16
Mit einem kleinen Lächeln
nahm Isabeau die Tasse Tee, die Mary Winters ihr reichte. »Conner
möchte, dass ich ein Hochzeitskleid auftreibe. Aus irgendeinem
Grund ist ihm das sehr wichtig.«
»Ihnen nicht?«, fragte Mary sanft.
Isabeau starrte in die dampfende Tasse. »Ich will
da kein großes Ding draus machen. Schließlich habe ich nicht einmal
eine Familie. Meine Mutter ist schon so lange tot, dass ich mich
kaum noch an sie erinnern kann, und mein Vater …« Sie verstummte.
Sie hatte niemanden, der sie ihrem Bräutigam zuführen konnte. Ihre
Hochzeit würde im Garten einer Arztpraxis am Rande des Dschungels
stattfinden. Da war ein traditionelles weißes Brautkleid sowieso
nicht angebracht. »Ich glaube, jedes Mädchen träumt davon, an
diesem Tag im Kreis von Freunden und Verwandten von seinem Vater
durch den Mittelgang geführt zu werden.« Isabeau zuckte die
Achseln. »Natürlich möchte ich Conner heiraten, aber ich hatte es
mir ganz anders vorgestellt.«
Mitfühlend tätschelte Mary ihr das Knie. »Nur nicht
den Kopf hängen lassen, Isabeau. Sie machen sich den Tag so,
wie Sie ihn gern hätten. Als Abel mich um meine Hand gebeten hat,
waren wir auch ganz allein. Und heute …«, Mary lächelte warm, »…
heute sind wir mit einer großen Familie und mehreren Enkelkindern
gesegnet. An meinen Hochzeitstag erinnere ich mich, als wäre er
gestern gewesen. Und bei Ihnen soll es bestimmt genauso sein. Ihr
Bräutigam ist sehr aufgeregt. Man sieht ihm an, wie er sich
freut.«
Isabeau lächelte, und ihre Augen strahlten. »Ich
freue mich auch. Deshalb habe ich ja zugestimmt. Aber für Sie ist
es eine Zumutung.«
»Haben Sie Marisa gekannt?«, fragte Mary, während
sie ihre Tasse vorsichtig auf der weißen Spitzentischdecke
abstellte.
Isabeau nickte. »Ich habe sie vor einiger Zeit
kennengelernt, kurz bevor sie umgebracht wurde. Wir waren gut
befreundet. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass Conner
ihr Sohn ist.«
»Aber sie wusste, dass Sie Conners Gefährtin sind«,
sagte Mary. »Das kann ich Ihnen sagen, weil ich es bei meinen
Söhnen auch immer gemerkt habe. In dieser Hinsicht haben Mütter
einen sechsten Sinn.«
»Ich hoffe, dass sie es wusste. Und dass sie nichts
dagegen hatte.«
»Marisa war ein lieber Mensch. Der Mann, den sie
geheiratet hat, als sie noch jung und naiv war, war nicht ihr
wahrer Gefährte, trotzdem hat sie sich ihm gegenüber stets loyal
verhalten und das, obwohl er sie so schlecht behandelt hat. Sie hat
ihren Sohn zu einem guten Menschen erzogen, und den Jungen, den sie
angenommen hat …« Als Isabeau erstaunt nach Luft schnappte,
unterbrach sie sich.
Mary nickte. »Ja, meine Liebe, wir wussten Bescheid
über den kleinen Mateo. Marisa hat ihn hergebracht, als sie einen
Arzt für ihn brauchte. Sie war eine gute Frau, und sie wäre sehr
glücklich gewesen, dass Sie das Leben ihres Sohnes teilen wollen.
Das weiß ich genau.«
»Sie sind sehr freundlich«, erwiderte
Isabeau.
»Marisa war eine sehr gute Freundin von mir. Sie
würde wollen, dass ich Ihnen helfe, Isabeau. Und das täte ich auch
gern, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich hatte nie eine Tochter –
nur Söhne. Glücklicherweise mag ich meine Schwiegertöchter, doch
sie haben eigene Eltern, die für solche Dinge wie Hochzeiten
zuständig sind. Marisa und ich haben oft darüber gesprochen, dass
wir beide es uns als Mütter gewünscht hätten, einmal einen
wundervollen Tag für eine Tochter auszurichten. Sie hatte auch nur
einen Sohn, daher hat sie ihre Hoffnungen auf Conners Frau gesetzt
– auf Sie. Marisa ist nicht mehr bei uns, aber vielleicht erlauben
Sie es mir, unsere Träume wahrzumachen.«
Isabeau konnte kaum sprechen vor Rührung. Tränen
brannten in ihren Augen, und sie musste sich fest auf die Lippe
beißen, um ein Schluchzen zu unterdrücken. »Ich weiß nicht, was ich
dazu sagen soll. Sie geben mir das Gefühl, dass alles machbar
ist.«
Marys Gesicht leuchtete auf. »Stimmt doch auch.
Zufällig habe ich noch diese Truhe, in denen wir ein paar Schätze
finden könnten.« Abschätzend musterte Mary Isabeau, dann zog sie
sie vom Stuhl und bedeutete ihr, sich im Kreis zu drehen. »Ja, ich
denke, das könnte klappen, und wenn nicht, nun, ich bin recht
geschickt mit der Nähmaschine. Lassen Sie mich vorher nur noch ein
wenig telefonieren. Ich habe ein paar Freundinnen, die uns helfen
werden.«
»Wahrscheinlich sieht Conner es nicht gern, wenn
Fremde
ins Haus kommen, insbesondere da es Jeremiah so schlechtgeht«, gab
Isabeau zögernd zu bedenken.
»Jeremiah ist schon auf dem Weg der Besserung.
Sehen Sie ruhig mal nach ihm und sagen Sie Ihrem Bräutigam, was ich
vorhabe. Erklären Sie ihm, dass Abel und ich die Leute, die ich
anrufe, schon seit mehr als zwanzig Jahren kennen. Ich habe
tausenderlei Dinge zu tun. Gehen Sie und überzeugen Sie sich, dass
es Ihrem Freund bessergeht, und dann kommen Sie wieder
zurück.«
Isabeaus Herz begann, aufgeregt zu klopfen. Zum
ersten Mal hatte sie ein wenig Hoffnung, dass es doch noch eine
Chance gab, diesen besonderen Tag unvergesslich zu gestalten.
