27

In einem Zustand tiefer Verwirrung verließ Isaac Bell den vierten Juwelierladen, den er in der letzten Stunde betreten hatte. Er hatte noch Zeit für den Besuch von zwei weiteren, ehe er den Weg in die Stadt zum Knickerbocker Hotel einschlug, um Abbington-Westlake gründlich auf den Zahn zu fühlen.

»Schuheputzen, Sir?«

»Keine schlechte Idee.«

Er lehnte sich mit dem Rücken an die Hauswand und überließ seinen linken Stiefel den mit Schuhcreme verschmierten Händen des mageren Jungen mit der Holzkiste. Seine Gedanken befanden sich in einem wilden Tanz. Er war gleichzeitig darüber informiert worden, dass ein in Platin eingefasster Diamant »das einzige angemessene Schmuckstück ist, um einer Frau das Gefühl zu vermitteln, sie sei ordnungsgemäß verlobt«, und dass ein größerer in Gold gefasster Halbedelstein als »höchst elegant angesehen« werde. Vor allem im Vergleich mit einem kleinen Diamanten. Wobei sogar ein kleiner Diamant als »annehmbares Symbol des Verlobtseins« betrachtet werden konnte.

»Den anderen Fuß, Sir.«

Bell zog das Wurfmesser heraus, verbarg es in der Handfläche und ließ den Jungen seinen rechten Stiefel polieren.

»Herrscht hier unten immer so viel Betrieb?«

»Mai und Juni sind die Hochzeitsmonate«, antwortete der Junge, ohne von dem Tuch aufzublicken, das er so schnell hin und her bewegte, dass es einem vor den Augen verschwamm.

»Wie viel?«, fragte Bell, als der Junge sein Werk vollendet hatte und die Stiefel spiegelblank glänzten.

»Einen Nickel.«

»Da hast du einen Dollar.«

»Darauf kann ich nicht rausgeben, Mister.«

»Behalt es. Du hast deine Sache gut gemacht.«

Der Junge starrte ihn seltsam an. Offenbar wollte er etwas sagen.

»Was ist los?«, fragte Bell. »Ist alles in Ordnung, mein Sohn?«

Der Junge öffnete den Mund. Er schaute sich um und ergriff plötzlich seinen Kasten und rannte los, wich Passanten aus und verschwand um die nächste Ecke. Bell zuckte die Achseln und versuchte sein Glück im nächsten Juwelierladen, Solomon Barlowe, ein kleineres Geschäft im Parterre eines fünfstöckigen Gebäudes in pseudo-italienischem Baustil mit Gusseisenfassade. Barlowe taxierte ihn mit stechenden braunen Augen, die so misstrauisch blickten wie die eines Untersuchungsrichters.

»Ich suche einen Verlobungsring. Ich denke, er sollte mit einem Brillanten besetzt sein.«

»Dachten Sie an einen Solitär oder an mehrere kleine Steine?«

»Was würden Sie empfehlen?«

»Falls es eine Preisfrage ist, dürfte natürlich …«

»Gehen Sie davon aus, dass dies nicht der Fall ist«, knurrte Bell ungehalten.

»Ah! Ich sehe schon, Sir, Sie sind ein Mann mit Stil und Geschmack. Schauen wir uns doch mal einige Steine an. Vielleicht ist ja etwas dabei, das Ihren Vorstellungen entspricht.« Der Juwelier schloss eine Vitrine auf und stellte ein mit schwarzem Samt ausgekleidetes Tablett zwischen ihnen auf die Theke.

Bell stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Ich habe Kinder schon mit Murmeln spielen sehen, die viel kleiner sind.«

»Wir haben zum Glück eine sehr gute Quelle. Wir importieren selbst. Normalerweise könnte ich Ihnen eine größere Auswahl zeigen, aber wir stehen kurz vor den Hochzeitsmonaten, und die schönsten Stücke wurden bereits verkauft.«

»Mit anderen Worten: Kaufen Sie schnell, ehe es zu spät ist?«

»Nur wenn Sie den Ring sofort brauchen. Steht Ihre Hochzeit denn unmittelbar bevor?«

»Ich denke nein«, antwortete Bell. »Wir sind keine Kinder mehr und haben beide viel zu tun. Andererseits möchte ich gerne Nägel mit Köpfen machen.«

»Ein großer Solitär mit einzigartiger Farbe wäre für einen solchen Fall genau das Richtige, Sir. Hier, zum Beispiel …«

