das Gästezimmer. Und dann würde sie sauber machen.
Sie begann unten. Gegenüber der Küche war eine Tür, die in eine Art Büro führte. In einem offenen Regalschrank befanden sich Aktenordner, sauber beschriftet in Ninas kindlicher Handschrift. Ein schwerer Eichenschreibtisch stand unter dem Fenster, leer bis auf einen Kugelschreiber, eine alte Tageszeitung und ein schwarzes Telefon mit altmodischer Wählscheibe. Zuerst dachte sie, es sei eine Attrappe, aber ein schwarzes Kabel führte in eine Buchse in der Wand und als sie den Hörer abhob, ertönte ein Freizeichen. Neben dem Schreibtisch stand auf einem separaten kleinen Tisch ein Fax, dessen Leuchtanzeige grün blinkte. Dennoch sah der Raum aus, als würde er nicht benutzt.
Die nächste Tür führte in das hinten liegende Wohnzimmer, das die ganze Breite des Hauses einnahm. Die großen Fenster gestatteten einen Blick in den Garten. Das Mobiliar des Raumes war gebraucht, vielleicht hatte Tim die Möbel übernommen.
Die linke Seite des Raums war als Wohnzimmer eingerichtet. Die Polstergarnitur war gut erhalten, aber auf dem niedrigen Holztisch befanden sich Kratzer, nur unzulänglich durch einen Tischläufer verdeckt. Es gab einen Fernseher und eine altmodische Musikanlage mit Plattenspieler. Zwei ebenfalls alte Schränke mit Intarsienarbeiten schimmerten matt. Als sie einen der Schränke öffnete, blickte sie auf Stapel von Prospekten, Büromaterial, Disketten und Pferdebücher. Ein Korb mit Reitzeitschriften, die Nina noch aus Deutschland mitgebracht hatte, stand neben der Couch.
Eine alte Standuhr mit verschnörkeltem Ziffernblatt aus Messing stand ein wenig unglücklich in einer Ecke. Sie trat näher. Die Uhr war wunderschön, das Gehäuse war aus Nussbaum mit Wurzelholzeinlagen, das Kristallglas facettiert. Eine dünne Schicht Staub trübte etwas den Glanz. Vorsichtig schloss sie mit einem winzigen Schlüssel die Tür auf und berührte den Terpentikel. Ein rhythmisches Ticken setzte ein.
Die rechte Seite des Raumes diente als Büro. Deshalb wirkte das Arbeitszimmer auch so unbenutzt. Ein etwas kleinerer Schreibtisch war mit Papieren übersät. Zwei Aktenordner lagen aufgeschlagen vor der Tastatur, die zu einem ziemlich neuen Computer gehörte. Dazu ein Drucker und ein Bildschirm, dessen Größe darauf schließen ließ, dass Tim ihn gebraucht erstanden hatte. Ein Irisches Wörterbuch und unleserliche Notizen zeigten, dass Tim sich die Sprache tatsächlich aneignen wollte.
Wahrscheinlich wollte er in Ninas Nähe sein, wenn er arbeitete. Sie sah es vor sich, Nina vor dem Fernseher, Tim am Schreibtisch sitzend, in dem Versuch, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, worin Nina ihn störte, sobald es etwas Interessantes zu sehen gab. Nina mit hochgezogenen Beinen auf der Couch, Chips futternd, die sie Tag und Nacht essen konnte, und ein Glas Rotwein auf dem Tisch.
Sie wusste immer noch nicht, was eigentlich passiert war.
Seufzend sah sie auf die in bunten Übertöpfen stehenden Pflanzen, die seit Ninas Weggang offenbar nicht mehr gegossen worden waren. Eine hatte nur noch vertrocknete Blätter, die andere hatte fast alle Blätter verloren. Sie holte ein Glas Wasser aus der Küche und goss sie.
Alles in allem hatte der Raum einen urigen Charme und gefiel ihr.