Wahrscheinlich, weil sie nun jemanden hatte, mit dem sie ihre
Vorfreude teilen konnte, jemanden, mit dem sie über das
bevorstehende Ereignis reden konnte. Conner hatte Rio und die
anderen, sogar Doc, aber sie kannte die Männer noch nicht so gut.
Mary gab ihr das Gefühl, viel Aufhebens um sie zu machen. Sie
wollte ihr nicht nur bei den Vorbereitungen helfen, Mary schien
sich sogar richtig darauf zu freuen.
Isabeau nickte folgsam und ging quer durchs Haus zu
dem rückwärtigen Zimmer, in dem Jeremiah untergebracht war. Der
Junge lag im Bett. Conner und Rio waren bei ihm. Jeremiah sah blass
aus und hatte Kratz- und Bisswunden am ganzen Körper. Er hing an
einem Infusionsschlauch, durch den Antibiotika in seinen Arm
tropften.
»Wie geht es ihm?«, fragte Isabeau.
Conner schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie
ans Bett. »Er kämpft gegen eine Entzündung, aber Doc sagt, er
schafft es. Für den Rest seines Lebens wird er eine sehr
interessante Stimme haben.«
Rio seufzte. »Ich hätte ihn nicht mitnehmen dürfen.
Er war noch nicht so weit.«
»Ich denke, er hätte sich nicht abhalten lassen«,
meinte Isabeau. »Hauptsächlich, weil er sich Vorwürfe machte, dass
er auf Suma hereingefallen ist. Er hatte das Bedürfnis, diesen
Fehler wiedergutzumachen, um seinet- und vielleicht auch um
meinetwillen. Er wäre euch bestimmt gefolgt.«
»Er hat sich gut gehalten«, bemerkte Conner. »Er
ist trotz des Angriffs nicht in Panik geraten, sondern hat sich auf
seine ursprüngliche Aufgabe besonnen und versucht, uns den Rücken
freizuhalten. Suma war ein erfahrener Kämpfer, ein harter Brocken,
selbst für mich. Isabeau hat ihn erschießen müssen, weißt du noch?
Ich habe ihm nur den Rest gegeben.«
»Du wärst schon mit ihm fertiggeworden«, sagte Rio,
»es hätte uns nur zu viel Zeit gekostet.«
»Ich glaube, nach dieser Geschichte ist Ottila
gefährlicher als je zuvor«, warf Isabeau zögernd ein. »Es schien
immer so, als hätte Suma das Sagen, doch nach meinem
Aufeinandertreffen mit Ottila glaube ich das nicht mehr. Ich denke,
er war der Boss. Und sein wichtigstes Ziel wird ab sofort wohl
sein, Suma zu rächen.«
Conner schüttelte den Kopf. »Nein, sein wichtigstes
Ziel bist du.«
Sie runzelte die Stirn. »Suma und Ottila waren wie
Brüder. Er hat mir erzählt, dass sie …« Isabeau biss sich auf die
Lippe, doch dann zwang sie sich, fortzufahren, auch wenn es ihr
peinlich war. »Dass sie sich immer alles geteilt haben – auch die
Frauen. Jedenfalls wollte er mich mit Suma teilen, obwohl er
behauptet hat, ich würde sein Kind austragen.«
»Das allein zeigt schon, wer der Dominante war«,
sagte
Rio. »Dazu hätte Ottila sie während der Brunst nehmen müssen und
Suma nicht an sie heranlassen dürfen, damit er sicher sein konnte,
dass sie sein Kind bekommt. Sie hat Recht, Conner, Ottila war
derjenige, der bestimmte, nicht Suma.«
»Und wir wissen, dass beide Imelda gegenüber nicht
loyal waren«, fügte Conner hinzu. »Sonst hätten sie ihr verraten,
dass Philip Sobre ihre Besprechungen aufzeichnete. Ich schätze, sie
haben Sobre dazu gedrängt. Wahrscheinlich hat Ottila Suma zu Sobre
geschickt, um einen Plan auszuhecken. Sie würden angeblich für
Imelda, in Wahrheit aber für ihn arbeiten. Anschließend haben sie
ihm sicher vorgeschlagen den Raum abzuhören, und ihn sogar dabei
beraten. Sobre ist nicht gerade der intelligenteste Mensch auf der
Welt.«
»War nicht der intelligenteste Mensch auf der
Welt«, korrigierte Rio. »Hast du heute Morgen schon Zeitung
gelesen?«
Hinter den Wimpern versteckt, warf Isabeau Conner
einen raschen Blick zu. Sie hatten sich weder mit Zeitung noch mit
irgendetwas anderem beschäftigt – außer miteinander. Sie konnte gar
nicht zählen, wie oft er sie geweckt hatte, und trotzdem war er,
als die Morgendämmerung das Zimmer erhellte, schon wieder in ihr.
Isabeau war nicht ganz sicher, ob sie noch normal gehen konnte,
denn sie war ein wenig wund.
»Philip Sobre wurde ermordet aufgefunden. Er hing
in einem Schrank, die Eingeweide um die aufgeschlitzte Kehle
gewickelt, die Zunge durch den Schnitt gezogen – die als
›kolumbianisches Halstuch‹ bekannte Hinrichtungsmethode. Offenbar
ist er schwer gefoltert worden. Die Party wurde
auch erwähnt, doch als die Gäste gegangen sind, hat Philip ihnen
von der Tür aus nachgewinkt und die Damen, sogar Imelda, auf beide
Wangen geküsst«, erläuterte Rio. »Das beweisen die
Überwachungskameras.«
Isabeau presste eine Hand auf den Bauch. »Das ist
einfach pervers. Hat Imelda das getan?«
»Den Zeitungsberichten zufolge war sie am Boden
zerstört. Philip Sobre, ihr ehemaliger Liebhaber, sei nach wie vor
ein wunderbarer, enger Freund gewesen. Sie werde ihn schrecklich
vermissen und seinen Mörder gnadenlos verfolgen. Sie hat direkt in
die Kamera gesehen und sehr glaubwürdig gewirkt, als sie diese Lüge
verzapft hat. Zu den Entdeckungen in Philips Garten hat sie sich
nicht geäußert«, fügte Rio hinzu.
