11
Denk daran, nah bei Elijah zu bleiben, egal, was passiert.« Conner hatte die Hand auf den Türgriff gelegt, damit Isabeau nicht aus dem Wagen steigen konnte, obwohl die anderen warteten. »Sobald wir drin sind, schaust du mich nicht mehr an. Jeder dort könnte für Imelda arbeiten. Du musst eine gute Schauspielerin sein. Und, Isabeau …« Conner fasste sie beim Kinn und sah sie mit funkelnden Augen an. »Ich werde auch schauspielern.«
Isabeau schluckte schwer und nickte. »Ich weiß, Conner. Ich schaffe das.«
»Wenn du ein Problem hast, mach Rio oder Elijah ein Zeichen, und sie bringen dich raus.«
»Wir haben das doch schon hundertmal besprochen.« Trotz all ihrer guten Absichten wurde Isabeau der Mund trocken, und sie bekam Angst. Am liebsten hätte sie sich Conner an den Hals geworfen, doch stattdessen zwang sie sich zu einem Lächeln. »Ich bin bereit.«
»Wir gehen alles noch einmal durch, nur zur Sicherheit. Jeremiah sitzt mit seinem Gewehr in den Bäumen. Er kann sogar einem Schmetterling die Flügel wegschießen und wird dir draußen ein guter Schutz sein. In dem Fall …«
»Nehme ich die Spange aus meinem Haar.«
»Das ist das Signal zu schießen. Zögere nicht, wenn du in Gefahr bist.«
»Mir wird schon nichts geschehen, Conner.«
»Imelda kommt später. Lass dich nicht nervös machen. Sie wird ihre Leibwächter vorschicken, um nach Leuten wie uns Ausschau zu halten. Du fällst mit Sicherheit auf, Süße. Du bist eine Leopardenfrau, und die zwei Schurken können riechen, dass du kurz vor dem Han Vol Don stehst. Das wird sie durcheinanderbringen und recht aggressiv machen. Du darfst auf keinen Fall mit einem von ihnen allein bleiben. Hast du mich verstanden?«
»Du sprichst ja keine Fremdsprache«, zischte sie. Er machte sie nur noch nervöser. Schließlich hatte jeder einzelne Mann aus dem Team ihr das bereits eingebläut – sogar Jeremiah.
Conner kniff die glitzernden Augen zusammen. »Was soll das heißen? Verdammt nochmal, wenn du diese Gefahr nicht ernst nimmst, bleibst du im Wagen.«
Sie warf die Hände in die Luft. »Du machst mich wahnsinnig. Dabei bin ich schon ängstlich genug. Du musst das nicht ständig wiederholen. Ich weiß, was ich tue. Und ich weiß, was du tun musst; es ist in Ordnung. Ich bleibe nah bei Elijah, es sei denn, du hast ihn so eingeschüchtert, dass er glaubt, du bringst ihn um, wenn er mich falsch anguckt.«
Isabeau klang so genervt, dass Conner sich ein wenig entspannte und seine Finger in ihr seidiges Haar grub. »Es tut mir leid, Schatz. Ich sorge mich nur um deine Sicherheit. Alles andere ist mir im Augenblick ziemlich egal. Dich da reingehen zu lassen ist unglaublich schwer für mich.«
Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Für mich ist es noch viel schwerer, aber ich habe keine Angst vor Imelda Cortez.«
»Solltest du aber.«
Isabeau schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Eigentlich ist es meine Katze, die keine Angst hat, Conner, und ich wünschte, sie wäre bei mir. Ich wünschte, ich könnte ihre Kraft nutzen, um dir zu helfen.«
»Halt dich einfach von diesen Schurken fern. Sie werden es darauf anlegen, mit dir allein zu sein. Bleib bei …«
»… Elijah, natürlich. Ich glaube, wir drehen uns im Kreis. Geh jetzt endlich rein und lass mich in Ruhe.« Dankbar für die getönten Scheiben beugte sie sich vor und gab Conner einen Kuss.
»Verflucht, Isabeau«, blaffte Elijah. »Jetzt müssen wir dich alle umarmen, wenn du aussteigst, damit du auch unseren Geruch an dir hast. Sonst wittern die Schurken Conner an dir.«
Rio warf Conner einen gereizten Blick zu. »Ein Anfängerfehler.«
»Ist doch nur gut«, murmelte Isabeau rebellisch, »dann glauben sie, ich wäre leicht zu haben.«
»Langsam denke ich, Conner hat Recht und du solltest im Wagen bleiben«, erwiderte Rio.
Isabeau verdrehte die Augen, griff an Conner vorbei und stieß die Tür auf. Sie würde nicht im Auto warten.
Conner zuckte nur kurz die Achseln, dann schenkte er Isabeau ein strahlendes Lächeln und blinzelte ihr verschwörerisch zu. Anschließend stieg er aus dem SUV und verschaffte sich einen ersten Eindruck von dem Anwesen, auf dem Philip Sobre, der Leiter der Tourismusbehörde, residierte. Dem Mann schien es gutzugehen. Die großzügige Villa umfasste mehrere Stockwerke und lag auf einem Hügel. Von der Veranda und allen Balkonen und Fenstern hatte man einen herrlichen Blick auf den Wald. Majestätische, jahrhundertealte Bäume ragten rings um das Gebäude auf und säumten den Weg zu einem kleinen See, dessen Oberfläche nicht weit entfernt in der Sonne glänzte.
Es wurde allmählich kühler und Conner hörte die vertrauten Geräusche, mit denen der Regenwald sich auf die Nacht vorbereitete. Das Froschkonzert, mit dem die Amphibien in den zahlreichen Teichen und Tümpeln ihr Gebiet verteidigten und ihr Bestes gaben, um Weibchen anzulocken, hatte bereits eingesetzt. Weiter oben, in den massiven Stämmen und Ästen, fielen die Baumfrösche mit ihrem eigenartigen, klopfenden Quaken ein, einem Geräusch, das noch lauter war, aber seltsam tröstend.
Conner trat beiseite und erlaubte Elijah, Isabeau aus dem Wagen zu helfen. Obwohl er unentwegt die Umgebung beobachtete, war er sich ihrer Gegenwart deutlich bewusst – der Art, wie sie sich bewegte, dem Klang ihrer Stimme, dem Spiel der Schatten auf ihrem Gesicht.
