9
Aufgewühlt hielt sich
Isabeau an Conners Schultern fest. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Was ist los?« Sie konnte nicht mehr klar denken, und das Atmen
fiel ihr schwer.
»Wir bekommen Besuch«, sagte Conner. »Allmählich
wird es ziemlich voll im Wald.« Dann legte er einen Arm um sie,
drückte sie schützend an sich und zog sie ins Gebüsch. »Uns kann
nichts passieren. Die Jungs umzingeln sie gerade.«
»Sie?«, wiederholte Isabeau schwach. Wenn man
ständig auf der Hut sein musste, würde sie wohl nicht durchkommen.
Conner hatte den Geruch der Eindringlinge aufgeschnappt oder auf
irgendeine andere Art bemerkt, dass jemand näher kam, während sie
nur auf sich und ihre Lust konzentriert gewesen war. Wie machte er
das bloß? Fast war sie böse auf ihn, obwohl ihr klar war, dass man
diese Fähigkeit brauchte, wenn man im Dschungel überleben
wollte.
»Zwei Männer. Anscheinend kennen sie sich im Urwald
aus.«
»Ich verstehe das nicht.« Das bezog sich nicht nur
auf Conners Erklärung, sondern auch auf die Tatsache, dass
ihr Körper weiter um Erlösung flehte und mit jeder Faser danach
schrie, ihn festzuhalten – sich seiner ungeteilten Aufmerksamkeit
zu versichern. Angesichts der drohenden Gefahren war das natürlich
dumm, doch sie hatte sich so auf Conner eingestellt, war so von ihm
überwältigt gewesen, dass sie geglaubt hatte, er sei von der
gleichen quälenden Besessenheit getrieben wie sie.
»Die meisten Menschen, die in den Dschungel kommen,
versuchen, ihn zu erobern, und hacken sich den Weg frei, doch diese
Leute sind vertraut mit dem Wald und fühlen sich darin zu Hause,
was uns verrät, dass sie vermutlich ständig dort leben.« Conner
schlang die Hand um Isabeaus Nacken, senkte den Kopf und hauchte
eine Reihe von Küssen auf ihren Hals. »Ich könnte sie schon dafür
umbringen, dass sie uns unterbrochen haben.«
Seine Stimme klang leicht gepresst und rau –
beinahe harsch, was zeigte, dass er seine Drohung durchaus ernst
meinte, und das ermöglichte es Isabeau paradoxerweise, ihm seine
Überlebenskünste zu verzeihen. Sie lehnte sich an ihn, ließ sich
halten und gab sich große Mühe, die glühende Leidenschaft zu
unterdrücken, die sie so geschwächt hatte.
»Hol tief Luft. Das hilft.«
»Tatsächlich?«
Conner lachte leise, fast unhörbar. »Natürlich
nicht. Aber man kann es sich einreden. Wenn ich mit dir zusammen
bin, ist es immer ein bisschen so, als würde man ein Streichholz an
eine Stange Dynamit halten. Anscheinend kann ich mich dann nicht
mehr beherrschen.« Conner knabberte an Isabeaus Schulter und
drückte das Gesicht kurz in ihre Halsbeuge; offenbar kämpfte er
ebenfalls darum, seiner Erregung
Herr zu werden. Trotz der nicht ungefährlichen Lage war er nach
wie vor steif und hart, sehr zur Freude Isabeaus.
»Schön, dass es uns beiden so geht.«
»Was hast du denn gedacht?« Conner hob den Kopf und
musterte sie mit diesem konzentrierten, durchdringenden Blick, der
ihr stets das Blut die Wangen trieb. »Ist es nur deine Katze, die
mich will?« Seine Stimme war weich wie Samt, fast ein Streicheln.
Doch seine Frage verriet, dass auch er ein wenig unsicher
war.
»Wie kommst du denn darauf?«
Plötzlich das Husten eines Leoparden. Vögel stoben
auf. Mehrere Brüllaffen stießen Warnschreie aus. Unwillkürlich
entfuhr Isabeau ein leiser Schreckenslaut.
Conner schob sie hinter sich. »Du darfst nie in
Panik geraten, Isabeau, weder als Mensch noch als Leopardin, dein
Verstand ist deine beste Waffe. Irgendwann kommt immer ein Moment,
den du zu deinem Vorteil nutzen kannst. All die
Verteidigungstechniken, die wir dir beibringen, sind großartig,
aber Kopf und Training zusammen sind unschlagbar.«
Während er sich tiefer ins Gebüsch duckte und
versuchte, die leichte Brise aufzufangen, die durch den Wald wehte,
gab er ihr ganz ruhig Unterricht. Unten am Boden regte sich kaum
ein Lufthauch, wenn es nicht gerade ein größeres Unwetter gab. Wind
herrschte meist nur in den Baumkronen, doch Conners ausgeprägte
Sinne erlaubten ihm, trotzdem die nötigen Informationen zu
bekommen. Isabeau versuchte, seinem Beispiel zu folgen. Sie war
entschlossen, so viel wie möglich zu lernen, damit sie ihm eine
Hilfe war.
Als sie einen schwachen Geruch auffing, erkannte
sie sofort, dass er sie an Adans Dorf erinnerte. Die Mitglieder
seines Stammes benutzten eine aus Wurzeln hergestellte Seife. Sie
wartete einige Augenblicke, denn sie vermutete, dass Conner dieses
besondere Aroma auch erkannt hatte, doch weder er noch die anderen
kamen aus der Deckung. Offenbar trauten sie der Sache nicht, und
das lehrte Isabeau wieder etwas.
Zwei Männer erschienen auf der Lichtung. Beide
trugen nur einen Lendenschurz, der eine auch Sandalen, der andere
war barfuß. Im Dschungel herrschte eine so hohe Luftfeuchtigkeit,
dass Kleidung eher hinderlich war, und wer sich regelmäßig im Wald
aufhielt, hatte nie mehr an als unbedingt nötig. Das wusste Isabeau
aus Erfahrung. Auch sie war ziemlich leicht bekleidet, wenn sie
arbeitete. In dem älteren Mann erkannte sie Adans Bruder Gerald,
einen der Ältesten. Bei dem anderen handelte es sich um Adans Sohn
Will. Isabeau machte Anstalten, um Conner herumzugehen und die
beiden zu begrüßen, doch er zog sie in seine Arme und legte eine
Hand auf ihren Mund.
Als sie seinem Blick begegnete, erschrak sie.
