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Wir werden streiken«, sagte Keith, der für Anna einen Karton trug, als sie zu ihrem Truck gingen. »Ethan hätte Sie nicht feuern dürfen. Wir werden ihn herumkriegen, damit er die Kündigung zurücknimmt.«

Anna öffnete die hintere Tür ihres SUV und stellte ihren Karton hinein, dann drehte sie sich um und wollte Keith seine Last abnehmen. »Nein, ich möchte keine Vergeltungsmaßnahmen. Wenn ich es recht bedenke, hätte ich an seiner Stelle dasselbe getan. Ethan hat völlig korrekt gehandelt.«

»Aber Tom Bishop hat Sie eingestellt, weil er wusste, dass der Betrieb auf eine Katastrophe zusteuerte. Wenn Sie uns nicht wieder auf Kurs gebracht hätten, hätte es kein anderer geschafft.«

»Keith, Sie und die Belegschaft hatten vier Monate Zeit, um aufzuholen. Sie werden hier einen guten Vorarbeiter abgeben. Außerdem versteht Ethan mehr von der Sägeindustrie, als er zugibt. Er ist ein kluger Kopf und geht mit den Mitarbeitern fair um.«

»Das war’s also? Sie gehen kampflos?«

»Ich muss.« Sie berührte den Ärmel ihres Freundes. »Ich bin erwachsen und sehr wohl imstande zuzugeben, wenn ich falschliege. Vielleicht bitte ich Clay Porter um Arbeit, ehe ihm zu Ohren kommt, warum ich gefeuert wurde.«

Keith schüttelte den Kopf. »Für Porter zu arbeiten ist okay, aber Sie werden damit die Knights verärgern und verderben sich jede Chance, hier wieder eingestellt zu werden.«

»Wie ich hörte, halten Sie nicht viel von Porter, aber ich brauche Geld«, erklärte sie und öffnete die Tür an der Fahrerseite, um einzusteigen.

»Lassen Sie Ethan ein paar Tage Zeit, bevor Sie mit anderen reden«, versuchte Keith sie zu überreden. »Jede Wette, dass er Sie noch vor Ablauf der Woche bittet, wieder für ihn zu arbeiten.«

Sie deutete mit dem Schlüssel auf ihn. »Das ist kein Scherz«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich meine es ernst. Sie haben hier alles im Griff. Und ich fechte meine Kämpfe allein aus.« Sie lächelte spöttisch. »Ich kontrolliere den Generator auf Fox Run, und wenn Ethan auf einmal keinen Strom hat …« Sie hob die Schultern. »Ist ja nicht meine Schuld, wenn die Leitung zu seiner Hütte defekt ist.«

Keith ließ ihr Lächeln unerwidert. »Meinen Sie nicht auch, es könnte peinlich werden, wenn er da draußen bei Ihnen wohnt?«

»Nein.« Sie führte den Zündschlüssel ein. »Seine Hütte ist so weit entfernt, dass er kommen und gehen kann, ohne dass ich ihn zu Gesicht bekomme.« Sie sah Keith an. »Falls Sie jemanden kennen, der einen tadellosen Pick-up sucht … Gaylen Dempseys alte Karre steht zum Verkauf.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie einen Tag zu früh gekauft. Wer als Erster zweitausend Dollar bietet, bekommt den Zuschlag.«

»Mein Sohn macht nächsten Monat den Führerschein«, sagte Keith und rieb sein Kinn. »Er hat fünfzehnhundert Dollar auf der hohen Kante.«

»Ich habe es mit einem Haufen von verdammten Yankee-Krämerseelen zu tun.« Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Ich soll also fünfhundert Dollar Verlust in Kauf nehmen?«

»Gaylen hatte sich schon einen schicken neuen Truck zugelegt, als er Ihnen den alten andrehte«, eröffnete Keith ihr mit einem schiefen Lächeln, keineswegs beleidigt, weil sie ihn eine verdammte Yankee-Krämerseele genannt hatte. »Und er hätte sich für seinen alten auch mit tausend zufriedengegeben.«

»Dieser alte Gauner. Erst wollte er dreitausend haben.«

Keith lachte. »Ich komme nächsten Samstag mit meinem Sohn hinaus. Er soll sich den Truck ansehen. Ich weiß, dass er gut läuft, aber das soll der Junge selbst herausfinden.« Er wurde wieder ernst. »Es tut mir leid, dass Sie gefeuert wurden, Anna. Ich arbeitete gern mit Ihnen zusammen. Na, hoffentlich sind Sie nächsten Montag wieder da.«

