15

Ich hab’s mir überlegt«, meinte Daniel Reed, als Ethan seine Flasche Bier leer getrunken hatte. »Wenn es sein muss, werde ich mit dir um sie kämpfen.«

»Wovon redest du?«, fragte Ethan, der die Band am anderen Ende des Schulturnsaales übertönen musste.

»Von Anna. Ihr Knights habt kein Monopol auf die Schönheiten dieser Gegend«, bemerkte Daniel und sah Ethan an, ehe er wieder durch den Saal schaute. »Ich werde sie um eine Verabredung bitten.«

»Anna wollte nur nett sein, als sie dich zum Dinner eingeladen hat. Sie wird sich nicht mit dir verabreden.«

Daniel sah wieder Ethan an. »Warum nicht?«

»Weil sie Waffen hasst«, antwortete Ethan mit ernster Miene. »Und du trägst eine als Arbeitsgerät.«

»Dann lasse ich meinen Job sausen.« Er trank einen großen Schluck Bier, stellte die Flasche zurück auf den Tisch und strich seine Hemdbrust glatt, während er wieder durch den Raum blickte. »Für sie würde ich zu atmen aufhören.«

Ethan, der sich umdrehte, um zu sehen, was seinem Freund so plötzlich Beine machte, sprang mit einem Ruck auf. Offenbar war er nicht der einzige der anwesenden Männer, dem die Luft wegblieb; alle Gespräche verstummten, Köpfe drehten sich, Münder blieben offen.

»Das also ist der Lausejunge, mit dem du den ganzen Winter über zusammengearbeitet hast?«, zischte eine Frau am Nebentisch, die ihrer Bemerkung einen lauten Schlag auf den Arm ihres Mannes folgen ließ. »Die da ist kein Lausejunge.«

Ethan wusste nicht, ob er durch den Turnsaal laufen und Anna wieder in ihren Mantel hüllen oder ob er laut lachen sollte. Die kleine Hexe zeigte so viel Bein, dass eine Giraffe neidisch werden konnte. Für die meisten Männer schien allein die Erkenntnis, dass Anna tatsächlich Beine hatte, ein Schock zu sein. Ihre wilden Locken hatte sie auf dem Kopf aufgetürmt, sodass ihr langer verführerischer Nacken und die hübschen kleinen Ohren zu sehen waren – an denen Stecker glitzerten. Schmuck? Beine? Ein Kleid?

Was zum Teufel hatte sie vor?

Daniel trank noch einen Schluck Bier, räusperte sich und strich wieder sein Hemd glatt. Doch als er zu ihr ging, hatte er es nicht eilig – vermutlich aus Angst davor, kein Wort herauszubringen.

»Du wirst Schlange stehen müssen«, sagte Ethan gedehnt, als er sah, dass Frank Coots ebenfalls auf Anna zusteuerte. »Hoffentlich hat sie eine Tanzkarte dabei. Sie wird eine brauchen.«

»Verdammt«, knurrte Daniel, setzte sich wieder und griff nach seinem Bier, nur um festzustellen, dass die Flasche leer war.

Ethan zog zwei weitere Flaschen aus dem Kühler, den er mitgebracht hatte, rückte seinen Stuhl zurecht, um die Show sehen zu können, und setzte sich. »Keine Angst«, beruhigte er Daniel und schob ihm ein Bier hinüber. »Sie wird Coots durchkauen und ihn in weniger als fünf Minuten ausspucken.«

»Was macht er denn hier? Ich dachte, wir wären den Kerl schon vor Jahren losgeworden. Lebt er jetzt nicht in Boston oder so?«

»Man munkelt, dass er Kent Mountain einer Planungsgesellschaft verkaufen möchte, wenn man ihn als Partner akzeptiert.«

»So ein Mist«, bemerkte Daniel, der wieder seinen finsteren Blick aufsetzte, als Frank und Anna zu tanzen anfingen. »Eine neue Feriensiedlung … mehr brauchen wir nicht.«

Ethan hörte nur mit halbem Ohr zu, als Daniel ihren alten Kollegen von der Highschool schmähte, und blickte stattdessen wie gebannt zur Tanzfläche, nicht imstande, den Blick von Anna abzuwenden. So schön sie nackt im Bett war und mit ihm bis zur Erschöpfung rang, war sie in ihrem knappen schwarzen Kleid, den dunklen Nylons und den hochhackigen Schuhen, die sie auf Augenhöhe mit den meisten Männern brachten, atemberaubender und sogar noch begehrenswerter.

