18

 

Die nächtliche Brise trägt vereinzelte Geräusche zu uns in die Höhle, eine Welle, die ans Ufer klatscht, den Triumphschrei eines Kindes, das vermutlich eines der Spiele gewonnen hat, die man für die Kleinen nach dem Abendessen organisiert, Gitarrengeklimper. Ich weiß nicht, wie spät es ist, will es auch gar nicht wissen. Bis zum nächsten Tag, der mir Yolanda zurückbringt, ist es jedenfalls noch eine ganze Weile hin.

Wie viel haben Camilleri und ich getrunken?

Genug, um meine ganzen Zweifel für eine Weile zu vergessen und mich rundum wohl zu fühlen.

Zu viel, als dass ich noch die nötige Vorsicht walten lassen könnte, die bei meinem Beruf eigentlich unabdingbar ist. Aber der Professor erinnert mich einfach irgendwie an meinen Vater und hat zudem etwas von einem weisen Patriarchen, von dem man noch viel lernen kann.

Wir fingen im Restaurant mit dem Trinken an, und als der Kellner schließen wollte, erstanden wir für einen stolzen Preis eine Flasche Whisky und erbettelten zwei Gläser und einen Kübel voll Eis. Für die Entscheidung, gemeinsam zu unserem Refugium hinaufzusteigen, bedurfte es keiner Worte. Vielleicht weil wir schon seit Stunden übers Leben, die Literatur und das Kochen sprachen, über seine gastronomischen Träume und meine zweifelhafte Berufung zum Chirurgen, über Piraten und Frauen.

Natürlich über Frauen.

Ich erzählte ihm von Leticia, als hätte ich sie hintergangen und sie sei das Opfer eines Betrugs, der dem Betrüger nichts gebracht hat, erzählte ihm von der Zeit, als ihre Haut für mich noch wie eine Neonreklame war, die mir immer den richtigen Weg wies, deren Lichter jedoch eine nach der anderen ausgingen, als wir uns immer mehr auseinanderlebten.

Und Camilleri? Der Professor sprach mit Wehmut von einer gewissen Constanza, und das mal so anschaulich, dass ich schon glaubte, im Rauch unserer Zigaretten nach ihr greifen zu können, und dann wieder so, als sei sie eine frei erfundene literarische Figur, eine wundervolle Frau aus Papier und Tinte. Als ich ihn darauf hinwies, seufzte er.

»Das ist das Schlimme am Schriftstellerdasein, mein lieber Freund. Die Erinnerung in all ihrer herrlichen Unvollkommenheit verblasst im Laufe der Zeit, aber ein Schriftsteller versucht dem immer mit seinen Worten entgegenzuwirken. Denn wenn einem nichts mehr bleibt, hat man als Bettgenossinnen immer noch die Worte. Bücher sind wie ein übervölkerter Harem, in dessen Fluren das Begehren sich leicht verlaufen kann – oder gar im falschen Bett landet. Aber täuschen Sie sich nicht, mein lieber Juan: Manchmal nutzen einem nicht einmal mehr die Bücher etwas.«

Von da kamen wir, ich weiß nicht, wie, auf das Schreiben und Camilleris Theorie, dass jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen hat, auch wenn er sie nicht aufzuschreiben weiß.

»Aber dafür gibt’s ja Techniken«, sagte er, »und die kann jeder erlernen. Auch Sie, mein lieber Juan. Sie fühlten sich nämlich bestimmt schon einmal versucht, ihre eigene zu Papier zu bringen …«

»Ich? Nicht dass ich wüsste.«

»Ach kommen Sie, Juan, ich habe schon so vielen Studenten auf den Zahn gefühlt, ich spüre genau, wenn jemand eine interessante Geschichte mit sich herumträgt. Das sehe ich den Leuten an: Fragen, Gewissheiten, Zweifel und hin und wieder auch Euphorie stehen ihnen ins Gesicht geschrieben. So wie Ihnen in den letzten Tagen.«


Genug Alkohol für die ganze Nacht. Und zu viel, um ihm eine Antwort schuldig zu bleiben oder mir irgendeine plausible Story ausdenken zu können. Folglich habe ich ihm meine Geschichte erzählt. So, als wäre sie der Stoff eines Romans. Mit allen Details, aber natürlich auch einigen notwendigen Änderungen, damit er nicht ahnt, dass sie wahr ist. Zumindest glaube ich das.

