14
Lee schien die Notwendigkeit zur Kapitulation vor seinen Generälen einzusehen. Zu der Zeit, als sie den Obstgarten erreichten, war die Hälfte seiner Armee vernichtet. Von der Infanterie waren nur noch ein paar Brigaden sowie Longstreets und Gordons Truppen übrig, und keiner der Männer hatte seit Tagen irgend etwas gegessen. Dennoch schnappte Longstreet, als Lee ihm Grants ersten Brief mit den Kapitulationsbedingungen zeigte: »Noch nicht«, und als er Venable fragte, welche Antwort er ihm schicken sollte, sagte Venable steif: »Ich würde einen solchen Brief nicht beantworten.« – »Ah, aber er muß beantwortet werden«, sagte Lee.
In der letzten Nacht vor der Kapitulation schlief er ganz allein unter einem Apfelbaum und umklammerte dabei Travellers Zaumzeug.
AM NÄCHSTEN TAG LASEN WIR im Coffeeshop weiter Druckfahnen, als wenn nichts geschehen wäre, und das würden wir für den Rest unseres Lebens jeden Morgen tun. Im Laufe der Nacht hatte sich der Schnee in einen kalten Regen verwandelt.
»Wir müßten heute nachmittag eigentlich damit fertig werden«, sagte ich, »und dann können wir morgen mit ihnen nach New York rauffahren und sie im Verlag abgeben. – Wie wird das Wetter?« fragte ich unsere Serviererin.
»Nördlich von hier regnet es stark. Ein paar Trucker hier haben von Überschwemmungen geredet.«
Annie gähnte. Sie sah wundervoll aus, erholt, ihre Wangen so rosig wie in jener ersten Nacht, als sie zu mir gekommen war und mich um Hilfe gebeten hatte. Ich nahm ihre Hand in meine.
»Warum legst du dich nicht wieder ins Bett?« sagte ich. »Du mußt eine Menge Schlaf nachholen. Ich werde McLaws und Herndon anrufen.« Die Serviererin runzelte die Stirn. »Und die Highway-Streife.«
Wir gingen wieder auf unsere Zimmer. Ich rief den Anrufbeantworter an, um sicherzugehen, daß Broun sich nicht entschlossen hatte, nach Hause zu fahren. Broun hatte eine Nachricht hinterlassen. »Sieg auf ganzer Linie«, sagte er, anscheinend erregt. »Ich wußte, daß ich auf der richtigen Spur war. In der Schlafklinik gibt es ein paar Tb-Patienten, die man untersucht hat, weil sie durch das Fieber häufiger REM-Phasen haben. Alle träumen davon, lebendig begraben zu sein. Sie sagen, sie könnten die kalte, feuchte Erde spüren, die man auf sie schaufelt. Die Ärzte meinen, das kommt vom Nachtschweiß, aber ich habe mit einem von ihnen gesprochen. Ein paar fingen an diese Träume zu träumen, als sie noch gar keine Symptome der Krankheit hatten.
Nicht nur das, sondern wenn die Krankheit voranschreitet, werden die Träume klarer und weniger symbolisch, und sie träumen von ihren eigenen Symptomen, vom Fieber und Husten und von Blut, und manchmal träumen sie vom Sterben, davor, daß sie beim eigenen Begräbnis zugegen wären, daß sie im Sarg lägen. Deshalb hat Lincoln den Sarg-Traum in jener letzten Woche geträumt. Seine Akromegalie verschlimmerte sich.
Aber jetzt kommt das Beste. Einer dieser Patienten ist dieser Junge, der Die Schatzinsel gelesen hat. Ich habe ihn darüber befragt, und er meinte, Robert Louis Stevenson wäre sein Held, weil er als Kind ebenfalls Tb hatte. Er meinte, Stevenson hätte ebenfalls davon geträumt, lebendig begraben zu sein. Robert Louis Stevenson hat den gleichen Traum vor hundert Jahren geträumt!«
Er sagte nicht, wo er war. Er hatte am Samstag eine Signierstunde in Los Angeles und am Montag eine Verabredung mit einem Neurologen. Er würde irgendwann am Dienstag zurück sein, wenn er die Angelegenheit mit den prodromalen Träumen abgeschlossen hatte.
