14
Während sie über die lange, gewundene Zufahrt eilig davonfuhren, starrte Isabeau aus dem Fenster und vermied es, die anderen anzusehen. Sie wusste, dass Ottilas Geruch an ihr haftete, und die Blutspritzer auf ihrem Kleid waren in der Enge des Wagens auch nicht zu verbergen. Sie hörte, wie Conner fluchte, als er das Blut und die dunklen Flecken auf ihrer Haut sah, schaute ihn aber nicht an. Sie konnte nicht mehr, sie brauchte etwas Ruhe. Alle sollten sie in Ruhe lassen – insbesondere Conner. Philip Sobre, Imelda Cortez und die gedungenen Leoparden widerten sie an. Sie fühlte sich schmutzig und wollte nur noch eins – eine schöne heiße Dusche.
Der Wagen verlangsamte die Fahrt, und Leonardo schob eine Tür auf. Jeremiah kam aus dem dichten Wald gelaufen und sprintete durch das lichtere Unterholz auf sie zu. Als er knapp die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, stürzte sich aus den Bäumen etwas Schweres auf ihn und stieß ihn um. Ein wirres Knäuel aus Mensch und Tier rollte über den Boden, und Jeremiahs Gewehr flog durch die Luft.
Teresa begann zu schreien. Elijah beugte sich lässig über sie und brachte sie zum Schweigen, indem er einen Daumen fest auf einen Druckpunkt presste. Bewusstlos kippte sie vornüber, ihr Gesicht im Ausdruck des Entsetzens erstarrt. Ein wütendes Brüllen erschütterte den SUV, und Felipe stieg auf die Bremse, während Conner, noch ehe der Wagen schlitternd zum Stillstand kam, durch die offene Tür sprang und sich dabei die Kleider vom Leib riss.
Isabeau blinzelte vor Schreck über die Schnelligkeit, mit der er sich gleichzeitig auszog und verwandelte. Zwar hatte sie Jeremiah üben sehen und auch mitbekommen, wie Felipe mit ihm arbeitete, aber auf ein so rasantes Tempo war sie nicht gefasst. Hätte sie nichts über Leopardenmenschen gewusst, hätte sie ihren eigenen Augen nicht getraut und wohl nicht geglaubt, dass sie gerade noch einen Menschen gesehen hatte.
Leonardo und Rio waren auch schon draußen, bevor der Wagen richtig stand, doch sie suchten Rücken an Rücken schussbereit die Bäume nach Heckenschützen ab, kontrollierten mit scharfen Augen jeden Zentimeter des Kronendachs und sondierten mit ihren animalischen Sinnen die Umgebung.
Conner war über dem anderen Leoparden, ehe der ihn überhaupt bemerkte, und fegte das gereizte Raubtier mit einem einzigen mächtigen Hieb von Jeremiahs blutendem Körper herunter. Während die beiden Leoparden sich zornig fauchend mit ausgefahrenen Krallen aufeinanderstürzten, lief Elijah zu Jeremiah.
»Verdammt, reiß dich zusammen, Isabeau!«, blaffte Rio. »Schnapp dir eine Waffe.«
Seine Stimme riss sie aus ihrem Schock. Ohne zu zögern nahm sie ein Gewehr aus der offenen Kiste auf dem Boden und sprang aus dem Wagen. »Was soll ich machen?«
»Geh so nah ran, wie möglich. Und wenn du zum Schuss kommen kannst, nutz die Chance«, befahl Rio.
Mit klopfendem Herzen rannte Isabeau zum Kampfplatz. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Elijah Jeremiah hochhob und ihn über die Schulter warf. Der Junge war voller Bisswunden, Blut lief ihm an Arm und Rücken hinunter. Als Elijah an ihr vorbei zum Wagen zurückhetzte, sah Isabeau voller Schreck, dass Jeremiah nicht mehr zu atmen schien.
Ein blutüberströmter Suma verbog sein geschmeidiges Rückgrat und wollte sich gerade im Sprung drehen, als Conner sich auf die Hinterbeine stellte, ihm seine Krallen in die Hinterläufe bohrte und ihn zu Boden riss. Suma klappte fast in der Mitte zusammen und schlug die kräftigen Tatzen in Conners Hals und Flanke. Der rollte sich ab, rammte Suma und brachte ihn erneut zu Fall, sodass die beiden Leoparden sich in einem Gewirr aus Pelz, Klauen und Zähnen über den Boden wälzten. Ihr Gebrüll erfüllte den ganzen Wald.
Kaum hatte Isabeau ihr Gewehr angelegt, knallte ein Schuss und Borke splitterte aus dem Baumstamm, vor dem Conner eben noch gestanden hatte. Wenn er sich nicht abgerollt hätte, wäre er wohl in den Kopf getroffen worden. Hastig richtete Isabeau den Blick auf die Bäume und versuchte herauszufinden, woher der Schuss gekommen war.
Rio und Leonardo, die offenbar weniger Schwierigkeiten hatten, der Flugbahn der Kugel zu folgen, überzogen die Baumwipfel in der Ferne bereits mit Streufeuer.
»Erschieß den Hurensohn, Isabeau«, brüllte Rio.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den wilden Kampf der beiden Leoparden, die in einer tödlichen Umklammerung mit peitschendem Schweif über den Boden rollten und furchterregende Laute ausstießen. Isabeau fühlte sich wie in einem Alptraum gefangen, als erlebte sie das alles nicht wirklich und wahrhaftig. Es gab keine Möglichkeit zu schießen, ohne dass sie es riskierte, Conner zu verletzten oder gar zu töten.
»Ich versuch’s doch«, blaffte sie zurück.
Die beiden Leoparden waren so ineinander verkeilt, dass Isabeau den einen nicht vom anderen unterscheiden konnte. Sie sah nur ein Meer aus Flecken, die bei dem Tempo, mit dem die beiden immer wieder aufeinander losgingen, schwindelerregend verschwammen. Selbst die Augen wirkten wie zwei Punkte inmitten Tausender Rosetten, nur dass sie sprühten vor Mordlust und Tücke. Einen so verbissenen Zorn hatte Isabeau noch nie gesehen.
