13
Was ist mit Ihrem Gesicht
passiert?«, fragte Imelda, als sie Conner einholte. Er ging direkt
hinter Philip, der ihnen den Weg zum Besprechungszimmer wies. »Sie
sehen aus, als hätten Sie mit einer riesigen Katze gekämpft.« Ihre
Stimme bebte vor Erregung. Sie passte sich seinem Schritt an und
streckte die Hand aus, um eine der langgezogenen Narben zu
berühren.
Doch Conner packte sie am Handgelenk und drückte
ihren Arm wieder nach unten. »Stimmt, mit einer Raubkatze.«
Er spürte, wie Imelda erschauerte. »Wirklich? Wie
schrecklich.«
Conner zuckte die Achseln. »Es ist passiert, und
ich lebe noch.« Dann trat er ihr in den Weg und hinderte sie daran,
das Zimmer zu betreten. »Warten Sie hier, bis ich das Okay
gebe.«
Imeldas Augen funkelten. »Ich bin es nicht gewöhnt,
herumkommandiert zu werden.«
»Dann arbeiten Ihre Männer nicht richtig«,
erwiderte Conner und drehte ihr den Rücken zu.
Philip hielt die Tür auf, aber nur Conner und Rio
gingen ins Zimmer. Felipe und Leonardo blieben bei Elijah und
Marcos. Ihre Bewegungen waren koordiniert und effizient, obwohl
niemand etwas sagte. Elijah und Marcos, für die es nichts
Ungewöhnliches war, dass ihr Team Räume filzte, schenkten dem
Ganzen keine große Beachtung, doch Imelda presste eine Hand auf
ihre wogende Brust.
»Wie lange ist der Mann schon bei Ihnen?«, fragte
sie Marcos.
Der Brasilianer legte die Stirn in Falten. »Conner?
Ein paar Jahre. Er ist gut. Ich kannte seine Familie.« Die
gedungenen Leoparden, die diese Lüge hätten riechen können, waren
nirgendwo zu sehen. Imeldas Sicherheitsleute hatten ihre Show
abgezogen und sich nun, da sie sich in Philips Haus sicher fühlten,
in allen Räumen verteilt, damit die Partygäste merkten, dass Imelda
eine wichtige Persönlichkeit war und ihre Leute alles im Auge
hatten. Bei ihr selbst war nur noch ein einziger Bodyguard.
Ein wenig besorgt darüber, dass Suma und Zorba
verschwunden waren, warf Elijah Marcos einen Blick zu. Imeldas
Sicherheit hätte die Hauptsorge der beiden sein sollen, denn sie
kannten ja weder Marcos noch Elijah, und wussten nichts über ihre
Absichten.
»Wie lange haben Sie Ihre Sicherheitsleute schon?«,
fragte Elijah.
Imelda verbarg die Augen hinter ihren Wimpern.
»Ungefähr zwei Jahre. Sie sind … etwas Besonderes.«
Elijah zog die Brauen hoch. Marcos grinste dazu.
»Wirklich?«, fragte Elijah. »Soweit ich sehe, sind sie nicht da, wo
sie sein sollten, nämlich an Ihrer Seite. Ich hätte sie schon nach
zehn Minuten rausgeworfen.«
»Ich auch«, pflichtete Marcos ihm bei.
Ein zorniger Ausdruck glitt über Imeldas Gesicht.
Sie
wurde nicht gern in Verlegenheit gebracht, und sie sah ein, dass
die beiden Recht hatten. Wütend starrte sie ihren Bodyguard an und
schnippte mit den Fingern. Sofort nahm der Mann sein Funkgerät und
teilte den beiden Söldnern mit, dass Imelda sie auf der Stelle zu
sehen wünschte.
»Ihre Leute sind nachlässig geworden«, fuhr Elijah
fort. »Sie sollten jederzeit bei Ihnen sein. Keiner unserer Männer
würde Sie je allein lassen, nicht einmal, wenn Sie es von ihm
forderten. Meine Leute hätten dafür gesorgt, dass Sie sich
diesbezüglich vertraglich verpflichten. Und im Falle einer
Weigerung hätten sie Sie als Klientin nicht angenommen.«
»Marcos, haben Sie Philip nicht erzählt, dass einer
der Leibwächter Ihr Neffe ist?«, fragte Imelda.
Marcos und Elijah wechselten einen vielsagenden
Blick. Imelda hatte einen Fehler gemacht, merkte es aber nicht. Die
besagte Unterhaltung hatte vor ihrer Ankunft stattgefunden, das
hieß, man hatte sie abgehört, und Imelda hatte sich die Bänder vor
ihrem Auftritt angesehen – so wie sie es vermutet hatten.
»Das ist richtig. In unserer Schutztruppe sind
sogar zwei Neffen von mir. Und ein Verwandter von Elijah.«
Imelda zog eine ihrer schmalen Schultern hoch.
»Sehen Sie, Sie verlassen sich auf die Familie, bei diesem Job kann
man niemandem richtig trauen.«
»Conner gehört nicht zur Familie, genießt aber
trotzdem mein vollstes Vertrauen«, wandte Elijah ein. »Aber
anscheinend sind wir in dieser Hinsicht unterschiedlicher Meinung.
Ich weiß, dass meine Männer mich nie verraten würden, deshalb macht
es mir nichts aus, wenn sie bei meinen geschäftlichen Besprechungen
dabei sind. Sie würden ihre Geheimnisse mit ins Grab nehmen.«
Imelda konnte der spöttische Blick, den die Männer
wechselten, nicht entgehen. Die Leiter ihres Sicherheitsteams
hatten sie ausgerechnet vor den beiden Männern, denen sie unbedingt
imponieren wollte, wie eine Anfängerin aussehen lassen. Das würde
sie ihnen nicht so leicht verzeihen. Einen Augenblick glitzerte
finstere Wut in ihren Augen, dann setzte sie wieder ihre
freundliche Maske auf.
Conner kehrte zurück, seine Miene war
unergründlich. »Dieses Zimmer eignet sich nicht für Besprechungen,
Marcos.« Das war eine Feststellung. Ein Befehl, keine Bitte.