Conner erinnerte eher an ein Raubtier als an einen Menschen. Stumm
starrten sie sich an. Das tödliche Glitzern in Conners kalten Augen
brachte ihr Herz zum Hämmern. Langsam, ohne den Blickkontakt zu
unterbrechen, nahm er die Hand von ihrem Mund und hob einen
Finger.
Selbst wenn sie es gewollt hätte, Isabeau hätte
sich nicht rühren können. Sie war wie hypnotisiert – völlig gebannt
von seinem unverwandten Blick. Sie wusste, dass Großkatzen so etwas
fertigbrachten. Ihr Starren war so lähmend, dass die anvisierte
Beute fasziniert stillhielt und nur noch auf den tödlichen Schlag
wartete. Sie konnte kaum atmen, war wie angewurzelt, gefangen in
seinem Bann. Unfähig,
sich ihm zu widersetzen, blieb sie absolut steif und stumm
stehen.
Langsam ließ Conner den Blick zu den zwei Männern
gleiten, die über die Lichtung auf die Hütte zu gingen. Ohne den
Kopf zu drehen, weil sie Angst hatte, irgendeine Bewegung zu
machen, sah Isabeau zu ihnen hinüber und hielt den Atem an. Sie
spürte, wie Conner, der völlig reglos neben ihr stand, alle Muskeln
sprungbereit anspannte.
Mit Blasrohren in den Händen, die Aufmerksamkeit
wie gewohnt auf den umliegenden Wald gerichtet, gingen die beiden
Männer vorsichtig weiter. Isabeau hatte oft gesehen, mit welcher
Leichtigkeit sie sich durch dichtes Unterholz bewegten. Als ein
Leopard hustete, blieben die zwei Rücken an Rücken stehen und hoben
die Waffen. Ein anderer Leopard antwortete aus einem Gebüsch vor
ihnen. Ein dritter meldete sich zu ihrer Linken. Auch Conner gab
ein dumpfes Knurren von sich. Rios Schnauben kam aus dem Rücken der
Männer und verriet ihnen, dass ihnen nicht nur der Fluchtweg
abgeschnitten war, sondern dass man sie umzingelt hatte.
Langsam legte Gerald sein Blasrohr auf den Boden
und hob die Hände, in einer Hand hielt er ein Buch. Als sein Neffe
zögerte, fuhr er ihn barsch an, sodass der Jüngere mürrisch sein
Blasrohr neben das des Onkels legte. Dann warteten beide mit
erhobenen Händen.
»Bleib hier«, sagte Conner warnend. »Wenn sie eine
falsche Bewegung in deine Richtung machen, kann ich ihnen nicht
mehr helfen.«
»Aber das sind Freunde von mir«, protestierte
Isabeau.
»Bei der Arbeit gibt es keine Freunde. Vielleicht
haben sie mittlerweile ihre Meinung geändert und möchten die
Angelegenheit anders regeln. Tu einfach, was ich dir sage, und
bleib versteckt. Lass mich mit ihnen reden. Falls irgendetwas
schiefgeht, wirf dich auf den Boden und halt dir die Augen zu. Und,
Isabeau …«, Conner wartete, bis sie ihn ansah, »besser, du
gehorchst diesmal.«
Sie nickte folgsam. Den Anblick, wie zwei ihrer
Freunde von Leoparden zerfleischt wurden, wollte sie sich ganz
bestimmt ersparen.
Conner trat aus dem Gebüsch auf die Lichtung.
»Gerald. Dein Bruder hat dich nicht angekündigt.«
Die beiden Männer drehten sich zu ihm um; der
ältere behielt die Hände oben, doch der jüngere duckte sich
unwillkürlich und griff nach seinem Blasrohr.
»Du wirst es nicht schaffen, Will«, sagte Conner.
»Und du weißt es. Wenn du es hochnimmst, bist du ein toter Mann,
das garantiere ich dir.«
Ärgerlich schimpfte Gerald in der Stammessprache
mit seinem Neffen. Conner hatte als Kind genug Zeit im Indianerdorf
verbracht, um ihn zu verstehen, tat aber höflich so, als verstünde
er nicht, dass Will eine heftige Standpauke gehalten wurde. Er und
Will waren einmal Freunde gewesen – gute Freunde, aber das war
lange her.
»Wir dachten, du solltest die Wahrheit wissen, ehe
du zu dieser Mission aufbrichst«, rief Gerald Conner zu. »Adan hat
mich geschickt, damit ich dir das Tagebuch deiner Mutter
bringe.«
»Warum hat Adan es nicht selbst mitgebracht?«
»Es war noch bei meiner Mutter«, erklärte Will.
»Marisa hat es ihr in die Hand gedrückt, als der Angriff begann,
und die hatte es vor Schreck irgendwo fallenlassen. Es ist ihr erst
später wieder eingefallen, und da war Adan schon fort.«
Conner blieb still stehen, beinah wie erstarrt, und
zwang sich ruhig weiterzuatmen. Er wusste, dass seine Mutter ein
Tagebuch geführt hatte. Als Kind hatte er sie beinahe täglich
hineinschreiben sehen. Sie hatte das Spiel mit Wörtern geliebt und
häufig Gedichte oder Kurzgeschichten verfasst. Will rief
Erinnerungen wach, die in dieser bedrohlichen Situation mitten im
Regenwald besser unterdrückt blieben, doch seine Erklärung war
plausibel.
»Wir müssen dir einiges erklären«, bemerkte Gerald.
»Und das Tagebuch deiner Mutter wird dir beweisen, dass ich die
Wahrheit sage.«
Conner machte ihm ein Zeichen, die Hände
herunterzunehmen. »Wir müssen vorsichtig sein, Gerald. Gestern
Abend hat man versucht, deinen Bruder zu töten.«
Gerald nickte. »Ich weiß. Außerdem waren wir uns
untereinander nicht einig, wie wir die Kinder zurückholen
sollten.«
»Warst du auf der Seite deines Vaters, Will?«,
fragte Conner.
»Mein Sohn Artureo ist verschleppt worden«,
erwiderte Will, »aber ich halte zu meinem Vater. Wenn wir Imelda
Cortez jetzt nicht stoppen, wird sie uns nie mehr in Ruhe
lassen.«
Conner winkte die beiden näher heran. Gerald ließ
die Waffen liegen und ging zu ihm. Will, der nun wesentlich
friedfertiger wirkte, folgte seinem Onkel. Die beiden Männer zogen
dünne Matten aus den kleinen Beuteln, die sie geschultert hatten,
breiteten sie auf dem Boden aus und setzten sich vertrauensvoll.