Camilleri sieht mich nun einen endlosen Augenblick lang an. Völlig verblüfft.

»Ihre Geschichte ist so absurd, dass sie zum Bestseller werden könnte, Juan. Ich meine, sie hat wirklich Potential. Einmal abgesehen von den offensichtlichen Parallelen zu Ihrem Leben: Wenn ich Psychologe wäre, was ich Gott sei Dank nicht bin, hätte ich einen Heidenspaß dran, die Übereinstimmungen herauszufinden. Wissen Sie noch, was ich vorhin über die Erinnerung und das Schreiben sagte? In der kritischen, mit unzähligen Zweifeln gespickten Lebensphase, in der Sie sich gerade befinden, überdenken Sie nicht, was mit Ihnen los ist, sondern schreiben eine Geschichte. Auch wenn Sie sie nicht wirklich niederschreiben, sondern sie nur in Ihrem Kopf existiert. Und darin findet sich alles wieder: Ihre Schuldgefühle, Ihre gescheiterte Ehe, die Distanz zu Ihren Kindern und sogar eine neue Liebe, durch die sich alles vielleicht noch zum Guten wendet. Alles andere, der Auftragskiller als Protagonist und der spannende Plot, dienen Ihnen dazu, die grau in grau gemalte Realität nicht zu nahe an sich rankommen zu lassen. Sie müssen diesen Roman zu Papier bringen, mein Lieber! Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen dabei.«

»Ich kann die Geschichte nicht aufschreiben, Professor. Ich weiß noch gar nicht, wie sie endet.«

Wir trinken beide einen großen Schluck aus unseren Gläsern.

»Hm, das ist der heikle Punkt, mein lieber Juan. Nach allen Regeln der Kunst müsste Ihre Nummer Drei nämlich am Ende sterben.«

»Warum?«

»Weil er fünfzehn Menschen auf dem Gewissen hat. Dafür muss man in der Literatur immer büßen. Ja, wenn Ihr Killer ein richtiger Bösewicht wäre, das heißt eine negativ angelegte Nebenfigur, dann könnte er mit dem Leben davonkommen. Aber der Protagonist? … Das riecht nach Showdown mit Leiche.«

Offenbar mache ich nach dieser Eröffnung einen ziemlich geknickten Eindruck, denn er lächelt mitleidsvoll. Doch plötzlich leuchten seine Augen auf.

»Obwohl … wissen Sie was? Zum Teufel mit den Regeln unserer Zunft! Retten Sie ihn, finden Sie einen Ausweg und ein neues Leben für Ihren Protagonisten. Das sind Sie ihm schuldig, Juan, schließlich haben Sie ihn erschaffen.« Der Professor runzelt nachdenklich die Stirn. »Aber das muss sich natürlich aus der Handlung heraus entwickeln. In einem Roman geschieht nämlich alles immer aus einem ganz bestimmten Grund. Genau wie im wirklichen Leben. Nur dass man den Grund da für gewöhnlich nicht erfährt. Ein fiktionaler Text, und insbesondere so ein spannender Plot, wie Sie ihn sich gerade ausdenken, kommt hingegen nicht ohne Motiv aus. Darauf sollten wir uns bei der Frage nach den verdächtigen Personen konzentrieren: Also, wer könnte der Schuft sein, der dem Protagonisten die tödliche Falle gestellt hat?«

»Ich … ich habe nicht die … die leis… leiseste Ahnung, Camilleri«, stammele ich, nun schon ziemlich beschwipst.

»Wenn Sie bescheidene Hilfe für die Weiterentwicklung Ihres Plots annehmen wollen: Ich würde ihn unter den scheinbar völlig Unschuldigen suchen. Da sind oftmals die schlimmsten Verbrecher zu entdecken.«

»Spre-sprechen Sie bitte weiter, Professor.«

»Nun, da gibt es zum Beispiel diesen wiedergefundenen Freund, für dessen trauriges Schicksal Ihr Killer verantwortlich ist. Wer sagt Ihnen, dass dieser Freund nicht herausgefunden hat, wem er Augenklappe und Beinprothese verdankt? Oder wie wär’s mit der Exfrau? Schließlich hat der Protagonist ihr jahrelang was vorgemacht. Vielleicht ist sie ihm auf die Schliche gekommen …«

»Das finde … das finde ich, mit Verlaub, völlig abwegig. Die FIRMA annonciert doch nicht in der Zeitung! Und Nummer Drei und seine Kollegen erledigen ihre Aufträge äußerst diskret. Nein, das ist viel … komplizierter.«