»Leben Sie wohl, Keith. Ich meine es wirklich so. Sie halten für Ethan alles tipptopp in Ordnung. Ein profitabler Betrieb sichert Arbeitsplätze.« Sie schlug die Tür zu und startete den Motor. Als sie vom Betriebshof fuhr, winkte sie Keith zu – und sah Ethan vor dem Büro stehen, der ihr mit regloser Miene und ebensolcher Haltung nachblickte.

Mit einem matten, niedergeschlagenen Seufzen bog Anna langsam auf die Hauptstraße ein und fuhr nach Hause. Sie wusste, dass sie sich eine Riesendummheit geleistet hatte, doch hatte sie nicht zulassen können, dass der junge Hund in den sicheren Tod trieb. Und sie hatte genau gewusst, was sie tat. Sie hatte den Boden unter sich beurteilen können, die Stärke der Strömung und das Gewicht des Baggers. Nicht ein einziges Mal hatte sie das Gefühl gehabt, gefährdet zu sein, nur musste sie sich ehrlich eingestehen, dass auch sie jeden ihrer Belegschaft gefeuert hätte, hätte sie ihn bei der Rettung des Hundes ertappt.

Verdammt, sie war einfach wütend, dass Ethan recht hatte!

 

»Ich fasse es nicht, dass er dich einfach entlassen hat«, sagte Jane, inmitten des alten Gerümpels auf Annas Speicher stehend, die Arme verschränkt und mit der Fußspitze auf den Boden klopfend. »Paul sagte, Ethan hätte sich nicht einmal eine Erklärung deinerseits angehört. Er hat dich einfach so gefeuert, und das, obwohl ihr miteinander ins Bett geht. Ich habe dich gewarnt, dass er ein beinharter Knochen ist.«

Anna richtete sich von einem Karton auf und lächelte ihrer empörten Freundin zu. »Was hat unser Verhältnis mit irgendwas zu tun? Ethan hat genau das getan, was auch ich tun würde.«

»Er holt einfach zum Gegenschlag aus, weil du ihn vor zwei Monaten gefeuert hast«, meinte Jane und öffnete eine alte Truhe, vor der sie sich hinkniete, um einen Blick hineinzuwerfen. »Wenigstens hast du herausgefunden, was für ein Ekel er ist, ehe du dich in ihn verliebt hast. Und dass du ihn fallen lässt, ist genau das, was er verdient«, setzte sie hinzu, den Truheninhalt durchwühlend. »Vielleicht lernst du auf dem Wohltätigkeitsball einen netten Mann kennen.«

»Du glaubst also nicht, ich sollte mit Ethan weiterhin schlafen?«

Jane hob den Kopf und sah Anna blinzelnd an. »Bist du verrückt? Doch nicht, nachdem er dich gefeuert hat.«

»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«

Auf ihren Fersen hockend starrte Jane sie an, fassungslos, dass Anna auch nur in Betracht zog, die Beziehung mit Ethan fortzusetzen.

»Er ist in Wahrheit nicht hart«, sagte Anna. »Ethan ist eigentlich ganz nett. Er hat sogar Humor.« Sie griff nach dem Stapel von Schreibheften, die sie vorhin gefunden hatte, und ließ sich seufzend an deren Stelle nieder. »Den ganzen Tag habe ich hin und her überlegt, und ich wette, dass ich ihm einen argen Schrecken eingejagt habe und er deshalb in Rage geraten ist. Vielleicht ist in ihm wieder die Erinnerung daran wach geworden, wie Pamela Sant im Oak Creek ertrank. Und um ehrlich zu sein, wenn ich ihn mitten im Eisstau gesehen hätte, wie er den Hund zu retten versuchte, hätte ich auch die Fassung verloren.«

»Aber er hätte dich nicht feuern sollen. Vor der gesamten Belegschaft.« Jane schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht mehr mit ihm schlafen. Er kommt doch glatt auf die Idee, dass er mit dir nach Belieben umspringen kann. Außerdem sieht es aus, als wärest du total verzweifelt.«