Sie stieg hoch in die erste Etage. Am Ende des Flurs war ein Fenster. Sie blickte hinaus auf den total verwilderten Garten, wenn man ihn überhaupt so nennen wollte. Es war eher der Versuch eines Gartens. Zwei ehemals weiße, nun vergilbte Plastikstühle standen nebeneinander. Rechts und links befand sich je ein länglicher Blumenkübel, offenbar als Begrenzung einer imaginären Terrasse gedacht. Eine Begonie und eine Pflanze, die sie nicht kannte, kümmerten vor sich hin. Nach hinten hinaus erstreckte sich ein bewaldetes Gebiet. Hin und wieder konnte sie einen Blick auf den See erhaschen.
Vor ihrem Zimmer lag das Gästezimmer, das mit einem Bett, einem Schrank und einem Nachttisch ausgestattet war. Die Tapete mit orangefarbenen und grünen Ornamenten erinnerte an die Siebzigerjahre. Der auf dem Boden liegende Flokati ebenfalls. Ihrem Zimmer gegenüber lag Tims Schlafzimmer. Sie warf nur einen kurzen Blick hinein. Ein Doppelbett, geblümte Vorhänge, zwei bunte Läufer auf dem Boden. Auf dem linken Nachttisch zwei Bücher. Ninas. Über dem Kopfteil des Bettes hing ein großes Pferdeposter mit einem galoppierenden schwarzen Hengst. Eine Kleiderschranktür stand offen und sie erspähte eine kunterbunte Bluse. Ninas. Wie oft hatte sie sie darin gesehen?
Es gab noch ein großes Badezimmer, das Tim im ursprünglichen Zustand belassen hatte. Eine Wanne mit Füßen, hellgelbe Wandfliesen, rot-schwarze auf dem Boden. Gebrauchte Handtücher hingen auf dem Rand der Wanne. Zwei kleine Waschbecken, im rechten befanden sich noch die Reste von Zahnpasta. Unter dem Fenster stand ein kleiner weißer Schrank mit Schubladen.
Sie ging wieder nach unten und begann, in der Küche sauber zu machen. Die leeren Flaschen stellte sie in den Flur und sie musste an ihren Vater denken, der die leeren Weinflaschen immer vor seinen Kindern versteckte, obwohl sie beide wussten, dass er gerne etwas trank. Und ihre Mutter spielte das Spiel mit und behauptete, sie brauche den Wein zum Kochen.
Ihr Elternhaus war für sie nie ein richtiges Zuhause gewesen. Ihre distanzierten Eltern lebten mehr für die Ehe als für die Kinder. Das Haus zeugte davon in besonderer Weise. Die weißen Hochglanzmöbel der Küche waren so empfindlich, dass sie und Tim sie nicht anfassen durften. Das Wohnzimmer mit den beiden zierlichen Tischlampen und den ausgesuchten Antiquitäten war für sie und Tim tabu. Das Bad bestand aus Marmor und war immer kalt, weil es keinen Heizkörper gab. Den wollte ihre Mutter nicht, weil er den Gesamteindruck gestört hätte, wie sie einmal erklärte. Sie konnten nur in ihren Zimmern spielen, die sehr klein und lieblos mit identischen Möbeln ausgestattet waren. Nur diese Räume hatten sie überhaupt als Zuhause bezeichnen können. Tim war oft bei ihr gewesen, weil er nicht gerne alleine spielte.
Als sie mit ihrer Putzaktion fertig war, setzte sie sich mit Kaffee an den Küchentisch. Es war noch etwas Zeit. Tim war in aller Frühe aufgebrochen, um sich die Stute anzusehen. Den Anhänger hatte er mitgenommen. Soviel sie wusste, wollte der Tierarzt ihn begleiten. Sie müssten bald zurück sein. Sie notierte sich ihre Überlegungen zu einem Hotel, schweifte dann ab und dachte darüber nach, welches Holz sie für die Möbel wählen sollte. Vielleicht Kirschbaum, dessen kräftige Farbe und Struktur ihr gut gefiel.
