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Ethan hatte das Gefühl, die Strecke um den See würde kein Ende nehmen, als er nach Hause fuhr. Mit einer lauten Verwünschung haute er auf das Lenkrad ein. Nicht zu fassen! Man hatte ihn gefeuert. Ausgerechnet an seinem ersten Tag im neuen Job! Er hatte sich bei Loon Cove Lumber gar nicht richtig umsehen können.

Genau das hatte er nämlich getan, als er vor den Lader gelaufen war, den diese überhebliche Vorarbeiterin steuerte. Fast wären sie beide durch seine Schuld ums Leben gekommen. Nachdem sie dem Tod im Wrack knapp entgangen war, hätte er sie fast mit seiner Faust ins Jenseits befördert. Verdammt! Er hatte nicht wissen können, dass der Vorarbeiter eine Frau war. Er hatte nur gesehen, dass eine zornentbrannte Gestalt mit einem Stück Eisen auf ihn losgegangen war, dann hatte sein Instinkt die Oberhand gewonnen.

So wie Anna ihm instinktiv das Leben gerettet hatte, als sie den Lader in den Graben lenkte.

Wieder haute Ethan auf das Lenkrad ein, als er an der Zufahrt zu seinem alten Zuhause vorüberfuhr, das nun in Schutt und Asche lag. Er hätte bleiben und seiner Familie helfen sollen, sich im Sport-Camp drei Meilen weiter am Seeufer einzurichten, aber nein. Alle hatten darauf bestanden, dass er heute seinen neuen Job bei Loon Cove Lumber antreten sollte.

Zu Mittag wurde Ethan klar, dass er lieber ganz tief in den Wald hätte fahren sollen als nach Hause.

»Man hat mich gefeuert«, sagte er zu seiner elfjährigen Nichte Delaney.

»Gefeuert!«, wiederholten sein Vater und sein jüngerer Bruder Paul unisono.

Ethan blickte sie finster an. »Dieses verrückte Frauenzimmer hat mich entlassen!«

»Frauenzimmer?«, fragte Delaney, die an seinem Ärmel zog, um sich wieder seine Aufmerksamkeit zu sichern.

»Entlassen?«, wiederholte Paul.

»Na ja, ich habe sie glatt umgeworfen, dass sie auf ihrem Hintern … ihrem Gesäß gelandet ist«, erklärte Ethan dümmlich.

»Du hast sie geschlagen?« Delaney konnte es kaum fassen.

»Was?«, rief Grady laut.

Ethan sah seinen Vater zur Hintertür eilen, vermutlich, um einen Eimer zu holen, da Grady die Gewohnheit hatte, seine Söhne mit kaltem Wasser zu überschütten, wenn er wütend auf sie war.

Delaney versetzte ihm einen Rippenstoß. »Schäm dich!«, rügte sie ihn.

»Da wusste ich noch nicht, dass sie eine Frau ist«, wiederholte er, wobei ihm deutlich bewusst war, dass er seine Geschichte falsch aufgebaut hatte.

Seine Schwägerin Sarah schüttelte den Kopf, dann aber zog sie einen Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln hoch. »Bei Loon Cove Lumber gibt es eine Frau, die in der Position ist, dich zu feuern?« Sie lachte. »Das hätte ich zu gern gesehen.«

Ethan hob die Hand, um seinen Vater abzuwehren, der den Eimer eben an der Spüle gefüllt hatte. »Ich wusste nicht, dass es eine Frau ist!«, verteidigte er sich. »Sie trug einen Arbeitshelm und kam mit einem Montiereisen auf mich zu, so wütend, dass sie nicht gezögert hätte, es anzuwenden.« Er fuhr mit der Hand durch sein Haar. »Ich reagierte und holte aus. Erst als sie umsank und der Helm herunterfiel, war ihr Haar zu sehen.« Er sah Sarah und Delaney flehentlich an. »Ich dachte, es wäre ein kleiner, drahtiger Franzose.«

»Und warum ging sie mit einem Montiereisen auf dich los?«, fragte Paul.