Conner machte eine kleine Handbewegung, mit der er die anderen bat,
sich zurückzuhalten und einfach nur zuzusehen.
»Danke.« Er nahm das Buch, das Gerald ihm hinhielt,
und ließ sich den beiden Männern gegenüber im Schneidersitz nieder.
»Schön, dich wiederzusehen, Will, alter Freund«, begrüßte er den
jüngeren mit einem Kopfnicken. Als Kinder hatten sie ein paar Jahre
miteinander gespielt. Allerdings heirateten die Indianer relativ
früh, sodass Will bereits mit siebzehn für einen Sohn
verantwortlich gewesen war.
Will neigte ebenfalls grüßend den Kopf. »Ich
wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen
wiedergetroffen.«
»Ich wusste, dass einer von Adans Enkeln
verschleppt worden ist. Kommst du wegen deines Sohnes?«
Will wechselte einen Blick mit seinem Onkel, dann
schüttelte er den Kopf und sah Conner in die Augen.
Conner wappnete sich für einen Schlag. Wills Miene
war ausdruckslos, doch in seinen Augen lag großes Mitleid.
»Nein, Conner, wegen deines Bruders.«
Conners erster Impuls war, sich auf Will zu stürzen
und ihm das Herz herauszureißen, doch er zwang sich, mit
angespannten Muskeln, die Augen fest auf die Beute gerichtet, still
sitzenzubleiben. Er kannte diese Männer gut. Sie waren
grundehrlich, und wenn Will behauptete, er hätte einen Bruder –
dann hielt Will das für die Wahrheit. Conner holte tief Luft, seine
Lungen brannten, und musterte die beiden Männer, während seine
Finger sich fester um das Tagebuch seiner Mutter schlossen.
Isabeau hatte auch von einem
Kind gesprochen. »Marisa hatte ein Kind dabei« oder so etwas
Ähnliches hatte sie gesagt. Seine Mutter mochte Kinder sehr gern,
deshalb hatte er sich nicht viel dabei gedacht und sich nicht
gefragt, zu wem dieses Kind gehörte.
»Sie hätte es mir doch gesagt, wenn sie noch ein
Kind
bekommen hätte«, meinte Conner. Er konnte sich nicht vorstellen,
dass seine Mutter ihr Kind versteckte, niemals. Doch selbst nachdem
er fortgegangen war, war sie in der Hütte bei Adans Dorf geblieben.
Hatte sie sich etwa in ein Mitglied dessen Stammes verliebt? Mit
hochgezogener Augenbraue verlangte er wortlos nach einer
Erklärung.
»Es war nicht ihres, Conner. Eine Frau aus deinem
Volk hat ein Kind in unser Dorf gebracht. Sie wollte das Baby
nicht.«
Conner wurde flau in der Magengegend. Er wusste,
was kommen würde, und das Kind in ihm erinnerte sich daran, wie es
sich anfühlte, verstoßen zu werden. Unwillkürlich wandte er den
Kopf, um sich nach Isabeau umzusehen. Er hatte nur selten das
Gefühl, einen anderen Menschen zu brauchen, doch in diesem
Augenblick benötigte er ihre Unterstützung. Ohne zu zögern trat
Isabeau aus dem Gebüsch und schritt wie eine Königin über die
Lichtung, das Gesicht voller Liebe, die Augen nur auf Conner
gerichtet. Während sie sich neben ihm niederließ, begrüßte sie die
beiden Stammesvertreter mit einem kleinen Lächeln. Dann legte sie
eine Hand auf Conners Oberschenkel und ihm war, als versengte sie
ihn. Er legte seine Hand über ihre und presste sie an sich, während
sie ihn nur ruhig anschaute.
Conner wollte nicht, dass dieser Augenblick jemals
vorüberging. Isabeau lächelte ihm zu und vermittelte ihm ohne
Worte, dass sie zu ihm stehen würde, was auch geschah. Sie wusste,
dass er aufgebracht war, doch sie stellte keine Frage, wartete
einfach ab. Seine Mutter war genauso gewesen. Ruhig und gelassen.
Eine Frau, die sich neben ihren Mann stellte und selbst dem
Schlimmsten ins Auge sah. Diesen Charakterzug wünschte er sich bei
der Mutter seiner Kinder.
»Mein Vater hat noch ein Kind in die Welt gesetzt.«
Conner zwang sich, diese Worte laut auszusprechen, denn damit
erreichte er zweierlei: Isabeau wurde eingeweiht, und er selbst
konnte sich der Wahrheit besser stellen.
Will nickte. »Du warst bereits in Borneo. Dein
Vater hat sich eine andere Frau genommen, und als sie schwanger
wurde, hat er sie vor die Wahl gestellt, entweder abzutreiben oder
sich zum Teufel zu scheren. Sie wollte bei ihm bleiben, also hat
sie das Baby bekommen und es weggegeben. Dann ist sie zu deinem
Vater zurückgegangen.«
»Er soll in der Hölle schmoren. Wie viele Leben
muss er noch zerstören, bis er zufrieden ist?« Angewidert spuckte
Conner aus.
Isabeau rückte ein wenig näher heran, gerade so,
dass sie sich an ihn lehnen konnte, als wollte sie jede Last mit
ihm tragen, und Conner liebte sie für diese Geste. Er drückte ihr
die Finger und streichelte mit dem Daumen zärtlich über ihren
Handrücken.
»Du kennst doch deine Mutter, Conner«, fuhr Gerald
fort. »Ein Blick auf das ungeliebte, elternlose Kind, und schon
hatte sie es angenommen. Einen Teil des Jahres lebte sie mit dem
Baby in der Hütte und in der Regenzeit zog sie ins Dorf.«
»Deswegen ist sie also dortgeblieben«, sagte
Conner. Will nickte. »Der Junge war in Adans Haus und spielte mit
meinem Cousin, als Cortez’ Männer angriffen. Deine Mutter hat
versucht, sie davon abzuhalten, die beiden mitzunehmen. Sie haben
deinen Bruder für einen von uns gehalten. Er ist erst fünf,
Conner.«
»Warum könnte sie dir verheimlicht haben, dass du
einen Halbbruder hast?«, fragte Isabeau.
