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»Nicht den Tod sollte man fürchten, mein Junge, sondern dass man sich lächerlich macht«, erklärte die frühere Nummer Drei mir immer, wenn er sich nach einem erfolgreich ausgeführten Auftrag entspannte und einen über den Durst trank. »Nehmen wir als Beispiel einen erfolgreichen Unternehmer: einen Typen, der von Jugend an ackert, um auf Teufel komm raus nach ganz oben zu kommen, und sein Kapital immer wieder reinvestiert, anstatt sich zufriedenzugeben mit dem, was er hat, und es zu genießen. Weißt du, worauf ich hinauswill?«

»Nicht ganz«, antwortete ich immer, denn er liebte es, sich stundenlang über dieses Thema auszubreiten.

»Das ist völlig normal, du bist ja auch noch ein Grünschnabel, obwohl du schon verdammt gut bist in unserem Geschäft. Also weiter im Text: Die Firma des Typen expandiert und expandiert. Je größer sie wird, desto mehr muss er es natürlich auch zur Schau stellen und Wind darum machen. So weit verstanden?«

»So in etwa«, flunkerte ich wieder, denn ich wusste natürlich genau, was jetzt kommen würde.

»Und nun die Preisfrage: Wie beweist so einer, dass er sich durchgesetzt hat und ganz oben angekommen ist?«

»Indem er sich tolle Autos kauft, Villen, ein Privatflugzeug?«

»Das sind doch alles nur Kinkerlitzchen, mein Junge. Nein, Frauen! Die richtigen Frauen belegen, dass er zu den Siegertypen gehört. Hast du schon mal einen hochdotierten Fußballspieler gesehen, der mit einem Mauerblümchen verheiratet ist? Topkicker heiraten immer Models. Und wenn einer zufällig schon unter der Haube war, bevor er erfolgreich wurde, heißt es direkt nach seinem Wechsel zu einem namhaften Verein: tschüss Aschenbrödel und hallo Klassefrau. Nun, in unserer Branche haben wir es normalerweise nicht mit Fußballstars, sondern mit Unternehmern, Ärzten, Waffenschiebern oder was auch immer zu tun. Bei denen ist es aber genau das Gleiche. Der Karrierist aus unserem Beispiel sammelt nämlich keine Gemälde oder Villen, sondern junge, rassige Weiber, die ihm allesamt die kalte Schulter zeigen würden, wenn er keinen Cent hätte. Was er genau weiß. Und alle anderen wissen das auch. Diese Schönheiten dokumentieren folglich seinen erreichten Status. Verstehst du jetzt?«

»Und was ist daran lächerlich?«

»Eins nach dem anderen, mein Junge. Also, auf seinem Weg nach ganz oben kann der Typ natürlich einen Herzinfarkt erleiden, für irgendeine seiner Transaktionen in den Knast wandern oder jemandem dermaßen auf den Geist gehen, dass er von einem von uns ›Besuch‹ bekommt. Aber dieses Risiko hat er wie so viele andere einkalkuliert. Was unser Mann jedoch nicht bedacht hat, ist, dass er sich vielleicht eines Tages in eine von diesen Sahneschnitten verliebt. Und genau das macht ihn schließlich zum Gespött der Leute. Denn die Frau, die vorher noch ein Statussymbol war, ist nun sein wunder Punkt, sodass er auf einmal nicht länger Respekt und Angst einflößt und dieselben, die bis dahin seine Sammlung toller Bräute bewundert haben, sich jetzt hinter seinem Rücken über ihn kaputtlachen. Und was lernen wir daraus?«

Ich blieb stumm, denn wie ich wusste, war seine Lehrstunde gleich zu Ende, und ich wollte ihm nicht vorgreifen.

»Wir lernen daraus, dass die Liebe beschissen ist«, schloss die frühere Nummer Drei, und für gewöhnlich kippte sein Kopf dann vornüber auf den Tresen, und er begann zu schnarchen.

Ich ertrug seine pseudophilosophischen Ergüsse, weil er sie nur mir gegenüber an den Tag legte, der Vorschuss auf ein Geheimnis, das er mir irgendwann enthüllen würde. Einzig und allein mir gegenüber gestand sich die frühere Nummer Drei diese Schwäche zu, genauso wie er mir Ratschläge zu meiner Ehe erteilte oder mir aus seinen Urlauben in fernen Sextourismus-Paradiesen unheimliche Masken, knallbunte Teppiche oder grob geschnitzte Holzfiguren mitbrachte.