Offenbar war das die Revanche dafür, wie er sie die ganze Woche über behandelt hatte. Aber er war nicht bereit, sich von Anna einfach so aus ihrem Leben katapultieren zu lassen. Nicht ehe er ihre Fassade so weit angekratzt hatte, um etwas über sie herauszufinden, das ihm gestatten würde, unversehrt das Weite zu suchen. Und es musste etwas geben. Er brauchte nur ihre Schwachstelle zu finden, dann würde er vom Zauber ihrer herausfordernden Augen, ihres schnellen Verstandes und ihrer explosiven Energie befreit sein. »Na, Sie verstehen es aber, tüchtig abzukassieren«, sagte Frank Coots mit anerkennendem Lächeln, als er Anna aufs Tanzparkett führte und sie in die Arme nahm. »Hat Daddy sich doch durchgesetzt?« Sein Blick ruhte auf ihren schlichten Diamant-Ohrsteckern.

»Das war ein Geschenk zu meinem sechzehnten Geburtstag.«

»Haben Sie sich den Verkauf von Fox Run schon durch den Kopf gehen lassen?«

»Nicht wirklich. Tatsächlich habe ich mit der Renovierung begonnen.«

Franks leutselige Miene kühlte sich sofort ab, sein Arm um ihren Rücken festigte spürbar den Griff. »Sie denken doch nicht im Ernst daran, Fox Run Mill wieder in Betrieb zu nehmen?«

»Ich habe die Säge auseinandergenommen und suche jetzt jemanden, der die Bestandteile herstellt, die ich nicht kaufen kann.« Sie zog die Schultern hoch. »Die Sägehalle ist nicht zu retten, die Geräte aber sind in erstaunlich gutem Zustand.«

Frank führte sie unvermittelt an den Rand der Tanzfläche zu einem einzeln dastehenden Tisch, an dem er sie platzierte. Er zog noch einen Stuhl heran und setzte sich mit dem Rücken zum Saal, sodass sie einigermaßen ungestört waren.

»Wie würde es Ihnen gefallen, sich an einer Sache zu beteiligen, die viel lukrativer ist als der Betrieb einer veralteten Säge?«, fragte er, leise die Musik übertönend. »Ich bin mit einer Planungsgesellschaft in Kontakt, die sich in der Nähe von Oak Grove eine Feriensiedlung mit vielfältigen Möglichkeiten vorstellen könnte.« Er warf einen Blick über die Schulter, als die Musik verstummte. Dann beugte er sich näher zu ihr und senkte die Stimme. »Wenn wir den Leuten meinen Berg und Ihr Ufergrundstück am Frost Lake im Paket anbieten, werden sie nicht widerstehen können und uns als Partner akzeptieren. In drei, vier Jahren könnten Sie sich als Ergänzung zu den Ohrsteckern ein hübsches Collier leisten.« Verheißungsvoll grinsend ließ er den Blick zu ihrem Hals wandern. »Sie werden sich alle Diamanten kaufen können, die ihr kleines Herz begehrt.«

»Das sind alle Diamanten, die mein Herz begehrt«, erwiderte sie und fasste nach einem ihrer Ohrringe. »Fox Run wird nicht verkauft, Frank.«

Sein Blick verhärtete sich. »Wissen Sie, dass Ihr Besitzanspruch anfechtbar ist?« Sein Ton hatte sich verändert und war nun drohend. »Und dass die Hälfte Ihres Landes meinem Vater gehörte? Vor fünf Jahren verkaufte er Samuel Fox tausend Morgen von der Hauptstraße hinunter bis zum See.« Er lehnte sich noch näher zu ihr, so dass sie sich bedrängt fühlte. »Für schäbige zwölftausend Dollar«, grollte er und lief rot an. »Das sind kaum zehn Dollar pro Morgen für ein Stück Land, das über eine Million wert ist.«

»Meine Anwälte haben sämtliche Verträge sehr gründlich überprüft, als ich den Besitz erwarb«, sagte Anna, die mit Absicht nicht abrückte. »Und ich kann mich an den Vertrag deutlich erinnern, den Ihr Vater mit Samuel unterzeichnete. Alles war bis aufs letzte i-Tüpfelchen korrekt. Der Verkauf war völlig legal.«