Conner ließ den Kopf hängen. »Weil sie wusste, dass
ich in unser Dorf gegangen wäre und diesen Hurensohn umgebracht
hätte. Ich verachte ihn. Er benutzt Frauen bloß, und wenn sie
schwanger werden, setzt er das Kind vor die Tür – mit der Mutter,
wenn sie es nicht hergeben will.«
Der bittere Ton in seiner Stimme machte ihn selbst
ganz krank, aber er wusste sich nicht zu helfen. Eigentlich hatte
er seine Gefühle immer im Griff – es sei denn, es ging um seinen
Vater. Der Mann hatte ihn zwar nicht körperlich misshandelt, doch
nach Conners Ansicht wogen seelische Verletzungen viel schwerer. Es
war typisch für Marisa, dass ihr Sohn für sie an erster Stelle
stand. Seinetwegen hatte sie sich ein neues Leben aufgebaut. Und
obwohl er nicht ihr leibliches Kind war, hatte sie für seinen
Bruder dasselbe getan. Conner wusste, dass er ihrem Beispiel folgen
musste.
Während er sich in Gedanken mit der neuen Situation
beschäftigte, zog er Isabeaus Hand an sein Kinn und rieb sie
geistesabwesend an seinen kurzen Stoppeln. Wenn Imeldas gedungene
Leoparden sich das Kind genauer anschauten, entdeckten sie
womöglich den Artgenossen in ihm. Bei Frauen war die Veranlagung in
der Kindheit kaum zu erkennen, aber bei Jungen … man wusste nie,
wann der Leopard sich zum ersten Mal zeigen würde und oft gab es
vorher Hinweise auf ihn.
»Wie ist er denn so?«, fragte Conner.
»Und wie heißt er?«, mischte Isabeau sich
ein.
Conner nickte und presste die Finger an die
pochenden Schläfen. »Stimmt, das hätte die erste Frage sein
sollen.«
»Deine Mutter hat ihn Mateo genannt«, antwortete
Will.
Beim Gedanken an seine Mutter mit einem Baby im Arm
schluckte Conner. »Also, wie ist Mateo?«
»Genau wie du«, sagte Gerald. »Ihr seid euch sehr
ähnlich. Der Kleine trauert sicherlich um seine Mutter. Er hat
gesehen, wie sie getötet wurde.«
Das war nicht gut. Mateos Leopard würde zum
Vorschein kommen, um dem Jungen beizustehen. Conner erinnerte sich
noch an die Wut, die ihm als Kind ein ständiger Begleiter gewesen
war und mit jedem Herzschlag durch seine Adern gepumpt wurde. Der
Junge musste glauben, jetzt völlig allein zu sein. Wenn Mateo wie
er war, würde er lieber sterben, als seinen Vater um Hilfe zu
bitten. Er würde auf Rache aus sein.
»Kann Artureo es schaffen, Mateo unter Kontrolle zu
halten? Verhindern, dass sich sein Leopard zeigt, selbst wenn er in
Bedrängnis gerät?«
Eine kleine Pause entstand. »Mateo ist ziemlich
eigensinnig«, erklärte Gerald. »Und er hat deine Mutter sehr
geliebt.« Unsicher schaute er in Isabeaus Richtung.
»Sie weiß Bescheid«, sagte Conner. »Du kannst frei
sprechen.«
»Einer der Männer hat auf sie geschossen, als sie
Mateo zurückholen wollte. Sie haben sie für tot gehalten.«
»Ich habe sie fallen sehen«, gestand Isabeau.
»Artureo hat mich in den Bäumen versteckt und ist dann wieder
losgerannt, um zu helfen. Da haben sie ihn auch mitgeschleppt. Ich
habe Marisa nie in ihrer Tiergestalt gesehen. Ich wusste nicht,
dass sie eine Leopardin in sich hat.«
»Marisa ist ins Gebüsch gekrochen und hat sich
verwandelt«, erzählte Gerald. »Ich habe gesehen, wie der große
Mann, Suma, sich ebenfalls verwandelt hat und sie tötete. Niemand
wollte mehr in den Wald gehen, nachdem der Leopard darin
verschwunden war. Der Junge hat gesehen, wie
seine Mutter starb, die einzige Mutter, die er je gekannt hat. Ich
habe ihn schreien hören, Conner, und es war schrecklich.«
Conner unterdrückte die Trauer, die in ihm
aufstieg. Seine Mutter hätte von ihm erwartet, dass er den Jungen
zurückholte – aber nicht nur das, auch, dass er die volle
Verantwortung für ihn übernahm. Langsam wandte Conner den Kopf und
sah Isabeau an. Er hatte keine Wahl. Er musste tun, was getan
werden musste, jeden Preis zahlen, der von ihm verlangt
wurde.
Isabeau sah die Verzweiflung in seinen Augen, seine
Trauer und sein Entsetzen. Aber auch die kühle Entschlossenheit.
Ihr Magen verkrampfte vor Schreck, beruhigte sich dann aber langsam
wieder. »Egal, was nötig ist, wir werden dich unterstützen«, bot
sie ihm an.
Er ließ ihre Hand los und verbeugte sich vor Gerald
und Will. »Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, um mir diese
Nachricht persönlich zu überbringen. Ihr könnt Adan versichern,
dass wir die Kinder zurückholen werden. Er soll sich an den Plan
halten. Ich finde deinen Sohn, Will. Du kennst mich. Ich bringe ihn
nach Hause.«
Den Blick unverwandt auf Conner gerichtet, nickte
Will. »Der Grund, warum ich in dieser Angelegenheit hinter meinem
Vater stehe, bist du. Wir werden dir helfen, wenn du uns
brauchst.«
Conner erhob sich und streckte eine Hand nach
Isabeau aus, um ihr hochzuhelfen. Dann wartete er, bis die beiden
anderen Männer ebenfalls aufgestanden waren. »Wir zählen auf eure
Mitarbeit. Es ist wichtig, euren Stamm in dem Glauben zu lassen,
dass Adan tut, was Cortez von ihm will.«
Gerald nickte und schüttelte ihm die Hand. Traurig
sah
Conner den beiden nach. Beinah hätte er vergessen, das Signal für
sicheres Geleit zu geben, dass es den beiden Stammesvertretern
gestattete, unbehelligt von den Leoparden zu ihrem Dorf
zurückzukommen. Kurz darauf kam Rio über die Lichtung geschlendert,
er war noch dabei, sein T-Shirt überzustreifen.
