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Es entstand eine lange Pause. Die Männer wechselten vielsagende Blicke, und die Spannung im Raum stieg unaufhaltsam. Schließlich brach Conner das Schweigen. »Du weißt gar nicht, wer uns angeheuert hat? Du hast über die nichts herausgefunden, ehe du uns alle auf fremdem Territorium zusammengetrommelt hast? Zumindest fremd für euch.«
Rio seufzte. »Adan Carpio hat mir sein Wort gegeben, dass er hinter dem Klienten steht, Conner. Und du hast selbst gesagt, dass sein Wort Gold wert ist.«
»Moment mal, Rio«, unterbrach Elijah. »Soll das heißen, du hast keinerlei Nachforschungen über unseren Auftraggeber angestellt und diese Mission einfach in gutem Glauben angenommen?«
Rio zuckte die Schultern und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. »Carpio hat mich kontaktiert, und er gab mir zusammen mit den Sachen von Conners Vater und der Hälfte der Bezahlung für die Rettungsaktion noch einige spezielle Hinweise. Ich habe dann jedes Detail nachgeprüft und festgestellt, dass alles stimmte, also habe ich das Team zusammengerufen.«
»Sag mir, dass man nicht ausdrücklich nach uns verlangt hat«, forderte Conner.
»Nur nach uns beiden, Conner. Das Codewort, das sie benutzt haben, um uns zu finden, war zwar alt, aber immerhin haben sie es gekannt.« Rio drehte sich um, lehnte sich mit der Hüfte an die provisorische Küchentheke und betrachtete Conner über den Rand seiner dampfenden Tasse hinweg. »Carpio hat gesagt, der Klient kennt dich und weiß, dass du diese Art von Arbeit machst.«
Die Männer sahen sich an, und Conner schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Niemand weiß, wer wir sind. Hat er etwa meinen Namen gekannt?«
»Das nicht, aber der Auftraggeber hat dich ziemlich genau beschrieben und sogar eine Zeichnung von deinem Gesicht angefertigt, wonach Carpio dich natürlich erkannt hat. Dann hat er versucht, über deinen Vater den Kontakt zu dir herzustellen, und da du deinem Vater für den Notfall meine Adresse gegeben hattest, hat er sie an Carpio weitergereicht.«
»Aber du weißt nicht, wer der wahre Auftraggeber ist?«, fragte Conner beharrlich.
Rio schüttelte den Kopf. »Carpio wollte es nicht verraten.«
»Das gefällt mir nicht«, mischte Felipe sich sichtlich beunruhigt ein. »Wir sollten abhauen.«
»Am Anfang habe ich auch so gedacht«, sagte Rio, »aber Carpio schien mir ein Mann von Ehre zu sein, und er hat sich für den Klienten verbürgt. Und schließlich stimmen die Informationen. Imelda Cortez’ Männer haben tatsächlich sieben Kinder entführt. Und den Pelz deiner Mutter haben wir alle gesehen. Ich gebe ja zu, dass wir vorsichtig sein müssen. Aber Carpio bringt seinen Klienten zu uns. Die beiden müssten gleich da sein. Felipe und Leonardo, ihr haltet vorn Wache, Elijah hinten. Lasst sie durch und überprüft anschließend die Umgebung, um zu sehen, ob ihnen jemand gefolgt ist oder einen Hinterhalt legt.«
Conner schüttelte den Kopf. »Wir haben uns doch darauf geeinigt, dass wir stets wissen wollen, mit wem wir es zu tun haben. Ohne Ausnahme. Warum diese Geheimniskrämerei?«
»Adan hat gesagt, der Klient möchte persönlich mit uns reden. Wenn wir nach diesem Gespräch nicht zufrieden sind, können wir den Vorschuss abzüglich der entstandenen Unkosten zurückgeben und verschwinden.«
»Und das hast du ihm geglaubt?«, fragte Felipe. »Das ist doch eine Falle. Sie haben eine Beschreibung von Conner, aber keinen Namen? Mensch, Rio, irgendjemand hat es auf ihn abgesehen. Man hat ihn hergelockt, und du präsentierst ihn wie auf einem Silbertablett.«
»Das sehe ich anders«, widersprach Rio. »Adan Carpio hat mich nicht angelogen. Das hätte ich gewittert.«
»Dann wird er benutzt. Wer auch dahintersteckt, er hat die Verbindung zwischen Carpio und Conner entdeckt und sie dazu benutzt, Conner ins Land zu locken.« In Felipes Stimme lag Verachtung. »Wir müssen ihn in Sicherheit bringen. Auf der Stelle.«
Rio schaute auf seine Uhr. »Sie werden bald da sein, Conner. Ihr könnt alle außer Sichtweite bleiben, ich rede mit ihnen.«
Conner schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei dir. Wenn sie nur zu zweit sind, werden wir im Notfall mit ihnen fertig. Falls ihnen jemand durch den Wald gefolgt sein sollte, können die anderen sich darum kümmern. Ich lasse dich nicht ohne Rückendeckung zurück. Wenn einer etwas von mir will, soll er ruhig kommen.«
Felipe schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei Rio, Conner.«
Conners stechender Blick ließ ihn verstummen. »Mein Leopard ist dicht unter der Oberfläche, Felipe. Ich bin sowieso schon gereizt, deshalb kann ich schnell und instinktiv reagieren. Ich weiß es zu schätzen, dass du das Risiko auf dich nehmen willst, aber das hier ist meine Sache und das Tier in mir ist kampfbereit.«
Felipe zuckte die Achseln. »Wir geben Bescheid, wenn sich ungebetener Besuch ankündigt.«
Conner wartete, bis seine drei Kollegen gegangen waren, dann drehte er sich zu Rio um. »Was geht hier vor?«
Rio schob eine Tasse Kaffee über den Tisch. »Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht so genau. Ich weiß nur, dass Carpio mir die Wahrheit gesagt hat, aber einiges von dem, was er erzählt hat …« Mit dem Fuß zog Rio einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen. »Die Beschreibung deiner Person war alles andere als schmeichelhaft, und deine Narben wurden nirgends erwähnt. Carpio hat von ihnen auch nichts gesagt.«
»Er hat mich ein paar Jahre nicht gesehen. Was für eine Beschreibung?« Ein schwaches Grinsen kräuselte Conners Lippen, erstarb aber wieder. »Ich dachte, ich gelte als attraktiv.«
Rio schnaubte. »Da war von ›abscheulich‹ die Rede. Ehrlich. Du wärst ein skrupelloser Bastard, der sich für den Job bestens eigne. Die Zeichnung mit deinem Gesicht hat mir zu denken gegeben. Sie war immerhin so gut, dass Carpio dich erkennen konnte, also hat unser Klient, wer immer es ist, dich schon einmal gesehen und kann dich identifizieren.«
»Zumindest weiß er, dass ich ein skrupelloser Bastard bin und ihn bei der ersten falschen Bewegung umbringe«, erwiderte Conner, der immer noch am offenen Fenster stand und sehnsüchtig in den Wald schaute.
