12. Kapitel

Die Verwandlung war das Furchterregendste, was MaryAnn sich vorstellen konnte, wie ein qualvolles Versterben und eine Wiedergeburt. Sie wusste, dass das Gleiche auch ihr bevorstand und dass Manolito, nachdem er Luiz' Qual gesehen hatte, nicht mehr so sicher war wie vorher, es bei ihr riskieren zu wollen. Doch merkwürdigerweise war sie tatsächlich zu jedem Risiko bereit, denn was sie heute hier gelernt hatte, war das: Manolito De La Cruz war erheblich mehr als ein gut aussehender, arroganter Mann, und sie war schon weitaus mehr als nur verliebt in ihn.

Geschickt flocht sie ihr Haar zu einem dicken Zopf, eine vertraute Aufgabe, die sie beruhigte, während sie daran dachte, was Manolito heute alles durchgemacht hatte und ihr erneut die Tränen kamen. Seine Brüder hielten ihn für verrückt. Doch er hatte den Jaguarmann mit großer Sorgfalt und Respekt behandelt und einen hohen Preis dafür gezahlt. Er hatte gewusst, dass sie in seinem Geist war, Luiz half und ihn beruhigte, so gut sie konnte, und hätte alles getan, um ihr das Erlebnis zu ersparen, aber nun fühlte sie sich ihm nur noch näher.

Sie zog ein mitternachtsblaues Spitzenhöschen an, mit schmalen Goldkettchen an den Hüften, in dem sie sich auch unter den ärgsten Umständen sexy und wagemutig fühlte. Ihr königsblauer Rock war wadenlang und fiel in breiten Rüschen auf die kniehohen blauen Lederstiefel mit Aufschlägen, die sie dazu angezogen hatte.

Das butterweiche Leder war wie eine zweite Haut an ihren Füßen und wisperte verführerisch beim Gehen. Der Rock brachte ihren hübsch gerundeten Po sehr vorteilhaft zur Geltung, und sie würde jeden Vorteil brauchen können bei Manolito, wenn sie mit ihm über die Bedingungen ihrer Beziehung sprach. Denn heute hatte sie den Entschluss gefasst, dass sie es miteinander versuchen sollten.

Ihr zu dem Höschen passender Push-up-BH gab ihren Kurven etwas sehr Verführerisches und unterstrich den Sitz ihrer kurzen, ebenfalls königsblauen, ärmellosen Bluse mit den kleinen Perlenknöpfen vorne. Accessoires waren alles, und sie besaß jede Menge. Als sie Armreifen über ihre Handgelenke streifte, beschwor sie Manolitos Bild herauf.

Sein Lächeln. Sein dichtes, rabenschwarzes Haar, das sogar noch glänzender und üppiger war, als sie es am Abend zuvor wahrgenommen hatte. Seine Augen. Oh Gott, er hatte solch glutvolle, gebieterische Augen und einen so sündhaft schönen Mund ... und warum zum Teufel zog sie sich dann so an, als wollte sie ihn verführen? Sie versuchte, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen, und ihre Aufmachung war auf jeden Fall dazu angetan, seine Aufmerksamkeit – oder mehr als das – zu wecken. Sie spielte mit dem Feuer, und sie kannte das Leben gut genug, um zu wissen, dass sie später nicht weinen durfte, wenn sie sich daran verbrannte.

Von der Anspannung in dem Haus war nichts mehr zu spüren, und auch MaryAnn atmete tief aus und setzte sich auf ihr Bett, um auf Manolito De La Cruz zu warten. Sie konnte die Uhr ticken hören. Ihr endloses, lautes Ticken. Er würde kommen. Bald. Sofort. Sie wartete, doch als die Minuten verstrichen, verblasste auch das Lächeln auf ihrem Gesicht. Ein paar weitere Minuten später knirschte sie vor Wut schon mit den Zähnen. Er würde sie doch wohl nicht wie ein unartiges Kind in ihrem Zimmer eingesperrt lassen? Manolito täte besser daran zu kommen. Auf der Stelle. Bevor sie ihr liebevolles, nachsichtiges Wesen ein für alle Mal verlor.

Sie ging zur Tür und hieb mit ihrer Faust dagegen. »Nun komm schon, Dschungelmann. Jetzt reicht es aber langsam. Lass mich hier raus!«

Nichts rührte sich auf ihre Forderungen. Sie würde ihn mit ihren bloßen Händen umbringen! Ihre pazifistischen Überzeugungen waren verlorene Liebesmüh im Regenwald und völlig überholt bei ihrem Dschungelmann. »Ich nehme alles zurück, was ich jemals Positives über dich gesagt habe«, brüllte sie die Tür an und schlug zur Unterstreichung noch einmal mit der flachen Hand darauf. Genau an der Stelle, wo sein Gesicht sein müsste. »Du brauchst jemanden, der dir mal ordentlich was auf deinen sturen Kopf gibt!«

Und nicht einmal ein richtig harter Schlag würde genügen. Vielleicht würde sie sich andere, brutalere Bestrafungen ausdenken müssen, doch dazu fehlte ihr die Fantasie. Peitschen und Ketten. Aber die beschworen Bilder von schwarzen Lederstiefeln mit Stilettoabsätzen herauf, von Netzstrümpfen und einem ledernen Bustier. Und das kam natürlich absolut nicht infrage, weil Manolito nicht verdiente, dass sie sich die Mühe machte. Was er brauchte, war eine Abreibung, die er nie vergessen würde. Keine sexy Lederklamotten und Stiefel mit Stilettoabsätzen, sondern eine dieser schauderhaften Fernsehshows, bei denen Männer in Käfigen kämpften und sich gegenseitig mit den Fäusten bearbeiteten, wäre genau das Richtige für ihn.

Die Tür wurde geöffnet, und Manolitos breitschultrige Gestalt erschien im Rahmen. Mit einem ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck stand er da, blickte auf sie herab und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich glaube, es ist besser, wenn du nur Gutes von mir denkst.«

Sie öffnete schon den Mund, um ihn mit Worten zu attackieren, aber dann schloss sie ihn schnell wieder. Er sah erschöpft aus. Total erschöpft von seinem Kampf, zwei Leben zu retten, sie selbst zu heilen und die zwei Welten, in denen er lebte, auseinanderzuhalten. MaryAnn spürte die Erschöpfung wie eine große Last auf seinen Schultern – und auf ihren. Sie wusste, was er durchgemacht hatte, und warum er versucht hatte, ihr das alles zu ersparen.

