11
Denk daran, nah bei
Elijah zu bleiben, egal, was passiert.« Conner hatte die Hand auf
den Türgriff gelegt, damit Isabeau nicht aus dem Wagen steigen
konnte, obwohl die anderen warteten. »Sobald wir drin sind, schaust
du mich nicht mehr an. Jeder dort könnte für Imelda arbeiten. Du
musst eine gute Schauspielerin sein. Und, Isabeau …« Conner fasste
sie beim Kinn und sah sie mit funkelnden Augen an. »Ich werde auch
schauspielern.«
Isabeau schluckte schwer und nickte. »Ich weiß,
Conner. Ich schaffe das.«
»Wenn du ein Problem hast, mach Rio oder Elijah ein
Zeichen, und sie bringen dich raus.«
»Wir haben das doch schon hundertmal besprochen.«
Trotz all ihrer guten Absichten wurde Isabeau der Mund trocken, und
sie bekam Angst. Am liebsten hätte sie sich Conner an den Hals
geworfen, doch stattdessen zwang sie sich zu einem Lächeln. »Ich
bin bereit.«
»Wir gehen alles noch einmal durch, nur zur
Sicherheit. Jeremiah sitzt mit seinem Gewehr in den Bäumen. Er kann
sogar einem Schmetterling die Flügel wegschießen und wird dir
draußen ein guter Schutz sein. In dem Fall …«
»Nehme ich die Spange aus meinem Haar.«
»Das ist das Signal zu schießen. Zögere nicht, wenn
du in Gefahr bist.«
»Mir wird schon nichts geschehen, Conner.«
»Imelda kommt später. Lass dich nicht nervös
machen. Sie wird ihre Leibwächter vorschicken, um nach Leuten wie
uns Ausschau zu halten. Du fällst mit Sicherheit auf, Süße. Du bist
eine Leopardenfrau, und die zwei Schurken können riechen, dass du
kurz vor dem Han Vol Don stehst. Das wird sie durcheinanderbringen
und recht aggressiv machen. Du darfst auf keinen Fall mit einem von
ihnen allein bleiben. Hast du mich verstanden?«
»Du sprichst ja keine Fremdsprache«, zischte sie.
Er machte sie nur noch nervöser. Schließlich hatte jeder einzelne
Mann aus dem Team ihr das bereits eingebläut – sogar
Jeremiah.
Conner kniff die glitzernden Augen zusammen. »Was
soll das heißen? Verdammt nochmal, wenn du diese Gefahr nicht ernst
nimmst, bleibst du im Wagen.«
Sie warf die Hände in die Luft. »Du machst mich
wahnsinnig. Dabei bin ich schon ängstlich genug. Du musst das nicht
ständig wiederholen. Ich weiß, was ich tue. Und ich weiß, was du
tun musst; es ist in Ordnung. Ich bleibe nah bei Elijah, es sei
denn, du hast ihn so eingeschüchtert, dass er glaubt, du bringst
ihn um, wenn er mich falsch anguckt.«
Isabeau klang so genervt, dass Conner sich ein
wenig entspannte und seine Finger in ihr seidiges Haar grub. »Es
tut mir leid, Schatz. Ich sorge mich nur um deine Sicherheit. Alles
andere ist mir im Augenblick ziemlich egal. Dich da reingehen zu
lassen ist unglaublich schwer für mich.«
Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Für mich ist
es
noch viel schwerer, aber ich habe keine Angst vor Imelda
Cortez.«
»Solltest du aber.«
Isabeau schenkte ihm ein schwaches Lächeln.
»Eigentlich ist es meine Katze, die keine Angst hat, Conner, und
ich wünschte, sie wäre bei mir. Ich wünschte, ich könnte ihre Kraft
nutzen, um dir zu helfen.«
»Halt dich einfach von diesen Schurken fern. Sie
werden es darauf anlegen, mit dir allein zu sein. Bleib bei
…«
»… Elijah, natürlich. Ich glaube, wir drehen uns im
Kreis. Geh jetzt endlich rein und lass mich in Ruhe.« Dankbar für
die getönten Scheiben beugte sie sich vor und gab Conner einen
Kuss.
»Verflucht, Isabeau«, blaffte Elijah. »Jetzt müssen
wir dich alle umarmen, wenn du aussteigst, damit du auch unseren
Geruch an dir hast. Sonst wittern die Schurken Conner an
dir.«
Rio warf Conner einen gereizten Blick zu. »Ein
Anfängerfehler.«
»Ist doch nur gut«, murmelte Isabeau rebellisch,
»dann glauben sie, ich wäre leicht zu haben.«
»Langsam denke ich, Conner hat Recht und du
solltest im Wagen bleiben«, erwiderte Rio.
Isabeau verdrehte die Augen, griff an Conner vorbei
und stieß die Tür auf. Sie würde nicht im Auto warten.
Conner zuckte nur kurz die Achseln, dann schenkte
er Isabeau ein strahlendes Lächeln und blinzelte ihr
verschwörerisch zu. Anschließend stieg er aus dem SUV und
verschaffte sich einen ersten Eindruck von dem Anwesen, auf dem
Philip Sobre, der Leiter der Tourismusbehörde, residierte. Dem Mann
schien es gutzugehen. Die großzügige
Villa umfasste mehrere Stockwerke und lag auf einem Hügel. Von der
Veranda und allen Balkonen und Fenstern hatte man einen herrlichen
Blick auf den Wald. Majestätische, jahrhundertealte Bäume ragten
rings um das Gebäude auf und säumten den Weg zu einem kleinen See,
dessen Oberfläche nicht weit entfernt in der Sonne glänzte.
Es wurde allmählich kühler und Conner hörte die
vertrauten Geräusche, mit denen der Regenwald sich auf die Nacht
vorbereitete. Das Froschkonzert, mit dem die Amphibien in den
zahlreichen Teichen und Tümpeln ihr Gebiet verteidigten und ihr
Bestes gaben, um Weibchen anzulocken, hatte bereits eingesetzt.
Weiter oben, in den massiven Stämmen und Ästen, fielen die
Baumfrösche mit ihrem eigenartigen, klopfenden Quaken ein, einem
Geräusch, das noch lauter war, aber seltsam tröstend.
Conner trat beiseite und erlaubte Elijah, Isabeau
aus dem Wagen zu helfen. Obwohl er unentwegt die Umgebung
beobachtete, war er sich ihrer Gegenwart deutlich bewusst – der
Art, wie sie sich bewegte, dem Klang ihrer Stimme, dem Spiel der
Schatten auf ihrem Gesicht.