Der Wind drehte sich ein wenig, konnte die Stille am Waldboden aber kaum beleben. Einige Blätter zitterten leicht. Irgendwo sangen Vögel. Affen kreischten. Sie waren nicht mehr allein in diesem Teil des Waldes. In Conners Kehle begann es leise zu grummeln, daher griff er nach seiner Tasse und nahm einen kleinen Schluck. Der Kaffee war heiß und brachte ihm den ersehnten Kick. Sein Leopard erwachte wieder zum Leben; ohne seine Gefährtin war er reizbar und launisch, und die Rückkehr in die Wildnis hatte sein primitives Verlangen noch gesteigert. Er wollte es rau und hart. Spitze Krallen, die ihn dabei zeichneten. Conner fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, um sich den Schweiß abzuwischen.
»Geht’s dir gut?«
Was zum Teufel sollte er darauf antworten? Sein Leopard verlangte aufgebracht nach Freiheit, während er voll konzentriert sein musste. »Gut genug, um dir den Rücken freihalten zu können, Rio.«
Conner starrte weiter aus dem Fenster und behielt den Wald im Auge. Ein Leopard hustete leise, und ein anderer antwortete. Felipe und Leonardo teilten ihnen mit, dass sie sich auf zwei Gäste gefasst machen mussten. Rio ging neben der Tür in Stellung. Conner blieb, wo er war, mit dem Rücken zum Eingang, und vertraute auf Rio, während er die Umgebung des Hauses nach Bewegungen absuchte, die ihm verrieten, dass sich jemand heimlich anschlich, während der andere die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Die Tür öffnete sich, das merkte er an dem plötzlichen Luftzug, und ein köstlicher, unverkennbarer Duft füllte seine Lungen. Ihr Geruch. Instinktiv sog Conner ihn ein. Sein Leopard war kaum noch zu bändigen. Seine Gefährtin war gekommen, seine Frau. Diesen Geruch hätte er überall erkannt. Sein Körper reagierte unwillkürlich; das Blut strömte heiß erregt durch seine Adern, ließ sein Glied anschwellen und jagte seinen Puls so hoch, dass es ihm in den Ohren dröhnte.
Mit der Stiefelspitze stieß Rio die Tür wieder zu und drückte Adan Carpio den Lauf seiner Pistole an die Schläfe. Er würde sich hüten, die Gefährtin eines Leoparden zu bedrohen. »Eine falsche Bewegung von ihr und du bist tot.«
Conner drehte sich nur halb um. Er konnte sich kaum bewegen, so tief getroffen war er vom Schock und der spürbaren abgrundtiefen Verachtung.
Lügner. Das Wort stand im Raum wie ein unüberwindliches Hindernis.
Conner atmete tief ein und sog ihre Verachtung in seine Lungen. Sie sah ihm unverwandt ins Gesicht, und als ihr vor Zorn glühender Blick über die vier Narben auf seiner Wange glitt, brandmarkte sie ihn aufs Neue.
Verräter.
Die Zeit verlangsamte sich, und er bekam einen Tunnelblick, der ihn jedes Detail an ihr überdeutlich wahrnehmen ließ. Ihr Gesicht. Dieses wunderschöne, ovale Gesicht mit der strahlenden Haut, die so weich war, dass jeder Mann, der sie sah, sie sofort berühren wollte. Ihre großen Augen, die manchmal golden schimmerten, aber eigentlich bernsteinfarben waren, oder auch grün, smaragdgrün. Je nachdem, wie nah ihre Katze unter der Oberfläche war. Und dann dieser lange, gebogene Wimpernkranz, der ihre katzenhaften Augen betonte.
Isabeau Chandler.
Sie hatte ihn verfolgt in den Nächten, in denen es ihm gelungen war, ein paar Stunden zu schlafen. Mit diesem langen, glänzenden Haar, fast spürte er die rotbraune Fülle noch zwischen den Fingern. Diesem Mund mit den vollen Lippen, die weicher waren als alles, was er kannte – diesem äußerst talentierten, traumhaften Mund. Er erinnerte sich noch, wie es sich anfühlte, wenn ihre Lippen über seinen Körper glitten und ihm das Paradies bescherten. Ihm Erfüllung und Frieden brachten. Und schließlich ihr Körper. All diese weiblichen Rundungen, genauso verlockend wie ihr Gesicht. Seine Frau.
Verflucht sollte sie sein. Sie gehörte ihm, nicht diesem Hurensohn, der so dreist und arrogant neben ihr stand. Ihr Körper und ihr Lächeln, alles, jeder verdammte Quadratzentimeter gehörte ihm allein. Ihr Begleiter hatte noch nicht einen Muskel gerührt. Conner sah ihn gar nicht richtig an; wer der Mann war, interessierte ihn nicht. Schließlich war er schon so gut wie tot. Sie hätte es wissen müssen, denn so verlangte es das Gesetz des Dschungels, das über allen anderen stand. Ihr Gesetz.
Conner spürte, wie sich jeder einzelne Muskel anspannte. Ganz langsam wandte er den Kopf, Zentimeter um Zentimeter, in der stockenden Art der großen Raubkatzen. Ansonsten verhielt er sich ganz still, denn sein Leopard war kaum noch zu zügeln, nachdem er die starken Finger gesehen hatte, die um Isabeaus geschlungen waren. Dann verlagerte er den Blick, und ein einziger Laut entfuhr ihm – ein Knurren aus dem Rachen seines wütenden Leoparden, das seiner Kehle entschlüpfte. Das furchterregende Geräusch hatte nichts Menschliches mehr an sich. So klang es, wenn ein Tier ein anderes bedrohte, wenn ein Leopard seinen Rivalen herausforderte. Die leise Warnung erfüllte den ganzen Raum.