Imelda war sichtlich beeindruckt von der Art, wie
er mit seinem Arbeitgeber umging. Dank der von Rio gesammelten
Informationen hatten sie jedes Detail ihrer Persönlichkeit
eingehend studiert; Imelda wollte einen starken Typ, gleichzeitig
aber auch die Kontrolle. Ihre Liebhaber hielten sich nie sehr lang.
Für ihre Sicherheitsleute war sie wahrscheinlich eine einzige
Katastrophe. Ein Mann wie Conner Vega musste ihr in jeder Hinsicht
gefallen. Anscheinend war er treu ergeben, absolut zuverlässig und
sehr auf das Wohl seines Arbeitgebers bedacht. Außerdem hatte er
ihre Leoparden in die Schranken gewiesen.
»Das ist doch lächerlich«, protestierte sie, eher
um ihn herauszufordern und seine Aufmerksamkeit zu erregen. »Wir
halten unsere Besprechungen immer in diesem Raum ab.«
Sein ungerührter Blick glitt kurz zu ihr hinüber
und wandte sich dann wieder Marcos zu. »Der Raum ist
verwanzt.«
Eine kurze Stille trat ein. Marcos drehte ganz
langsam den Kopf und fixierte Imelda, sein joviales Benehmen war
wie weggeblasen. Elijah stellte sein Glas ab und musterte sie ohne
eine Spur von Freundlichkeit. Plötzlich wurde jeder
Zoll an ihm seinem Ruf gerecht. Imelda merkte, wie die anderen
Leibwächter sich so aufstellten, dass niemand zu ihnen durchdringen
konnte.
»Ich weiß nicht, was das heißen soll.« Imelda
bemühte sich die Ruhe zu bewahren. Niemals zuvor war ihre Autorität
infrage gestellt worden – zumindest hatte das nie jemand überlebt.
Doch im Augenblick schien eher ihr Leben in Gefahr zu sein. Es war
gleichzeitig erschreckend und erregend. Sie sah die Bedrohung in
Conners goldenen Augen glitzern. Er wirkte sehr distanziert, aber
zu allem entschlossen. Adrenalin flutete Imeldas Körper, und
Heißhunger überfiel sie.
»Das heißt«, erklärte Marcos ungeduldig, »dass das
Zimmer verdrahtet ist.«
»Ich dachte, wir wollten uns nur freundlich
unterhalten«, sagte Elijah. »Jedenfalls hat Marcos mir das
versichert.«
Langsam dämmerte Imelda die Wahrheit. Sie selbst
hatte Philip vorgeschlagen, aus seinen sexuellen Vorlieben Kapital
zu schlagen und seine Gespielinnen wohlhabenden und diskreten
»Freunden« zur Verfügung zu stellen. Intime Begegnungen,
insbesondere solche mit Fetischen oder sadistischen Einlagen auf
Videoband zu besitzen, sorgte für sofortiges Entgegenkommen.
Seitdem hatte es Geld und Gefälligkeiten geregnet. Erbost drehte
sie sich zu Philip um.
»Wie kannst du es wagen!« Man konnte ihr ansehen,
dass sie von Philips Initiative tatsächlich nichts gewusst hatte.
Imelda erlaubte sich selbst gern sexuelle Exzesse. Menschen
auszupeitschen und zuzusehen, wie sich ihre Haut in Streifen
abschälte, während die Opfer vor Schmerz schrien, erregte sie
derart, dass sie sich das Vergnügen nur selten versagte,
insbesondere wenn sie es mit jemandem teilen konnte,
der den Anblick ebenfalls genoss, so wie Philip. Er war auch im
Foltern ein echter Kenner.
Der Hausherr wich vor ihr zurück. »Imelda, du weißt
doch, dass ich das nie tun würde.«
Imelda schaute von Philips in Conners grimmiges
Gesicht. Wem sollte sie glauben? Konnte Philip wirklich so dumm
sein, alles zu riskieren, was sie miteinander verband? Sie führte
ihm Kunden zu und teilte seine sexuellen Neigungen. Er hatte guten
Grund sie zu fürchten. »Zeigen Sie’s mir«, forderte sie Conner
auf.
Doch der reagierte nicht auf ihren Befehl.
Stattdessen sah er zu Marcos hinüber, der schließlich nickte.
Imelda geriet in Rage. Ihr Freund und ihr Sicherheitschef ließen
sie auf ihrem eigenen Terrain schlecht aussehen. Sie sollten
verdammt sein. Sie brauchte jemanden wie diesen Mann als
Teamleiter.
Conner machte dem Hausherrn ein Zeichen, als Erster
den Raum zu betreten. Doch Philip sah auf die Uhr. »Ich habe Gäste.
Wenn Sie das Zimmer auseinandernehmen möchten, um nach nicht
vorhandenen Abhöreinrichtungen zu suchen, bitte sehr, aber ohne
mich.«
»Philip«, stieß Imelda zwischen zusammengebissenen
Zähnen hervor. »Geh rein.« Sie hätte ihn umbringen können. Wo zum
Teufel blieb Martin? Und was war mit Ottila? Sie sollten zur Hölle
fahren. Imelda starrte ihren einsamen Bodyguard an. »Schaff sofort
die anderen herbei«, blaffte sie.
Widerstrebend betrat Philip das Besprechungszimmer.
Ihm war klar, dass Imelda wütend werden würde, wenn sie herausfand,
was er getan hatte. Er begriff nicht, wie dieser Leibwächter ihm
auf die Schliche gekommen war. Es gab keine Hinweise, nicht einen
einzigen, also wie kam der Kerl
darauf? Er hasste Marcos’ persönlichen Beschützer. Was für ein
arroganter Bastard. Imelda, dieses Miststück, war schon ganz
verrückt nach ihm. Philip trat zurück und sah zu, wie der Bodyguard
seine kleine Show abzog. Eigentlich unmöglich, dass er etwas
herausgefunden hatte. Trotzdem war Philip nicht mehr ganz wohl.
Selbst wenn der Kerl nicht imstande war, ihm etwas zu beweisen, war
der Keim des Zweifels in Imelda gesät. Und das hieß, er musste
schnell verschwinden. Er hatte Millionen angehäuft und war
vorbereitet, doch diese Stadt war für seine Zwecke perfekt
gewesen.
