9
Aufgewühlt hielt sich Isabeau an Conners Schultern fest. Sie zitterte am ganzen Körper. »Was ist los?« Sie konnte nicht mehr klar denken, und das Atmen fiel ihr schwer.
»Wir bekommen Besuch«, sagte Conner. »Allmählich wird es ziemlich voll im Wald.« Dann legte er einen Arm um sie, drückte sie schützend an sich und zog sie ins Gebüsch. »Uns kann nichts passieren. Die Jungs umzingeln sie gerade.«
»Sie?«, wiederholte Isabeau schwach. Wenn man ständig auf der Hut sein musste, würde sie wohl nicht durchkommen. Conner hatte den Geruch der Eindringlinge aufgeschnappt oder auf irgendeine andere Art bemerkt, dass jemand näher kam, während sie nur auf sich und ihre Lust konzentriert gewesen war. Wie machte er das bloß? Fast war sie böse auf ihn, obwohl ihr klar war, dass man diese Fähigkeit brauchte, wenn man im Dschungel überleben wollte.
»Zwei Männer. Anscheinend kennen sie sich im Urwald aus.«
»Ich verstehe das nicht.« Das bezog sich nicht nur auf Conners Erklärung, sondern auch auf die Tatsache, dass ihr Körper weiter um Erlösung flehte und mit jeder Faser danach schrie, ihn festzuhalten – sich seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu versichern. Angesichts der drohenden Gefahren war das natürlich dumm, doch sie hatte sich so auf Conner eingestellt, war so von ihm überwältigt gewesen, dass sie geglaubt hatte, er sei von der gleichen quälenden Besessenheit getrieben wie sie.
»Die meisten Menschen, die in den Dschungel kommen, versuchen, ihn zu erobern, und hacken sich den Weg frei, doch diese Leute sind vertraut mit dem Wald und fühlen sich darin zu Hause, was uns verrät, dass sie vermutlich ständig dort leben.« Conner schlang die Hand um Isabeaus Nacken, senkte den Kopf und hauchte eine Reihe von Küssen auf ihren Hals. »Ich könnte sie schon dafür umbringen, dass sie uns unterbrochen haben.«
Seine Stimme klang leicht gepresst und rau – beinahe harsch, was zeigte, dass er seine Drohung durchaus ernst meinte, und das ermöglichte es Isabeau paradoxerweise, ihm seine Überlebenskünste zu verzeihen. Sie lehnte sich an ihn, ließ sich halten und gab sich große Mühe, die glühende Leidenschaft zu unterdrücken, die sie so geschwächt hatte.
»Hol tief Luft. Das hilft.«
»Tatsächlich?«
Conner lachte leise, fast unhörbar. »Natürlich nicht. Aber man kann es sich einreden. Wenn ich mit dir zusammen bin, ist es immer ein bisschen so, als würde man ein Streichholz an eine Stange Dynamit halten. Anscheinend kann ich mich dann nicht mehr beherrschen.« Conner knabberte an Isabeaus Schulter und drückte das Gesicht kurz in ihre Halsbeuge; offenbar kämpfte er ebenfalls darum, seiner Erregung Herr zu werden. Trotz der nicht ungefährlichen Lage war er nach wie vor steif und hart, sehr zur Freude Isabeaus.
»Schön, dass es uns beiden so geht.«
»Was hast du denn gedacht?« Conner hob den Kopf und musterte sie mit diesem konzentrierten, durchdringenden Blick, der ihr stets das Blut die Wangen trieb. »Ist es nur deine Katze, die mich will?« Seine Stimme war weich wie Samt, fast ein Streicheln. Doch seine Frage verriet, dass auch er ein wenig unsicher war.
»Wie kommst du denn darauf?«
Plötzlich das Husten eines Leoparden. Vögel stoben auf. Mehrere Brüllaffen stießen Warnschreie aus. Unwillkürlich entfuhr Isabeau ein leiser Schreckenslaut.
Conner schob sie hinter sich. »Du darfst nie in Panik geraten, Isabeau, weder als Mensch noch als Leopardin, dein Verstand ist deine beste Waffe. Irgendwann kommt immer ein Moment, den du zu deinem Vorteil nutzen kannst. All die Verteidigungstechniken, die wir dir beibringen, sind großartig, aber Kopf und Training zusammen sind unschlagbar.«
Während er sich tiefer ins Gebüsch duckte und versuchte, die leichte Brise aufzufangen, die durch den Wald wehte, gab er ihr ganz ruhig Unterricht. Unten am Boden regte sich kaum ein Lufthauch, wenn es nicht gerade ein größeres Unwetter gab. Wind herrschte meist nur in den Baumkronen, doch Conners ausgeprägte Sinne erlaubten ihm, trotzdem die nötigen Informationen zu bekommen. Isabeau versuchte, seinem Beispiel zu folgen. Sie war entschlossen, so viel wie möglich zu lernen, damit sie ihm eine Hilfe war.
Als sie einen schwachen Geruch auffing, erkannte sie sofort, dass er sie an Adans Dorf erinnerte. Die Mitglieder seines Stammes benutzten eine aus Wurzeln hergestellte Seife. Sie wartete einige Augenblicke, denn sie vermutete, dass Conner dieses besondere Aroma auch erkannt hatte, doch weder er noch die anderen kamen aus der Deckung. Offenbar trauten sie der Sache nicht, und das lehrte Isabeau wieder etwas.
Zwei Männer erschienen auf der Lichtung. Beide trugen nur einen Lendenschurz, der eine auch Sandalen, der andere war barfuß. Im Dschungel herrschte eine so hohe Luftfeuchtigkeit, dass Kleidung eher hinderlich war, und wer sich regelmäßig im Wald aufhielt, hatte nie mehr an als unbedingt nötig. Das wusste Isabeau aus Erfahrung. Auch sie war ziemlich leicht bekleidet, wenn sie arbeitete. In dem älteren Mann erkannte sie Adans Bruder Gerald, einen der Ältesten. Bei dem anderen handelte es sich um Adans Sohn Will. Isabeau machte Anstalten, um Conner herumzugehen und die beiden zu begrüßen, doch er zog sie in seine Arme und legte eine Hand auf ihren Mund.