»Tu’s nicht«, mahnte Rio. »Treten Sie zurück, solange Sie noch können«, riet er Adan.
Conner hörte ihn wie aus weiter Ferne. Seine Welt war zusammengeschrumpft, auf diese eine Frau. Nichts und niemand konnte ihn aufhalten, nicht einmal Rio. Sein Leopard war zu schnell. Er wusste es, und sie wussten es auch. Eine Kehle herauszureißen dauerte nur Sekunden. Das leise vibrierende Geräusch hielt an, wurde aber nie lauter als nötig, damit sich die Nackenhaare sträubten. Conner war bewusst, dass es in der zivilisierten Welt nicht erlaubt war, jemanden zu töten, doch das war nicht wichtig. Wichtig war nur, diesen anderen Mann von der Seite seiner Gefährtin zu entfernen.
Isabeau ließ die Hand ihres Begleiters los, und Rio riss ihn zurück, weg von ihr.
»Entschuldigen Sie, wie war noch der Name?«, sagte sie sanft.
Sie verhöhnte ihn, forderte ihn geradezu heraus, sie abermals anzulügen. Ihre leise, verführerische Stimme erregte ihn und weckte Erinnerungen daran, wie ihr Mund seinen Körper erkundet hatte. Dankbar dafür, dass sie in seiner Gegenwart wenigstens den Körperkontakt mit dem anderen Mann beendet hatte, biss Conner die Zähne zusammen. Sein Leopard kämpfte um die Vorherrschaft.
»Warum hast du mich kommen lassen?«
Isabeaus Augen glitten voller Verachtung und Ekel über ihn hinweg. »Weil du der einzige Mensch in meinem Bekanntenkreis bist, der hinterhältig und falsch genug ist, um diese Kinder befreien zu können. Du kannst das sehr gut. Ich bitte dich nur, mir ein paar Minuten zuzuhören; ich denke, das bist du mir schuldig.«
Conner starrte sie mehrere lange Augenblicke stumm an, ehe er zur Tür deutete. Rio zögerte. Der einzige Mensch, dem es gelingen konnte, Conner Vega zu töten, war Isabeau Chandler, denn gegen sie würde sein Freund sich nicht zur Wehr setzen. Rio wollte ihn auf keinen Fall mit ihr allein lassen, und Conner bemerkte sein Widerstreben.
»Sie hat ihre fünf Minuten verdient«, sagte er.
Daraufhin machte Rio Carpio ein Zeichen, vor ihm aus der Hütte zu gehen. Conner wartete, bis die Tür wieder ins Schloss fiel, dann drehte er sich ganz zu Isabeau herum und erlaubte es sich, wieder zu atmen. Ihr Aroma war so köstlich, durchdringend, überwältigend. Vibrierend wie das Summen der Insekten im Wald strömte die Lebenskraft durch seine Adern. Der Saft, der in den Bäumen kreiste, und das ständig in Bewegung befindliche Laubdach über ihm erfüllten ihn mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Verlangen und Unruhe. Der ständige, gleichmäßige Regen trommelte im Takt mit seinem Herzen. Er war zu Hause – im Dschungel -, und seine Gefährtin war mit ihm im selben Raum.
Isabeau bewegte sich weg von ihm, ein vorsichtiges Zurückweichen vor seiner Raubtiernatur, und Conner folgte ihr mit dem Blick – wie ein wildes Tier seiner Beute. Er wusste, dass seine Reglosigkeit sie nervös machte, blieb aber wie angewurzelt stehen, zwang sich, sich nicht auf sie zu stürzen, obwohl jede Zelle in seinem Körper danach schrie. Er ließ Isabeau nicht aus den Augen, war vollkommen auf sie konzentriert und berechnete jedes Mal, wenn sie ihre Position veränderte, automatisch die Distanz zwischen ihnen.
»Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es ist, hier bei mir zu sein?« Conner bemühte sich, leise zu sprechen, doch die Drohung klang durch.
Isabeau musterte ihn voll Verachtung und Abscheu. »Hast du eine Ahnung, wie schmutzig ich mich fühle, wenn ich nur mit dir im selben Raum bin?«, konterte sie. »Wie soll ich dich diesmal nennen? Sagst du mir deinen richtigen Namen?«
Eigentlich durfte er ihn nicht preisgeben, aber verflucht, welchen Unterschied machte das schon? Isabeau gehörte ihm, und sie befand sich im Dschungel. Sie hatte ihn angefordert – nach ihm geschickt. »Conner Vega«, antwortete er, den Blick auf sie geheftet; wehe, sie wagte es, ihn der Lüge zu bezichtigen. Seine Stimme klang anders als sonst, aber wenigstens hatte er ihren Begleiter nicht getötet. Er hatte sich lange genug beherrscht, und es Rio möglich gemacht, den Mann aus der Gefahrenzone zu bringen. In seinen Augen flackerte schiere Mordlust. In ihren die pure Verachtung.
Isabeau zog eine Augenbraue hoch und schürzte die Lippen. Sie war heiß erregt und wütend. Conners Herz machte einen Satz, sein Glied schwoll dick an, und ein gieriges Verlangen überfiel ihn. Sein Verbrechen war unverzeihlich. Intellektuell konnte er das verstehen, doch das Tier in ihm weigerte sich, es zu akzeptieren. Isabeau gehörte ihm – nur das zählte für den Leoparden. Sie lebte in seiner Welt, und sie war seine Gefährtin. Außerdem sonderte ihr Körper im Augenblick so viele Pheromone ab, dass jedes männliche Wesen im Umkreis von hundert Meilen angelockt wurde. Mit einem leichten Schaudern holte Conner tief Luft, grimmig bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»Stimmt das?«
»Ja. Warum hast du mich kommen lassen, Isabeau?«
Zischend stieß Isabeau den Atem zwischen den kleinen weißen Zähnen hervor. Ihre Leopardin war ein wenig anders – von einer selteneren Art. Wahrscheinlich gehörte sie zu den kleinen Verwandten, den Nebelpardern. Davon gab es nur noch sehr wenige. Sie war kurvenreich, aber stromlinienförmig, die Muskeln unter ihrer Haut arbeiteten geschmeidig, wie bei allen Artgenossen, und ihr dichtes, langes Haar ließ sich kaum bändigen. Allerdings fiel Conner auch auf, dass sie sich ihrer Kraft genauso wenig bewusst war wie der Tatsache, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte. Ihre Angst vor ihm war ärgerlich und hässlich – wie eine Sünde. Eine Frau sollte sich nicht vor ihrem Mann oder seiner Stärke fürchten müssen.
