2
Es entstand eine lange
Pause. Die Männer wechselten vielsagende Blicke, und die Spannung
im Raum stieg unaufhaltsam. Schließlich brach Conner das Schweigen.
»Du weißt gar nicht, wer uns angeheuert hat? Du hast über die
nichts herausgefunden, ehe du uns alle auf fremdem Territorium
zusammengetrommelt hast? Zumindest fremd für euch.«
Rio seufzte. »Adan Carpio hat mir sein Wort
gegeben, dass er hinter dem Klienten steht, Conner. Und du hast
selbst gesagt, dass sein Wort Gold wert ist.«
»Moment mal, Rio«, unterbrach Elijah. »Soll das
heißen, du hast keinerlei Nachforschungen über unseren Auftraggeber
angestellt und diese Mission einfach in gutem Glauben
angenommen?«
Rio zuckte die Schultern und schenkte sich noch
eine Tasse Kaffee ein. »Carpio hat mich kontaktiert, und er gab mir
zusammen mit den Sachen von Conners Vater und der Hälfte der
Bezahlung für die Rettungsaktion noch einige spezielle Hinweise.
Ich habe dann jedes Detail nachgeprüft und festgestellt, dass alles
stimmte, also habe ich das Team zusammengerufen.«
»Sag mir, dass man nicht ausdrücklich nach uns
verlangt hat«, forderte Conner.
»Nur nach uns beiden, Conner. Das Codewort, das sie
benutzt haben, um uns zu finden, war zwar alt, aber immerhin haben
sie es gekannt.« Rio drehte sich um, lehnte sich mit der Hüfte an
die provisorische Küchentheke und betrachtete Conner über den Rand
seiner dampfenden Tasse hinweg. »Carpio hat gesagt, der Klient
kennt dich und weiß, dass du diese Art von Arbeit machst.«
Die Männer sahen sich an, und Conner schüttelte den
Kopf. »Das ist unmöglich. Niemand weiß, wer wir sind. Hat er etwa
meinen Namen gekannt?«
»Das nicht, aber der Auftraggeber hat dich ziemlich
genau beschrieben und sogar eine Zeichnung von deinem Gesicht
angefertigt, wonach Carpio dich natürlich erkannt hat. Dann hat er
versucht, über deinen Vater den Kontakt zu dir herzustellen, und da
du deinem Vater für den Notfall meine Adresse gegeben hattest, hat
er sie an Carpio weitergereicht.«
»Aber du weißt nicht, wer der wahre Auftraggeber
ist?«, fragte Conner beharrlich.
Rio schüttelte den Kopf. »Carpio wollte es nicht
verraten.«
»Das gefällt mir nicht«, mischte Felipe sich
sichtlich beunruhigt ein. »Wir sollten abhauen.«
»Am Anfang habe ich auch so gedacht«, sagte Rio,
»aber Carpio schien mir ein Mann von Ehre zu sein, und er hat sich
für den Klienten verbürgt. Und schließlich stimmen die
Informationen. Imelda Cortez’ Männer haben tatsächlich sieben
Kinder entführt. Und den Pelz deiner Mutter haben wir alle gesehen.
Ich gebe ja zu, dass wir vorsichtig sein müssen.
Aber Carpio bringt seinen Klienten zu uns. Die beiden müssten
gleich da sein. Felipe und Leonardo, ihr haltet vorn Wache, Elijah
hinten. Lasst sie durch und überprüft anschließend die Umgebung, um
zu sehen, ob ihnen jemand gefolgt ist oder einen Hinterhalt
legt.«
Conner schüttelte den Kopf. »Wir haben uns doch
darauf geeinigt, dass wir stets wissen wollen, mit wem wir es zu
tun haben. Ohne Ausnahme. Warum diese Geheimniskrämerei?«
»Adan hat gesagt, der Klient möchte persönlich mit
uns reden. Wenn wir nach diesem Gespräch nicht zufrieden sind,
können wir den Vorschuss abzüglich der entstandenen Unkosten
zurückgeben und verschwinden.«
»Und das hast du ihm geglaubt?«, fragte Felipe.
»Das ist doch eine Falle. Sie haben eine Beschreibung von Conner,
aber keinen Namen? Mensch, Rio, irgendjemand hat es auf ihn
abgesehen. Man hat ihn hergelockt, und du präsentierst ihn wie auf
einem Silbertablett.«
»Das sehe ich anders«, widersprach Rio. »Adan
Carpio hat mich nicht angelogen. Das hätte ich gewittert.«
»Dann wird er benutzt. Wer auch dahintersteckt, er
hat die Verbindung zwischen Carpio und Conner entdeckt und sie dazu
benutzt, Conner ins Land zu locken.« In Felipes Stimme lag
Verachtung. »Wir müssen ihn in Sicherheit bringen. Auf der
Stelle.«
Rio schaute auf seine Uhr. »Sie werden bald da
sein, Conner. Ihr könnt alle außer Sichtweite bleiben, ich rede mit
ihnen.«
Conner schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei dir.
Wenn sie nur zu zweit sind, werden wir im Notfall mit ihnen fertig.
Falls ihnen jemand durch den Wald gefolgt sein sollte, können
die anderen sich darum kümmern. Ich lasse dich nicht ohne
Rückendeckung zurück. Wenn einer etwas von mir will, soll er ruhig
kommen.«
Felipe schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei Rio,
Conner.«
Conners stechender Blick ließ ihn verstummen. »Mein
Leopard ist dicht unter der Oberfläche, Felipe. Ich bin sowieso
schon gereizt, deshalb kann ich schnell und instinktiv reagieren.
Ich weiß es zu schätzen, dass du das Risiko auf dich nehmen willst,
aber das hier ist meine Sache und das Tier in mir ist
kampfbereit.«
Felipe zuckte die Achseln. »Wir geben Bescheid,
wenn sich ungebetener Besuch ankündigt.«
Conner wartete, bis seine drei Kollegen gegangen
waren, dann drehte er sich zu Rio um. »Was geht hier vor?«
Rio schob eine Tasse Kaffee über den Tisch.
»Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht so genau. Ich weiß nur, dass
Carpio mir die Wahrheit gesagt hat, aber einiges von dem, was er
erzählt hat …« Mit dem Fuß zog Rio einen Stuhl heran und ließ sich
darauf fallen. »Die Beschreibung deiner Person war alles andere als
schmeichelhaft, und deine Narben wurden nirgends erwähnt. Carpio
hat von ihnen auch nichts gesagt.«
»Er hat mich ein paar Jahre nicht gesehen. Was für
eine Beschreibung?« Ein schwaches Grinsen kräuselte Conners Lippen,
erstarb aber wieder. »Ich dachte, ich gelte als attraktiv.«
Rio schnaubte. »Da war von ›abscheulich‹ die Rede.