Zehn Minuten später fuhr der Wagen auf den Hof. Lautes Gepolter ertönte aus dem Anhänger. Erschrocken lief sie hinaus. »Ist etwas passiert?«, fragte sie.
»Nein, bleib zurück«, sagte Tim. »Die Stute ist extrem scheu. Wir müssen sie noch einmal spritzen, damit wir sie überhaupt in den Stall bringen können.«
Alex ging mit einer aufgezogenen Spritze an die Rückseite und verhielt sich ganz ruhig. Als das Tier einen Moment verschnaufte, setzte er blitzschnell die Spritze und wich sofort zurück. Die Hufe des Tieres donnerten gegen die Rückwand. Er warf die Spritze in einen Abfalleimer und kam zu ihr.
»Hallo.«
»Was ist mit ihr los?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Sie hat wahrscheinlich schlechte Erfahrungen gemacht. Ihr Bruder hat sich viel vorgenommen, wenn er glaubt, er könne sie an sich gewöhnen.«
»Ich glaube, jetzt können wir«, rief Tim.
Alex nickte und erklärte ihr: »Das Mittel wirkt sehr schnell, aber die Wirkung lässt auch schnell wieder nach.«
Piet öffnete die rückseitige Klappe und ließ sie zu Boden. Ein Scharren war zu hören. Piet sagte etwas zu Tim und dieser nickte. Er ging nach vorne zu der kleinen Öffnung und steckte den Kopf durch. Wieder ertönte das Poltern und Claire wollte hinlaufen, aber Alex hielt sie am Arm fest.
»Je weniger Leute, desto besser.«
»Geschafft«, Tim kam wieder zum Vorschein. »Geh etwas zur Seite, Claire. Das Tier ist unberechenbar. Komm ihr bloß nicht zu nahe.«
Gehorsam ging Claire einige Meter zurück. Piet und Tim standen nun an den beiden Seiten der Klappe und hoben vorsichtig die Stange hoch, die den hinteren Teil des Transporters begrenzte. Ganz kurz war ein Huf zu sehen, als die Stute nach hinten ausschlug. Dann wurde es wieder lauter und sie kam rückwärts hinaus, verfehlte aber die kleine Rampe und rutschte ab. Blitzschnell packte Piet sie am Halfter. Dennoch bäumte sich das Tier auf, aber Piet ließ nicht los und wurde einen Moment nach oben gerissen und sah mit seinen hochgezogenen Beinen wie ein Zwerg aus. Tim sprang an die andere Seite des Tieres und griff ebenfalls nach dem Halfter. Alex rannte zur Stalltür und öffnete sie weit und verschwand dann im Stall.
Obwohl sich die Stute heftig wehrte, schafften Piet und Tim es, sie festzuhalten und Richtung Stall zu bugsieren. Das Fell der Stute war schweißnass und sie zitterte am ganzen Körper. Einmal wieherte sie laut und drehte sich blitzschnell um, als wolle sie davonlaufen. Claire sah den angstvollen Blick des Tieres und es kam ihr so vor, als flehe es sie um Hilfe an. Zärtlichkeit wallte in ihr auf und sie machte einen Schritt vorwärts, blieb dann aber stehen, als die Stute wieder Anstalten machte zu steigen. Aber Piet hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an das Halfter und Tim drehte sie wieder um. Nur mit Mühe konnten die Männer sie in den Stall führen. Wenig später kamen sie wieder hinaus. Piet rieb sich den Schweiß von der Stirn, Tim sagte erschöpft: »So schlimm habe ich sie mir nicht vorgestellt.«
»Ja, das dachte ich mir«, sagte Alex. »Das Tier wirkt auf mich traumatisiert. Ich weiß nicht, ob das gut geht.«
Tim nickte zögernd. Auch ihm schienen Zweifel gekommen zu sein.
