Im Falle, dass
 
Kurz nach ein Uhr morgens, eine Stunde, nachdem er die beiden im Leichenschauhaus identifiziert hatte, bog Danny mit seinem Pick-up in Toms und Brynns Einfahrt ein. Ihr schmales Backsteinhaus war dunkel bis auf das erleuchtete Wohnzimmerfenster: Eine Babysitterin hütete Colin, den dreijährigen Sohn. Danny hatte vom Leichenschauhaus aus kurz mit ihr gesprochen, ihr gesagt, er würde gleich da sein – und dann den längstmöglichen Weg aus der Stadt heraus gewählt. Zweimal hatte er von einer Tankstelle aus versucht, seine Freundin Kim wachzuklingeln und ihr Bescheid zu sagen, aber Kim war nicht drangegangen.
Danny schaltete den Motor ab. Die arme Babysitterin war schon am Telefon in Tränen ausgebrochen; inzwischen war sie wahrscheinlich völlig aufgelöst. Dannys Hände lasteten tonnenschwer auf dem Lenkrad. Vielleicht sollte er noch ein paar Runden um den Block fahren – verdammt, so großartig ging es ihm schließlich auch nicht. Oder er haute einfach ab; der Zubringer zur Interstate 70 war ganz nah, er könnte von Columbus durchbrettern bis nach Alaska, ohne auch nur einmal zu tanken.
Dann schob ein Schatten den Wohnzimmervorhang beiseite und spähte auf die Einfahrt heraus. Gefangen.
Eine Frau öffnete ihm, die wohl zehn Jahre älter als er war – die Mutter der Babysitterin. Sie trug einen Kurzhaarschnitt, mit dem ein Filmstar wahrscheinlich blendend ausgesehen hätte; sie sah damit nur aus wie die Mutter eines Teenagers, breit und plump und schon grau an den Schläfen, die sich jünger machen will, als sie ist. Hinter der Mutter, auf die Couch gekauert, saß die Babysitterin, die Arme gegen den Bauch gedrückt, als hätte sie Magenschmerzen, ihre Augen so rot, dass Dannys Augen gleich mitbrannten. Er murmelte seinen Namen, worauf Mutter wie Tochter ihn skeptisch musterten. Er hatte mit der Band geprobt, als der Anruf von der Polizei kam, seine Klamotten waren mindestens eine Woche alt und stanken nach Zigarettenrauch; sein Haar hing in Strähnen aus dem Pferdeschwanz.
Es tut mir so leid, sagte die Frau zu ihm.
Ich werd’s schon packen, sagte er, verblüfft, dass er überhaupt etwas herausbekam, und sei es noch so hirnrissig.
Brauchen Sie wen, der bei Ihnen bleibt?
Ich rufe gleich eine Freundin an, sagte er.
Die Frau wirkte erleichtert.
Die Babysitterin fragte mit belegter Stimme: Kann ich ihn noch mal sehen?
Und so standen sie zu dritt in der Tür von Colins Zimmer. Erst letzte Woche hatte Brynn selbstleuchtende Sterne und Monde an die Decke und Wände geklebt, die ganz schwach den Schimmer der Straßenlaterne draußen einfingen. Der Raum schien riesig auf diese Weise, wändelos.
Colin schlief, die bloßen Beine freigestrampelt, das Gesicht zur Wand gedreht. Er war praktisch nackt, mit einem Höschen am Leib und sonst nichts. Danny zwang sich, nicht wegzuschauen wie früher, wenn Brynn Colin zum Wickeln auf den Fußboden gelegt hatte. Oder wie letzte Woche bei Toms großer Zeig-Danny-was-für-ein-großer-Junge-du-bistzeig-ihm-wie-toll-du-schon-Pipi-machst -Schau, als sie sich alle im Bad drängeln mussten, um Colin zuzugucken, wie er sein Geschäft verrichtete, das Gesicht angestrengt verzogen, als würde er einen Faden durch ein Öhr fädeln. Prima hast du das gemacht, lobte Danny ihn hinterher, und Colin, der sich die Hände wusch, sah kurz hoch und sagte, Natürlich, als würde ihm nicht eine Latzhose mit Teddybären drauf um die Knöchel schlackern.
Danny wollte schon ins Zimmer gehen und den Jungen wieder zudecken, ließ es aber bleiben. Colin wurde bald drei; Dreijährige waren nun mal unordentlich und oft auch nackig. Zimperlichkeiten waren da nicht am Platz, jetzt nicht mehr.