Conner kämpfte gegen den Mann, der Marisa Vega getötet hatte, seine Mutter, brachte den Mörder durch seine schiere Wut ein ums andere Mal zu Fall und zerfleischte ihm Bauch und Flanken. Suma wurde ängstlich und wollte fliehen, doch das ließ Conner nicht zu. Die eigenen schmerzenden Wunden schien er nicht zu spüren, offenbar war er wild entschlossen, Suma buchstäblich in Stücke zu reißen. Nur die Kraft und Erfahrung eines männlichen Leoparden im besten Alter bewahrten Suma davor, auf der Stelle getötet zu werden. Offenbar war er sich seiner ausweglosen Lage bewusst, auch wenn Ottila, trotz des Ablenkungsfeuers von Rio und Leonardo, immer wieder versuchte, einen Schuss anzubringen und seinem Partner zu helfen.
»Verdammt, Isabeau, bald kommt sicher jemand vorbei. Erledige ihn, verflucht nochmal«, blaffte Rio.
Der Kampf war hitzig und leidenschaftlich, und momentan sah es nicht danach aus, als würde einer der beiden Kontrahenten nachgeben. Einem Leoparden lief das Blut bereits an den Seiten hinunter, und nach dem ersten Schrecken erkannte Isabeau, dass das die Möglichkeit war, Suma zu identifizieren. Jeremiah musste ihn angeschossen haben. Sumas Fell war mit dem eigenen und Jeremiahs Blut bedeckt. Die roten Schlieren begannen bereits, auf Conners Pelz abzufärben, doch er war längst nicht so blutig wie Suma.
Isabeau holte tief Luft und konzentrierte sich, blendete alles andere aus, genau wie Conner es sie gelehrt hatte. Am Anfang hörte sie noch das Brüllen und Fauchen, die Schüsse und die Kugel, die neben den beiden Leoparden Blätter und Erde aufpeitschte. Dann war sie in einem Tunnel, und es gab nur noch das blutverkrustete Fell des Leoparden und sie. Sonst nichts. Und niemanden. Sie zielte auf den Punkt in seinem Nacken.
Isabeaus Herz klopfte. Ihr Mund wurde trocken. Sie hatte Angst, Conner zu treffen. Die beiden wütenden Leoparden waren so schnell und wild. Viel zu schnell. Wenn sie den falschen erwischte … Isabeau holte noch einmal Luft, fixierte den Zielpunkt und zog den Hahn durch.
Mit hasserfüllten gelben Augen bäumte Suma sich auf. Isabeau schauderte, als Conner seinen Vorteil nutzte und ihm den ungeschützten Bauch aufschlitzte. Suma fiel zu Boden und starrte sie mit weit offenen Augen bewegungslos an. Seine Zunge hing aus dem Maul, und seine Flanken bebten. Blutiger Schaum drang aus seinem Rachen. Conner setzte den tödlichen Biss an, grub die Zähne in den Hals seines Gegners und hielt ihn fest, bis er erstickt war.
Eine Salve von Schüssen schlug ein, durchlöcherte Isabeaus Rock, ließ um sie herum die Erde aufspritzen und streifte Conners Seite, sodass er brüllend herumwirbelte, um sich dem neuen Feind zu stellen. Sein blutrünstiger Blick fiel auf sie. Isabeaus Herz setzte einen Schlag aus und begann dann, heftig zu pochen. In einem letzten hässlichen Akt der Rachsucht zerfetzte der Leopard den weichen Bauch des Besiegten, ehe er sich ganz zu ihr umdrehte und sie mit gesenktem Kopf und brennendem Blick ins Visier nahm.
»Beruhig ihn«, rief Rio. »Und dann nichts wie weg. An den Schützen kommen wir nicht heran. Wir können ihn nur in Schach halten.«
»Ihn beruhigen?«, wiederholte Isabeau etwas matt. Wenn Rio direkt vor ihr gestanden hätte, wäre sie wohl gewalttätig geworden. »Bist du verrückt?«
Der blutbeschmierte Leopard mit dem zerkratzten Fell pirschte sich geduckt in dem stockenden Schleichgang an sie heran, der jedes Beutetier in Angst und Schrecken versetzte. Diese durchdringenden, hassglühenden Augen würde sie nie im Leben vergessen können. Sein Maul und seine Zähne waren voller Blut.
»Conner.« Ihre Stimme bebte. Sie ließ das Gewehr sinken und streckte eine Hand nach ihm aus. »Es tut mir so leid, Baby. Aber jetzt ist es vorbei. Lass uns abhauen, komm.«
Der Leopard fauchte gereizt und krauste die Nase. Dann klappte er die mächtigen Kiefer auf und zeigte die vier großen Fangzähne, mit denen er seine Opfer packte und bis zum Ersticken festhielt. Isabeau wusste, dass die Lücken hinter den Zähnen es dem Leoparden erlaubten, sie beim tödlichen Biss tief einzugraben. Die Schneidezähne dagegen konnten mühelos Fleisch von Knochen kratzen, während die scharfen Backenzähne Haut und Muskeln durchtrennten wie Schlachtermesser.
Mit jedem langsamen Schritt schob sich dieser mächtige Kiefer voller Zähne näher an sie heran, bis sie den heißen Raubtieratem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Wieder blendete Isabeau alles aus, bis es nur noch sie und den Leoparden gab.
»Conner«, sie sprach ihn absichtlich mit Namen an, um ihn aus den Fängen seines düsteren Zorns zu befreien. Doch in seinen Augen war nichts Menschliches mehr, weder Liebe noch Wiedererkennen. »Conner.« Isabeau entschied sich, an seine Liebe zu glauben, statt sich zu fürchten oder zu ärgern, und streckte die zitternde Hand weiter aus.
