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Der Aufzug ist hochmodern, so wie das ganze Gebäude. Die präzise geschliffenen Spiegel rundherum zeigen unzählige Klone von uns vieren. Als der Geschäftsmann im dunkelblauen Maßanzug und ich vorhin in der vierzehnten Etage eingestiegen sind, ist es mir wie ein gnadenloser Jahrmarktstrick erschienen, dass uns statt verzerrter Gestalten getreue Abbilder unserer selbst umringen. Und das ist schwer zu ertragen.
In der zwölften Etage hat der Lift dann gestoppt, und es sind diese Frau und ihre verkleinerte Kopie hereingekommen; die eine so überheblich wie die andere, nur eben in unterschiedlich großer Ausführung. Auf dem Weg nach unten belehrt die Supermami – denn sie ist garantiert keine mittelmäßige Mutter – das Töchterchen nun darüber, was es darf und was nicht, wenn sie Papa das nächste Mal auf der Chefetage besuchen. Das Wort »Chefetage« zieht sie dabei genüsslich in die Länge. Beim Betreten des Lifts hat sie mich nämlich mit Kennerblick gemustert und ist wohl zu dem Schluss gekommen, dass ich ein Untergebener ihres werten Herrn Gemahls sein muss: Der Mann um die vierzig mit dem altmodischen Schnäuzer und dem akkurat gescheitelten, glattgekämmten Haar, das womöglich erste kahle Stellen verbirgt, hat den Kopf eingezogen und macht einen krummen Buckel, so, als rechne er jeden Moment mit einem weiteren Schlag ins Genick oder erhole sich noch vom letzten.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich mache keine klägliche Figur. Ich hebe mich nur in nichts vom Durchschnitt der Bevölkerung ab. Dabei könnte ich durchaus attraktiv sein, wenn ich mich bloß etwas temperamentvoller präsentieren würde, wie ein Mann voller Ambitionen, dem das Glück hold ist. Stattdessen stiere ich zu Boden wie ein Mondkalb, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann.
Mein grauer Anzug ist noch nicht sonderlich abgenutzt – schließlich habe ich ihn erst ein Dutzend Mal angehabt –, doch wirkt er wie ich, irgendwie vorzeitig zerknautscht. Aufgeschreckt, weil das Töchterchen etwas in Papas Büro vergessen hat, bedenkt Supermami mich deshalb mit einem Blick, der mir zu verstehen geben soll, dass die Arbeit eines kleinen Angestellten längst nicht so ermüdend ist wie das, was eine so tolle Mutter wie sie alles leisten muss. Zwar kann ich nicht verstehen, was sie dem Geschäftsmann im dunkelblauen Einreiher zuflüstert, er schüttelt aber sofort zuvorkommend den Kopf und stoppt den Fahrstuhl mit einer kaum merklichen, gebieterischen Bewegung seines Zeigefingers. Nach einem weiteren Knopfdruck fahren wir wieder nach oben.
Er hat mich nicht um mein Einverständnis gebeten.
Wozu auch.
Ein Mann wie er bittet nie um etwas, er hat das nicht nötig, seine goldenen Ringe, die schwere Armbanduhr und die Schlüssel eines Mercedes in seiner rechten Hand rechtfertigen jeden Alleingang.
In der zwölften Etage steigen Supermami und Töchterchen wieder aus, nachdem sie dem Gentleman gedankt, mich hingegen völlig ignoriert haben.
Dann geht es erneut abwärts. Der Geschäftsmann zieht jetzt eine Zigarre aus der Tasche und zündet sie an. Auch dieses Mal fragt er mich nicht um Erlaubnis. Wozu auch. Er begnügt sich damit, mir in einem der Spiegel vertraulich zuzuzwinkern – jetzt sind wir ja unter Männern, soll das wohl heißen –, rückt seine goldenen Manschettenknöpfe zurecht und inhaliert dann genießerisch den Rauch.