Die Babysitterin stieß ein Wimmern aus.
Pscht, machte Danny und dirigierte die zwei hastig zurück ins Wohnzimmer.
Dort versicherte er ihnen nochmals, dass sie ruhig gehen konnten – was sie taten, jedoch nicht, bevor Danny nach seiner Brieftasche getastet und Mutter und Tochter im Chor ein beinahe erbostes Nein! gerufen hatten.
Als sie weg waren, stand Danny eine Zeitlang in der Küche, die am anderen Ende des Ganges lag, Colins Zimmer gerade entgegengesetzt. Es war der einzige Raum im Haus, in dem es nicht süßlich nach Kleinkind roch, sondern nach Chili, Omeletts, den Pfannkuchen, die Tom am Wochenende für alle backte. Der Geruch machte Danny bewusst, dass er seit heute Mittag nichts mehr gegessen hatte; ihm war ganz schwindlig vor Hunger. Aber bei dem Gedanken, in Toms und Brynns Essensresten herumzustöbern, fühlte er sich wie der größte Schweinehund auf Erden.
Toms Flasche Maker’s Mark in der Speisekammer dagegen, das war eine andere Sache. Danny durchtrennte das Siegel und goss sich einen Schuss ein. Und noch einen. Der Whiskey trieb ihm die Tränen in die Augen; Tränen, die sich selbständig zu machen drohten. Er atmete ein paarmal tief durch und ging dann zum Küchentelefon, um noch mal bei Kim anzurufen.
Es klingelte viermal, fünfmal. War es, ganz theoretisch nur, denkbar, dass er sie ertappt hatte? Ihr Verhältnis war angespannt in letzter Zeit, und so sicher sich Danny einerseits war, dass sie ihn nicht betrügen würde, hatte doch andererseits diese neue Zögerlichkeit, die er an ihr bemerkte, in seinem Kopf so reichlich Zeit zum Gären gehabt, dass daraus Schreckbilder aller Art gewuchert waren. Er empfand ein irrwitziges Triumphgefühl, als das Telefon immer weiter klingelte. Wenn schon Land unter, dann richtig!
Doch dann – endlich – meldete Kim sich mit einem krächzenden Hallo.
Ich bin’s, sagte er. Es ist ziemlich dringend.
Danny.
Ja. Kim, hör zu. Du musst bitte aufwachen. Geh in die Küche und schenk dir einen Drink ein.
Kehliges Lachen. Zu spät, sagte sie. Ich war den ganzen Abend mit Amanda unterwegs. Sie hustete. Hm. Wieso?
Danny beschloss, nicht nachzuhaken.
Baby, sagte er, hör zu. Ich bin bei Tom und Brynn. Sie sind tot.
Was?
Tom und Brynn. Autounfall.
Kim sagte nichts, also redete Danny weiter.
Mein Name war in Toms Brieftasche. Ich musste ihre Leichen identifizieren.
Die Worte wollten nicht in einem Stück herauskommen, und Danny merkte, dass er zitterte. Er trank noch einen Schluck und ließ den Whiskey ein Weilchen in Mund und Nase brennen, bevor er die Kiefer lockerließ. Er konnte Kim atmen hören, ein schnelles Atmen, vielleicht weinte sie. Sie sollte weinen – wenn sie weinte, durfte er es auch. Er lehnte die Stirn an die kühle gelbe Wand. Er und Tom hatten die Küche zusammen gestrichen, an einem Wochenende letztes Jahr, als Brynn mit Colin ihre Eltern besuchte. Das war das letzte Mal gewesen, dass er und Tom einen draufgemacht hatten wie früher, mit Biertrinken, Grillen, Sportgucken und den Actionvideos, die sonst wegen Colin tabu waren. Schwelgen und prassen, hatten sie immer wieder gesagt, während sie bis in den frühen Samstagmorgen hinein strichen, um das restliche Wochenende freizuhaben. Im Lauf der Zeit war ein Sprechgesang daraus geworden: Schwel-gen-und-pras-sen-schwelgen-und-pras-sen. Um vier Uhr morgens hatten sie Rippchen gegrillt und als Frühstück gegessen. Hier drin war das gewesen, in dieser Küche.
Ich hab’s Tom versprochen, sagte er zu Kim. Ich muss Colin zu mir nehmen.