»An solchen Orten können sie sich die hässlichste Kunst leisten, weil ihre Frauen wahnsinnig sexy sind«, erklärte er selbstgefällig, wenn er mir etwa dreimal im Jahr eines dieser grauenhaften Souvenirs überreichte.

Leticia verabscheute die schrecklichen Geschenke meines »Slipeinlagen-Kollegen«. Die Sammlung wurde deshalb in den Raum des Hauses verbannt, den sie spöttisch mein »Büro« nannte. Als ich nach der Trennung dann in mein jetziges Apartment zog, packte ich alle in Kartons, und dort blieben sie. Die alte Nummer Drei, die mich öfter besuchte, obwohl das eigentlich gegen die Regeln verstieß, fragte nie nach, brachte mir von seinen Reisen jedoch weiterhin hässliche Andenken mit. Und was tat ich? Ich bedankte mich, legte sie in einen Karton und vergaß sie. Sein letztes Geschenk stammte aus Afrika und war ein anderthalb Meter großer, grimmig blickender Götze aus weichem, schwarzem Holz. Mit überdimensionalen Geschlechtsteilen.

»So gut sind die Schwarzen dort bestückt, mein Junge«, erklärte er, als ich sein Mitbringsel auspackte. »Aber die schwarzen Frauen lieben nun mal weiße Haut und die Tricks von alten Hasen wie ich. Zumindest können sie sich erstklassig verstellen.«

Als ich den Befehl bekam, ihn zu töten, packte ich die Sammlung aus und verteilte sie in der ganzen Wohnung. Der Götze bekam einen Ehrenplatz. Mit seinem grob geschnitzten Schädel und den riesigen Fäusten war er der Inbegriff der Brutalität, doch flößte er mir gleichzeitig großes Vertrauen ein, ich begriff nur nicht, warum, und betrachtete ihn eine ganze Weile lang – bis mir aufging, dass er mich an Nummer Drei erinnerte.

Am selben Abend besuchte er mich. Als er die düstere Ausstellung in meinem Wohnzimmer sah, sagte er kein Wort. In seiner Miene spiegelte sich Traurigkeit, wenn auch kaum merklich. Er blieb vor dem Götzen stehen.

»Er ist potthässlich, nicht wahr? Aber ich finde ihn lustig, weil er mir ähnlich sieht. Jedes Mal, wenn du ihn anschaust, wirst du an mich denken. Danke, mein Junge«, sagte er gerührt.

Eine Woche später brachte ich ihn um.


Gut möglich, dass die Liebe beschissen ist und einen mehr als jedes andere Gefühl der Lächerlichkeit preisgibt. Aber sie ist trotzdem wunderbar. Nicht einmal all das, was Yolanda verdächtig macht, kann mein Glück trüben. Für jeden Zweifel gibt es zehn denkbare Erklärungen, und das Einzige, das ich mit der Grübelei für mich herausholen kann, ist eine Denkpause und ein Argument, das einer genaueren Prüfung sicher nicht standhält: Sollte sie tatsächlich in die Sache verwickelt sein, ist es besser, in ihrer Nähe zu bleiben. In greifbarer Nähe, wohlgemerkt.

Das Restaurant ist fast leer, was mich nicht weiter wundert, denn es ist schon nach vier. Auf dem Weg zu unseren Zelten sehe ich, dass Leticias Nachbarn vom Joggen zurück sind und sich nun nackt in der Sonne aalen. Ich glaube nicht, dass sie Beltráns Bodyguards sind: Ihre Figur und die schlaffen Muskeln deuten eher auf irgendeinen Bürojob hin. Sogar zu Zeiten meiner Ehe, als ich mich am meisten verstellen musste, war mein Körper gelenkiger und straffer gewesen, weil ich Leticia gegenüber vorgab, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. So wie Yolanda das sicher auch tut, schießt mir durch den Kopf, doch zum Glück hilft mir meine Ausbildung, den unseligen Gedanken wie einen schlecht geworfenen Ball zu fangen, ihn ins gegnerische Feld zurückzuschleudern und mich in meine noch frischen Erinnerungen an ihren Körper, ihre Hitze, ihren Orgasmus zu flüchten.