»Ziemlich voll im Wald. Was gibt’s Neues?«
»Etwas sehr Persönliches. Es sieht so aus, als
hätte ich einen kleinen Bruder, den Imelda zusammen mit den anderen
Kindern entführt hat. Wenn sie herausfindet, dass er ein
Leopardenmensch ist …« Conner brach ab. Dann fanden sie das Kind
bestimmt nie wieder. Imelda würde den Jungen verstecken und ihn
selbst aufziehen.
Rio runzelte die Stirn. »Dann müsste dein Dorf doch
bereit sein, uns zu helfen …«
Wütend fuhr Conner herum, doch das dumpfe Grummeln
in seiner Brust war Warnung genug. Er konnte nicht anders, er
musste brüllen. »Wir werden nicht einmal in seine Nähe gehen. Lass
uns dieses Biest erledigen.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um
und stapfte über die Lichtung zur Hütte.
Isabeau sah Rio an. Sein Stirnrunzeln hatte sich
vertieft, und Sorgenfalten gruben sich in sein Gesicht. »Sein Vater
hat das Kind verstoßen«, erklärte sie. »Du darfst ihn nicht mit
diesem Mann zusammenkommen lassen.« Irgendwie fühlte sie sich, als
hätte sie Conner verraten, doch andererseits wusste sie instinktiv,
dass Rio derjenige war, der Conner am ehesten davon abhalten
konnte, etwas Voreiliges zu tun.
»Danke«, sagte Rio, als hätte er ihre Gedanken
gelesen. »Das musste ich wissen.«
Es lag am Geruchssinn. Isabeau sah sich um und
erkannte, dass Leoparden die Gefühlslage anhand von Gerüchen
beurteilten. Auf diese Weise erfuhren sie wesentlich mehr als ihr
menschliches Gegenüber. Auch in ihrer menschlichen Gestalt setzten
sie ihre ausgeprägten Katzensinne ein, was ihnen in allen
Situationen einen Vorteil verschaffte. Sie musste unbedingt lernen,
wie man das machte.
Sie folgte Rio, jedoch wesentlich langsamer, denn
in Gedanken sah sie noch den Ausdruck in Conners Gesicht gerade
eben. Sie versuchte sich zu vergegenwärtigen, wie er dabei gerochen
hatte. Was war ihm in diesem Augenblick wohl durch den Kopf
gegangen? Er hatte sich ganz offensichtlich zu etwas entschlossen.
Er wollte seinen Bruder zurückholen, und das bedeutete …
Isabeau schluckte schwer und schwankte ein wenig.
Conner hatte ihr gesagt, dass er Imelda Cortez nicht verführen
würde. Sie wollten sich auf irgendeine andere Art Zugang zu ihrer
Festung verschaffen, vielleicht indem sie einen der anderen
vorschickten, doch sein Gesicht vorhin … Er hatte den Entschluss
gefasst, alles Nötige zu tun, und er würde die Aufgabe niemand
anderem aufhalsen – nicht, wenn es um seinen eigenen Bruder ging
und er der Ansicht war, dass seine Mutter diesen Einsatz von ihm
erwartet hätte. Conner würde genau das tun, was
sie von ihm verlangt hatte, nämlich Imelda Cortez
verführen.
Eine eiserne Faust drückte ihr Herz zusammen. Der
Schmerz war so schrecklich, dass sie beide Hände auf die Brust
presste und am Waldrand in die Knie ging. Die Galle kam ihr hoch
und drohte, sich zusammen mit ihrem Protest Luft zu verschaffen.
Ihr Hals fühlte sich rau an, ihre Augen brannten.
Was konnte sie tun? Wie sollte sie reagieren? Am
liebsten hätte sie ihren Widerwillen laut herausgeschrien, sich auf
Conner gestürzt und ihn mit ihren Krallen bearbeitet, weil er ihr
Herz abermals in Stücke riss. Sie hatte es zugelassen, hatte sich
wieder in ihn verliebt. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte ihn
immer geliebt und immer gewollt, dass er zu ihr zurückkam, um sie
um Vergebung zu bitten. Sie hatte sich vorgestellt, dass er
reumütig vor ihr auf die Knie sinken würde, sodass sie ihm endlich
verzeihen und für alle Zeiten glücklich mit ihm weiterleben
konnte.
Er sollte sie so sehr lieben, dass er nicht einmal
daran dachte, eine andere Frau zu berühren. Und als er es weit von
sich gewiesen hatte, Imelda Cortez zu verführen, hatte sie
insgeheim jubiliert. Genau diese Reaktion hatte sie gewollt, darauf
hatte sie es angelegt. Er sollte ihr nachstellen, sie umwerben und
ihr beweisen, dass sie seine große Liebe war – seine einzige Liebe.
Doch das Erscheinen ihrer Katze hatte die Dinge verkompliziert,
denn im Augenblick konnte Isabeau nicht sagen, ob er sich mehr von
ihr oder von dem Tier angezogen fühlte.
»Isabeau?« Conner tauchte neben ihr auf und schlang
mit besorgtem Blick einen Arm um ihre Taille. Dann musterte er sie
Zentimeter für Zentimeter, um den Grund für ihr Straucheln zu
entdecken. »Was ist los? Sag’s mir.« Er griff nach ihrer Bluse, als
wollte er sie hochstreifen und ihren Brustkorb auf Verletzungen
untersuchen.
Doch Isabeau schob seine Hände weg, legte ihm die
Arme um den Hals und verschränkte die Finger in seinem Nacken. Sie
liebte diesen Mann mit jeder Faser ihres Seins. Es wurde Zeit, mit
dem kindischen Benehmen aufzuhören, bevor es zu spät war und sie
ihn für immer verlor. Sie hatte
in einer Traumwelt gelebt, nicht in der Wirklichkeit. Ja, er hatte
sie aus den falschen Gründen verführt, aber die Anziehungskraft
zwischen ihnen war echt. Sie waren wie füreinander gemacht. Wenn er
nur halb so viel für sie empfand wie sie für ihn, hatte er sich
damals ebenso wenig bremsen können wie sie sich jetzt.
»Was ist, Sestrilla?«,
flüsterte Conner an ihrem Ohr. Sie hatte gewusst, er würde sie wie
jetzt in die Arme nehmen.
An der Art, wie er sie berührte, merkte sie, dass
er sich sorgte. Sein Griff war fest, aber sanft. Der zärtliche
Name, den er ihr gegeben hatte, klang fremd, aber sehr liebevoll
aus seinem Mund. »Was bedeutet das?« Isabeau legte den Kopf an
Conners Brust und lauschte seinem gleichmäßigen, beruhigenden
Herzschlag. »Ich muss wissen, was es heißt.«
»Isabeau.« Sie hörte, dass er traurig war. Dass ihm
das Herz brach.