MaryAnn stützte die Hände in die Hüften und taxierte ihn von Kopf bis Fuß. »Wie ich sehe, hast du es geschafft, dich vollkommen zu überanstrengen. Hat dein Bruder dir noch etwas Blut gegeben?« Sie kam sich sehr mutig vor, als sie die Frage stellte und sich zwang, sich mit seinem Wesen auseinanderzusetzen, ohne vor seinen makabren Bedürfnissen zurückzuschrecken.

Ein schwaches Lächeln ließ die harte Linie seines Mundes etwas weicher erscheinen und vertrieb die Düsternis aus seinen Augen. »Du hast recht, ich habe mich überanstrengt. Du siehst übrigens bezaubernd aus, MaryAnn. Ein Blick auf dich, und alles andere ist vergessen.« Er streckte seine Hand aus. »Komm mit.«

Sie wollte so unbedingt mit ihm allein sein, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. »Wohin?«

»Ich habe eine Überraschung für dich.« Er hielt die Hand noch immer ausgestreckt, und sein Blick wich nicht von ihrem.

Tief ausatmend legte sie ihre Hand in seine. Sogleich schlossen sich seine Finger um ihre und zogen sie an seinen warmen Körper. Sie konnte seine Hitze und die unwiderstehliche Anziehungskraft ihrer geistigen Verbindung spüren.

»Luiz?«

»Er ist gut bewacht unter der Erde. Diesmal haben wir Schutzzauber benutzt, die mit Sicherheit kein Magier wieder entfernen kann. Es ist lange her, seit wir mit dieser Spezies zu tun hatten, und im Laufe der Jahrhunderte sind wir unvorsichtig geworden. Dieser jüngste Kampf mit ihnen dürfte uns gelehrt haben, stets an sie zu denken, wenn wir unsere Häuser und Schlafzimmer mit Schutzzaubern versiegeln. So ein Fehler wird nicht noch einmal passieren.«

»Danke für alles, was du für ihn getan hast.«

Er beugte sich vor und strich mit den Lippen über ihre, ganz zärtlich und behutsam, als kostete er sie nur. »Gern geschehen. Wir werden sehen, wie Luiz über all das denkt, wenn er die Erde wieder verlassen kann.«

Manolito würde Luiz' natürliche Instinkte hinsichtlich der Nahrungsaufnahme unter Kontrolle halten müssen. Luiz hatte schon jahrelang Jaguarinstinkte, und er würde beim Erwachen völlig ausgehungert sein. Wenn er dem Bedürfnis nachgab, seine Beute zu töten, würde Manolito ihn schnell und effektiv beseitigen müssen, doch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken, sondern seine Gedanken ausschließlich auf MaryAnn, seine Gefährtin, konzentrieren. Er wollte weder an die Schattenwelt, die reale Welt oder die Schwierigkeiten denken, in die er sich gebracht hatte, nur um einen Ausdruck der Dankbarkeit auf dem Gesicht einer Frau zu sehen.

»Er kann jetzt keinen Schmerz empfinden, oder doch?«

Manolito zog ihre Hand unter sein Kinn und glitt streichelnd mit dem Daumen über ihre Haut. »Nein. Es geht ihm gut. Er wird ein oder zwei Nächte unter der Erde bleiben, ehe er sich wieder erhebt, und dann werde ich bei ihm sein, um ihm so gut wie möglich zu helfen.«

»Und Solange?«

»Juliette und Riordan sind bei ihr.« Manolito zog MaryAnns Fingerknöchel an seine Lippen. »Das Haus ist gesäubert und gesichert. Alles ist still. Ich will dich von hier wegbringen, um dich ein bisschen für mich allein zu haben.«

Ihr Herz machte einen seltsamen kleinen Sprung. Mehr als alles andere wünschte sie, mit ihm allein zu sein. Sie hatte sich sorgfältig angezogen und dafür gesorgt, dass sie gut aussah, um den Mut zu haben, sich mit ihm und dem, was auch immer zwischen ihnen war, auseinanderzusetzen. Aber jetzt, da er vor ihr stand und besser aussah, als ein Mann aussehen durfte, war sie nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war, mit ihm allein zu sein. Er war viel zu sexy und verführerisch. Sie wollte nicht nur eine sexuelle Beziehung zwischen ihnen, und ihre neu entdeckten Gefühle machten sie anfälliger denn je für ihn.

»Ich finde meine Gefährtin überaus faszinierend und würde sie sehr gern besser kennenlernen«, fügte er hinzu. Er versuchte nicht, MaryAnn zu beeinflussen; es war weder ein Befehl noch eine Forderung, sondern nur eine simple Feststellung. Aber sie klang so aufrichtig, dass sie MaryAnns Barrieren sprengte.

»Bist du sicher, dass ich vorher nicht nach Jasmine und Solange sehen sollte? Schließlich bin ich hergekommen, um ihnen zu helfen, auch wenn ich leider nicht viel Gutes bewirkt habe.«

»Du hast geholfen, ihnen das Leben zu retten«, sagte er und legte den Arm um sie. »Solange schläft, und Juliette ist bei ihrer Schwester.« Manolito atmete tief ein und sog hungrig MaryAnns Duft in seine Lungen. »Ich brauche dich.« Seine Stimme war rau vor Sehnsucht, seine schwarzen Augen funkelten vor sinnlicher Begierde.

MaryAnn nickte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Puls hämmerte, und die zarten Spitzen ihrer Brüste richteten sich auf. Ihr Mund wurde trocken, und sie befeuchtete ihre Lippen und sah, wie aufmerksam Manolitos Blick ihrer Bewegung folgte.