Ehrlich. Du wärst ein skrupelloser Bastard, der sich für den Job
bestens eigne. Die Zeichnung mit deinem Gesicht hat mir zu denken
gegeben. Sie war immerhin so gut, dass Carpio dich erkennen konnte,
also hat unser Klient, wer immer es ist, dich schon einmal gesehen
und kann dich identifizieren.«
»Zumindest weiß er, dass ich ein skrupelloser
Bastard bin und ihn bei der ersten falschen Bewegung umbringe«,
erwiderte Conner, der immer noch am offenen Fenster stand und
sehnsüchtig in den Wald schaute.
Der Wind drehte sich ein wenig, konnte die Stille
am Waldboden aber kaum beleben. Einige Blätter zitterten leicht.
Irgendwo sangen Vögel. Affen kreischten. Sie waren nicht mehr
allein in diesem Teil des Waldes. In Conners Kehle begann es leise
zu grummeln, daher griff er nach seiner Tasse und nahm einen
kleinen Schluck. Der Kaffee war heiß und brachte ihm den ersehnten
Kick. Sein Leopard erwachte wieder zum Leben; ohne seine Gefährtin
war er reizbar und launisch, und die Rückkehr in die Wildnis hatte
sein primitives Verlangen noch gesteigert. Er wollte es rau und
hart. Spitze Krallen, die ihn dabei zeichneten. Conner fuhr sich
mit der Hand übers Gesicht, um sich den Schweiß abzuwischen.
»Geht’s dir gut?«
Was zum Teufel sollte er darauf antworten? Sein
Leopard verlangte aufgebracht nach Freiheit, während er voll
konzentriert sein musste. »Gut genug, um dir den Rücken freihalten
zu können, Rio.«
Conner starrte weiter aus dem Fenster und behielt
den Wald im Auge. Ein Leopard hustete leise, und ein anderer
antwortete. Felipe und Leonardo teilten ihnen mit, dass sie sich
auf zwei Gäste gefasst machen mussten. Rio ging neben der Tür in
Stellung. Conner blieb, wo er war, mit dem Rücken zum Eingang, und
vertraute auf Rio, während er die Umgebung des Hauses nach
Bewegungen absuchte, die ihm verrieten, dass sich jemand heimlich
anschlich, während der andere die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich zog.
Die Tür öffnete sich, das merkte er an dem
plötzlichen Luftzug, und ein köstlicher, unverkennbarer Duft füllte
seine Lungen. Ihr Geruch. Instinktiv sog
Conner ihn ein. Sein Leopard war kaum noch zu bändigen. Seine
Gefährtin war gekommen, seine Frau. Diesen Geruch hätte er überall
erkannt. Sein Körper reagierte unwillkürlich; das Blut strömte heiß
erregt durch seine Adern, ließ sein Glied anschwellen und jagte
seinen Puls so hoch, dass es ihm in den Ohren dröhnte.
Mit der Stiefelspitze stieß Rio die Tür wieder zu
und drückte Adan Carpio den Lauf seiner Pistole an die Schläfe. Er
würde sich hüten, die Gefährtin eines Leoparden zu bedrohen. »Eine
falsche Bewegung von ihr und du bist tot.«
Conner drehte sich nur halb um. Er konnte sich kaum
bewegen, so tief getroffen war er vom Schock und der spürbaren
abgrundtiefen Verachtung.
Lügner. Das Wort stand im
Raum wie ein unüberwindliches Hindernis.
Conner atmete tief ein und sog ihre Verachtung in
seine Lungen. Sie sah ihm unverwandt ins Gesicht, und als ihr vor
Zorn glühender Blick über die vier Narben auf seiner Wange glitt,
brandmarkte sie ihn aufs Neue.
Verräter.
Die Zeit verlangsamte sich, und er bekam einen
Tunnelblick, der ihn jedes Detail an ihr überdeutlich wahrnehmen
ließ. Ihr Gesicht. Dieses wunderschöne, ovale Gesicht mit der
strahlenden Haut, die so weich war, dass jeder Mann, der sie sah,
sie sofort berühren wollte. Ihre großen Augen, die manchmal golden
schimmerten, aber eigentlich bernsteinfarben waren, oder auch grün,
smaragdgrün. Je nachdem, wie nah ihre Katze unter der Oberfläche
war. Und
dann dieser lange, gebogene Wimpernkranz, der ihre katzenhaften
Augen betonte.
Isabeau Chandler.
Sie hatte ihn verfolgt in den Nächten, in denen es
ihm gelungen war, ein paar Stunden zu schlafen. Mit diesem langen,
glänzenden Haar, fast spürte er die rotbraune Fülle noch zwischen
den Fingern. Diesem Mund mit den vollen Lippen, die weicher waren
als alles, was er kannte – diesem äußerst talentierten, traumhaften
Mund. Er erinnerte sich noch, wie es sich anfühlte, wenn ihre
Lippen über seinen Körper glitten und ihm das Paradies bescherten.
Ihm Erfüllung und Frieden brachten. Und schließlich ihr Körper. All
diese weiblichen Rundungen, genauso verlockend wie ihr Gesicht.
Seine Frau.
Verflucht sollte sie sein. Sie gehörte ihm, nicht
diesem Hurensohn, der so dreist und arrogant neben ihr stand. Ihr
Körper und ihr Lächeln, alles, jeder verdammte Quadratzentimeter
gehörte ihm allein. Ihr Begleiter hatte noch nicht einen Muskel
gerührt. Conner sah ihn gar nicht richtig an; wer der Mann war,
interessierte ihn nicht. Schließlich war er schon so gut wie tot.
Sie hätte es wissen müssen, denn so verlangte es das Gesetz des
Dschungels, das über allen anderen stand. Ihr Gesetz.
Conner spürte, wie sich jeder einzelne Muskel
anspannte. Ganz langsam wandte er den Kopf, Zentimeter um
Zentimeter, in der stockenden Art der großen Raubkatzen. Ansonsten
verhielt er sich ganz still, denn sein Leopard war kaum noch zu
zügeln, nachdem er die starken Finger gesehen hatte, die um
Isabeaus geschlungen waren. Dann verlagerte er den Blick, und ein
einziger Laut entfuhr ihm – ein Knurren aus dem Rachen seines
wütenden Leoparden, das
seiner Kehle entschlüpfte. Das furchterregende Geräusch hatte
nichts Menschliches mehr an sich. So klang es, wenn ein Tier ein
anderes bedrohte, wenn ein Leopard seinen Rivalen herausforderte.