Doch ehe sie nahe genug herankommen konnte, um ihre Finger in sein blutbeflecktes Fell zu graben, schlug der Leopard sie mit seiner großen Pranke, und heißer Schmerz durchzuckte sie. Isabeau hielt die Luft an, für einen Augenblick tat ihr Arm so höllisch weh, dass ihr das Atmen schwerfiel. Angst überfiel sie, doch sie wollte den Blickkontakt nicht unterbrechen und rief nach ihrer Katze.
Jetzt oder nie, du kleines Flittchen. Wehe, du drückst dich. Zeig dich, und tu, was du nicht lassen kannst. Reiz ihn. Lock ihn in den Wagen.
Isabeau versuchte sich zu erinnern, wie sie sich im Garten gefühlt hatte, als die Hitzewelle sie überrollte und die Sehnsucht nach einem Mann unbezähmbar wurde. Im Augenblick wäre sie lieber um ihr Leben gerannt, statt sich dieser fauchenden Bestie entgegenzustellen. Sie wagte es nicht, ihren Arm zu begutachten, doch sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass der Leopard sie anstelle dieser Warnung auch mit einem Schlag gegen ihren viel verletzlicheren Hals hätte töten können.
Ihre Katze kam zwar an die Oberfläche, doch diesmal war sie nicht sexsüchtig, sondern voll weiblicher Verachtung für das Männchen. Sie war nicht in Stimmung und wollte nicht gestört werden. Also stürzte sie sich auf den Leoparden und versetzte ihm ebenfalls einen Hieb. Und obwohl diese Abfuhr nicht sonderlich beeindruckend gewesen war, schockierte sie den Leoparden damit fast ebenso wie Isabeau.
»Ups«, kam deren Reaktion, und sie zog die Hand zurück, die von dem harten Schlag ins Gesicht des gereizten Männchens brannte. Scheibenkleister! Bist du verrückt geworden?, wollte Isabeau von ihrer Katze wissen. Tolle Art, ihn zu beruhigen. »Tut mir leid.«
Die Wut in den brennenden Raubtieraugen legte sich so weit, dass etwas Raum für Vernunft frei wurde. Isabeau atmete vorsichtig aus, als sie sah, dass der durchdringende, wache Intellekt Conners zurückkehrte. »In den Bäumen liegt ein Heckenschütze, Conner. Wir müssen verschwinden. Sofort.«
Als der Leopard sie daraufhin auffordernd anstupste, machte Isabeau auf dem Absatz kehrt und rannte, dankbar für den Feuerschutz von Rio und Leonardo, zum Auto zurück. Mit dem Leoparden auf den Fersen und dem Killer in den Bäumen fühlte sie sich völlig ausgeliefert. Sie sprang in den SUV und krabbelte bis nach hinten durch, um den anderen möglichst viel Platz zu lassen. Der Leopard, der praktisch auf ihr landete, hätte sie fast zerdrückt. Doch er verwandelte sich bereits und setzte sich auf den dritten Sitz ganz hinten, wo Elijah Jeremiah hingelegt hatte und ihn beatmete.
Leonardo stieg als Nächster ein und drehte sich um, um zusammen mit Marcos für Rios Deckung zu sorgen.
»Los!«, befahl Rio, als er die Tür zuschlug.
Noch ehe er das gesagt hatte, jagte der Wagen schon wieder über die Straße.
»Wie schlimm ist es?« Grimmig schaute Rio nach hinten. Er konnte Jeremiah nicht sehen, doch Elijah kümmerte sich mit Conner um ihn.
»Er braucht einen Arzt«, rief Conner. »Früher gab es hier einen Doktor, einen von uns, zu dem meine Mutter mich immer gebracht hat, aber das ist schon Jahre her. Er wohnt etwa fünfzehn Meilen weit weg von der Hütte, in der wir uns alle zum ersten Mal getroffen haben.«
Rio schaute auf seine Uhr. »Was meinst du, Felipe?«
»Ich schätze, ich könnte es in zwanzig Minuten schaffen.«
»Das wird knapp«, meinte Conner. »Du entscheidest, Rio.«
»In einem Krankenhaus wäre Jeremiah nicht sicher. Imelda hat zu viele Leute in der Tasche. Gerade haben wir ihren Sicherheitschef umgebracht. Sein Partner wird hinter uns her sein. In einem Krankenhaus können wir Jeremiah nicht gut genug schützen. Tut, was ihr könnt, um ihn am Leben zu halten.«
Isabeau hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht zu widersprechen. Die Männer wussten besser über Imeldas Geschäfte Bescheid. Und sie wussten, wie Leoparden dachten. Sie rollte sich zu einem Ball zusammen und zitterte unkontrollierbar, das Gefühl, dass ihr schlecht werden würde, wollte einfach nicht verschwinden.
»Was ist mit Teresa?« Sie zwang sich, das zu fragen.
Rio schaute kurz zu der bewusstlosen Frau hinüber. »Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht wieder wach wird. Leonardo, reich mir den Erste-Hilfe-Kasten. Ich brauche die K. o.-Spritze.«
»Das habe ich nicht gemeint. Ich wollte wissen, warum ihr sie mitgenommen habt.«
»Sie hat zu viel Zeit mit uns verbracht, und Conner hat sie verteidigt«, erklärte Marcos. »Anfänglich ging die Gefahr von Philip aus. Hast du sein Gesicht gesehen, als Conner dazwischengegangen ist? Ich glaube, er hätte sie nach der Party umgebracht. Falls nicht, hätte er sie zumindest geschlagen. Und da Imelda die Videos gesehen hat, ist davon auszugehen, dass sie Teresa für eine Spionin hält, wenn diese Sache schiefgeht. Jedenfalls schien es mir sicherer zu sein, die junge Dame aus dieser Situation herauszuholen, damit ihr nichts geschieht.«
Ohne etwas zu erwidern zog Isabeau die Knie an und schlang die Arme um ihre Beine.
Marcos lächelte ihr zu. »Hast du gedacht, ich wäre ein alter Lustmolch?«
»Jedenfalls hast du die Rolle sehr überzeugend gespielt«, gestand sie und bemühte sich zurückzulächeln.