»Sag’s mir, Conner.« Sie wollte ihn nicht
freigeben, obwohl er ganz behutsam versuchte, sich von ihr zu
lösen. Doch Isabeau schlang die Arme fester um ihn und presste sich
an ihn. »Ich muss es wissen.«
»Es ist ein altes Wort aus unserer Sprache und
bedeutet ›Geliebte‹.«
Isabeaus Herz überschlug sich und beruhigte sich
dann wieder, denn mit einem Mal wurde ihr alles klar. Conner hatte
sie immer Sestrilla genannt, lange bevor er
zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte.
»Ich liebe dich auch.«
Sie spürte, wie Conner scharf einatmete, dann
lehnte er seine Stirn an ihre. Seine langen Wimpern verbargen die
Augen, doch sie konnte die tiefen Falten sehen, die sich in sein
Gesicht gegraben hatten. Es war so voller Reue und
Trauer, als ob er eine schwere Sünde begangen hätte, als ob alles,
was ihm wichtig war, bereits verloren wäre.
»Du hast das falsch verstanden, Isabeau«, erwiderte
er sanft.
Seine raue, hypnotische Stimme traf sie bis ins
Mark und ließ das Blut heißer durch ihre Adern strömen.
»Was habe ich falsch verstanden, Conner?«, fragte
sie leise und zärtlich.
Er stöhnte und drückte seine Stirn fester an ihre.
»Tu’s nicht. Bitte, Süße. Ich könnte nicht damit leben, dich noch
einmal zu verlieren. Lass mich einfach glauben, dass es für uns
schon zu spät war. Es war vorbei, und wir hatten keine Chance
mehr.«
»Ich habe dich unter einem falschen Vorwand
hergelockt, Conner. Ich bin an der ganzen Sache nicht unschuldig.
Ich wollte dich sehen. Ich hatte keine Ahnung, dass Adan dich
anhand meiner Zeichnung erkennen würde, doch nachdem mir
klargeworden war, dass er an dich herankommen konnte, wollte ich
dich unbedingt wiedersehen. Ich war die treibende Kraft. Und tief
im Innern, wo ich selber nicht hinsehen wollte, wusste ich, was du
zu meinem Vorschlag sagen würdest. Ich wollte …«
»Nicht.« Conner legte einen Finger auf ihre Lippen.
»Sag es nicht. Das ist nicht nötig.«
Isabeau küsste den Finger und streichelte ihn mit
ihrer Zunge. »Doch, ist es. Ich wollte dich bestrafen – und dir
wehtun. Jetzt schäme ich mich dafür.«
»Verdammt, Isabeau, glaubst du, das macht es
leichter?«
»Wenn du mich ausreden ließest, schon«, fauchte
sie, ihre Katze drängte so aufgeregt nach außen, dass sich ihre
Stimme bereits veränderte.
Isabeau bemerkte Conners schwaches Lächeln. Es
reichte nicht ganz bis an seine Augen heran, doch ihre kleinen
Temperamentsausbrüche hatten ihm immer gefallen. Isabeau kniff die
Augen zusammen. »Ich meine es ernst. Ich habe dir etwas Wichtiges
zu sagen, und du solltest mir zuhören, ehe du anfängst zu
streiten.«
»Verstanden, Ma’am.« Conner küsste sie.
Darauf hätte sie gefasst sein sollen. Er grub eine
Hand in ihre Mähne, ballte sie um die seidigen Strähnen und drückte
seinen Mund auf ihren. Es war ein herzzerreißender Moment. Wild und
maskulin, so schmeckte sein Kuss, und er gehörte ihr. Isabeau schmiegte sich an ihn und weigerte
sich, den Kuss enden zu lassen, riss die Initiative an sich, fuhr
ihm aufreizend mit der Zunge über die Lippen und rieb sich
verführerisch an ihm.
Für einen kurzen Augenblick widerstand er ihr, dann
erbebten seine stählernen Muskeln, und er kapitulierte, nahm sie
fest in die Arme und eroberte ihren Mund, labte sich an ihr und
steckte sie an mit seiner Hitze und seiner verzehrenden
Leidenschaft.
Conners Reaktion gab ihr Selbstvertrauen. Isabeau
knabberte an seiner Unterlippe und ließ die Hände unter sein
T-Shirt gleiten. Dann schlang sie ein Bein um seine Hüften und
drückte sich auffordernd an ihn. Sie wollte alles haben. Sie würde
ihn nicht einfach so gehen lassen – und ganz sicher nicht mit
Schuldgefühlen. Ihre Hände strichen über seine nackte Haut, um sich
jede Einzelheit einzuprägen, während ihr Mund seinen einzigartigen
Geschmack aufsaugte.
»Was ist los, kommt ihr endlich?«, rief Rio. »Wir
müssen einen Fluchtweg festlegen und dazu brauchen wir euch.«
Widerstrebend hob Conner den Kopf. »Gleich«, rief
er über die Schulter, während sein brennender Blick an Isabeaus
Augen haften blieb. »Du weißt, was ich tun muss«, sagte er leise.
»Wie kann ich dir danach jemals wieder in die Augen sehen?«
»Weil du es auf meinen Wunsch hin tust«, wisperte
sie und legte ihm, ehe er protestieren konnte, hastig einen Finger
auf den Mund. »Weil deine Mutter meine Freundin war und weil ihr
Sohn dein Bruder ist. Weil deine Familie auch meine ist und weil
ich alles tun werde, um deinen Bruder heil da herauszubekommen. Ich
kenne den kleinen Mateo, deine Mutter hat ihn immer mitgebracht ins
Camp. Ich wusste nicht, dass er nicht ihr leiblicher Sohn war,
genauso wenig wie ich wusste, dass sie deine Mutter ist, aber ich
habe gesehen, wie sie sich liebten. Conner, diese Sache geht uns
beide an. Mach meine Schuld nicht kleiner als deine und dein Opfer
nicht größer. Du bedeutest mir alles. Wir werden einfach tun, was
getan werden muss.«
Conner schüttelte den Kopf. »Du bist eine
erstaunliche und mutige Frau, Isabeau, und ich verdiene dich nicht,
aber du kannst dir die Situation noch nicht vorstellen, wie es dich
anekeln wird, mich mit Imelda zu sehen. Dir werden Zweifel kommen,
verständliche Zweifel. Schlimmer noch, deine Katze wird außer sich
sein. Dann ist sie gefährlich, und du musst ständig aufpassen, dass
du nicht die Kontrolle verlierst.«
»Und wie schlimm wird es für dich, Conner?«, fragte
sie. »Während du dir Sorgen um mich machst, sorge ich mich um dich.