Brouns Agentin hatte eine weitere Nachricht hinterlassen. »Ich habe McLaws und Herndon gesagt, daß die Fahnen spätestens am Montag eintreffen werden. Wenn Sie Broun nicht erreichen können, geben Sie sie so ab, wie sie sind.«
Kaum daß sie zu sprechen aufgehört hatte, sagte Richard: »Du mußt mich auf der Stelle anrufen.«
»Den Teufel werde ich tun«, sagte ich und legte auf. Ich nahm die Fahnen und ging in Annies Zimmer zurück. Annie war auf dem Bett eingeschlafen, die Beine eng an ihren Körper gezogen. Sie hielt ihren linken Arm mit dem rechten, als täte er ihr weh. Ich hob die gefaltete Decke vom Fußende des Bettes hoch und deckte sie damit zu.
Es waren nur noch ein paar Seiten von Die Bürde der Pflicht durchzusehen. Mrs. Macklin hatte Nelly beim Versuch, sie von dem toten Soldaten wegzubekommen, das Handgelenk gebrochen. Der alkoholabhängige Chirurg mußte sich eine Weile vom Herumsägen an Armen freimachen, um ihren zu verarzten und in eine Schlinge zu legen. Mrs. Macklin wollte, daß sie nach Hause ging. »Du kannst hier nichts mehr tun«, sagte sie.
»Das haben Sie schon einmal zu mir gesagt«, sagte Nelly. »Sie haben Ihre Pflicht zu tun. Ich habe meine«, und arbeitete so lange weiter, wie es das Lazarett gab, was nicht sehr lange war. Die Armeen rückten vor und ließen Winchester hinter sich, und das Lazarett wurde verlegt und dann abgebrochen, und die Soldaten, die zu schwer verletzt waren, um zu gehen, mußten in Wagen weggebracht werden. Als Bens Einheit auf dem Weg nach Fredericksburg vorbeikam, schloß Ben sich ihr an.
»Nein«, sagte Nelly, als Ben ihr mitteilte, daß er aufbrechen werde.
Annie setzte sich im Bett auf und schrie. Ich fuhr zusammen, als wäre ich angeschossen worden. Ich ließ die Fahnen fallen und sprang auf. Mein Fuß war eingeschlafen, und ich fiel halb aufs Bett. Sie schrie wieder und hob die Hände, um mich abzuwehren. Ich packte ihre Handgelenke. »Wach auf, Annie! Du hast einen schlechten Traum. Wach auf!«
Ich konnte ihren Puls in den Gelenken spüren, flatternd und schnell. »Nein!« sagte sie, und ihre Stimme war voller Verzweiflung. Sie versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien.
»Annie, wach auf! Es ist nur ein Traum.«
»Mir ist so kalt«, sagte sie, und einen Moment dachte ich, sie sei wach. »Es ist so kalt. In der Kirche.« Sie zitterte und atmete stoßweise, als wäre sie gelaufen. »Die Versammlung hat so lange gedauert.«
Welche Versammlung? Nicht die Besprechung mit Longstreet bei Gettysburg. Diese hatte in einer Schule stattgefunden, nicht in einer Kirche. Dunker Church? Sie träumte bestimmt nicht von Antietam, nicht jetzt, wo die Träume eigentlich vorbeisein sollten.
»Sie konnten sich nicht entscheiden… Zuletzt sagte ich… so kalt!« Sie klapperte mit den Zähnen. Ich ließ ihre Handgelenke los und legte ihr die Decke um die Schultern. Ich zog die Seiten des Bettlakens hoch und legte es über ihre Beine.
»Worüber wurde beraten?«
Sie versuchte etwas zwischen ihren klappernden Zähnen hindurch zu sagen, schloß die Augen und legte sich auf die Seite. Sie keuchte und wechselte die Lage, als hätte sie Schmerzen am Arm. Sie hob ihre Hand, um den Ellbogen zu unterstützen und murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Dann drehte sie sich wieder um und sagte, sich immer noch den Arn haltend, deutlich: »Sagen Sie Hill, daß er herkommen soll.«
Und jetzt wußte ich, von welcher Kirche sie geträumt hatte. Ich schloß die Augen.
Sie schlief noch eine Stunde lang. Ich blieb eine Weile bei ihr sitzen, dann humpelte ich mit meinem immer noch halb eingeschlafenen Fuß in das andere Zimmer hinüber, holte die Decken und deckte Annie damit zu.