Die leise Warnung erfüllte den ganzen Raum.
»Tu’s nicht«, mahnte Rio. »Treten Sie zurück,
solange Sie noch können«, riet er Adan.
Conner hörte ihn wie aus weiter Ferne. Seine Welt
war zusammengeschrumpft, auf diese eine Frau. Nichts und niemand
konnte ihn aufhalten, nicht einmal Rio. Sein Leopard war zu
schnell. Er wusste es, und sie wussten es auch. Eine Kehle
herauszureißen dauerte nur Sekunden. Das leise vibrierende Geräusch
hielt an, wurde aber nie lauter als nötig, damit sich die
Nackenhaare sträubten. Conner war bewusst, dass es in der
zivilisierten Welt nicht erlaubt war, jemanden zu töten, doch das
war nicht wichtig. Wichtig war nur, diesen anderen Mann von der
Seite seiner Gefährtin zu entfernen.
Isabeau ließ die Hand ihres Begleiters los, und Rio
riss ihn zurück, weg von ihr.
»Entschuldigen Sie, wie war noch der Name?«, sagte
sie sanft.
Sie verhöhnte ihn, forderte ihn geradezu heraus,
sie abermals anzulügen. Ihre leise, verführerische Stimme erregte
ihn und weckte Erinnerungen daran, wie ihr Mund seinen Körper
erkundet hatte. Dankbar dafür, dass sie in seiner Gegenwart
wenigstens den Körperkontakt mit dem anderen Mann beendet hatte,
biss Conner die Zähne zusammen. Sein Leopard kämpfte um die
Vorherrschaft.
»Warum hast du mich kommen lassen?«
Isabeaus Augen glitten voller Verachtung und Ekel
über
ihn hinweg. »Weil du der einzige Mensch in meinem Bekanntenkreis
bist, der hinterhältig und falsch genug ist, um diese Kinder
befreien zu können. Du kannst das sehr gut. Ich bitte dich nur, mir
ein paar Minuten zuzuhören; ich denke, das bist du mir
schuldig.«
Conner starrte sie mehrere lange Augenblicke stumm
an, ehe er zur Tür deutete. Rio zögerte. Der einzige Mensch, dem es
gelingen konnte, Conner Vega zu töten, war Isabeau Chandler, denn
gegen sie würde sein Freund sich nicht zur Wehr setzen. Rio wollte
ihn auf keinen Fall mit ihr allein lassen, und Conner bemerkte sein
Widerstreben.
»Sie hat ihre fünf Minuten verdient«, sagte
er.
Daraufhin machte Rio Carpio ein Zeichen, vor ihm
aus der Hütte zu gehen. Conner wartete, bis die Tür wieder ins
Schloss fiel, dann drehte er sich ganz zu Isabeau herum und
erlaubte es sich, wieder zu atmen. Ihr Aroma war so köstlich,
durchdringend, überwältigend. Vibrierend wie das Summen der
Insekten im Wald strömte die Lebenskraft durch seine Adern. Der
Saft, der in den Bäumen kreiste, und das ständig in Bewegung
befindliche Laubdach über ihm erfüllten ihn mit einer
unwiderstehlichen Mischung aus Verlangen und Unruhe. Der ständige,
gleichmäßige Regen trommelte im Takt mit seinem Herzen. Er war zu
Hause – im Dschungel -, und seine Gefährtin war mit ihm im selben
Raum.
Isabeau bewegte sich weg von ihm, ein vorsichtiges
Zurückweichen vor seiner Raubtiernatur, und Conner folgte ihr mit
dem Blick – wie ein wildes Tier seiner Beute. Er wusste, dass seine
Reglosigkeit sie nervös machte, blieb aber wie angewurzelt stehen,
zwang sich, sich nicht auf sie zu stürzen, obwohl jede Zelle in
seinem Körper danach schrie. Er ließ Isabeau nicht aus den Augen,
war vollkommen auf
sie konzentriert und berechnete jedes Mal, wenn sie ihre Position
veränderte, automatisch die Distanz zwischen ihnen.
»Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es ist, hier
bei mir zu sein?« Conner bemühte sich, leise zu sprechen, doch die
Drohung klang durch.
Isabeau musterte ihn voll Verachtung und Abscheu.
»Hast du eine Ahnung, wie schmutzig ich mich fühle, wenn ich nur
mit dir im selben Raum bin?«, konterte sie. »Wie soll ich dich
diesmal nennen? Sagst du mir deinen richtigen Namen?«
Eigentlich durfte er ihn nicht preisgeben, aber
verflucht, welchen Unterschied machte das schon? Isabeau gehörte
ihm, und sie befand sich im Dschungel. Sie hatte ihn angefordert –
nach ihm geschickt. »Conner Vega«,
antwortete er, den Blick auf sie geheftet; wehe, sie wagte es, ihn
der Lüge zu bezichtigen. Seine Stimme klang anders als sonst, aber
wenigstens hatte er ihren Begleiter nicht getötet. Er hatte sich
lange genug beherrscht, und es Rio möglich gemacht, den Mann aus
der Gefahrenzone zu bringen. In seinen Augen flackerte schiere
Mordlust. In ihren die pure Verachtung.
Isabeau zog eine Augenbraue hoch und schürzte die
Lippen. Sie war heiß erregt und wütend. Conners Herz machte einen
Satz, sein Glied schwoll dick an, und ein gieriges Verlangen
überfiel ihn. Sein Verbrechen war unverzeihlich. Intellektuell
konnte er das verstehen, doch das Tier in ihm weigerte sich, es zu
akzeptieren. Isabeau gehörte ihm – nur das zählte für den
Leoparden. Sie lebte in seiner Welt, und sie war seine Gefährtin.
Außerdem sonderte ihr Körper im Augenblick so viele Pheromone ab,
dass jedes männliche Wesen im Umkreis von hundert Meilen angelockt
wurde.
Mit einem leichten Schaudern holte Conner tief Luft, grimmig
bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»Stimmt das?«
»Ja. Warum hast du mich kommen lassen,
Isabeau?«
Zischend stieß Isabeau den Atem zwischen den
kleinen weißen Zähnen hervor. Ihre Leopardin war ein wenig anders –
von einer selteneren Art. Wahrscheinlich gehörte sie zu den kleinen
Verwandten, den Nebelpardern. Davon gab es nur noch sehr wenige.