Mit ausdruckslosem Gesicht fuhr Conner mit der
flachen Hand an der Wand entlang. Imelda hatte nicht gewusst, dass
der Raum unter Beobachtung stand, das war deutlich zu sehen
gewesen, und er hatte auch keine Lüge gerochen, also hatten ihre
Leoparden ihr nichts davon gesagt. Warum nicht? Warum hatten ihre
Sicherheitsleute sie nicht gewarnt? Sie mussten das Klicken, mit
dem die Geräte beim ersten Laut ansprangen, doch ebenso gehört
haben wie das leise Summen beim Aufzeichnen. Und warum waren Suma
und Zorba jetzt nicht bei ihr? Sie mussten doch wissen, dass das
Aufzeichnungsgerät entdeckt werden würde.
Isabeau. Conner wurde flau
im Magen. Waren sie etwa hinter ihr her? Doch sie hatte den kleinen
Panikknopf an ihrer Uhr bislang nicht gedrückt. Ohne Rücksicht
darauf, dass die anderen es sehen könnten, warf er Elijah einen
knappen, herrischen Blick zu.
Elijah wartete einen Herzschlag lang. Zwei. Er
drehte sich um, schaute wie zufällig zur Tür und dann auf seine
Armbanduhr. »Meine Cousine ist schon ziemlich lange fort.«
»Ihre Cousine?«, wiederholte Imelda, als ob sie
Isabeau vergessen hätte.
Conner erkannte, dass es wahrscheinlich genauso
war. Alles, was nicht direkt mit ihr zu tun hatte, kümmerte Imelda
nicht. Ihre Welt war sehr klein und selbstzentriert.
»Ich will, dass sie sofort einer suchen geht«,
sagte Elijah barsch.
Felipe drehte sich auf dem Absatz um und
verschwand.
Imelda seufzte. »Das ist doch verrückt. Das Mädchen
ist genauso wenig in Gefahr wie es hier Wanzen gibt. Schließlich
ist sie bei meinem Großvater. Er wird darauf achten, dass ihr
nichts geschieht.«
Ohne sich die Mühe zu machen, nach dem versteckten
Hebel zu suchen, der die Abhörgeräte hervorkommen ließ, schlug
Conner mit der Faust durch die Wandverkleidung. Es war wesentlich
befriedigender und dramatischer, die makellose Wand einfach zu
zertrümmern.
Entsetzt drehte sich Imelda um und sah Philip
anklagend an. »Du erbärmlicher Verräter«, fauchte sie. »Wem
wolltest du die Bänder geben? Der Polizei?«
»Die Polizei haben Sie doch sicher in der Tasche«,
sagte Marcos, während er sich in einen Stuhl fallen ließ und eine
Zigarre aus der Tasche zog. »Ich darf doch?«
Imelda holte tief Luft und rang um Fassung. »Ja,
natürlich, Marcos. Nur zu«, sagte sie kühl. Philip würde ihr nicht
entkommen. Er war schon so gut wie tot, und das musste ihm klar
sein. Vielleicht beging er noch den Fehler, seine Sicherheitskräfte
auf ihre zu hetzen, doch seine Leute waren Amateure, ihre dagegen
kampferprobt. Außerdem hatte sie die Leoparden. Niemand sonst hatte
welche … es sei denn … nachdenklich richtete sie die scharfen Augen
auf diesen Leibwächter und betrachtete ihn genauer.
Conner erwiderte ihren Blick mit goldglühenden
Raubtieraugen
und sah, wie sie die Luft anhielt, um ihre freudige Überraschung
zu verbergen. Er ahnte, dass sich in ihrem Kopf die Gedanken
überschlugen, während sie versuchte, die anderen einzuschätzen. Sie
waren ähnlich gebaut und hatten die gleiche gefährliche Aura wie
er. Wahrscheinlich ging Imelda davon aus, dass es bei den
Leopardenmenschen eine Art Hierarchie gab und er Martin irgendwie
überlegen war.
Schon mal etwas von Loyalität
gehört? Conner empfand nichts als Verachtung für eine Frau, die
nicht darauf kam, dass ein Leopard, der imstande war, das eigene
Volk zu verraten, vermutlich keinerlei Skrupel hatte, auch seine
Chefin zu hintergehen. Damit hätte sie doch rechnen müssen.
»Setz dich, Philip«, blaffte Imelda, nachdem sie
den Blick von Conner losgerissen hatte. »Du gehst nirgendwohin, ehe
wir das geklärt haben.«
»Ich hatte keine Ahnung von diesen Rekordern«,
jammerte Philip. »Glaubst du, ich würde meinen Kopf riskieren? Wir
haben uns doch immer hier getroffen. Und alles, was dich belastet,
belastet auch mich. Du hast mehr gegen mich in der Hand als jeder
andere auf der Welt. Was hätte ich denn davon, Imelda? Irgendjemand
hat mir eine Falle gestellt.«
Philip log – er wusste von den Bändern, doch
vielleicht war er wirklich ausgetrickst worden. Falls er nicht
selbst darauf gekommen war, die Unterhaltungen mitzuschneiden – und
er hatte Recht damit, was hätte es ihm gebracht -, war er von
irgendjemandem dazu überredet worden. Von der Polizei? Gab es dort
jemanden, der noch nicht von Imelda geschmiert wurde und heimlich
hinter ihr her war? Conner bedachte diese Möglichkeit – ziemlich
unwahrscheinlich. Zu
viele Offizielle standen auf ihrer Gehaltsliste, sie hätte Wind
davon bekommen. Nein, es musste jemand anders sein.
»Irgendjemand hat mir eine Falle gestellt«, äffte
Imelda Philip nach. »Erwartest du, dass ich dir das glaube?« Nun,
da klar war, dass Marcos und Elijah nicht ihr die Schuld gaben,
fand Imelda Spaß daran, wie Philip sich wand. Er liebte es, über
andere Menschen zu herrschen. Es gefiel ihm, wenn sie ihn anflehten
und alles taten, um ihm zu gefallen, sogar zu ihm hinkrochen und
ihm die Füße küssten, während er damit drohte, sie zu bestrafen
oder zu töten. Sie hatte es so oft mit angesehen.
Imelda musterte Philip mit einem kalten, amüsierten
Lächeln. Sie würde der Welt zeigen, was mit Menschen geschah, die
sie verrieten. Ihrem ehemaligen Freund brach der Schweiß aus, und
Angstgeruch erfüllte den Raum.