Unzählige Insekten hatten sich den Fröschen
angeschlossen, wobei den Zikaden eine herausragende Rolle zukam.
Weiter entfernt in der tintenschwarzen Dunkelheit konnte sein
Leopard kleine Nager auf dem Waldboden rascheln hören. Plötzlich
verspürte Conner den Drang, Isabeau über die Schulter zu werfen und
in dieser Dunkelheit, in der sie niemals gefunden werden konnten,
zu verschwinden. Er wandte den Kopf und schaute sie an, obwohl er
sie gerade noch aufgefordert hatte, das zu vermeiden. Er konnte
nicht anders.
Das war wohl sein größtes Problem bei Isabeau. Von
Beginn
an hatte sie seine Selbstbeherrschung und Disziplin untergraben.
Obwohl er sie gelehrt hatte, auf ihn zu hören, und er der
Dominierende in ihrer Beziehung war, fraß er ihr aus der Hand. Sie
war ihm so ans Herz gewachsen, dass es kein Entrinnen mehr gab. Und
das konnte er weder auf seine noch auf ihre Katze schieben – es lag
allein an dieser Frau, an ihrer ganzen Art.
Ihre Augen trafen sich. Gott, sie war so
wunderschön und intelligent. Er würde auf eine Party gehen, mit
lauter korrupten Menschen, die nur daran dachten, anderen den
letzten Dollar aus der Tasche zu ziehen. Sie erforschte sonst im
Dschungel die dort heimischen Pflanzen, wie man sie nutzen konnte,
um Menschen zu helfen. Die Frau, die er gleich umgarnen sollte, war
noch schlimmer als alle anderen; ein Menschenleben bedeutete ihr
rein gar nichts. Seine Frau dagegen würde mit allem einverstanden
sein, was ihr Mann tun musste, um Kinder zu retten, die nicht ihre
eigenen waren.
»Ich liebe dich«, sagte er. Schlicht und einfach.
Vor allen anderen.
Isabeau schenkte ihm ein kleines Lächeln, ihre
Augen strahlten vor Stolz. »Ich liebe dich auch.«
Conner drehte sich um und schloss sich Marcos
Santos an, dem Onkel von Felipe und Leonardo. Schweren Herzens
übernahm er seine schwierige Rolle als Bodyguard. Als Rio ihm
leicht auf die Schulter klopfte, sah er sich noch einmal zu seinem
Teamführer um.
»Wir passen auf sie auf«, versicherte Rio.
Isabeau war klug und hatte schnell gelernt. Sie war
oft im Regenwald gewesen und konnte fremde Menschen sehr gut
einschätzen. Er musste an ihre Fähigkeiten glauben. Er nickte
Rio zu und spähte weiter in die Runde, während sie über einen
gewundenen Weg zum Haupthaus gingen.
Der Dschungel wurde durch ein Heer von
Arbeitskräften in Schach gehalten, die sich einen ständigen Kampf
mit ihm lieferten. Bei jeder Gelegenheit versuchte der Wald, das
verlorene Terrain zurückzuerobern. An den Grundstücksgrenzen
bildeten die Luftwurzeln der Würgefeigen große Höhlen und um die
Baumstämme wanden sich Blumen in leuchtenden Farben.
Philodendronblätter groß wie Regenschirme wuchsen an Stämmen und
allen möglichen Holzpfählen und verwandelten das Gebiet in einen
dichten grünen Wald.
Diese Pflanzen schirmten das Haus effektiver gegen
den Dschungel ringsherum ab als der hohe Zaun, der noch hinzugefügt
worden war. Die Schlinger wanden sich bereits am Draht entlang und
in ein paar Jahren würde das Gebäude vor Blicken von außen gänzlich
verborgen sein. Doch im Augenblick waren die Fenster, Balkone und
Terrassen für Jeremiah noch gut einsehbar.
Die Sicherheitskräfte, die Philip Sobre eingestellt
hatte, waren überall. Sie patrouillierten auf dem gesamten Gelände
und stellten demonstrativ ihre Waffen zur Schau, doch Conner fiel
auf, dass niemand in das hohe Laubdach an der Grundstücksgrenze
sah. Jeremiah würde es leichthaben, zumindest bis die gedungenen
Leoparden eintrafen. Bei den Männern, die momentan vor Ort waren,
um die Partygäste zu schützen, handelte es sich offenbar weder um
Berufssoldaten noch um Leibwächter. Conner vermutete, dass sie zur
örtlichen Polizei gehörten und sich etwas Geld
dazuverdienten.
Als Marcos sich der Eingangstür näherte, legte
Felipe
eine Hand auf seine Schulter, und die beiden Männer blieben
stehen, um Conner den Vortritt zu lassen. Conner setzte ein
entschlossenes, undurchdringliches Gesicht auf, öffnete das
Jackett, damit es keinen Zweifel daran gab, dass er bewaffnet war,
und ging zum Hauseingang. Die Türsteher überprüften ihre Liste,
nickten und ließen ihn durch. Conner überprüfte sämtliche
Räumlichkeiten, und es war ein verdammt großes Haus. Hauptsächlich
ging es ihm darum, wo sich die Überwachungskameras, Fenster,
Ausgänge und Treppen befanden. Sie hatten zwar vorab eine Skizze
des Anwesens studiert, doch die Pläne waren nicht exakt gewesen.
Leise teilte er den anderen Teammitgliedern per Funk mit, wo es
Abweichungen gab.
Mehrere Türen im ersten Stock führten auf einen
Innenhof, wo zwischen einer Reihe von Springbrunnen, die sich aus
einem Koiteich speisten, noch mehr exotische Pflanzen wuchsen.
Conner gab den gesamten Grundriss an das Team und Jeremiah weiter,
damit Elijah und Rio wussten, in welchen Zimmern ihre »Klienten« am
sichersten sein würden, ehe er Marcos erlaubte einzutreten.
Philip Sobre eilte herbei, um Marcos Santos zu
begrüßen. Conner und Felipe ignorierte er natürlich, aber Marcos
war ein so wichtiger Gast, dass er von ihm persönlich in Empfang
genommen wurde.
»Ich habe einen Freund von mir mitgebracht, Elijah
Lospostos. Ich gehe davon aus, dass meine Sekretärin sie davon
unterrichtet hat, denn ich war bereits unterwegs, als ich erfuhr,
dass er sich ebenfalls in ihrem Land aufhält. Er besucht gerade
seine Cousine. Die junge Dame ist auch dabei – Isabeau Chandler«,
sagte Marcos. »Sollten meine Freunde nicht willkommen sein, können
wir uns gern ein andermal
treffen.« Nur ein extrem wohlhabender Geschäftsmann, der daran
gewöhnt war, seinen Willen zu bekommen, konnte das so lässig sagen.