Du bist doch derjenige, der das Raubtier bändigen und sich dazu
zwingen muss, einer anderen Frau in die Augen zu sehen. Für andere
Männer mag das leicht sein, aber
ich glaube, ich habe genug über dich erfahren, um zu wissen, dass
es dir zuwider sein wird.«
»Bist du sicher, Isabeau, denn wenn du heute Nacht
bei mir bleibst, kann ich für nichts garantieren.«
Ein erleichtertes Lächeln erschien auf Isabeaus
Gesicht. »Wie schön.« Dann zwang sie sich, sich von der
Leidenschaft in Conners Augen loszureißen und in den Wald zu
schauen. »Also, wie planen wir unseren Fluchtweg?«
Conner senkte den Kopf und hauchte eine Reihe von
Küssen auf ihre Wange. »Wir schauen uns Karten an, legen die Route
fest, werfen die Vorräte aus dem Hubschrauber ab und verstecken sie
so, dass die Tiere nicht an sie herankommen. Dann denken wir an
alles, was schiefgehen könnte, und überlegen, was wir in dem Fall
unternehmen.«
»Oh, das hört sich ja einfach an. Ich dachte schon,
es würde schwierig werden.« Isabeau strahlte ihn an.
Widerstrebend ließ Conner sie los, trat einen
Schritt zurück und erwiderte ihr Lächeln, doch sein Blick blieb
skeptisch, so als wollte er sich keine Hoffnungen machen. Trotzdem
verschränkte er seine Finger mit Isabeaus, als sie die Hand nach
ihm ausstreckte, und folgte ihr zu den anderen. »Ich werde Jeremiah
in die Bäume schicken. Mal sehen, wie gut er klettern kann. Er muss
an sich arbeiten. Und je mehr er übt, desto besser. Wenn er nicht
schneller wird, ist die Sache zu gefährlich für ihn.«
»Du machst dir ernsthaft Sorgen um den
Jungen.«
»Er hat sich seiner Strafe gestellt wie ein Mann.
Der Bursche steht für seine Fehler gerade. Und er hat Mut. Er ist
zwar ein wenig vorlaut, aber waren wir das in seinem Alter nicht
alle?«
Schon wieder musste sie lächeln. Ihr gefiel es,
dass Conner
zwar einschüchternd und gefährlich wirkte, aber unter der rauen
Schale ein gutes Herz hatte. Wahrscheinlich wäre ihm diese
Einschätzung gar nicht recht gewesen, doch schon am Klang seiner
Stimme konnte sie hören, dass er Jeremiah nicht ins Team aufnehmen
würde, wenn er nicht so gut wie möglich darauf vorbereitet
war.
»Starr mich doch nicht so an, Isabeau.«
Conners Stimme war heiser und rau geworden, und er
hatte Katzenaugen bekommen. Schlagartig zog sich ihr Unterleib
zusammen, und sie wurde feucht. Isabeau räusperte sich. »Wie lange
dauert es noch, bis meine Katze sich zeigt?«, fragte sie. »Haben
wir noch so viel Zeit? Ich möchte das nicht ohne dich
durchmachen.«
»Bald ist es soweit. Du bist kurz davor«, erwiderte
Conner und maß sie mit einem so besitzergreifenden und hungrigen
Blick, dass ihr der Atem stockte und ihre Temperatur in die Höhe
schnellte. »Viel zu kurz.«
In seinem Blick lag nach wie vor eine Spur von
Besorgnis, als wüsste er etwas, von dem sie nichts ahnte – und das
war durchaus möglich. Isabeau rechnete nicht damit, dass es ihr
leichtfallen würde, ihn mit Imelda Cortez zu sehen, schon der
Gedanke machte sie ganz krank, aber sie wollte ihn nicht verlieren.
Nicht noch einmal. Sie mussten einen Weg finden, heil aus dieser
Sache herauszukommen und die Kinder zu befreien. Als Isabeau
aufschaute, stellte sie fest, dass sie sich den anderen näherten.
Sie waren nur noch wenige Schritte entfernt, daher blieb sie stehen
und hielt Conner am Arm fest.
»Wir tun alles, was nötig ist, Conner. Natürlich
hoffe ich, dass du sie nicht einmal küssen musst, aber ich werde
dir keine Grenzen setzen. Wenn du dich in eine lebensbedrohliche
Situation begibst, kannst du auf mich keine Rücksicht nehmen. Wir
stecken gemeinsam in dieser Sache und ziehen sie durch – zusammen.
Einverstanden?«
Conner stöhnte leise und zog sie noch einmal an
sich. Sie konnte sein Herz schlagen hören. »Ich weiß, dass du dich
für stark genug hältst, Isabeau, und ich liebe dich dafür, aber
deine Leopardin wird ein Wörtchen mitreden wollen und es dir
schwermachen. Katzen sind eifersüchtig und temperamentvoll und
nicht immer zu kontrollieren. Du hast doch gesehen, wie ich mit
Jeremiah umgegangen bin – dabei mag ich den Jungen. Was glaubst du,
wie erst deine Katze reagiert, wenn ich mit einer Frau flirte, die
du verachtest – oder Schlimmeres?«
»Wenn dein Leopard damit umgehen kann, muss meine
Leopardin es eben auch lernen, okay?« Isabeau hob trotzig das Kinn.