Isabeau rang hörbar Luft. »Was ist denn gefunden
worden?«
»Leichen. Bislang mehr als dreißig, von Frauen und
Männern. Man vermutet, dass Philip Sobre der schlimmste
Massenmörder in der Geschichte des Landes sein könnte«, antwortete
Rio.
»Ich glaube, in Panama hat es nur ein oder zwei
Leute gegeben, denen je mehrere Morde zur Last gelegt wurden«,
sagte Conner. »Das dürfte für die Polizei höchst unangenehm werden,
nachdem so viele höhere Beamte bei Philip ein und aus
gingen.«
»Was für ein Aufruhr. Wahrscheinlich wollte Imelda
einfach nicht länger warten«, meinte Rio. »Ich schätze, auf der
Suche nach den Videobändern hat sie das ganze Haus auf den Kopf
stellen lassen. Mittlerweile werden alle Beweise gegen sie zerstört
sein.«
Isabeau wurde heiß und unbehaglich, ihr Kiefer
schmerzte,
als hätte er einen Schlag abbekommen. Selbst ihre Zähne taten weh.
Diese Unterhaltung machte sie krank.
»Schon möglich«, erwiderte Conner, »doch wenn es
Ottila war, der Sobre die Idee mit dem Abhören in den Kopf gesetzt
hat, kann es gut sein, dass die Bänder irgendwo versteckt worden
sind. Und wenn Ottila auch derjenige war, der das Haus durchsucht
hat, hatte er keinen Grund, sie zu finden. Imelda ahnt nicht, dass
er sie hintergeht.«
»Warum bin ich sein wichtigstes Ziel?«, fragte
Isabeau. »Ist Ottila nicht in erster Linie an Geld interessiert?«
Völlig überraschend kamen ihr die Tränen, und sie musste heftig
blinzeln, um sie zu unterdrücken.
»Einem Leoparden ohne Gefährtin fällt es schwer,
einem Weibchen kurz vor dem Han Vol Don zu widerstehen. Dann siegt
der Fortpflanzungstrieb über jede Vernunft. Du hast eine chemische
Substanz in seinen Blutstrom gebracht. Er ist wie im Fieber. Er
muss dich suchen«, sagte Rio.
Isabeau stockte der Atem. Dann sah sie Conner an.
»War es bei dir auch so?«, wollte sie wissen. Mit den Fingerspitzen
zeichnete sie die Narben auf seiner Wange nach. »Nachdem ich dir
das angetan hatte?«
Er nahm ihre Hand und legte sie auf sein Herz. »Ja,
aber ich habe mich nicht deshalb in dich verliebt. Ich war längst
nicht mehr zu retten, als du mich gezeichnet hast.«
»Setzen die Krallen immer diese Substanz frei?«
Eine Welle von Hitze erfasste sie und brachte sie ins Schwitzen.
Vielleicht bekam sie auch Fieber von den Kratzern auf ihrem Arm,
trotz der Spritze.
Conner schüttelte den Kopf. »Nein, normalerweise
nur, wenn die Katze es darauf anlegt. Deine Leopardin hatte sicher
mehrere Gründe, mich zu zeichnen: Weil du – zu
Recht übrigens – wütend auf mich warst, weil wir Gefährten sind
und weil wir uns verliebt hatten.«
»Und was war bei Ottila?« Isabeau gelang es nicht,
ihre Scham und Reue zu verbergen.
»Deine Katze ist rollig und kurz vor ihrem
Erscheinen. Sie kann sich nicht mehr kontrollieren, und du kannst
es auch nicht. Das ist ein Lernprozess. Die meisten unserer Frauen
haben den Vorteil, dass ihre Eltern ihnen von klein auf beibringen,
wie sie mit ihren animalischen Instinkten umgehen müssen. Du
wusstest nicht einmal, dass du zu uns gehörst.« Conner zog Isabeaus
Hand an seine Lippen, knabberte an ihren Fingern und sah ihr tief
in die Augen. »Mach dir keine Sorgen, Isabeau. Ich werde auch mit
Ottila fertig.«
Sie war sich nicht so sicher. Conner wirkte
unbesiegbar, außerdem war er sehr selbstbewusst und erfahren, aber
Ottila hatte etwas Furchteinflößendes an sich. Ihr Herz schlug
heftiger bei dem Gedanken, dass er Conner nachstellte – und ihr.
Sie fühlte sich so unruhig und nervös, dass sie nicht stillstehen
konnte.
Isabeau befeuchtete ihre Unterlippe, nickte kurz
und wechselte das Thema. »Mary will mir bei den
Hochzeitsvorbereitungen helfen. Sie ruft gerade ein paar
Freundinnen an, und lässt dir ausrichten, dass sie diese Leute
schon seit über zwanzig Jahren kennt, bevor du protestierst.«
Als Conner die Freude in ihren Augen sah, verkniff
er sich seine Einwände. Über ihren Kopf hinweg wechselte er einen
Blick mit Rio. Der zuckte nur lächelnd die Achseln. Es war ihr
Hochzeitstag; sie mussten einfach wachsam sein.
»Du kennst doch den Arzt und seine Frau«, sagte
Rio. »Wir haben ihnen bereits Jeremiah anvertraut.«
»Doc möchte sichergehen, dass du alle nötigen
Impfungen
und Tests hinter dir hast. Bei Leopardenmenschen ist das Heiraten
sehr leicht, aber ich möchte rechtsgültig verheiratet sein. Die
amtlichen Papiere habe ich bereits ausgefüllt. Zufällig hat der
Doktor einen Freund, der hier Richter ist. Und er weiß, dass er die
Hochzeit erst registrieren lassen kann, wenn alles vorüber ist. Da
er Imeldas Ruf kennt, hat er nichts dagegen, beim Datum ein wenig
zu tricksen, aber er hat mir versichert, dass unser Eheversprechen
legal und bindend ist. Meine Geburtsurkunde zu beschaffen war kein
Problem, nach deiner suchen wir noch. Der Richter hat uns sehr
geholfen. Du musst noch eine Erklärung unterschreiben, die besagt,
dass du nicht verheiratet bist.«
Isabeau sah ihn finster an. »Das hast du alles
schon vorbereitet?« Aus irgendeinem Grund war sie böse auf ihn. Sie
verstand ihre Stimmungsschwankungen selbst nicht.