Als sie seinem Blick begegnete, erschrak sie. Conner erinnerte eher an ein Raubtier als an einen Menschen. Stumm starrten sie sich an. Das tödliche Glitzern in Conners kalten Augen brachte ihr Herz zum Hämmern. Langsam, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, nahm er die Hand von ihrem Mund und hob einen Finger.
Selbst wenn sie es gewollt hätte, Isabeau hätte sich nicht rühren können. Sie war wie hypnotisiert – völlig gebannt von seinem unverwandten Blick. Sie wusste, dass Großkatzen so etwas fertigbrachten. Ihr Starren war so lähmend, dass die anvisierte Beute fasziniert stillhielt und nur noch auf den tödlichen Schlag wartete. Sie konnte kaum atmen, war wie angewurzelt, gefangen in seinem Bann. Unfähig, sich ihm zu widersetzen, blieb sie absolut steif und stumm stehen.
Langsam ließ Conner den Blick zu den zwei Männern gleiten, die über die Lichtung auf die Hütte zu gingen. Ohne den Kopf zu drehen, weil sie Angst hatte, irgendeine Bewegung zu machen, sah Isabeau zu ihnen hinüber und hielt den Atem an. Sie spürte, wie Conner, der völlig reglos neben ihr stand, alle Muskeln sprungbereit anspannte.
Mit Blasrohren in den Händen, die Aufmerksamkeit wie gewohnt auf den umliegenden Wald gerichtet, gingen die beiden Männer vorsichtig weiter. Isabeau hatte oft gesehen, mit welcher Leichtigkeit sie sich durch dichtes Unterholz bewegten. Als ein Leopard hustete, blieben die zwei Rücken an Rücken stehen und hoben die Waffen. Ein anderer Leopard antwortete aus einem Gebüsch vor ihnen. Ein dritter meldete sich zu ihrer Linken. Auch Conner gab ein dumpfes Knurren von sich. Rios Schnauben kam aus dem Rücken der Männer und verriet ihnen, dass ihnen nicht nur der Fluchtweg abgeschnitten war, sondern dass man sie umzingelt hatte.
Langsam legte Gerald sein Blasrohr auf den Boden und hob die Hände, in einer Hand hielt er ein Buch. Als sein Neffe zögerte, fuhr er ihn barsch an, sodass der Jüngere mürrisch sein Blasrohr neben das des Onkels legte. Dann warteten beide mit erhobenen Händen.
»Bleib hier«, sagte Conner warnend. »Wenn sie eine falsche Bewegung in deine Richtung machen, kann ich ihnen nicht mehr helfen.«
»Aber das sind Freunde von mir«, protestierte Isabeau.
»Bei der Arbeit gibt es keine Freunde. Vielleicht haben sie mittlerweile ihre Meinung geändert und möchten die Angelegenheit anders regeln. Tu einfach, was ich dir sage, und bleib versteckt. Lass mich mit ihnen reden. Falls irgendetwas schiefgeht, wirf dich auf den Boden und halt dir die Augen zu. Und, Isabeau …«, Conner wartete, bis sie ihn ansah, »besser, du gehorchst diesmal.«
Sie nickte folgsam. Den Anblick, wie zwei ihrer Freunde von Leoparden zerfleischt wurden, wollte sie sich ganz bestimmt ersparen.
Conner trat aus dem Gebüsch auf die Lichtung. »Gerald. Dein Bruder hat dich nicht angekündigt.«
Die beiden Männer drehten sich zu ihm um; der ältere behielt die Hände oben, doch der jüngere duckte sich unwillkürlich und griff nach seinem Blasrohr.
»Du wirst es nicht schaffen, Will«, sagte Conner. »Und du weißt es. Wenn du es hochnimmst, bist du ein toter Mann, das garantiere ich dir.«
Ärgerlich schimpfte Gerald in der Stammessprache mit seinem Neffen. Conner hatte als Kind genug Zeit im Indianerdorf verbracht, um ihn zu verstehen, tat aber höflich so, als verstünde er nicht, dass Will eine heftige Standpauke gehalten wurde. Er und Will waren einmal Freunde gewesen – gute Freunde, aber das war lange her.
»Wir dachten, du solltest die Wahrheit wissen, ehe du zu dieser Mission aufbrichst«, rief Gerald Conner zu. »Adan hat mich geschickt, damit ich dir das Tagebuch deiner Mutter bringe.«
»Warum hat Adan es nicht selbst mitgebracht?«
»Es war noch bei meiner Mutter«, erklärte Will. »Marisa hat es ihr in die Hand gedrückt, als der Angriff begann, und die hatte es vor Schreck irgendwo fallenlassen. Es ist ihr erst später wieder eingefallen, und da war Adan schon fort.«
Conner blieb still stehen, beinah wie erstarrt, und zwang sich ruhig weiterzuatmen. Er wusste, dass seine Mutter ein Tagebuch geführt hatte. Als Kind hatte er sie beinahe täglich hineinschreiben sehen. Sie hatte das Spiel mit Wörtern geliebt und häufig Gedichte oder Kurzgeschichten verfasst. Will rief Erinnerungen wach, die in dieser bedrohlichen Situation mitten im Regenwald besser unterdrückt blieben, doch seine Erklärung war plausibel.
»Wir müssen dir einiges erklären«, bemerkte Gerald. »Und das Tagebuch deiner Mutter wird dir beweisen, dass ich die Wahrheit sage.«
Conner machte ihm ein Zeichen, die Hände herunterzunehmen. »Wir müssen vorsichtig sein, Gerald. Gestern Abend hat man versucht, deinen Bruder zu töten.«
Gerald nickte. »Ich weiß. Außerdem waren wir uns untereinander nicht einig, wie wir die Kinder zurückholen sollten.«
»Warst du auf der Seite deines Vaters, Will?«, fragte Conner.
»Mein Sohn Artureo ist verschleppt worden«, erwiderte Will, »aber ich halte zu meinem Vater. Wenn wir Imelda Cortez jetzt nicht stoppen, wird sie uns nie mehr in Ruhe lassen.«
Conner winkte die beiden näher heran. Gerald ließ die Waffen liegen und ging zu ihm. Will, der nun wesentlich friedfertiger wirkte, folgte seinem Onkel. Die beiden Männer zogen dünne Matten aus den kleinen Beuteln, die sie geschultert hatten, breiteten sie auf dem Boden aus und setzten sich vertrauensvoll. Conner machte eine kleine Handbewegung, mit der er die anderen bat, sich zurückzuhalten und einfach nur zuzusehen.