Und endlich begriff sie. O Gott, sagte sie.
Du musst herkommen. Bitte.
Hmm, machte Kim, und er konnte sie herumtasten hören, wahrscheinlich nach ihrer kleinen Katzenbrille. Bist du bei ihnen im Haus?
Ja.
Er hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete. Eigentlich versuchte sie aufzuhören. Aber Danny versuchte ja eigentlich auch, weniger zu trinken.
Okay, sagte sie. Okay. Ich zieh mir nur schnell was an.
Weißt du, wie du hier -
Lieber Gott. Ein Autounfall? Wie ist das passiert?
Weiß man nicht. Sie sind irgendwie auf die Gegenfahrbahn gekommen. Frontal in einen Sattelschlepper rein.
Hatten sie getrunken?
Er wollte schon ärgerlich werden – was für eine Frage war das denn? Aber Tom und Brynn waren auf dem Heimweg von einem Abendessen gewesen. Sie hatten wahrscheinlich beide Wein getrunken. Danny hatte die Polizei gefragt, wie es passiert war, und von Alkohol war nicht die Rede gewesen.
Weiß ich nicht, sagte er. Eher nicht.
Kim fragte: Ist Colin wach?
Noch nicht.
Was willst du ihm sagen?
Kim … Jetzt weinte er richtig. Komm einfach her, ja?
Ja. Es – ja. Ich fahr sofort los.
Ist gut. Ich liebe dich.
Im Augenblick, in dem er es sagte, legte sie auf.
Worauf es vorbei war mit Dannys Beherrschung; eine geschlagene Viertelstunde heulte er Rotz und Wasser, auf dem Fußboden hockend zwischen zerkrümelten Frühstücksflocken und – er konnte unter die Mikrowelle sehen – zwei roten Klötzchen, Duplo-Steinen. Er wusste nicht, wann er je zuvor so geweint hatte, außer vielleicht irgendwann im College, als er zugedröhnt und einsam war. Aber nicht – nie, weil jemand gestorben war, nie aus Trauer. Er drückte sich die Hände in den Mund. Alles, nur nicht diese schrecklichen Laute.
Alles, dass nur Colin nicht wach wurde.
 
Tom hatte es Danny schon angetragen, als Colin noch ein Säugling war. Sie hatten sogar ihre Witze darüber gemacht.
Womit hat der Arme das verdient, hatte Danny gefragt: mich als Paten?
Tom grinste und wendete ihre Steaks auf dem Grill, bevor er einen Schritt zurücktrat, eine Hand in der Tasche seiner ausgebeulten Shorts, den Bauch über den Bund herausgeschoben. Bis vor einem Jahr hatte er sich fit gehalten, aber dann war sein Bauch im gleichen Tempo runder geworden wie der von Brynn. Wobei Danny auch in Toms Haltung etwas Neues bemerkte: eine Lockerheit – oder Erfülltheit. Er hatte einen Sohn: seine große Tat, das eine große Ziel im Leben.
Tom sagte, mit Pokerface: Mir fehlt es ganz einfach an Alternativen. Er trank einen Schluck Bier und blickte durch den Garten zur hinteren Veranda, wo Brynn, die in einem Holzstuhl saß, sich ihr rostbraunes Haar im Nacken hochschob und ins Telefon sagte: Ich weiß, ich weiß. Colin lag unsichtbar neben ihr, versteckt in den Tiefen einer Korbwiege, die sie mit dem Fuß anstieß.
Tom sagte: Meine Eltern sind in Afrika – und mal ehrlich: sie kämen auch so nicht in Frage. Walt hat selber vier. Brynns Mutter hat mit Brynns Vater schon mehr als genug zu tun – und ihre Schwester ist schlicht und ergreifend durchgeknallt. Wenn uns etwas zustößt, dann will ich, dass jemand sich um Colin kümmert, der dazu auch in der Lage ist.
Da scheinst du mehr zu wissen als ich.
Stell dir vor, sagte Tom mit einem Grinsen, das tu ich.