»Ich lasse dich nie mehr gehen.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl sie ihm am
liebsten schon wieder ins Gesicht gesprungen wäre. Sie hasste sich
selbst für ihre unberechenbaren Gefühle, daher tätschelte sie nur
noch kurz Jeremiahs Schulter und verließ dann das Zimmer.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Mary«, kam
sie jammernd in die Küche und rieb sich dabei die Arme. »Ich bin
ganz durcheinander. Conner hat mir gerade erzählt, was er alles in
die Wege geleitet hat, damit unsere Hochzeit rechtskräftig wird,
und urplötzlich hatte ich den verrückten Wunsch zu weinen.« Isabeau
seufzte beschämt und ging zum Fenster. »Mich juckt es derartig,
dass ich aus der Haut fahren möchte. Und meine Gefühle sind völlig
außer Kontrolle. Mal bin ich himmelhoch jauchzend, dann wieder zu
Tode betrübt. Ist das bei jeder Braut am Hochzeitstag so?«
Mary, die gerade Kuchenteig in einer Schüssel
anrührte, drehte sich zu ihr um und betrachtete sie prüfend. »Wenn
die Braut kurz vor dem Han Vol Don steht, würde ich sagen, ja,
diese überschwänglichen Emotionen sind normal. Die typischen
Anzeichen. Isabeau, hat dir denn jemand erklärt, was dich da
erwartet?«
»Ich weiß nur, dass meine Katze ein Flittchen
ist.«
Mary lachte. »Wenn sie rollig sind, sind alle
Katzen Flittchen. Und nur in dieser Zeit lässt dein Gefährte dich
flirten. Unsere Männer sind sehr eifersüchtig.« Wieder lachte sie,
und schaute dann durch die offene Tür ins Behandlungszimmer, aus
dem die leise Stimme des Doktors drang. »Sogar die alten«, sagte
sie in liebevollem Ton. »Der Dummkopf findet mich immer noch
attraktiv, trotz des verwelkten Körpers.«
»Aber Sie sind doch gar nicht alt, Mary.«
»Ich bin einundsiebzig, Kind. Ich sehe zwar jünger
aus, aber ich bin längst nicht mehr so beweglich wie früher.« Mary
ließ den Teig in eine Kuchenform rinnen und kratzte sorgfältig die
letzten Reste aus der Schüssel. »Und was die Verwandlung
anbetrifft, das ist eine großartige Erfahrung. Haben Sie Angst
davor?«
»Ich bin nur nervös. Na ja … ein wenig Angst habe
ich schon. Tut es weh?«
»Ein bisschen, weil man alles genau spürt, aber auf
eine angenehme Weise. Wehren Sie sich nicht dagegen. Lassen Sie es
einfach geschehen. Sie werden dabei nicht verschwinden, sondern
voll da sein, nur in einer anderen Gestalt.«
»Wird die Leopardin sich mit ihrem Gefährten paaren
wollen?«
»Oh ja. Und das dürfen Sie nicht verhindern.« Mary
lachte
und bekam einen verträumten Gesichtsausdruck. »Danach werden Sie
noch wilder auf Ihren Mann sein.«
»Kaum zu glauben«, murmelte Isabeau. »Ich bin jetzt
schon ziemlich wild auf ihn, und er weiß es.«
»Sonst wäre er ja kein Leopard, Süße«, erwiderte
Mary. Sie schob den Kuchen in den Ofen, trat zurück und wischte
sich die Hände ab. »Kommen Sie, lassen Sie uns in die Schatzkiste
schauen. Mal sehen, was wir finden können.«
Isabeaus Herz machte einen Satz. Was sie auch
entdecken würden, auf gar keinen Fall wollte sie Marys Gefühle
verletzen. Die Frau war so nett zu ihr. Isabeau spürte, dass ihre
Katze ganz nah war; wie sich das Tier genüsslich schnurrend
streckte und dehnte. Sie registrierte, dass ihre Brüste spannten
und ihre Jeans beim Gehen zwischen den Beinen scheuerte. Noch nicht. Ich bin nicht besonders gut auf dich zu
sprechen, warnte sie die Leopardin.
Die Katze war offenbar wenig beeindruckt. Isabeau
hatte das Gefühl, sie müsse sich auf den Boden werfen und sich
wälzen. Das Verlangen nach Conner wurde immer schlimmer. Auch das
Brennen zwischen ihren Beinen nahm mit jedem Schritt zu.
»Wir haben 1958 geheiratet, und für die damalige
Zeit war mein Hochzeitskleid sehr gewagt. Ich musste es mir selbst
schneidern, es gab noch nichts zu kaufen. Doc kam aus einem anderen
Dorf. In meiner Stadt haben viele mich schief angesehen, denn ich
habe mich gern amüsiert und Traditionen waren mir piepegal.«
Lachend stieg Mary die Treppe zum Dachboden hinauf und öffnete die
Tür. »Eine Freundin hat das Kleid für mich entworfen und es
eigentlich auch genäht. Sie ist all diese Jahre meine beste
Freundin geblieben und lebt gleich unten an der Straße. Zu ihrer
Zeit
war sie eine wunderbare Designerin, die Maßstäbe setzte. In meinen
Augen steht dieses Kleid für Abenteuer, unsterbliche Liebe und
alles, was romantisch und magisch ist.«
Mary warf Isabeau einen Schulterblick zu. »Als ich
Doc geheiratet habe, habe ich ihn von ganzem Herzen geliebt, doch
jetzt liebe ich ihn noch tausendmal mehr. Es wäre mir eine Ehre,
wenn Sie dieses Kleid tragen und es vielleicht eines Tages an Ihre
Tochter weiterreichen. Jedes Mal, wenn eine neue Methode zur
Konservierung von Stoffen gefunden wurde, habe ich mein Kleid
entsprechend behandelt. Deshalb ist es heute noch so schön wie vor
zweiundfünfzig Jahren.«
Sie kniete sich vor eine Truhe aus Zedernholz und
hob vorsichtig den Deckel an. Ehrfürchtig nahm sie verschiedene
Dinge heraus, bis sie auf eine große versiegelte Schachtel stieß.
Isabeau hielt den Atem an, als Mary das Siegel erbrach und das
Kleid herauszog.
»Mary«, hauchte Isabeau, während sie es bewundernd
betrachtete.