»Danke.« Er nahm das Buch, das Gerald ihm hinhielt, und ließ sich den beiden Männern gegenüber im Schneidersitz nieder. »Schön, dich wiederzusehen, Will, alter Freund«, begrüßte er den jüngeren mit einem Kopfnicken. Als Kinder hatten sie ein paar Jahre miteinander gespielt. Allerdings heirateten die Indianer relativ früh, sodass Will bereits mit siebzehn für einen Sohn verantwortlich gewesen war.
Will neigte ebenfalls grüßend den Kopf. »Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergetroffen.«
»Ich wusste, dass einer von Adans Enkeln verschleppt worden ist. Kommst du wegen deines Sohnes?«
Will wechselte einen Blick mit seinem Onkel, dann schüttelte er den Kopf und sah Conner in die Augen.
Conner wappnete sich für einen Schlag. Wills Miene war ausdruckslos, doch in seinen Augen lag großes Mitleid.
»Nein, Conner, wegen deines Bruders.«
Conners erster Impuls war, sich auf Will zu stürzen und ihm das Herz herauszureißen, doch er zwang sich, mit angespannten Muskeln, die Augen fest auf die Beute gerichtet, still sitzenzubleiben. Er kannte diese Männer gut. Sie waren grundehrlich, und wenn Will behauptete, er hätte einen Bruder – dann hielt Will das für die Wahrheit. Conner holte tief Luft, seine Lungen brannten, und musterte die beiden Männer, während seine Finger sich fester um das Tagebuch seiner Mutter schlossen.
Isabeau hatte auch von einem Kind gesprochen. »Marisa hatte ein Kind dabei« oder so etwas Ähnliches hatte sie gesagt. Seine Mutter mochte Kinder sehr gern, deshalb hatte er sich nicht viel dabei gedacht und sich nicht gefragt, zu wem dieses Kind gehörte.
»Sie hätte es mir doch gesagt, wenn sie noch ein Kind bekommen hätte«, meinte Conner. Er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Mutter ihr Kind versteckte, niemals. Doch selbst nachdem er fortgegangen war, war sie in der Hütte bei Adans Dorf geblieben. Hatte sie sich etwa in ein Mitglied dessen Stammes verliebt? Mit hochgezogener Augenbraue verlangte er wortlos nach einer Erklärung.
»Es war nicht ihres, Conner. Eine Frau aus deinem Volk hat ein Kind in unser Dorf gebracht. Sie wollte das Baby nicht.«
Conner wurde flau in der Magengegend. Er wusste, was kommen würde, und das Kind in ihm erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, verstoßen zu werden. Unwillkürlich wandte er den Kopf, um sich nach Isabeau umzusehen. Er hatte nur selten das Gefühl, einen anderen Menschen zu brauchen, doch in diesem Augenblick benötigte er ihre Unterstützung. Ohne zu zögern trat Isabeau aus dem Gebüsch und schritt wie eine Königin über die Lichtung, das Gesicht voller Liebe, die Augen nur auf Conner gerichtet. Während sie sich neben ihm niederließ, begrüßte sie die beiden Stammesvertreter mit einem kleinen Lächeln. Dann legte sie eine Hand auf Conners Oberschenkel und ihm war, als versengte sie ihn. Er legte seine Hand über ihre und presste sie an sich, während sie ihn nur ruhig anschaute.
Conner wollte nicht, dass dieser Augenblick jemals vorüberging. Isabeau lächelte ihm zu und vermittelte ihm ohne Worte, dass sie zu ihm stehen würde, was auch geschah. Sie wusste, dass er aufgebracht war, doch sie stellte keine Frage, wartete einfach ab. Seine Mutter war genauso gewesen. Ruhig und gelassen. Eine Frau, die sich neben ihren Mann stellte und selbst dem Schlimmsten ins Auge sah. Diesen Charakterzug wünschte er sich bei der Mutter seiner Kinder.
»Mein Vater hat noch ein Kind in die Welt gesetzt.« Conner zwang sich, diese Worte laut auszusprechen, denn damit erreichte er zweierlei: Isabeau wurde eingeweiht, und er selbst konnte sich der Wahrheit besser stellen.
Will nickte. »Du warst bereits in Borneo. Dein Vater hat sich eine andere Frau genommen, und als sie schwanger wurde, hat er sie vor die Wahl gestellt, entweder abzutreiben oder sich zum Teufel zu scheren. Sie wollte bei ihm bleiben, also hat sie das Baby bekommen und es weggegeben. Dann ist sie zu deinem Vater zurückgegangen.«
»Er soll in der Hölle schmoren. Wie viele Leben muss er noch zerstören, bis er zufrieden ist?« Angewidert spuckte Conner aus.
Isabeau rückte ein wenig näher heran, gerade so, dass sie sich an ihn lehnen konnte, als wollte sie jede Last mit ihm tragen, und Conner liebte sie für diese Geste. Er drückte ihr die Finger und streichelte mit dem Daumen zärtlich über ihren Handrücken.
»Du kennst doch deine Mutter, Conner«, fuhr Gerald fort. »Ein Blick auf das ungeliebte, elternlose Kind, und schon hatte sie es angenommen. Einen Teil des Jahres lebte sie mit dem Baby in der Hütte und in der Regenzeit zog sie ins Dorf.«
»Deswegen ist sie also dortgeblieben«, sagte Conner. Will nickte. »Der Junge war in Adans Haus und spielte mit meinem Cousin, als Cortez’ Männer angriffen. Deine Mutter hat versucht, sie davon abzuhalten, die beiden mitzunehmen. Sie haben deinen Bruder für einen von uns gehalten. Er ist erst fünf, Conner.«
»Warum könnte sie dir verheimlicht haben, dass du einen Halbbruder hast?«, fragte Isabeau.