Sie war kurvenreich, aber stromlinienförmig, die Muskeln unter
ihrer Haut arbeiteten geschmeidig, wie bei allen Artgenossen, und
ihr dichtes, langes Haar ließ sich kaum bändigen. Allerdings fiel
Conner auch auf, dass sie sich ihrer Kraft genauso wenig bewusst
war wie der Tatsache, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte.
Ihre Angst vor ihm war ärgerlich und hässlich – wie eine Sünde.
Eine Frau sollte sich nicht vor ihrem Mann oder seiner Stärke
fürchten müssen.
»Ich habe Borneo verlassen, weil ich es nicht
riskieren wollte, zufällig wieder mit dir zusammenzutreffen. Die
Pflanzen und Arten, die ich für meine Arbeit benötige, kann ich
auch in diesem Regenwald finden. Allerdings brauchte ich einen
Führer und der Embera-Stamm war so freundlich, mir einen zur
Verfügung zu stellen.«
Und dieser Führer war sicherlich ein Mann. Unfähig,
den von ihrem Duft erregten Leoparden zu bändigen, begann es in
Conners Brust zu rumoren, sobald er sich Isabeau in der Nähe eines
anderen Mannes vorstellte, deshalb wandte er sich von ihr ab. Dann
schloss er die Augen und bemühte sich, das Bild, wie sich ihr
Körper an einen anderen schmiegte, der nicht seiner war, nicht
hochkommen zu lassen.
Als er anfing auf und ab zu gehen, um sich von dem
zunehmend
wilden Verlangen zu befreien, warf Isabeau ihm einen bösen Blick
zu. Sein Begehren war derart heftig, dass er kaum noch Luft bekam.
So etwas hatte er noch nie erlebt. Ihm brach der Schweiß aus. Diese
Begierde war verrückt – sie hämmerte gegen seinen Schädel, dass ihm
die Zähne wehtaten. Sein ganzer Körper schmerzte. Ihm war deutlich
bewusst, dass sein Leopard direkt unter der Oberfläche nur auf den
einen Moment lauerte, in dem er die Kontrolle verlor, damit er sich
nehmen konnte, was ihm zustand.
»Tut mir leid, dass ich dich langweile, aber ich
habe viel Geld bezahlt, damit du mir deine Zeit opferst.«
Conner begriff, dass Isabeau sein unruhiges Hin-
und Herlaufen fälschlicherweise für Desinteresse hielt, doch er
zuckte nur die Achseln und machte sich nicht die Mühe, ihr zu
erklären, in welcher Gefahr sie schwebte. »Mach einfach
weiter.«
»Ich habe mich mit Adan Carpio angefreundet
…«
Diesmal schaffte Conner es nicht, die Wut und die
schreckliche Eifersucht zu unterdrücken, die seinen Leoparden
quälten. Mit flammendem Blick drehte er sich ruckartig zu Isabeau
um. Erschrocken hielt sie den Atem an, stolperte rückwärts und
griff mit einer Hand nach einer Stuhllehne, um sich daran
festzuhalten.
»Und mit seiner Familie. Er hat Frau und Kinder«,
fügte sie hastig hinzu. »Hör auf damit, du machst mir Angst. Das
kann ich nicht leiden. Falls du es vergessen haben solltest, du
bist derjenige, der sich etwas vorzuwerfen hat.«
Conner ließ seinen düsteren Blick über Isabeaus
Gesicht gleiten. Verharrte auf ihrem weichen, bebenden Mund und
schließlich auf ihrer verletzlichen Kehle. Innerhalb von Sekunden
konnte er seine Zähne hineingraben. Sein Blick
wanderte weiter nach unten und heftete sich auf ihren Busen. Diese
üppigen, prallen Brüste, an deren sanfte Fülle er sich noch so gut
erinnerte. Isabeau war ein wenig kleiner als die meisten Frauen
ihrer Art, wahrscheinlich weil sie zu den Nebelpardern gehörte,
doch ihm gefiel sie so. Ihm gefiel überhaupt alles an ihr, sogar
ihr Temperament.
»Ich habe nicht das Geringste vergessen«, knurrte
er.
Der unaufhörliche Lärm der Zikaden drang in seine
Ohren. Die Wächter des Dschungels spielten unbeeindruckt ihre
Musik, seine Leute hielten Wache und dennoch hatte er ein ungutes
Gefühl. Conner studierte Isabeaus Gesichtszüge. Sie verbarg etwas.
Sie wurde rot und versteckte die Augen hinter ihren langen Wimpern.
Anscheinend war ihr nicht klar, dass eher ihre Tugend als ihr Leben
in Gefahr war – und seine Ehre. Trotzdem hielt sie eindeutig
irgendetwas vor ihm verborgen. Nicht ihre Verachtung und auch nicht
ihren ungetrübten Hass, diese Gefühle waren ihr deutlich anzusehen.
Nein, da war etwas anderes, etwas, das unter der Oberfläche gärte.
Und wenn er nicht herausfand, was es war, konnte es durchaus sein,
dass sie alle bei dieser Geschichte umkamen.
»Ich war dabei, als Imeldas Männer das Dorf
überfallen haben. Mehrere Männer wurden getötet, auch eine Frau,
die bei Adan und seiner Frau Marianna zu Besuch war. Adans Enkel
Artureo hat mich versteckt, bevor er losgelaufen ist, um den
anderen beizustehen. Er ist erst siebzehn, wirkt aber schon sehr
erwachsen. Er rannte zurück, um seinem Großvater zu helfen, da
haben sie ihn mit Gewehrkolben niedergeschlagen und weggezerrt.
Überall, wo ich hinsah, waren Tote oder Sterbende und Leute, die um
den Verlust ihrer Lieben weinten.« Isabeau fuhr sich mit der Hand
über das Gesicht, als könne sie so die Erinnerung
fortwischen.
Conner schenkte ihr ein Glas Wasser ein und drückte
es ihr in die Hand. Als seine Finger ihre streiften, knisterte die
Luft buchstäblich vor Spannung. Isabeau riss die Hand fort, als
hätte sie sich versengt, und verschüttete Wassertropfen auf dem
Boden. Schweißperlen rannen über Conners Brust. Sein Verlangen
zerriss ihn schier. Isabeau in der Enge der kleinen Hütte so nah
bei sich zu haben, zerrte an seinen stählernen Nerven und ließ
seinen Körper vor düsterer Begierde so heftig beben, dass er die
Zähne fest zusammenpressen musste und erst wieder Luft holen
konnte, wenn er sich von ihr abwandte.