Das Kleid war champagner- und elfenbeinfarben,
nicht im traditionellen Reinweiß gehalten. Das eng anliegende
Oberteil ging über in einen schmalen, seidigen Rock, der glatt
herunterfiel und mit belgischer Spitze gesäumt war.
»Damals waren weite Röcke und ganz viel Spitze in
Mode. Aber das passte weder zu meinem Charakter noch zu meiner
Figur, daher hat Ruth nur unten feinste Spitze angeheftet, und den
Rest schlicht gehalten. An der Büste sind Perlen aufgestickt.
Früher haben nur wenige Modeschöpfer mit Perlen gearbeitet, aber
bei Ruths Entwürfen haben sie immer eine Rolle gespielt. Dass das
Kleid keine Träger hatte, war natürlich sehr gewagt. Manche
Designer machten
zwar so etwas, bedeckten dann aber die Schultern mit einer kleinen
Jacke oder einem Spitzenschal, damit die Braut in der Kirche
korrekt angezogen war.«
Isabeau lachte. »Mary, Sie waren ja eine
Rebellin.«
»Damals schenkte man Ruths Modellen noch keine
große Beachtung. Man sagte ihr, sie würde es nie zu etwas bringen.
Nur Männer durften ein eigenes Geschäft haben. Frauen sollten zu
Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Das hat mich wütend
gemacht. Deshalb habe ich sie gebeten, etwas für mich zu entwerfen,
und unsere Freunde haben geholfen, die erforderlichen Materialien
aufzutreiben. Wir mussten uns alles schicken lassen, das war sehr
teuer. Heute würde man über die Summe lachen, aber zu jener Zeit
war es eine schöne Stange Geld, die wir in unserer Situation nicht
so leicht aufbringen konnten.«
»Sie waren eine Sensation, nicht wahr?«
Mary grinste Isabeau an. »Doc konnte die Augen gar
nicht mehr abwenden. Die Satinrüsche hat meine Taille unglaublich
schmal wirken lassen. Ich glaube, ich habe wie eine Prinzessin
ausgesehen.«
»Wer würde das nicht in einem so wunderschönen
Kleid?«
»Schauen Sie sich mal die Rückseite an. Die Knöpfe
liebe ich besonders.«
Vorsichtig drehte Isabeau das Kleid herum. Eine
Reihe von winzigen Satinknöpfen zog sich über den ganzen Rücken bis
hinunter zur kleinen Schleppe.
»Zuerst wollte Ruthie sie an der Taille enden
lassen, aber dann hatte sie die Idee, die Silhouette zu betonen,
deshalb reichen sie nun bis zum Saum. Nur damit Sie es wissen, das
macht das Sitzen nicht gerade angenehm. Man muss das
Kleid genau zurechtrücken, aber es ist so schön, dass es einem
nichts ausmacht.«
»Es ist wirklich wunderschön.« Isabeau musste die
Tränen zurückhalten. »Aber was ist, wenn es mir nicht passt?«
»Keine Bange. Wenn es sein muss, kann ich es immer
noch etwas anhalten oder auslassen, aber ich glaube, Sie haben
beinahe die gleiche Figur wie ich damals. Außerdem ist Ruthie
unterwegs, um uns zu helfen; also falls ich nicht weiterweiß, fällt
ihr etwas ein, glauben Sie mir.«
Isabeau runzelte die Stirn, ihr war ein Gedanke
gekommen. »Reden Sie etwa von Ruth Ann Gobel, der berühmten
Designerin?«
Mary lachte. »Ganz genau. Ruthie wird begeistert
sein, dass Sie ihren Namen kennen. In den letzten Jahren sind ihre
Kleider sehr gefragt, sie gelten mittlerweile als klassisch. Am
Anfang konnte sie kaum davon leben.«
»Mary, dieses Kleid ist ein Vermögen wert. Wenn es
sich wirklich um das erste Kleid handelt, dass Ihre Freundin
entworfen und geschneidert hat, ist es, besonders in diesem guten
Zustand, unbezahlbar. Ich kann nicht zulassen …«
Mary tätschelte Isabeaus Hand. »Ich bestehe darauf.
Soll es für immer in einer Schachtel liegen? Es ist dafür gemacht,
getragen zu werden, als etwas Besonderes, in dem eine Frau sich
wunderschön fühlt. Wenn Sie heute dieses Kleid anziehen, machen Sie
zwei alte Frauen sehr glücklich.«
Mary war eine sehr schlanke, zierliche Frau mit
mittlerweile grauem Haar, doch ihre Augen strahlten und die wenigen
Runzeln, die sie hatte, wirkten eher wie Lachfalten. Ihre Figur,
die Haut und das liebenswürdige Lächeln machten sie in Isabeaus
Augen zu einer zeitlosen Schönheit. Vielleicht lag es aber auch an
Marys positiver Ausstrahlung.
»Sind Sie absolut sicher?« Isabeau befürchtete,
dass Mary nicht ganz klar war, was für einen Schatz sie besaß. »Es
könnte doch sein, dass eine Enkelin …«
Mary schüttelte den Kopf. »Ich tue es für Marisa.
Ich möchte das tun. Wir haben so viele
Stunden darüber geredet und Pläne geschmiedet, dass ich es auch für
meine Freundin tue. Und Ruthie hat sich so gefreut, als ich ihr
erzählt habe, dass Sie das Kleid eventuell tragen.«
Conners Mutter hatte offenbar viele Herzen berührt.
Eine außergewöhnliche Frau, und sie hatte einen ebenso
außergewöhnlichen Sohn großgezogen. Isabeau war es etwas peinlich,
dass sie von Marisas Freundschaft mit Mary profitierte.
»Ich danke Ihnen, Mary. Ich nehme Ihr Angebot
liebend gern an.«
»Dann probieren Sie das Kleid.«
Sie konnte es kaum erwarten. Mit einem Mal fand sie
ihren Hochzeitstag sehr aufregend. Sie würde weder Jeans noch
Tanktop tragen, sondern das erste Kleid, das die berühmte
Designerin Ruth Ann Gobel je hergestellt hatte. Sie fühlte sich wie
im Märchen.