»Ich weiß nicht, ob das nicht gefährlich ist.«

»Dir wird nichts geschehen«, versprach er und strich mit dem Daumen die Konturen ihrer Lippen nach. »Nicht, solange ich bei dir bin.«

»Du!« Sie konnte kaum atmen, vom Reden ganz zu schweigen. »Du bist bei mir nicht sicher. Ich reagiere immer so verrückt auf dich.« Das Beste war, ganz aufrichtig zu sein und es ihm gleich zu sagen. »Die Sache ist die, dass ich vor langer Zeit gewisse Regeln für mich aufgestellt habe.«

»Regeln?« Er zog fragend eine Augenbraue hoch, aber sein Blick verweilte nach wie vor auf ihrem Mund.

»Ja. Für mich. Für Männer. Ich schlafe nicht mit jedem.« Oh nein ! Das hörte sich ganz anders an, als es gemeint war, weil sie einfach nicht klar denken konnte, wenn er sie so ansah.

»Ich bin froh über deine Regeln.«

Seine Mundwinkel zuckten vor Belustigung, was ihn jedoch höchstens noch verführerischer machte. Wie konnte sie ihm das Gefühl erklären, dass ihre Selbstachtung und jahrelang geübte Selbstbeherrschung jeden Augenblick den Bach hinuntergehen würden? Wenn sie mit ihm allein war, würde sie alles tun, um ihn zu verführen, oder ihn schlicht und einfach auffordern, sie gegen die nächste Wand zu drücken und es mit ihr zu treiben ...

Eine bequeme Beziehung mit einem Mann hatte sie nie gewollt. Entweder hemmungslose Leidenschaft oder gar nichts, hatte sie gedacht, und entschieden hatte sie sich dann für gar nichts. Aber sie hatte sich immerhin die wildesten Fantasien über eine Beziehung zu einem Mann erlaubt. Und jetzt war alles da, wovon sie je geträumt hatte.

MaryAnn war sich ziemlich sicher, dass Manolito De La Cruz der aufregendste Mann auf Erden war. Mit seinen Blicken, der Haltung seiner breiten Schultern, den schmalen Hüften und der nicht zu übersehenden Wölbung unter seinen Jeans strahlte er eine unwiderstehliche Sinnlichkeit aus. Seine Augen waren halb geschlossen und dunkel vor Verlangen nach ihr. Aber obwohl dieses unverhohlene Begehren in seinen Augen ihr Herz außer Kontrolle brachte und ihren Körper schier zerfließen ließ, war das Problem Folgendes: Der Mann in ihren Fantasien war nicht nur ganz wild nach ihr, sondern auch sehr verliebt in sie gewesen. Und das eine ohne das andere war für sie nicht akzeptabel.

»Wenn ich jetzt wieder mit dir gehe, Manolito, weiß ich nicht, ob ich danach noch mit mir leben kann.«

»Ich werde nichts tun, womit du nicht leben kannst.«

Dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen hoffte er, Dinge zu tun, ohne die sie nicht leben konnte, und das war genau das, was sie befürchtete. Weil sie diese Dinge wollte. Weil sie wollte, dass er sie all das lehrte, von dem sie geträumt hatte, dass er sie liebte und ihr zeigte, dass ihre Fantasien real sein konnten.

»Du schließt mich aus deinem Bewusstsein aus.«

War das Gekränktheit in seiner Stimme? Das Letzte, was sie wollte, war, ihn zu verletzen. »Ich weiß nicht, wie ich dich in mein Bewusstsein lassen oder dich daraus ausschließen kann. Es ist mir wirklich völlig schleierhaft, wieso ihr alle glaubt, ich hätte übersinnliche Kräfte. Jasmine dachte, ich hätte sie vor dem Magier gerettet. Und dabei war nur der Wind so stark, dass ein Ast abbrach und auf ihn stürzte. Das war nicht mein Werk. Wie hätte ich das bewerkstelligen sollen?«

In gewisser Weise war sie froh, dass Manolito nicht in ihren Geist eindringen konnte. Wenn es von ihr abhinge, würde er nie hineingelangen. Das fehlte gerade noch, dass er ihre Fantasien las und sie sich in noch größere Schwierigkeiten brachte – weil ihre Fantasie, wenn es um Sex ging, nämlich wirklich viel zu lebhaft war.

Manolitos dunkle Augen glitten besitzergreifend über ihr Gesicht. »Komm mit mir, MaryAnn. Lass mich dir meine Welt zeigen.«

Das wäre ein Fehler. Sie riskierte noch mehr Probleme, wenn sie es tat. Aber dann seufzte sie. Natürlich würde sie mit ihm gehen. Weil sie den Verstand verloren hatte, weil sie ihn in ihrem Mund noch immer schmecken konnte, seine Hände auf ihrem Körper spürte und sich nach ihm verzehrte. »Ich nehme das Pfefferspray mit.«

Sein Lächeln löste ein erwartungsvolles Erschauern und ein schon fast schmerzhaftes Ziehen zwischen ihren Schenkeln aus. Sie atmete so tief aus, als wäre sie gerade von einem Kliff gesprungen.

»Ich hätte auch nicht weniger als Pfefferspray erwartet«, erwiderte er mit von Belustigung geprägter Stimme.

Dieser kleine Anflug von Humor, der etwas Seltenes bei ihm war, erhöhte noch seinen Reiz. Sie hob den Blick zu ihm empor und verlor sich in seiner absoluten Konzentration auf sie, die sie dort sah. Im Moment existierte nichts und niemand außer ihr für ihn.

Mit exquisiter Zärtlichkeit nahm er sie in die Arme und zog sie langsam an sich hinauf. Sein Körper war heiß und hart, sein Duft unglaublich maskulin. Sein pechschwarzes Haar fiel ihm ins Gesicht, als er sie an sich presste, sodass sie seine männliche Erregung an ihrem sehr viel weicheren Körper spüren könnte. »Leg deine Arme um meinen Nacken und deine Beine um meine Taille. Falls du noch immer Angst vorm Fliegen hast, drück dein Gesicht an meinen Hals, dann siehst du nichts. Verlass dich darauf, dass ich mich immer um dich kümmern werde, MaryAnn.«

Es lag etwas grenzenlos Intimes in dem Tonfall seiner samtig rauen Stimme, etwas Verheißungsvolles und so Schockierendes, als wäre er die personifizierte Sünde, die nach ihr griff, um sie in eine Welt aus purer Leidenschaft hineinzuziehen. Der Doppelsinn seiner Worte ließ sie vor Begehren erschauern. MaryAnn rang um Beherrschung, und dieser Mann war nur darauf aus, sie ihr zu nehmen. Sogar ihr Puls passte sich dem Rhythmus des seinen an, und ihr Herz schlug im gleichen Tempo wie seines. Die Versuchung, ihre eigenen Tabus zu brechen, war so stark, dass sie ihre Hände für einen Moment unter sein Haar schob und sich erlaubte, seine kühle, seidige Fülle über ihren Fingern zu genießen.