»Ich … ähm … also, ich geriet ihrem Ladegerät in die Quere. Es hatte eine volle Gabel Holz geladen, und sie musste die Maschine in den Graben fahren. Die kippte prompt um, verlor die Stämme und landete auf der Seite.« Ethan schloss die Augen. »Die Dame kletterte fluchend heraus und schwang das Stück Eisen.«

»Aber wer ist sie?«, wollte Alex wissen. »Wie kommt es, dass wir von ihr noch nichts gehört haben?«

Ethan schüttelte den Kopf. »Eine dumme Sache. Aber nach allem, was ich mitbekommen habe, respektieren die Männer sie. Ron Davis begleitete mich auf ihre Anweisung hin zu meinem Truck und sagte, sie könne mit allem, was einen Motor hat, besser umgehen als jeder Mann im Betrieb. Er sagte, sie hieße Anna Segee. Bishop hat sie vor drei Monaten eingestellt, als sie in die Stadt kam.«

»Segee?«, wiederholte Alex und runzelte die Stirn. »So wie in Segee Logging and Lumber in Quebec?«

»Woher soll ich das wissen?« Ethan schüttelte den Kopf. »Mit den Segees in Quebec kann sie unmöglich verwandt sein, trotz ihres leicht französischen Akzents. Aber warum sollte sie hier für Tom arbeiten, wenn der Waldbesitz ihrer Familie so groß ist wie halb Maine?«

»Ich kenne André Segee«, sagte Grady nachdenklich. »Und er schien mir nicht der Mann zu sein, der eine Frau auch nur in die Nähe seines Betriebes lässt. Wie alt ist diese Anna Segee?«

»Sie kann keinen Tag älter als zweiundzwanzig sein«, erklärte Ethan.

»Vielleicht ist sie Andrés Tochter, die Streit mit ihrem Vater hatte«, mutmaßte Grady.

»Warum möchte André Segee keine Frauen in seinem Betrieb?« , fragte Sarah. »Die schwere körperliche Arbeit übernehmen doch die Maschinen.«

»Es ist noch immer eine männlich dominierte Branche«, antwortete Grady. »Und André hat mindestens zwei, wenn nicht drei Söhne, die das Geschäft übernehmen werden.«

Ethan goss sich eine Tasse Kaffee ein. »Wir wissen nicht, ob Anna überhaupt mit den Segees in Quebec verwandt ist«, erwiderte er und setzte sich an den Tisch. »Aber ich weiß jetzt mit Sicherheit, dass ich nicht im Sägewerk arbeiten möchte. In Bishops Laden ist mehr Wirbel als in Greenville im Sommer.«

»Lass uns eines klären«, sagte Grady und blickte Ethan mit zusammengekniffenen Augen an. »Du bist einem Ladegerät in den Weg getreten?«

Ethan begegnete dem Blick seines Vaters nicht ganz. »Hm, ja.«

»Und du hast die Absicht, Bishops Vorarbeiterin als Dank, dass Sie dir das Leben rettete, zu feuern, sobald uns der Betrieb gehört, oder nicht?«, fragte Grady in sanftem Flüsterton.

Ethan blickte ihm direkt in die Augen. »In einem Sägewerk haben Frauen nichts zu suchen.«

»Tom Bishop ist anderer Meinung.«

»Bishop wird alt«, entgegnete Ethan. »Er ist offenbar nicht mehr ganz richtig im Kopf. Werde ich Boss von Loon Cove Lumber sein oder nicht? Mit der Befugnis, Leute einzustellen und zu feuern?«

»Wenn die Papiere unterschrieben sind, geht Tom Bishop sofort nach Florida«, erzählte Grady. »Ich konnte ihn nicht überreden, auch nur einen Monat länger zu bleiben und uns in der Übergangszeit zu helfen. Und du hast keine Ahnung, wie man ein Sägewerk führt. Bleibt nur Anna Segee.«

»Es muss dort doch kompetente Männer geben«, sagte Ethan. »Bishop hat dreißig Leute.«

»Und er hat Anna als Vorarbeiterin eingestellt.«

Ethan starrte ihn finster an. »Habe ich nun freie Hand oder nicht?«

»Kommt darauf an. Willst du dir ins eigene Fleisch schneiden? Loon Cove Lumber schreibt jetzt schwarze Zahlen, wenn du aber etwas reparierst, was gar nicht kaputt ist, wird es nicht lange so bleiben. Uns hat die Sache viel gekostet.«

»Also gut, ich werde sie nicht feuern.« Ethan führte die Tasse an den Mund und grinste dahinter. »Es sei denn, sie zwingt mich dazu.«