Mary führte sie durch das Haus zu einem leeren
Gästezimmer. Isabeau war äußerst vorsichtig, sie hatte Angst, das
Kleid zu zerreißen. Der Stoff fühlte sich an, als hätte er ein
Eigenleben. Sie zog sich aus, stieg in das Kleid, streifte es
behutsam über die Hüften und hielt es vor dem Busen fest. In dem
Augenblick, in dem Mary begann, die Knöpfe im Rücken zu schließen,
wusste Isabeau: es saß wie angegossen, als wäre es ihr auf den Leib
geschneidert. Seine Geschichte machte das Kleid zu etwas ganz
Besonderem.
Sehr langsam, beinahe ohne zu atmen, drehte sie
sich zu
Mary um. Sie fühlte sich zauberhaft, wunderschön, außergewöhnlich,
dabei hatte sie sich noch nicht einmal selbst gesehen. Marys Augen
begannen zu glänzen und sie blinzelte, um die Tränen
zurückzuhalten.
»Oh, meine Liebe, ich danke Ihnen für diesen
Augenblick. Sie sehen umwerfend aus. Ich habe geahnt, dass es mir
so vorkommen würde, als hätte ich eine Tochter, und ich hatte
Recht. Sehen Sie sich an.«
Mary drehte den bodentiefen Spiegel auf dem
Holzständer so, dass Isabeau sich betrachten konnte. Ihr
Spiegelbild hielt die Luft an und drückte beide Hände auf den Mund.
»Bin ich das wirklich?«
Mary fuhr ihr mit der Hand durchs Haar. »Sie sind
wunderschön. Ich denke, Ihr Bräutigam wird sich freuen, dass er auf
einer richtigen Hochzeitszeremonie bestanden hat.«
Isabeau strich über den seidigen Stoff. »Bitte
sagen Sie ihm nichts von unserem Geheimnis.« In diesem Kleid fühlte
sie sich nicht nur sehr romantisch und schön, sondern sexy. Richtig
sexy. Beinahe verrucht. Vielleicht hatte Ruth Ann Gobel tatsächlich
einen Zauber hineingewoben, wie einige Zeitungen gern behaupteten,
wenn sie über ihr Werk berichteten. Angeblich überkam die Frauen in
ihren Modellen irgendwie ein anderes Körpergefühl. Isabeau konnte
das bestätigen.
»Oh, Mary!«, flötete es von der Tür her. Überrascht
drehte Isabeau sich um und entdeckte eine fremde Frau. Sie schien
älter zu sein als Mary, und auch etwas fülliger, aber sie hatte
freundliche Augen, die im Moment hingerissen auf Isabeau ruhten.
»Das ist also unsere junge Braut. Isabeau Chandler? Ich bin Ruth
Ann Gobel. Mary hat mir erzählt,
dass vielleicht ein paar Änderungen gemacht werden müssen, aber
ich wüsste nicht, wo. Lassen Sie mal sehen.«
In den nächsten zwei Stunden wurde Isabeau hin- und
hergedreht und mit Nadeln gepiekst und gestochen. Dann wurde ihr
als Vorbereitung auf ein »Styling«, das Mary und Ruth für notwendig
hielten, um ihren Auftritt perfekt zu machen, das Haar gewaschen
und getrocknet. Anschließend widmeten die beiden sich mit
erstaunlichem Elan der Verzierung des Kuchens, während nach und
nach immer mehr Frauen mit neuen selbst gemachten Köstlichkeiten
eintrudelten.
»Setzen Sie sich doch auf die hintere Veranda und
trinken Sie einen Tee mit Ihrem Mann. Wir haben ihm Obst, Cracker
und Käse nach draußen gebracht, und Sie müssen etwas essen«, meinte
Mary. »Ihr habt noch ein paar Stunden Zeit, ehe die anderen
auftauchen.«
Isabeau ließ den Blick über die in der Küche
versammelten Frauen gleiten. »Kommen denn noch mehr?«
»Das ganze Tal, meine Liebe«, sagte Mary freundlich
lächelnd. »Schließlich gibt es einen Grund zum Feiern. Und da wir
alle über sechzig sind, freut uns jede Abwechslung. So eine
Gelegenheit lässt sich keiner entgehen.«
Isabeau schüttelte den Kopf. Conner hatte sicher
keine Ahnung, was er mit seinem plötzlichen Heiratsantrag
angerichtet hatte. Sie fühlte sich bereits so benommen von dem
Stimmengewirr ringsum, dass die Worte miteinander verschwammen und
es in ihrem Kopf nur noch rauschte. Sie sehnte sich nach Conner.
Nach Freiheit. Und danach, dass ihre Katze endlich zum Vorschein
kam.
Isabeau kratzte sich leicht über den Arm.
Wenigstens hatten die Frauen es fertiggebracht, dass sie eine Zeit
lang
nicht mehr an ihre Leopardin gedacht hatte, doch nach einer Weile
machte die Nähe so vieler anderer weiblicher Wesen – auch wenn sie
ihr den Gefährten gar nicht streitig machen wollten – ihre
Leopardin nervös. Seufzend schlenderte Isabeau zur hinteren
Veranda, blieb aber abrupt stehen, als sie sah, dass Conner mit Rio
zusammensaß. Ein bodenlanges Tischtuch mit fröhlichem rot-weißen
Muster bedeckte den runden Tisch zwischen ihnen, auf dem eine nicht
angezündete Kerze, eine Schale mit Himbeeren, Erdbeeren, Crackern
und Käse, ein Krug mit Limonade und einer mit Eistee standen. Die
Damen hatten die beiden gut versorgt.
Mit halbgeschlossenen Augen betrachtete sie Conner,
die breiten Schultern, die kräftigen Muskeln an Brust und Armen,
das feste Kinn, die gerade Nase und die vier Narben, die ihn nur
noch männlicher wirken ließen. Ihr ganzer Körper reagierte auf
seinen Anblick, und Isabeau kam ein äußerst gewagter und
verführerischer Gedanke. Sie näherte sich ihm von hinten und beugte
sich absichtlich so über seine Schulter, dass ihre prallen Brüste
sich an ihn drückten. Sofort prickelten ihre Nippel vor Erregung.
Ihr Kopf war auf gleicher Höhe mit seinem, ihr Mund nah an seiner
Wange, und ihr warmer Atem streifte seinen Hals, als sie die Lippen
an sein Ohr legte. »Ich wünschte, wir wären allein.«
Sie spürte den kleinen Schauer, der ihn
durchrieselte und das leichte Ansteigen seiner Temperatur.