So ging das zwischen ihnen seit der dritten Klasse. Von den ersten Anfängen ihrer Freundschaft an war Tom der Beständige gewesen, sich seiner Sache sicher, optimistisch, während Danny der Zauderer war, der Trietschler, der Komplizierte. Danny hatte ihre Freundschaft – die Tatsache, dass sie zusammenpassten – immer als eines der Rätsel des Kosmos empfunden. Aufgeweckt und begabt waren sie beide, aber Tom folgte einer klaren Linie, und Danny – Danny folgte eben Tom. Und sein Leben wurde schöner dadurch. Er hätte eine lange Liste von Dingen anfertigen können, an die er sich niemals herangetraut hätte, wenn nicht Tom ihm befohlen hätte, mit dem Gezeter aufzuhören und es einfach zu probieren. Sprich sie an, du Feigling. Üb wieder Gitarre, du bist verdammt noch mal gut. Wo ist das Problem? Ich muss mich hier vor tausend Leuten hinstellen und Walzer tanzen, und bei dir reicht’s schon, wenn du zwei, drei lausige Witze erzählst. Und er konnte sich an keine Woche in den vergangenen zehn Jahren erinnern, in der er nicht mindestens einen Tag mit Tom verbracht hatte, und dann mit Tom und Brynn – Brynn, die, um es mal so zu sagen, Tom war, wenn Tom als schöne Frau zur Welt gekommen wäre. Das jedenfalls war der Kern des Trinkspruchs gewesen, den er in seiner Eigenschaft als Trauzeuge ausgebracht hatte.
In der alten Zeit, gab Danny Tom zu bedenken, bestand die Aufgabe des Taufpaten in der religiösen Unterweisung.
Gut, ja, das auch. Tom stach in ein Steak. Aber wenn die Eltern des Kindes dahingemetzelt wurden, sagen wir, von den Langobarden, dann war eben doch wieder der Pate dran. Was du dem Jungen über Gott erzählst, ist mir offengesagt relativ schnurz -
Das ist vielleicht ein Fehler.
Also komm, Danny. Du musst hier nicht gleich Panik schieben.
Ich weiß, sagte Danny. Ich fühle mich geehrt, zufrieden?
Du bist ein echter Freund, sagte Tom. Er sah hinüber zu Brynn in ihrem Stuhl und reckte den Daumen in die Höhe. Brynn schwenkte eine Hand über dem Kopf wie ein Cheerleader die Pompons, dann deutete sie auf das Telefon und schnitt ein Gesicht.
Gott, sagte Danny. Ich brauch noch ein Bier.
Warte, bis du selber ein Kind hast. Dann wirst du dich auch absichern wollen.
Ich schwör dir bei meiner Ehre, sagte Danny, wenn ihr nicht durch irgendeinen völlig verrückten Zufall beide ums Leben kommt, werde ich nie Kinder haben. Hörst du?
Tom öffnete die Kühltasche und holte zwei Bier heraus. Bei welcher Ehre?
Wirklich. Ich schwör’s. Das einzige Kind, das ich je haben könnte, ist eures.
Tja, sagte Tom, wir wollen eben nur das Beste für dich.
Monate später, kurz vor Colins erstem Geburtstag, führten Tom und Brynn Danny in Toms Arbeitszimmer. Brynn trug Colin auf der Hüfte; er griente Danny an, die Faust um ein paar von Dannys Schlüsseln geballt, an denen er herumsabberte.
Wir haben den Papierkram jetzt fertig, sagte Tom.
Welchen Papierkram?
Du weißt schon. Im Falle unseres vorzeitigen Hinscheidens et cetera. Es ist alles hier drin.
Tom zog eine Schublade an seinem antiken Rollpult auf und holte eine Eisenschatulle von den Maßen eines Blatts Schreibmaschinenpapier heraus, sieben oder acht Zentimeter hoch. Er sagte: Alle Unterlagen für den Notfall sind hier drin. Der Schlüssel klebt unten an der Schublade, okay? Nur für den Fall eines Falles.
Mein Gott, sagte Danny. Ihr habt echt Nerven.
Brynn sagte: An Colins achtzehntem Geburtstag feiern wir dann alle zusammen die große Danny-ist-vom-Haken-Party, versprochen.
Colin zappelte, also setzte sie ihn auf den Boden. Er krabbelte schnurstracks auf den Gang hinaus, Tom jagte hinter ihm her.
Brynn legte Danny den Arm um die Taille. Danke, dass du mitmachst, sagte sie.
Danny schrak zusammen. Brynn umarmte alle und jeden, aber das hieß noch lang nicht, dass es – dass sie! – ihn nicht erschrecken durfte, selbst nach drei Jahren noch.
Ach was, sagte er. Nicht der Rede wert.