»Ich will die Kinder zurück – alle, ohne Ausnahme -, und ganz
besonders Mateo, weil er zu uns gehört. Und zu Marisa. Ich will,
dass Imelda gestoppt wird. Falls irgendjemand einen besseren
Vorschlag hat, wie man in ihre Festung kommt, nehmen wir den, doch
wenn uns nichts anderes übrigbleibt, als über dich eine Einladung
zu bekommen, müssen wir es eben so machen.« Plötzlich hielt Isabeau
die Luft an. »Elijah! Conner, Elijah könnte doch deinen Part
übernehmen.«
Doch Conners Kopfschütteln zerstörte ihre
Hoffnungen. »Ich nenne dir drei Gründe. Erstens, Mateo ist mein
Bruder, und so zu tun, als wollte man mit dieser Frau schlafen, ist
ein elender Job, den ich niemand anderem zumuten möchte. Zweitens
ist Elijah, so gut er auch ist – ich bestreite ja gar nicht, dass
er unter Druck sehr ruhig bleibt -, relativ unerfahren. Und
drittens hat Imelda kein Interesse an Männern,
die sie als ebenbürtig betrachtet. Sie steht auf maskuline Typen,
nicht auf Gleichberechtigung. Ich habe mich mit ihr beschäftigt;
Elijah würde eine Bedrohung für sie darstellen, denn er könnte auf
die Idee kommen, sie zu entthronen. Solche Ambitionen hat ein
Leibwächter nicht.«
Isabeau atmete wieder normal und riss sich zu einem
Lächeln zusammen. »Dann halten wir uns an unseren Plan.«
Hand in Hand kehrten die beiden zur Hütte zurück,
wo die anderen warteten. Conner arbeitete mehrere Alternativen als
Fluchtweg aus und zeigte ihnen die Gebiete im Wald, in denen sie
unterwegs mit den Kindern Zuflucht finden konnten, und die besten
Plätze für die Lagerstätten. Nun mussten die Orte, an denen die
Ausrüstung abgeworfen werden sollte, nur noch markiert
werden.
»Das mache ich – mit Jeremiah«, sagte Conner
abschließend. »Wir gehen als Leoparden. Das ist schneller und
sicherer. Außerdem bekommt der Junge so die nötige Erfahrung, was
das Klettern und die möglichst spurlose Fortbewegung anbelangt. Rio
fliegt wie immer den Helikopter, und Elijah kümmert sich um die
Versorgung.«
Felipe grinste Jeremiah an und ließ die Muskeln
spielen. »Und Leonardo und ich sind die großen Aufpasser – die
Muskelpakete.«
»Also auf keinen Fall das Hirn, meinst du«, feixte
Jeremiah.
Das brachte ihm einen leichten Klaps von Rio ein,
doch Jeremiah lachte nur unbeeindruckt. Isabeau merkte, dass sich
zwischen den Männern und dem neuesten Mitglied ihres Teams bereits
eine Art Kameradschaft entwickelte. Jeremiah mochte sich noch auf
Probezeit und in der Ausbildung
befinden, doch er wurde bereits mit wachsender Zuneigung
behandelt.
»Wir gehen also rein, mit Conner und Felipe als
persönlichen Leibwächtern von Marcos«, kam Rio wieder zum
Geschäftlichen zurück, »und Leonardo und mir als Elijahs
Bodyguards.«
»Um unseren Onkel braucht ihr euch keine Sorgen zu
machen«, versicherte Felipe hastig. »Auch wenn er schon in den
Sechzigern ist, bei Bedarf ist er schnell und gerissen. Ich möchte
mich nicht mit ihm anlegen. Zusammen mit Elijah wären wir dann zu
sechst, alles Leoparden.«
»Und was ist mit mir?«, wollte Jeremiah
wissen.
Rio zuckte die Achseln. »Du weißt doch, dass Suma
dort sein wird. Er hat versucht, dich anzuwerben, also darf er dich
nicht zu Gesicht bekommen. Wie sieht es mit deinen Schießkünsten
aus?«
Sofort strahlte Jeremiah aufs Neue. »Ich bin ein
Meisterschütze.«
»Besser, du hältst dich an die Wahrheit«, sagte
Conner warnend.
»Ich treffe auf über eine Meile Entfernung, selbst
bei starkem Wind.«
Die Männer sahen sich an. »Wir geben dir eine
Chance zu beweisen, was du kannst«, bemerkte Rio. »Wenn du nicht
übertrieben hast, darfst du unseren Rückzug decken.«
»Und ich?«, mischte Isabeau sich ein. »Ich könnte
doch als Elijahs Freundin mitgehen. Keiner von denen kennt mich.
Elijah könnte hergekommen sein, um gleichzeitig mich und seinen
alten Freund Marcos zu treffen.«
»Schlag dir das aus dem Kopf«, konstatierte
Conner.
»Aber sonst ist sie schutzlos«, bemerkte Elijah.
»Wir können
sie doch nicht einfach allein lassen, und das weißt du auch,
Conner. Vielleicht ist sie eine wertvolle Hilfe. In der Festung
gibt es zwei gedungene Leoparden, die würden an nichts anders mehr
denken können als an Isabeau.«
»Das stimmt mich natürlich um, nicht wahr?«,
erwiderte Conner voller Sarkasmus.
»Aber du solltest nicht als Freundin auftreten«,
warf Rio ein, »sondern Elijah näher stehen. Besser er gibt dich als
Verwandte aus, eine Schwester vielleicht oder eine Cousine. Das
bedeutet Krieg, wenn sie dich anrühren. An eine Freundin würden sie
sich womöglich herantrauen, denn die Schurken werden merken, dass
deine Leopardin rollig ist. Diese Geschichte könnten sie uns
abkaufen. Elijah ist gekommen, um Isabeau zu besuchen und ihr
Nachrichten von der Familie zu bringen. Außerdem werden die anderen
vermuten, dass ein geheimes Treffen zwischen Elijah und Marcos
vereinbart ist. Imelda wird es nicht schaffen, den Köder zu
verschmähen. Die Versuchung ist zu groß. Auf der einen Seite Elijah
und Marcos, die ihr als Verbündete Türen öffnen könnten, und auf
der anderen Seite du, Conner. Von den vielen Leoparden gar nicht zu
reden.«
Conner rieb sich die Schläfen und musterte Isabeaus
Gesicht. Sie wirkte so unschuldig. Sie hatte keine Ahnung, mit
welchen Ungeheuern sie sich anlegten. Zwar hatte sie gesehen, was
diese Verbrecher anrichteten, doch das Ausmaß ihrer Verdorbenheit
und Gier ging sicher über ihre Vorstellungskraft hinaus.
»Wenn wir dir sagen, du sollst gehen, Isabeau
…«
»Glaub mir, Conner, ich bin nicht auf den Kopf
gefallen. Ich gehorche, wenn jemand mit eurer Erfahrung mir einen
Befehl gibt.«
Widerspruch war zwecklos. Es gab keine andere
Möglichkeit. Und Isabeau war tatsächlich clever. Vielleicht war sie
ein Gewinn für die Sache. »Dann lasst uns mit den Fluchtwegen
weitermachen, danach kümmern wir uns um eventuelle
Schwachstellen.«