Als Rio sie zum ersten Mal genauer ansah, gab er ein beinahe animalisches Knurren von sich. »Was zum Teufel ist mit dir geschehen, Isabeau?« Er schnappte ihren Arm und betrachtete die blutenden Kratzer. »Verflucht, warum hast du nichts gesagt? Das kann sich schnell entzünden.«
Conner richtete sich so weit auf, dass er über die Rückenlehne schauen konnte, und entdeckte Isabeaus Wunden. »Was ist passiert?«
»Verdammt, du hast dich nicht unter Kontrolle, du Bastard«, fauchte Rio, »das ist passiert.«
»Konzentrier dich, Conner«, blaffte Elijah. »Ich will den Jungen nicht verlieren.«
Isabeau sah die Qual und die Reue in Conners Augen, ehe er wieder hinter dem Sitz verschwand und sich um Jeremiah kümmerte. Doch sie war dankbar, dass er sie nicht mehr ansah. Sie musste erst ihre Gefühle sortieren. Alles an diesem Abend war schrecklich gewesen.
Dabei war sie die Anstifterin, diejenige, die darauf bestanden hatte, dass sie sich Imelda Cortez vorknöpften. Und nichts, was sie heute gesehen hatte, hatte sie dazu bringen können, ihre Meinung zu ändern – sondern sie eher noch darin bestärkt -, aber mit dieser maßlosen Verderbtheit, dieser vollständigen Missachtung von Menschenleben und jeglichen Menschenrechten hätte sie nie gerechnet. Imelda umgab sich mit abscheulichen Leuten. Es war, als würden sie einander erkennen und sich gegenseitig anziehen, sodass sie in ihrem grässlichen Tun noch bestärkt wurden.
Isabeau biss sich auf die Fingerknöchel. Sie hatte einen Mann getötet. Auch wenn Conner ihm den letzten Rest gegeben hatte, sie war diejenige gewesen, sie hatte abgedrückt. Sie hätte nie gedacht, sich im Traum nicht vorgestellt, dass sie dazu fähig war, jemandem das Leben zu nehmen. Sie hatte gesehen, wie Sumas Augen erloschen waren, und sie war nicht froh, sondern entsetzt. Philip Sobre hatte ihr zu verstehen gegeben, dass es ihm Spaß machte, andere zu quälen und zu töten. Weil es ihn erregte. Isabeau hörte einen unterdrückten Schreckenslaut und begriff, dass er ihr selbst entschlüpft war.
Rio beugte sich zu ihr hinüber. Er hielt etwas in der Hand. »Das wird jetzt teuflisch brennen.«
Ohne weitere Erklärung drückte er ein Tuch, das mit einer brennenden Flüssigkeit getränkt war, auf die Kratzer an Isabeaus Arm, sodass sie zischend die Luft ausstieß. Während Rio das Tuch weiter auf die Wunden presste, konzentrierte sie sich darauf, stumm bis hundert zu zählen und nicht zu weinen.
Marcos gab Teresa eine Spritze, und als sie stöhnte, tätschelte er ihr den Arm. »Alles wird gut. Du bist in Sicherheit«, beruhigte er sie.
Isabeau bezweifelte, dass irgendeiner von ihnen sich je wieder in Sicherheit wiegen konnte. Imelda erschien ihr wie eine dicke Spinne in einem Netz, das alle umspannte. Die Partygäste hatten sich aus Beamten, hochrangigen Polizisten und Richtern zusammengesetzt. Es konnte ihnen doch nicht entgangen sein, dass manche Leute mit dem Personal nach oben verschwanden. Und nun musste man sogar Angst davor haben, Jeremiah in ein Krankenhaus zu bringen.
Rio nahm das Tuch wieder weg und hielt, obwohl Isabeau protestierte, ihren Arm fest, um die Kratzer näher zu untersuchen. »Sie gehen nicht sehr tief«, sagte er laut genug, dass Conner ihn hören konnte. »Trotzdem muss da eine antibakterielle Salbe drauf.« Er sprach zu niemandem im Besonderen, doch als er mit dem Einreiben begann, zwang er Isabeau, ihn anzusehen. »In unseren Krallen ist ein Gift, Isabeau. Diese Wunden dürfen nicht unbehandelt bleiben. Du solltest sie sorgfältig reinigen und mehrmals am Tag die Salbe auftragen. Ich gebe dir eine entzündungshemmende Spritze, eine sehr große Dosis, und danach musst du darauf achten, alle Pillen aus diesem Fläschchen zu nehmen.«
Sie sah Rio fest in die Augen. »Hat Conner eine Infektion bekommen, nachdem ich ihn gekratzt hatte?« In ihrer Wut wollte sie ihn daran erinnern, dass sie sich durchaus zu wehren wusste. Er war der Teamleiter, und daher war es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass niemand aus der Reihe tanzte, nicht einmal in Ausnahmesituationen, trotzdem war sie böse auf ihn.
Nachsichtig zuckte Rio die breiten Schultern. »Ja, trotz der Antibiotika. Aber wir haben sein Leben retten können, und für dich tun wir das Gleiche.«
Isabeau presste die Lippen zusammen. Conner war also krank gewesen. Und sie nicht für ihn da. Wenn Rio sich schon wegen ein paar kleinen Kratzern an ihrem Arm Sorgen machte, was war dann mit Jeremiah und Conner? Die beiden waren voller Biss- und Kratzwunden. Sie hatte einen Blick auf Conners nackten Körper erhascht, als er über den Rücksitz nach hinten gesprungen war, und er hatte ziemlich lädiert ausgesehen.
»Isabeau! Hörst du mir überhaupt zu? Was ich sage ist wichtig.«
Sie sah Rio mit leeren Augen an, und brachte ein Nicken zustande. Sie konnte hören, wie Elijah langsam und gleichmäßig Jeremiah beatmete, doch man merkte, dass er müde wurde.