»Und wenn es der Rich…, äh, ich meine, dieser großherzige Gerichtsarzt ist, der in Ihrem Roman der neue Freund Ihrer Frau ist? Bei solch moralisch integren Figuren rechnet man meistens am wenigsten damit …«

»Ich weiß nicht … ja, das ginge schon, aber in einem Roman muss es doch eigentlich auch eine durchweg positiv besetzte Figur geben, oder nicht?«

»Die Freundin. Die neue Freundin, Juan. Es sei denn – sie ist die Böse.«

Mit der Bestimmtheit eines scheinbar gnadenlos Betrunkenen erhebe ich vehement Einspruch. Was Camilleri mit einem lauten Lachen quittiert, in das ich glücklich einstimme. Ich schlage vor, aufzubrechen, aber er findet, wir sollten warten, bis wir wieder ein bisschen klarer im Kopf sind, und schwankt dann unter Hinweis auf seine Prostata aus der Höhle. Ich tue es ihm gleich, und einen Augenblick später pinkeln wir wie zwei kleine Jungs kichernd einen am Rand des Plateaus wachsenden Strauch an.

»Es gibt noch eine Lösung, die vielleicht besser funktioniert«, sagt er, während wir auf unseren Stein in der Höhle zurückkehren. »Die FIRMA. Nummer Drei weiß fast nichts von der FIRMA, zumindest behauptet er das. Aber er hat eine steile Karriere hingelegt. Wie wär’s, wenn das Ganze ein Test wäre, so eine Art unangekündigte Bewährungsprobe, weil sie ihn auf seine Zuverlässigkeit hin erproben wollen, sehen wollen, ob er es verdient, befördert zu werden?«

Als wir eine halbe Stunde später zum Campingplatz zurückkehren, komme ich zu dem Schluss, dass an Camilleris letzter Hypothese durchaus was dran sein könnte. Nummer Zwei ist zu so etwas fähig. Und noch zu viel mehr.

Aber ich will nicht weiter aufsteigen.

Und ich will auch nicht mehr so weitermachen wie bisher.

Für das Ende meines Romans wünsche ich mir ein Leben ohne Lügen. Und dass ich weiß, ob ich nun Juanito oder Nummer Drei bin. Ich will wissen, leben, lieben – auch wenn es weh tut oder ich beim Versuch, diese drei Verben zu konjugieren, draufgehe.


Es dürfte drei Uhr morgens sein. Auf dem Campingplatz schlafen alle. Ich habe Camilleri zu seinem Bungalow begleitet und drehe noch eine Runde.

Die Bucht ist ohne Yolanda ganz anders, auch wenn sich halb hinter den Felsen verborgen ein Pärchen liebt.

Ich habe nicht vor, herauszufinden, wer sie sind. Das ist mir gerade völlig egal.

Ich gehe ans andere Ende des Strands, ziehe mich aus und laufe ins Meer, das mich äußerlich von allem Schmutz und Schweiß befreit, mir aber auch enthüllt, wie schmutzig ich mich in meinem Innern fühle. Allmählich werde ich wieder nüchtern, aber die Leere in meiner Brust bleibt.

Yolanda. Nur sie kann sie vollkommen ausfüllen, Pore für Pore. Ich widme ihr drei spontan verfasste Gedichte, die ich ihr sicher nie vortragen werde, zwei davon sind ziemlich erotisch, aber trotzdem voller Zärtlichkeit. Bin ich gerade dabei, mich unsterblich zu verlieben, oder hat mein Schutzpanzer nur einen Riss bekommen? Die frühere Nummer Drei hatte recht mit seiner Grenze. Auch wenn er mindestens dreimal so viele Tote wie ich auf dem Konto hatte und erst gegen Ende eine gewisse Verbitterung durch seinen Zynismus durchzuhören war.

Yolanda. Sie ergreift Besitz von mir, schmuggelt sich in meinen Mund, als ich ihren Namen flüstere, vielleicht ja auch laut herausschreie, füllt die Leere in meiner Brust aus, dringt immer tiefer, bis in meinem Geschlecht die Wollust erwacht, die sicher die ganze Nacht nicht nachlassen wird. Jetzt ist es mir nicht mehr unangenehm oder peinlich, es ist ein Zeichen der Ehrerbietung, so wie sie es auch bezeichnen würde, und mit dem Rest Whisky in der Flasche stoßen wir, mein Schwanz und ich, ausgestreckt am Strand auf Yolandas Rückkehr an, mit all den Fragen und Zweifeln, die das mit sich bringt.