»Vielleicht sollten wir die Tür schließen«, schlug
Imelda ihrem einsamen Bodyguard vor.
»Töte sie«, schrie Philip seinem Leibwächter zu.
»Töte sie alle.« Dann warf er sich hinter seinen Stuhl.
Ängstlich, aber entschlossen hob Philips
Leibwächter sein Gewehr. Conner riss ihm mit einem Hieb die
Halsschlagader auf und entwaffnete ihn, während Rio und Leonardo
sich schützend über Marcos und Elijah warfen. Beide hatten ihre
Waffen gezückt und zielten auf Philip und Imeldas Bodyguard.
Imelda erhob sich graziös, stieg über den Toten
hinweg und schloss die Tür. »Sehr beeindruckend. Wie haben Sie das
bloß gemacht?«, fragte sie mit einem Blick auf den zerfetzten
Hals.
Conner gab keine Antwort, sondern deckte Rio und
Leonardo, während sie Marcos und Elijah wieder aufhalfen.
Dann riss Rio Philip hoch und warf ihn beinahe in
seinen Stuhl. Der Hausherr landete unsanft und presste schlotternd
vor Angst eine Hand auf den Mund.
»Danke«, sagte Imelda mit einem koketten Lächeln zu
Conner. »Sie haben mir gerade das Leben gerettet.«
Er unterließ die Bemerkung, dass er nur sein
eigenes und das seiner Teamkollegen geschützt hatte, neigte nur
leicht den Kopf und ließ seinen Blick zum ersten Mal träge und ein
wenig unverschämt über Imeldas Körper gleiten. Sie atmete schwer
und ließ die rot lackierten Nägel vom Hals zum Brustansatz wandern.
Dann setzte sie sich so hin, dass ihr Kleid am Bein hochrutschte.
Sie schien keine Unterwäsche zu tragen. Lasziv lächelnd leckte sie
sich über die Unterlippe.
»Wir sollten sofort gehen«, sagte Rio.
»Warum denn?«, fragte Imelda, ohne Conner aus den
Augen zu lassen.
»Wir haben hier eine Leiche, Imelda«, bemerkte
Marcos. »Ich möchte nicht, dass meine Leute von der Polizei verhört
werden, mit dieser Sache will ich nichts zu tun haben. Wir können
uns ein anderes Mal treffen – vielleicht in einer passenderen
Umgebung.« Er machte Anstalten aufzustehen.
»Nein, nein«, sagte Imelda mit gerunzelter Stirn.
»Der Tote ist leicht zu entsorgen. Das ist kein Problem, nicht
wahr, Philip?« Sie betrachtete ihren ehemaligen Freund mit einem
bösartigen Lächeln. »Philip ist ein Meister darin, Leichen
verschwinden zu lassen, stimmt’s, Süßer?«
Der Hausherr war so bleich, dass er wie ein
Gespenst wirkte. »Imelda …«
»Ruhe«, zischte sie, plötzlich wieder todernst. »Du
hast mich verraten.«
»Hab ich nicht.«
Mit einer wegwerfenden Handbewegung wandte sich
Imelda von Philip ab und warf ihrem Bodyguard einen gebieterischen
Blick zu. Sofort ging der Mann zu Philip und zog ihm den Kolben
seines Gewehrs über den Schädel.
Wieder setzte Imelda ein Lächeln auf. »Ich denke,
jetzt können wir in Ruhe reden, Marcos. Ich kümmere mich schon um
den toten Leibwächter; niemand wird erfahren, dass wir ein Problem
mit ihm hatten. Sie werden Philip tot auffinden, woraufhin die
Polizei seinen Privatfriedhof entdecken wird. All die Frauen, die
über die Jahre vermisst worden sind, könnten dort gefunden werden.«
Imelda legte ein Bein über das andere und wippte mit dem Fuß, fast
hätte sie den toten Leibwächter getreten, der direkt vor ihr
lag.
Conner hatte keine Ahnung, von welchem Friedhof
Imelda sprach, aber der Gedanke, dass sie von der Ermordung dieser
Frauen gewusst und nichts dagegen unternommen hatte, machte ihn
krank. Er musste bald an die frische Luft oder er würde die Sache
vermasseln und dieses Weib auf der Stelle umbringen. Noch bevor sie
die Chance hatten, in ihre Festung zu gelangen und die Kinder zu
retten. Er verfolgte den Gedanken weiter. Was würden Imeldas Leute
wohl tun, wenn sie tot war, die Kinder freilassen oder sie
umbringen? Es war zu riskant.
»Nein, nein.« Abwehrend hob Marcos eine Hand. »Wir
müssen jetzt gehen, Imelda. In so etwas wollen wir nicht mit
hineingezogen werden.« Er drückte sich aus dem Stuhl hoch und
verabschiedete sich mit einem lässigen Winken. »Elijah, wir müssen
los.«
Rio war schon unterwegs und machte Imeldas
Bodyguard ein Zeichen, aus dem Weg zu gehen.
»Besuchen Sie mich doch zu Hause, Marcos«, schlug
Imelda hastig vor. Sie wollte sich diese Gelegenheit auf gar keinen
Fall entgehen lassen. Vielleicht konnte sie mit beiden Männern ins
Geschäft kommen. Außerdem wollte sie Conner wiedersehen und ihn
eventuell abwerben. Nach Philips Tod brauchte sie einen neuen
Partner. Conner wirkte skrupellos und gefährlich genug, um dafür
infrage zu kommen.
Marcos zögerte.
»Sie beide. Und bringen Sie Ihre kleine Cousine
mit. Sie scheint sich gut mit meinem Großvater zu verstehen. Er
kann sich um sie kümmern, während wir miteinander reden.«
Sie streichelte sich am Hals, und ihre Augen
richteten sich verheißungsvoll glänzend auf Conner. Er zeigte keine
Reaktion, außer dass er den Blick über sie gleiten und einen
Augenblick wie abschätzend auf ihren Brüsten ruhen ließ. Imelda
wurde heiß, lief rot an und wurde feucht zwischen den Beinen, nur
weil dieser Mann sie flüchtig, beinahe verächtlich gemustert hatte.
So ganz nebenbei, als ob sie es nicht wert wäre. Aber er war
interessiert, da war sie sich sicher.