»Ich habe Borneo verlassen, weil ich es nicht riskieren wollte, zufällig wieder mit dir zusammenzutreffen. Die Pflanzen und Arten, die ich für meine Arbeit benötige, kann ich auch in diesem Regenwald finden. Allerdings brauchte ich einen Führer und der Embera-Stamm war so freundlich, mir einen zur Verfügung zu stellen.«
Und dieser Führer war sicherlich ein Mann. Unfähig, den von ihrem Duft erregten Leoparden zu bändigen, begann es in Conners Brust zu rumoren, sobald er sich Isabeau in der Nähe eines anderen Mannes vorstellte, deshalb wandte er sich von ihr ab. Dann schloss er die Augen und bemühte sich, das Bild, wie sich ihr Körper an einen anderen schmiegte, der nicht seiner war, nicht hochkommen zu lassen.
Als er anfing auf und ab zu gehen, um sich von dem zunehmend wilden Verlangen zu befreien, warf Isabeau ihm einen bösen Blick zu. Sein Begehren war derart heftig, dass er kaum noch Luft bekam. So etwas hatte er noch nie erlebt. Ihm brach der Schweiß aus. Diese Begierde war verrückt – sie hämmerte gegen seinen Schädel, dass ihm die Zähne wehtaten. Sein ganzer Körper schmerzte. Ihm war deutlich bewusst, dass sein Leopard direkt unter der Oberfläche nur auf den einen Moment lauerte, in dem er die Kontrolle verlor, damit er sich nehmen konnte, was ihm zustand.
»Tut mir leid, dass ich dich langweile, aber ich habe viel Geld bezahlt, damit du mir deine Zeit opferst.«
Conner begriff, dass Isabeau sein unruhiges Hin- und Herlaufen fälschlicherweise für Desinteresse hielt, doch er zuckte nur die Achseln und machte sich nicht die Mühe, ihr zu erklären, in welcher Gefahr sie schwebte. »Mach einfach weiter.«
»Ich habe mich mit Adan Carpio angefreundet …«
Diesmal schaffte Conner es nicht, die Wut und die schreckliche Eifersucht zu unterdrücken, die seinen Leoparden quälten. Mit flammendem Blick drehte er sich ruckartig zu Isabeau um. Erschrocken hielt sie den Atem an, stolperte rückwärts und griff mit einer Hand nach einer Stuhllehne, um sich daran festzuhalten.
»Und mit seiner Familie. Er hat Frau und Kinder«, fügte sie hastig hinzu. »Hör auf damit, du machst mir Angst. Das kann ich nicht leiden. Falls du es vergessen haben solltest, du bist derjenige, der sich etwas vorzuwerfen hat.«
Conner ließ seinen düsteren Blick über Isabeaus Gesicht gleiten. Verharrte auf ihrem weichen, bebenden Mund und schließlich auf ihrer verletzlichen Kehle. Innerhalb von Sekunden konnte er seine Zähne hineingraben. Sein Blick wanderte weiter nach unten und heftete sich auf ihren Busen. Diese üppigen, prallen Brüste, an deren sanfte Fülle er sich noch so gut erinnerte. Isabeau war ein wenig kleiner als die meisten Frauen ihrer Art, wahrscheinlich weil sie zu den Nebelpardern gehörte, doch ihm gefiel sie so. Ihm gefiel überhaupt alles an ihr, sogar ihr Temperament.
»Ich habe nicht das Geringste vergessen«, knurrte er.
Der unaufhörliche Lärm der Zikaden drang in seine Ohren. Die Wächter des Dschungels spielten unbeeindruckt ihre Musik, seine Leute hielten Wache und dennoch hatte er ein ungutes Gefühl. Conner studierte Isabeaus Gesichtszüge. Sie verbarg etwas. Sie wurde rot und versteckte die Augen hinter ihren langen Wimpern. Anscheinend war ihr nicht klar, dass eher ihre Tugend als ihr Leben in Gefahr war – und seine Ehre. Trotzdem hielt sie eindeutig irgendetwas vor ihm verborgen. Nicht ihre Verachtung und auch nicht ihren ungetrübten Hass, diese Gefühle waren ihr deutlich anzusehen. Nein, da war etwas anderes, etwas, das unter der Oberfläche gärte. Und wenn er nicht herausfand, was es war, konnte es durchaus sein, dass sie alle bei dieser Geschichte umkamen.
»Ich war dabei, als Imeldas Männer das Dorf überfallen haben. Mehrere Männer wurden getötet, auch eine Frau, die bei Adan und seiner Frau Marianna zu Besuch war. Adans Enkel Artureo hat mich versteckt, bevor er losgelaufen ist, um den anderen beizustehen. Er ist erst siebzehn, wirkt aber schon sehr erwachsen. Er rannte zurück, um seinem Großvater zu helfen, da haben sie ihn mit Gewehrkolben niedergeschlagen und weggezerrt. Überall, wo ich hinsah, waren Tote oder Sterbende und Leute, die um den Verlust ihrer Lieben weinten.« Isabeau fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als könne sie so die Erinnerung fortwischen.
Conner schenkte ihr ein Glas Wasser ein und drückte es ihr in die Hand. Als seine Finger ihre streiften, knisterte die Luft buchstäblich vor Spannung. Isabeau riss die Hand fort, als hätte sie sich versengt, und verschüttete Wassertropfen auf dem Boden. Schweißperlen rannen über Conners Brust. Sein Verlangen zerriss ihn schier. Isabeau in der Enge der kleinen Hütte so nah bei sich zu haben, zerrte an seinen stählernen Nerven und ließ seinen Körper vor düsterer Begierde so heftig beben, dass er die Zähne fest zusammenpressen musste und erst wieder Luft holen konnte, wenn er sich von ihr abwandte.