Conner ließ den Kopf hängen. »Weil sie wusste, dass ich in unser Dorf gegangen wäre und diesen Hurensohn umgebracht hätte. Ich verachte ihn. Er benutzt Frauen bloß, und wenn sie schwanger werden, setzt er das Kind vor die Tür – mit der Mutter, wenn sie es nicht hergeben will.«
Der bittere Ton in seiner Stimme machte ihn selbst ganz krank, aber er wusste sich nicht zu helfen. Eigentlich hatte er seine Gefühle immer im Griff – es sei denn, es ging um seinen Vater. Der Mann hatte ihn zwar nicht körperlich misshandelt, doch nach Conners Ansicht wogen seelische Verletzungen viel schwerer. Es war typisch für Marisa, dass ihr Sohn für sie an erster Stelle stand. Seinetwegen hatte sie sich ein neues Leben aufgebaut. Und obwohl er nicht ihr leibliches Kind war, hatte sie für seinen Bruder dasselbe getan. Conner wusste, dass er ihrem Beispiel folgen musste.
Während er sich in Gedanken mit der neuen Situation beschäftigte, zog er Isabeaus Hand an sein Kinn und rieb sie geistesabwesend an seinen kurzen Stoppeln. Wenn Imeldas gedungene Leoparden sich das Kind genauer anschauten, entdeckten sie womöglich den Artgenossen in ihm. Bei Frauen war die Veranlagung in der Kindheit kaum zu erkennen, aber bei Jungen … man wusste nie, wann der Leopard sich zum ersten Mal zeigen würde und oft gab es vorher Hinweise auf ihn.
»Wie ist er denn so?«, fragte Conner.
»Und wie heißt er?«, mischte Isabeau sich ein.
Conner nickte und presste die Finger an die pochenden Schläfen. »Stimmt, das hätte die erste Frage sein sollen.«
»Deine Mutter hat ihn Mateo genannt«, antwortete Will.
Beim Gedanken an seine Mutter mit einem Baby im Arm schluckte Conner. »Also, wie ist Mateo?«
»Genau wie du«, sagte Gerald. »Ihr seid euch sehr ähnlich. Der Kleine trauert sicherlich um seine Mutter. Er hat gesehen, wie sie getötet wurde.«
Das war nicht gut. Mateos Leopard würde zum Vorschein kommen, um dem Jungen beizustehen. Conner erinnerte sich noch an die Wut, die ihm als Kind ein ständiger Begleiter gewesen war und mit jedem Herzschlag durch seine Adern gepumpt wurde. Der Junge musste glauben, jetzt völlig allein zu sein. Wenn Mateo wie er war, würde er lieber sterben, als seinen Vater um Hilfe zu bitten. Er würde auf Rache aus sein.
»Kann Artureo es schaffen, Mateo unter Kontrolle zu halten? Verhindern, dass sich sein Leopard zeigt, selbst wenn er in Bedrängnis gerät?«
Eine kleine Pause entstand. »Mateo ist ziemlich eigensinnig«, erklärte Gerald. »Und er hat deine Mutter sehr geliebt.« Unsicher schaute er in Isabeaus Richtung.
»Sie weiß Bescheid«, sagte Conner. »Du kannst frei sprechen.«
»Einer der Männer hat auf sie geschossen, als sie Mateo zurückholen wollte. Sie haben sie für tot gehalten.«
»Ich habe sie fallen sehen«, gestand Isabeau. »Artureo hat mich in den Bäumen versteckt und ist dann wieder losgerannt, um zu helfen. Da haben sie ihn auch mitgeschleppt. Ich habe Marisa nie in ihrer Tiergestalt gesehen. Ich wusste nicht, dass sie eine Leopardin in sich hat.«
»Marisa ist ins Gebüsch gekrochen und hat sich verwandelt«, erzählte Gerald. »Ich habe gesehen, wie der große Mann, Suma, sich ebenfalls verwandelt hat und sie tötete. Niemand wollte mehr in den Wald gehen, nachdem der Leopard darin verschwunden war. Der Junge hat gesehen, wie seine Mutter starb, die einzige Mutter, die er je gekannt hat. Ich habe ihn schreien hören, Conner, und es war schrecklich.«
Conner unterdrückte die Trauer, die in ihm aufstieg. Seine Mutter hätte von ihm erwartet, dass er den Jungen zurückholte – aber nicht nur das, auch, dass er die volle Verantwortung für ihn übernahm. Langsam wandte Conner den Kopf und sah Isabeau an. Er hatte keine Wahl. Er musste tun, was getan werden musste, jeden Preis zahlen, der von ihm verlangt wurde.
Isabeau sah die Verzweiflung in seinen Augen, seine Trauer und sein Entsetzen. Aber auch die kühle Entschlossenheit. Ihr Magen verkrampfte vor Schreck, beruhigte sich dann aber langsam wieder. »Egal, was nötig ist, wir werden dich unterstützen«, bot sie ihm an.
Er ließ ihre Hand los und verbeugte sich vor Gerald und Will. »Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, um mir diese Nachricht persönlich zu überbringen. Ihr könnt Adan versichern, dass wir die Kinder zurückholen werden. Er soll sich an den Plan halten. Ich finde deinen Sohn, Will. Du kennst mich. Ich bringe ihn nach Hause.«
Den Blick unverwandt auf Conner gerichtet, nickte Will. »Der Grund, warum ich in dieser Angelegenheit hinter meinem Vater stehe, bist du. Wir werden dir helfen, wenn du uns brauchst.«
Conner erhob sich und streckte eine Hand nach Isabeau aus, um ihr hochzuhelfen. Dann wartete er, bis die beiden anderen Männer ebenfalls aufgestanden waren. »Wir zählen auf eure Mitarbeit. Es ist wichtig, euren Stamm in dem Glauben zu lassen, dass Adan tut, was Cortez von ihm will.«
Gerald nickte und schüttelte ihm die Hand. Traurig sah Conner den beiden nach. Beinah hätte er vergessen, das Signal für sicheres Geleit zu geben, dass es den beiden Stammesvertretern gestattete, unbehelligt von den Leoparden zu ihrem Dorf zurückzukommen. Kurz darauf kam Rio über die Lichtung geschlendert, er war noch dabei, sein T-Shirt überzustreifen.