Anna verschluckte ein Lachen. »Verzweifelt?«, wiederholte sie. »Na, vielleicht ist Verzweiflung in diesem Fall ganz heilsam. Mit jemandem zusammenzuarbeiten, mit dem man schläft, ist unmöglich. Der Beweis wurde heute erbracht. Deshalb bin ich entschlossen, Fox Run Mill schleunigst wieder in Gang zu bringen. Ich muss einen Teilzeitjob in der Stadt finden. Als Kellnerin im Drooling Moose oder so was in der Art.«

Jane war sichtlich entsetzt. »Zuerst kommandierst du Männer herum, und dann bedienst du sie. Das wäre doch demütigend.«

»Eine Demütigung ist immer Ansichtssache. Und so stolz bin ich nicht, dass ich nicht ein wenig Spott und Hänselei vertragen würde, noch dazu, wenn ich damit meine Rechnungen bezahlen kann.«

Janes große braune Augen blicken nun sanfter. »Ruf deinen Vater an. Er kann doch nicht ewig auf dich böse sein. Jede Wette, dass er weich wird und dir unter die Arme greift, wenn er deine Stimme hört.«

Anna schüttelte den Kopf. »Zwei meiner Brüder waren über das Wochenende hier. Sie sagten, Daddy wäre überzeugt, ich würde dieses armselige Leben bald satthaben und nach Hause kommen, wenn er nur lange genug durchhielte. Ihm ist nicht klar, dass ich meinen Eigensinn von ihm geerbt habe.« Sie drehte sich um und stieg die schmale Dachbodentreppe hinunter. »Nein, ich mache mich an die Arbeit und werde Fox Run wieder in Gang bringen.«

»Ganz allein? Aber wie?«

»Schritt für Schritt.« Anna stieg die Treppe zum Wohnzimmer hinunter und warf die Schreibhefte auf die Couch. »Hast du mit Paul schon entschieden, wo ihr wohnen wollt?«

Jane warf sich auf die Couch und griff sich eines der Hefte. »Seine Familie hat uns eine Bleibe im Sport-Camp angeboten. Ich mag Sarah sehr.« Sie sah Anna mit raschem Lächeln an. »Unsere Babys werden im Abstand von zwei Wochen zur Welt kommen.« Sie schlug das Heft auf und überflog die Seite, bevor sie wieder aufblickte. »Aber Paul meint, wir sollten uns ein eigenes Haus zulegen. Während der ganzen Fahrt hierher hat er ununterbrochen von Nestbau geredet.« Sie zog die Schultern hoch. »Mir ist schleierhaft, was er damit meint. Allerdings ist er entschieden dagegen, dass ich wieder arbeite.«

»Warum?«, fragte Anna und legte ein weiteres Scheit in den Kamin. »Du arbeitet doch gern für Dr. Betters.«

»Ja, ich liebe meine Arbeit, und es kümmert mich nicht, was Paul sagt. Ich werde wieder arbeiten. Megan und Travis muss ich nur mehr zwei Tage hüten, da Pete nach Hause kommt.« Sie klappte das Heft zu und stand auf. »Ist es dir recht, wenn wir in Ethans Hütte bleiben, bis wir ein eigenes Haus finden?«

»Wo soll Ethan wohnen?«

»Er hat zu Paul gesagt, er wolle im Sägewerk schlafen, da er dort fließendes Wasser hätte.«

»In der Hütte gibt es das nicht«, rief Anna ihr in Erinnerung. »Bist du sicher, dass du da wohnen möchtest?«

»Aber sicher«, antwortete Jane, ging zur Tür und zog ihren Mantel an. »Es ist wie Camping, naturnah und romantisch. Kann ich Paul sagen, dass es dir recht ist?«

»Wenn ihr wollt. Die Miete ist schon bezahlt. Was ist aus dem Hund geworden? Konnte man den Besitzer ausfindig machen?«

»Er ist bei Paul in unserer Hütte«, erwiderte Jane. »Wir werden in der Stadt herumfragen, ob jemand einen schwarzen Labrador-Welpen vermisst. Paul meint, er wäre etwa sieben oder acht Monate alt. Wir nennen ihn Kent, da er im Kent River getauft wurde.« Sie knöpfte lächelnd ihren Mantel zu. »Paul sagte, er hätte noch nie jemanden gesehen, der mit schwerem Gerät so umgehen kann wie du – du hättest Kent so behutsam von der Eisscholle gehoben wie ein Ei aus dem Wasser.«