»Als ich hörte, was Imelda fordert, wusste ich, dass ich helfen musste. Nachdem wir die Toten begraben hatten, haben wir überlegt, wie wir die Kinder zurückholen könnten. Niemand ist jemals im Inneren von Imeldas Festung gewesen und lebend wieder herausgekommen, um davon zu berichten – jedenfalls niemand, den wir kennen. Uns wurde klar, dass wir die Kinder nicht selbst befreien können. Da habe ich mich an euch erinnert, und als Adans Bitte um Hilfe von den verschiedenen Spezialeinheiten aus politischen Gründen abgelehnt wurde«, Isabeaus Verachtung klang deutlich durch, »habe ich daran gedacht, wie du dir durch deine Verführungskünste Zutritt ins feindliche Lager verschafft hast.« Sie warf Conner einen angewiderten Blick zu, ehe sie fortfuhr. »Wenn einer auf dieses Grundstück gelangen kann, dann du. Es wird dir sicher nicht schwerfallen, Imelda Cortez einzuwickeln.«
Sein Herz zog sich zusammen, so fest, dass er einen Moment lang glaubte, er wäre einem Infarkt nahe. Der jähe Schmerz brachte ihn beinah ins Straucheln. Er presste den Atem zwischen den Zähnen hervor und versuchte nicht einmal, das wütende Zischen zu unterdrücken. Dann trat er einen Schritt näher an Isabeau heran. »Du willst, dass ich diese Frau verführe? Sie berühre und küsse? Mit ihr schlafe?« Seine Stimme war gefährlich leise.
Isabeau wandte hastig den Blick ab. »Das ist es doch, was du tust, oder? Dein Fachgebiet? Frauen verführen?«
Conner riss Isabeau das Glas aus der Hand und schleuderte es wütend an die Wand. Es zerbrach mit einem Klirren, das laut in der kleinen Hütte widerhallte, sodass die Scherben wie Tränen auf den Boden herabregneten und sich mit dem verschütteten Wasser mischten. »Du willst, dass ich eine andere Frau ficke?«
Mit einem bedrohlichen Grollen in der Stimme sprach er jedes Wort laut und deutlich aus. Er formulierte es absichtlich so vulgär wie möglich.
Und der Pfeil traf sein Ziel. Isabeau zuckte zusammen, reckte aber trotzig das Kinn. »Bei mir hast du jedenfalls großen Erfolg damit gehabt, aber ich war ja auch eine leichte Beute, nicht wahr?« Bitterkeit nährte ihre Wut.
»Ja, zum Teufel, das warst du«, erwiderte Conner. In seinem Innersten verkrampfte sich alles. Seine eigene Gefährtin wollte ihn verkuppeln. Wenn das nicht die beste Rache war, die eine Frau sich für einen Mann ausdenken konnte, dessen Spezies darauf angelegt war, neun Lebenszyklen mit derselben Frau zu verbringen! Am liebsten hätte er sie geschüttelt, bis ihr die Zähne klapperten.
Isabeau schnappte nach Luft, machte einen Schritt auf Conner zu und ballte die Hände zu Fäusten, erlaubte es sich aber nicht, ihn anzugreifen, sondern zügelte ihre Wut und ihren Schmerz, obwohl ihr beides deutlich anzusehen war. »Ich nehme an, ich war nicht die Erste. Stimmt doch, oder?«
Gefährten waren ehrlich zueinander, außerdem hatte er schon viel zu oft gelogen. »Ja, verflucht, du warst nicht die Erste«, blaffte Conner. »Aber du wirst die Letzte sein, verdammt nochmal. Such dir einen anderen Kerl, der diese Drecksarbeit für dich erledigt.«
Erregt drehte Conner sich um; er musste unbedingt Luft schöpfen, die nicht nach Isabeau roch. Sein Leopard war wie rasend, er brüllte vor Zorn und zerkratzte ihm wütend die Eingeweide.
»Ich brauche keinen anderen«, erwiderte Isabeau spöttisch. »Du warst nur Plan B. Ich habe Adan schon gesagt, dass ich reinkommen könnte, indem ich einen der Wächter verführe; ich weiß, dass ich das kann. Hast du wirklich geglaubt, ich wollte dich aus irgendeinem Grund wiedersehen? Adan hat nichts davon wissen wollen, aber ich habe bei einem Meister gelernt. Ich schätze, dafür sollte ich dir dankbar sein.«
Glühender Zorn floss durch seine Adern. Das Tier in ihm tobte und versuchte mit Zähnen und Klauen, sich zu befreien, fast wäre es aus seiner Haut geplatzt. Erregt zog Conner das Messer an seiner Hüfte, stürzte sich blitzschnell auf sie, drückte Isabeau gegen die Wand und hielt mit einer Hand ihre beiden Handgelenke über ihrem Kopf zusammen. Mit der stählernen Kraft des Leoparden klemmte er sie bewegungsunfähig ein, ganz verletzlich, und fixierte sie mit den Augen, während ihm der Schlag seines Herzens in den Ohren dröhnte.
Sie hatte Katzenaugen, nur etwas anders als seine, denn ihre Pupillen waren oval und senkrecht, statt rund wie bei ihm oder schlitzförmig wie bei anderen Katzen. Und im Moment spiegelten ihre Augen genau das wider, was sie empfand, wilden Hass und eine Spur von Erregung, die sie nicht im Griff hatte, und die nur dazu führte, dass sie ihn noch mehr verabscheute. Mit ganz und gar bernsteinfarbenen Augen starrte sie trotzig zurück, ohne den Blick zu senken.
»Ich habe dich nicht zur Hure gemacht. Du machst dich selbst dazu.«
»Fick dich, Vega. Und nimm deine Hände weg.«
Stattdessen presste Conner sie noch fester an die Wand und schob ein Knie zwischen ihre Beine, sodass sie fast vom Boden abhob. Isabeau blieb nichts anderes übrig, als auf die Zehenspitzen zu gehen. »Du willst mich tot sehen. Ich kann es dir an den Augen ablesen. Du bist hierhergekommen, um mich umzubringen.«
Isabeaus Lungen brannten, sodass sie keuchend um Atem rang und ihre Brüste sich gegen Conners Brustkorb drückten. Eine Hitzewelle, mächtig wie ein Tsunami, überrollte ihn und flutete ihn mit Verlangen – nicht nur seinem, sondern auch ihrem. Isabeau stand kurz vor ihrer ersten Brunst, und seine Nähe weckte die Leopardin in ihr. Conner spürte, wie sie glühte, und erkannte in ihren Augen jene unwillkommene Sehnsucht, die sie so lange vor ihm verborgen hatte.