»Elijah hat seine eigenen Bodyguards dabei. Einer davon ist ein
Neffe von mir. Elijah und mein Neffe sind wie Söhne für mich.«
Marcos machte Anstalten wieder zu gehen.
Philip verneigte sich beflissen.
»Selbstverständlich sind Ihre Freunde in meinem Haus willkommen.«
Er hatte sogar den strikten Befehl, dafür zu sorgen, dass Elijah
Lospostos sich wohlfühlte. Der Hausherr winkte Elijahs Bodyguards
durch und starrte seine Türsteher wütend an, als sie die Männer auf
versteckte Waffen durchsuchen wollten.
Elijah nickte ihm flüchtig zu und ließ kurz die
weißen Zähne blitzen, was ihn gefährlicher aussehen ließ als die
wilden Tiere rund um das Grundstück. Dann legte er einen Arm um
Isabeau und führte sie ins Haus. Für die Party hatte sie einen
knöchellangen, schwingenden Rock und ein enges Top angezogen, das
ihre Kurven zur Geltung brachte. Sie sah umwerfend aus, wie alle
Frauen kurz vor dem Han Vol Don, und sie duftete betörend weiblich.
Sie war ein Traum in Blau, und Philip wäre fast gestolpert, als er
sie sah. Er nahm ihre Hand, blickte ihr tief in die Augen, und
verbeugte sich wie zum Handkuss.
Während Isabeau freundlich lächelte, riss Elijah
rücksichtslos ihre Hand weg, ehe Philips kalte Lippen sie trafen.
»Das ist meine Lieblingscousine.« Wieder ließ er die weißen Zähne
blitzen, die nun ein klein wenig spitzer wirkten. »Und ich habe sie
sehr gern.« Es war eine deutliche Warnung, die keinem Mann in
Hörweite verborgen blieb.
»Isabeau«, flüsterte Philip. Offensichtlich konnte
er die Augen nicht von ihr losreißen.
Während er den Geruch ihres Gastgebers analysierte,
betrachtete Elijah ihn näher. Sie hatten sich mit dem Mann
beschäftigt. Er war habgierig und führte ein äußerst dekadentes
Leben. Man erzählte sich, dass Frauen aus seinem Haus getragen
werden mussten, während er in einen seidenen Bademantel gehüllt mit
einem Glas Whiskey in der Hand und einem kleinen Lächeln auf den
Lippen ungerührt dabei zusah. Wohin man auch blickte, die Hinweise
auf sein opulentes Leben waren nicht zu übersehen.
Marcos nahm ein Glas von einem Tablett und musterte
die Serviererin mit glänzenden Altmänneraugen. Dann schaute er zu
Conner hinüber, der kaum merklich nickte. Die Frau trug eine
schwarze Hose und eine weiße Bluse. An der Wange hatte sie eine
kleine Prellung, die dick unter Make-up versteckt war, und die
Hand, mit der sie das Silbertablett hielt, zitterte leicht.
Rio machte ihnen ein Zeichen, weiter ins Haus zu
gehen, in eins der Zimmer, die Conner für sicher hielt. Es hatte
mehrere Ausgänge und einen offeneren Grundriss. Philip folgte ihnen
und erzählte dabei von dem so dringend benötigten, gerade im Bau
befindlichen neuen Hotel, und von den Arbeitsplätzen, den Vorteilen
und all den touristischen Möglichkeiten, die es mit sich brachte.
Marcos hörte aufmerksam zu und gab höfliche Kommentare, während
Conner sich im Hintergrund hielt, denn er wusste, dass er so
geheimnisvoller und gefährlicher wirkte, wenn Imeldas
Sicherheitsleute sich die Aufzeichnungen der Kameras ansahen, ehe
sie ihr erlaubten, ins Zimmer zu gehen.
Conner hatte Imeldas Steckbrief sorgfältig
studiert, so wie er es bei jeder Zielperson machte. Sie mochte
starke, dominante Männer, die sie überraschten und ein wenig
einschüchterten,
die sie aber leicht wieder loswurde, wenn sie sie leid war. Elijah
hatte zwar das entsprechende Charisma und die Ausstrahlung, aber zu
viel Macht. In dem Fall käme sie nicht in Versuchung, da war Conner
sich ziemlich sicher.
Isabeau schlenderte durchs Zimmer und blieb vor
einem Schaukasten stehen. Hinter einer großen Glasscheibe waren
Peitschen, Flogger, Stöcke und verschiedene andere
Folterinstrumente ausgestellt. Philip trat von hinten an sie heran.
Zu nah für ihren Geschmack. »Interessiert Sie das?«
Ein wenig verächtlich sah sie ihn über die Schulter
hinweg an. »Kaum. Ich vergnüge mich lieber auf andere Weise.«
»Vielleicht kann ich Sie dazu bringen, Ihre Meinung
zu ändern. Eine Mischung aus Lust und Schmerz hat oft eine
erstaunliche Wirkung.«
Isabeau lüpfte eine Braue. Sie hatte nur Minuten,
um sich über Philip Sobre eine Meinung zu bilden, doch sie
bezweifelte, dass sie länger brauchte. Elijahs Part war es, den
überbesorgten Cousin zu spielen, während sie sich – geschmeichelt
wie gelangweilt – möglichst verführerisch geben sollte. Angeblich
war Sobre über mehrere Monate in Imeldas Haus ein gerngesehener
Gast gewesen. Im Moment schienen seine Besuche allerdings weniger
häufig zu sein. Isabeau vermutete, dass Philip und Imelda eine
gemeinsame Vorliebe hatten, nämlich Spaß daran, andere zu
quälen.
»Auf den, der den Schmerz zufügt, oder auf den, der
ihn aushält?«, fragte sie mit einem kleinen Lächeln, das
geheimnisvoll und milde interessiert wirken sollte. »Ich schätze,
ich wäre lieber die Aktive.« Ihre Katze regte sich, es gefiel ihr
nicht, dass dieser Mann mit den gierigen Augen so nah
herangekommen war und sein Pfefferminzatem sie an der Schulter
streifte. Isabeaus Haut begann zu prickeln, und sie hatte das
Gefühl, als wüchsen ihr ganz langsam Krallen.