Und ob es das ist. Sie küsste ihn auf die Wange und wischte dann den Lippenstift von der Stelle, wo sie ihn hingeküsst hatte. Mach dir keine Sorgen deswegen, ja? Wir haben nicht vor, den Löffel abzugeben.
Danny spürte, wie seine Wange heiß wurde. Sag mal, ist das – ist dir das überhaupt recht? Dass ich das mache?
Sie lachte. Warum sollte es mir nicht recht sein?
Weiß nicht. Weil ich ein Chaot bin, zum Beispiel. Weil ich nicht mal mein Bankkonto im Griff habe.
Brynn warf ihm einen Blick zu, dann tätschelte sie seine Schulter. Wir wissen schon, was wir tun. Du bist ein guter Mensch.
Danny stöhnte auf und sah in den Flur hinaus, wo Tom auf dem Rücken lag und Colin über seinem Brustkasten in die Höhe stemmte und wieder herunterließ wie ein Gewichtheber seine Hanteln.
Brynn sagte: Du bist wie ein Bruder für Tom. Das zählt für mich sehr viel. Und du kannst schöne Musik spielen. Du behandelst Frauen gut. Du machst dir Gedanken. Schlechte Menschen machen sich keine Gedanken.
Hitler hat sich jede Menge Gedanken gemacht.
Jetzt mal im Ernst. Ich hab das bei dir einfach im Gefühl. Und Tom genauso. Du wärst schon richtig, im Falle, dass.
Danny sehnte sich nach einem Drink. Na ja, sagte er, aber sorgt bitte dafür, dass wir’s nie rausfinden müssen, ja? Ohne euch bekäme ich das nicht hin.
Was? Colin? Sie runzelte die Stirn, warf ihm dann erneut diesen Blick zu.
Mein Gott, sagte Danny. Alles.
 
Als keine Tränen mehr kamen, saß Danny an die Küchenwand gelehnt und versuchte, sich das erschöpfte Ruhegefühl zu bewahren, das sich mit Nachlassen der Schluchzer auf ihn herabgesenkt hatte. Nicht darüber nachzudenken, dass aus der Viertelstunde, die Kim hierher hätte brauchen sollen, jetzt schon eine halbe Stunde geworden war.
Eine Ablenkung also: die Eisenschatulle im Arbeitszimmer. Der Schlüssel an der Unterseite der Schublade.
Er rappelte sich hoch, grimassierte. Der Gedanke an die Schatulle rief ihm die zwanzig, dreißig Probleme in Erinnerung, die ihm die ganze Nacht, seit dem Anruf der Polizei, immer wieder durch den Kopf geisterten. So viele Dinge, mit denen er sich früher oder später würde befassen müssen: eine ganze verfluchte Lawine von Problemen.
Er goss sich noch einen Schuss ein.
Zum Beispiel. Bei der Band standen dieses Wochenende Gigs an, die jetzt flachfielen. Er würde sich fürs Erste ausklinken müssen – anders ging es nicht. Ein paar Gitarristen hier in der Stadt konnten vielleicht für ihn einspringen; die anderen Jungs konnten das Herumtelefonieren übernehmen, aber sie mussten sofort damit anfangen. Schon wenn er an morgen dachte: donnerstags spielten sie immer im Coffeeshop -
Der Coffeeshop! True Brew – Brynns Firma, Dannys Job. Öffnungszeit war um sechs; die Frühbelegschaft kam um fünf, in gerade mal – Danny sah auf die Uhr, während er ins Wohnzimmer hinüberging – dreieinhalb Stunden.
Brynn hatte den Laden letztes Jahr eröffnet, in einem leerstehenden Ladenlokal ein paar Straßen von ihrem Haus entfernt. Es hätte ein bloßer Zeitvertreib sein können. Tom verdiente auch allein genug, um die Familie zu ernähren, aber Brynn hatte einen Abschluss in Betriebswirtschaft und war auch sonst nicht die Art Frau, die halbe Sachen machte. Und so war der Laden fast von der ersten Stunde an ein Bombenerfolg gewesen, mit Brynn als Eigentümerin und Geschäftsführerin, die Zwölf-Stunden-Tage hinlegte, in Schichten, so dass sie sich um Colin kümmern konnte, wenn er nicht in der Krippe oder bei Tom war. Ihr einzig fragwürdiger Schachzug bei der Geschichte war es gewesen, Danny als zweiten Geschäftsführer einzustellen.