Voller Zorn begegnete sie seinem Blick. »Ja«, zischte sie. »Solange du noch irgendwo lebst, denke ich an dich und hasse dich dafür, dass du nach wie vor die Möglichkeit hast, mich zu verletzen. Ja, ich möchte dich tot sehen.«
Conner schob ihr das Messer zwischen die Hände und zwang sie, die Finger um den Griff zu schließen. »Dann erledige den verdammten Job. Mach ein Ende. Das ist deine Chance, Baby.« Er zog ihre Arme herunter, bis die rasiermesserscharfe Klingenspitze direkt über seinem Herzen die Brust berührte, und legte seine Hände auf ihre, damit sie das Messer nicht fallen ließ. »Töte mich gleich hier, sofort, schnell und sauber, denn ich will verdammt sein, wenn ich mich langsam und Stück für Stück umbringen lasse.«
Isabeau schauderte. Conner spürte, dass sie die Finger krümmte. »Traust du es mir nicht zu?«, flüsterte sie, während ihre Finger unruhig unter seinen zuckten.
»Das ist deine einzige Chance. Stich zu und verschwinde. Denn wenn du es nicht tust, wirst du keine Gelegenheit mehr bekommen, und ich werde dafür sorgen, dass du keinen anderen Mann verführst.« Conner biss die Zähne zusammen und bohrte die Spitze in seine Haut. Blut rann an seinem T-Shirt hinab.
Isabeau schnappte erschrocken nach Luft und versuchte, das Messer zurückzuziehen, doch Conner war zu stark. Seine Hände waren um ihre geschlossen und zwangen sie, die Klinge tiefer zu drücken. Mit Tränen in den Augen schüttelte Isabeau den Kopf. Da hielt Conner inne und ließ die Spitze da, wo sie war.
»Schau mich an, Isabeau, nicht das Blut. Sieh mir in die Augen.«
Isabeau schluckte schwer und legte den Kopf zurück, um sich erneut seinem unwiderstehlichen Blick zu stellen. Sie hatte ihn tot sehen wollen, darum gebetet, dass er starb, davon geträumt, ihn umzubringen, doch nie hatte sie sich vorgestellt, dass sie sich so fühlen würde – entsetzt über das, was sie in seinen Augen sah. Er würde es tun, er würde sich das Messer ins Herz rammen. Sie hätte nie gedacht, dass er so stark war, aber sie konnte sich nicht von ihm lösen und spürte, dass jeder Muskel in seinem Körper zum Zerreißen gespannt war.
»Stoß mir das Messer in die Brust. Du bist doch kein Feigling. Du willst meinen Tod – nur zu, spiel keine Spielchen. Entweder du tötest mich, oder ich töte jeden Mann, den du verführst. Dies ist eine Sache zwischen uns beiden. Zieh niemand anders mit rein.«
Isabeau bekam keine Luft mehr und sah nur noch verschwommen. Augen, Hals und Lunge – alles brannte. Sie hatte geglaubt, keine Tränen mehr zu haben, doch schon bei Conners Anblick öffneten sich alle Schleusen wieder. Die Kränkung war so vernichtend gewesen, die Wunde so tief, dass die Narbe längst nicht verheilt war. Die Vorstellung, dass Conner eine andere Frau verführte, machte sie physisch krank, doch ihre Wut war groß, so groß, dass sie geglaubt hatte, das ertragen zu können.
Der Mann, der ihr Herz in kleine Stücke geschnitten, ihr den Vater genommen und sie mit nichts, absolut gar nichts, in einem zerstörten Leben zurückgelassen hatte, stand vor ihr und wartete. Nachts konnte sie nicht schlafen vor Verlangen nach ihm, und vor lauter Abscheu. Er dachte, sie hätte aus Rache nach ihm geschickt, aber die Wahrheit war wesentlich schlimmer – sie hatte nach ihm geschickt, weil sie es nicht ertragen konnte, ihn nicht wiederzusehen. So oft sie sich auch wusch, sie bekam seinen Geruch nicht von der Haut und seinen Geschmack nicht aus dem Mund. Dabei war ihr Herz so gebrochen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder zu spüren, wie es im Rhythmus schlug.
Das Leben ohne Conner war die Hölle gewesen, eine reine Qual, doch nun, da sie ihn sah und roch und ihm so nah war, fing sie von Neuem Feuer und geriet völlig außer Kontrolle. Er machte sie zu seiner Marionette, seiner Sklavin, einer Frau, die von einem Verlangen getrieben wurde, das keiner außer ihm jemals stillen und befriedigen konnte. Sie hasste ihn mit jeder Faser ihres Wesens, dennoch machte sie die Vorstellung krank, dass er eine andere Frau berührte.
Und wie er sie ansah. Dieser konzentrierte Blick voller Besitzerstolz; so als ob er wüsste, dass sie ihn wollte, trotz all der schrecklichen Dinge, die er ihr angetan hatte. So verdammt zufrieden mit sich, als ahne er, dass er nur mit dem Finger schnippen und seinen Mund auf ihren legen musste, dass sie sich danach sehnte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, um ihre Lippen auf seine zu drücken und mit ihm zu verschmelzen, sich ihm abermals völlig hinzugeben. Sie hasste sich ebenso heftig und leidenschaftlich wie ihn. Er hatte ihr das Herz gebrochen und ihr die Seele geraubt. Ihr nichts gelassen als Kummer und Schmerz.
Einen fürchterlichen Augenblick lang schlossen ihre Finger sich fester um das Heft des Messers, doch sie hätte es ihm genauso wenig ins Herz stoßen können wie sich selbst. Er war ein Teil von ihr. Sie hasste sich dafür, aber so war es, und sie wusste, dass sie mit dem Wissen, ihn getötet zu haben, nicht weiterleben konnte.