»Da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Es ist
großartig zu sehen, wie die Peitschenschnüre ins Fleisch
schneiden.« Philip holte tief Luft; der Moschusgeruch, der von ihm
ausging, verriet Isabeau, dass er erregt war. »Die Peitsche so zu
führen, dass der Schlag perfekt sitzt, ist eine Form der
Kunst.«
»Eine, die Sie studiert haben?« Isabeau drehte sich
zu ihm um, lehnte sich an die Wand und musterte ihn über das Glas
Wein hinweg, das sie zu trinken vorgab. Philip Sobre war ein
Sadist. Der Gedanke, einen hilflosen Menschen mit der Peitsche zu
züchtigen, erregte ihn. Über Imelda Cortez kursierten ähnliche
Gerüchte. Ihre Grausamkeit war ebenso legendär wie die ihres Vaters
vor ihr. Das machte die beiden natürlich füreinander anziehend. Und
Philip war in einer Position, die es ihm erlaubte, ständig neue
Opfer für die Spielchen mit Imelda aufzutreiben.
»Aber natürlich«, erwiderte Philip. »Ausgiebig
sogar.« Sein Blick war so anzüglich und lüstern, dass Isabeaus
Magen rebellierte.
Sie hatte einen Großteil ihres Lebens in den Tropen
verbracht und wusste, dass der Unterschied zwischen arm und reich
dort enorm groß war. Die Gluthitze des Dschungels brachte in vielen
Menschen das Schlimmste zum Vorschein, und die Distanz zur
Zivilisation zog häufig verkommene Subjekte an, die glaubten, sie
stünden über dem Gesetz und könnten tun, was sie wollten. Solche
Leute meinten, die Eingeborenen seien Menschen zweiter Klasse, und
wenn ein paar von ihnen verschwanden, merke es keiner. Dieser
Einstellung begegnete sie nicht zum ersten Mal, doch Philip zeigte
sie besonders unverfroren.
Obwohl Isabeau weiterlächelte, war sie dankbar, als
Elijah zu ihr herüberkam und sie beim Arm nahm. Anscheinend hielt
Philip ihn für ein Alphatier – wie sich selbst. Die Augen auf
Philip gerichtet beugte Elijah sich zu Isabeaus Ohr hinunter.
»Weiter so, du wirkst sehr cool und ruhig und ein
klein wenig hochmütig. Ich schätze, die Videobänder werden gerade
ausgewertet. Sobres Interesse an dir wird Imelda reizen. Und
Conners geheimnisvoller Auftritt ist auch nicht zu
übersehen.«
Isabeau lächelte, tätschelte seine Wange und
bemühte sich, bewundernd zu ihm aufzuschauen. Es war seltsam. Sie
kannte Elijahs Hintergrund und wusste, wo er herkam und was er im
Leben getan hatte, und das meiste davon war nicht besonders gut
gewesen, trotzdem roch er sauber. Philip dagegen roch verdorben. Es
fiel ihr schwer, nicht zu Conner hinüberzuschauen, als Elijah sie
zu Marcos zurückführte, der grüßend sein Weinglas erhob und ihr
einen Witz erzählte. Isabeau spürte sofort, als Philip hinzukam und
sich direkt neben sie stellte. Damit zeigte er allen, dass er sich
trotz der deutlichen Warnung, die Elijah ausgesprochen hatte, unter
Imeldas Schutz sehr sicher fühlte.
Es war offensichtlich, dass Imelda in Philips Haus
das Sagen hatte. Das sah man am Überwachungssystem und an den
Waffen, mit denen Philips Sicherheitsleute ausgestattet waren. Sie
waren zu raffiniert für die Männer, die sie trugen. Diese Männer
gehörten zu Sobres persönlicher Schutztruppe, nicht zu Imeldas,
denn Philip war anscheinend zu faul oder zu geizig, Berufssöldner
oder Ex-Soldaten anzuheuern.
Vielleicht war er ja der Ansicht, nicht so gefährdet zu sein wie
Imelda. Doch die beiden hatten definitiv miteinander zu tun, sonst
hätte es all die Waffen und Sicherheitssysteme nicht gegeben. Als
Leiter der Tourismusbehörde war Philip in der Lage, Imelda dabei zu
helfen, ihre Drogen außer Landes zu schaffen. Und er wurde offenbar
gut bezahlt für seine Dienste.
Isabeau verfolgte, wie Philip versuchte, Marcos mit
seinem eingebildeten Charme einzuwickeln. Marcos war nicht mehr der
Jüngste, und vielleicht glaubte Imelda, ihn zur Zusammenarbeit
überreden oder zwingen zu können, falls ihm ihr Angebot nicht
behagte. Bei Elijah lagen die Dinge ein wenig anders. Er war jung
und viril. Und er stand in dem Ruf, ein skrupelloser Geschäftsmann
zu sein. Seine Leute waren ihm treu ergeben, und seine Feinde
neigten dazu, früh zu sterben. Niemand hatte ihn an Marcos’ Seite
erwartet.
In etwa einer Stunde war mit Imelda zu rechnen,
dann würde die Spannung sprunghaft ansteigen. In der Zwischenzeit
wollte das Team versuchen, möglichst viele Informationen aus Sobre
herauszuholen, ohne nach Imelda zu fragen. Er sollte sie selbst ins
Gespräch bringen, und Isabeau war sicher, dass das nicht mehr lange
dauern würde. Philip war bereits dabei, die Namen verschiedener
Berühmtheiten fallenzulassen, die er bereits zum Abendessen oder
auf einer Party begrüßt hatte. Er war ein eitler, aufgeblasener
Mann, aber Isabeau hütete sich, ihn zu unterschätzen. Denn dumm
konnte er nicht sein, wenn er so weit gekommen war.
»Sie haben ein sehr schönes Zuhause, Mr. Sobre«,
sagte sie. »Es ist … erstaunlich.«
Geschmeichelt warf Philip sich in die Brust.
