53

»Hallo, Plimpton.«

»Hände hoch.«

»Wo ist O’Shay?«

»An die Decke damit!«

»Bestellen Sie Ihrem Boss, dass ich ihm für den hervorragenden Smaragd noch etwas schuldig bin und mich schon darauf freue, diese Schuld persönlich zu begleichen.«

»Sofort!«

»Gehorchen Sie lieber, Bell«, sagte Falconer. »Die haben bereits meinen Leutnant und meinen Maschinisten erschossen.«

Isaac Bell hob die Hände, nachdem er lange genug gezögert hatte, um seine Gegner einzuschätzen. Plimpton hielt eine halbautomatische deutsche Luger in der Hand, wie die deutsche Marine sie einsetzte, und er beherrschte sein Gewerbe aus dem Effeff. Aber die Schläger rechts und links neben ihm hatten bei weitem nicht seine Klasse. Der ältere, der unbeholfen eine Kaliber .20 Remington mit abgesägtem Lauf im Anschlag hielt, wäre vielleicht als Wachmann einer Kleinstadtbank durchgegangen. Der jüngere hielt seinen Revolver gepackt wie ein Rausschmeißer in einer YMCA-Herberge. Sie befanden sich keinesfalls auf Grund eines wohldurchdachten Plans auf Falconers Jacht, vermutete Bell. Irgendetwas musste schiefgegangen sein.

Was hatte sie im letzten Moment auf die Dyname gelockt? Der Gedanke an eine Flucht auf dem schnellsten Schiff im Hafen, nachdem O’Shay seine Torpedos auf die Reise geschickt hatte? Aber die Dyname verfügte nicht über die Reichweite, um den Atlantik zu überqueren. Gewiss hatte O’Shay die Absicht, zusammen mit Katherine unter falschen Namen auf einem Ozeandampfer nach Europa überzusetzen. Oder er hatte auf einem Frachter eine heimliche Überfahrt gebucht.

Sie war das, was schiefgegangen war, erkannte Bell. Katherine war verwundet.

»Ist die Frau an Bord?«, wollte er von Falconer wissen.

»Sie braucht einen Arzt!«, platzte der junge Mann mit der Schrotflinte heraus.

»Halt die Klappe, Bruce!«, knurrte Plimpton.

»Ich bin an Bord«, sagte Katherine Dee. Sie kam den Aufgang aus Falconers Privatkabine heraufgestolpert. Zerzaust, bleich und fiebrig, sah sie aus wie ein Kind, das aus tiefem Schlaf gerissen worden war. Bis auf den Ausdruck glühenden Hasses in ihrem Gesicht. »Dank Ihnen«, sagte sie voller Bitterkeit zu Bell. »Sie ruinieren alles.« Sie hatte die Pistole festgehalten, als er sie in Barlowes Juweliergeschäft mit einem Schuss getroffen hatte. Jetzt hob sie die Pistole mit zitternder Hand und zielte auf ihn.

»Miss Dee!«, sagte Bruce. »Sie sollten doch nicht aufstehen.«

»Sie braucht einen Arzt«, sagte Bell.

»Das habe ich doch gesagt, Mr Plimpton, sie braucht schnellstens einen Doktor.«

»Schnauze, Bruce«, bellte Plimpton. »Sie bekommt einen Arzt, sobald wir aus diesem Schlamassel raus sind.«

Die Hände über dem Kopf, zwischen O’Shays Helfern eingekeilt, blickte ihr der hochgewachsene Detektiv in die Augen und suchte nach irgendeinem Vorteil, während er auf die Kugel wartete, die für ihn bestimmt war. Er sah kein Mitleid, kein Zögern, nur die tiefe Müdigkeit eines Menschen mit einer tödlichen Verletzung. Aber sie hatte die Absicht, ihn zu töten, bevor sie selbst starb. So wie sie Grover Lakewood und Pfarrer Jack und wer weiß wie viele andere noch für Eyes O’Shay getötet hatte. Wie lange würde es noch dauern, bis sie zusammenbrach? Wo, fragte er sich, war wohl ihr göttlicher Funke?

»Wussten Sie«, fragte er, »dass Pfarrer Jack Mulrooney für Sie gebetet hat?«

»Sein Gebet hat mir auch verdammt viel genützt. Es war Brian O’Shay, der mich gerettet hat.«

»Wofür hat Brian Sie gerettet? Um Grover Lakewood in den Tod zu stürzen? Um den Priester zu erschießen?«

»So wie Sie auf mich geschossen haben.«

»Nein«, widersprach Bell. »Ich habe auf Sie geschossen, um die Frau, die ich liebe, zu retten.«

»Ich liebe Brian. Ich tue alles für ihn.«

Bell erinnerte sich an die Worte des Zugschaffners Dilber im 20th Century Limited. »Riker und sein Mündel verhalten sich absolut korrekt. Sie haben stets getrennte Abteile.«

Und O’Shay selbst hatte in seiner Rolle als Riker gesagt: »Das Mädchen bringt Licht in mein Leben, wo vorher nur Dunkelheit war.«

»Und was tut Brian für Sie?«

»Er hat mich gerettet.«

»Vor fünfzehn Jahren. Was wird er während Ihres restlichen Lebens für Sie tun, Katherine? Sie rein und unberührt erhalten?«

Ihre Hand zitterte heftig. »Sie …« Ihr Atem rasselte.

»Sie töten, um ihm zu gefallen, und er erhält Sie rein? Funktioniert es so? Pfarrer Jack hat völlig zu Recht für Sie gebetet.«

»Warum?«, klagte sie.

»Er wusste tief in seinem Herzen, in seiner Seele, dass Brian O’Shay Sie nicht retten konnte.«

»Und Gott konnte es?«

»Das hat der Priester geglaubt. Von ganzem Herzen.«

Katherine ließ die Pistole sinken. Sie verdrehte die Augen. Die Waffe rutschte ihr aus den Fingern, und sie sank auf das Deck wie eine Marionette, deren Schnüre durchtrennt worden waren.

»Plimpton, du verdammtes Schwein!«, brüllte Bruce. »Ohne einen Arzt stirbt sie!« Er deutete mit der Pistole auf die Ohnmächtige.

Wie eine Giftschlange, die reflexartig auf jede Bewegung in ihrer nächsten Umgebung reagiert, schoss Plimpton Bruce zwischen die Augen und wirbelte zu der schemenhaften Bewegung herum, die von Isaac Bell ausging. Der Leibwächter hatte einen tödlichen Fehler begangen.

Bell feuerte seine Browning zweimal ab. Zuerst auf Plimpton und dann auf den anderen Mann. Während dieser nach vorn kippte, ging seine Schrotflinte mit einem Knall los, der in der Enge der Kabine ohrenbetäubend war. Ein Schauer Schrotkugeln traf unter der Bank hindurch die Beine von Lowell Falconer und seiner Mannschaft.

Bell versorgte gerade Falconers Bein und brachte oberhalb des Knies einen Druckverband an, als Donald Darbee vorsichtig den Kopf durch den Türspalt schob. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, Mr Bell – das Holland fährt eben gerade unter der Brooklyn Bridge hindurch.«