Kapitel 21

 

 

Val rannte. Ihre Atmung war gleichmäßig, stetig, und sie wusste, dass ihre Lungen nie brennen, ihre Muskeln nie ermüden würden. Ihre Füße flogen über den Waldweg vor ihr, als ob Engel ihr den Weg wiesen.

Die Sonne schien durch die Äste über ihr, erzeugte kleine Flecken von Licht, die sie durchquerte und um die sie herumlief. Der Duft von Bäumen und frischer Luft erfüllte ihre Lungen. Berauschend und eindringlich.

Renn weiter!

Lauf weiter!

Er wird dir sagen, wann du anhalten sollst.

Ihr langes, graues Kleid wurde von ihren Beinen vor ihr nach vorne geschleudert und bauschte sich dann hinter ihr, während sie zwischen den Bäumen hindurcheilte.

Und dann war der Wald verschwunden, und sie war auf einer Wiese, die mit Blumen in allen Farben des Regenbogens übersät war. Es war fast zu grell.

Manische Farbe.

Die Blumen reichten bis an ihre Schienbeine, die Blüten waren alle geöffnet im idealen Moment des Erblühens, in dem sie voller Leben waren, ohne die geringste Spur des Verwelkens.

Eine leichte Brise zerzauste ihr Haar, ließ die Blumen wogen, und sie fühlte einen Moment der Leichtigkeit. Als könne sie ihre Arme ausbreiten und davonfliegen. Ein Augenblick perfekten Glückes.

Sie hörte Schritte, das Federn von Unterholz als es zertrampelt wurde, und sie drehte sich um und sah einen Mann auf sich zukommen.

Einen unmenschlich schönen Mann. Sie verspürte den Drang, auf ihn zu zu laufen, die Arme um ihn zu schlingen und ihn fest zu umklammern.

Ihn umklammern? Ich bin nicht gerade ein Klammerer.

Sie sah zu, wie er auf sie zukam. Die Brise ergriff sein welliges, schwarzes Haar und blies es ihm in die Stirn. Als ob selbst der Wind ihn berühren wollte. Er trug schwarze Kniehosen und weiße Strumpfhosen und ein strahlend weißes Hemd mit Rüschen an der Vorderseite. Einen schwarzen, eng anliegenden Mantel, der einem Reitermantel ähnelte. Er sah auf, braune Augen, dichte Wimpern, gebräunte Haut, als würde er seine meiste Zeit draußen in der Sonne verbringen — und die Sonne liebte ihn, die Pflanzen liebten ihn. Sogar die Bäume neigten sich ihm entgegen. Wenn Lucas der Tod war, war er das Leben.

Wer ist er?

Der Wind seufzte die Antwort, trug sie ihr in sanftem Tonfall zu, leicht und traurig — Cerdewellyn.

Er hielt neben ihr an, und sie sah auf zu seinem dunklen Blick, seine Augen hatten die Farbe nasser Erde. Seine Lippen waren voll, sein Kiefer markant. Sein Aussehen hatte etwas Römisches an sich, was ein wenig eigenartig wirkte.

„Ich dachte, die Fey wären irisch?“

„Wir haben woanders angefangen. Die Fey. Wir haben im Laufe der Jahrhunderte viele Ausprägungen gehabt. Viele Orte, an denen wir lebten.“ Als er sprach, klang er, als käme er aus Europa, irgendwo zwischen dem Osten und dem Westen, aber letztlich nicht irisch.

Sie nickte, als verstünde sie.

„Wo kommen die hier her?“, fragte ihn Val, während sie auf ihre Hände und die Blumen, die sie fest umklammert hielt, hinabsah. Sie hatte sie geistesabwesend gepflückt. Sie war gerannt und gerannt, bis ihr eine Blume ins Auge sprang und sie sich gezwungen sah, sie zu nehmen.

Er lächelte sie an, ein Lächeln mit geschlossenen Lippen, als wäre er zugleich  nachsichtig und geheimnisvoll. „Ihr habt sie gesammelt. Ihr habt fünf. Es sind noch sieben übrig.“ Er streckte die Hand aus.

Sie gab sie ihm ohne zu zögern.

„Ihr macht gute Fortschritte, und ich danke Euch. Kommt jetzt her!“

„Warum?“, fragte Val, obwohl sie sich schon auf ihn zu bewegte.

„Das hier ist ein Geheimnis. Es ist unser Geheimnis. Versteht Ihr?“

„Ja.“ Nein.

„Und daher muss ich sichergehen, dass es ein Geheimnis bleibt.“

Er berührte sie, streichelte mit einer Hand ihre Wange hinunter. „Vergesst das hier alles, Valerie! Vergesst es, bis wir uns wiedersehen.“

Val öffnete die Augen, begutachtete ihre blutende Hand, die mit Erde bedeckt war und konnte nicht glauben, dass sie ohnmächtig geworden war. Was zum Teufel tat sie bloß, mit Vampiren rumzuhängen, wenn sie beim Anblick von Blut in Ohnmacht fiel?

Sie stand auf und ging zu der Lichtung zurück.

Liebe Ist Furcht
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