Ich bin froh, noch angezogen zu sein, denn mein Körper reagiert augenblicklich, sodass ich mich wie die ehemalige Nummer Drei ein bisschen lächerlich fühle.

Absolut lächerlich ist es sicher auch, dass ich auf meinem Handy zum x-ten Mal die fragliche Nummer wähle. Vergeblich. Ich bezweifle, dass man in einer FIRMA wie meiner im Sommer weniger arbeitet. Also werde ich es später noch einmal versuchen.

Begleitet von der nackten Leticia, auf deren Haut man noch den Abdruck der Luftmatratze sehen kann, kommt Beltrán gerade von seinem Auto zurück. Er ist inzwischen angezogen und zur Abfahrt bereit. Verlegen murmele ich noch einmal eine Entschuldigung, die der Richter im Gegensatz zu meiner Ex ohne Groll annimmt. Er reicht mir zum Abschied die Hand.

»Wenn ich wiederkomme, seid ihr hoffentlich noch da.«

»Ja, wir bleiben schon noch ein paar Tage, denke ich.«

Da sticht mich etwas in die Seite. Es ist allerdings keine Biene, sondern Leticias stechender Blick.

»Die Kinder halten Siesta«, zischt sie. »Zumindest dafür solltest du regelmäßig sorgen, Juanito.«

Schuldbewusst stecke ich den Kopf ins Zelt meiner Kinder. Leti schläft tief und fest. Antoñito hingegen versteckt schnell sein Nintendo unter der Luftmatratze und wirft mir einen flehenden Blick zu. Ich zwinkere ihm verständnisvoll zu, und er zwinkert dankbar zurück, wobei er immer noch beide Augen zukneift. So wie früher, als er noch klein war.

»Sie schlummern selig«, erkläre ich Leticia, nachdem ich den Reißverschluss wieder hochgezogen habe.

Beltrán ist inzwischen in seinen Wagen gestiegen und winkt uns noch einmal zu, bevor er Gas gibt. Er fährt allein. Seine Bodyguards warten wohl schon draußen auf ihn; vielleicht übernehmen aber auch andere ihren Job, damit sie auf dem Campingplatz Leticia und die Kinder beschützen können.

Das beruhigt mich. Eine Front weniger, um die ich mich kümmern muss.

Obwohl ein Killer wie ich sie natürlich trotzdem mit Leichtigkeit umbringen könnte.

Und Nummer Dreizehn ebenso.

»Ich kenne ja jede Menge deiner Fehler, Juanito, aber dass du ein Spanner bist, ist mir neu.«

Leticia, die neben mir ihrem Lover nachgesehen hat, wirkt mehr amüsiert als verärgert.

»Tut mir leid, es war wirklich keine Absicht, das musst du mir glauben. Hat Gaspar sich sehr aufgeregt?«

»Nein. Aber er ist ja auch ein Schatz. Es war ihm nur ein bisschen peinlich«, erwidert sie und leckt sich lasziv mit der Zungenspitze über die Lippen. »Aber ich habe dafür gesorgt, dass er dich sofort wieder vergessen hat.«

»Ich freue mich ehrlich, dass du mit ihm zusammen bist, Leticia. Du weißt ja, ich habe ihn seit jeher bewundert. Und er scheint tatsächlich ein toller Kerl zu sein.«

»Nach der Szene vorhin bewunderst du ihn womöglich noch mehr«, sagt sie, begreift jedoch augenblicklich, dass sie jetzt zu weit gegangen ist. »Entschuldige, Juanito. Manchmal bin ich wirklich unmöglich.«

»Nur manchmal … Die übrige Zeit bist du einkaufen«, sage ich, drehe mich um und gehe pfeifend davon in Richtung Pool.

Normalerweise bin ich nicht schadenfroh, aber dieses Mal erleichtert es mich, dass noch jemand bloßgestellt wird. Jemand anderes als ich.


Die frühere Nummer Drei konnte Nummer Dreizehn ebenso wenig ausstehen wie ich, weshalb er stets versuchte, ihn aus seinem Team rauszuhalten. Wenn er sehen könnte, was für eine Show er gerade am Pool abzieht und wie er sich reihenweise an die Frauen ranmacht, als wäre seine animalische Nacktheit attraktiv, hätte er ihn auf der Stelle nach Madrid zurückbeordert.