»Ich möchte mit ihr züchten, sie hat eine fabelhafte Abstammung. Ich will es jedenfalls versuchen. Claire«, er wandte sich an seine Schwester. »Versprich mir, dass du nicht zu ihr gehst. Geh auf keinen Fall an ihre Box. Am besten bleibst du nur im vorderen Teil des Stalles, da, wo sie dich nicht sehen kann.«
Sie nickte und wollte gerade ins Haus gehen, um sich umzuziehen, als Viktors Wagen in der Einfahrt erschien. Sie sah auf die Uhr. Es war erst halb elf. Natürlich musste er wieder zu früh kommen.
Er stieg aus und sie ging auf ihn zu. Er kam ihr kurz entgegen, blieb dann aber stehen. Tat er das bewusst, um ihr Distanz zu vermitteln? Und dann sah er sie langsam von oben nach unten an. Zuerst ihre Frisur, ihren nachlässig zusammengebundenen Zopf. Dann ihr Gesicht, das nicht geschminkt war mit blassen Lippen und vereinzelten Sommersprossen, die Viktor nicht mochte. Auch ihre Augen gefielen ihm ohne Mascara nicht. Er meinte einmal, sie seien ein wenig farblos. Der alte grüne Pullover von Tim, der sich so angenehm auf der Haut anfühlte und kein bisschen kratzte, war verstaubt. Er hatte sogar ein winziges Loch an der rechten Schulter. Ihre Jeans war verbleicht, die Beinränder ausgefranst. Sie war ihr ein wenig zu weit, sodass der vordere Rand abstand. Deshalb hing sie im Schritt etwas durch, wie bei Rappern, die das cool fanden.
Viktor fand sie kein bisschen cool. In seinen Augen war sie schlampig und wahrscheinlich sogar etwas gewöhnlich. Absolut nicht vorzeigbar. Wenn seine Kollegen sie so sehen könnten, Viktor würde sich in Grund und Boden schämen. Wie bei seiner Mutter in ihrem Bademantel.
»Hallo, du bist zu früh«, sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme etwas bissig klang.
»Tut mir leid«, sagte er leichthin und sie wusste genau, dass dem nicht so war.
Er trug wieder einen Anzug, einen anderen diesmal, und seine italienischen Schuhe. Sogar eine Krawatte. Viel zu elegant für einen Hof.
Er passt überhaupt nicht hierhin, dachte sie ruhig. Das ist für ihn eine total fremde Welt. Vielleicht musste sie nur versuchen, sie ihm etwas verständlicher zu machen, damit er begreifen konnte, wie wichtig ihr das alles war.
»Soll ich dir erst einmal das Gelände zeigen?«, fragte sie.
»Meinetwegen«, er wirkte zwar nicht begeistert, aber vielleicht gefiel ihm ja, was er sah.
Aber ihm gefiel nichts. Er ließ nicht die Landschaft auf sich wirken, sondern sprach ununterbrochen von seinen Hausplänen, dem passenden Grundstück, das er nun endlich gefunden hatte, und dem geplanten Urlaub in Kalifornien. Sie ging mit ihm zu der Stelle, von der aus man den schönen Blick auf das Steinhaus hatte und zeigte es ihm.
»Ist das nicht wunderschön?«
»Was, das? Oh, ja. Ich habe einen Architekten gefunden, der sofort Zeit hätte. Wir müssen ihm nur das Startsignal geben.«
»Wie gefällt dir das Haus?«, fragte sie, ohne auf seine Worte einzugehen.
»Welches Haus? Ach, das. Ja, ganz nett. Scheint ein wenig alt zu sein, nicht wahr? Also, der Architekt steht bereit. Ich will dir aber zuerst das Grundstück zeigen. Es liegt an einem kleinen Bach. Du hast doch einmal davon gesprochen, dass du im Sommer gerne Frösche quaken hörst, oder?«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern sprach weiter. Von den künftigen Nachbarn, ein junges Ehepaar, ungefähr in ihrem Alter, und von seinem neuen Mitarbeiter, dem er das Grundstück auch gezeigt und dem es super gefallen habe.