Sie schloss die Augen, als sie keinen Boden mehr unter den Füßen spürte. Es war unglaublich, aber dieser Mann raubte ihr so spielend leicht den Atem und brachte sie so mühelos aus dem Konzept, dass sie vergaß, dass sie MaryAnn, die Psychologin, war und sich nur noch durch und durch als Frau empfand. Die Biegung seines Halses war warm und einladend, und sie schob Manolitos Hemd beiseite, um ihr Gesicht an seine nackte Haut zu legen. Als sie zärtlich ihre Lippen darübergleiten ließ, durchrieselte ein wohliges Erschauern seinen starken Körper.

Die Nacht war überraschend warm. Während er mit ihr durch den Wald flog, konnte sie hören, wie alle Geräusche verstummten, als Tiere, Vögel und Insekten ihre Präsenz wahrnahmen. MaryAnn lief es kalt über den Rücken, denn ihr wurde bewusst, dass die Tierwelt die Nähe eines Raubtiers spürte. Trotzdem war es unmöglich, sich nicht ungemein lebendig mit Manolito zu fühlen. Er erzeugte eine Energie, die sinnlich und erregend, vor allem aber auch gefährlich war, verlockte sie mit seinem unersättlichen sexuellen Appetit nach ihr und seinem Bedürfnis, auch ihre erotischen Bedürfnisse und Wünsche zu verwirklichen.

Trotz seiner überwältigenden Sinnlichkeit und ihrer Leidenschaft für ihn bestand das allergrößte Risiko jedoch darin, ihn in ihr Herz zu lassen. Er war so hilfsbereit und gab so viel von sich, ohne einen Gedanken an die Folgen für ihn selbst zu verschwenden, und kein anderer Wesenszug bei einem Mann hätte sie mehr ansprechen können. Außerdem war er von schonungsloser Ehrlichkeit in allem, und auch das sprach sie sehr an. Er offenbarte ihr seine Verwundbarkeit, wenn er von Dingen sprach, die er in einer anderen Welt sah und hörte. Er ließ sie vorbehaltlos in sein Innerstes hinein.

Und genauso öffnest du mir dein Bewusstsein.

MaryAnn wurde so warm, als hätte er sie in einen samtenen Umhang eingehüllt. »Habe ich das getan?«

Wenn ja, hatte sie nicht an die Gefahr gedacht, ihm ihren Geist zu öffnen. Nur an die, ihn in ihr Herz zu lassen. Sie ließ ihr Gesicht an seinem Nacken liegen, als sie sich weiter durch die Luft bewegten.

Jetzt schau dich doch mal um.

»Ich habe Höhenangst.«

Sie hatte Angst, dass ihr gefallen könnte, was er ihr zeigen wollte. Angst, diesen Mann zu lieben und ihr Leben, für das sie so hart gearbeitet hatte, für immer zu verändern. Sie liebte ihre Arbeit, weil sie wusste, dass sie anderen damit helfen konnte, und sie liebte ihre Unabhängigkeit. Und da war auch dieses furchteinflößende Etwas in ihr, das sie strikt unter Verschluss hielt, weil es ihr solche Angst einjagte, doch dieses Etwas fühlte sich sehr stark zu Manolito hingezogen. In der Stadt, wo sie von Menschen und hektischer Geschäftigkeit umgeben war, verhielt es sich ruhig und blieb unter Kontrolle. Hier jedoch, bei diesem Mann, konnte sie spüren, wie es in ihr wütete und sich zu befreien versuchte. Und sie wagte nicht, es freizulassen.

Seine Lippen strichen über ihren Kopf. Du wirst keine Angst haben, ich verspreche es dir. Du wirst nur meine Welt so sehen, wie ich sie sehe.

MaryAnn schloss kurz die Augen und drückte sich noch fester an ihn. Genau das war es, was sie befürchtete. Sie wollte keine Schönheit in dem Dschungel sehen, sondern höchstens die Insekten. Schwärme lästiger Insekten. Und Blutegel. Denn die gab es hier, das wusste sie. Wenn sie hinschaute, würde sie sich nur auf diese Dinge konzentrieren. Das war das einzig Sichere. Mit einem Bild von großen, fetten, blutsaugenden Insekten im Sinn, hob sie vorsichtig den Kopf und schaute sich um.

Manolito und sie befanden sich hoch oben im Blattwerk eines riesigen Baumes, und als MaryAnn hinunterschaute, sah sie, wie sich die Lianen unter ihnen verflochten und nach und nach eine stabile Plattform bildeten. Immer höher schlangen sie sich hinauf und verwoben sich miteinander, bis sie ein ebenso solides Geländer formten, damit MaryAnn in den Baumwipfeln herumspazieren konnte, als befände sie sich daheim auf einer Dachterrasse. Langsam entließ Manolito sie aus seinen Armen und sah, wie sie ihr Gesicht gen Himmel richtete.

MaryAnn hielt den Atem an, als sie sich umschaute. Ein dünner Nebelschleier lag vor dem mitternächtlich dunklen Himmel, an dem die Sterne funkelten wie Diamanten. So hoch oben in den Bäumen war es beinahe so, als könnte sie den Mond berühren. Und obwohl der Mond noch längst nicht voll war, bot er einen zauberhaften Anblick. MaryAnn ging zu dem Geländer, hielt sich mit beiden Händen fest und blickte hinunter. Sie sah Baumkronen, deren Blätter statt grün silbern schimmerten, Äste, die Gehwege für Tiere bildeten, sie hörte das Geflatter von Vögeln, deren farbenfrohe Federn sich in den Mondstrahlen spiegelten, als sie sich zum Schlafen in den Bäumen niederließen. Nebelfetzen, die zwischen den Baumstämmen aufwaberten, verstärkten noch die Aura des Geheimnisvollen.