Zufrieden lächelnd setzte sie sich dicht neben ihm auf einen Stuhl,
den sie so nah an den Tisch zog, dass das Tischtuch ihre Beine
verdeckte. Wenn sie schon leiden musste, sollte es ihm auch nicht
besser ergehen.
Isabeau nahm eine Erdbeere vom Teller, biss ein
Stück ab und ließ den Saft auf ihren Lippen glänzen, während sie
Conner im Auge behielt. Als er seine Position veränderte, weil
seine Jeans zu spannen begann, hätte sie fast genüsslich
geschnurrt. Ihr Blick wanderte zu Rio. »Mir ist da gerade noch
etwas eingefallen, obwohl wir alle möglichen Pannen und unsere
Reaktionen darauf eigentlich schon durchgegangen sind …« Sie fuhr
sich mit der Zunge über die Lippen, um den Erdbeersaft zu
entfernen. »Könnt ihr euch noch erinnern, dass Jeremiah erzählt
hat, Suma sei in sein Dorf in Costa Rica gekommen, um mit den
Jugendlichen zu sprechen? Hat irgendjemand Jeremiah gefragt, ob
noch andere Sumas Einladung gefolgt sind?«
Isabeau legte die freie Hand in Conners Schoß,
direkt auf seine stramme Erektion, und ließ sie einfach dort
liegen. Seine Oberschenkelmuskeln spannten sich, und seine ganze
Haltung wurde steif. Sie biss noch einmal in die Erdbeere und
lächelte Rio zu. »Könnte es nicht sein, dass uns in Imeldas Festung
eine ganze Armee von Leoparden erwartet?«
Nachdenklich schob Rio seinen Stuhl zurück. »Daran
hätte ich denken müssen.« Er sah Conner an. »Wir hätten beide daran
denken müssen.«
Conners bestätigendes Krächzen kam etwas stotternd,
denn Isabeau hatte begonnen, die dicke Beule in seiner Hose mit
langsam kreisenden Bewegungen zu streicheln. Er legte eine Hand auf
ihre, drückte sie an sich und hielt sie fest.
»Ich werde ihn fragen, mal sehen, ob ich eine
Antwort bekomme«, meinte Rio und stand auf.
Mit einem kleinen Lächeln sah Isabeau ihm
nach.
»Was glaubst du, was du da tust?«, zischte
Conner.
Isabeau zuckte eine Achsel und schenkte ihm ihr
schönstes Sirenenlächeln. »Ich spiele mit dem Feuer. Das gefällt
mir.«
»Wenn du so weitermachst, musst du gleich unter den
Tisch, um mir etwas Erleichterung zu verschaffen.«
Isabeau schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht.
Diesmal musst du dir etwas einfallen lassen, um mich zu erlösen.
Meine Katze treibt mich in den Wahnsinn.«
Conner lehnte sich zurück, seine Augen waren golden
geworden. »Wirklich? Ärgert sie dich so sehr?« Sein Blick war
feurig.
Flammen leckten über Isabeaus Haut. Sie versuchte,
ihn weiter zu streicheln, doch Conner ließ es nicht zu. Stattdessen
zog er ihre Hand an seine Lippen und knabberte an ihren
Fingerkuppen, bis ihr siedend heiß war.
»Schön zu wissen, dass du dich danach sehnst, mich
in deinem geilen, kleinen Körper zu spüren. Vielleicht sollte ich
dich ein wenig quälen und warten, bis du mich anbettelst.«
Isabeau beugte sich zu ihm hinüber und fuhr mit der
Zungenspitze um sein Ohrläppchen. Dann schabte sie mit den Zähnen
an seinem Hals entlang. »Vielleicht bettelst du ja als
Erster.«
Conner stöhnte leise. »Du machst mich verrückt,
Baby, und das vor all diesen Frauen. Glaub mir, sie beobachten uns
heimlich. Ich kann hören, wie sie tuscheln und lachen.«
»Ich tu ihnen nur einen Gefallen. Sie wollen
wissen, was mein Mann zu bieten hat«, flüsterte Isabeau und biss
ihn sanft ins Ohrläppchen.
»Ich glaube eher, sie wollen wissen, ob ich genug
Kraft habe, den Verführungskünsten einer Katze zu
widerstehen.«
»Oder ob du Manns genug bist, ihre Wünsche zu
erfüllen«, konterte Isabeau.
Conner stand so schnell auf, dass sein Stuhl
hintenüberkippte.
Mit einer einzigen schnellen Bewegung hob er Isabeau hoch und warf
sie über seine Schulter, sodass sie mit dem Kopf nach unten hing.
Eine Hand um ihren Oberschenkel geschlossen, trug er sie, begleitet
vom Gelächter der Gäste, von der Veranda herunter zur
Scheune.
»Was hast du vor?« Isabeau hatte beide Hände in
sein T-Shirt gekrallt und hielt sich fest, während Conner über das
unebene Gelände marschierte.
»Ich werde dir meine Männlichkeit beweisen,
Liebste. Ich möchte nicht, dass meine Braut – oder dieser Haufen
Frauen – meint, ich hätte nicht genug Mumm in den Knochen.«
»Das hat niemand behauptet, du verrückter Leopard,
ich habe doch bloß Spaß gemacht.«
»Ich verstehe keinen Spaß«, erwiderte Conner und
riss die Scheunentür auf. »Aber das mit der Männlichkeit ist kein
Problem für mich.«
Isabeau lachte so sehr, dass sie sich kaum noch
halten konnte. »Lass mich runter, du Neandertaler.«
»Ich bin der Herr des Waldes, ich habe mir nur
meine Gefährtin geholt.«
Plötzlich traten Rio und Doc ihm in den Weg.
»Besser du lässt deine hübsche kleine Beute herunter und
verschwindest, Tarzan.«
Als Conner ausweichen wollte, stellte er fest, dass
Felipe und Marcos sich von links näherten. Felipe schüttelte den
Kopf und schnippte mit den Fingern. »Her mit dem Mädchen, du
Affenmensch.«
Conner knurrte drohend und wandte sich nach rechts,
wo er von Leonardo und Ruth Ann Gobels Ehemann Dan abgefangen
wurde.