»Er fragte mich tatsächlich, wo ich so viel Geld herhabe. Aber er ist noch jung, er hat sich nichts dabei gedacht. Ich arbeite ihn zurzeit ein, deshalb muss ich heute noch zurückfliegen.«
Sie gingen weiter und Viktor redete weiter. Ihr Ärger verstärkte sich. Als sie am Hof ankamen, sprach Viktor von Max, der sich bei einem Golfturnier qualifiziert habe. »Vielleicht sollten wir auch in den Golfclub eintreten, was meinst du?«
Sie unterbrach ihn abrupt und sagte: »Jetzt hast du nur von dir gesprochen. Interessiert dich nicht, was ich hier vorhabe?«
Er verzog das Gesicht und fragte widerwillig: »Wieso, was hast du denn vor? Wieso bist du überhaupt nach Irland geflogen?«
Sie ignorierte die zweite Frage und sagte, dass sie ein Hotel plane. »Mit sportlichen Angeboten wie Reiten, Tennis und so etwas.«
Er wartete.
»Das Steinhaus ist ideal. Ich will es umbauen lassen. Es wird zwar nur ein kleines Hotel, maximal zehn Zimmer. Aber das ist mir genug. Das Haus gehört auch zum Besitz meines Bruders.«
Wie auf Befehl kam Tim aus dem Stall und sie winkte ihn zu sich. Zögernd kam er näher.
»Deshalb habe ich dich auch herumgeführt. Damit du dir alles unter diesem Gesichtspunkt ansehen kannst. Wir gehen jetzt noch in das Steinhaus. Es ist wunderschön und wird dir gefallen.«
Er machte eine Handbewegung, die sie zur Genüge kannte.
»Nein, lass mal.«
»Aber das Haus ist entscheidend für unsere Pläne«, erklärte sie eifrig. »Es ist wirklich mein Traumhaus. Ich muss dir die schönen Fenster zeigen und den tollen Ausblick auf den See.«
»Ich habe genug gesehen«, sagte er arrogant und sie spürte Hitze, die sich von ihrem Bauch aus in alle Richtungen ausbreitete. Dann kam die Wut.
»Sollen wir reingehen und einen Kaffee trinken?«, fragte Tim völlig unpassend.
Viktor ignorierte ihn und fuhr fort: »Ein Hotel traue ich weder dir noch deinem Bruder zu. Nicht, weil ihr unfähig wärt, aber ein solches Projekt ist für euch einige Nummern zu groß. Die zwei oder drei Pferdchen deines Bruders kannst du nicht im Ernst als Grundstock für ein Sporthotel sehen.«
Sie sah, wie Tim zusammenzuckte, und das brachte das Fass zum Überlaufen. Aber bevor sie noch etwas sagen konnte, fuhr er fort: »Du musst die Realitäten sehen. So ein Projekt ist nichts für dich. Und für deinen Bruder auch nicht. Ihr würdet in kürzester Zeit eine Pleite hinlegen und euer ganzes Geld verlieren. Ich rate euch dringend davon ab. Abgesehen davon hat dein Bruder nicht einmal eine entsprechende Ausbildung. Und die Sache mit dem Deckhengst«, fuhr er fort. »Ich habe mich gestern Abend noch erkundigt, da ist eine Pleite vorprogrammiert. Ihr habt einfach nicht …«
»Was fällt dir ein?«, unterbrach sie ihn. »Du hast überhaupt keine Ahnung. Weder vom Hotelwesen noch von Pferden. Und meinen Bruder kennst du nicht.«
Viktor schüttelte den Kopf: »Ich kann mir trotzdem ein Bild machen. Am besten packt ihr ein und kommt zurück. Und ich rate euch dringend, die Finger von dem Hengst zu lassen. Ihr könntet euer Geld mit einem Schlag verlieren. Daran sind schon andere gescheitert. Ihr würdet auch scheitern.«
Zum ersten Mal bekam sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich Hass anfühlte.