Nein. Das war armselig von ihm. Der Deal hatte sich für sie beide ausgezahlt. Danny hatte ihren Vorschlag erst für einen Witz gehalten; seine einzige Qualifikation außer den gemeingefährlichen Mengen Kaffee, die er in sich hineinschüttete (er spielte Bluegrass, da tat eine gewisse Hippeligkeit gar nicht schlecht), waren seine Zeiten als Kassierer in Videoläden, Plattenläden, Buchläden. Sein Abschluss war in Musik, verdammt noch mal; er hatte nichts gelernt.
Aber als sie ihm die Einzelheiten auseinandersetzte, sah er, wie stolz sie auf ihren Plan war: Danny würde einen Job bekommen, der ihm lag, mit freien Abenden für seine Gigs, und Brynn die Entlastung, die sie so dringend brauchte. Sogar die Band wollte sie für die Donnerstagabende anheuern.
(Wow, hatte er gesagt, überwältigt. Gern, Brynnie.
Worauf sie lächelte und ins Arbeitszimmer hinüberrief: Hey, Tom – Danny hat mir gerade erlaubt, ihn herumzukommandieren.
Und Tom hatte sich ins Wohnzimmer gelehnt und gesagt: Dann habt ihr ja beide genau das, was ihr wolltet.)
Brynn hatte immer die Frühschicht übernommen; Tom brachte Colin auf dem Weg zur Arbeit in die Krippe. Danny schloss dann abends zu. Wenn Kim auftauchte – falls sie sich noch irgendwann zum Auftauchen bequemte -, musste er sie mit einem Schild zu True Brew rüberschicken. Der Laden musste erst mal geschlossen bleiben – wie lang? Eine Woche? Er und Brynn waren die alleinigen Geschäftsführer. Danny würde eins von den Mädels befördern müssen. Aber wer übernahm den Laden auf lange Sicht? Vielleicht jemand aus Brynns Familie -
Brynns Familie. Toms Familie. Was für ein Vollidiot er war!
Die Polizei hatte Dannys Nummer in Toms Brieftasche gefunden und ihn ins Leichenschauhaus bestellt, nachdem er ihnen gesagt hatte, dass die Angehörigen alle auswärts lebten. In gewissem Sinne bin ich wohl ein Angehöriger, hatte er gesagt. Jetzt musste er die echten Angehörigen verständigen: Brynns Mutter, die in Colorado Springs Brynns Vater pflegte – er hatte vor zwei Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten. Und Toms Eltern, beide Missionare in Sierra Leone. Er wusste nicht einmal, wie er sie kontaktieren sollte. Selbst Tom sprach nur ein paarmal im Jahr mit ihnen. Und dann gab es Brynns Schwester in Pittsburgh und Toms Bruder Walt in Denver …
Dannys Herz schlug zu schnell. Er trank einen Schluck Whiskey. Er würde die Anrufe am Morgen machen. Vorher konnte ohnehin niemand etwas tun. Und er war nicht in der Verfassung zu telefonieren, noch eine ganze Weile nicht.
Sie würden alle nach Columbus zur Beerdigung kommen – Gott, die Beerdigung! Wenigstens darum würde sich jemand anderes kümmern. Er versuchte diese ganzen Leute vor sich zu sehen, alle weinend. Sich selbst, wie er ihnen eröffnete, dass er jetzt Colins Vormund war. Sich selbst, wie er ihnen die wundertätigen Papiere zeigte, die in Toms Arbeitszimmer warteten. Und dann hundert verschiedene Gesichter, eins besorgter als das andere.
Vielleicht konnte er einfach mit dem Kleinen daheimbleiben. Einen Dreijährigen nahm man ja wohl nicht zur Beerdigung seiner Eltern mit, oder?
Seine eigenen Eltern sollte er auch anrufen. Seine Mutter würde herkommen und so lange bleiben, wie er es wollte, sie würde ihm Ratschläge geben. Und Walt genauso. Er hatte eine kleine Tochter, ein bisschen älter als Colin. Vielleicht konnte er sie mitbringen, dann hätte Colin für eine Weile jemanden zum Spielen. Walt war ein anständiger Kerl. Er würde tun, was er konnte.
Alle würden sie ihm helfen. Ein kleines Kind – niemand würde Colin den Rücken kehren.