Anna tat das Lob lachend ab. »Den Umgang mit großem Arbeitsgerät bin ich seit meinem zwölften Lebensjahr gewohnt. Ich glaube, Dad brachte mir die Bedienung dieser Riesen bei, um verlorene Zeit aufzuholen und eine Beziehung zu mir aufzubauen, als ich zu ihm kam. Habt ihr in der Hütte noch etwas Essbares?«

Jane trat hinaus auf die Veranda. »Nach unserem Besuch bei Pauls Familie waren wir einkaufen. Heute kocht mein Ehemann. Stew, glaube ich.«

Anna zog eine Braue hoch. »Klingt vielversprechend. Du hast einen Mann bekommen, der kochen kann.«

»Nur Stew«, meinte Jane lachend und ging die Stufen hinunter. Sie warf einen Blick zurück. »Alles okay mit dir?«, fragte sie. »Du wirst doch heute keine Depressionen bekommen und dich betrinken?«

»Ich mache mir einen heißen Kakao und werde in diesen Heften lesen. Es scheinen Samuel Fox’ Tagebücher zu sein. Und dann werde ich früh zu Bett gehen, damit ich gleich am Morgen darangehen kann, meine Säge wieder in Schwung zu bringen.«

»Also dann, gute Nacht«, verabschiedete sich Jane mit einem Winken und ging den aufgeweichten Weg entlang.

Anna blickte ihr nach, um sicherzugehen, dass sie nicht im Schlamm ausglitt, dann rief sie nach Bear, da ihr einfiel, dass sie ihn seit einer Stunde nicht gesehen hatte.

»Er ist bei uns«, antwortete ihr Jane. »Der kleine Kent hat es ihm angetan.«

»Na schön. Schick ihn zurück, wenn er lästig wird«, rief sie und winkte zum Abschied. Dann drehte sie sich um und ging hinein. »Na, Charlie«, sagte sie, als die Meise von der Gardinenstange herunterflatterte und auf ihrer Schulter landete. »Möchtest du am Samstag meinen Kavalier spielen und mit mir tanzen?«

 

Anna erwachte mit dem Gefühl, ihre Decke entgleite ihr und das Bett neige sich zur Seite. »Ethan«, flüsterte sie.

Er sagte nichts und rollte sich auf sie. Sein nacktes Gewicht drückte sie in die Matratze, als er ihre Hände, die ihn fassen wollten, ergriff und sie über ihren Kopf streckte. Er küsste sie mit sanfter Aggression voll auf den Mund, als wenn er erwartete, sie würde ihn wegstoßen. Doch noch ehe sie reagieren konnte, begannen seine Lippen eine vertraute Wanderung über ihre Wange und ihre Kehle entlang. Sie hielten nicht inne, bis sie ihre Brüste erreichten. Er sog durch die dünne Seide ihres Nachthemdes an ihrer Brustwarze.

Anna stieß einen Lustschrei aus und versuchte sich ihm zu entziehen, er aber umfasste ihre beiden Hände mit einer Hand und setzte seinen sanften Angriff fort. Seine freie Hand ging auf Wanderung und jagte ihr erwartungsvolle Schauer durch den Körper, als er sie sanft massierte und dann mit den Fingern ihre Rippen hinunterglitt, unter den Gummizug ihrs Höschens.

In nur zwei Nächten hatte er ihren Körper sehr gut kennengelernt und wusste genau, wo er sie berühren musste, damit sie unter ihm in lustvolle Zuckungen verfiel. Seine starken, schwieligen Finger tändelten an ihrer Hüfte, reizten die weiche Senke zu ihrem Becken hin, während er an ihrer anderen Brust sog. Wieder schrie sie auf und versuchte ihre Hände zu befreien, ihre Gegenwehr aber ließ ihn immer tiefer zwischen ihre Schenkel sinken.

»Ethan«, keuchte sie heiser, von dem verzweifelten Verlangen erfüllt, ihn zu berühren.