»Selbst an Orten wie diesen kann man es sich schön machen.« Er
hielt
ihren Blick fest. »Wir stellen unsere eigenen Regeln auf und
leben, wie wir es für richtig halten.«
Über den Rand ihres Kristallglases hinweg lächelte
Isabeau ihn freundlich desinteressiert an. »Nun, es sieht aus, als
würde Ihnen das gut gelingen. Wo in aller Welt haben sie all diese
Diener aufgetrieben?«
Isabeau wählte absichtlich das Wort »Diener« und
einen leicht abfälligen Ton, als sie auf das uniformierte Personal
deutete. Es bestand fast ausschließlich aus Frauen, aber sie sah
auch einige Männer, die Tabletts herumreichten. Sie war sicher,
dass diese Leute keine Sicherheitskräfte waren, denn sie bewegten
sich mit gesenktem Blick durch die Menge. Einige der teuer
gekleideten Besucherinnen berührten die männlichen Bediensteten
aufreizend, und Isabeau hätte wetten mögen, dass die Männer und
Frauen, die sich nach oben zurückzogen, noch ganz andere
Dienstleistungen vom eingeschüchterten Personal verlangten – und
höchstwahrscheinlich bei diesen Vergnügungen heimlich gefilmt
wurden.
Das Team schätzte, dass ihnen nur ein oder zwei
Stunden blieben, bis Imelda eintraf. Alles, was Isabeau über diese
Frau wusste, deutete darauf hin, dass sie es darauf anlegte, jeden
in ihrem Umfeld klein aussehen zu lassen. Imelda war vermutlich
kalt, herzlos und sogar grausam zu denen, die sie für unterlegen
hielt. Wenn Philip wirklich unter ihrer Fuchtel stand, blieb ihm
nur die Zeit bis zu Imeldas Ankunft, um Isabeau von seiner
Wichtigkeit zu überzeugen. Danach würde Imelda ihn auf seinen Platz
verweisen.
Da Philip sie für Elijahs Cousine hielt, glaubte er
bestimmt, sie wüsste etwas über die Familiengeschäfte. Als Chef
eines vom Vater ererbten gefährlichen Drogenkartells
war Elijah Imelda ebenbürtig. Sicher fragten Philip und Imelda
sich, ob Marcos etwas mit Elijah und seinem Unternehmen zu tun
hatte und ob die beiden gemeinsam kamen, um eine Allianz
vorzuschlagen.
Marcos tätschelte einer Kellnerin, die neben ihm
stand, den Hintern und die junge Frau ließ es sich mit gesenktem
Blick gefallen. Isabeau zuckte nicht mit der Wimper, obwohl sie dem
alten Lustmolch gern ihr Glas an den Kopf geworfen hätte. Was
wusste sie eigentlich über ihn? Wieso duldeten die anderen, dass er
sich so benahm? Sie zwang sich, tief einzuatmen und den Geruch der
Umstehenden aufzunehmen, damit ihre Katze ihr einen Überblick
verschaffen konnte.
Am deutlichsten roch es nach Angst, außerdem noch
nach Hass und Wut. Unter der Oberfläche gärte es also. Und
natürlich witterte sie auch Lüsternheit, doch nicht bei Marcos. Er
spielte nur eine Rolle. Genau wie sie. Und Conner. Das Ergebnis war
eindeutig.
Isabeau schaute zu Elijah hinüber. Er hatte es
gewusst. Alle hatten es gewusst. Hier ging es nicht nur um Drogen
und Kidnapping. Sie hatten ihr verschwiegen, was sie erwartete.
Wenn sie von Anfang an eingeweiht gewesen wäre, wäre sie niemals
imstande gewesen, Sobre freundlich anzulächeln. Die anderen hatten
sie vorsätzlich wie ein Unschuldslamm in die Höhle des Löwen
geschickt. Isabeau hätte ihr Leben darauf verwettet, dass einige
der reichen Touristen, die Sobre in diesen Teil des Urwalds gelockt
hatte, spurlos verschwunden waren. Nichts leichter als das.
Was reimte sie sich da eigentlich zusammen? Dass
der aalglatte Kerl, der ihr gerade ein neues Glas Wein reichte, in
Wahrheit ein Serienkiller war? Dass er seine Position
ausnutzte, um seine sadistischen Triebe zu befriedigen? Um von
ihren erschreckenden Gedankengängen abzulenken, führte Isabeau ihr
Glas zum Mund. Sie trank sogar einen Schluck, ehe sie den Geruch
bemerkte. Irgendjemand hatte ihr etwas in den Wein getan. Isabeau
leckte sich über die Lippen und sah wieder zu Elijah hinüber.
Diesmal reagierte er; lächelnd nahm er ihr das Glas aus der Hand
und setzte es selbst an die Lippen. Isabeau stockte der Atem, fast
hätte sie ihm eine Warnung zugerufen.
In dem Augenblick rempelte die Kellnerin Elijah an,
sodass er das Getränk verschüttete. Der Wein landete auf seinem
blütenweißen Hemd, und das Glas zersplitterte am Boden. Das Tablett
folgte scheppernd, und die Häppchen verteilten sich
ringsherum.
»Teresa!«, brüllte Philip. Die Faust, die auf das
entsetzte Gesicht der Frau zielte, verfehlte Isabeau nur um
Haaresbreite.
Das Klatschen von Fleisch auf Fleisch hallte laut
durch den Raum. Alle Unterhaltungen verstummten, und es wurde
seltsam still. Conner stand vor der Kellnerin und hielt Philips
Faust umklammert. Niemand hatte ihn kommen sehen. Er wirkte wild
entschlossen. Und gefährlich. Seine goldenen Augen bohrten sich in
die des kleiner gewachsenen Gastgebers.
»Vielleicht haben Sie es nicht bemerkt, aber Sie
haben diese Frau angestoßen, sodass sie gegen Mr. Lospostos
prallte.« Conner sprach sehr leise. Isabeau bezweifelte, dass
irgendjemand außerhalb ihres kleinen Kreises ihn verstehen konnte.
»Und fast hätten Sie Miss Chandler getroffen.«
Philip Sobres Augen funkelten mordlüstern, doch
dann riss er sich zusammen und lächelte. »Ich fürchte, nein.«
Conner gab seine Hand wieder frei. Isabeau war
klar,
dass die Kameras jede Bewegung aufgezeichnet hatten und dass
Imelda das überraschende Eingreifen des Leibwächters sehr
interessant finden würde. Er hatte eine Kellnerin verteidigt. Und
er war so schnell dazwischengegangen, dass die Kameras es
wahrscheinlich gar nicht richtig mitbekommen hatten. Imelda würde
mehr als nur interessiert sein. Bestimmt wollte sie einen so
draufgängerischen, gefährlichen Mann kennenlernen. Er hatte Philips
Bodyguards gar nicht beachtet, so als könnten sie ihm nichts
anhaben.