Zuerst begann ihr Mund zu zittern, dann ihre Hände und schließlich ihr ganzer Körper. Isabeau senkte den Kopf, und Tränen fielen auf Conners Hände, die immer noch ihre umklammert hielten. »Sag mir, was du willst.« Mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Hauch war, kapitulierte sie und ließ die Schultern sacken. Sie war verloren und sie wusste es. »Um diese Kinder da rauszuholen? Sag mir, was du dafür willst, was soll ich bloß tun?«
Conner lockerte seinen Griff so weit, dass Isabeau ihm ihre Hände entziehen konnte. Sie rieb sich über die Oberschenkel, als könnte sie sich auf diese Weise von dem Drang befreien, ihm die Augen auszukratzen – oder ihn anderweitig zu berühren.
»Mach nur weiter, es hilft doch nichts«, bemerkte Conner. »So wirst du das Jucken nicht los, Kätzchen, das wissen wir doch beide. Du musst richtig gekratzt werden, und das kann nur einer. Ein Einziger, hast du mich verstanden?«
»Lieber würde ich sterben.«
»Das ist mir gleich. Wenn du willst, dass ich diese Kinder befreie, tu ich es, aber du lässt deine Finger von anderen Männern.«
»Du kannst mir nichts vorschreiben.«
»Du legst nach wie vor menschliche Maßstäbe an, Isabeau«, erwiderte Conner. Dann rückte er wieder an sie heran, sog ihren besonderen Duft ein und zwang sie, seinen einzuatmen. »Soll ich dir mal was sagen? Ich bin kein Mensch, aber du auch nicht. Du befindest dich im Urwald, und hier gelten andere Regeln. Höhere Gesetze. Du bist kurz vor deiner ersten Brunst, dem Han Vol Don, und dem ersten Erscheinen deiner Katze. Du wünschst dir genau das, was sie sich wünscht – ihren Gefährten. Sonst niemanden. Und das bin ich, ob es dir passt oder nicht.«
»Du bist verrückt.« Hastig wich Isabeau vor ihm zurück. »Ich bin ein Mensch.«
Conner zeigte auf sein Gesicht und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Narben an seiner Wange, ihr Brandzeichen. »Das warst du mit deinen Krallen, Kätzchen.«
Isabeau kniff die Augen zu, doch Conner war der Ausdruck von Schmerz, Verwirrung und Schuld in ihrem Blick nicht entgangen. Abwehrend schüttelte Isabeau den Kopf, sie atmete schwer. »Wie hätte ich das anstellen sollen?«
Er wusste, dass die Geschehnisse jener Nacht zu viel für sie gewesen waren. Ihr Vater erschossen auf dem Boden – rings um ihn herum die Beweise seiner Schuld. Ein Entführter tot und zwei andere in Tränen aufgelöst. Die Erkenntnis, dass der Mann, dem sie ihr Vertrauen und ihre Liebe geschenkt hatte, sie nur benutzt hatte, um an ihren Vater heranzukommen – dass sie nicht einmal seinen richtigen Namen kannte – und die Kränkung in diesem Augenblick, der Schock. Obwohl sie festgehalten wurde, hatte Isabeau sich auf ihn gestürzt – ein weiterer Beweis dafür, wie stark die Leopardin in ihr war – und ihn geschlagen. In dem Sekundenbruchteil, bevor ihre Hand sein Gesicht berührte, hatte sie die Intensität ihres Schmerzes so heftig gespürt, dass ihre Katze zu ihrem Schutz hervorgekommen war und ihre Hand zur Tatze verwandelt hatte. Dann war Isabeau blass geworden und mit riesengroßen Augen zusammengesackt, also hatte er sie festgehalten, um sie vor einem Sturz zu bewahren, obwohl sein zerkratztes Gesicht böse zugerichtet war und das Blut stetig tropfte.
Damals war Isabeau vor ihm zurückgeschreckt, und offensichtlich hatte sie sich im Laufe der Zeit eingeredet, dass es die Szene gar nicht gegeben hatte. Es konnte nicht sein. Wie sollte es denn einer Frau möglich sein, sich – wenn auch nur teilweise – in eine Raubkatze zu verwandeln?
Wieder schüttelte Isabeau den Kopf. »Mein Vater war Dr. Arnold Chandler. Mag sein, dass er vom rechten Weg abgekommen ist und einige Dinge getan hat, die er nicht hätte tun sollen, aber er war ein Mensch. Und Menschen verwandeln sich nicht einfach so und bekommen Krallen.«
Conner bemerkte die ehrliche Verwirrung und Scham in ihrer Stimme und legte ihr seine Hand in den Nacken. »Es gibt viele unerklärliche Dinge auf der Welt, Isabeau. Du träumst doch gelegentlich, oder?« Seine Stimme wurde tiefer und rauer. »Von dir und mir. Von uns beiden in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort.«
Sie sah entsetzter denn je aus. Isabeau schüttelte krampfhaft den Kopf, so als ob ihr Leugnen durch die Heftigkeit glaubhafter würde. »Nein. Niemals. Ich würde nie von dir träumen. Du bist ein Ungeheuer, jemand, der Spaß daran hat, Frauen zu quälen.«
Der verächtliche Vorwurf traf ihn wie ein Peitschenhieb, und sein Leopard fletschte die Zähne. Kühl hob Conner eine Braue und durchbohrte sie mit seinem starren Blick, nagelte sie fest. Er kam mit dem Gesicht dicht an ihres heran. Wie hypnotisiert schaute sie auf seine Lippen.
»Du lügst. Ich rieche deine Erregung und spüre deine Hitze. Du willst mich mehr denn je. Und du träumst von mir, genauso wie ich von dir träume.«
Isabeau schlug ihn hart vor die Brust, um ihn von sich zu stoßen. Doch Conner schwankte nicht einmal, also nahm sie unbewusst die Kraft ihrer Katze zur Hilfe. Als er ihre Fäuste und Nägel zu spüren bekam, fühlte sich der Leopard in ihm herausgefordert, seine Überlegenheit zu beweisen. Mit eisernem Griff packte Conner Isabeaus Handgelenke und zog sie an sich. Und im gleichen Augenblick wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Seine Selbstbeherrschung hing nur noch am seidenen Faden.