Ich tue es ihm gleich und starre zudem bewundernd auf sein – natürlich goldenes – Feuerzeug, das er aus genau diesem Grund mit einstudierter Lässigkeit auf- und zuklappt. Mein Spiegelbild deutet mit dem Kinn darauf. Diese schüchterne, respektvolle Bitte gefällt ihm: Jovial nickt er mir zu, und noch während ich in meine Tasche greife, lässt er das goldene Ding vor mir aufflammen. Versonnen blickt er dabei auf seine Havanna; wahrscheinlich schließt er gerade mit sich selbst eine Wette ab, was für Zigaretten ich wohl aus der Tasche ziehen werde, so wie er womöglich auch im Spielkasino mit sich selbst wettet, wenn er die Jetons auf den Spieltisch regnen lässt. Sicher tippt er bei mir auf die billigste amerikanische Marke und wappnet sich insgeheim, damit sich in seiner Miene gleich kein Mitleid spiegelt. Möglicherweise erwägt er sogar, mir gönnerhaft eine seiner Havannas anzubieten. Ihm ist anzusehen, dass er mit sich, seinen Geschäften und der Welt zufrieden ist, die für ihn und seinesgleichen, der zwangsläufig kleinen, dafür aber umso reicheren Oberschicht, funktioniert, wie sie soll. Deshalb guckt er auch ziemlich dumm aus der – garantiert teuren – Wäsche, als die Welt auf einmal doch nicht mehr so funktioniert, wie sie soll, und ich anstelle einer Zigarettenschachtel eine kleine schwarze Pistole mit einem phallischen Schalldämpfer aus der Sakkotasche ziehe, ziele und abdrücke.
Zwei Mal.
Wie vom Donner gerührt steht er da und starrt in den Spiegel vor sich, scheint mehr auf sein Erscheinungsbild zu achten als auf die roten Zwillingslöcher in seiner Stirn – bis er eine Sekunde später tot zusammensackt.
In der dritten Etage stoppe ich den Aufzug. Das Stockwerk ist verwaist, denn die Büros werden zurzeit renoviert, und die Handwerker machen gerade Mittagspause. Genau wie es mir mein Chef vorhergesagt hat. Innerlich danke ich dem Toten für seine festen Gewohnheiten und Supermamis Töchterchen für seine Vergesslichkeit, weswegen ich jetzt nicht Plan B verfolgen muss. Ihm spätnachts auf dem Nachhauseweg vor seinem Club aufzulauern wäre nicht nur ein Vabanquespiel gewesen, es hätte mich zudem auch mehr Zeit gekostet. Zeit, die ich nicht habe.
Mit dem teuer beschuhten Fuß der Leiche blockiere ich die Fahrstuhltür; wenn sie dagegenprallt, scheint er in der Luft zu tanzen.
Danach nehme ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Meinen Instruktionen zufolge ist zwischenzeitlich Schichtwechsel gewesen, sodass am Empfang nun ein anderer Mann arbeitet als der, der mich hat hinaufgehen sehen.
Ich bin jetzt aber auch ein anderer. Das graue Jackett trage ich leger über der Schulter, mein Haar ist zerzaust, und der altmodische Schnauzer leistet in meiner Hosentasche der Pistole Gesellschaft: Ich wirke nun wie ein junger, vielversprechender Manager, einer dieser Informatikcracks, die in den New-Economy-Firmen der obersten Stockwerke das Sagen haben. Mit einem herablassenden Wink grüße ich im Vorbeigehen und trete dann durch die Drehtür hinaus auf die Avenida Castellana.
Draußen brennt die Sonne erbarmungslos vom Himmel herab. Während ich meine topmodische Sonnenbrille aufsetze, kommt mir die Supermami wieder in den Sinn. Durch ihr Auftauchen im Lift hätte ich beinahe Überstunden machen müssen. Aber die Frau hatte recht mit ihrem abfälligen Blick. Mein Job verdient wirklich nicht sonderlich viel Anerkennung.
Auftragskiller zu sein ist leicht.
Verdammt schwer hingegen ist es, ein guter Vater zu sein.