Er gab ihre Brust frei, um sie wieder zu küssen und ihr nächstes Flehen in ein Stöhnen zu verwandeln, während er seine Hüften an ihren bewegte und der dünne Stoff ihres Höschens ihre Lust steigerte. Anna war klar, dass sie nur hoffen konnte, aktiv zu werden, wenn er mit dem Kondom beschäftigt war, deshalb gab sie sich ihrem wachsenden Verlangen hin. Als er jedoch seine Hüften anhob, ihr Höschen herunterzog und sich wieder zwischen ihre Schenkel senkte, sah sie, dass er die Sache bereits erledigt hatte. Langsam drang er in sie ein, während er sie an ihrer intimsten Stelle streichelte, dann hielt er beide Hände neben ihrem Kopf fest und versenkte sich tief in ihr.

In einen völlig konzentrierten und zärtlichen Rhythmus verfallend starrte er sie wortlos an und vollbrachte wahre Wunder, indem er ihre Leidenschaft subtil stimulierte. Anna erreichte mit einem überraschten Aufschrei den Höhepunkt.

»Ja, das ist es, komm schon«, lockte er, steigerte die Kraft bei jedem Stoß, nicht aber das Tempo. »Schöne Anna.«

Ihre Lust setzte sich in endlosen Wellen fort, als er sie tief erfüllte und sie sanft wiegte und sein Mund die Laute ihrer Erfüllung in sich einsog. Und ehe sie wieder zu Atem kam, fing er wieder an und liebkoste sie am ganzen Körper, während er sie emotional in einem beängstigenden Spannungszustand hielt. Immer wieder brachte er sie zum Orgasmus, bevor er schließlich selbst kam. Schweigend zog er sie an sich und hielt sie fest, worauf sie vor Erschöpfung einschlief.

Als die Sonne mit der Morgendämmerung durch das Fenster eindrang, erwachte Anna und stellte fest, dass sie allein im Bett lag. Sie seufzte. Armer Ethan. Unsicher, wie der Empfang ausfallen würde, hatte er sich wie ein Dieb eingeschlichen … und war dem Punkt gefährlich nahegekommen, ihr abermals das Herz zu rauben.

 

Anna versank in der mit heißem, nach Lavendel duftendem Wasser gefüllten Wanne und legte mit einem wohligen Seufzen den Kopf zurück, dem leisen Blubbern der Seifenblasen lauschend. Sie wusste nicht, was sie mehr erschöpft hatte – eine ganze Woche Arbeit an ihrer Sägemühle oder die fünf Nächte, die sie größtenteils damit zugebracht hatte, Ethan zu lieben.

Nein, er war es, der sie geliebt hatte.

Seitdem er sie am Montag gefeuert hatte, war Ethan allnächtlich gekommen, nachdem Anna eingeschlafen war, war neben ihr ins Bett gekrochen und hatte sie zärtlich, aber leidenschaftlich geliebt. Und während dieser Nächte konnte sie die zwischen ihnen gewechselten Worte an den Fingern abzählen. Deshalb hatte Anna irgendwann am Mittwochmorgen, als sie die alte Säge auseinandergenommen hatte, entschieden, dass es klüger war, sich in Geduld zu fassen, bis Ethan sich äußerte, als ihn seiner nächtlichen Besuche wegen zur Rede zu stellen.

Anna konnte sich vorstellen, dass das Trauma von Pamela Sants Tod der Grund für seine stumme Intensität war. Er war Augenzeuge ihres Unfalls geworden, den er womöglich verschuldet hatte, und er hatte es nicht geschafft, sie zu retten. Deshalb hatte er so übertrieben reagiert, als er sie mitten in einem Eisstau gesehen hatte, wie sie ihr Leben für einen Hund aufs Spiel setzte. Er brauchte eine gewisse Zeit, um die Erinnerungen wieder zu begraben, die ihr riskantes Abenteuer aufgewühlt hatte.

Aber verdammt, sie wollte ihren Geliebten zurück! Sie wollte mit Ethan wieder lachen, mit ihm bis zur Erschöpfung kämpfen und ihn reizen, bis er explodierte. Der Mann entsprach allen ihren Kinderfantasien, und das war genau der Grund, weshalb sie heute seine nervenaufreibende Stimmung erschüttern wollte.