Imelda zwang sich, wieder zu Marcos
hinüberzuschauen, und flötete: »Überlegen Sie es sich. Bei mir wird
es Ihnen bestimmt gefallen.«
»Das ist eine ziemlich weite Reise«, gab Marcos zu
bedenken, um Imelda aus der Reserve zu locken.
»Ich habe genug Platz für alle. Die Schlafzimmer
stehen leer, Sie können gern einige Tage bleiben.« So hatte sie
mehr Zeit für den Leibwächter. »Betrachten Sie den Ausflug nicht
als Geschäftstrip, sondern als Vergnügungsreise. Wir können Ihnen
alles bieten, was das Herz begehrt.«
Marcos wandte sich an seinen Freund.
»Elijah?«
Der zuckte die Achseln. »Gib ihr ein paar Tage, um
diese Geschichte zu bereinigen«, sagte er mit Blick auf die Leiche
und Philip. »Ich erkundige mich, was Isabeau vorhat, dann können
wir eventuell auf ihr Angebot zurückkommen.« Seine kühlen schwarzen
Augen bohrten sich in ihre. »Sie können meinen Männern ja schon
einmal den Weg erklären.«
Aufgeregt hielt Imelda den Atem an. Das Treffen,
das beinahe zur Katastrophe geworden wäre, hatte eine großartige
Wende genommen.
Elijah schaute auf seine Uhr. »Wo zum Teufel bleibt
Isabeau?«
Bislang hatte der Mann keinerlei Gefühl gezeigt.
Nichts brachte ihn offenbar aus der Ruhe, doch dieser eine kleine
Satz verriet seine Schwäche. Isabeau. Die nichtssagende Cousine.
Imelda wünschte sich, sie hätte besser aufgepasst und ihren
Großvater angewiesen, gut auf die Kleine zu achten. Übersah man
solche Details, waren schnell alle Pläne ruiniert. Isabeau konnte
zum Haar in der Suppe werden.
»Shane, finde bitte heraus, warum Martin und Ottila
nicht geantwortet haben. Ich möchte sichergehen, dass mit meinem
Großvater und Elijahs lieber kleiner Cousine alles in Ordnung ist.«
Imelda erhob sich graziös. »Bleib hier und verschließ die Tür, lass
niemanden herein.« Dann lächelte sie Marcos und Elijah an. »Folgen
Sie mir in den Garten, ich bringe Sie selbst hinaus. Keine Sorge
wegen dieses Durcheinanders.«
»Es gab da eine junge Dame, eine Kellnerin …«,
Marcos brach ab.
»Teresa«, half sie ihm auf die Sprünge, und verriet
damit erneut, dass sie zuvor die Videos gesehen hatte.
»Es wäre sehr schön, wenn sie uns begleiten
könnte.«
Imeldas lächelte selbstzufrieden. »Das kann
selbstverständlich arrangiert werden, Marcos.« Sie wollte auf den
Flur hinausgehen, doch Conner legte ihr eine Hand auf die Schulter,
um sie davon abzuhalten. Mit hochgezogener Augenbraue sah sie sich
affektiert nach ihm um und blickte dann kühl auf die Hand hinunter,
die auf ihrer Schulter ruhte.
»Ich gehe zuerst.« Conners Stimme war fest und
entschlossen und ließ keinen Zweifel daran, dass er keinen
Widerspruch duldete. Seine Hand blieb auf Imeldas Schulter liegen,
bis sie seine Hitze spürte. »Um dafür zu sorgen, dass es sicher ist
für Sie.« Den letzten beiden Worten gab Conner absichtlich eine
besondere Betonung. Imelda würde sich den Satz immer wieder
vorsagen und sich einreden, dass er ihr eine geheime Botschaft
gesandt hatte und ihr die Chance gab, ihn von seinem Arbeitgeber
wegzulocken. Und was war verlockender als die Aussicht auf
Sex?
Errötend neigte Imelda den Kopf, wie eine
Prinzessin vor einem Untertan, und Conner nahm seine Hand wieder
fort, aber so langsam, dass sie sanft über ihren Nacken glitt und
sie zum Erschauern brachte. Sein Leopard brüllte vor Wut und kam so
dicht unter die Oberfläche, dass seine Muskeln und Kiefer
schmerzten.
Imelda bemerkte das katzenhafte Aufleuchten in
seinen Augen und wurde nervös unter dem glühenden Blick. Conner
zwang seinen Leoparden nieder. Bald,
versprach er ihm, während er an Imelda vorbei auf den Flur
hinaustrat und sie dabei hauchzart streifte, Haut an Haut. Sie
schnappte nach Luft und bekam einen hungrigen Blick; sie hatte ihn
verstanden. Er fing den Geruch ihrer wachsenden Erregung auf, und
ihm wurde schlecht. Er fühlte sich schmutzig. Wie
konnte er zu Isabeau gehen, nachdem er Imelda berührt und so getan
hatte, als würde er mit ihr ins Bett gehen?
Leise vor sich hinfluchend überprüfte er den Flur
und gab sein Okay. Dann ging er voran in den Garten, ohne Imelda
noch eines Blickes zu würdigen. Er konnte sie riechen. Und sie
atmen hören. Das war schlimm genug.
JEREMIAH fluchte leise und wechselte zum dritten
Mal die Stellung, um in eine bessere Schussposition zu kommen. Er
hatte einen der gedungenen Leoparden gesehen, Ottila, den Stillen.
Suma war derjenige, der alle Anweisungen gab und sich aufführte wie
der große Boss. Früher war Jeremiah von ihm beeindruckt gewesen,
insbesondere als Suma ihm das viele Geld gezeigt hatte. Doch
nachdem er bei Conner und den anderen in die Lehre gegangen war,
war er nicht mehr so sicher, dass Suma derjenige war, den man im
Auge behalten musste.
»Mach schon, Isabeau. Komm ins Freie«, flüsterte
Jeremiah. »Du weißt doch, dass ich hier bin, oder? Los, Süße, komm
aus dieser Ecke.«
Jeremiah hatte freie Schussbahn auf beinahe jeden
Punkt an der Südseite, ausgenommen das Gebiet, das Isabeau sich
ausgesucht hatte. Was war nur in sie gefahren, in einen Bereich zu
gehen, der so dicht zugewachsen war, dass er keine Chance hatte,
ihr zu Hilfe zu eilen? In dem Augenblick, in dem Jeremiah gesehen
hatte, wie Ottila im Garten herumschlich und um den alten Mann und
seinen Leibwächter absichtlich einen Bogen schlug, war ihm
klargeworden, dass der Schurke nichts Gutes im Schilde führte.