Isabeaus Herz begann zu klopfen, und sie spürte,
wie ihr vor Angst die Galle hochkam. Conner hatte sich zur
Zielscheibe gemacht, dabei waren alle um sie herum Killer. Sie
hegte sogar den Verdacht, dass der smarte Philip – der sich nun
wieder gut gelaunt und charmant gab und den anderen Bediensteten
befahl, Teresa beim Aufräumen zu helfen – ein Mörder war. Er tat
zwar, als würde er Conner ignorieren, doch Isabeau sah ihn mehrmals
zu der im Schatten liegenden Wand hinüberschauen, wohin Conner sich
zurückgezogen hatte.
Wenn Adan das alles über Sobre gewusst hätte, hätte
er sich nie überreden lassen, ein professionelles Team anzuheuern,
um die Kinder zurückzuholen. Wie also war Conner an seine
Informationen gelangt? Die anderen wussten offenbar, dass mit dem
Leiter der Tourismusbehörde irgendetwas nicht stimmte und waren
vorbereitet gekommen. Welche zusätzlichen Quellen hatten sie?
»Komm mit, Isabeau, ich will ein sauberes Hemd
anziehen«, befahl Elijah. Mit einem weiteren drohenden Blick in
Philips Richtung fasste er sie am Ellbogen und führte sie zum
Eingang. »Du kaust auf deiner Unterlippe.«
»Tatsächlich?« Außer Reichweite des Tourismuschefs
und
seiner Neigung zum Sadismus hatte Isabeau das Gefühl, wieder frei
atmen zu kommen.
»Das machst du immer, wenn du nervös bist.«
»Woher wusstet ihr das über Sobre? Er ist ein
Sadist, oder?«
»Er ist ein Mörder. Und es gefällt ihm, Menschen
wehzutun, egal, ob Mann oder Frau. Das erregt ihn. Und in Imelda
hat er eine perfekte Partnerin gefunden. Sie teilt seine Freude an
diesen schmutzigen Spielchen und ermutigt ihn sogar noch dazu.
Solange er weiter tötet, hat sie ihn fest in der Hand.«
»Hört sich an, als wären die beiden das perfekte
Paar.«
»Eine Zeit lang waren sie tatsächlich zusammen.
Aber ich vermute, Imelda möchte einen dominierenden Mann, und das
konnte Philip ihr nicht bieten. Er hat zu viel Angst vor ihr.«
Elijah trat zurück, damit Rio ihnen die Tür des SUV öffnen konnte.
Dann winkte er Isabeau in den Wagen.
»Wenn wir wieder ins Haus gehen, muss es so
aussehen, als hättest du von deinem bösen Cousin eine Lektion
erhalten. Sobre geht davon aus, dass ich dich nicht in seiner Nähe
sehen will – was ja auch stimmt. Ich weiß genau, wie er tickt. Er
denkt, ich hätte eine Schwäche für meine Cousine, und da er selbst
sich stets nimmt, was er will, glaubt er, ich mache das
genauso.«
»Der Mann macht mich krank. Dieser Geruch. Diese
Augen. Und die Art, wie er mich ansieht. Einfach alles an ihm.
Irgendetwas war in meinem Wein.«
Elijah nickte. »Ich hab’s riechen können.« Er
knöpfte sein Hemd auf. »Wenn die Kellnerin mich nicht angestoßen
hätte, wäre mir schon etwas eingefallen, um das Glas loszuwerden.
Findest du es nicht interessant, dass man mich nicht
unter Drogen setzen wollte? Cortez ist anscheinend stärker an
einer Unterhaltung mit mir interessiert, als ich gedacht
hätte.«
»Woher wusste Rio von Sobre?«
»Adan hat ihm einige Aufzeichnungen von Marisa
gezeigt, damit er ihm seine Geschichte abnimmt. Eigentlich nur, um
Rio zu überzeugen, dass er uns nichts Böses wollte. Marisa war
Sobre schon seit einiger Zeit auf der Spur. Anscheinend …« Ein
Lächeln huschte über Elijahs Gesicht, während er ein schwarzes Hemd
aus einem kleinen Koffer zog. »Bereit sein ist alles.«
Isabeau spielte mit ihren Händen und machte ihm ein
Zeichen fortzufahren. »Anscheinend was?«
»Anscheinend sind in den letzten Jahren in dieser
Gegend mehrere Frauen verschwunden, so viele, dass Marisa
argwöhnisch wurde. Sie war die ›weise Frau‹ der Gegend und viele,
nicht nur Eingeborene, suchten ihren Rat, daher erfuhr sie mehr als
andere.«
»Und so hörte sie auch von Sobre.«
Elijah nickte und knöpfte sich das Hemd zu. »Er
geriet in ihr Visier, als eine junge Engländerin verschwand. Die
Frau war mit drei Freundinnen im Urwald unterwegs. Irgendwie wurde
sie von den anderen getrennt und nie wiedergefunden.«
»Und wie kam Marisa auf Sobre?«
»Er hatte den Mädchen von einem bestimmten Weg
erzählt, einem ziemlich unbekannten, aber keinen Führer empfohlen.
So lautet zumindest die Aussage der anderen Mädchen. Sobre dagegen
behauptet, er habe die Route nur zufällig erwähnt und ihnen sogar
die Namen von Führern aufgeschrieben.«
»Was noch?« Isabeau wusste, dass da noch mehr sein
musste. Sie hatte keine Ahnung, ob sie wütend oder einfach nur
sauer sein sollte, weil ihr Team sie in Sobres Räuberhöhle gebracht
hatte, ohne ihr die ganze Wahrheit zu sagen.
»Sobre ist mit siebzehn in dieses Land gekommen.
Heute ist er einundfünfzig. Marisa fand heraus, dass seit
vierunddreißig Jahren Mädchen verschwinden.«
Isabeau presste eine Hand auf den Mund. »Mein Gott,
er ist wirklich ein Serienmörder.«
»Zu diesem Schluss ist Marisa auch gelangt.«
»Glaubst du, Sobre hat gewusst, dass sie ihm auf
der Spur war? Könnte es sein, dass er Suma absichtlich auf das Dorf
gehetzt hat, um sie zu töten?«
»Möglich, aber das werden wir wohl nie erfahren.
Imelda Cortez hat vermutlich von all dem gewusst, und ihn nicht nur
ermutigt, sondern auch unterstützt. Diese perverse, widerliche
Veranlagung, die die beiden teilen, ist offensichtlich ein starkes
Band.«
»Du hast es von Anfang an gewusst«, sagte Isabeau,
»aber du hast mir nichts gesagt.«
»Imelda Cortez geht nur dann aus dem Haus, wenn sie
die Situation, in die sie sich begibt, voll im Griff hat. Das
bedeutet, wenn sie diese Party bei Philip Sobre besucht, hat sie
ihn in der Tasche. Anhand von Marisas Aufzeichnungen war es nicht
besonders schwer zu entscheiden, wo wir mit unserer Suche beginnen
sollten. Sie hatte sich fast alles richtig zusammengereimt. Wir
Leoparden haben den Mann instinktiv verachtet«, bemerkte
Elijah.