Die Tür ging auf, und ein gediegen gekleideter Gentleman in Bells Alter betrat Barlowes Geschäft, in der Hand einen Gehstock mit einem goldenen Knauf, der mit Schmucksteinen besetzt war. Er kam Bell vage bekannt vor, aber der Detektiv konnte ihn nicht genau einordnen. Es geschah selten, dass er sich an ein Gesicht nicht erinnern konnte, und er vermutete, dass es nur dann geschah, wenn er jemanden vorher in einer völlig anderen als in der vertrauten Umgebung gesehen hatte. Ihm war, als wären sie einander zufällig in einem Saloon in Wyoming oder bei einem Boxkampf in Chicago begegnet. Er war ganz eindeutig kein verzweifelter Junggeselle. Nichts in seinem Auftreten wies auf einen potentiellen Käufer hin, wogegen auch sein selbstsicheres Lächeln sprach.

»Mr Riker!«, rief Barlowe aus. »Das ist aber eine schöne Überraschung.« An Bell gewandt, sagte er: »Entschuldigen Sie mich für einen Moment, Sir, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

»Nein, nein«, wehrte Riker ab. »Lassen Sie sich durch mich nicht bei einem Verkaufsgespräch stören.«

Barlowe sagte: »Aber ich hatte soeben mit meinem Kunden über Sie gesprochen. Er wünscht sich etwas Besonderes und hat noch genug Zeit, um danach zu suchen.«

Er wandte sich wieder an Bell. »Dies ist der Gentleman, den ich gerade erwähnt habe, unser Edelsteinlieferant. Mr Erhard Riker von Riker & Riker. Wir haben Glück, Sir. Wenn Mr Riker keinen passenden Stein für Sie findet, dann gibt es ihn nicht. Er ist der beste Lieferant der schönsten Edelsteine der Welt.«

»Du lieber Gott, Barlowe«, meinte Riker lächelnd. »Bei Ihrem überschwänglichen Lob wird Ihr Kunde ja noch Wunder von mir erwarten. Dabei bin ich nur ein einfacher Kaufmann.«

Riker sprach mit einem englischen Akzent ähnlich Abbington-Westlakes aristokratisch gedehntem Tonfall, aber die Farbe seines Mantels verriet Bell, dass er Deutscher war. Es war ein Chesterfield mit traditionellem schwarzem Samtkragen. Der Chesterfield eines Engländers oder Amerikaners wäre aus dunkelblauem oder anthrazitgrauem Stoff geschneidert gewesen. Rikers Mantel hingegen war lodengrün.

Riker streifte seine Handschuhe ab, wechselte den Gehstock in die linke Hand und streckte die rechte aus. »Guten Tag, Sir. Wie Sie eben gehört haben, ich bin Erhard Riker.«

»Isaac Bell.«

Sie gaben sich die Hand. Riker hatte einen kräftigen Händedruck.

»Wenn Sie es gnädigerweise gestatten, würde ich gerne den perfekten Edelstein für Ihre Verlobte suchen. Welche Farbe haben die Augen der Lady?«

»Korallenmeergrün.«

»Und ihr Haar?«

»Ihr Haar ist blond. So hell wie Stroh.«

»Ihr Lachen liefert mir eine Vorstellung von ihrer Schönheit.«

»Multiplizieren Sie sie mit zehn.«

Riker verbeugte sich, wie es in Europa üblich war. »In diesem Fall werde ich bestenfalls einen Edelstein finden, der nur annähernd ihrer Schönheit entspricht.«

»Vielen Dank«, sagte Bell. »Sie sind zu gütig. Haben wir uns schon früher mal getroffen? Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor.«

»Wir wurden einander nicht vorgestellt«, erwiderte Riker. »Aber auch ich erkenne Sie wieder. Ich glaube, es war in Camden, New Jersey, erst am Anfang dieser Woche.«

»Beim Stapellauf der Michigan! Natürlich. Jetzt erinnere ich mich. Sie haben dem Werftinhaber das Geschenk gegeben, das er dann der jungen Dame überreichte, die die Schiffstaufe vornahm.«

»Ich habe einen meiner Kunden in Newark vertreten, der den Schmuckanhänger mit meinen Edelsteinen verziert hat.«

»Also, ist das nicht ein ganz erstaunlicher Zufall?«, rief Solomon Barlowe.