Unzählige Insekten hatten sich den Fröschen angeschlossen, wobei den Zikaden eine herausragende Rolle zukam. Weiter entfernt in der tintenschwarzen Dunkelheit konnte sein Leopard kleine Nager auf dem Waldboden rascheln hören. Plötzlich verspürte Conner den Drang, Isabeau über die Schulter zu werfen und in dieser Dunkelheit, in der sie niemals gefunden werden konnten, zu verschwinden. Er wandte den Kopf und schaute sie an, obwohl er sie gerade noch aufgefordert hatte, das zu vermeiden. Er konnte nicht anders.
Das war wohl sein größtes Problem bei Isabeau. Von Beginn an hatte sie seine Selbstbeherrschung und Disziplin untergraben. Obwohl er sie gelehrt hatte, auf ihn zu hören, und er der Dominierende in ihrer Beziehung war, fraß er ihr aus der Hand. Sie war ihm so ans Herz gewachsen, dass es kein Entrinnen mehr gab. Und das konnte er weder auf seine noch auf ihre Katze schieben – es lag allein an dieser Frau, an ihrer ganzen Art.
Ihre Augen trafen sich. Gott, sie war so wunderschön und intelligent. Er würde auf eine Party gehen, mit lauter korrupten Menschen, die nur daran dachten, anderen den letzten Dollar aus der Tasche zu ziehen. Sie erforschte sonst im Dschungel die dort heimischen Pflanzen, wie man sie nutzen konnte, um Menschen zu helfen. Die Frau, die er gleich umgarnen sollte, war noch schlimmer als alle anderen; ein Menschenleben bedeutete ihr rein gar nichts. Seine Frau dagegen würde mit allem einverstanden sein, was ihr Mann tun musste, um Kinder zu retten, die nicht ihre eigenen waren.
»Ich liebe dich«, sagte er. Schlicht und einfach. Vor allen anderen.
Isabeau schenkte ihm ein kleines Lächeln, ihre Augen strahlten vor Stolz. »Ich liebe dich auch.«
Conner drehte sich um und schloss sich Marcos Santos an, dem Onkel von Felipe und Leonardo. Schweren Herzens übernahm er seine schwierige Rolle als Bodyguard. Als Rio ihm leicht auf die Schulter klopfte, sah er sich noch einmal zu seinem Teamführer um.
»Wir passen auf sie auf«, versicherte Rio.
Isabeau war klug und hatte schnell gelernt. Sie war oft im Regenwald gewesen und konnte fremde Menschen sehr gut einschätzen. Er musste an ihre Fähigkeiten glauben. Er nickte Rio zu und spähte weiter in die Runde, während sie über einen gewundenen Weg zum Haupthaus gingen.
Der Dschungel wurde durch ein Heer von Arbeitskräften in Schach gehalten, die sich einen ständigen Kampf mit ihm lieferten. Bei jeder Gelegenheit versuchte der Wald, das verlorene Terrain zurückzuerobern. An den Grundstücksgrenzen bildeten die Luftwurzeln der Würgefeigen große Höhlen und um die Baumstämme wanden sich Blumen in leuchtenden Farben. Philodendronblätter groß wie Regenschirme wuchsen an Stämmen und allen möglichen Holzpfählen und verwandelten das Gebiet in einen dichten grünen Wald.
Diese Pflanzen schirmten das Haus effektiver gegen den Dschungel ringsherum ab als der hohe Zaun, der noch hinzugefügt worden war. Die Schlinger wanden sich bereits am Draht entlang und in ein paar Jahren würde das Gebäude vor Blicken von außen gänzlich verborgen sein. Doch im Augenblick waren die Fenster, Balkone und Terrassen für Jeremiah noch gut einsehbar.
Die Sicherheitskräfte, die Philip Sobre eingestellt hatte, waren überall. Sie patrouillierten auf dem gesamten Gelände und stellten demonstrativ ihre Waffen zur Schau, doch Conner fiel auf, dass niemand in das hohe Laubdach an der Grundstücksgrenze sah. Jeremiah würde es leichthaben, zumindest bis die gedungenen Leoparden eintrafen. Bei den Männern, die momentan vor Ort waren, um die Partygäste zu schützen, handelte es sich offenbar weder um Berufssoldaten noch um Leibwächter. Conner vermutete, dass sie zur örtlichen Polizei gehörten und sich etwas Geld dazuverdienten.
Als Marcos sich der Eingangstür näherte, legte Felipe eine Hand auf seine Schulter, und die beiden Männer blieben stehen, um Conner den Vortritt zu lassen. Conner setzte ein entschlossenes, undurchdringliches Gesicht auf, öffnete das Jackett, damit es keinen Zweifel daran gab, dass er bewaffnet war, und ging zum Hauseingang. Die Türsteher überprüften ihre Liste, nickten und ließen ihn durch. Conner überprüfte sämtliche Räumlichkeiten, und es war ein verdammt großes Haus. Hauptsächlich ging es ihm darum, wo sich die Überwachungskameras, Fenster, Ausgänge und Treppen befanden. Sie hatten zwar vorab eine Skizze des Anwesens studiert, doch die Pläne waren nicht exakt gewesen. Leise teilte er den anderen Teammitgliedern per Funk mit, wo es Abweichungen gab.
Mehrere Türen im ersten Stock führten auf einen Innenhof, wo zwischen einer Reihe von Springbrunnen, die sich aus einem Koiteich speisten, noch mehr exotische Pflanzen wuchsen. Conner gab den gesamten Grundriss an das Team und Jeremiah weiter, damit Elijah und Rio wussten, in welchen Zimmern ihre »Klienten« am sichersten sein würden, ehe er Marcos erlaubte einzutreten.
Philip Sobre eilte herbei, um Marcos Santos zu begrüßen. Conner und Felipe ignorierte er natürlich, aber Marcos war ein so wichtiger Gast, dass er von ihm persönlich in Empfang genommen wurde.