»Als ich hörte, was Imelda fordert, wusste ich,
dass ich helfen musste. Nachdem wir die Toten begraben hatten,
haben wir überlegt, wie wir die Kinder zurückholen könnten. Niemand
ist jemals im Inneren von Imeldas Festung gewesen und lebend wieder
herausgekommen, um davon zu berichten – jedenfalls niemand, den wir
kennen. Uns wurde klar, dass wir die Kinder nicht selbst befreien
können. Da habe ich mich an euch erinnert, und als Adans Bitte um
Hilfe von den verschiedenen Spezialeinheiten aus politischen
Gründen abgelehnt wurde«, Isabeaus Verachtung klang deutlich durch,
»habe ich daran gedacht, wie du dir durch deine Verführungskünste
Zutritt ins feindliche Lager verschafft hast.« Sie warf Conner
einen angewiderten Blick zu, ehe sie fortfuhr. »Wenn einer auf
dieses Grundstück gelangen kann, dann du. Es wird dir sicher nicht
schwerfallen, Imelda Cortez einzuwickeln.«
Sein Herz zog sich zusammen, so fest, dass er einen
Moment lang glaubte, er wäre einem Infarkt nahe. Der jähe Schmerz
brachte ihn beinah ins Straucheln. Er presste den Atem zwischen den
Zähnen hervor und versuchte nicht einmal,
das wütende Zischen zu unterdrücken. Dann trat er einen Schritt
näher an Isabeau heran. »Du willst, dass
ich diese Frau verführe? Sie berühre und küsse? Mit ihr schlafe?« Seine Stimme war gefährlich leise.
Isabeau wandte hastig den Blick ab. »Das ist es
doch, was du tust, oder? Dein Fachgebiet? Frauen verführen?«
Conner riss Isabeau das Glas aus der Hand und
schleuderte es wütend an die Wand. Es zerbrach mit einem Klirren,
das laut in der kleinen Hütte widerhallte, sodass die Scherben wie
Tränen auf den Boden herabregneten und sich mit dem verschütteten
Wasser mischten. »Du willst, dass ich eine andere Frau
ficke?«
Mit einem bedrohlichen Grollen in der Stimme sprach
er jedes Wort laut und deutlich aus. Er formulierte es absichtlich
so vulgär wie möglich.
Und der Pfeil traf sein Ziel. Isabeau zuckte
zusammen, reckte aber trotzig das Kinn. »Bei mir hast du jedenfalls
großen Erfolg damit gehabt, aber ich war ja auch eine leichte
Beute, nicht wahr?« Bitterkeit nährte ihre Wut.
»Ja, zum Teufel, das warst du«, erwiderte Conner.
In seinem Innersten verkrampfte sich alles. Seine eigene Gefährtin
wollte ihn verkuppeln. Wenn das nicht die beste Rache war, die eine
Frau sich für einen Mann ausdenken konnte, dessen Spezies darauf
angelegt war, neun Lebenszyklen mit derselben Frau zu verbringen!
Am liebsten hätte er sie geschüttelt, bis ihr die Zähne
klapperten.
Isabeau schnappte nach Luft, machte einen Schritt
auf Conner zu und ballte die Hände zu Fäusten, erlaubte es sich
aber nicht, ihn anzugreifen, sondern zügelte ihre Wut und ihren
Schmerz, obwohl ihr beides deutlich anzusehen war. »Ich nehme an,
ich war nicht die Erste. Stimmt doch, oder?«
Gefährten waren ehrlich zueinander, außerdem hatte
er schon viel zu oft gelogen. »Ja, verflucht, du warst nicht die
Erste«, blaffte Conner. »Aber du wirst die Letzte sein, verdammt
nochmal. Such dir einen anderen Kerl, der diese Drecksarbeit für
dich erledigt.«
Erregt drehte Conner sich um; er musste unbedingt
Luft schöpfen, die nicht nach Isabeau roch. Sein Leopard war wie
rasend, er brüllte vor Zorn und zerkratzte ihm wütend die
Eingeweide.
»Ich brauche keinen anderen«, erwiderte Isabeau
spöttisch. »Du warst nur Plan B. Ich habe Adan schon gesagt, dass
ich reinkommen könnte, indem ich einen der Wächter verführe; ich
weiß, dass ich das kann. Hast du wirklich geglaubt, ich wollte dich
aus irgendeinem Grund wiedersehen? Adan hat nichts davon wissen
wollen, aber ich habe bei einem Meister gelernt. Ich schätze, dafür
sollte ich dir dankbar sein.«
Glühender Zorn floss durch seine Adern. Das Tier in
ihm tobte und versuchte mit Zähnen und Klauen, sich zu befreien,
fast wäre es aus seiner Haut geplatzt. Erregt zog Conner das Messer
an seiner Hüfte, stürzte sich blitzschnell auf sie, drückte Isabeau
gegen die Wand und hielt mit einer Hand ihre beiden Handgelenke
über ihrem Kopf zusammen. Mit der stählernen Kraft des Leoparden
klemmte er sie bewegungsunfähig ein, ganz verletzlich, und fixierte
sie mit den Augen, während ihm der Schlag seines Herzens in den
Ohren dröhnte.
Sie hatte Katzenaugen, nur etwas anders als seine,
denn ihre Pupillen waren oval und senkrecht, statt rund wie bei ihm
oder schlitzförmig wie bei anderen Katzen. Und im Moment spiegelten
ihre Augen genau das wider, was sie empfand,
wilden Hass und eine Spur von Erregung, die sie nicht im Griff
hatte, und die nur dazu führte, dass sie ihn noch mehr
verabscheute. Mit ganz und gar bernsteinfarbenen Augen starrte sie
trotzig zurück, ohne den Blick zu senken.
»Ich habe dich nicht zur Hure gemacht. Du machst
dich selbst dazu.«
»Fick dich, Vega. Und nimm deine Hände weg.«
Stattdessen presste Conner sie noch fester an die
Wand und schob ein Knie zwischen ihre Beine, sodass sie fast vom
Boden abhob. Isabeau blieb nichts anderes übrig, als auf die
Zehenspitzen zu gehen. »Du willst mich tot sehen. Ich kann es dir
an den Augen ablesen. Du bist hierhergekommen, um mich
umzubringen.«
Isabeaus Lungen brannten, sodass sie keuchend um
Atem rang und ihre Brüste sich gegen Conners Brustkorb drückten.
Eine Hitzewelle, mächtig wie ein Tsunami, überrollte ihn und
flutete ihn mit Verlangen – nicht nur seinem, sondern auch ihrem.