»Ziemlich voll im Wald. Was gibt’s Neues?«
»Etwas sehr Persönliches. Es sieht so aus, als hätte ich einen kleinen Bruder, den Imelda zusammen mit den anderen Kindern entführt hat. Wenn sie herausfindet, dass er ein Leopardenmensch ist …« Conner brach ab. Dann fanden sie das Kind bestimmt nie wieder. Imelda würde den Jungen verstecken und ihn selbst aufziehen.
Rio runzelte die Stirn. »Dann müsste dein Dorf doch bereit sein, uns zu helfen …«
Wütend fuhr Conner herum, doch das dumpfe Grummeln in seiner Brust war Warnung genug. Er konnte nicht anders, er musste brüllen. »Wir werden nicht einmal in seine Nähe gehen. Lass uns dieses Biest erledigen.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte über die Lichtung zur Hütte.
Isabeau sah Rio an. Sein Stirnrunzeln hatte sich vertieft, und Sorgenfalten gruben sich in sein Gesicht. »Sein Vater hat das Kind verstoßen«, erklärte sie. »Du darfst ihn nicht mit diesem Mann zusammenkommen lassen.« Irgendwie fühlte sie sich, als hätte sie Conner verraten, doch andererseits wusste sie instinktiv, dass Rio derjenige war, der Conner am ehesten davon abhalten konnte, etwas Voreiliges zu tun.
»Danke«, sagte Rio, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Das musste ich wissen.«
Es lag am Geruchssinn. Isabeau sah sich um und erkannte, dass Leoparden die Gefühlslage anhand von Gerüchen beurteilten. Auf diese Weise erfuhren sie wesentlich mehr als ihr menschliches Gegenüber. Auch in ihrer menschlichen Gestalt setzten sie ihre ausgeprägten Katzensinne ein, was ihnen in allen Situationen einen Vorteil verschaffte. Sie musste unbedingt lernen, wie man das machte.
Sie folgte Rio, jedoch wesentlich langsamer, denn in Gedanken sah sie noch den Ausdruck in Conners Gesicht gerade eben. Sie versuchte sich zu vergegenwärtigen, wie er dabei gerochen hatte. Was war ihm in diesem Augenblick wohl durch den Kopf gegangen? Er hatte sich ganz offensichtlich zu etwas entschlossen. Er wollte seinen Bruder zurückholen, und das bedeutete …
Isabeau schluckte schwer und schwankte ein wenig. Conner hatte ihr gesagt, dass er Imelda Cortez nicht verführen würde. Sie wollten sich auf irgendeine andere Art Zugang zu ihrer Festung verschaffen, vielleicht indem sie einen der anderen vorschickten, doch sein Gesicht vorhin … Er hatte den Entschluss gefasst, alles Nötige zu tun, und er würde die Aufgabe niemand anderem aufhalsen – nicht, wenn es um seinen eigenen Bruder ging und er der Ansicht war, dass seine Mutter diesen Einsatz von ihm erwartet hätte. Conner würde genau das tun, was sie von ihm verlangt hatte, nämlich Imelda Cortez verführen.
Eine eiserne Faust drückte ihr Herz zusammen. Der Schmerz war so schrecklich, dass sie beide Hände auf die Brust presste und am Waldrand in die Knie ging. Die Galle kam ihr hoch und drohte, sich zusammen mit ihrem Protest Luft zu verschaffen. Ihr Hals fühlte sich rau an, ihre Augen brannten.
Was konnte sie tun? Wie sollte sie reagieren? Am liebsten hätte sie ihren Widerwillen laut herausgeschrien, sich auf Conner gestürzt und ihn mit ihren Krallen bearbeitet, weil er ihr Herz abermals in Stücke riss. Sie hatte es zugelassen, hatte sich wieder in ihn verliebt. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte ihn immer geliebt und immer gewollt, dass er zu ihr zurückkam, um sie um Vergebung zu bitten. Sie hatte sich vorgestellt, dass er reumütig vor ihr auf die Knie sinken würde, sodass sie ihm endlich verzeihen und für alle Zeiten glücklich mit ihm weiterleben konnte.
Er sollte sie so sehr lieben, dass er nicht einmal daran dachte, eine andere Frau zu berühren. Und als er es weit von sich gewiesen hatte, Imelda Cortez zu verführen, hatte sie insgeheim jubiliert. Genau diese Reaktion hatte sie gewollt, darauf hatte sie es angelegt. Er sollte ihr nachstellen, sie umwerben und ihr beweisen, dass sie seine große Liebe war – seine einzige Liebe. Doch das Erscheinen ihrer Katze hatte die Dinge verkompliziert, denn im Augenblick konnte Isabeau nicht sagen, ob er sich mehr von ihr oder von dem Tier angezogen fühlte.
»Isabeau?« Conner tauchte neben ihr auf und schlang mit besorgtem Blick einen Arm um ihre Taille. Dann musterte er sie Zentimeter für Zentimeter, um den Grund für ihr Straucheln zu entdecken. »Was ist los? Sag’s mir.« Er griff nach ihrer Bluse, als wollte er sie hochstreifen und ihren Brustkorb auf Verletzungen untersuchen.
Doch Isabeau schob seine Hände weg, legte ihm die Arme um den Hals und verschränkte die Finger in seinem Nacken. Sie liebte diesen Mann mit jeder Faser ihres Seins. Es wurde Zeit, mit dem kindischen Benehmen aufzuhören, bevor es zu spät war und sie ihn für immer verlor. Sie hatte in einer Traumwelt gelebt, nicht in der Wirklichkeit. Ja, er hatte sie aus den falschen Gründen verführt, aber die Anziehungskraft zwischen ihnen war echt. Sie waren wie füreinander gemacht. Wenn er nur halb so viel für sie empfand wie sie für ihn, hatte er sich damals ebenso wenig bremsen können wie sie sich jetzt.
»Was ist, Sestrilla?«, flüsterte Conner an ihrem Ohr. Sie hatte gewusst, er würde sie wie jetzt in die Arme nehmen.
An der Art, wie er sie berührte, merkte sie, dass er sich sorgte. Sein Griff war fest, aber sanft. Der zärtliche Name, den er ihr gegeben hatte, klang fremd, aber sehr liebevoll aus seinem Mund. »Was bedeutet das?« Isabeau legte den Kopf an Conners Brust und lauschte seinem gleichmäßigen, beruhigenden Herzschlag. »Ich muss wissen, was es heißt.«
»Isabeau.« Sie hörte, dass er traurig war. Dass ihm das Herz brach.