»Ich habe einen Freund von mir mitgebracht, Elijah Lospostos. Ich gehe davon aus, dass meine Sekretärin sie davon unterrichtet hat, denn ich war bereits unterwegs, als ich erfuhr, dass er sich ebenfalls in ihrem Land aufhält. Er besucht gerade seine Cousine. Die junge Dame ist auch dabei – Isabeau Chandler«, sagte Marcos. »Sollten meine Freunde nicht willkommen sein, können wir uns gern ein andermal treffen.« Nur ein extrem wohlhabender Geschäftsmann, der daran gewöhnt war, seinen Willen zu bekommen, konnte das so lässig sagen. »Elijah hat seine eigenen Bodyguards dabei. Einer davon ist ein Neffe von mir. Elijah und mein Neffe sind wie Söhne für mich.« Marcos machte Anstalten wieder zu gehen.
Philip verneigte sich beflissen. »Selbstverständlich sind Ihre Freunde in meinem Haus willkommen.« Er hatte sogar den strikten Befehl, dafür zu sorgen, dass Elijah Lospostos sich wohlfühlte. Der Hausherr winkte Elijahs Bodyguards durch und starrte seine Türsteher wütend an, als sie die Männer auf versteckte Waffen durchsuchen wollten.
Elijah nickte ihm flüchtig zu und ließ kurz die weißen Zähne blitzen, was ihn gefährlicher aussehen ließ als die wilden Tiere rund um das Grundstück. Dann legte er einen Arm um Isabeau und führte sie ins Haus. Für die Party hatte sie einen knöchellangen, schwingenden Rock und ein enges Top angezogen, das ihre Kurven zur Geltung brachte. Sie sah umwerfend aus, wie alle Frauen kurz vor dem Han Vol Don, und sie duftete betörend weiblich. Sie war ein Traum in Blau, und Philip wäre fast gestolpert, als er sie sah. Er nahm ihre Hand, blickte ihr tief in die Augen, und verbeugte sich wie zum Handkuss.
Während Isabeau freundlich lächelte, riss Elijah rücksichtslos ihre Hand weg, ehe Philips kalte Lippen sie trafen. »Das ist meine Lieblingscousine.« Wieder ließ er die weißen Zähne blitzen, die nun ein klein wenig spitzer wirkten. »Und ich habe sie sehr gern.« Es war eine deutliche Warnung, die keinem Mann in Hörweite verborgen blieb.
»Isabeau«, flüsterte Philip. Offensichtlich konnte er die Augen nicht von ihr losreißen.
Während er den Geruch ihres Gastgebers analysierte, betrachtete Elijah ihn näher. Sie hatten sich mit dem Mann beschäftigt. Er war habgierig und führte ein äußerst dekadentes Leben. Man erzählte sich, dass Frauen aus seinem Haus getragen werden mussten, während er in einen seidenen Bademantel gehüllt mit einem Glas Whiskey in der Hand und einem kleinen Lächeln auf den Lippen ungerührt dabei zusah. Wohin man auch blickte, die Hinweise auf sein opulentes Leben waren nicht zu übersehen.
Marcos nahm ein Glas von einem Tablett und musterte die Serviererin mit glänzenden Altmänneraugen. Dann schaute er zu Conner hinüber, der kaum merklich nickte. Die Frau trug eine schwarze Hose und eine weiße Bluse. An der Wange hatte sie eine kleine Prellung, die dick unter Make-up versteckt war, und die Hand, mit der sie das Silbertablett hielt, zitterte leicht.
Rio machte ihnen ein Zeichen, weiter ins Haus zu gehen, in eins der Zimmer, die Conner für sicher hielt. Es hatte mehrere Ausgänge und einen offeneren Grundriss. Philip folgte ihnen und erzählte dabei von dem so dringend benötigten, gerade im Bau befindlichen neuen Hotel, und von den Arbeitsplätzen, den Vorteilen und all den touristischen Möglichkeiten, die es mit sich brachte. Marcos hörte aufmerksam zu und gab höfliche Kommentare, während Conner sich im Hintergrund hielt, denn er wusste, dass er so geheimnisvoller und gefährlicher wirkte, wenn Imeldas Sicherheitsleute sich die Aufzeichnungen der Kameras ansahen, ehe sie ihr erlaubten, ins Zimmer zu gehen.
Conner hatte Imeldas Steckbrief sorgfältig studiert, so wie er es bei jeder Zielperson machte. Sie mochte starke, dominante Männer, die sie überraschten und ein wenig einschüchterten, die sie aber leicht wieder loswurde, wenn sie sie leid war. Elijah hatte zwar das entsprechende Charisma und die Ausstrahlung, aber zu viel Macht. In dem Fall käme sie nicht in Versuchung, da war Conner sich ziemlich sicher.
Isabeau schlenderte durchs Zimmer und blieb vor einem Schaukasten stehen. Hinter einer großen Glasscheibe waren Peitschen, Flogger, Stöcke und verschiedene andere Folterinstrumente ausgestellt. Philip trat von hinten an sie heran. Zu nah für ihren Geschmack. »Interessiert Sie das?«
Ein wenig verächtlich sah sie ihn über die Schulter hinweg an. »Kaum. Ich vergnüge mich lieber auf andere Weise.«
»Vielleicht kann ich Sie dazu bringen, Ihre Meinung zu ändern. Eine Mischung aus Lust und Schmerz hat oft eine erstaunliche Wirkung.«
Isabeau lüpfte eine Braue. Sie hatte nur Minuten, um sich über Philip Sobre eine Meinung zu bilden, doch sie bezweifelte, dass sie länger brauchte. Elijahs Part war es, den überbesorgten Cousin zu spielen, während sie sich – geschmeichelt wie gelangweilt – möglichst verführerisch geben sollte. Angeblich war Sobre über mehrere Monate in Imeldas Haus ein gerngesehener Gast gewesen. Im Moment schienen seine Besuche allerdings weniger häufig zu sein. Isabeau vermutete, dass Philip und Imelda eine gemeinsame Vorliebe hatten, nämlich Spaß daran, andere zu quälen.
»Auf den, der den Schmerz zufügt, oder auf den, der ihn aushält?«, fragte sie mit einem kleinen Lächeln, das geheimnisvoll und milde interessiert wirken sollte. »Ich schätze, ich wäre lieber die Aktive.« Ihre Katze regte sich, es gefiel ihr nicht, dass dieser Mann mit den gierigen Augen so nah herangekommen war und sein Pfefferminzatem sie an der Schulter streifte. Isabeaus Haut begann zu prickeln, und sie hatte das Gefühl, als wüchsen ihr ganz langsam Krallen.