Isabeau stand kurz vor ihrer ersten Brunst, und seine Nähe weckte
die Leopardin in ihr. Conner spürte, wie sie glühte, und erkannte
in ihren Augen jene unwillkommene Sehnsucht, die sie so lange vor
ihm verborgen hatte.
Voller Zorn begegnete sie seinem Blick. »Ja«,
zischte sie. »Solange du noch irgendwo lebst, denke ich an dich und
hasse dich dafür, dass du nach wie vor die Möglichkeit hast, mich
zu verletzen. Ja, ich möchte dich tot sehen.«
Conner schob ihr das Messer zwischen die Hände und
zwang sie, die Finger um den Griff zu schließen. »Dann erledige den
verdammten Job. Mach ein Ende. Das ist deine Chance, Baby.« Er zog
ihre Arme herunter, bis die rasiermesserscharfe Klingenspitze
direkt über seinem Herzen die
Brust berührte, und legte seine Hände auf ihre, damit sie das
Messer nicht fallen ließ. »Töte mich gleich hier, sofort, schnell
und sauber, denn ich will verdammt sein, wenn ich mich langsam und
Stück für Stück umbringen lasse.«
Isabeau schauderte. Conner spürte, dass sie die
Finger krümmte. »Traust du es mir nicht zu?«, flüsterte sie,
während ihre Finger unruhig unter seinen zuckten.
»Das ist deine einzige Chance. Stich zu und
verschwinde. Denn wenn du es nicht tust, wirst du keine Gelegenheit
mehr bekommen, und ich werde dafür sorgen, dass du keinen anderen
Mann verführst.« Conner biss die Zähne zusammen und bohrte die
Spitze in seine Haut. Blut rann an seinem T-Shirt hinab.
Isabeau schnappte erschrocken nach Luft und
versuchte, das Messer zurückzuziehen, doch Conner war zu stark.
Seine Hände waren um ihre geschlossen und zwangen sie, die Klinge
tiefer zu drücken. Mit Tränen in den Augen schüttelte Isabeau den
Kopf. Da hielt Conner inne und ließ die Spitze da, wo sie
war.
»Schau mich an, Isabeau, nicht das Blut. Sieh mir
in die Augen.«
Isabeau schluckte schwer und legte den Kopf zurück,
um sich erneut seinem unwiderstehlichen Blick zu stellen. Sie hatte
ihn tot sehen wollen, darum gebetet, dass er starb, davon geträumt,
ihn umzubringen, doch nie hatte sie sich vorgestellt, dass sie sich
so fühlen würde – entsetzt über das, was sie in seinen Augen sah.
Er würde es tun, er würde sich das Messer ins Herz rammen. Sie
hätte nie gedacht, dass er so stark war, aber sie konnte sich nicht
von ihm lösen und spürte, dass jeder Muskel in seinem Körper zum
Zerreißen gespannt war.
»Stoß mir das Messer in die Brust. Du bist doch
kein Feigling. Du willst meinen Tod – nur zu, spiel keine
Spielchen. Entweder du tötest mich, oder ich töte jeden Mann, den
du verführst. Dies ist eine Sache zwischen uns beiden. Zieh niemand
anders mit rein.«
Isabeau bekam keine Luft mehr und sah nur noch
verschwommen. Augen, Hals und Lunge – alles brannte. Sie hatte
geglaubt, keine Tränen mehr zu haben, doch schon bei Conners
Anblick öffneten sich alle Schleusen wieder. Die Kränkung war so
vernichtend gewesen, die Wunde so tief, dass die Narbe längst nicht
verheilt war. Die Vorstellung, dass Conner eine andere Frau
verführte, machte sie physisch krank, doch ihre Wut war groß, so
groß, dass sie geglaubt hatte, das ertragen zu können.
Der Mann, der ihr Herz in kleine Stücke
geschnitten, ihr den Vater genommen und sie mit nichts, absolut gar
nichts, in einem zerstörten Leben zurückgelassen hatte, stand vor
ihr und wartete. Nachts konnte sie nicht schlafen vor Verlangen
nach ihm, und vor lauter Abscheu. Er dachte, sie hätte aus Rache
nach ihm geschickt, aber die Wahrheit war wesentlich schlimmer –
sie hatte nach ihm geschickt, weil sie es nicht ertragen konnte,
ihn nicht wiederzusehen. So oft sie sich auch wusch, sie bekam
seinen Geruch nicht von der Haut und seinen Geschmack nicht aus dem
Mund. Dabei war ihr Herz so gebrochen, dass sie sich nicht
vorstellen konnte, jemals wieder zu spüren, wie es im Rhythmus
schlug.
Das Leben ohne Conner war die Hölle gewesen, eine
reine Qual, doch nun, da sie ihn sah und roch und ihm so nah war,
fing sie von Neuem Feuer und geriet völlig außer Kontrolle. Er
machte sie zu seiner Marionette, seiner Sklavin,
einer Frau, die von einem Verlangen getrieben wurde, das keiner
außer ihm jemals stillen und befriedigen konnte. Sie hasste ihn mit
jeder Faser ihres Wesens, dennoch machte sie die Vorstellung krank,
dass er eine andere Frau berührte.
Und wie er sie ansah. Dieser konzentrierte Blick
voller Besitzerstolz; so als ob er wüsste, dass sie ihn wollte,
trotz all der schrecklichen Dinge, die er ihr angetan hatte. So
verdammt zufrieden mit sich, als ahne er, dass er nur mit dem
Finger schnippen und seinen Mund auf ihren legen musste, dass sie
sich danach sehnte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, um ihre
Lippen auf seine zu drücken und mit ihm zu verschmelzen, sich ihm
abermals völlig hinzugeben. Sie hasste sich ebenso heftig und
leidenschaftlich wie ihn. Er hatte ihr das Herz gebrochen und ihr
die Seele geraubt. Ihr nichts gelassen als Kummer und
Schmerz.
Einen fürchterlichen Augenblick lang schlossen ihre
Finger sich fester um das Heft des Messers, doch sie hätte es ihm
genauso wenig ins Herz stoßen können wie sich selbst. Er war ein
Teil von ihr. Sie hasste sich dafür, aber so war es, und sie
wusste, dass sie mit dem Wissen, ihn getötet zu haben, nicht
weiterleben konnte.
Zuerst begann ihr Mund zu zittern, dann ihre Hände
und schließlich ihr ganzer Körper. Isabeau senkte den Kopf, und
Tränen fielen auf Conners Hände, die immer noch ihre umklammert
hielten. »Sag mir, was du willst.« Mit einer Stimme, die kaum mehr
als ein Hauch war, kapitulierte sie und ließ die Schultern sacken.