»Conner hat sich gerade zur Zielscheibe gemacht«,
sagte Isabeau. »Sobre ist wütend auf ihn, nach dieser öffentlichen
Demütigung wird ihm jede Entschuldigung recht sein, sich
an ihm zu rächen. Und Imelda wird gerade deswegen neugierig auf
Conner sein. Hab ich Recht?«
Elijah nickte. »Deshalb sind wir schließlich hier,
weil wir einen Fuß in die Tür bekommen wollen.«
»Und weil Conner wollte, dass Sobre sich mehr auf
ihn konzentriert als auf mich«, vermutete sie.
»Das auch. Es war wichtig, dass du Sobre
unvoreingenommen begegnest, Isabeau. Du bist zum ersten Mal in
einer solchen Situation, und wir wussten nicht, wie du damit
fertigwerden würdest.«
Isabeau reckte das Kinn. »Was, wenn ich seinen
Avancen nachgegeben hätte?«
»Wir haben dich nicht aus den Augen gelassen. Das
hätten wir nicht zugelassen. Ich bin der große, böse Cousin, und
Rio und Felipe sind unser persönlicher Begleitschutz. Wenn ich die
beiden aufgefordert hätte, dich in den Wagen zu verfrachten, hätten
sie es umgehend getan, und niemand hätte Verdacht geschöpft.«
Elijahs Hand lag auf dem Türgriff, doch er stieg nicht aus.
»Ich komme damit zurecht«, versicherte
Isabeau.
»Bist du sicher? Wir dürfen keine Fehler machen. Zu
viele Leben hängen davon ab, und wir haben keine Beweise.
Jedenfalls kannst du darauf wetten, dass jeder Gesetzeshüter in der
Gegend entweder von Imelda geschmiert wird oder eine Heidenangst
vor ihr hat. Verdammt, die meisten von ihnen verdienen sich ein
Zubrot, indem sie auf Sobres Party aufpassen.«
»Ich sagte, ich komme damit zurecht. Conners Leben
steht auf dem Spiel. Ich stärke ihm den Rücken. Glaub mir, ich tue
alles Notwendige, um ihn heil da herauszubekommen.«
Elijah musterte Isabeaus entschlossenes Gesicht und
nickte schließlich. »Gutes Mädchen.« Dann fuhr er ihr durchs Haar
und rieb ihr Gesicht, sodass ihre Wangen rot anliefen und ihre
Lippen ein wenig geschwollen wirkten, als ob er sie geküsst hätte.
»Hoffen wir, dass Conner mir nicht bei lebendigem Leib das Herz
herausreißt.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich werde schön
mit den Tränen kämpfen, damit du wie ein echter Bösewicht
dastehst.«
»Dein Schurke von Cousin will nicht, dass seine
Lieblingscousine mit jemand anderem flirtet, deshalb hat er ihr
ernste Vorhaltungen gemacht, und dann haben wir uns wieder
vertragen.«
»Sobre wird dir nicht ins Gehege kommen, nicht ohne
Imeldas Erlaubnis«, bemerkte Isabeau.
»Deshalb bist du bei mir sicher. Also halt dich an
meiner Seite. Und fass mich gelegentlich an, aber nicht zu intim.
Sie sollen zwar vermuten, dass wir etwas miteinander haben, aber
nicht zu offensichtlich.«
»So als ob keiner davon wissen dürfte.« »Oder
zumindest so, als ob es nicht allgemein bekanntwerden soll. Aber es
gibt gleichzeitig auch ein Risiko. Einerseits bis du bei mir
vollkommen sicher, solange sie glauben, dass es eine Chance gibt,
mit mir ins Geschäft zu kommen, andererseits, sollten sie mich
erpressen oder mir drohen wollen, dann bist du die Erste, die in
Gefahr ist. So denken sie einfach.«
Isabeau nickte. »Ich bin mir ganz klar dessen
bewusst. Wirklich, Elijah, ich schaffe das. Auch wenn ich nicht mit
Conner zusammen wäre. Schließlich war es meine Idee, euch alle
herzuholen, und ich will das Risiko mittragen.«
Elijah öffnete die Wagentür. Draußen am Auto stand
Rio, das ausdruckslose Gesicht dem Haus zugewandt, als wäre er ein
echter Bodyguard. Isabeau wunderte sich, wie sie es alle schafften,
gleichzeitig so grimmig und geschäftsmäßig auszusehen.
Als Elijah ihr locker die Hand auf den Rücken
legte, warf sie ihm ein kleines Lächeln zu. »Ich wette, Sobre
beneidet uns um unsere Leibwächter.«
»Personenschützer«, korrigierte er sie mit einem
Zwinkern.
Isabeau blieb näher bei Elijah als zuvor, hielt
aber immer noch einen Abstand, den man als diskret bezeichnen
konnte. Die Türsteher winkten sie wieder ins Haus. Die Musik schien
lauter geworden zu sein und die Räume wesentlich voller. Mit einer
besitzergreifenden Geste fasste Elijah sie am Ellbogen und führte
sie durch die Menschen. Rio ging voran, und Felipe bildete die
Nachhut. Isabeau bemerkte, dass die Menge sich vor ihnen teilte und
ihnen breiten Raum ließ.
Marcos unterhielt sich in einer Ecke mit Philip.
Links neben ihm stand Leonardo und rechts, mit traurigem Blick,
Teresa, die Kellnerin. Dann und wann tätschelte Marcos ihr den Arm
oder den Rücken, und sie zuckte zusammen, ging aber nicht weg. Als
Elijah und seine Begleiter sich der kleinen Gruppe näherten,
schaute Philip auf und bemerkte Isabeaus leicht ramponierte
Erscheinung auf den ersten Blick. Sie achtete darauf, dass er auch
den Tränenschleier in ihren Augen zu sehen bekam, ehe sie ihn
wegblinzelte. Bevor Philip den Blick wieder Marcos zuwandte,
schaute er noch auf Elijahs Finger, die Isabeaus Ellbogen
umklammert hielten.