»Gebt mir den Tropf«, forderte Conner. »Ich brauche einen Zugang. Wir dürfen es nicht riskieren, dass er kollabiert und wir keine Nadel mehr in die Venen bekommen.«
Rio richtete seine Aufmerksamkeit auf die Männer hinten und reichte Conner alles, was er aus dem Erste-Hilfe-Kasten brauchte. Marcos klopfte Isabeau aufs Bein. »Schön weiteratmen. Du stehst unter Schock.«
Der Verdacht war Isabeau selbst schon gekommen. So ähnlich hatte sie sich gefühlt, als ihr damals aufgegangen war, dass Conner nicht der Mann war, für den sie ihn gehalten hatte. Mittlerweile wusste sie natürlich genau, wie er war. Und obwohl er einen anderen Namen führte, war er genauso gefährlich und von seiner Arbeit überzeugt wie früher. Er hatte noch denselben Sinn für Humor und dieselbe herrische Art und er war nach wie vor ein Leopardenmensch mit all den Charakterzügen, die sie lieben gelernt hatte.
Isabeau betrachtete ihren Arm. Conner tat es sicher sehr leid, dass er sie verletzt hatte. Eigentlich waren es nur ein paar Schrammen. Er hatte seinen Leoparden schon fast unter Kontrolle gehabt, aber ihre Katze … Sie seufzte. Sie hatte das Tier doch nicht im Griff. Vielleicht lass ich dich nie mehr raus. Aber das war eine leere Drohung, und sie wussten es beide. Isabeau freute sich auf ihre Leopardin. Sie war bereit für den Wandel.
Nachdem Conner bei Jeremiah den Tropf gelegt hatte, wandte sich Rio wieder Isabeau zu. Als sie zu ihm aufblickte, hielt er eine Spritze in der Hand. »Mach eine Pobacke frei.«
Das brauchte er nicht zweimal zu sagen. Wütend starrte sie ihn an. »Daraus wird nichts, das schwöre ich. Such dir einen anderen Körperteil aus.« Ein wenig Unterstützung wäre nicht schlecht, Miezekätzchen. Ich werde auf keinen Fall vor all diesen Männern die Hose runterlassen. Auch wenn ihnen das nichts ausmacht. Großer Gott. Wofür bist du eigentlich gut, wenn du einer Frau in Not nicht zu Hilfe kommst. Mach doch wieder auf Wildkatze oder so was.
»Stell dich nicht so an. Wir müssen alle den Po freimachen.«
Isabeau musterte Rio kühl. »Ohne mich. Wenn du mich anrührst, kratze ich dir die Augen aus.«
Felipe schnaubte. Marcos griente. Selbst Leonardo musste grinsen.
»Wir können das auch auf die harte Tour erledigen. Dann hält Leonardo dich fest.«
Isabeau lüpfte eine Augenbraue. Ihre Katze regte sich. Endlich. »Meine Leopardin ist ziemlich sauer«, sagte sie erfreut. »Und ich habe sie noch nicht gut im Griff.«
»Ich setz ihr die Spritze später«, mischte Conner sich ein.
Er klang ganz sachlich, doch Isabeau war sich sicher, dass er und Elijah trotz des lebensbedrohlichen Dramas, das sich hinten im Auto abspielte, ein rasches Lächeln gewechselt hatten. Sollten sie sich ruhig über sie amüsieren. Das Maß war voll. Rio hatte sie aufgefordert, eine Waffe zu nehmen, hatte sie angebrüllt – richtig angebrüllt – und sie gezwungen, ein mordlüsternes Raubtier zu beruhigen. Isabeau hatte genug von all den testosterongesteuerten Leoparden um sie herum. Sie fixierte Rio mit ihrem bösesten Katzenblick.
»Nicht leicht zu bändigen«, murmelte der Teamleiter. »Da hast du dir einiges vorgenommen.«
»Das schaff ich schon«, versicherte Conner.
»Versuch’s doch«, erwiderte Isabeau rebellisch, während ihre Katze sich genüsslich streckte und die Krallen ausfuhr.
Rio verdrehte die Augen. »Frauen«, sagte er leise, doch da der Wagen voller Leoparden war, hörte ihn jeder.
»Männer«, konterte Isabeau kindisch.
»Wo sollen wir Teresa unterbringen?«, fragte Marcos dazwischen. »Ich fühle mich verantwortlich für sie.«
»Irgendwo, wo sie niemand findet und sie niemanden kontaktieren kann«, erwiderte Rio.
»Adan hat einen Cousin«, überlegte Conner. »Er wohnt in der Nähe unseres Ziels. Wenn ich den Doktor dazu überreden kann, uns zu helfen, könnten wir zu dem gehen.«
»Wie gut kennst du den Doktor?«, fragte Rio.
»Ziemlich gut. Er war mit meiner Mutter befreundet. Sie haben zusammen Schach gespielt. Er war es, der mir das Spiel beigebracht hat. Er würde uns nie verraten.«
»Lös mich ab«, unterbrach Elijah. Er klang angestrengt.
Isabeau hörte es hinten rumoren.
»Diesen Weg entlang, Felipe«, rief Conner. »Die dritte Farm. Er praktiziert jetzt zu Hause, er hat sich zur Ruhe gesetzt.«
Die Straße war voller Schlaglöcher. Isabeau konnte sich gut vorstellen, dass ein Leopardenmensch sich diese Gegend zum Wohnen aussuchte. Der Wald reichte nah an die Häuser heran, und die Farmen lagen weit voneinander entfernt, sodass ein Höchstmaß an Privatsphäre garantiert war. Als sie an den ersten beiden Häusern vorbeirumpelten, kam jedes Mal jemand auf die Veranda und schaute ihnen nach, offenbar nicht nur aus reiner Neugier. Isabeau fragte sich, ob alle Anwohner Leopardenmenschen waren. Sie stellte fest, dass sie schon wieder nervös wurde. Vielleicht hatte ihre Angst bisher aber auch gar keine Chance gehabt, sich zu verflüchtigen. Dass die Männer begannen, ihre Waffen zu checken und Rio ihr eine kleine Glock zusteckte, machte es auch nicht besser.