»Da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Es ist großartig zu sehen, wie die Peitschenschnüre ins Fleisch schneiden.« Philip holte tief Luft; der Moschusgeruch, der von ihm ausging, verriet Isabeau, dass er erregt war. »Die Peitsche so zu führen, dass der Schlag perfekt sitzt, ist eine Form der Kunst.«
»Eine, die Sie studiert haben?« Isabeau drehte sich zu ihm um, lehnte sich an die Wand und musterte ihn über das Glas Wein hinweg, das sie zu trinken vorgab. Philip Sobre war ein Sadist. Der Gedanke, einen hilflosen Menschen mit der Peitsche zu züchtigen, erregte ihn. Über Imelda Cortez kursierten ähnliche Gerüchte. Ihre Grausamkeit war ebenso legendär wie die ihres Vaters vor ihr. Das machte die beiden natürlich füreinander anziehend. Und Philip war in einer Position, die es ihm erlaubte, ständig neue Opfer für die Spielchen mit Imelda aufzutreiben.
»Aber natürlich«, erwiderte Philip. »Ausgiebig sogar.« Sein Blick war so anzüglich und lüstern, dass Isabeaus Magen rebellierte.
Sie hatte einen Großteil ihres Lebens in den Tropen verbracht und wusste, dass der Unterschied zwischen arm und reich dort enorm groß war. Die Gluthitze des Dschungels brachte in vielen Menschen das Schlimmste zum Vorschein, und die Distanz zur Zivilisation zog häufig verkommene Subjekte an, die glaubten, sie stünden über dem Gesetz und könnten tun, was sie wollten. Solche Leute meinten, die Eingeborenen seien Menschen zweiter Klasse, und wenn ein paar von ihnen verschwanden, merke es keiner. Dieser Einstellung begegnete sie nicht zum ersten Mal, doch Philip zeigte sie besonders unverfroren.
Obwohl Isabeau weiterlächelte, war sie dankbar, als Elijah zu ihr herüberkam und sie beim Arm nahm. Anscheinend hielt Philip ihn für ein Alphatier – wie sich selbst. Die Augen auf Philip gerichtet beugte Elijah sich zu Isabeaus Ohr hinunter.
»Weiter so, du wirkst sehr cool und ruhig und ein klein wenig hochmütig. Ich schätze, die Videobänder werden gerade ausgewertet. Sobres Interesse an dir wird Imelda reizen. Und Conners geheimnisvoller Auftritt ist auch nicht zu übersehen.«
Isabeau lächelte, tätschelte seine Wange und bemühte sich, bewundernd zu ihm aufzuschauen. Es war seltsam. Sie kannte Elijahs Hintergrund und wusste, wo er herkam und was er im Leben getan hatte, und das meiste davon war nicht besonders gut gewesen, trotzdem roch er sauber. Philip dagegen roch verdorben. Es fiel ihr schwer, nicht zu Conner hinüberzuschauen, als Elijah sie zu Marcos zurückführte, der grüßend sein Weinglas erhob und ihr einen Witz erzählte. Isabeau spürte sofort, als Philip hinzukam und sich direkt neben sie stellte. Damit zeigte er allen, dass er sich trotz der deutlichen Warnung, die Elijah ausgesprochen hatte, unter Imeldas Schutz sehr sicher fühlte.
Es war offensichtlich, dass Imelda in Philips Haus das Sagen hatte. Das sah man am Überwachungssystem und an den Waffen, mit denen Philips Sicherheitsleute ausgestattet waren. Sie waren zu raffiniert für die Männer, die sie trugen. Diese Männer gehörten zu Sobres persönlicher Schutztruppe, nicht zu Imeldas, denn Philip war anscheinend zu faul oder zu geizig, Berufssöldner oder Ex-Soldaten anzuheuern. Vielleicht war er ja der Ansicht, nicht so gefährdet zu sein wie Imelda. Doch die beiden hatten definitiv miteinander zu tun, sonst hätte es all die Waffen und Sicherheitssysteme nicht gegeben. Als Leiter der Tourismusbehörde war Philip in der Lage, Imelda dabei zu helfen, ihre Drogen außer Landes zu schaffen. Und er wurde offenbar gut bezahlt für seine Dienste.
Isabeau verfolgte, wie Philip versuchte, Marcos mit seinem eingebildeten Charme einzuwickeln. Marcos war nicht mehr der Jüngste, und vielleicht glaubte Imelda, ihn zur Zusammenarbeit überreden oder zwingen zu können, falls ihm ihr Angebot nicht behagte. Bei Elijah lagen die Dinge ein wenig anders. Er war jung und viril. Und er stand in dem Ruf, ein skrupelloser Geschäftsmann zu sein. Seine Leute waren ihm treu ergeben, und seine Feinde neigten dazu, früh zu sterben. Niemand hatte ihn an Marcos’ Seite erwartet.
In etwa einer Stunde war mit Imelda zu rechnen, dann würde die Spannung sprunghaft ansteigen. In der Zwischenzeit wollte das Team versuchen, möglichst viele Informationen aus Sobre herauszuholen, ohne nach Imelda zu fragen. Er sollte sie selbst ins Gespräch bringen, und Isabeau war sicher, dass das nicht mehr lange dauern würde. Philip war bereits dabei, die Namen verschiedener Berühmtheiten fallenzulassen, die er bereits zum Abendessen oder auf einer Party begrüßt hatte. Er war ein eitler, aufgeblasener Mann, aber Isabeau hütete sich, ihn zu unterschätzen. Denn dumm konnte er nicht sein, wenn er so weit gekommen war.
»Sie haben ein sehr schönes Zuhause, Mr. Sobre«, sagte sie. »Es ist … erstaunlich.«
Geschmeichelt warf Philip sich in die Brust. »Selbst an Orten wie diesen kann man es sich schön machen.« Er hielt ihren Blick fest. »Wir stellen unsere eigenen Regeln auf und leben, wie wir es für richtig halten.«
Über den Rand ihres Kristallglases hinweg lächelte Isabeau ihn freundlich desinteressiert an. »Nun, es sieht aus, als würde Ihnen das gut gelingen. Wo in aller Welt haben sie all diese Diener aufgetrieben?«
Isabeau wählte absichtlich das Wort »Diener« und einen leicht abfälligen Ton, als sie auf das uniformierte Personal deutete. Es bestand fast ausschließlich aus Frauen, aber sie sah auch einige Männer, die Tabletts herumreichten. Sie war sicher, dass diese Leute keine Sicherheitskräfte waren, denn sie bewegten sich mit gesenktem Blick durch die Menge. Einige der teuer gekleideten Besucherinnen berührten die männlichen Bediensteten aufreizend, und Isabeau hätte wetten mögen, dass die Männer und Frauen, die sich nach oben zurückzogen, noch ganz andere Dienstleistungen vom eingeschüchterten Personal verlangten – und höchstwahrscheinlich bei diesen Vergnügungen heimlich gefilmt wurden.