»Das reicht«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Wer bist du denn schon? Ein kleiner Filialleiter in einer Kleinstadt, der kleinen Händlern kleine Kredite bewilligt und sich dabei auch noch groß und mächtig vorkommt. Du bist nichts weiter …«
Er packte sie am Arm und zischte: »Jetzt halt den Mund. Du weißt ja nicht, was du sagst.«
Sie riss sich los.
»Ich möchte, dass du unverzüglich von hier verschwindest. Und ich will dich nie wieder sehen.«
Viktor wurde blass, dann straffte er sich und rieb die Handflächen aneinander, als wolle er Schmutz beseitigen.
»Du bist total verblendet. Ich sehe ein, dass man mit dir jetzt nicht reden kann.«
»Geh jetzt«, sagte sie kalt. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann wandte er sich ab und ging zu seinem Wagen. Tim war an ihre Seite gekommen und legte seinen Arm um ihre Schultern. Der Motor heulte auf, die Reifen drehten auf dem Kies durch. Dann verschwand der Wagen.
»Claire, das tut mir so leid. Jetzt ist auch noch deine Beziehung kaputt und alles nur wegen mir.«
»Nein, mach dir keine Gedanken«, sagte sie erschöpft. »Es ist besser so. Wir passen einfach nicht zusammen.«
»Ja«, er nickte. »Weißt du, das hat Nina sofort gesagt, als sie damals bei dir war und ihn kurz kennenlernte. Sie sagte, das wird nichts. Weil Viktor dich nur herumkommandieren würde.«
Sie schwieg.
»Was meinte er denn mit dem Deckhengst? Das habe ich nicht verstanden.«
Claire genierte sich nun und sagte schnell: »Ach, nichts weiter.«
Tim nickte nur und begann dann vorsichtig: »Du, Claire, ich muss dir noch etwas sagen.«
»Ja?«
»Das Grundstück, von dem du gesprochen hast, das längliche, das nicht bewirtschaftet wird, es gehört mir gar nicht.«
»Was?«, fragte sie entsetzt. »Aber es liegt doch direkt hinter dem Steinhaus.«
»Ja, aber es gehört nicht zum Hof. Wenn wir es wirklich brauchen, müssen wir sehen, ob wir es kaufen können.«
Abends war Tim bei einem Landwirt, weil er Stroh und Heu bestellen wollte. Sie langweilte sich und ärgerte sich immer noch über Viktor.
Sie hatte eigentlich immer geahnt, dass ihre Gefühle für Viktor nicht stark genug waren. Irgendetwas fehlte. Alles war flach, ruhig, ausgeglichen. Es gab keinen Tiefgang, keine Aufregung, kein Herzklopfen. Und an Schmetterlinge im Bauch konnte sie sich überhaupt nicht erinnern. Ihre Beziehung war eine sterile Angelegenheit gewesen, wie sie sich nun eingestand. Als sie sich kennenlernten, dachte sie, dass sich ihre Gefühle entwickeln würden. Zu einer Beziehung voller Harmonie und Respekt. Sie glaubte damals sogar, sie passten gut zusammen, weil sie beide klassische Musik liebten, ein schönes Zuhause und Kunst. Aber nicht einmal das stimmte, wie sie jetzt zugeben musste. Viktor hörte Bach und Wagner, weil er sich für einen kultivierten Mann hielt, während sie Musik hörte, um darin aufzugehen. In Viktors Zuhause war alles genau aufeinander abgestimmt, so wie man es in Wohnzeitschriften fand. Sie dagegen brauchte Wärme und gemütliche Ecken, in denen sie sich kuscheln konnte.