Isabeau stand zu dicht vor dem Han Vol Don. Selbst er war davon verleitet worden, obwohl er wusste, was
sich gehörte.
Mit dem Hemdsärmel wischte sich Jeremiah den
Schweiß von der Stirn. »Komm schon, Isabeau, zeig dich. Lock ihn
auf offenes Gelände.«
Die Blätter eines großen Busches schwankten leicht
und wiesen ihm die richtige Richtung, doch sonst sah er nichts. Mit
angehaltenem Atem wartete er, ohne auch nur einmal das Auge vom
Fernrohr zu nehmen. Jeremiah kannte die Entfernung, die
Windgeschwindigkeit und jede nur denkbare Variable, die er für
seine Berechnungen brauchte, doch das Ziel kam einfach nicht ins
Blickfeld. Dabei wusste er, dass der Kerl da war. Er hatte ihn so
deutlich vor Augen, dass er ihn fast riechen konnte. Aber er sah
ihn nicht.
»Verdammt. Verdammt. Verdammt.« Jeremiah wollte
nicht versagen, nicht bei der ersten Gelegenheit, die er bekam, um
sich zu beweisen. Außerdem war es möglich, dass sie Isabeau
verloren, wenn er es vermasselte. Und abgesehen davon, dass Conner
ihn dann umbringen würde, wollte er selbst nicht, dass ihr etwas
zustieß. Er mochte sie – wie eine Schwester natürlich.
Es begann zu nieseln – gleichmäßiger, feiner Regen
ließ die Äste der Bäume glitschig werden. Jeremiah veränderte seine
Lage und versuchte, durch das Laub zu spähen. Sein Herz begann zu
klopfen, als er einen Hauch Blau sah. Isabeau hatte ein blaues
Kleid getragen. Er hielt den Blick unverwandt auf den blauen Punkt
gerichtet. Er bewegte sich langsam weiter, Zentimeter um
Zentimeter.
»Gutes Mädchen«, flüsterte er. »Bring ihn zu Papa.«
Nun konnte er im dichten Laub auch einen vagen dunklen Schatten
ausmachen. Ottila war ganz in Schwarz, doch die meisten
Sicherheitsleute ebenfalls. Die Farbe schien sehr beliebt zu sein.
Selbst Elijah hatte sein weißes Hemd gegen
ein schwarzes eingetauscht. Frustriert bemühte sich Jeremiah tief
Luft zu holen. In seiner Lage musste man sehr geduldig sein. Er
wusste, dass er treffen würde, wenn er nur Sichtkontakt bekam. Er
versuchte, die Angst um Isabeau und die Nervosität wegen des
fehlenden Ziels wegzuatmen. Es würde schon werden. Isabeau
arbeitete daran.
»Ich bin hier, Süße«, murmelte er. »Bring ihn
mir.«
Der blaue Punkt bewegte sich langsam weiter. Sie
lief also nicht vor irgendetwas weg. Gutes Mädchen. Sie hatte Mut.
Isabeau machte noch einen Schritt, und diesmal bekam Jeremiah ihr
Profil zu sehen. Sie hatte die Spange nicht aus dem Haar genommen,
obwohl es zerzaust war und ihr einige Strähnen ins Gesicht hingen.
Sie schaute auch nicht zu ihm herüber, sondern konzentrierte sich
auf den Mann, der ihr folgte – sicher Ottila.
Jeremiah sah eine Hand, die sich mit gespreizten
Fingern auf Isabeaus Bauch legte. Er wusste, was das bei einer Frau
kurz vor dem Han Vol Don zu bedeuten hatte. Sie schlug die Hand weg
und zog sich noch ein paar Schritte weiter zurück, bis sie auf
offenes Terrain gelangte. Lächelnd legte Jeremiah ein Auge an das
Zielfernrohr.
»Jetzt hab ich dich, du Bastard. Wenn du sie noch
einmal anfasst, bist du tot.«
Plötzlich drehte sich der Wind und trug ihm einen
schwachen Raubtiergeruch zu. Sofort sprang er mitsamt seinem Gewehr
von seinem Hochsitz herunter. Hinter ihm schlug etwas mit solcher
Wucht auf dem Ast auf, auf dem er gerade noch gelegen hatte, dass
der ganze Baum bebte. Jeremiah landete geduckt und lief, das Gewehr
über die Schulter geschlungen, eilig davon. Nachdem er im dichten
Laub ein Versteck gefunden hatte, ließ er sich auf ein Knie nieder
und
legte das Gewehr an. Dann setzte er seine Katzensinne ein, um die
Nacht zu erkunden.
Er wurde gejagt. Von einem Leoparden.
Wahrscheinlich Martin Suma. »Na komm, du Bastard«, stieß Jeremiah
zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Zu hören war nichts,
doch das hatte er auch nicht erwartet. Leoparden waren lautlose
Jäger. Manchmal schlichen sie sich in Häuser und holten sich ihr
Opfer aus dem Bett oder aus dem Wohnzimmer, wo es zusammen mit
anderen fernsah, und zerrten es unbemerkt aus dem Haus. In
Siedlungen am Rande des Dschungels geschah das öfter, als man
dachte. Er würde Suma nicht hören. Und wahrscheinlich auch nicht
riechen.
Jeremiah blieb in Deckung und rührte sich nicht.
Offenbar wusste Suma, dass er es mit einem Leoparden zu tun hatte.
Und vermutlich hatte er ihn bereits gewittert. Von einem
untrainierten Grünschnabel erwartete er sicher keine große
Gegenwehr. Das war der einzige Vorteil, den Jeremiah hatte. Mit
klopfendem Herzen wartete er, Suma konnte sich jeden Moment auf ihn
stürzen. Ununterbrochen spähte Jeremiah in die Bäume über seinem
Kopf.
Als er plötzlich den Geruch von nassem Fell
aufschnappte, drehte er sich blitzschnell zu dem Busch gleich zu
seiner Linken um und schoss auf den Leoparden, der hervorpreschte.