Das Team schätzte, dass ihnen nur ein oder zwei Stunden blieben, bis Imelda eintraf. Alles, was Isabeau über diese Frau wusste, deutete darauf hin, dass sie es darauf anlegte, jeden in ihrem Umfeld klein aussehen zu lassen. Imelda war vermutlich kalt, herzlos und sogar grausam zu denen, die sie für unterlegen hielt. Wenn Philip wirklich unter ihrer Fuchtel stand, blieb ihm nur die Zeit bis zu Imeldas Ankunft, um Isabeau von seiner Wichtigkeit zu überzeugen. Danach würde Imelda ihn auf seinen Platz verweisen.
Da Philip sie für Elijahs Cousine hielt, glaubte er bestimmt, sie wüsste etwas über die Familiengeschäfte. Als Chef eines vom Vater ererbten gefährlichen Drogenkartells war Elijah Imelda ebenbürtig. Sicher fragten Philip und Imelda sich, ob Marcos etwas mit Elijah und seinem Unternehmen zu tun hatte und ob die beiden gemeinsam kamen, um eine Allianz vorzuschlagen.
Marcos tätschelte einer Kellnerin, die neben ihm stand, den Hintern und die junge Frau ließ es sich mit gesenktem Blick gefallen. Isabeau zuckte nicht mit der Wimper, obwohl sie dem alten Lustmolch gern ihr Glas an den Kopf geworfen hätte. Was wusste sie eigentlich über ihn? Wieso duldeten die anderen, dass er sich so benahm? Sie zwang sich, tief einzuatmen und den Geruch der Umstehenden aufzunehmen, damit ihre Katze ihr einen Überblick verschaffen konnte.
Am deutlichsten roch es nach Angst, außerdem noch nach Hass und Wut. Unter der Oberfläche gärte es also. Und natürlich witterte sie auch Lüsternheit, doch nicht bei Marcos. Er spielte nur eine Rolle. Genau wie sie. Und Conner. Das Ergebnis war eindeutig.
Isabeau schaute zu Elijah hinüber. Er hatte es gewusst. Alle hatten es gewusst. Hier ging es nicht nur um Drogen und Kidnapping. Sie hatten ihr verschwiegen, was sie erwartete. Wenn sie von Anfang an eingeweiht gewesen wäre, wäre sie niemals imstande gewesen, Sobre freundlich anzulächeln. Die anderen hatten sie vorsätzlich wie ein Unschuldslamm in die Höhle des Löwen geschickt. Isabeau hätte ihr Leben darauf verwettet, dass einige der reichen Touristen, die Sobre in diesen Teil des Urwalds gelockt hatte, spurlos verschwunden waren. Nichts leichter als das.
Was reimte sie sich da eigentlich zusammen? Dass der aalglatte Kerl, der ihr gerade ein neues Glas Wein reichte, in Wahrheit ein Serienkiller war? Dass er seine Position ausnutzte, um seine sadistischen Triebe zu befriedigen? Um von ihren erschreckenden Gedankengängen abzulenken, führte Isabeau ihr Glas zum Mund. Sie trank sogar einen Schluck, ehe sie den Geruch bemerkte. Irgendjemand hatte ihr etwas in den Wein getan. Isabeau leckte sich über die Lippen und sah wieder zu Elijah hinüber. Diesmal reagierte er; lächelnd nahm er ihr das Glas aus der Hand und setzte es selbst an die Lippen. Isabeau stockte der Atem, fast hätte sie ihm eine Warnung zugerufen.
In dem Augenblick rempelte die Kellnerin Elijah an, sodass er das Getränk verschüttete. Der Wein landete auf seinem blütenweißen Hemd, und das Glas zersplitterte am Boden. Das Tablett folgte scheppernd, und die Häppchen verteilten sich ringsherum.
»Teresa!«, brüllte Philip. Die Faust, die auf das entsetzte Gesicht der Frau zielte, verfehlte Isabeau nur um Haaresbreite.
Das Klatschen von Fleisch auf Fleisch hallte laut durch den Raum. Alle Unterhaltungen verstummten, und es wurde seltsam still. Conner stand vor der Kellnerin und hielt Philips Faust umklammert. Niemand hatte ihn kommen sehen. Er wirkte wild entschlossen. Und gefährlich. Seine goldenen Augen bohrten sich in die des kleiner gewachsenen Gastgebers.
»Vielleicht haben Sie es nicht bemerkt, aber Sie haben diese Frau angestoßen, sodass sie gegen Mr. Lospostos prallte.« Conner sprach sehr leise. Isabeau bezweifelte, dass irgendjemand außerhalb ihres kleinen Kreises ihn verstehen konnte. »Und fast hätten Sie Miss Chandler getroffen.«
Philip Sobres Augen funkelten mordlüstern, doch dann riss er sich zusammen und lächelte. »Ich fürchte, nein.«
Conner gab seine Hand wieder frei. Isabeau war klar, dass die Kameras jede Bewegung aufgezeichnet hatten und dass Imelda das überraschende Eingreifen des Leibwächters sehr interessant finden würde. Er hatte eine Kellnerin verteidigt. Und er war so schnell dazwischengegangen, dass die Kameras es wahrscheinlich gar nicht richtig mitbekommen hatten. Imelda würde mehr als nur interessiert sein. Bestimmt wollte sie einen so draufgängerischen, gefährlichen Mann kennenlernen. Er hatte Philips Bodyguards gar nicht beachtet, so als könnten sie ihm nichts anhaben.