Das Telefon klingelte. Es war die Frau des Veterinärs mit einer Nachricht. Dr. Barton hatte von dem Pferdekrankheiten-Kongreß aus angerufen. Er ließ mir zwei Dinge ausrichten. Zunächst hatte er auf der Konferenz mit einigen anderen Tierärzten über mich gesprochen, und einer von ihnen hatte erwähnt, daß er kürzlich in einem Wissenschaftsmagazin einen Artikel über Akromegalie gelesen hätte. Er dachte, daß mich das vielleicht interessieren würde. Sie wußte nicht, welche Zeitschrift es war, sie übermittelte mir nur die Nachricht.
Das zweite war, daß er endlich mit seiner Schwester gesprochen hatte. Sie erinnerte sich nicht, daß Dr. Barton – Dr. Bartons Vater – jemals erwähnt hätte, von Särgen oder Booten geträumt zu haben, und sie war der Meinung, daß er darüber gesprochen haben würde. Er hatte sich wegen seiner Ägypten-Studien sehr für Träume interessiert. Er hatte vor seinem Tod monatelang einen immer wiederkehrenden Traum gehabt, von dem er überzeugt war, daß er eine Todeswarnung war. Er hatte geträumt, er läge in seinem Garten tot unter dem Apfelbaum. »Woran ist er gestorben?« fragte ich. »An der Akromegalie?«
»Nein«, sagte die Veterinärsgattin. »Er starb an einem Herzanfall.«
»Welche Symptome hatte er? Vor dem Herzanfall?«
»Uh, das weiß ich nicht. Er lebte bei Hanks Schwester, und wir bekamen ihn nicht häufig zu sehen. Er klagte darüber, daß sein linker Arm häufig schmerzen würde, das weiß ich, weil Hanks Schwester dachte, es wäre Arthritis, aber hinterher sagte ihr der Arzt, es sei wahrscheinlich Angina Pectoris gewesen, und ich erinnere mich noch, daß er sich andauernd das Handgelenk rieb.«
Ich bedankte mich bei ihr dafür, daß sie mir die Nachricht durchgegeben hatte und legte den Hörer auf. Dann ging ich zum Fenster und schaute zum Rappahannock hinaus. Meine liebste Annie.
Als Annie aufgewacht war, sagte ich so beiläufig wie möglich: »Das Wetter soll heute nacht schlechter werden. Vielleicht sollten wir heute nachmittag losfahren.«
»Ich dachte, du hättest morgen gesagt«, sagte sie.
»Das stimmt, aber ich möchte nicht von einem Blizzard überrascht werden, so wie auf dem Rückweg von West Virginia.«
Sie stand auf, wobei sie sich immer noch den Arm hielt. »Was ist mit den Fahnen?«
»Wir können irgendwo auf dem Weg zum Mittagessen halten und sie fertigmachen. Es sind nur noch ein paar Seiten durchzusehen.«
Sie blickte das Durcheinander der übereinandergehäuften Decken an. »Was war denn los?« sagte sie. »Habe ich wieder geträumt?« Sie wandte sich mir zu, ihr Gesicht unschuldig und voller Vertrauen, als wäre dieser Traum wie alle anderen und als könnte ich sagen, es war Antietam oder Die neuen Abenteuer des kleinen Huhns. Nichts in ihrem Gesicht deutete darauf hin, daß sie begriffen hatte, daß etwas vollkommen falsch war, daß die Träume mit der Kapitulation hätten vorbeisein sollen. Vorbei.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. Ich schob die Decken beiseite und legte ihren geöffneten Koffer auf das Bett. »Du hast mehrmals etwas davon gemurmelt, daß dir kalt wäre. Es war kalt hier drin. Ich habe noch ein paar Decken auf dich draufgelegt und dich in die Tagesdecke eingemummt.«
»Mir ist immer noch ein bißchen kalt«, sagte sie und fröstelte. Sie begann ihre Sachen aus dem Schrank zu holen und in den Koffer zu legen, und mir fiel auf, daß sie jetzt, wo sie wach war, beide Hände benutzte; aber sie bewegte sich ein wenig steif, als hätte sie Rückenschmerzen.
»Ich werde uns schon mal unten abmelden«, sagte ich.
»Warte eine Minute. Was ist mit Dr. Barton? Wolltest du nicht warten, bis er wieder zurück ist?«
»Er hat angerufen«, sagte ich. »Seine Schwester meinte, ihr Vater hätte nie irgendwelche Träume erwähnt.« Ich schloß die Tür und ging die Treppe hinunter, wobei ich dachte, wie einfach das gewesen war, so einfach wie eine Kapsel in ihr Essen zu entleeren. Zu ihrem eigenen Besten.