Dann rollte er sich ab, schoss noch einmal aus der Bauchlage und
rollte weiter. Der Leopard ächzte vor Schmerz, brüllte und schlug
wild um sich. Jeremiah sprang auf die Füße und legte ein drittes
Mal an, doch das Tier verkroch sich hastig wieder ins Gebüsch.
Jeremiah wusste, dass er gut daran tat, ihm nicht zu folgen. Eine
verschmierte Blutspur zeigte, dass er getroffen hatte. Aber es war
kein
tödlicher Schuss gewesen, und ein verwundeter Leopard war extrem
gefährlich.
Fluchend schulterte Jeremiah das Gewehr und
kletterte, dankbar für die Stunden, die Rio und Conner ihn zum
Training gezwungen hatten, eilig einen Baum hinauf. Wenn Isabeau
etwas zugestoßen sein sollte, würde er es sich nie verzeihen. Nun
musste er nicht nur hinten Augen im Kopf haben, sondern auch noch
dafür sorgen, dass sie nicht angegriffen oder vielleicht sogar
entführt wurde. Wo zum Teufel blieben eigentlich die anderen?
»ICH habe deinen Namen nicht richtig verstanden«,
sagte Isabeau, um Zeit zu schinden. Sie hatte Ottila ins Freie
gelockt und fühlte sich nun sicherer. Wenn sie ihn lang genug
hinhalten konnte, würden Alberto oder Harry sie vielleicht suchen
kommen. Sie konnte es auch mit Schreien versuchen, aber sie
fürchtete, ihren Angreifer damit zu provozieren.
»Ich bin Ottila Zorba.« Die Augen des Mannes hatten
ein gespenstisches Gelbgrün angenommen, das im Dunkel der Nacht
katzenhaft aufleuchtete. Er trat näher an Isabeau heran. »Komm mit
und wehr dich nicht. Sonst muss ich den alten Mann
umbringen.«
Sie schluckte schwer. »Ich bin noch nicht so weit.
Ich würde bis zum letzten Atemzug kämpfen, das weißt du genau.
Wieso glaubst du, dass dein Leopard da mitmachen würde?«
Ottila lächelte. »Weil deine Katze bald
hervorkommt, und dann braucht sie einen Mann.«
Aber nicht dich. Niemals.
Das würde sie nicht zulassen. Isabeau bekam ihre Katze immer besser
in den Griff. Das
kleine Flittchen war definitiv rollig, gehorchte aber mittlerweile
besser.
»Und danach, Mr. Zorba? Leben wir dann vergnügt bis
an unser seliges Ende?«
Ottila lächelte, aber es war kein freundliches
Lächeln. »Ich schon. Ob du auch so glücklich sein wirst, hängt ganz
davon ab, wie gut du mitmachst.«
Mit eisernem Griff packte er sie bei den Oberarmen.
Anstatt sich zu wehren, fasste Isabeau sich ins Haar und versuchte,
die Spange herauszuziehen. Ottila lachte nur und beugte sich zu
ihr. »Glaubst du, dein Freund erschießt mich? Kaum hatten wir
bemerkt, dass wir es mit Leoparden zu tun hatten, haben wir gleich
die Bäume abgesucht. Uns war klar, dass ihr jemanden in den
Baumkronen postiert habt. Wahrscheinlich ist er schon tot. Martin
ist sehr zuverlässig.«
Isabeau kniff die Augen zu, und ihr Herz zog sich
ängstlich zusammen. »Er macht also die Drecksarbeit.« Sie
versuchte, sich loszureißen, doch das ließ Ottila nur fester
zupacken.
Dann sah er sie anzüglich an. »Oh nein, wir sind
gleichberechtigt. Wir teilen uns alles.«
Isabeau schauderte. »Habt ihr mit Imelda nicht
genug zu tun? Sie ist doch genauso pervers wie ihr.«
Ottila lachte. »Ihr hat’s schon gefallen, aber sie
ist widerlich. Und sie ist keine Leopardin. Nach den ersten paarmal
hat sie uns angeekelt.«
Isabeau hörte auf, sich zu wehren und ließ sich ein
paar Schritte von Ottila führen. Dabei atmete sie tief ein und aus
und rief ihre Katze herbei. Zu ihrem Entsetzen meldete die
Leopardin sich mit einem wütenden Brüllen, das durch den
ganzen Garten hallte, und fuhr sofort die Krallen aus. Animalische
Kraft durchströmte sie und erlaubte ihr, sich freizukämpfen. Sie
bäumte sich auf, schlug und kratzte und entwand sich katzenhaft
biegsam dem eisernen Griff. Warmes Blut bespritzte die Stämme der
Bäume, tropfte auf Lianen und Blätter und beschmutzte ihr
Kleid.
»Verdammte Wildkatze«, fauchte Ottila, »dafür wirst
du bezahlen.«
Isabeau reckte das Kinn. »Nur zu, töte mich. Du
wirst schon sehen, was dein Freund dazu sagt.«
»Oh, ich denke nicht daran, dich umzubringen, aber
ich kenne vielerlei Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass dir dein
Benehmen leidtut. Ich habe das ein oder andere von Imelda
gelernt.«
Isabeau wurde flau im Magen. Sie versuchte, sich an
das zu erinnern, was Conner ihr beigebracht hatte. Gerade war sie
vor Ottila zurückgewichen, um ihn auf offenes Terrain zu locken.
Doch damit machte man sich zum Opfer und brachte sich um die
Balance. Sie musste sich breitbeinig hinstellen, die Füße so weit
auseinander wie die Schultern, und auf alles vorbereitet sein.
Ottila würde sich nicht noch einmal von ihrer Katze erwischen
lassen.
Als er sie wieder packen wollte, wurde er vom
deutlich hörbaren Knacken eines Gewehrhahns unterbrochen. Mit
ausdruckslosem Gesicht drehte Ottila sich in die Richtung, aus der
das Geräusch gekommen war. Er machte sich nicht die Mühe, das Blut
abzuwischen, das ihm über Gesicht und Brust rann. Auch aus den
Kratzspuren auf seinem Arm tropfte es. Lächelnd richtete er den
Blick auf Harry. »Bist du sicher, dass du dich hier einmischen
willst, Harry? Hau einfach ab, dann lass ich dich am Leben.