Nicht einmal das kalte Meerwasser, das den Sand fortspült, mit dem mein Körper paniert war, hat meine Begierde zu zügeln vermocht. Während ich nackt zu meinem Zelt gehe, trage ich sie wie eine brennende Kerze vor mir her, würdige so den ersten Geburtstag eines Bewusstseins, das irgendwo in mir geschlummert hat. Nicht dass schon ein Jahr vergangen wäre – die Zeit verliert nur einfach ihre Bedeutung, wenn man endlich wieder etwas fühlt, und ich muss feiern, dass hier und jetzt alles vorbei ist.

Zum Teufel mit der Nummer Zwei.

Zum Teufel mit der FIRMA.

Ich steige aus.

Sie werden mich nicht daran hindern. Gleich am Anfang wollte ich von der alten Nummer Drei nämlich wissen, ob die FIRMA das mit dem Ruhestand so handhabt, wie ich es in den Filmen gesehen hatte, in denen man in einer Holzkiste rausgetragen wird. Die Frage hatte ich nur aus reiner Neugier gestellt, denn die Zukunft interessierte mich damals nicht, ich dachte nicht nach.

»Natürlich nicht, mein Junge«, hatte er geantwortet und schallend gelacht. »Wenn ich die Schnauze voll habe, höre ich auf, und basta. So einfach ist das.«

Wenn ich es mir recht überlege, hat die frühere Nummer Drei den Job allerdings nicht einfach so an den Nagel gehängt.

Ich habe ihn umgebracht.

Auf Befehl der FIRMA.

Aber das hat bestimmt einen anderen Grund gehabt, wenn ich auch nicht weiß, welchen.

Es muss wegen etwas anderem gewesen sein.

Wegen etwas völlig anderem.

Bitte, es muss einfach einen anderen Grund gehabt haben.

Schließlich war er sich immer so sicher gewesen.

»Sie werden es nicht wagen, mich fertigzumachen, mein Junge. Und dich auch nicht«, erklärte er immer, wenn das Thema zur Sprache kam. Man konnte ihn für ein Großmaul halten, aber das war er nicht: Er wusste, dass die FIRMA so was nicht tat; ich habe ihn mehr als einmal danach gefragt. Oder er begann selbst davon und gab mir zum Schluss immer denselben Rat:

»Benutz zuerst deinen Kopf, dann die Fäuste, und erst wenn alles nichts nützt, deine Eier.«

Und genau so werde ich es machen. Wer auch immer hinter dem Ganzen steckt, wer glaubt, mich verwirren zu können, wer denkt, er hätte mich in der Hand, der wird mich noch kennenlernen!


Bei meinem Zelt rauche ich noch eine letzte Zigarette vor dem Schlafengehen. Yolanda ist überall, an meinem Geschlecht, in der Luft … Ich überlege, ob ich mir selbst einen runterholen soll, verwerfe den Gedanken jedoch gleich wieder, weil es mir wie ein Verrat an Yolanda vorkäme. Dieses Feuer in meinen Lenden gehört ihr, und ich muss es für sie bewahren, bis sie wieder da ist. Alles andere kann warten, die Erinnerung an sie nicht. Und Camilleri kann sagen, was er will: Das, was mir von ihr noch an den Fingerspitzen klebt, lässt sich mit Worten nicht noch schöner machen. Das Glück, in Aquarellfarben gemalt und mit unserem Stöhnen getrocknet, all das ist so neu und gleichzeitig so alt, dass ich wie ein zum ersten Mal verliebter Teenager selig schlafen werde, den steifen Schwanz anklagend gen Himmel gerichtet, weil der es mir verwehrt, sie hier und jetzt zu besitzen.

Doch was ist das? Als ich ins Zelt krieche, empfangen mich die Hände und die Zunge einer nackten Frau. Bin ich noch betrunkener, als ich dachte? Oder schenkt mir meine Fantasie einen Ersatz für die, die ich mir so sehr herbeisehne? Während ihr Mund mein Geschlecht umfängt, lobpreise ich meinen Rausch oder den sich so wundersam erfüllenden Wunschtraum, dem ich mich wohlig überlasse.