Sie hatte sich oft gefragt, ob das schon alles sein sollte. Jetzt wusste sie, dass etwas fehlte. Liebe musste noch etwas anderes sein. Die Trennung war überfällig gewesen. Sie war fertig mit ihm und weinte ihm keine Träne nach.
Sie schaute aus dem Fenster. Die Stalltür war nur leicht angelehnt.
Dann fiel ihr die neue Stute ein. Offenbar hatte sie sich an ihr verändertes Umfeld schon ein wenig gewöhnt. Tim sagte, sie reagiere sofort heftig, wenn jemand vor ihrer Box stand. Aber wenn es im Stall ruhig sei, verhalte sie sich friedlich.
Irgendwie interessierte das Tier sie. Etwas hatte sie berührt, als sie sie auf dem Hof gesehen hatte, voller Angst und bereit fortzulaufen. Sie konnte ja wenigstens mal einen Blick auf sie werfen. Zögernd näherte sie sich dem Stall und schob das Tor einen Spaltbreit auf. Farewell spitzte die Ohren und hob den Kopf. Er schaute in ihre Richtung, neugierig, ob sie ihm etwas zusteckte. Esquire dagegen ließ sich nicht stören. Sie döste vor dem Trog und rührte sich nicht. Fever lag mit geschlossenen Augen in der Streu. Strohhalme hatten sich in ihrer Mähne verfangen. Wahrscheinlich hatte sie sich vorhin noch gewälzt. Princess begann mit dem Vorderbein zu scharren.
Langsam ging sie nach hinten durch und blieb stehen, als sie in die Box einsehen konnte. Die Stute stand mit angespannten Muskeln in der linken Ecke und schien zu horchen.
Sie wartete. Irgendwann würde das Tier sich doch beruhigen müssen. Aber nach zehn Minuten stand die Stute immer noch unverändert ängstlich da, den Kopf gehoben, die Ohren gespitzt. Langsam näherte sie sich der Box. Sofort drängte sich das Tier noch mehr in die Ecke. Wieder blieb sie stehen. Die anderen Pferde hatten ihre Anwesenheit vergessen oder nahmen keine Notiz von ihr. Sie wühlten im Stroh auf der Suche nach Resten von Heu oder dösten vor sich hin.
In der Tür erschien eine Katze und spazierte selbstverständlich hinein. Wem mochte sie gehören, überlegte sie. Sie hatte kein Katzenfutter in der Küche gefunden. Die Katze setzte sich mitten auf die Stallgasse und begann sich zu putzen. Die von draußen hereinfallende untergehende Sonne ließ ihr Fell rötlich glänzen wie Seide. Sie schien noch ziemlich jung zu sein, denn sie war noch nicht ausgewachsen. Und etwas Kindliches haftete ihrem Gesicht an.
Sie merkte plötzlich, dass sie glücklich war, einfach so. Etwas Neues würde beginnen. Sie schloss einen Moment die Augen und lauschte auf die Geräusche der Tiere. Eines der Pferde spielte mit seiner Tränke. Sicher Scabri, der das gerne tat. Es roch intensiv noch Hafer und Heu und überhaupt nach Pferd, ein Geruch, den sie angenehm fand und den auch Tim immer mit nach Hause gebracht hatte. Princess hatte aufgehört zu scharren. Sie wusste, dass sie jetzt kein Futter bekommen würde. Tim sagte, sie würde immer weiter fressen, wenn sie könnte, und sie solle ihr grundsätzlich nichts geben, wenn sie scharrte. Außerdem sei das Scharren schlecht für die Gelenke. Es würde den Verschleiß fördern und die Tiere irgendwann zum Reiten untauglich machen.
Ein heiseres Wiehern ließ sie die Augen öffnen. Die Stute drängte sich immer noch ängstlich in die Ecke, blickte aber zu ihr hin. Wieder wieherte sie leise und Claire sah sie fasziniert an. Sie hatte keine Ahnung von der Psyche der Tiere. Aber sie war sich sicher, dass die Stute gerade Kontakt mit ihr aufgenommen hatte.