»Nicht wenn mein Vater damals nicht mehr bei Trost war«, holte Frank zum Gegenschlag aus. »Er verbrachte die letzten drei Jahre in einem Pflegeheim in Dover, trug Windeln und führte Gespräche mit nicht vorhandenen Leuten.«

»Sie haben also die Absicht, den Kaufvertrag Ihres Vaters anzufechten?«

»Wenn Sie sich nicht doch zu einer Zusammenarbeit entschließen. Dies wäre kostengünstiger als hohe Anwaltsrechnungen für uns beide.«

Seine Drohungen hörten sich nicht sehr realistisch an. Hätte er einen Beweis gehabt, dass sein Vater von Samuel Fox über den Tisch gezogen worden war, wäre Frank schon längst vor Gericht gegangen. Vielleicht war er ihr Nachtgespenst und suchte etwas Handfestes, um seine Forderung zu untermauern. »Wo waren Sie vergangenen Monat, Frank? Ich habe Sie in der Stadt nicht gesehen.«

»In Boston«, antwortete er ungeduldig, als die Band wieder zu spielen anfing. »Am Montag geht es wieder zurück.« Er stand auf und streckte die Hand aus. »Beenden wir unseren Tanz, während Sie sich mein Angebot überlegen.«

Anna stand auf, ohne seine Hand zu ergreifen. »Danke, aber der Gentleman, mit dem ich sprechen wollte, ist eben eingetroffen.« Sie sah ihn an. »Und überlegen brauche ich nicht, Mr Coots. Ich möchte nicht Teil einer Feriensiedlung sein, und wenn ich vor Gericht zitiert werde, nun denn, mir soll es recht sein.«

Anna ging durch den Saal und nahm sich die Zeit, den Mann zu studieren, der einen dicken Umschlag in den Spendentopf tat. Er sah auf gewinnende Art gut aus – er war ein wenig größer als sie, hatte blondes Haar, braune Augen und ein sympathisches Lächeln.

»Mr Porter«, sagte sie, als er das Gespräch mit der Frau unterbrach, die die Spenden entgegennahm. Sie streckte ihre Hand aus. »Ich bin Anna Segee. Bis letzten Montag war ich Vorarbeiterin bei Loon Cove Lumber. Seit Keith Blaine Sie mir letzten Monat in der Stadt gezeigt hat, wollte ich Ihre Einschlagplätze besuchen und mich vorstellen.«

Er schien zu erschrecken, doch schenkte er ihr sofort wieder ein Lächeln und ergriff ihre Hand. »Anna Segee«, bemerkte er souverän, während sein Blick über ihr Kleid wanderte, ehe er ihr wieder in die Augen sah. »Entweder bin ich der größte Idiot nördlich von Boston oder ich lag die letzten fünf Monate im Koma.« In seinen Augenwinkeln zeigten sich Fältchen. »Sagten Sie ›bis letzten Montag‹? Soll das heißen, dass Sie momentan arbeitslos sind?« Als er sich bei ihr einhängte und sie zu einem Tisch geleiten wollte, fiel ihm auf, dass alle Augen im Raum auf ihn gerichtet waren, und wandte sich dem Eingang zu. »Der Abend ist so schön«, sagte er. »Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang?«

»Wollen Sie sichergehen, dass ich nicht wieder von Loon Cove Lumber eingestellt werde?«, fragte sie lachend und trat vor ihm hinaus.

Er nahm wieder ihren Arm. »Was meinen Sie damit?«

»Ich weiß von der Fehde zwischen Ihnen und den Knights. Der kleine Spaziergang könnte meine Chancen vollends ruinieren, den Job wiederzubekommen.«

»Sie sind an mich herangetreten, Miss Segee«, erinnerte er sie auf dem Weg zum Parkplatz. »Und meine Fehde mit den Knights gehört der Vergangenheit an. Sie haben eingewilligt, dass ich ihre Straßen instand setze.«

»Bitte, nennen Sie mich Anna. Und ich bezweifle, dass die Fehde für Alex Knight jemals vorüber sein wird.«

»Ach, Sie haben also von meinem kurzen Wahnsinnsanfall gehört?«, sagte er und blieb stehen. »Und ich würde sie lieber Abby nennen, Miss Fox.«

Anna erstarrte.