An das Geländer gelehnt, drehte MaryAnn sich zu Manolito um und betrachtete ihn fasziniert. Er gehörte zu der Nacht, war wie der Fürst der Dunkelheit. Seine markanten Züge verliehen seinem Gesicht ein edles, maskulines Aussehen, und sein schön geschnittener Mund hatte sowohl etwas Sinnliches wie Grausames. Gefahr und Leidenschaft. MaryAnn drückte ihre Hand an ihren Bauch, um das jähe Flattern darin zu beruhigen.

»Es ist wunderschön, Manolito. Danke, dass du mich hierhergebracht hast.«

Hier gab es weder den Geruch nach Blut noch Tod. Keine jungen Frauen mit Entsetzen in den Augen. Nur die Nacht und Manolito.

MaryAnn lächelte ihn an. »Ich kann den Nebel spüren, aber er ist gar nicht kalt, und auch meine Kleider sind nicht feucht.«

»Ich bin Karpatianer. Ich kann solche Dinge steuern.« Er schwenkte die Hand, und das Laub begann, sich mit Blumen zu verflechten, und ein dickes, weiches Bett zu formen.

MaryAnns Herz schlug in freudiger Erwartung schneller.

»Warum hast du dein Haar zu einem Zopf geflochten? Es ist so schön mit seinen Locken und Wellen und dieser wundervollen Farbe, die im Mondlicht schimmert. Warum trägst du es nicht offen?« Er streckte seine Hand schon nach dem Band aus, mit dem sie es einigermaßen zu bändigen versucht hatte.

Doch sie ergriff seine Hände, um ihn aufzuhalten. »Ich habe von Natur aus krauses Haar, Manolito. Bei diesem Wetter würde es wie eine Löwenmähne aussehen, und ohne einen Friseur in der Nähe hätte ich ernstliche Probleme.«

»Es ist wild und wunderschön.« Seine Finger waren schon dabei, das Band von ihrem Haar zu streifen.

»Du verstehst nicht, Manolito. Mein Haar ist mehr als wild. Ich könnte Tonnen von Produkten benutzen, um es einigermaßen in Form zu halten, aber der Nebel würde es mir ins Gesicht und in die Augen spülen, und das würde brennen und Streifen hinterlassen und ganz furchtbar aussehen. Also lass es bitte, wie es ist.« Sie versuchte, ihrer Stimme eine gewisse Schärfe zu verleihen, was jedoch unmöglich war mit seinen warmen Fingern an ihrem Nacken, die langsam ihren Zopf entflochten. Sie schaffte es bloß, sehr atemlos zu klingen.

»Der Rock gefällt mir auch. Danke, dass du ihn mir zuliebe angezogen hast.«

Das stimmte. Sie hatte ihn nur seinetwegen angezogen. Sie verriet viel zu viel von sich, aber sie wollte auch nicht weniger ehrlich sein, als er es war. Der Rock und die Bluse waren nicht nur super feminin, sondern sie fühlte sich auch sexy und begehrenswert darin. So, wie sie sich für ihn fühlen wollte. Sie hoffte nur, dass er sie auch so sah.

»Es ist einer meiner Lieblingsröcke.« War das ihre Stimme? Sie klang verführerischer als seine, und das wollte sie nicht. Vorher wollte sie ihn besser kennenlernen, wollte eine Gelegenheit... zu allem.

Ihr Haar, das nun aus dem Zopf befreit war, umschmeichelte ihr Gesicht und ihre Schultern. Manolito schob seine Hand darunter, um ihren Nacken zu umfassen, und sein Daumen glitt darüber, als erfreute er sich an der Wärme ihrer Haut. Eine unerwartete Zärtlichkeit lag in der Berührung, die MaryAnn mit einer süßen, trägen Hitze durchflutete. Sie konnte sie bis in ihre Zehen spüren und hatte plötzlich Schwierigkeiten mit dem Atmen.

»Tut dein Bein weh?«

Die Erinnerung an seinen Mund an ihrem Bein und das Gefühl seiner Zunge auf ihrer Haut weckten eine weitere Welle wohliger Empfindungen in ihr. Sie schüttelte den Kopf, aus Angst, etwas zu sagen, solange sein Daumen die empfindsame Haut unter ihrem Ohr liebkoste und ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte.

»Komm, leg dich mit mir hin und schau dir die Sterne an, während wir uns unterhalten.«

Sie war nicht sicher, ob sie imstande sein würde zu reden, ohne nur dummes Zeug daherzuplappern oder, was noch schlimmer wäre, um seine Berührung zu betteln.

Vorsichtig ließ sie sich auf dem Bett aus Laub und Blumen nieder und versuchte, an Insekten, Ameisen und Blutegel zu denken, doch die Blumen gaben einen wundervollen Duft ab, und das Bett war weicher als die beste Matratze, auf der sie je gelegen hatte. Aus Angst blieb sie aber trotzdem sitzen.

Manolito griff nach einem ihrer Beine, zog den Reißverschluss ihres Stiefels herunter und streifte ihn ihr ab. »Du kannst es dir auch ruhig bequem machen, MaryAnn.«

In seiner Berührung lag etwas Gebieterisches, doch seine Stimme war sanft und fürsorglich. MaryAnn erhob keinen Widerspruch, sondern ließ sich einfach nur die Stiefel von ihm ausziehen und sie beiseitestellen, damit sie ihre Knie anziehen konnte. Er schenkte ihr ein kleines, etwas spöttisches Lächeln, legte sich neben sie und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.

»Ich dachte, ich würde mich hier oben fürchten«, gestand sie, um das Schweigen zu brechen. Und um ein sicheres Gesprächsthema zu haben.