Isabeaus Herz begann zu klopfen, und sie spürte, wie ihr vor Angst die Galle hochkam. Conner hatte sich zur Zielscheibe gemacht, dabei waren alle um sie herum Killer. Sie hegte sogar den Verdacht, dass der smarte Philip – der sich nun wieder gut gelaunt und charmant gab und den anderen Bediensteten befahl, Teresa beim Aufräumen zu helfen – ein Mörder war. Er tat zwar, als würde er Conner ignorieren, doch Isabeau sah ihn mehrmals zu der im Schatten liegenden Wand hinüberschauen, wohin Conner sich zurückgezogen hatte.
Wenn Adan das alles über Sobre gewusst hätte, hätte er sich nie überreden lassen, ein professionelles Team anzuheuern, um die Kinder zurückzuholen. Wie also war Conner an seine Informationen gelangt? Die anderen wussten offenbar, dass mit dem Leiter der Tourismusbehörde irgendetwas nicht stimmte und waren vorbereitet gekommen. Welche zusätzlichen Quellen hatten sie?
»Komm mit, Isabeau, ich will ein sauberes Hemd anziehen«, befahl Elijah. Mit einem weiteren drohenden Blick in Philips Richtung fasste er sie am Ellbogen und führte sie zum Eingang. »Du kaust auf deiner Unterlippe.«
»Tatsächlich?« Außer Reichweite des Tourismuschefs und seiner Neigung zum Sadismus hatte Isabeau das Gefühl, wieder frei atmen zu kommen.
»Das machst du immer, wenn du nervös bist.«
»Woher wusstet ihr das über Sobre? Er ist ein Sadist, oder?«
»Er ist ein Mörder. Und es gefällt ihm, Menschen wehzutun, egal, ob Mann oder Frau. Das erregt ihn. Und in Imelda hat er eine perfekte Partnerin gefunden. Sie teilt seine Freude an diesen schmutzigen Spielchen und ermutigt ihn sogar noch dazu. Solange er weiter tötet, hat sie ihn fest in der Hand.«
»Hört sich an, als wären die beiden das perfekte Paar.«
»Eine Zeit lang waren sie tatsächlich zusammen. Aber ich vermute, Imelda möchte einen dominierenden Mann, und das konnte Philip ihr nicht bieten. Er hat zu viel Angst vor ihr.« Elijah trat zurück, damit Rio ihnen die Tür des SUV öffnen konnte. Dann winkte er Isabeau in den Wagen.
»Wenn wir wieder ins Haus gehen, muss es so aussehen, als hättest du von deinem bösen Cousin eine Lektion erhalten. Sobre geht davon aus, dass ich dich nicht in seiner Nähe sehen will – was ja auch stimmt. Ich weiß genau, wie er tickt. Er denkt, ich hätte eine Schwäche für meine Cousine, und da er selbst sich stets nimmt, was er will, glaubt er, ich mache das genauso.«
»Der Mann macht mich krank. Dieser Geruch. Diese Augen. Und die Art, wie er mich ansieht. Einfach alles an ihm. Irgendetwas war in meinem Wein.«
Elijah nickte. »Ich hab’s riechen können.« Er knöpfte sein Hemd auf. »Wenn die Kellnerin mich nicht angestoßen hätte, wäre mir schon etwas eingefallen, um das Glas loszuwerden. Findest du es nicht interessant, dass man mich nicht unter Drogen setzen wollte? Cortez ist anscheinend stärker an einer Unterhaltung mit mir interessiert, als ich gedacht hätte.«
»Woher wusste Rio von Sobre?«
»Adan hat ihm einige Aufzeichnungen von Marisa gezeigt, damit er ihm seine Geschichte abnimmt. Eigentlich nur, um Rio zu überzeugen, dass er uns nichts Böses wollte. Marisa war Sobre schon seit einiger Zeit auf der Spur. Anscheinend …« Ein Lächeln huschte über Elijahs Gesicht, während er ein schwarzes Hemd aus einem kleinen Koffer zog. »Bereit sein ist alles.«
Isabeau spielte mit ihren Händen und machte ihm ein Zeichen fortzufahren. »Anscheinend was?«
»Anscheinend sind in den letzten Jahren in dieser Gegend mehrere Frauen verschwunden, so viele, dass Marisa argwöhnisch wurde. Sie war die ›weise Frau‹ der Gegend und viele, nicht nur Eingeborene, suchten ihren Rat, daher erfuhr sie mehr als andere.«
»Und so hörte sie auch von Sobre.«
Elijah nickte und knöpfte sich das Hemd zu. »Er geriet in ihr Visier, als eine junge Engländerin verschwand. Die Frau war mit drei Freundinnen im Urwald unterwegs. Irgendwie wurde sie von den anderen getrennt und nie wiedergefunden.«
»Und wie kam Marisa auf Sobre?«
»Er hatte den Mädchen von einem bestimmten Weg erzählt, einem ziemlich unbekannten, aber keinen Führer empfohlen. So lautet zumindest die Aussage der anderen Mädchen. Sobre dagegen behauptet, er habe die Route nur zufällig erwähnt und ihnen sogar die Namen von Führern aufgeschrieben.«
»Was noch?« Isabeau wusste, dass da noch mehr sein musste. Sie hatte keine Ahnung, ob sie wütend oder einfach nur sauer sein sollte, weil ihr Team sie in Sobres Räuberhöhle gebracht hatte, ohne ihr die ganze Wahrheit zu sagen.
»Sobre ist mit siebzehn in dieses Land gekommen. Heute ist er einundfünfzig. Marisa fand heraus, dass seit vierunddreißig Jahren Mädchen verschwinden.«
Isabeau presste eine Hand auf den Mund. »Mein Gott, er ist wirklich ein Serienmörder.«
»Zu diesem Schluss ist Marisa auch gelangt.«
»Glaubst du, Sobre hat gewusst, dass sie ihm auf der Spur war? Könnte es sein, dass er Suma absichtlich auf das Dorf gehetzt hat, um sie zu töten?«
»Möglich, aber das werden wir wohl nie erfahren. Imelda Cortez hat vermutlich von all dem gewusst, und ihn nicht nur ermutigt, sondern auch unterstützt. Diese perverse, widerliche Veranlagung, die die beiden teilen, ist offensichtlich ein starkes Band.«
»Du hast es von Anfang an gewusst«, sagte Isabeau, »aber du hast mir nichts gesagt.«
»Imelda Cortez geht nur dann aus dem Haus, wenn sie die Situation, in die sie sich begibt, voll im Griff hat. Das bedeutet, wenn sie diese Party bei Philip Sobre besucht, hat sie ihn in der Tasche. Anhand von Marisas Aufzeichnungen war es nicht besonders schwer zu entscheiden, wo wir mit unserer Suche beginnen sollten. Sie hatte sich fast alles richtig zusammengereimt. Wir Leoparden haben den Mann instinktiv verachtet«, bemerkte Elijah.