»Sag’s mir, Conner.« Sie wollte ihn nicht freigeben, obwohl er ganz behutsam versuchte, sich von ihr zu lösen. Doch Isabeau schlang die Arme fester um ihn und presste sich an ihn. »Ich muss es wissen.«
»Es ist ein altes Wort aus unserer Sprache und bedeutet ›Geliebte‹.«
Isabeaus Herz überschlug sich und beruhigte sich dann wieder, denn mit einem Mal wurde ihr alles klar. Conner hatte sie immer Sestrilla genannt, lange bevor er zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte.
»Ich liebe dich auch.«
Sie spürte, wie Conner scharf einatmete, dann lehnte er seine Stirn an ihre. Seine langen Wimpern verbargen die Augen, doch sie konnte die tiefen Falten sehen, die sich in sein Gesicht gegraben hatten. Es war so voller Reue und Trauer, als ob er eine schwere Sünde begangen hätte, als ob alles, was ihm wichtig war, bereits verloren wäre.
»Du hast das falsch verstanden, Isabeau«, erwiderte er sanft.
Seine raue, hypnotische Stimme traf sie bis ins Mark und ließ das Blut heißer durch ihre Adern strömen.
»Was habe ich falsch verstanden, Conner?«, fragte sie leise und zärtlich.
Er stöhnte und drückte seine Stirn fester an ihre. »Tu’s nicht. Bitte, Süße. Ich könnte nicht damit leben, dich noch einmal zu verlieren. Lass mich einfach glauben, dass es für uns schon zu spät war. Es war vorbei, und wir hatten keine Chance mehr.«
»Ich habe dich unter einem falschen Vorwand hergelockt, Conner. Ich bin an der ganzen Sache nicht unschuldig. Ich wollte dich sehen. Ich hatte keine Ahnung, dass Adan dich anhand meiner Zeichnung erkennen würde, doch nachdem mir klargeworden war, dass er an dich herankommen konnte, wollte ich dich unbedingt wiedersehen. Ich war die treibende Kraft. Und tief im Innern, wo ich selber nicht hinsehen wollte, wusste ich, was du zu meinem Vorschlag sagen würdest. Ich wollte …«
»Nicht.« Conner legte einen Finger auf ihre Lippen. »Sag es nicht. Das ist nicht nötig.«
Isabeau küsste den Finger und streichelte ihn mit ihrer Zunge. »Doch, ist es. Ich wollte dich bestrafen – und dir wehtun. Jetzt schäme ich mich dafür.«
»Verdammt, Isabeau, glaubst du, das macht es leichter?«
»Wenn du mich ausreden ließest, schon«, fauchte sie, ihre Katze drängte so aufgeregt nach außen, dass sich ihre Stimme bereits veränderte.
Isabeau bemerkte Conners schwaches Lächeln. Es reichte nicht ganz bis an seine Augen heran, doch ihre kleinen Temperamentsausbrüche hatten ihm immer gefallen. Isabeau kniff die Augen zusammen. »Ich meine es ernst. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen, und du solltest mir zuhören, ehe du anfängst zu streiten.«
»Verstanden, Ma’am.« Conner küsste sie.
Darauf hätte sie gefasst sein sollen. Er grub eine Hand in ihre Mähne, ballte sie um die seidigen Strähnen und drückte seinen Mund auf ihren. Es war ein herzzerreißender Moment. Wild und maskulin, so schmeckte sein Kuss, und er gehörte ihr. Isabeau schmiegte sich an ihn und weigerte sich, den Kuss enden zu lassen, riss die Initiative an sich, fuhr ihm aufreizend mit der Zunge über die Lippen und rieb sich verführerisch an ihm.
Für einen kurzen Augenblick widerstand er ihr, dann erbebten seine stählernen Muskeln, und er kapitulierte, nahm sie fest in die Arme und eroberte ihren Mund, labte sich an ihr und steckte sie an mit seiner Hitze und seiner verzehrenden Leidenschaft.
Conners Reaktion gab ihr Selbstvertrauen. Isabeau knabberte an seiner Unterlippe und ließ die Hände unter sein T-Shirt gleiten. Dann schlang sie ein Bein um seine Hüften und drückte sich auffordernd an ihn. Sie wollte alles haben. Sie würde ihn nicht einfach so gehen lassen – und ganz sicher nicht mit Schuldgefühlen. Ihre Hände strichen über seine nackte Haut, um sich jede Einzelheit einzuprägen, während ihr Mund seinen einzigartigen Geschmack aufsaugte.
»Was ist los, kommt ihr endlich?«, rief Rio. »Wir müssen einen Fluchtweg festlegen und dazu brauchen wir euch.«
Widerstrebend hob Conner den Kopf. »Gleich«, rief er über die Schulter, während sein brennender Blick an Isabeaus Augen haften blieb. »Du weißt, was ich tun muss«, sagte er leise. »Wie kann ich dir danach jemals wieder in die Augen sehen?«
»Weil du es auf meinen Wunsch hin tust«, wisperte sie und legte ihm, ehe er protestieren konnte, hastig einen Finger auf den Mund. »Weil deine Mutter meine Freundin war und weil ihr Sohn dein Bruder ist. Weil deine Familie auch meine ist und weil ich alles tun werde, um deinen Bruder heil da herauszubekommen. Ich kenne den kleinen Mateo, deine Mutter hat ihn immer mitgebracht ins Camp. Ich wusste nicht, dass er nicht ihr leiblicher Sohn war, genauso wenig wie ich wusste, dass sie deine Mutter ist, aber ich habe gesehen, wie sie sich liebten. Conner, diese Sache geht uns beide an. Mach meine Schuld nicht kleiner als deine und dein Opfer nicht größer. Du bedeutest mir alles. Wir werden einfach tun, was getan werden muss.«
Conner schüttelte den Kopf. »Du bist eine erstaunliche und mutige Frau, Isabeau, und ich verdiene dich nicht, aber du kannst dir die Situation noch nicht vorstellen, wie es dich anekeln wird, mich mit Imelda zu sehen. Dir werden Zweifel kommen, verständliche Zweifel. Schlimmer noch, deine Katze wird außer sich sein. Dann ist sie gefährlich, und du musst ständig aufpassen, dass du nicht die Kontrolle verlierst.«
»Und wie schlimm wird es für dich, Conner?«, fragte sie. »Während du dir Sorgen um mich machst, sorge ich mich um dich. Du bist doch derjenige, der das Raubtier bändigen und sich dazu zwingen muss, einer anderen Frau in die Augen zu sehen. Für andere Männer mag das leicht sein, aber ich glaube, ich habe genug über dich erfahren, um zu wissen, dass es dir zuwider sein wird.«
»Bist du sicher, Isabeau, denn wenn du heute Nacht bei mir bleibst, kann ich für nichts garantieren.«
Ein erleichtertes Lächeln erschien auf Isabeaus Gesicht. »Wie schön.« Dann zwang sie sich, sich von der Leidenschaft in Conners Augen loszureißen und in den Wald zu schauen. »Also, wie planen wir unseren Fluchtweg?«
Conner senkte den Kopf und hauchte eine Reihe von Küssen auf ihre Wange. »Wir schauen uns Karten an, legen die Route fest, werfen die Vorräte aus dem Hubschrauber ab und verstecken sie so, dass die Tiere nicht an sie herankommen. Dann denken wir an alles, was schiefgehen könnte, und überlegen, was wir in dem Fall unternehmen.«
»Oh, das hört sich ja einfach an. Ich dachte schon, es würde schwierig werden.« Isabeau strahlte ihn an.