»Mein Vater ging mit Ihrer Mutter für kurze Zeit aus, nicht lange nachdem Sie nach Quebec gingen. Sie haben Madelines Augen.« Sein Lächeln war aufrichtig. »Keine Angst, Ihr Geheimnis ist bei mir sicher. Sie würden sich nicht Anna Segee nennen, wenn Sie wollten, dass es die Leute wissen.«

»Segee ist mein wirklicher Name. Und Anna wurde ich seit meinem zwölften Lebensjahr genannt.« Sie senkte den Kopf und schlug die Arme um sich, da sie fröstelte. »Aber ich weiß Ihr Schweigen zu schätzen. Ich schäme mich meiner Vergangenheit nicht; doch ich ziehe es vor, sie ruhen zu lassen.«

Sofort zog er seine Anzugjacke aus und legte sie ihr über die Schultern. Er hielt die Aufschläge fest. »Sagen Sie mir, warum Sie hinaus zu meinen Einschlagplätzen kommen wollten.«

Anna schob die Arme durch die Ärmel und zog die Jacke um sich. Sie löste seinen Griff, als sie ihn mit einem Augenaufschlag ansah. »Natürlich, um meine große Erfahrung weiterzugeben und Ihnen den Unterschied zwischen Bauholz und Papierholz zu erklären«, erklärte sie gedehnt mit ihrem stärksten kanadischen Akzent.

Clays Reaktion darauf war ein lautes Lachen. »Und ich dachte schon, Ihnen gefielen die versauten Ladungen, da Sie den Ausschuss an die Fabriken weiterverkauften.« Dann schlug er vor: »Kommen Sie zu mir. Ich zahle doppelt so viel wie die Knights und lasse Ihnen freie Hand, auf meinem Land ein Sägewerk aufzubauen. Und ich verspreche, dass ich Sie nicht feuern werde, wenn Sie einen Hund retten.«

»Ach, Sie haben davon gehört?«

»Soll das ein Scherz sein? In der ganzen Gegend spricht man davon, dass Sie einen Bagger in den Kent fuhren und das Hündchen ohne den kleinsten Kratzer herausholten. Kommen Sie und helfen Sie mir, ein Sägewerk aufzubauen  – und bringen Sie mir bei, wie man es führt.«

»Tut mir leid, Clay, aber ich muss meine eigene Säge in Schuss bringen.«

»Sie wollen doch Fox Run Mill nicht wirklich in Betrieb nehmen? Die Anlage ist zu desolat. Fangen Sie von Neuem an, aber auf meinem Land.«

»Ich möchte eine Säge für Spezialholz daraus machen«, erklärte sie. »Und eine solche brauchen Sie nicht. Allerdings nehme ich Ihnen jeden Vogelaugenahorn ab, der Ihnen beim Schlägern unterkommt, ebenso Kirsche, Steineiche oder Weißbirke.« Sie zog eine Braue hoch. »Vorausgesetzt, Sie versauen nicht meine Ladungen«, setzte sie hinzu. Sie drehte sich um und ging zum Parkplatz, auf dem sich Personenwagen und Trucks drängten.

Als Clay sie einholte, verriet ihr sein Seufzer, dass er sich mit ihrer Ablehnung abgefunden hatte, sie aber immer wieder fragen würde. Sein freundschaftliches Schweigen bedeutete vielleicht, dass er einen anderen Weg in Erwägung zog. Anna schritt zwischen den Fahrzeugreihen dahin und studierte jeden Pick-up, den sie sah.

»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«, fragte Clay. »Oder bewundern Sie nur den Schlamm?«

»Ich halte Ausschau nach Schrotkugelspuren«, erklärte sie und ging nach hinten, um das Heck eines verkehrt eingeparkten Wagens zu begutachten.

»Schrotlöcher«, wiederholte Clay, während sie wieder zu ihm stieß.

»Sorte Nummer vier«, sagte sie und ging weiter. »Die hinterlassen sehr auffallende Einschüsse, meinen Sie nicht auch?«

»Aus welcher Entfernung?«

Sie sah ihn an und lächelte. »Aus welcher Entfernung man den Einschuss sieht, oder wie weit entfernt ich stand, als ich abdrückte?«

Er blieb stehen. »Gut möglich, dass Ethan einen Grund hatte, Sie zu feuern. Darf ich fragen, warum Sie auf einen Pick-up geschossen haben?«

»Weil seine Insassen nachts meine Nebengebäude durchstöbert haben.«

»Okay«, meinte er und schritt weiter die Reihe der Fahrzeuge ab, wobei er sich ein Stück entfernte, um die Trucks in der Reihe gegenüber zu überprüfen. »Haben Sie John Tate angerufen?«, fragte er über die kurze Entfernung.