Sie war verloren und sie wusste es. »Um diese Kinder da
rauszuholen? Sag mir, was du dafür willst, was soll ich bloß
tun?«
Conner lockerte seinen Griff so weit, dass Isabeau
ihm ihre Hände entziehen konnte. Sie rieb sich über die
Oberschenkel,
als könnte sie sich auf diese Weise von dem Drang befreien, ihm
die Augen auszukratzen – oder ihn anderweitig zu berühren.
»Mach nur weiter, es hilft doch nichts«, bemerkte
Conner. »So wirst du das Jucken nicht los, Kätzchen, das wissen wir
doch beide. Du musst richtig gekratzt werden, und das kann nur
einer. Ein Einziger, hast du mich
verstanden?«
»Lieber würde ich sterben.«
»Das ist mir gleich. Wenn du willst, dass ich diese
Kinder befreie, tu ich es, aber du lässt deine Finger von anderen
Männern.«
»Du kannst mir nichts vorschreiben.«
»Du legst nach wie vor menschliche Maßstäbe an,
Isabeau«, erwiderte Conner. Dann rückte er wieder an sie heran, sog
ihren besonderen Duft ein und zwang sie, seinen einzuatmen. »Soll
ich dir mal was sagen? Ich bin kein Mensch, aber du auch nicht. Du
befindest dich im Urwald, und hier gelten andere Regeln. Höhere
Gesetze. Du bist kurz vor deiner ersten Brunst, dem Han Vol Don,
und dem ersten Erscheinen deiner Katze. Du wünschst dir genau das,
was sie sich wünscht – ihren Gefährten. Sonst niemanden. Und das
bin ich, ob es dir passt oder nicht.«
»Du bist verrückt.« Hastig wich Isabeau vor ihm
zurück. »Ich bin ein Mensch.«
Conner zeigte auf sein Gesicht und lenkte ihre
Aufmerksamkeit auf die Narben an seiner Wange, ihr Brandzeichen.
»Das warst du mit deinen Krallen, Kätzchen.«
Isabeau kniff die Augen zu, doch Conner war der
Ausdruck von Schmerz, Verwirrung und Schuld in ihrem Blick nicht
entgangen. Abwehrend schüttelte Isabeau den Kopf, sie atmete
schwer. »Wie hätte ich das anstellen sollen?«
Er wusste, dass die Geschehnisse jener Nacht zu
viel für sie gewesen waren. Ihr Vater erschossen auf dem Boden –
rings um ihn herum die Beweise seiner Schuld. Ein Entführter tot
und zwei andere in Tränen aufgelöst. Die Erkenntnis, dass der Mann,
dem sie ihr Vertrauen und ihre Liebe geschenkt hatte, sie nur
benutzt hatte, um an ihren Vater heranzukommen – dass sie nicht
einmal seinen richtigen Namen kannte – und die Kränkung in diesem
Augenblick, der Schock. Obwohl sie festgehalten wurde, hatte
Isabeau sich auf ihn gestürzt – ein weiterer Beweis dafür, wie
stark die Leopardin in ihr war – und ihn geschlagen. In dem
Sekundenbruchteil, bevor ihre Hand sein Gesicht berührte, hatte sie
die Intensität ihres Schmerzes so heftig gespürt, dass ihre Katze
zu ihrem Schutz hervorgekommen war und ihre Hand zur Tatze
verwandelt hatte. Dann war Isabeau blass geworden und mit
riesengroßen Augen zusammengesackt, also hatte er sie festgehalten,
um sie vor einem Sturz zu bewahren, obwohl sein zerkratztes Gesicht
böse zugerichtet war und das Blut stetig tropfte.
Damals war Isabeau vor ihm zurückgeschreckt, und
offensichtlich hatte sie sich im Laufe der Zeit eingeredet, dass es
die Szene gar nicht gegeben hatte. Es konnte nicht sein. Wie sollte
es denn einer Frau möglich sein, sich – wenn auch nur teilweise –
in eine Raubkatze zu verwandeln?
Wieder schüttelte Isabeau den Kopf. »Mein Vater war
Dr. Arnold Chandler. Mag sein, dass er vom rechten Weg abgekommen
ist und einige Dinge getan hat, die er nicht hätte tun sollen, aber
er war ein Mensch. Und Menschen verwandeln sich nicht einfach so
und bekommen Krallen.«
Conner bemerkte die ehrliche Verwirrung und Scham
in ihrer Stimme und legte ihr seine Hand in den Nacken.
»Es gibt viele unerklärliche Dinge auf der Welt, Isabeau. Du
träumst doch gelegentlich, oder?« Seine Stimme wurde tiefer und
rauer. »Von dir und mir. Von uns beiden in einer anderen Zeit, an
einem anderen Ort.«
Sie sah entsetzter denn je aus. Isabeau schüttelte
krampfhaft den Kopf, so als ob ihr Leugnen durch die Heftigkeit
glaubhafter würde. »Nein. Niemals. Ich würde nie von dir träumen.
Du bist ein Ungeheuer, jemand, der Spaß daran hat, Frauen zu
quälen.«
Der verächtliche Vorwurf traf ihn wie ein
Peitschenhieb, und sein Leopard fletschte die Zähne. Kühl hob
Conner eine Braue und durchbohrte sie mit seinem starren Blick,
nagelte sie fest. Er kam mit dem Gesicht dicht an ihres heran. Wie
hypnotisiert schaute sie auf seine Lippen.
»Du lügst. Ich rieche deine Erregung und spüre
deine Hitze. Du willst mich mehr denn je. Und du träumst von mir,
genauso wie ich von dir träume.«
Isabeau schlug ihn hart vor die Brust, um ihn von
sich zu stoßen. Doch Conner schwankte nicht einmal, also nahm sie
unbewusst die Kraft ihrer Katze zur Hilfe. Als er ihre Fäuste und
Nägel zu spüren bekam, fühlte sich der Leopard in ihm
herausgefordert, seine Überlegenheit zu beweisen. Mit eisernem
Griff packte Conner Isabeaus Handgelenke und zog sie an sich. Und
im gleichen Augenblick wusste er, dass er einen Fehler gemacht
hatte. Seine Selbstbeherrschung hing nur noch am seidenen
Faden.