Ich ging über die Straße zu dem Münztelefon im Coffeeshop und rief das Krankenhaus an. »Eine Bekannte von mir ist krank«, sagte ich und brach ab. Ich würde sie nie in ein Krankenhaus hineinbekommen. Man würde den Namen ihres Arztes wissen wollen, man würde dort tausend Formulare haben, und während ich sie ausfüllte, würde sie ein Taxi rufen und verschwinden.
Ich rief das Schlafinstitut an und fragte nach Dr. Stone. »Es tut mir leid«, sagte die Dame von der Vermittlung. »Dr. Stone ist in Kalifornien. Kann ich ihm etwas ausrichten?« Ich rief Brouns Hotel in Los Angeles an. Er war abgereist. Ich fragte den Angestellten, ob Broun gesagt habe, wohin er wolle, und er wiederholte: »Mr. Broun ist abgereist.«
Er war abgereist, und ich wußte weder, wo seine Signierstunde heute stattfinden sollte, noch wer der Neurologe war, den er am Montag treffen wollte, und er würde nicht vor Dienstag zu Hause sein, also erst in drei Tagen.
Annie bestand darauf, im Coffeeshop zu frühstücken, damit sie sich von der rothaarigen Serviererin verabschieden konnte, doch sie war nicht da. Ihre kleine Tochter war krank, teilte uns der Manager mit. »Grüßen Sie sie von mir«, sagte Annie und fuhr fort, in den Druckfahnen zu lesen, als wären wir jetzt nicht von aller Welt abgeschnitten, als wäre die Nachhut nicht bei Saylor’s Creek vernichtet worden und Sheridan nicht bereits in Appomattox Station und Meade uns dicht auf den Fersen und als schriebe Grant nicht bereits die Kapitulationsbedingungen nieder.
»Nein«, sagte Nelly, als er es ihr mitgeteilt hatte, und er hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme, aber diesmal war er der Anlaß dafür, und er konnte nichts daran ändern. »Die Armee wird dich nicht wollen. Du kannst nicht einmal marschieren.«
»Ich kann ziemlich gut laufen«, sagte Ben. »Kann schon sein, daß sie mich jetzt nicht nehmen werden, aber eines Tages werden sie, und dann werden sie froh sein, mich zu haben.«
»Warum tust du das?«
»Ich muß. Ich weiß nicht, warum. Es ist genauso wie damals, als ich mich gemeldet habe. Ich mußte einfach.«
»Ich werde nie erfahren, wie es dir ergangen ist«, sagte sie.
»Hab’ drüber nachgedacht«, sagte er und holte ein gefaltetes Stück Papier aus der Tasche. »Ein Freund von mir hat mir gesagt, ich sollte meinen Namen und meine Adresse in meinen Schuh tun, aber das hat es nicht gebracht. Der Stiefel wurde sauber weggeschossen, und weg war der Zettel. Ich möchte, daß du das an dich nimmst.«
»Und wozu soll das gut sein?«
Ben erinnerte sich, wie sie neben Calebs Bett gesessen und seine kalte Hand gehalten hatte. »Wenn der Krieg vorbei ist, zeigst du ihnen das Papier, und du zeigst auf einen der Gefallenen und sagst: ›Das ist er‹, und dann schreiben sie meinen Namen auf ein Grab und schreiben an meine Eltern, damit sie wissen, was mit mir passiert ist.«
»In Ordnung«, sagte sie.
Als er gegangen war, faltete sie das Papier auseinander und las es. ›Toby Banks‹, stand darauf. ›Big Swell Mountain, Virginia‹.
Annie hörte auf zu lesen.
»Ich hatte doch einen Traum«, sagte sie. »Jetzt erinnere ich mich daran. Ich glaube, ich war in einer Kirche, der Presbyterianerkirche in der Main Street zu Hause, und man war gerade bei der Kollekte, nur war es kein Gottesdienst. Es war irgendeine Art von Versammlung.«
Eine Zusammenkunft des Kirchenvorstands. In der Grace Church.