Claire, seit fünfundzwanzig Jahren André Segees Frau, hatte Anna alles beigebracht, was sie von Männer wusste – und wie man dieses Wissen zu seinem Vorteil einsetzte. Trotz ihrer vier kleinen Söhne, die Claire bei der Heirat mit dem verwitweten Holzbaron geerbt hatte, war sie sieben Jahre darauf, als sie plötzlich Mutter einer verschüchterten Elfjährigen geworden war, sofort bereit gewesen, Anna bedingungslos und ohne zu zögern unter ihre Fittiche zu nehmen. Sie hatte Anna nicht nur gelehrt, stolz auf ihre Weiblichkeit zu sein, sondern auch, wie man sich kleidet, wie man sich in einer Beziehung klug behauptet, und ganz besonders, wie man sich in seiner eigenen Haut wohlfühlt. Claire hatte selbst das beste Beispiel abgegeben, da Anna keinen zufriedeneren Mann kannte als ihren Daddy.

Was Claire Segee zum genauen Gegenteil ihrer leiblichen Mutter machte. Anna hatte Madeline Fox als Frau in Erinnerung, die in den Armen eines Mannes verzweifelt nach Ganzheit suchte. Und sie war noch immer auf der Suche. Als Letztes hatte Anna gehört, dass Madeline mit ihrem sechsten oder siebten Mann in Arizona oder Florida lebte.

Anna hasste Madeline nicht, und noch viel weniger gab sie ihr die Schuld an allem; sie erlaubte sich in keiner Weise ein Urteil über sie, da sie es als gegeben hinnahm, dass manche Menschen dazu verdammt waren, lebenslang nach einem Glück zu suchen, das außerhalb ihres eigenen Ichs lag.

Dass Madeline ihre kleine Tochter vor achtzehn Jahren auf den gleichen Weg geschickt hatte … nun, Anna wusste, dass sie ihrem Großvater mütterlicherseits Dank schuldete, weil er André Segee selbstlos gebeten hatte, sein Enkelkind zu holen, ehe es in die Fußstapfen ihrer Mutter geraten konnte. Damals war ihr nicht bewusst gewesen, wie lieb Gramps sie gehabt hatte, nun aber, nach der Lektüre der Hefte, in denen Samuel achtzehn Jahre lang täglich Briefe an seine Enkeltochter geschrieben hatte, war es ihr klar.

»Ich hab dich auch lieb, Gramps«, flüsterte sie. »Und ich werde dein Sägewerk wieder in Gang bringen, damit du stolz auf mich sein kannst. Sobald ich das kleine Problem mit meinem edlen Ritter gelöst habe.«

Anna hob ihren Schwamm und drückte ihn über den Schultern und ihrer Brust aus. Den Lavendelduft tief einatmend lächelte sie voller Vorfreude auf den heutigen Tanzabend.

Claire hatte ihr nicht nur Kondome und neue Unterwäsche geschickt, sie hatte auch Annas elegantere Klamotten, ihre Kollektion an Parfüms und Lotionen und ihre Schmuckschatulle eingepackt – in der ein Brief versteckt war, in dem sie Anna bat, sich von ihren Schmuckstücken keinesfalls zu trennen, da André sicher zur Vernunft kommen würde. Der Briefumschlag hatte auch zweitausend kanadische Dollar enthalten, eine willkommene Ergänzung der viertausend, die Damon und Jean-Paul ihr zum Abschied in die Hand gedrückt hatten. Deshalb hatte sie es auch nicht so eilig, sich um einen neuen Job zu kümmern. Einen Teil des Geldes hatte sie für ihre Steuerschulden verwendet und den Rest für schlechte Zeiten behalten.

Die ganze Woche über hatte sie auf Fox Run ihre heilige Ruhe gehabt. Die Neuvermählten hatten am Mittwoch ein Haus in Oak Grove bezogen, und gespenstische nächtliche Besucher hatten Anna nicht mehr heimgesucht. Von einer Irren abgegebene Schüsse waren offenbar eine wirksame Abschreckung.

Ihr einziger nächtlicher Besucher war ein störrischer Liebhaber, und das würde sich ändern. Anna glitt unter das Wasser, um ihre Haare nass zu machen, tauchte dann wieder auf und griff nach ihrem Shampoo. Der heutige Abend würde dem Ärmsten die Überraschung seines Lebens bescheren, wenn die Ex-Vorarbeiterin mit Make-up in einem schicken kleinen Schwarzen und auf drei Zoll hohen Absätzen auftauchte.