Leonardo hob eine Hand. »Das wird nichts, nicht an
ihrem Hochzeitstag. Gib uns unsere Schwester zurück.«
Conner drehte sich um sich selbst, und Isabeau
prustete vor Lachen, während sie langsam von allen Männern
eingekreist wurden. Die meisten waren schon zwischen sechzig und
siebzig, doch sie wirkten recht grimmig und entschlossen.
»Gib sie her«, befahl Doc.
Widerstrebend setzte Conner Isabeau wieder ab,
stellte sich hinter sie und legte einen Arm um ihre Taille.
»Ihr versteht das nicht«, sagte er, als die
Männermeute immer näher kam. »Die Frauen haben an meiner
Männlichkeit gezweifelt. Ich hatte keine andere Wahl.«
Rio winkte Isabeau mit dem Finger. »Komm her,
kleine Schwester.«
Isabeau konnte nicht aufhören zu lachen. Rio
schaffte es zwar, furchteinflößend auszusehen, doch seine Augen und
die der meisten älteren Männer funkelten amüsiert. Leonardo und
Felipe kicherten sogar ganz offen. Während Isabeau so tat, als
wolle sie sich losreißen, legte sie eine Hand auf den Rücken und
fuhr fort, Conners dicke Erektion zu streicheln. »Er lässt mich
nicht gehen.«
»Dann muss ich ihn wohl hinter die Scheune bitten,
damit ich ihm Manieren beibringen kann«, erklärte der Doktor. »Lass
das Mädchen los.«
»Keine Chance, Doc«, erwiderte Conner und drückte
Isabeau enger an sich. Ihre Massage war einfach himmlisch. Er hatte
ganz vergessen, wie es war, Spaß zu haben. Wahrscheinlich war es
allen aus dem Team so gegangen. Erst Abel und Mary hatten sie
wieder daran erinnert, was im Leben wichtig war – die Familie und
die Freunde. Lachen,
Optimismus und Liebe. Und Isabeau liebte er mit jeder Faser.
»Er ist einfach zu stark, Rio«, behauptete Isabeau.
Dann schlang sie einen Arm um Conners Nacken und zog seinen Kopf zu
sich herab.
Isabeaus Lippen waren samtweich, prall und viel zu
verlockend, um ihnen zu widerstehen. Ihr Mund war warm, und ihre
Zunge spielte sinnlich mit seiner. Für einen Augenblick vergaß
Conner ihr Publikum und das alberne Spiel und verlor sich einfach
im Wunder dieses Kusses. Er schmeckte nach Liebe, und das machte
süchtig.
»Heda!«, rief Rio. »Ich glaube fast, du bist
schlimmer als er, kleine Schwester. Lass sie gehen, Conner, oder
ich schleppe dich hinter die Scheune und bläue dir etwas Respekt
ein.«
»In Wahrheit«, erwiderte Conner ohne eine Spur von
Reue, »benehme ich mich sehr respektvoll. Ich versuche nur, euch
und euren Frauen eure Mängel nicht allzu deutlich vor Augen zu
führen. Wenn ich Isabeau nicht bald erlöse, gibt es noch einen
Aufstand.«
Sie wirbelte herum, stieß ihn mit beiden Händen von
sich weg und lief rot an. »Du bist unmöglich.« Die Nase in die Luft
gereckt marschierte sie zu Rio hinüber.
Doc trat ihr in den Weg und nahm sie beim Arm. »Ich
denke, Sie sollten mit mir kommen, junge Dame. Anscheinend muss ich
auf Sie aufpassen.«
Als Isabeau sich noch einmal umschaute, sah sie,
dass die Männer immer näher heranrückten. Aber sie lachten, während
sie Conner drohend umzingelten. Sie hatte das Gefühl, dass ihr
Bräutigam gleich einem alten Ritual unterzogen werden würde, daher
ließ sie sich von dem Doktor
zum Haus zurückführen. Die Frauen hatten sich auf der Veranda
versammelt und amüsierten sich über die Mätzchen der Männer.
Mary schlug mit einem Trockentuch nach Isabeau und
sagte »böses Mädchen«, doch ihre Augen funkelten dabei belustigt.
»Gehen Sie die Papiere unterschreiben, die Abel für Sie hat, und
lassen Sie ihn die letzten Gesundheitsbescheinigungen ausfüllen,
danach nehmen Sie ein schönes heißes Bad. Claudia wird Ihnen das
Haar machen. Sie ist eine wundervolle Friseurin. Leopardenhaar
wächst schnell und dicht, und bei Ihnen ist es noch dazu lockig.
Claudia wird eine wunderschöne Hochsteckfrisur daraus machen
können.«
»Ich bringe Ihnen Ihren Brautschmuck«, sagte eine
andere Frau. »Ich bin Monica, ich habe ihn selbst entworfen. Als
Mary mich anrief und mir erzählte, dass Sie Marisas
Schwiegertochter sind, wusste ich, dass ich die richtige Frau für
mein Prunkstück gefunden habe. Es hat geradezu auf Sie gewartet.
Ich habe es noch nie jemandem gezeigt. Ich habe immer gewusst, dass
es für ein außergewöhnliches Ereignis bestimmt ist. Das ist mein
Hochzeitsgeschenk für Sie.«
Die Frau hielt Isabeau eine Schatulle hin. Darin
lag eine Kette aus Weißgold mit tropfenförmigen Anhängern aus
glitzernden champagnerfarbenen und weißen Diamanten. Die dazu
passenden Ohrringe erinnerten an kleine Tränen. Es war der schönste
Schmuck, den Isabeau je gesehen hatte. Kopfschüttelnd trat sie
einen Schritt zurück. »Das kann ich nicht annehmen.«
Monica lächelte nur. »Ich bin zweiundachtzig,
Isabeau, und ich habe keine Kinder. Ich bin dankbar für die
Gelegenheit, meine Werke jemandem schenken zu können, der sie in
Ehren halten wird.«
Tränen schnürten Isabeau die Kehle zu. Die
Freundlichkeit und Großzügigkeit dieser Menschen war unglaublich.
Sie atmete ganz vorsichtig aus und bemühte sich, nicht zu weinen.
»Dann danke ich Ihnen. Ich werde Sie alle niemals vergessen. Sie
geben mir das Gefühl, als hätte ich eine echte Familie.«
Die Frauen sahen sich lächelnd an. Dann scheuchten
sie Isabeau ins Haus, damit Conner sie nicht mehr zu Gesicht
bekam.