»Wir alle haben einen Mörder in uns, Junge«, pflegte er zu sagen, wenn ich mich wieder einmal über Nummer Dreizehn beklagte. »Man muss nur herausfinden, welcher Typ Mörder man ist. Da gibt es zum einen die Künstler, so wie du einer werden könntest und ich einer wäre, wenn ich Bock darauf hätte, und zum anderen solch gierige Bluthunde wie Nummer Dreizehn. Letztere sind für die FIRMA nützlicher Ballast. Warum, glaubst du, wird er in größeren Missionen eingesetzt, vor allem bei den ganz heiklen? Weil er, wenn etwas schiefgeht, der ideale Sündenbock ist. Er ist der Prototyp eines Schlägers, der jemandem für ein paar Kröten den Arm bricht und für ein paar Scheine mehr um die Ecke bringt. Außerdem macht er seine Sache gut. Allerdings glaubt er, es käme nur drauf an, genügend Mumm in den Eiern zu haben. Wenn er sich da mal nicht täuscht. In unserem Job braucht man nämlich vornehmlich seinen Kopf, dann die Fäuste, und erst wenn alles nichts mehr nützt, den Schneid. Anders geht es nicht.«

»Ich weiß nicht …«

»Was ist los, Junge, hast du Angst, irgendwann so zu werden wie er?«

»Angst nicht. Aber manchmal glaube ich doch, dass ein Job wie unserer einen unweigerlich verändert …«

Da legte mir die damalige Nummer Drei seine Pranke auf die Schulter und sah mich ernst an.

»Jetzt hör mir mal gut zu, mein Junge, denn das ist die wichtigste Lektion überhaupt: Mutter Natur ist zwar weise, aber zaubern kann sie nicht. Eine Raupe kann sich in einen Schmetterling verwandeln, doch ein Arschloch bleibt immer ein Arschloch.«

Ich hätte ihn damals gern gefragt, ob er damit Nummer Dreizehn meinte oder uns beide. Ich habe es nicht getan. Aber eines weiß ich, auch ohne ihn zu fragen, genau: Dass er sich nicht gern von Nummer Dreizehn hätte umbringen lassen. Denn Nummer Dreizehn hätte bei diesem Auftrag Lust verspürt. Große Lust.

Heiße Wut steigt in mir auf, während ich zusehe, wie er sich oben auf dem Sprungbrett in Szene setzt. Er würde, ohne zu zögern, meine Frau und meine Kinder umbringen, wahrscheinlich sogar umsonst. Seinen kaum verhohlenen Hass auf die frühere Nummer Drei hat er nämlich auf dessen Nachfolger übertragen. Das wissen wir beide. Plötzlich durchfährt mich ein Schreck, als mir klar wird, dass Beltrán fort ist, Nummer Dreizehn aber noch immer auf dem Campingplatz.

Weil die Operation wirklich verschoben wurde und er auf weitere Anweisungen wartet?

Oder weil die Zielscheibe gar nicht der Richter ist, sondern ich?

Zum Glück weiß er nichts von mir und Yolanda. Ich werde Vorkehrungen treffen müssen, damit das auch so bleibt.

»Ganz schön scharf, deine Braut«, sagt Nummer Dreizehn, als er neben mir aus dem Wasser steigt. »Weißt du, hier, wo alle nackt rumlaufen, macht mich so eine Klassefrau in Kleidern nur noch mehr an …«

Er springt wieder ins Wasser, ehe ich etwas erwidern, ihm drohen oder ihn gar fragen kann, was zum Teufel er hier treibt.

Und das ist auch besser so, denn ich darf keine Schwäche zeigen.

Yolanda ist mein schwacher Punkt.

Genau wie die Kinder.

Und meine Ex.

Und Tony.

Tony! Herrje, mein alter Freund wartet schon seit Stunden auf mich. Ich muss sofort zur Bucht.

Aber vorher klettere ich noch aufs Sprungbrett. Oben hole ich tief Luft – und springe mit einem Köpfer ins Wasser.

Denn auf einmal fühle ich mich ganz leicht.

Ich habe eine Entscheidung getroffen.

Wenn ich in vierundzwanzig Stunden nicht weiß, was hier gespielt wird, werde ich Nummer Dreizehn töten. Und zwar ganz umsonst.