»Zwei Zufälle«, korrigierte Isaac Bell den Juwelier. »Erst kam Mr Riker zufälligerweise hierher, als ich nach einem besonders schönen Brillanten suchte. Zum Zweiten stellte sich heraus, dass wir am vergangenen Montag an derselben Schiffstaufe teilgenommen haben.«

»Als stünde es in den Sternen geschrieben!« Riker lachte. »Oder sollte ich lieber von Diamanten sprechen? Denn was sind Diamanten anderes als Sterne, die von Menschen getragen werden? Meine Suche beginnt in diesem Moment! Haben Sie keine Hemmungen, bei mir nachzufragen, Mr Bell. Wenn ich in New York zu tun habe, steige ich immer im Waldorf-Astoria ab. Und wenn ich reise, leitet das Hotel sämtliche Post an mich weiter.«

»Mich erreichen Sie im Yale Club«, sagte Bell und gab ihm seine Visitenkarte.

Jedem Angestellten bei Van Dorn, vom Lehrling bis hinauf zum Chefermittler, wurde bereits am ersten Tag, an dem er zu seiner Arbeit antrat, eingebläut, dass Zufälle als etwas Schuldhaftes zu betrachten seien, bis sich ihre Unschuld erwiesen habe. Bell bat die Rechercheabteilung, Informationen über die Edelsteinimporteure Riker & Riker einzuholen. Dann lieferte er seine Kamera ab. Der darin belichtete Film sollte sofort entwickelt und die fertigen Bilder dann zu ihm gebracht werden. Danach ging er in die Lobby des Hotels hinunter, an die sich eine verschwiegene, gedämpft erleuchtete Bar anschloss.

Abbington-Westlake war bereits eingetroffen, was Bell als gutes Zeichen dafür wertete, dass er dem Marineattaché mit seiner Drohung, ihn in der britischen Botschaft zu besuchen, einen heillosen Schrecken eingejagt hatte.

Bell entschied, dass er mit einem behutsameren Auftreten wahrscheinlich mehr aus ihm würde herausholen können, und sagte: »Vielen Dank, dass Sie sich hierherbemüht haben.«

Er sah sofort, dass diese Taktik die falsche war. Abbington-Westlake starrte ihn mit finsterer Miene an und schnappte: »Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich in dieser Angelegenheit eine Wahl hatte.«

»Ihre Auswahl an Fotomotiven«, konterte Bell, »brächte Ihnen eine Verhaftung ein, wenn ich ein Agent der Regierung wäre.«

»Sie können mich nicht verhaften. Ich genieße diplomatische Immunität.«

»Würde Ihre diplomatische Immunität Sie auch vor Verdruss mit Ihren Vorgesetzten in London schützen?«

Abbington-Westlake presste die Lippen zusammen.

»Natürlich würde sie das nicht«, beantwortete Bell die Frage selbst. »Und natürlich bin ich kein Vertreter der Regierung, aber ich weiß, wo ich sofort einen finden kann. Und das Letzte, was Sie sich wünschen, dürfte sein, dass Ihre Rivalen im Außenministerium erfahren, dass Sie sozusagen mit der Hand in der Keksdose erwischt wurden.«

»Sehen Sie, alter Junge, es ist doch nicht nötig, dass wir irgendetwas überstürzen, oder?«

»Was haben Sie mir mitgebracht?«

»Ich verstehe nicht«, versuchte Abbington-Westlake Zeit zu gewinnen.

»Wen haben Sie mir mitgebracht? Nennen Sie einen Namen. Einen ausländischen Spion, den ich an Ihrer Stelle verhaften kann.«

»Alter Junge, Sie haben eine völlig überzogene Vorstellung von meiner Macht und meinem Einfluss. Ich kenne niemanden, den ich Ihnen präsentieren könnte.«

»Und Sie haben eine extrem überzogene Vorstellung von meiner Geduld.« Bell schaute sich suchend um. Paare saßen mit ihren Getränken an den dunklen Tischen in der Nähe. Mehrere Männer standen ohne weibliche Begleitung an der Bar. Bell fragte: »Sehen Sie den Gentleman ganz rechts? Mit dem Bowler-Hut auf dem Kopf?«

»Was ist mit ihm?«

»Er arbeitet beim Secret Service. Soll ich ihn fragen, ob er nicht Lust hat, uns Gesellschaft zu leisten?«

Der Engländer befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze. »Na schön, Bell. Ich will Ihnen erzählen, was ich kann und weiß. Ich muss Sie jedoch warnen, dass es nur sehr wenig ist.«

»Fangen Sie ruhig bescheiden an«, erwiderte Bell eisig. »Von dort arbeiten wir uns dann weiter vor.«

»Na schön, na schön.« Abbington-Westlake befeuchtete abermals seine Lippen und schaute sich außerdem sichernd um. Bell hatte den Verdacht, dass er ihm gleich ein Lügenmärchen auftischte. Er ließ den Engländer reden, ohne ihn zu unterbrechen. Wenn er sich erst einmal in seinen Lügen verstrickt hätte, ließe er sich weitaus einfacher unter Druck setzen.