»Nimm die hier«, zischte er. »Für alle Fälle.«
Den Alltag dieser Männer zu teilen, war eine Offenbarung für Isabeau. Sie wusste, dass sie dieses Leben selbst gewählt hatten und dass sie das Gleiche tat, wenn sie sich dafür entschied, für immer und ewig bei Conner zu bleiben. Sie nahm die Waffe und kontrollierte sie, ob sie durchgeladen und gesichert war.
Elijah übernahm wieder die Mund-zu-Mund-Beatmung, damit Conner sich eine Jeans überstreifen konnte, bevor Rio die Heckklappe öffnete. Zusammen gingen die beiden auf die Veranda. Conner klopfte an die Tür und wartete. Er hörte einen, nein, zwei Menschen im Haus. Der mit dem schwereren Schritt von den beiden kam zur Tür und öffnete sie, nicht nur einen Spalt breit, sondern einladend weit.
»Was kann ich für Sie …« Beim Anblick von Conners Verletzungen brach der Mann ab. »Kommen Sie rein.«
»Doc, ich bin’s, Conner Vega. Erinnern Sie sich noch an mich? Ich hab da einen Jungen, dem es sehr schlechtgeht. Wirklich schlecht. Ein Leopard hat ihn angegriffen. Wir brauchen Ihre Hilfe.«
Der Doktor stellte keine Fragen, sondern bedeutete ihnen, den Jungen hereinzubringen.
»Es tut mir leid, Doc, aber wir müssen wissen, wer sonst noch im Haus ist«, sagte Conner.
»Meine Frau Mary«, antwortete der Arzt prompt. »Hol ihn rein, Conner. Dein Freund soll sich beeilen, wenn er das Haus vorher überprüfen will und der Junge so schwer verletzt ist, wie du sagst.«
Rio machte sich an die Durchsuchung, während Conner zum Auto zurücklief und den anderen winkte, damit sie Jeremiah brachten. Isabeau ließ sich zurückfallen, um Elijah den Rücken zu decken, während er den Jungen ins Haus trug. Leonardo blieb auf der Veranda. Felipe und Marcos fuhren mit Teresa davon, wahrscheinlich um sie der Obhut von Adans Cousin anzuvertrauen.
»Tiefe Bisswunden am Hals. Die meiste Zeit haben wir ihn beatmet«, erklärte Conner, während Elijah Jeremiah in einem kleinen Behandlungszimmer auf den Tisch legte. Dann hängten sie den Infusionsbeutel an einen Haken und traten zurück, um dem Arzt Platz zu machen.
»Mary!«, rief der Doktor. »Ich brauche dich. Das hier ist wichtiger als deine Schrottserie.«
Eine zierliche Frau mit ergrauendem Haar und lachenden Augen kam herein. »Ich gucke keine Schrottserien, du alter Zausel, und das weißt du.« Sie steuerte direkt auf das Waschbecken zu, um sich die Hände zu waschen und Handschuhe überzustreifen, und versetzte dem Doktor im Vorbeigehen einen leichten Schlag mit einer zusammengerollten Zeitung.
»Du wartest draußen, Conner. Aber geh nicht zu weit weg. Du kommst als Nächster dran, und danach diese junge Dame«, befahl der Arzt schroff. »Und lauf nicht dauernd hin und her, so wie früher. Setz dich, bevor du umfällst. In der Küche steht heißer Kaffee.«
Mary schaute über die Schulter. »Frisches Brot liegt unter dem Trockentuch.« Sie beugte sich über Jeremiah.
Conner sah zu, wie geschickt die beiden Hand in Hand arbeiteten; beinahe wortlos reichten sie sich die Instrumente an, nur gelegentlich grummelte der Doktor kopfschüttelnd etwas vor sich hin.
Isabeau verschränkte ihre Finger mit Conners und sah ihn an. Sie war erschöpft und besorgt. Er nahm sie bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer. Elijah folgte ihnen zögernd.
»Ist es ein guter Arzt?«, fragte er.
Conner nickte. »Alle Leoparden sind früher zu ihm gegangen. Mittlerweile hat er sich zwar zur Ruhe gesetzt, aber er versteht sein Handwerk. Wenn es eine Chance gibt, wird er den Jungen retten. Sein Name ist Abel Winters. Dr. Abel Winters. Eine Zeit lang hat er bei uns im Dorf gewohnt, aber er ist schon vor meiner Mutter und mir weggezogen. Wahrscheinlich um seine Ausbildung zu beenden, damals war er ja noch sehr jung. Aus der Zeit habe ich keine richtige Erinnerung mehr an ihn, ich war noch sehr klein, aber meine Mutter hat ihn nicht vergessen. Sie kannte jeden in unserem Dorf.«
Conner sah sich um und entdeckte ein Handtuch, das er nass machte, um sich etwas von dem Blut abzuwischen, ehe er sich setzte. »Nachdem wir in unsere Hütte gezogen waren, hat meine Mutter mich immer zu ihm gebracht, wenn ich mir mal wieder etwas gebrochen hatte. Mein Leopard hat sich schon sehr früh gezeigt und ich bin ständig aus den Bäumen gesprungen, weil ich mich im Fallen verwandeln wollte. Dabei ist natürlich so mancher Knochen zu Bruch gegangen.«
Elijah lachte. »Das möchte ich wetten.«
Die Anspannung legte sich ein wenig. Isabeau nahm Conner das Handtuch aus der Hand, und er hielt sich am Waschbecken fest und beugte sich vornüber, während sie versuchte, ihn so gut wie möglich zu säubern.
»Verdammt, das tut höllisch weh. Besser, ich suche mir eine Dusche.«
Isabeau wäre gern mitgegangen, blieb aber bei Elijah in der Küche. Sie fühlte sich unbehaglich und fehl am Platz.
»Du hast dich gut gehalten, Isabeau«, lobte Elijah, um die unangenehme Stille zu beenden.