»Ich kann mich nicht mehr an allzuviel davon erinnern. Es war anders als in den anderen Träumen.« In ihr Gesicht kehrte etwas von der alten Panik zurück, als sie sich zu erinnern versuchte. »Es war kalt. Ich weiß noch, daß ich dachte, ich sollte besser meinen anderen Mantel tragen, und daß ich wünschte, sie würden aufhören zu reden, damit ich nach Hause konnte.«
Sie hatten über eine Summe von fünfundfünfzig Dollar für den Pfarrer gestritten. Die Versammlung hatte drei Stunden gedauert, und schließlich hatte Lee gesagt: »Ich spende diese Summe«, einfach nur, damit es vorbei war. Lee hatte nur sein Militärcape getragen und war durch den Nieselregen nach Hause gegangen.
Die Familie erwartete ihn am Teetisch. Er nahm, sich den linken Arm haltend, schwerfällig auf dem Sofa Platz, und seine Frau sagte halb im Scherz: »Wo bist du denn gewesen? Du hast uns lange warten lassen«, und sie bat ihn, den Segen zu sprechen. Er erhob sich und setzte an, etwas zu sagen, und dann brach er auf dem Sofa zusammen.
»Was bedeutet das?« fragte Annie.
»Es handelt sich wahrscheinlich um die Dunker Church bei Antietam. Laß uns gehen.«
»Ich habe der Katze noch nicht auf Wiedersehen gesagt.« Sie bestand darauf, um das Gebäude herum zur Außentreppe zu gehen. Die Katze war nicht da, und die Brocken Hähnchenfleisch waren halb im Schnee begraben. »Und wenn ihr etwas passiert ist, Jeff?« sagte Annie, sich das Handgelenk reibend.
»Ihr ist nichts passiert. Sie hat sich irgendwo an einem gemütlichen Plätzchen verkrochen, auf einem Speicher voller Mäuse vielleicht. Komm schon. Laß uns gehen.«
Sie schlief die ganze Fahrt über, als hätte sie Tabletten genommen. Sie wachte nicht einmal auf, als ich gleich hinter Woodbridge an einer Tankstelle hielt. Es regnete dort, ein kalter, an den Herbst erinnernder Regen, der sich jede Minute in Schnee verwandeln konnte.
Ich ging hinein und rief den Anrufbeantworter an. »Sieg auf der ganzen Linie«, sagte Broun. »Ich wußte, daß ich auf der richtigen Spur war.« Ich hatte die Anrufe nicht gelöscht. Ich hörte mir die ganze Nachricht noch einmal an und versuchte, einen Hinweis auf Brouns Aufenthaltsort herauszuhören.
Brouns Agentin sagte: »Ich habe McLaws und Herndon gesagt, daß die Fahnen spätestens am Montag eintreffen werden. Wenn Sie Broun nicht erreichen können, geben Sie sie so ab, wie sie sind.«
»Du mußt mich auf der Stelle anrufen«, sagte Richard. Ich hatte vorher bei ihm aufgelegt, doch diesmal hörte ich mir die Nachricht an, weil ich hoffte, daß Broun noch einmal angerufen hätte, um mir zu sagen, wo er sich aufhielt, und aus lauter Angst, ich könnte beim Vorspulen darüber hinweggehen und ihn verpassen. »Ich habe gerade die Untersuchungsergebnisse vom Labor bekommen. Es gibt da nach dem Bericht des Hausarztes ein Problem beim EKG. Ich weiß nicht genau, was es ist. Hast du irgendwelche Brustschmerzen bemerkt? Schmerzen im Handgelenk oder im Rücken oder in den linken Arm hinein? Falls es instabil sein sollte, können wir jederzeit auf einen Infarkt des Herzmuskels gefaßt sein.« Es kamen keine weiteren Nachrichten. Der Apparat lief bis zum Ende weiter, und dann schaltete er sich von selbst ab.
Die Nummer von Brouns Westküsten-Agent war besetzt. Ich kaufte eine Tasse Kaffee zum Mitnehmen und ging zum Wagen zurück. Annie schlief immer noch, auf dem Beifahrersitz zusammengerollt und ihren linken Arm eng an den Körper gelegt. Ihr kurzes Haar war von den geröteten Wangen zurückgefallen. Ich nahm den Deckel von dem Styroporbecher ab, stellte mir den Becher zwischen die Knie und ließ den Wagen an. Annie rutschte ein wenig zur Seite und nahm ihren anderen Arm hoch, um den linken damit zu unterstützen. »Brecht das Zelt ab«, sagte sie.
Ich machte den Motor wieder aus. Nach einer Weile öffnete ich die Tür und schüttete den Kaffee auf die Erde, ging wieder hinein und rief Richard an.