»Es gibt da einen Franzosen namens Colbert«, begann Abbington-Westlake. »Er handelt mit Waffen.«

»Colbert, sagen Sie?« Gott segne die Leute in der Van-Dorn-Recherche.

»Raymond Colbert. Und während der Waffenhandel kein besonders angenehmes Geschäft ist, ist es in Wirklichkeit eine Tarnung für Colberts üble Machenschaften … Wissen Sie über das Holland-Unterseeboot Bescheid?«

Bell nickte. Er hatte sich von Falconer einiges darüber erzählen lassen und sich darüber hinaus ein Buch über das Thema geliehen.

Während der Marineattaché seine Geschichte erzählte, empfand Isaac Bell ein Gefühl der Bewunderung für Abbington-Westlakes Kaltblütigkeit – was er natürlich tunlichst kaschierte. Konfrontiert mit der Gefahr, entlarvt zu werden, nutzte er die Gelegenheit, um den Mann zu vernichten, der seine Frau erpresste. Er berichtete wortreich von entwendeten Konstruktionszeichnungen und einem speziellen Kreiselkompass, um das Schiff auch unter Wasser genau auf Kurs zu halten. Bell ließ ihn reden, bis sich die Tür öffnete und ein Lehrling der Agentur mit einem dicken Umschlag erschien. Bell stellte wohlwollend fest, dass sich der Junge zurückhielt, bis Bell ihm zunickte, und er sich unauffällig zurückzog, nachdem er Bell den Umschlag übergeben hatte.

»Während wir uns hier unterhalten, alter Junge, ist Colbert in einem Postschiff der Compagnie Générale Transatlantique nach New York unterwegs. Sie können ihn aus dem Verkehr ziehen, sobald das Schiff an Pier 42 anlegt. Ist Ihnen das klar?«

Bell öffnete den Umschlag und blätterte die darin enthaltenen Fotos durch.

Abbington-Westlake fragte ungehalten: »Langweile ich Sie, Mr Bell?«

»Ganz und gar nicht, Commander. Ich habe selten eine spannendere Räuberpistole gehört.«

»Räuberpistole? Sehen Sie …«

Bell schob ein Foto über den Tisch. »Da hätten wir einen Schnappschuss von Ihnen und Lady Fiona und dem Brooklyn Navy Yard – Vorsicht, das Papier ist noch feucht.«

Der Engländer seufzte leidend. »Sie machen mir überdeutlich klar, dass ich Ihnen ausgeliefert bin.«

»Wer ist Yamamoto Kenta?«

Bell setzte darauf, dass, im Gegensatz zu Bankräubern und Trickbetrügern, Spione, die während des internationalen Wettrüstens der verschiedenen Kriegsmarinen tätig waren, ihre jeweiligen Konkurrenten und Mitstreiter kannten. Und nun sah er sofort, dass er richtig vermutet hatte. Selbst im gedämpften Licht blitzten Abbington-Westlakes Augen plötzlich auf, als eröffnete sich ihm unvermittelt ein Ausweg aus der Klemme, in der er steckte.

»Vorsicht!«, warnte Bell. »Nur eine einzige Andeutung von Flunkerei, und dieses Foto geht an diesen Gentleman vom Secret Service zusammen mit Kopien an die britische Botschaft und den Geheimdienst der US Navy. Haben wir uns verstanden?«

»Ja.«

»Was wissen Sie von ihm?«

»Yamamoto Kenta ist ein hochdekorierter japanischer Spion. Er ist bereits seit einer Ewigkeit im Geschäft. Und er ist die Nummer eins der Gen’yo¯sha, die Japans Interessen in Übersee vertritt. Er war im Wesentlichen dafür verantwortlich, dass die Japaner die russische Asienflotte infiltrierten, und hat entscheidend daran mitgewirkt, dass die Japaner Port Arthur besetzten. Nach dem Krieg operierte er in Europa und hat die Engländer und die Deutschen mit ihren Anstrengungen, ihre Fortschritte im Schiffsbau geheim zu halten, zum Gespött gemacht. Er weiß mehr über Krupp als der Kaiser und kennt die HMS Dreadnought besser als ihr eigener Kapitän.«

»Was tut er hier?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Commander«, sagte Bell warnend.