»Ich hatte Angst.« Statt Elijah anzusehen schaute sie aus dem Fenster. »Richtig Angst.«
»Wir doch auch. Ich wusste, dass es gefährlich war, zu Jeremiah zu laufen, und habe jeden Augenblick damit gerechnet, dass der Heckenschütze mich trifft. Ich schätze, du hast dasselbe gedacht.«
Isabeau schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte Angst, dass er Conner erschießt. Aber der Killer hatte das gleiche Problem wie ich. Er wollte nicht aus Versehen seinen Freund erschießen. Und ich nicht Conner.« Sie strich die Haarlocken zurück, die ihr ins Gesicht fielen.
»Was bedeutet ›markieren‹, Elijah?«
Er runzelte die Stirn. »In welchem Zusammenhang?«
Wieder wich Isabeau seinem Blick aus und schaute beklommen zu Boden. »Im Zusammenhang mit Narben, so wie die, die ich versehentlich Conner beigebracht habe. Was bedeutet es in der Welt der Leoparden?«
Elijah zuckte die Achseln. »Conner ist dein Gefährte, also spielt das keine große Rolle. Du hast ihn gezeichnet. So, dass es geblutet hat. In deinen Krallen befindet sich eine chemische Substanz. Damit kannst du einen Mann markieren. So wie du Conner markiert hast, als du ihn gekratzt hast. Du wusstest nicht, was du tatest, aber deine Katze hat es gewusst. Sie wollte klarstellen, dass Conner ihr gehört. Normalerweise tut eine Katze das erst, wenn sie in den Fängen des Han Vol Don ist. Ich möchte nicht behaupten, dass es sonst nie vorkommt, wie wir ja an eurem Beispiel sehen können, aber das ist wohl die größte Gefahr bei der ersten Verwandlung.«
»Und was passiert, wenn die Katze jemanden markiert, der nicht ihr Gefährte ist?«
Elijah straffte unmerklich die Schultern, und die Stille dehnte sich qualvoll, bis Isabeau es nicht mehr aushielt und ihn anschaute. »Hast du das getan, Isabeau?«
»Was hat sie getan?«, fragte Conner, der sich die Haare rubbelnd in die Küche kam. Er trug nichts weiter als eine hüfthohe Jeans, sodass die tiefen Bisswunden und Kratzer an seinem Oberkörper deutlich zu sehen waren.
Isabeau biss sich fest auf die Lippen. Sie hatte die dumpfe Ahnung, dass Elijah ihr etwas enthüllen würde, was sie lieber nicht wissen wollte.
»Isabeau hat gefragt, was geschieht, wenn eine Leopardin jemand anderen als ihren Gefährten markiert.«
Wieder entstand eine Pause, die sich dehnte, bis Isabeaus Nerven blanklagen.
»Isabeau?«, fragte Conner. »Hast du das getan?«
Sie wich der Frage aus. »Ich habe im Garten eine Leiche gefunden. Ich glaube, Philip Sobre ist ein Serienmörder.« Damit sie weder Conner noch Elijah ansehen musste, ging Isabeau um den Tisch herum und nahm das Trockentuch vom frisch gebackenen Brot.
Ihre Enthüllung wurde schweigend aufgenommen. Sie fühlte Conners Augen auf sich ruhen und drehte sich um. Er wirkte erstaunt. »Was hast du gefunden?«
Isabeau schnitt eine Scheibe Brot ab und legte sie auf einen Teller. Der Laib war noch warm und duftete himmlisch. »Eine Leiche. Alberto hat mir erzählt, dass er den Garten geplant und gepflanzt hat. Anscheinend ist er Hobbygärtner, und zwar ein sehr guter. Er hat mir vorgeschlagen, mich ein wenig umzusehen, während er am Teich auf mich wartet.«
»Was war mit der Leiche, Isabeau«, unterbrach Elijah.
»Und mit dem Markieren«, wollte Conner wissen.
Isabeau nahm die Butterschale, die ihr Elijah reichte, bestrich zwei Scheiben Brot und schob sie den Männern zu. Dann schenkte sie ihnen Kaffee ein. »Milch jemand?«
Conner stellte seine Tasse ab, ging um den Tisch und schlang einen Arm um ihre Taille. »Hör auf und setz dich. Du musst uns sagen, was passiert ist.«
Isabeau ließ es zu, dass er einen Stuhl heranzog und sie darauf niederdrückte. Dann setzten die beiden Männer sich zu ihr. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, ob Alberto von der Leiche wusste und wollte, dass ich sie finde. Vielleicht hatte er es darauf angelegt, dass ich die Polizei rufe.«
»Bist du sicher, dass es eine Leiche war?«, fragte Conner.
»Ganz sicher. Ich bin nah dran gewesen. Irgendetwas – wohl ein Tier – hatte die Erde aufgewühlt. Überall waren Würmer und Verwesungsgeruch. Dann habe ich einen Finger gesehen. Es war definitiv eine Leiche. Ich bin ganz schnell weggegangen und habe alle meine Spuren verwischt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich traute Alberto und Harry nicht. Es gab zwar keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Alberto ein netter alter Mann ist, aber meine Katze mochte es nicht, wenn er mich anfasste, und ich hatte so ein Gefühl …« Isabeau presste die Hände auf den Bauch und sah hilflos zu Conner hinüber.