»Hätte ich dem Sheriff sagen sollen, dass ich auf jemanden geschossen habe?« Sie lachte leise. »Das hätte noch gefehlt. Also, warum versauen Sie Ihre Ladungen für Loon Cove Lumber, wenn Sie die Fehde mit den Knights für beendet halten?«

Clay zog die Schultern hoch. Das Licht fiel auf sein Grinsen. »Ach, ich wollte ihn foppen. Diese Heimlichtuer haben es doch glatt geschafft, mir Loon Cove Lumber vor der Nase wegzuschnappen. Ich war völlig ahnungslos, da ich alle Hände voll zu tun hatte, die Finanzierung zu sichern.« Er blieb stehen und sah sie an. »Und warum sind Sie heute auf mich zugegangen, Anna? Meine unsauberen Ladungen an Loon Cove Lumber können nicht der Grund sein, da Sie nicht mehr für die Knights arbeiten und von mir offenbar keinen Job wollen.«

»Aus purer Neugierde.« Er folgte ihr, als sie ans Ende einer Stapelreihe gelangte und die nächste entlangging. »Man hört viel über Sie, Gutes und … Interessantes, je nachdem, mit wem man spricht. Was wissen Sie noch von Pamela Sants Tod und Ethans anschließendem Gerichtsverfahren?«

Clay erwischte ihren Jackenärmel und hielt sie wieder auf. »Werde ich meine alte Fehde wieder ansagen, wenn ich jetzt mit Ihnen hineingehe und wir tanzen?«

»Wahrscheinlich schon.«

Er lachte leise. »Ich weiß nicht, ob Ethan Glück oder Mut hat.«

»Hat er Pamela Sant geliebt?«

»Wollen Sie meine Meinung hören? Nein«, antwortete er und schüttelte den Kopf.

»Wie kommt es, dass Sie so überzeugt klingen?«

»Meine Familie kam mit den Knights ganz gut aus, ehe Alex’ erste Frau mir den Verstand raubte. Und der Ethan, den ich damals kannte, hatte etwas von einem … edlen Ritter in schimmernder Rüstung an sich.« Wieder lächelte er. »Das müssten Sie am besten wissen. Er war es doch, der als Ihr Retter auftrat.«

»Wir sprechen von Pamela.«

»Pamela brauchte selbst einen edlen Ritter, und irgendwie fiel diese Rolle Ethan zu.« Clay ließ eine wegwerfende Handbewegung folgen. »Ob aus freien Stücken oder weil Pamela es eingefädelt hat, weiß ich nicht.«

»Wovor hat er Pamela gerettet?«

»Vor ihr selbst, wenn Sie mich fragen. Sie machte den Eindruck, als brauche sie sogar beim Friseur jemanden, der für sie entscheidet, was am besten zu ihr passt. Sie war zart, hatte sowohl eine zierliche Figur als auch ein empfindsames Gemüt.« Er zog die Schultern hoch. »Vielleicht sprach sie Ethans Beschützerinstinkt an. Männer müssen gebraucht werden.«

»Er soll sich nach dem Unfall verändert haben.«

»Er wurde härter. Und er wurde ein Zyniker, was Frauen betrifft. Was in jener Nacht passierte, wissen nur Ethan und Pamela, und da Pamela nichts mehr sagen kann, bezweifle ich, ob Ethan es je tun wird. Vor Gericht sagte er kein Wort. Er saß einfach da und starrte ins Leere.« Clay sah sie nachdenklich an. »Die meisten Frauen hier halten ihn für gefährlich.«

»Wirklich? Glauben Sie nicht, dass ein wenig Politur seine fleckige Rüstung wieder auf Hochglanz bringen könnte?«

Lachend zog er ihren Arm unter seinen und ging mit ihr zurück zur Schule. »Ich glaube, dass Ethan in großen Kalamitäten steckt, ebenso glaube ich, dass es viel mehr als nur einer kleinen Politur bedarf, damit er merkt, wie tief. Wenn ihn ein Gabelstapler mit Holzstämmen überrollte«, meinte er, »würde er vielleicht das Licht sehen.«

»Ich hätte eher an Handschellen gedacht«, sagte Anna auflachend, »aber ein schweres Arbeitsgerät hat auch seine Meriten. Manchmal muss ein Mädchen sein Feingefühl vergessen und zu handfesteren Methoden greifen.«