Ansonsten bringe
ich nicht nur dich um, sondern auch deinen Boss. Das hier geht
dich nichts an.«
»Diese Dame steht unter meinem Schutz«, erwiderte
Harry. »Isabeau, kommen Sie zu mir rüber.«
»Wehe, du rührst dich, Isabeau«, zischte Ottila.
»Er ist tot, ehe er einen Schuss abfeuern kann, und dann muss ich
den Alten auch abservieren.«
»Wenn du Alberto umbringst, bekommst du es mit
Imelda zu tun. Sie wird dich zur Strecke bringen, egal, wo du dich
versteckst, und jeden einzelnen Menschen töten, der dir nahesteht,
egal, ob Frau oder Kind«, versprach Harry.
Isabeau hob eine Hand. »Harry, ich möchte nicht,
dass Sie und Alberto in diese Sache hineingezogen werden. Elijah
wird mich suchen kommen. Seine Leute sind unbesiegbar. Ich gehe mit
Ottila.«
»Das tust du nicht, Isabeau.«
Die neue Stimme kam aus Ottilas Rücken und klang
sehr selbstsicher. Außerdem hatte sie einen vertrauten Akzent. Als
Isabeau über Ottilas Schulter spähte und Felipe sah, fühlte sie
sich unwillkürlich erleichtert. Sie hatte Felipe beim Training
gesehen, und er war schnell. Sehr schnell.
»Danke, Harry. Ab hier übernehme ich. Lassen Sie
den alten Herrn nicht allein«, sagte Felipe.
Ottila drehte sich hastig um, doch diesmal hob er
geschlagen die Hände. Er wartete, bis Harry nickte und
wegschlenderte, ehe er Felipe ansprach. »Offenbar muss ich mich
etwas mehr anstrengen, um mein Weibchen zu bekommen.«
»Such dir doch ein anderes.«
»Sie hat viele verschiedene Gerüche an sich, nicht
nur einen bestimmten. Das sagt mir, dass sie keinen Gefährten
hat, und daher habe ich genau wie alle anderen das Recht, um sie
zu werben.«
»Wir sind ihre Familie und wir sagen, lass sie in
Ruhe, verdammt nochmal.«
Ottila zog sich in das Gebüsch schräg neben Isabeau
zurück. »Sie ist eine kleine Wildkatze.«
»Anscheinend war deine Werbung nicht sehr
erfolgreich.«
»Wildkatzen sind die besten«, erwiderte Ottila.
»Sie halten mehr aus und haben kräftigere Welpen.« Er schaute
Isabeau in die Augen. »Wir sehen uns noch.«
Isabeau ließ ihre Katze den Blick erwidern. »Das
solltest du dir gut überlegen.«
Grüßend ging Ottila davon, drehte sich aber im
letzten Moment noch einmal um, um Felipe ein hämisches Grinsen
zuzuwerfen. »Du solltest mal nach dem Jungen in den Bäumen sehen«,
bemerkte er noch süffisant. »Diese kleine Wildkatze hat ihm das
Zeichen zum Schießen gegeben, aber er hat nicht reagiert. Was kann
das zu bedeuten haben?«
Isabeau blinzelte mit den Augen, um die Tränen
zurückzuhalten. Der Gedanke, dass Jeremiah Martin Suma in die Hände
gefallen sein könnte, machte sie ganz krank. Der Schurke kannte
keine Gnade.
Felipe lächelte nur. »Besser wär’s, du würdest nach
deinem Partner suchen. Ich habe Schüsse gehört, und der Junge
trifft immer.«
Felipe musterte sie besorgt. »Alles in Ordnung?«
Isabeau nickte. »Ich bin nur etwas durcheinander, das ist alles. Er
hat mir nichts getan.«
»Du hast blaue Flecken am Arm. Und dein Kleid ist
voll Blut.« Felipe machte einen Schritt in die Richtung, in der
Ottila verschwunden war, so als wollte er ihn doch noch zum Kampf
auffordern.
»Das ist sein Blut.« Sie hielt Felipe am Arm fest.
»Tu’s nicht. Lass uns schnell gehen. Ich möchte mich nur noch
vergewissern, dass es Alberto Cortez gutgeht, dann erzähle ich dir,
was ich entdeckt habe. Hier ist ein Friedhof. Im Ernst!«
»Das überrascht mich nicht. Nichts an diesem Haus
und seinen Bewohnern überrascht mich.«
»Glaubst du wirklich, dass Jeremiah nichts passiert
ist?«
»Er ist ein verdammt guter Schütze, Isabeau. Mit
etwas mehr Erfahrung wird er eine große Bereicherung sein.«
Sie merkte, dass Felipe einer genauen Antwort
auswich. Eilig gingen sie über den Pfad, der sie zu Alberto
zurückführte. Während sie dem Bachlauf folgten, kam er ihnen in
einer großen Kurve mit Harry entgegen. Der alte Mann hatte das
Gewehr auf dem Schoß liegen und sah aus, als würde er es auch
benutzen.
»Wo ist dieser Bodyguard?«, wollte er wissen. »Geht
es Ihnen gut, Isabeau?«
Sie nickte. »Aber ja. Danke, Harry. Ich fürchte,
dieses Haus hat einen schlechten Einfluss auf die Menschen. Alle
spielen verrückt. Bitte schießen Sie meinetwegen niemanden
tot.«
»Jetzt, wo ich weiß, dass Sie in Sicherheit sind,
möchte ich nach Hause«, erklärte Alberto. »Und Sie sollten auch
gehen. Harry, ruf meinen Fahrer. Ich hoffe, wir sehen uns bald
wieder, Isabeau.«
»Ihr Garten ist wirklich wunderschön«, sagte
Isabeau zum Abschied.
Felipe legte eine Hand ans Ohr und lauschte der
Stimme,
die über Funk kam. »Wir ziehen ab, Isabeau. Elijah sagt, ich soll
dich direkt zum Wagen bringen.« Damit fasste er sie beim Ellbogen
und führte sie.
Zu ihrer Bestürzung saß die Kellnerin Teresa
bereits im Auto; die junge Frau sah aus, als würde sie jeden Moment
anfangen zu weinen. Wortlos setzte Isabeau sich neben sie. Nun kam
zu ihren Sorgen um Jeremiah auch noch die Angst um Teresa. Sie
fragte sich, was eigentlich los war.