»Du fürchtest dich ja auch.«

»Das ist eine ungewohnte Situation für mich.« Sie warf einen raschen Blick über ihre Schulter. Völlig ruhig und entspannt lag Manolito neben ihr, was allerdings täuschte, da MaryAnn die von ihm ausgehende Hitze spüren konnte und die Ausbuchtung unter seinen Jeans sah, die er nicht einmal zu verbergen versuchte. Auch sein Gesicht war von unverhohlenem Verlangen geprägt, und er verschlang sie buchstäblich mit seinen Blicken.

Er zog einen Arm unter seinem Kopf hervor, legte seine warmen Finger an ihr Bein und begann, sie durch die dünne Seide ihres Rockes zu streicheln. »Ich bin dein Gefährte, MaryAnn, dein Ehemann. Du brauchst keine Angst zu haben vor den Dingen, die ich von dir will. So wie dein Haar, deine Haut und deine Gedanken ist auch das, was zwischen uns ist, so natürlich wie das Atmen.«

»Ich kenne dich nicht gut genug für diese Art Vertrauen. Eine Frau wie ich muss einem Mann voll und ganz vertrauen, um ihm all das zu geben, worum du mich bittest.«

»Ich bitte nicht.« Ein leises Lächeln schwang in seiner Stimme mit.

Nein, er forderte. Verärgert legte sie das Kinn auf ihre Knie und überlegte, ob sie ihm nicht einen kurzen Überblick über menschliche Regeln geben sollte.

Mit aufreizend langsamen Bewegungen ließ er seine Finger über ihr Knie und dann wieder zu ihrem Oberschenkel hinaufwandern. »Ich bin nicht menschlich, sivamet, und mehr alles andere möchte ich meiner Gefährtin Vergnügen schenken. Was ist daran so falsch?« Er klang aufrichtig verwundert.

»Vielleicht will ich das ja nicht.«

Sein leises, sexy Lachen weckte die gleichen wohligen Empfindungen in ihr wie die erotischen Liebkosungen seiner Finger. »Aber sicher willst du das. Es ist das, was dir am meisten Angst macht, aber auch das, was du am meisten willst. Und da ich weiß, dass du bei mir sicher bist, besteht kein Grund, es dir zu verweigern.«

»Das wird noch einige Zeit erfordern, fürchte ich.« Seine Berührung war sanft, aber die sich langsam erhitzende Seide an ihrer Haut bewirkte, dass ihre Muskeln sich zusammenzogen.

»Das glaube ich nicht, MaryAnn. Wenn wir uns lieben und ich ganz tief in dir bin, vertraust du mir mehr, als wenn wir nicht zusammen sind.«

Heiße Röte stieg in ihren Nacken und ihr Gesicht, bevor sie es verhindern konnte. Er hatte recht. Sie hätte alles getan, was er von ihr verlangte. Und hatte es auch schon getan. Aber es war zu viel, es ging ihr zu schnell. Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen. »Ich bin noch nicht so weit.«

»Na schön.«

Seine Antwort kam so unerwartet, dass sie sich umwandte, um ihn anzusehen. Das war ein Fehler. Seine schwarzen Augen glitzerten vor Besitzerstolz und unverhohlenem Verlangen.

Er klopfte auf die Matratze aus Laub und Blumen. »Leg dich zu mir. Dann reden wir.«

Es lag kein Zwang in seiner Stimme, aber trotzdem gehorchte sie ihm und streckte sich an seiner Seite aus. Schenkel an Schenkel, Hüfte an Hüfte. Sie blickte zum Himmel auf, betrachtete den funkelnden Nebel über ihnen und suchte nach einem Thema, das zu einem wirklichen Gespräch führen würde, bei dem sie vielleicht mehr darüber erfahren würde, wer und was er war.

»Lebst du gern hier?«

»Ich habe angefangen, dieses Land als mein Zuhause zu betrachten. Ich liebe alles hier. Den Regenwald, die Ranch, die Menschen und sogar die Pferde. Ich war kein besonders guter Reiter, als wir die Ranch anfangs betrieben.« Er lachte leise bei der Erinnerung daran. »An diese Zeit habe ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Wir hatten von nichts eine Ahnung, wollten aber unbedingt wie Menschen wirken. Zum Glück hatten wir die Familie Chavez, die uns dabei half. Wir hatten das Geld und sie das Wissen. Seitdem haben wir immer eng zusammengearbeitet.«

»Ich hätte dich gern gesehen, als du zum ersten Mal auf einem Pferd gesessen hast.«

»Glaub mir, ich verbrachte nicht viel Zeit im Sattel. Ich wollte ein Macho sein wie die Chavez-Brüder, und darum habe ich nicht meinen Geist benutzt, um das Pferd zu bändigen.«

MaryAnn entspannte sich ein wenig, als sie lachte. »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.«

Seine Fingerspitzen glitten wieder streichelnd über ihren Schenkel. »Ich bin froh, dass du nicht dabei warst – es sei denn, du hättest dieses Pferd für mich gebändigt.«

»Das wäre interessant gewesen und sehr verlockend, obwohl ich mir wirklich nicht erklären kann, warum du glaubst, ich hätte übernatürliche Fähigkeiten.«

»Weil du welche hast.«

»Falls das so ist, warum bin ich mir dann ihrer nicht bewusst, aber allem anderen schon? Ich meine, was tue ich schon, was dich auf diesen Gedanken bringt?«

Seine Finger begannen wieder mit diesem aufreizenden Streicheln durch die Seide ihres Rocks hindurch. »Du bist sogar ziemlich mächtig, MaryAnn. Du bündelst Energie und setzt sie ein, wenn du sie brauchst. Ich glaube, dass du das schon dein Leben lang getan hast, wahrscheinlich schon seit deiner Kindheit, deshalb ist es ganz selbstverständlich für dich.« Seine Hand glitt zu ihren verführerischen Locken, und er zupfte sanft daran, nur gerade so, dass sie ein leichtes Ziepen an der Kopfhaut spürte.