»Ich weiß es nicht. Ich schwöre, ich habe wirklich keinen Schimmer. Aber eins kann ich sagen.«

»Hoffentlich etwas Interessantes.«

»Es ist sogar sehr interessant«, erwiderte Abbington-Westlake selbstbewusst. »Und zwar ist es deshalb sehr interessant, weil es absolut keinen Sinn ergibt, dass ein japanischer Spion vom Kaliber Yamamoto Kentas hier in den Vereinigten Staaten operiert.«

»Warum?«

»Die Japaner wollen keinen Krieg gegen Sie führen. Nicht jetzt zumindest. Sie sind noch nicht so weit. Obgleich sie wissen, dass auch die Amerikaner nicht bereit sind. Man braucht kein seemännisches Genie zu sein, um zu erkennen, dass die Große Weiße Flotte ein schwimmender Witz ist. Aber sie wissen verdammt genau, dass ihre eigene Flotte nicht viel besser ist und es noch für viele, viele Jahre nicht sein wird.«

»Warum ist Yamamoto Kenta dann hierhergekommen?«

»Ich vermute, dass er ein Doppelspiel treibt.«

Bell starrte den Engländer an. Der verwirrte Ausdruck in seinem Gesicht war absolut echt. »Wie meinen Sie das?«

»Yamamoto Kenta arbeitet für jemand anderen.«

»Sie meinen, für jemand anderen als die Gen’yo¯sha oder die Black Ocean Society, wie wir sie nennen?«

»Genau.«

»Und für wen?«

»Da bin ich überfragt. Auf jeden Fall nicht für Japan.«

»Wenn Sie nicht wissen, für wen er arbeitet, wie können Sie dann so sicher sein, dass es jemand anders ist als die Japaner?«

»Weil Yamamoto Kenta Informationen von mir kaufen wollte.«

»Welche Informationen?«

»Er vermutete, dass ich irgendetwas über den neuen französischen Dreadnought weiß. Er bot mir ein hübsches Sümmchen an. Geld war offensichtlich kein Problem.«

»Und hatten Sie Informationen?«

»Das ist jetzt nicht wichtig«, antwortete Abbington-Westlake ausweichend. »Der Punkt ist vielmehr, dass die Froschfresser den Japanern völlig egal sind. Die französische Marine kann nicht im Pazifik kämpfen. Sie kann ja noch nicht einmal die Bucht von Biscaya richtig schützen.«

»Wofür wollte er die Informationen denn haben?«

»Das ist der springende Punkt. Und den kann ich Ihnen nennen: Yamamoto Kenta wollte sie jemandem verkaufen, der sich für die Franzosen interessiert.«

»Wer könnte das sein?«

»Nun, wer sonst als die Deutschen?«

Lange studierte Bell das Gesicht des Engländers. Dann beugte er sich vor und sagte: »Commander, mir wird allmählich klar, dass Sie hinter Ihrer Fassade liebenswürdiger Tollpatschigkeit über Ihre spionierenden Kollegen verdammt gut informiert sind. Tatsächlich vermute ich sogar, dass Sie besser über sie Bescheid wissen als über die Schiffe, die Sie ausspionieren sollen.«

»Willkommen in der Welt der Spionage, Mr Bell«, erwiderte der Engländer spöttisch. »Darf ich der Erste sein, der Sie zu Ihrer erfolgreichen Ankunft beglückwünscht?«

»Welche Deutschen?«, fragte Bell knapp.

»Na ja, genau kann ich Ihnen das nicht beantworten, aber …«

»Ich glaube nicht eine Sekunde lang, dass die Deutschen Yamamoto Kenta dafür bezahlen, dass er für sie spioniert«, unterbrach ihn Bell. »Wen haben Sie wirklich im Verdacht?«

Abbington-Westlake schüttelte den Kopf. Er war offensichtlich bestürzt und ratlos zugleich. »Niemand, von dem ich je gehört hätte – also keiner von den Leuten, die einem immer mal wieder über den Weg laufen … Es ist fast so, als wäre der Schwarze Ritter wie aus dem Nichts erschienen und hätte seinen Fehdehandschuh mitten in König Artus’ Tafelrunde geworfen.«

»Also ein Unabhängiger, der mit Informationen handelt«, sagte Bell nachdenklich.