Widerstrebend ließ Conner sie los, trat einen Schritt zurück und erwiderte ihr Lächeln, doch sein Blick blieb skeptisch, so als wollte er sich keine Hoffnungen machen. Trotzdem verschränkte er seine Finger mit Isabeaus, als sie die Hand nach ihm ausstreckte, und folgte ihr zu den anderen. »Ich werde Jeremiah in die Bäume schicken. Mal sehen, wie gut er klettern kann. Er muss an sich arbeiten. Und je mehr er übt, desto besser. Wenn er nicht schneller wird, ist die Sache zu gefährlich für ihn.«
»Du machst dir ernsthaft Sorgen um den Jungen.«
»Er hat sich seiner Strafe gestellt wie ein Mann. Der Bursche steht für seine Fehler gerade. Und er hat Mut. Er ist zwar ein wenig vorlaut, aber waren wir das in seinem Alter nicht alle?«
Schon wieder musste sie lächeln. Ihr gefiel es, dass Conner zwar einschüchternd und gefährlich wirkte, aber unter der rauen Schale ein gutes Herz hatte. Wahrscheinlich wäre ihm diese Einschätzung gar nicht recht gewesen, doch schon am Klang seiner Stimme konnte sie hören, dass er Jeremiah nicht ins Team aufnehmen würde, wenn er nicht so gut wie möglich darauf vorbereitet war.
»Starr mich doch nicht so an, Isabeau.«
Conners Stimme war heiser und rau geworden, und er hatte Katzenaugen bekommen. Schlagartig zog sich ihr Unterleib zusammen, und sie wurde feucht. Isabeau räusperte sich. »Wie lange dauert es noch, bis meine Katze sich zeigt?«, fragte sie. »Haben wir noch so viel Zeit? Ich möchte das nicht ohne dich durchmachen.«
»Bald ist es soweit. Du bist kurz davor«, erwiderte Conner und maß sie mit einem so besitzergreifenden und hungrigen Blick, dass ihr der Atem stockte und ihre Temperatur in die Höhe schnellte. »Viel zu kurz.«
In seinem Blick lag nach wie vor eine Spur von Besorgnis, als wüsste er etwas, von dem sie nichts ahnte – und das war durchaus möglich. Isabeau rechnete nicht damit, dass es ihr leichtfallen würde, ihn mit Imelda Cortez zu sehen, schon der Gedanke machte sie ganz krank, aber sie wollte ihn nicht verlieren. Nicht noch einmal. Sie mussten einen Weg finden, heil aus dieser Sache herauszukommen und die Kinder zu befreien. Als Isabeau aufschaute, stellte sie fest, dass sie sich den anderen näherten. Sie waren nur noch wenige Schritte entfernt, daher blieb sie stehen und hielt Conner am Arm fest.
»Wir tun alles, was nötig ist, Conner. Natürlich hoffe ich, dass du sie nicht einmal küssen musst, aber ich werde dir keine Grenzen setzen. Wenn du dich in eine lebensbedrohliche Situation begibst, kannst du auf mich keine Rücksicht nehmen. Wir stecken gemeinsam in dieser Sache und ziehen sie durch – zusammen. Einverstanden?«
Conner stöhnte leise und zog sie noch einmal an sich. Sie konnte sein Herz schlagen hören. »Ich weiß, dass du dich für stark genug hältst, Isabeau, und ich liebe dich dafür, aber deine Leopardin wird ein Wörtchen mitreden wollen und es dir schwermachen. Katzen sind eifersüchtig und temperamentvoll und nicht immer zu kontrollieren. Du hast doch gesehen, wie ich mit Jeremiah umgegangen bin – dabei mag ich den Jungen. Was glaubst du, wie erst deine Katze reagiert, wenn ich mit einer Frau flirte, die du verachtest – oder Schlimmeres?«
»Wenn dein Leopard damit umgehen kann, muss meine Leopardin es eben auch lernen, okay?« Isabeau hob trotzig das Kinn. »Ich will die Kinder zurück – alle, ohne Ausnahme -, und ganz besonders Mateo, weil er zu uns gehört. Und zu Marisa. Ich will, dass Imelda gestoppt wird. Falls irgendjemand einen besseren Vorschlag hat, wie man in ihre Festung kommt, nehmen wir den, doch wenn uns nichts anderes übrigbleibt, als über dich eine Einladung zu bekommen, müssen wir es eben so machen.« Plötzlich hielt Isabeau die Luft an. »Elijah! Conner, Elijah könnte doch deinen Part übernehmen.«
Doch Conners Kopfschütteln zerstörte ihre Hoffnungen. »Ich nenne dir drei Gründe. Erstens, Mateo ist mein Bruder, und so zu tun, als wollte man mit dieser Frau schlafen, ist ein elender Job, den ich niemand anderem zumuten möchte. Zweitens ist Elijah, so gut er auch ist – ich bestreite ja gar nicht, dass er unter Druck sehr ruhig bleibt -, relativ unerfahren. Und drittens hat Imelda kein Interesse an Männern, die sie als ebenbürtig betrachtet. Sie steht auf maskuline Typen, nicht auf Gleichberechtigung. Ich habe mich mit ihr beschäftigt; Elijah würde eine Bedrohung für sie darstellen, denn er könnte auf die Idee kommen, sie zu entthronen. Solche Ambitionen hat ein Leibwächter nicht.«
Isabeau atmete wieder normal und riss sich zu einem Lächeln zusammen. »Dann halten wir uns an unseren Plan.«
Hand in Hand kehrten die beiden zur Hütte zurück, wo die anderen warteten. Conner arbeitete mehrere Alternativen als Fluchtweg aus und zeigte ihnen die Gebiete im Wald, in denen sie unterwegs mit den Kindern Zuflucht finden konnten, und die besten Plätze für die Lagerstätten. Nun mussten die Orte, an denen die Ausrüstung abgeworfen werden sollte, nur noch markiert werden.