Trotzdem fühlte sie es bis in ihre Zehenspitzen, wie eine blitzartige Hitzewelle, die sie weder beherrschen noch verleugnen konnte. »Das tue ich nicht.« Jedenfalls nahm sie das an. »Wie sollte ich etwas anwenden, von dem ich nicht einmal etwas weiß? Wie sollte das denn funktionieren?«

Manolitos Hand bewegte sich von ihrem Haar zu ihrem Handgelenk, und er umschloss es sanft mit seinen Fingern. »Wenn ich das wüsste, päläfertiil, würde es mich nicht beunruhigen, dass du mich buchstäblich auf mein Hinterteil befördert hast.«

»Das habe ich nicht getan.«

»Oh doch.« Er zog ihre Hand an seinen Mund und begann, an ihrem Handballen zu knabbern. »Und es war ein ganz schön harter Stoß, kann ich dir sagen. Ich war richtig stolz auf dich – nachdem ich darüber hinweg war, dass meine eigene Frau mich niedergeschlagen hatte.« Seine samtig raue Zunge glitt streichelnd über die Innenfläche ihrer Hand und milderte den leichten Schmerz, den seine Zähne hinterließen. Seine heißen, feuchten Lippen, die sich fest um ihren Finger schlossen, entfachten tausend Heine Feuer auf ihrer Haut, die bis auf die empfindsame Stelle zwischen ihren Schenkeln übergriffen.

Der glutvolle Blick seiner schwarzen Augen glitt zu ihren Brüsten unter der dünnen Seidenbluse, die sich im Rhythmus ihrer schnellen Atemzüge hoben und senkten.

Sie befeuchtete ihre Lippen und unterdrückte ein Stöhnen, als er seine Aufmerksamkeit ihrem Mund zuwandte. »Bleib bei der Sache, Manolito. Ich möchte wirklich klären, inwiefern ich übernatürliche Fähigkeiten haben könnte«, sagte sie, weil seine Zärtlichkeiten allmählich ihr Denkvermögen zu beeinträchtigen begannen.

»Natürlich hast du welche. Du kannst Gedanken lesen und weißt genau, was du den Leuten sagen musst, um ihnen zu helfen, ihren Weg zu finden.«

MaryAnn lachte. »Ich hatte gehofft, eine vernünftige Erklärung von dir zu bekommen, statt Fantastereien. Ich habe lange studiert, um Psychologin zu werden. Ob ich gut in meinem Beruf bin oder nicht, hat nichts mit übernatürlichen Fähigkeiten zu tun. Ich bin hervorragend ausgebildet und habe viel Erfahrung.«

»Du kannst den Leuten in die Köpfe schauen. Du glaubst, es sei Instinkt, und vielleicht ist das ja auch nur ein anderes Wort für dein Talent. Du verlässt dich sehr auf deine Intuition.« Er drehte ihre Hand um und biss sie sanft in ihre Fingerknöchel. »Ein bisschen Intuition könnten wir jetzt gut gebrauchen.«

»Ich glaube nicht, dass übersinnliche Fähigkeiten sehr nützlich sind, wenn einem nicht einmal bewusst ist, dass man sie benutzt«, widersprach sie. Ein solches Talent zu besitzen, wäre natürlich cool, aber nicht, wenn sie nicht richtig damit umgehen konnte. »Mit dir kann ich telepathisch in Verbindung treten, doch nur wegen des Blutaustauschs. Zu mehr bin ich wirklich nicht imstande.«

»Da irrst du dich. Deine Macht ist sehr viel größer. Du kannst Leute aus deinem Bewusstsein hinauswerfen, wann immer du es willst. Das können nur sehr wenige, MaryAnn. Es ist eine faszinierende Fähigkeit.« Seine Hand glitt wieder zwischen sie und legte sich auf die dünne Seide ihres Rockes.

»Woher kommt das?«

»Dafür gibt es viele Quellen. Ich glaube, in allen Gesellschaften gab es einige wenige, die die Fähigkeit besaßen, Energie zu steuern. Einige Spezies sind stärker als andere, doch sobald sie sich mit den Jahren zu vermischen beginnen, findet man erstaunliche Talente oder auch überhaupt keine.«

Das machte Sinn. Sie fühlte die streichelnden Bewegungen seiner Finger, als er ihren Rock hinaufschob, um ihre nackte Haut darunter freizulegen. Ohne seine Haltung zu verändern, lag er neben ihr, blickte zu den Sternen auf und ließ wie geistesabwesend seine Hand über ihre schmale Hüfte und ihren schlanken Schenkel gleiten.

MaryAnn hielt den Atem an, und all ihre Muskeln verkrampften sich in Reaktion auf seine hauchzarte Berührung. »Was machst du da?«

»Dich mir einprägen. Du hast so weiche Haut. Es ist schwer, dich nicht zu berühren.«

Nicht, dass er sich große Mühe damit gab. Wieder befeuchtete sie ihre Lippen und versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Kanntest du die Jaguarleute, als es noch ziemlich viele von ihnen gab?«

»Die verwandlungsfähigen Spezies, insbesondere die der Jaguare und Werwölfe, waren immer in sich geschlossene Gesellschaften und hielten sich von anderen fern. Wir lebten alle nach dem Leitsatz ›leben und leben lassem, sodass wir keinen Umgang miteinander hatten, solange niemand Verbrechen in unseren Territorien beging. Karpatianer, Magier und Menschen standen sich nahe. Die anderen hielten sich von uns und voneinander fern. Die anderen ›Shifter‹, wie wir die verwandlungsfähigen Spezies nennen, verschwanden so schnell, dass sie heute kaum mehr als eine Erinnerung sind. Es war nur allzu offensichtlich, dass die Jaguarspezies nicht weiterleben konnte, wenn sie nicht für ihre Frauen und Kinder sorgte, doch die Jaguare weigerten sich, das einzusehen oder aus den Fehlern anderer Spezies zu lernen. Sie wollten ihre animalischen Instinkte behalten und ein freies Leben führen.«

MaryAnn schwieg sehr lange, beobachtete den schimmernden Nebel und das Geflatter und den Tanz von Fledermäusen, die am Nachthimmel Insekten jagten. Es lag etwas Schönes und Friedliches in dem seltsamen Ballett, das sie aufführten. Während Mary-Ann so dalag, konnte sie plötzlich verstehen, warum einige Leute den Regenwald der Stadt vorzogen, besonders, wenn sie in Begleitung eines Karpatianers waren, der Insekten und selbst den Regen daran hindern konnte, sie zu stören.