»Conner hat sich gerade zur Zielscheibe gemacht«, sagte Isabeau. »Sobre ist wütend auf ihn, nach dieser öffentlichen Demütigung wird ihm jede Entschuldigung recht sein, sich an ihm zu rächen. Und Imelda wird gerade deswegen neugierig auf Conner sein. Hab ich Recht?«
Elijah nickte. »Deshalb sind wir schließlich hier, weil wir einen Fuß in die Tür bekommen wollen.«
»Und weil Conner wollte, dass Sobre sich mehr auf ihn konzentriert als auf mich«, vermutete sie.
»Das auch. Es war wichtig, dass du Sobre unvoreingenommen begegnest, Isabeau. Du bist zum ersten Mal in einer solchen Situation, und wir wussten nicht, wie du damit fertigwerden würdest.«
Isabeau reckte das Kinn. »Was, wenn ich seinen Avancen nachgegeben hätte?«
»Wir haben dich nicht aus den Augen gelassen. Das hätten wir nicht zugelassen. Ich bin der große, böse Cousin, und Rio und Felipe sind unser persönlicher Begleitschutz. Wenn ich die beiden aufgefordert hätte, dich in den Wagen zu verfrachten, hätten sie es umgehend getan, und niemand hätte Verdacht geschöpft.« Elijahs Hand lag auf dem Türgriff, doch er stieg nicht aus.
»Ich komme damit zurecht«, versicherte Isabeau.
»Bist du sicher? Wir dürfen keine Fehler machen. Zu viele Leben hängen davon ab, und wir haben keine Beweise. Jedenfalls kannst du darauf wetten, dass jeder Gesetzeshüter in der Gegend entweder von Imelda geschmiert wird oder eine Heidenangst vor ihr hat. Verdammt, die meisten von ihnen verdienen sich ein Zubrot, indem sie auf Sobres Party aufpassen.«
»Ich sagte, ich komme damit zurecht. Conners Leben steht auf dem Spiel. Ich stärke ihm den Rücken. Glaub mir, ich tue alles Notwendige, um ihn heil da herauszubekommen.«
Elijah musterte Isabeaus entschlossenes Gesicht und nickte schließlich. »Gutes Mädchen.« Dann fuhr er ihr durchs Haar und rieb ihr Gesicht, sodass ihre Wangen rot anliefen und ihre Lippen ein wenig geschwollen wirkten, als ob er sie geküsst hätte. »Hoffen wir, dass Conner mir nicht bei lebendigem Leib das Herz herausreißt.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich werde schön mit den Tränen kämpfen, damit du wie ein echter Bösewicht dastehst.«
»Dein Schurke von Cousin will nicht, dass seine Lieblingscousine mit jemand anderem flirtet, deshalb hat er ihr ernste Vorhaltungen gemacht, und dann haben wir uns wieder vertragen.«
»Sobre wird dir nicht ins Gehege kommen, nicht ohne Imeldas Erlaubnis«, bemerkte Isabeau.
»Deshalb bist du bei mir sicher. Also halt dich an meiner Seite. Und fass mich gelegentlich an, aber nicht zu intim. Sie sollen zwar vermuten, dass wir etwas miteinander haben, aber nicht zu offensichtlich.«
»So als ob keiner davon wissen dürfte.« »Oder zumindest so, als ob es nicht allgemein bekanntwerden soll. Aber es gibt gleichzeitig auch ein Risiko. Einerseits bis du bei mir vollkommen sicher, solange sie glauben, dass es eine Chance gibt, mit mir ins Geschäft zu kommen, andererseits, sollten sie mich erpressen oder mir drohen wollen, dann bist du die Erste, die in Gefahr ist. So denken sie einfach.«
Isabeau nickte. »Ich bin mir ganz klar dessen bewusst. Wirklich, Elijah, ich schaffe das. Auch wenn ich nicht mit Conner zusammen wäre. Schließlich war es meine Idee, euch alle herzuholen, und ich will das Risiko mittragen.«
Elijah öffnete die Wagentür. Draußen am Auto stand Rio, das ausdruckslose Gesicht dem Haus zugewandt, als wäre er ein echter Bodyguard. Isabeau wunderte sich, wie sie es alle schafften, gleichzeitig so grimmig und geschäftsmäßig auszusehen.
Als Elijah ihr locker die Hand auf den Rücken legte, warf sie ihm ein kleines Lächeln zu. »Ich wette, Sobre beneidet uns um unsere Leibwächter.«
»Personenschützer«, korrigierte er sie mit einem Zwinkern.
Isabeau blieb näher bei Elijah als zuvor, hielt aber immer noch einen Abstand, den man als diskret bezeichnen konnte. Die Türsteher winkten sie wieder ins Haus. Die Musik schien lauter geworden zu sein und die Räume wesentlich voller. Mit einer besitzergreifenden Geste fasste Elijah sie am Ellbogen und führte sie durch die Menschen. Rio ging voran, und Felipe bildete die Nachhut. Isabeau bemerkte, dass die Menge sich vor ihnen teilte und ihnen breiten Raum ließ.
Marcos unterhielt sich in einer Ecke mit Philip. Links neben ihm stand Leonardo und rechts, mit traurigem Blick, Teresa, die Kellnerin. Dann und wann tätschelte Marcos ihr den Arm oder den Rücken, und sie zuckte zusammen, ging aber nicht weg. Als Elijah und seine Begleiter sich der kleinen Gruppe näherten, schaute Philip auf und bemerkte Isabeaus leicht ramponierte Erscheinung auf den ersten Blick. Sie achtete darauf, dass er auch den Tränenschleier in ihren Augen zu sehen bekam, ehe sie ihn wegblinzelte. Bevor Philip den Blick wieder Marcos zuwandte, schaute er noch auf Elijahs Finger, die Isabeaus Ellbogen umklammert hielten.