Aber es ist nicht Yolanda. Wir haben nur eine Nacht und eine Siesta miteinander verbracht, und dennoch weiß ich, dass sie es nicht ist, all meine Zweifel vom Nachmittag vor Svens Hütte verflüchtigen sich. Nur: wer ist es dann? Ich will mich aufrichten, doch sie bemerkt es und wird noch schneller.

Meine Augen haben sich inzwischen jedoch an die Dunkelheit gewöhnt, sodass ich sie endlich erkenne.

»Leticia«, murmele ich, »hör auf.«

Aber sie hört nicht auf.

»Leticia«, flehe ich noch einmal, denn ich bin kurz davor, ihrer Laune nachzugeben, die Wollust ist blind und Zärtlichkeiten sind es ebenfalls. »Ich liebe dich nicht mehr. Es tut mir leid, aber so ist es nun mal. Du kannst mir einen blasen, bis ich komme – aber dadurch wird sich nichts ändern.«

Da hält sie inne. Das heißt, eigentlich verlangsamt sie nur das Tempo, so, als überlege sie – und macht dann noch wilder weiter.

»Leticia«, keuche ich, »es ist vorbei … Du willst … dir nur etwas beweisen … Aber ich bin der Falsche … Schenk den Blowjob Gaspar … Er liebt dich wirklich!«

Endlich hört sie auf. Langsam gibt sie meinen Schwanz frei und sieht mich dabei unentwegt an. Sie ist mir so nah, dass ein Zögern meinerseits genügen würde, damit sie weitermacht. Ich zögere jedoch nicht, sondern rücke von ihr ab, wenn auch ohne Eile. Da lässt sie den Kopf auf meine Beine sinken und beginnt leise zu weinen. Ich streichele ihr sanft übers Haar.

»Bist du dir sicher?«, fragt sie, als sie sich etwas gefangen hat.

»Ja. Und du?«

»Ich … ich weiß nicht. In den letzten Tagen warst du wieder so wie damals, als wir …«

»… noch anders waren, Leticia. Wir haben uns aber verändert.«

Das macht sie wieder etwas selbstsicherer. Sie richtet sich auf und ordnet sich noch schnell das Haar, bevor sie den Reißverschluss aufzieht.

»Ich hoffe, diesmal hast du den Mut, glücklich zu sein, Juan«, sagt sie noch, und dann ist sie verschwunden.

Das hoffe ich auch.

Auf dumme Weise stolz und berauscht von der Sehnsucht nach einer Frau, die einen anderen Namen trägt als den meiner Ex, will ich dann nur noch schlafen. Ich schaffe es gerade noch, den Reißverschluss hochzuziehen, und schon fallen mir die Augen zu.


Jetzt ist es wirklich ein Traum. Und Yolanda ist da. Ihre Finger berühren meine Haut. Sie streichelt mich. Leckt mich. Ich versuche es ihr gleichzutun, doch bin ich irgendwie viel zu müde, und die Yolanda meines Traums hält mich auch sanft davon ab. Sie hat die Führung übernommen, und mehr als ich sie sehe, spüre ich sie, ihren Mund an meinem Geschlecht, es ist eine andere Hitze als vorhin, die mein Blut in Wallung bringt und mich schweben lässt, schwerelos wie im warmen Wasser des Toten Meeres, es ist, als wolle sie sie Millimeter für Millimeter erkunden, sich ihrer bemächtigen und ihre Temperatur allein nach ihrem Belieben ansteigen lassen. Die Yolanda meines Traums macht weiter, immer weiter, gönnt sich keine Pause, doch in ihrer Entschlossenheit liegt etwas anderes als Leticias verzweifelter, gekränkter Stolz, da sind Leidenschaft und Gier, sie dürstet nach mir, sodass ich ihr vor Lust zuckend zu trinken gebe, gesegnet seien die Träume, die sämtliche Mauern niederreißen, gesegnet der Mund, der trinkt und trinkt, während ich allmählich wieder ruhiger werde und vom lichten Traum ihrer Lippen in jenen anderen Traum hinübergleite, das süße Nichts, aus dessen Tiefen ich nur noch höre, wie die Yolanda meines Traums meinen Namen flüstert.


Irgendwann im Morgengrauen schrecke ich aus meinen Träumen hoch. Yolanda schläft nackt neben mir, wirklicher als alles, was ich bisher erlebt habe.

Und doch kommt es mir immer noch wie ein Traum vor.