»War es nicht schwierig, mit so vielen Veränderungen fertig zu werden?« Er musste in all den Jahrhunderten unendlich viel gesehen, gelernt und auch gelitten haben.

»Langlebigkeit ist ein Fluch, aber auch ein Segen. Du siehst Leute, die dir etwas bedeuten, kommen und gehen, während du selbst endlos weiterlebst. Der Krieg ist immer der gleiche. Die Armut, der Ehrgeiz und die Gier. Aber es gibt auch so viel Wunderbares, MaryAnn, Wunder, die all das andere wert sind.« Er wandte sich ihr zu, und seine schwarzen Augen waren wie tiefe, dunkle Seen im Schein des Mondes. Das war sie für ihn: ein Wunder. Und es war ihr nicht einmal bewusst. Manchmal konnte er einen Blick in ihre Gedanken tun, wenn sie ihm ihr Bewusstsein öffnete. Sie verstand nicht, wie ein Mann wie er sich für sie interessieren konnte, geschweige denn, dass er in alle Ewigkeit mit ihr zusammen sein wollte. Sie war sich nicht einmal ihrer Attraktivität bewusst. Das Licht in ihren Augen leuchtete wie ein Signalfeuer.

Alles an ihr zog ihn an. Sie war mutig, obwohl sie sich selbst nicht dafür hielt. Sie war mitfühlender als jede andere Person, der Manolito je begegnet war. Immer wieder, auch wenn es ein großes Risiko für sie bedeutete, kam sie anderen zu Hilfe. Sie hatte etwas Unschuldiges an sich, aber ihre Augen waren alt. Sie hatte das Leben von seiner schlimmsten Seite erlebt, es jedoch abgelehnt, die Hoffnung aufzugeben.

»Was erwartest du von mir?«, fragte sie mit vorgeschobenem Kinn.

»Dass du mich akzeptierst.« Er hatte nicht vor, ihr seine Gefühle zu verheimlichen. Er brauchte vielmehr diese uneingeschränkte Vertrautheit mit seiner Gefährtin. Dass sie ihn sehen konnte, nicht nur sein Äußeres, sondern alles von ihm. Er wollte mit all seinen Fehlern vor ihr stehen und wissen, dass sie trotz allem akzeptieren konnte, wer und was er war. Das hatte ihm noch nie etwas bedeutet, doch nun war es das Allerwichtigste für ihn.

Wieder strich er sanft mit seinen Fingerspitzen über ihre warme Haut. Nichts hatte sich je so weich und einladend angefühlt. Es war wie ein Wunder – ein weiteres Wunder des Lebens –, sie so berühren zu können, neben ihr unter den Sternen zu liegen und sich in aller Buhe mit ihr zu unterhalten.

»Sag mir, was dein schlimmster Charakterfehler ist.«

Seine Zähne blitzten weiß im Mondschein auf. »Ich finde, wir sollten mit etwas Positivem beginnen.«

»Wenn wir mit dem Schlimmsten anfangen, schaffen wir es aus dem Weg. Wir wissen, was es ist und ob wir damit fertig werden können. Bei mir zum Beispiel ist es Sturheit. Und ich bin nicht nur ein bisschen, sondern richtig stur. Ich mag es nicht, herumkommandiert zu werden.«

»Und ich habe immer recht.«

Ihr leises Lachen löste ein scharfes Ziehen in seinen Lenden aus. Er hatte vergessen oder es vielleicht auch nur noch nie erlebt, was für eine Freude es war, mit einer Frau zusammen zu sein, die ihn so erregen konnte wie MaryAnn. Er könnte bis in alle Ewigkeit ihr Lachen hören und seiner niemals müde werden.

»Das denkst du.«

»Das weiß ich.«

»Und du erwartest von allen, dass sie dir gehorchen, weil du ja immer recht hast.«

»Selbstverständlich.«

Sie wickelte ihr langes Haar um ihren Finger. »Da wir schon dabei sind, uns gegenseitig Geheimnisse anzuvertrauen – stört es dich eigentlich nicht, Manolito statt Manuel genannt zu werden? Ich weiß, dass »kleiner Mann‹ in manchen Ländern für Jungen, aber nicht für Männer verwendet wird.«

»Für meine Brüder ist es ein Ausdruck ihrer Zuneigung zu mir. Mich stört es nicht, es hat mich noch nie interessiert, was andere denken, ich will nur akzeptiert werden von denen, die ich liebe. Ist das ein Problem für dich?«

»In anderen Ländern ist Manolito ein häufig vorkommender Name ohne zusätzliche Bedeutung. Schon in meiner Kindheit fand ich, dass es ein sehr hübsch klingender Name war. Es ist schön zu wissen, dass deine Brüder dich so liebevoll verulken.«

Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Nicolas und Zacarias haben ihre Gefährtinnen noch nicht gefunden. Sie haben nur noch ihre Erinnerung daran, wie es einmal war, etwas zu empfinden, und mit jeder Nacht wird es schwieriger für sie, sie aufrechtzuerhalten.«

»Das tut mir leid, Manolito«, sagte MaryAnn, die seine Besorgnis spüren konnte.

»Sie werden es ertragen, weil sie müssen.« Er strich ihr zärtlich mit der Hand über die Wange. »Sag mir, was dir zu schaffen macht, MaryAnn. Ich kann sehen, wie unruhig du bist.«

Sie zögerte, presste die Lippen zusammen und seufzte dann. »Ich habe furchtbare Angst vor dem, was in mir ist.«

Über ihnen schwankten die Äste von mehr als nur den Vögeln. Sie konnte kleine, behaarte Körper sehen, die sich für die Nacht in den Bäumen einen Schlafplatz suchten. Die meisten scharten sich auf einer Seite des Baumes zusammen, ihr direkt gegenüber, während ein paar der anderen Affen sich auf Ästen neben Manolito niederließen.

»Du kannst nichts anderes sein, als du bist, ainaak enyem. Fürchte nicht, was in dir ist. Ich fürchte mich auch nicht davor.«

Sie sah ihm ruhig in die Augen. »Das solltest du aber.«