Der nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen. »Es tut mir leid, Süße, ich hätte nicht zulassen sollen, dass du in die Sache hineingezogen wirst. Es wäre vernünftiger gewesen, dich irgendwo in Sicherheit zu bringen, bis alles vorbei ist.«
»Ich wäre nicht gegangen. Ich habe das alles angefangen, Conner, und ich bringe es auch zu Ende. Irgendjemand muss diese Leute aufhalten.«
Elijah nahm einen Schluck Kaffee und gab einen anerkennenden Laut von sich. »Sie hat sich doch großartig gehalten, Conner. Sie hat sich ohne zu zögern in einen Leopardenkampf eingemischt und diesen Hurensohn erschossen. Und als sie eine vergrabene Leiche gefunden hat, hat sie, anstatt sich die Seele aus dem Leib zu schreien, einen kühlen Kopf bewahrt und alle Hinweise auf ihre Anwesenheit beseitigt.«
Elijahs Urteil machte Isabeau Mut. Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln. »Ich wollte gerade zurückgehen, als Ottila auftauchte. Er hat mir den Fluchtweg abgeschnitten. Wir befanden uns tief im Gebüsch, und ich war ziemlich sicher, dass Jeremiah ihn dort nicht gut treffen konnte. Erst später habe ich erfahren, dass die beiden Schurken mit einer Rückendeckung im Wald gerechnet hatten, und Ottila Jeremiah ködern sollte, während Suma Jagd auf ihn machte.«
Conner legte eine Hand auf Isabeaus, damit sie aufhörte, nervös mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. »Keiner konnte das wissen, Isabeau.«
»Kann sein, aber ihr hättet ihn wahrscheinlich eher durchschaut. Er hat nur geredet, anstatt etwas zu tun. Er wusste, dass Harry und Alberto jeden Augenblick zu uns stoßen konnten, trotzdem hat er immer weitergeschwafelt. Ich hätte Verdacht schöpfen sollen. Aber ich bin ihm erst auf die Schliche gekommen, als er mir voller Hohn erzählt hat, was Suma da gerade tat. Ich habe versucht, ihn auf offenes Terrain zu locken, indem ich mit ihm gesprochen habe und langsam rückwärtsgegangen bin. Er ist mir gefolgt, und dann hat er mich gepackt, und als ich das Signal gegeben habe, kam kein Schuss von Jeremiah.«
Isabeau biss sich fest auf die Lippe, die Erinnerung an diesen Augenblick war schrecklich. Im Garten hatte sie ihrer Furcht nicht nachgeben dürfen, doch nun, wo sie weit weg von Ottila bei Elijah und Conner in Sicherheit war, begann sie zu zittern. Beschämt schlug sie die Augen nieder, doch sie war entschlossen, Conner alles zu erzählen. »Und dann wurde sie ganz liebebedürftig.«
Conner setzte sich gerader hin. Elijah nahm noch einen Schluck Kaffee. »Weiter«, drängte Conner.
Den Mut dazu fand Isabeau nur, weil seine Hand auf ihrer ruhte. »Ottila wurde handgreiflich, und als er mich wegzerren wollte, hat meine Leopardin ihm den Arm zerkratzt. Sie hat ihn markiert. Ottila hat mir irgendwie das Gefühl gegeben, als hätte ich etwas Falsches getan – als hätte ich nicht nur aus reinem Selbstschutz gehandelt. Es war die Art, wie er es sagte.«
Über Isabeaus Kopf hinweg wechselte Conner einen Blick mit Elijah. Dann zog er ihre Hand an seine Lippen und knabberte wieder an ihren Fingerspitzen. »Ist schon in Ordnung, Isabeau. Du bist aus der Situation herausgekommen. Und dazu hast du die Mittel eingesetzt, die dir zur Verfügung standen, du bist nicht in Panik geraten.«
»Aber was wollte Ottila mir sagen?«
»Dass er jetzt das Recht hat, mit mir um dich zu kämpfen.«
Isabeaus Herz machte einen Satz. Ottila war stark. Und sehr selbstbewusst. Sicher hatte es etwas zu bedeuten, dass er sie vorhin nicht erschossen hatte, obwohl sie völlig ungeschützt gewesen war. Die beiden Leoparden hatten sich in einem wirren Knäuel herumgewälzt, aber sie war die ganze Zeit ein leichtes Ziel gewesen. Außerdem hatte sie ein Gewehr in den Händen gehalten, also musste Ottila klar gewesen sein, dass sie versuchte, einen Schuss auf Suma anzubringen, trotzdem hatte er sie nicht getötet.
Isabeau stützte den Kopf in die Hand. »Ich bin müde, Conner. Ich würde mich gern ein paar Minuten hinlegen. Vielleicht vorher noch duschen. Ich fühle mich schon schmutzig, wenn ich mit solchen Menschen bloß im selben Raum bin.«
»Weiter hinten im Wald gibt es ein Feriendorf, das dem Sohn des Doktors gehört. Dort quartieren sich hauptsächlich Leopardenmenschen ein. Es kennt fast keiner, denn es wird keine Werbung dafür gemacht, nur durch Mundpropaganda weiterempfohlen. Da könnten wir die Nacht verbringen. Es gibt verschiedene Häuser. So wären wir nah genug bei Jeremiah, um ein Auge auf ihn zu haben, und trotzdem gut untergebracht. Die Straße, die wir gekommen sind, sieht aus wie eine Sackgasse, aber ungefähr eine Meile von hier zweigt ein kleiner Seitenweg ab, der tiefer in den Wald hineinführt. Die meiste Zeit des Jahres ist er passierbar, es sei denn, es hat ordentlich geregnet.«
Der Doktor kam in die Küche; er sah müde aus. Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf fallen. »Der Junge wird’s überleben, aber seine Stimme hat gelitten. Und er wird das Schlucken üben müssen. Aber er atmet, das ist das Wichtigste.« Der Doktor seufzte und sah Conner direkt in die Augen, sein Blick war streng. »Willst du mir erzählen, was passiert ist? Du hast den Jungen nicht so zugerichtet, oder?«
Conner wirkte leicht schockiert. »Natürlich nicht. Aber ich hätte darauf kommen können, dass es danach aussieht. Der Junge wurde angegriffen, und ich bin ihm zu Hilfe gekommen. Elijah hat ihn in Sicherheit gebracht. Sie wollen sicher nichts damit zu tun haben, Doc.«
»Dadurch, dass ihr den Jungen hergebracht habt, stecke ich bereits mit drin.«
Conner zuckte die Achseln und sah zu Elijah hinüber.
»Imelda Cortez hat Kinder aus Adans Dorf entführt. Auch mein Halbbruder ist dabei. Und sie hat meine Mutter getötet.«
»Oh.« Der Doktor war schwer zu erschüttern, doch diese Nachricht traf ihn sichtlich. »Wenn das so ist, lasst mich meinen Sohn anrufen, um euch eine Unterkunft zu besorgen. Die anderen brauchen etwas Warmes im Bauch, damit sie durchhalten, bis ich dich wieder zusammengeflickt habe.«