Die Blicke ineinander gebohrt, starrten sie sich an, die Lippen nur Zentimeter voneinander entfernt. Das Begehren war heftig und unwiderstehlich. Conner rechnete mit Widerstand, denn die Atmosphäre zwischen ihnen war so aufgeladen und erregt, doch als ihre Lippen sich berührten, spürte er nur einen Seufzer, wie einen Windhauch, und Gott helfe ihnen beiden, er wusste nicht, ob er sich zuerst bewegt hatte oder Isabeau. Ein erschreckend heftiger Schlag durchzuckte ihn und entfachte ein Feuer, das ihn jäh in Brand setzte.
»Ich hasse dich«, zische Isabeau unter Tränen.
Doch ein Schauer durchrieselte sie; es war ihr einfach nicht möglich zu verbergen, wie ihr Körper auf ihn reagierte. »Ich weiß.« Conner strich ihr das dichte, rotbraune Haar aus dem Gesicht. In ihren Wimpern hingen Tränen.
»Du hast meinen Vater umgebracht.«
Conner schüttelte den Kopf. »Das lasse ich mir nicht vorwerfen. Mein Sündenregister ist lang genug, auch ohne dass du mir Dinge zur Last legst, die ich nicht getan habe. Du weißt es doch besser. Du willst es nicht wahrhaben, aber in dem Moment, als dein Vater sich mit dieser Bande eingelassen hat, hat er sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Diese Verbrecher haben Menschen entführt und gequält, um Geld zu erpressen. Das ist kein großer Unterschied zu dem, was hier vorgeht, oder?« Conner legte eine Hand an Isabeaus Wange und strich, ehe sie zurückweichen konnte, mit dem Daumen über ihre zarte Haut. »Wenn du einen Grund suchst, mich zu hassen, gibt es wesentlich bessere. Such dir einen anderen aus.«
Isabeau machte sich frei, ging zum Fenster und schaute in den Wald. »Diese Kinder müssen gerettet werden, Conner. Egal, wie ich mich dabei fühle. Hier geht es nicht um das, was zwischen uns vorgefallen ist. Wirklich nicht. Ich habe dich nicht hergerufen, um mich an dir zu rächen. Ich hätte auch gar nicht nach dir geschickt, aber Adan wollte mir nicht erlauben, dass ich auf eigene Faust versuche, in Imeldas Festung zu kommen. Diese Kinder sind in Gefahr. Ich traue Imelda zu, dass sie ihre Drohung wahrmacht und die Kinder in Einzelteilen nach Hause schickt, falls der Stamm nicht kooperiert.« Isabeau drehte sich wieder um und sah Conner in die Augen. »Wie können wir auf ihr Grundstück kommen und herausfinden, wo die Kinder festgehalten werden?«
Conner betrachtete sie stumm. Sie erschien ihm zerbrechlicher, als er es in Erinnerung hatte, und noch schöner; ihre Haut strahlte beinah, und ihr seidiges Haar glänzte einladend. Sie sagte die Wahrheit. »Dann müssen wir sie wohl rausholen, nicht?«, erwiderte er leise.
Isabeau entspannte sich ein wenig. »Ich dachte, du wolltest mir nicht helfen.«
»Du weißt wirklich nichts von den Leopardenmenschen, oder?«, fragte er.
Isabeau schaute nachdenklich auf ihre Hand. »Ich dachte, ich hätte mir das nur eingebildet.«
Conner streckte einen Arm aus. »Sieh mich an, aber bleib ganz ruhig. Ich meine, was ich sage, Isabeau, du darfst keine hektischen Bewegungen machen oder schreien. Mein Leopard lechzt nach dir, und ich werde ihn nur so weit rauslassen, dass du mir glaubst. Reiz ihn nicht noch mehr, als es dein verführerischer Körpergeruch schon getan hat.«
Isabeau machte einen recht verwirrten Eindruck, daher begann Conner einfach mit der Verwandlung. Sein Leopard wehrte sich gegen seine Kontrolle und kämpfte hart, um ganz erscheinen zu können. Krallen schnellten aus seinen Händen, und Pelz wuchs seinen Arm hinauf. Als Conner spürte, dass seine Muskeln sich zu verformen begannen, holte er tief Luft und drängte das Tier wieder zurück. Es kostete ihn jedes Quäntchen Kraft. Schweiß lief an ihm herab, und seine Muskeln traten angespannt hervor, während er den Leoparden niederzwang.
Isabeau hielt erschrocken den Atem an, machte aber keine Anstalten zu fliehen. Sie war totenbleich geworden, und ihre Augen wirkten riesengroß. Sie rieb sich über die Arme, als juckten sie, als wäre ihre Katze hervorgelockt worden. »Wie ist das möglich?«, fragte sie.
Er ging auf sie zu, denn es sah aus, als würden ihr die Beine versagen, doch sie trat kopfschüttelnd zurück und hob abwehrend die Hand. Also blieb Conner wieder stehen und verharrte reglos.
»Die kurze Version lautet: Wir sind eine besondere Spezies, weder Leopard noch Mensch, sondern eine Kombination aus beidem. Die weiblichen Leoparden zeigen sich erst beim Han Vol Don, der ersten Brunst des Tieres. Bis dahin wissen viele Frauen gar nicht, dass sie zu den Leopardenmenschen gehören. Ich schätze, dein Vater hat bei deiner Entbindung geholfen, und da er nicht wusste, dass du zu uns gehörst – denn unsere Existenz ist ein streng gehütetes Geheimnis -, hat er dich mitgenommen, als deine leibliche Mutter gestorben ist, und dich selbst großgezogen. Wir werden ein wenig nachforschen müssen, aber wahrscheinlich hat er dich einfach als sein Kind ausgegeben oder heimlich adoptiert.«
»Wie kommt es eigentlich, dass jedes Mal, wenn ich dich treffe, mein ganzes Leben durcheinandergerät?« Isabeau fuhr sich mit zittriger Hand durchs Haar.
Im gleichen Moment, als Conners Leopard aufhorchte, erstarb das Zirpen der Zikaden. Von draußen war ein Husten zu hören, gefolgt von einem bestätigenden Schnaufen.
»Wer ist euch gefolgt, Isabeau?« Conner war sofort bei ihr, fasste sie am Arm und zog sie schützend an sich, weg vom Fenster. »Habt ihr irgendjemanden mitgebracht?« Er zog sie auf die Zehenspitzen. »Antworte mir, auf der Stelle, ehe jemand dran glauben muss.«