»Teresa wird alles daransetzen, Ihnen den Besuch so angenehm wie möglich zu machen, nicht wahr?«
Die Kellnerin nickte und machte ein noch traurigeres Gesicht. Auf Philips finsteren Blick hin setzte sie ein Lächeln auf. »Selbstverständlich.«
Marcos gab ihr einen eindeutigen Klaps auf den Po. »Später. Lauf nur nicht weg.«
Schnell suchte Teresa das Weite. An der Stelle, wo sie ihr Tablett fallengelassen hatte, war der Boden wieder makellos sauber, und da Philip nun glaubte, Marcos würde die oberen Räumlichkeiten nutzen, war er bester Laune. Isabeau wischte Elijah einen nicht vorhandenen Lippenstiftfleck mit der Hand vom Mund, und ließ sie dann hastig wieder sinken.
»Sie haben die Pilz-Kanapees noch nicht probiert«, meinte Philip zu Elijah.
»Die sind großartig«, lobte Marcos. Es sah aus, als wären er und Philip gute Freunde geworden. »Und die Krebs-Kanapees sind noch besser. Du musst sie wirklich versuchen, Elijah.«
Der nickte lächelnd. »Was Essen angeht, bist du schon immer ein Kenner gewesen, Marcos. Ich weiß, dass du mir nie falsche Ratschläge geben würdest.«
»Und ein Frauenkenner ist er auch«, bemerkte Philip, während er Isabeau anzüglich lächelnd von Kopf bis Fuß musterte. »Teresa ist wunderschön.«
Elijah legte einen Arm um Isabeau und zog sie beiseite, um Philip für den Gang zum langen Buffet-Tisch den Vortritt zu lassen. Er tat das ganz lässig, als wollte er nur nett sein zu seiner Cousine, doch er war sicher, dass Philip die Geste als Besitzdemonstration verstand, mit der er deutlich machte, dass Isabeau zu ihm gehörte und alle anderen die Finger von ihr zu lassen hatten. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln wies Philip sie auf die verschiedenen Köstlichkeiten hin.
»Möchten Sie tanzen, Isabeau?«, fragte er mit einem weiteren selbstgefälligen Grinsen.
Im Einklang mit ihrer Rolle schaute Isabeau zögernd zu Elijah auf, der sie grimmig anstarrte, woraufhin sie hastig den Kopf schüttelte. »Nein, danke. Ich denke, ich probiere lieber die Krebsküchlein.«
»Sie werden feststellen, dass mein Koch Erstaunliches leistet«, sagte Philip.
Elijah musterte ihn gelangweilt. »Ich finde es eher erstaunlich, wie sie so viele Leute hierherlocken konnten.«
Philip wurde ein klein wenig rot, doch es gelang ihm, trotz der versteckten Beleidigung sein Grinsen zu bewahren. »Das ist mein Geheimnis. Jeder hat doch Geheimnisse. Man muss sie sich nur richtig zunutze machen.«
Ein zögerndes Lächeln, in dem eine Spur von Bewunderung lag, huschte über Elijahs Gesicht. Isabeau war beeindruckt von dieser schauspielerischen Leistung. Es war, als hätte Elijah einen Zauberstab vor Philips Nase geschwungen. »In der Tat. Ist es nicht interessant, was man mit dem richtigen Druckmittel alles erreichen kann?«
Philip schien äußerst zufrieden mit sich zu sein und plusterte sich schon wieder auf, so als ob er mit dieser einen Bemerkung Elijah Lospostos, den berüchtigten Drogenboss, auf seine Seite gezogen hätte. Da begriff Isabeau, dass seine Eitelkeit Philips Schwachstelle war. Er hatte nicht genug Menschen um sich zur Bewunderung seiner Fähigkeiten, und er brauchte Publikum. Mit seinen kriminellen Aktivitäten konnte er schlecht angeben. Nur seine Opfer und Imelda Cortez wussten, wie er wirklich war, und Imelda konnte ihm gefährlich werden. An diesem Abend jedoch war er in ein Rudel von Raubtieren geraten, so viel hatte er erkannt, und er wollte dazugehören.
»Elijah«, sagte Marcos, »vielleicht könnten wir noch ein paar Tage dranhängen und uns an dem erfreuen, was Philips kleine Stadt uns zu bieten hat.«
Isabeau konnte die Verwandlung vom gut gelaunten, liebevollen Onkel zum wild gewordenen Lüstling, der zu jeder Schandtat bereit war, kaum fassen. Marcos’ Wangen waren leicht gerötet, die Augen trübe, als ob er einen Schluck zu viel getrunken hätte, und die Blicke, die er den Frauen zuwarf, etwas zu gierig. Er spielte seine Rolle so glaubwürdig, dass ihr fast ein wenig unbehaglich wurde. Elijah fuhr ihr mit der Hand über den Rücken, ganz flüchtig, beinahe ohne sie zu berühren, doch Isabeau merkte, dass Philip es aus den Augenwinkeln gesehen hatte. Daher spielte sie ihren Part und schaute leicht errötend mit einem kleinen Lächeln zu Elijah auf.
Erbost erhob sich ihre Katze, sie wehrte sich dagegen, von einem anderen Mann berührt zu werden. Im Kopf hörte Isabeau ihr Fauchen, und sie verspürte den starken Drang, sich von den anderen zu entfernen und an die Luft zu gehen. Ihre Haut prickelte.
Rio wandte den Kopf und musterte sie. Auch Conner im Hintergrund regte sich. Felipe und Leonardo bewegten sich gerade so viel, dass sie vor den Blicken der meisten Menschen im Raum abgeschirmt wurde. Und Elijah beugte sich zu ihr herab, ohne sie zu berühren.
»Atme sie weg. Halt sie in Schach«, flüsterte er mit einem unglaublich wissenden, zärtlichen Gesichtsausdruck.
Isabeau holte tief Luft und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Offenbar wollte ihre Katze heraus. Der überwältigende Geruch nach Dekadenz und Korruption machte sie nervös. Schon schmerzten ihre Gelenke. Und ihr Kiefer. Sogar die Zähne. Ihre Finger krümmten sich und die Spitzen brannten. Zu ihrem Entsetzen sah sie, wie die Haut in ihrer Handfläche aufplatzte. Erschrocken machte sie eine Faust und versuchte, ihre Katze zu bändigen.