»Teresa wird alles daransetzen, Ihnen den Besuch so
angenehm wie möglich zu machen, nicht wahr?«
Die Kellnerin nickte und machte ein noch
traurigeres Gesicht. Auf Philips finsteren Blick hin setzte sie ein
Lächeln auf. »Selbstverständlich.«
Marcos gab ihr einen eindeutigen Klaps auf den Po.
»Später. Lauf nur nicht weg.«
Schnell suchte Teresa das Weite. An der Stelle, wo
sie ihr Tablett fallengelassen hatte, war der Boden wieder makellos
sauber, und da Philip nun glaubte, Marcos würde die oberen
Räumlichkeiten nutzen, war er bester Laune. Isabeau wischte Elijah
einen nicht vorhandenen Lippenstiftfleck mit der Hand vom Mund, und
ließ sie dann hastig wieder sinken.
»Sie haben die Pilz-Kanapees noch nicht probiert«,
meinte Philip zu Elijah.
»Die sind großartig«, lobte Marcos. Es sah aus, als
wären er und Philip gute Freunde geworden. »Und die Krebs-Kanapees
sind noch besser. Du musst sie wirklich versuchen, Elijah.«
Der nickte lächelnd. »Was Essen angeht, bist du
schon immer ein Kenner gewesen, Marcos. Ich weiß, dass du mir nie
falsche Ratschläge geben würdest.«
»Und ein Frauenkenner ist er auch«, bemerkte
Philip, während er Isabeau anzüglich lächelnd von Kopf bis Fuß
musterte. »Teresa ist wunderschön.«
Elijah legte einen Arm um Isabeau und zog sie
beiseite, um Philip für den Gang zum langen Buffet-Tisch den
Vortritt zu lassen. Er tat das ganz lässig, als wollte er nur nett
sein zu seiner Cousine, doch er war sicher, dass Philip die Geste
als Besitzdemonstration verstand, mit der er deutlich machte, dass
Isabeau zu ihm gehörte und alle anderen die
Finger von ihr zu lassen hatten. Mit einem selbstzufriedenen
Lächeln wies Philip sie auf die verschiedenen Köstlichkeiten
hin.
»Möchten Sie tanzen, Isabeau?«, fragte er mit einem
weiteren selbstgefälligen Grinsen.
Im Einklang mit ihrer Rolle schaute Isabeau zögernd
zu Elijah auf, der sie grimmig anstarrte, woraufhin sie hastig den
Kopf schüttelte. »Nein, danke. Ich denke, ich probiere lieber die
Krebsküchlein.«
»Sie werden feststellen, dass mein Koch
Erstaunliches leistet«, sagte Philip.
Elijah musterte ihn gelangweilt. »Ich finde es eher
erstaunlich, wie sie so viele Leute hierherlocken konnten.«
Philip wurde ein klein wenig rot, doch es gelang
ihm, trotz der versteckten Beleidigung sein Grinsen zu bewahren.
»Das ist mein Geheimnis. Jeder hat doch Geheimnisse. Man muss sie
sich nur richtig zunutze machen.«
Ein zögerndes Lächeln, in dem eine Spur von
Bewunderung lag, huschte über Elijahs Gesicht. Isabeau war
beeindruckt von dieser schauspielerischen Leistung. Es war, als
hätte Elijah einen Zauberstab vor Philips Nase geschwungen. »In der
Tat. Ist es nicht interessant, was man mit dem richtigen
Druckmittel alles erreichen kann?«
Philip schien äußerst zufrieden mit sich zu sein
und plusterte sich schon wieder auf, so als ob er mit dieser einen
Bemerkung Elijah Lospostos, den berüchtigten Drogenboss, auf seine
Seite gezogen hätte. Da begriff Isabeau, dass seine Eitelkeit
Philips Schwachstelle war. Er hatte nicht genug Menschen um sich
zur Bewunderung seiner Fähigkeiten, und er brauchte Publikum. Mit
seinen kriminellen Aktivitäten konnte er schlecht angeben. Nur
seine Opfer und Imelda
Cortez wussten, wie er wirklich war, und Imelda konnte ihm
gefährlich werden. An diesem Abend jedoch war er in ein Rudel von
Raubtieren geraten, so viel hatte er erkannt, und er wollte
dazugehören.
»Elijah«, sagte Marcos, »vielleicht könnten wir
noch ein paar Tage dranhängen und uns an dem erfreuen, was Philips
kleine Stadt uns zu bieten hat.«
Isabeau konnte die Verwandlung vom gut gelaunten,
liebevollen Onkel zum wild gewordenen Lüstling, der zu jeder
Schandtat bereit war, kaum fassen. Marcos’ Wangen waren leicht
gerötet, die Augen trübe, als ob er einen Schluck zu viel getrunken
hätte, und die Blicke, die er den Frauen zuwarf, etwas zu gierig.
Er spielte seine Rolle so glaubwürdig, dass ihr fast ein wenig
unbehaglich wurde. Elijah fuhr ihr mit der Hand über den Rücken,
ganz flüchtig, beinahe ohne sie zu berühren, doch Isabeau merkte,
dass Philip es aus den Augenwinkeln gesehen hatte. Daher spielte
sie ihren Part und schaute leicht errötend mit einem kleinen
Lächeln zu Elijah auf.
Erbost erhob sich ihre Katze, sie wehrte sich
dagegen, von einem anderen Mann berührt zu werden. Im Kopf hörte
Isabeau ihr Fauchen, und sie verspürte den starken Drang, sich von
den anderen zu entfernen und an die Luft zu gehen. Ihre Haut
prickelte.
Rio wandte den Kopf und musterte sie. Auch Conner
im Hintergrund regte sich. Felipe und Leonardo bewegten sich gerade
so viel, dass sie vor den Blicken der meisten Menschen im Raum
abgeschirmt wurde. Und Elijah beugte sich zu ihr herab, ohne sie zu
berühren.
»Atme sie weg. Halt sie in Schach«, flüsterte er
mit einem unglaublich wissenden, zärtlichen Gesichtsausdruck.
Isabeau holte tief Luft und versuchte, nicht in
Panik zu geraten. Offenbar wollte ihre Katze heraus. Der
überwältigende Geruch nach Dekadenz und Korruption machte sie
nervös. Schon schmerzten ihre Gelenke. Und ihr Kiefer. Sogar die
Zähne. Ihre Finger krümmten sich und die Spitzen brannten. Zu ihrem
Entsetzen sah sie, wie die Haut in ihrer Handfläche aufplatzte.
Erschrocken machte sie eine Faust und versuchte, ihre Katze zu
bändigen.