Die Blicke ineinander gebohrt, starrten sie sich
an, die Lippen nur Zentimeter voneinander entfernt. Das Begehren
war heftig und unwiderstehlich. Conner rechnete mit Widerstand,
denn die Atmosphäre zwischen ihnen war so aufgeladen und erregt,
doch als ihre Lippen sich berührten,
spürte er nur einen Seufzer, wie einen Windhauch, und Gott helfe
ihnen beiden, er wusste nicht, ob er sich zuerst bewegt hatte oder
Isabeau. Ein erschreckend heftiger Schlag durchzuckte ihn und
entfachte ein Feuer, das ihn jäh in Brand setzte.
»Ich hasse dich«, zische Isabeau unter
Tränen.
Doch ein Schauer durchrieselte sie; es war ihr
einfach nicht möglich zu verbergen, wie ihr Körper auf ihn
reagierte. »Ich weiß.« Conner strich ihr das dichte, rotbraune Haar
aus dem Gesicht. In ihren Wimpern hingen Tränen.
»Du hast meinen Vater umgebracht.«
Conner schüttelte den Kopf. »Das lasse ich mir
nicht vorwerfen. Mein Sündenregister ist lang genug, auch ohne dass
du mir Dinge zur Last legst, die ich nicht getan habe. Du weißt es
doch besser. Du willst es nicht wahrhaben, aber in dem Moment, als
dein Vater sich mit dieser Bande eingelassen hat, hat er sein
eigenes Todesurteil unterzeichnet. Diese Verbrecher haben Menschen
entführt und gequält, um Geld zu erpressen. Das ist kein großer
Unterschied zu dem, was hier vorgeht, oder?« Conner legte eine Hand
an Isabeaus Wange und strich, ehe sie zurückweichen konnte, mit dem
Daumen über ihre zarte Haut. »Wenn du einen Grund suchst, mich zu
hassen, gibt es wesentlich bessere. Such dir einen anderen
aus.«
Isabeau machte sich frei, ging zum Fenster und
schaute in den Wald. »Diese Kinder müssen gerettet werden, Conner.
Egal, wie ich mich dabei fühle. Hier geht es nicht um das, was
zwischen uns vorgefallen ist. Wirklich nicht. Ich habe dich nicht
hergerufen, um mich an dir zu rächen. Ich hätte auch gar nicht nach
dir geschickt, aber Adan wollte mir nicht erlauben, dass ich auf
eigene Faust versuche,
in Imeldas Festung zu kommen. Diese Kinder sind in Gefahr. Ich
traue Imelda zu, dass sie ihre Drohung wahrmacht und die Kinder in
Einzelteilen nach Hause schickt, falls der Stamm nicht kooperiert.«
Isabeau drehte sich wieder um und sah Conner in die Augen. »Wie
können wir auf ihr Grundstück kommen und herausfinden, wo die
Kinder festgehalten werden?«
Conner betrachtete sie stumm. Sie erschien ihm
zerbrechlicher, als er es in Erinnerung hatte, und noch schöner;
ihre Haut strahlte beinah, und ihr seidiges Haar glänzte einladend.
Sie sagte die Wahrheit. »Dann müssen wir sie wohl rausholen,
nicht?«, erwiderte er leise.
Isabeau entspannte sich ein wenig. »Ich dachte, du
wolltest mir nicht helfen.«
»Du weißt wirklich nichts von den
Leopardenmenschen, oder?«, fragte er.
Isabeau schaute nachdenklich auf ihre Hand. »Ich
dachte, ich hätte mir das nur eingebildet.«
Conner streckte einen Arm aus. »Sieh mich an, aber
bleib ganz ruhig. Ich meine, was ich sage, Isabeau, du darfst keine
hektischen Bewegungen machen oder schreien. Mein Leopard lechzt
nach dir, und ich werde ihn nur so weit rauslassen, dass du mir
glaubst. Reiz ihn nicht noch mehr, als es dein verführerischer
Körpergeruch schon getan hat.«
Isabeau machte einen recht verwirrten Eindruck,
daher begann Conner einfach mit der Verwandlung. Sein Leopard
wehrte sich gegen seine Kontrolle und kämpfte hart, um ganz
erscheinen zu können. Krallen schnellten aus seinen Händen, und
Pelz wuchs seinen Arm hinauf. Als Conner spürte, dass seine Muskeln
sich zu verformen begannen, holte er tief Luft und drängte das Tier
wieder zurück. Es
kostete ihn jedes Quäntchen Kraft. Schweiß lief an ihm herab, und
seine Muskeln traten angespannt hervor, während er den Leoparden
niederzwang.
Isabeau hielt erschrocken den Atem an, machte aber
keine Anstalten zu fliehen. Sie war totenbleich geworden, und ihre
Augen wirkten riesengroß. Sie rieb sich über die Arme, als juckten
sie, als wäre ihre Katze hervorgelockt worden. »Wie ist das
möglich?«, fragte sie.
Er ging auf sie zu, denn es sah aus, als würden ihr
die Beine versagen, doch sie trat kopfschüttelnd zurück und hob
abwehrend die Hand. Also blieb Conner wieder stehen und verharrte
reglos.
»Die kurze Version lautet: Wir sind eine besondere
Spezies, weder Leopard noch Mensch, sondern eine Kombination aus
beidem. Die weiblichen Leoparden zeigen sich erst beim Han Vol Don,
der ersten Brunst des Tieres. Bis dahin wissen viele Frauen gar
nicht, dass sie zu den Leopardenmenschen gehören. Ich schätze, dein
Vater hat bei deiner Entbindung geholfen, und da er nicht wusste,
dass du zu uns gehörst – denn unsere Existenz ist ein streng
gehütetes Geheimnis -, hat er dich mitgenommen, als deine leibliche
Mutter gestorben ist, und dich selbst großgezogen. Wir werden ein
wenig nachforschen müssen, aber wahrscheinlich hat er dich einfach
als sein Kind ausgegeben oder heimlich adoptiert.«
»Wie kommt es eigentlich, dass jedes Mal, wenn ich
dich treffe, mein ganzes Leben durcheinandergerät?« Isabeau fuhr
sich mit zittriger Hand durchs Haar.
Im gleichen Moment, als Conners Leopard aufhorchte,
erstarb das Zirpen der Zikaden. Von draußen war ein Husten zu
hören, gefolgt von einem bestätigenden Schnaufen.
»Wer ist euch gefolgt, Isabeau?« Conner war sofort
bei ihr, fasste sie am Arm und zog sie schützend an sich, weg vom
Fenster. »Habt ihr irgendjemanden mitgebracht?« Er zog sie auf die
Zehenspitzen. »Antworte mir, auf der Stelle, ehe jemand dran
glauben muss.«