»Das mache ich – mit Jeremiah«, sagte Conner abschließend. »Wir gehen als Leoparden. Das ist schneller und sicherer. Außerdem bekommt der Junge so die nötige Erfahrung, was das Klettern und die möglichst spurlose Fortbewegung anbelangt. Rio fliegt wie immer den Helikopter, und Elijah kümmert sich um die Versorgung.«
Felipe grinste Jeremiah an und ließ die Muskeln spielen. »Und Leonardo und ich sind die großen Aufpasser – die Muskelpakete.«
»Also auf keinen Fall das Hirn, meinst du«, feixte Jeremiah.
Das brachte ihm einen leichten Klaps von Rio ein, doch Jeremiah lachte nur unbeeindruckt. Isabeau merkte, dass sich zwischen den Männern und dem neuesten Mitglied ihres Teams bereits eine Art Kameradschaft entwickelte. Jeremiah mochte sich noch auf Probezeit und in der Ausbildung befinden, doch er wurde bereits mit wachsender Zuneigung behandelt.
»Wir gehen also rein, mit Conner und Felipe als persönlichen Leibwächtern von Marcos«, kam Rio wieder zum Geschäftlichen zurück, »und Leonardo und mir als Elijahs Bodyguards.«
»Um unseren Onkel braucht ihr euch keine Sorgen zu machen«, versicherte Felipe hastig. »Auch wenn er schon in den Sechzigern ist, bei Bedarf ist er schnell und gerissen. Ich möchte mich nicht mit ihm anlegen. Zusammen mit Elijah wären wir dann zu sechst, alles Leoparden.«
»Und was ist mit mir?«, wollte Jeremiah wissen.
Rio zuckte die Achseln. »Du weißt doch, dass Suma dort sein wird. Er hat versucht, dich anzuwerben, also darf er dich nicht zu Gesicht bekommen. Wie sieht es mit deinen Schießkünsten aus?«
Sofort strahlte Jeremiah aufs Neue. »Ich bin ein Meisterschütze.«
»Besser, du hältst dich an die Wahrheit«, sagte Conner warnend.
»Ich treffe auf über eine Meile Entfernung, selbst bei starkem Wind.«
Die Männer sahen sich an. »Wir geben dir eine Chance zu beweisen, was du kannst«, bemerkte Rio. »Wenn du nicht übertrieben hast, darfst du unseren Rückzug decken.«
»Und ich?«, mischte Isabeau sich ein. »Ich könnte doch als Elijahs Freundin mitgehen. Keiner von denen kennt mich. Elijah könnte hergekommen sein, um gleichzeitig mich und seinen alten Freund Marcos zu treffen.«
»Schlag dir das aus dem Kopf«, konstatierte Conner.
»Aber sonst ist sie schutzlos«, bemerkte Elijah. »Wir können sie doch nicht einfach allein lassen, und das weißt du auch, Conner. Vielleicht ist sie eine wertvolle Hilfe. In der Festung gibt es zwei gedungene Leoparden, die würden an nichts anders mehr denken können als an Isabeau.«
»Das stimmt mich natürlich um, nicht wahr?«, erwiderte Conner voller Sarkasmus.
»Aber du solltest nicht als Freundin auftreten«, warf Rio ein, »sondern Elijah näher stehen. Besser er gibt dich als Verwandte aus, eine Schwester vielleicht oder eine Cousine. Das bedeutet Krieg, wenn sie dich anrühren. An eine Freundin würden sie sich womöglich herantrauen, denn die Schurken werden merken, dass deine Leopardin rollig ist. Diese Geschichte könnten sie uns abkaufen. Elijah ist gekommen, um Isabeau zu besuchen und ihr Nachrichten von der Familie zu bringen. Außerdem werden die anderen vermuten, dass ein geheimes Treffen zwischen Elijah und Marcos vereinbart ist. Imelda wird es nicht schaffen, den Köder zu verschmähen. Die Versuchung ist zu groß. Auf der einen Seite Elijah und Marcos, die ihr als Verbündete Türen öffnen könnten, und auf der anderen Seite du, Conner. Von den vielen Leoparden gar nicht zu reden.«
Conner rieb sich die Schläfen und musterte Isabeaus Gesicht. Sie wirkte so unschuldig. Sie hatte keine Ahnung, mit welchen Ungeheuern sie sich anlegten. Zwar hatte sie gesehen, was diese Verbrecher anrichteten, doch das Ausmaß ihrer Verdorbenheit und Gier ging sicher über ihre Vorstellungskraft hinaus.
»Wenn wir dir sagen, du sollst gehen, Isabeau …«
»Glaub mir, Conner, ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich gehorche, wenn jemand mit eurer Erfahrung mir einen Befehl gibt.«
Widerspruch war zwecklos. Es gab keine andere Möglichkeit. Und Isabeau war tatsächlich clever. Vielleicht war sie ein Gewinn für die Sache. »Dann lasst uns mit den Fluchtwegen weitermachen, danach kümmern wir uns um eventuelle Schwachstellen.«