Auch Kim nicht. Oder?
In Wahrheit hatte Danny keine Ahnung, was Kim zu alledem sagen würde. Es war nicht ihre Art, die Dinge rational anzugehen, und Krisen schon gar nicht. Sie war erst vierundzwanzig, Himmelherrgott; sie hatte mindestens so viele Jobs hingeschmissen wie er, nur in zehn Jahren weniger. Vor einem Monat erst hatte er ihr tausend Dollar geliehen, damit sie ihre Kreditkartenschulden abbezahlen konnte. Er versuchte sie sich vorzustellen, wie sie Colin auf ihrer Hüfte hüpfen ließ, so wie Brynn. Selbst in seiner Phantasie sah sie entsetzt aus.
Er sah wieder auf die Uhr. Schon eine Dreiviertelstunde, seit sie aufgelegt hatten. Sein Hirn wollte nicht aufhören zu rasen – Kim, wie sie einen Liebhaber anrief. Kim, wie sie in Richtung Alaska düste, so schnell ihr kleiner Mazda es zuließ. Kim, wie sie auf dem Mittelstreifen der I-270 verblutete.
Er musste an etwas anderes denken. Schluss jetzt mit dem Rumgeschlunze, Zeit für die Schatulle.
Das Arbeitszimmer ging vom selben Flur ab wie Colins Zimmer. Danny blieb an der Tür stehen und lauschte; Colins kleine, pfeifende Atemzüge waren durch den Spalt gerade eben hörbar. Danny hatte noch seine Schuhe an; jetzt zog er sie aus und ging die Schritte bis zum Arbeitszimmer vorsichtig auf seinen feuchten Socken.
Das Arbeitszimmer war Toms Allerheiligstes gewesen. Er hatte eine Schwäche für Interieurs im Corleone-Stil, Mahagonimöbel, Lampen mit grünem Schirm, Füllfederhalter. Hier drin fühle ich mich am meisten als Anwalt, hatte er immer gesagt. Danny kam das Zimmer jetzt eher wie ein Bestattungsinstitut vor: zu still, zu dunkel.
Er knipste die Schreibtischlampe an und ging zu dem Rollpult in der Ecke. Er fand darin die Eisenschatulle und den an der Unterseite der obersten Schublade festgeklebten Schlüssel, genau wie Tom es ihm gezeigt hatte.
In der Schatulle war ein Stapel versiegelter brauner Umschläge, alle mit Toms ordentlicher Handschrift beschriftet. Fahrzeugpapiere. True Brew. Hypothek. Geb.-Urkunden. Und dann, ganz unten: Im Falle des Todes von Tom Schultz und Brynn Matthews.
Danny schlitzte den Umschlag mit Toms großem goldenem Brieföffner auf. Ein Bündel Papiere und Kuverts, gewichtig und amtlich, rutschte ihm auf den Schoß. Obenauf war ein kleinerer Umschlag, ebenfalls zugeklebt. FÜR DANIEL O’DAY. PERSÖNLICH stand mit Filzstift darauf.
Danny starrte an die Zimmerdecke, bis das Stechen in seiner Nase nachließ.
Er drehte den Umschlag zweimal in den Händen und wünschte sich sehnlich, ihn nicht öffnen zu müssen. Verdammt, er dachte gar nicht daran, ihn zu öffnen! Er würde den ganzen Krempel in den Kamin werfen und verbrennen. Sollte doch alles so laufen wie anderswo auch. Sollte sich doch jemand aus Toms oder Brynns Familie – Walt! – um Colin kümmern, um all die Kuverts, um diese ganze Scheißbescherung.
Nein. Tom hatte sicher irgendwo Kopien. Er war der Typ dafür.
Danny wischte sich über den Mund. Was war er nur für ein Arschloch. Er konnte die Papiere nicht vernichten, weil es auffliegen würde? Nicht etwa, weil er bei seinen besten Freunden im Wort war? Weil ihm etwas an ihrem Kind lag?
Siehst du?, fragte er Tom im Geiste. Siehst du, was für eine Schnapsidee das war?
Mit einem Seufzer griff er nach dem Brieföffner.
Aus dem Umschlag kam ein Briefbogen zum Vorschein, dessen Hintergrund blass bedruckt war: eine dieser vergilbten alten Weltkarten, auf denen schuppige Meeresungeheuer die Köpfe aus Ozeanen recken. Das Blatt war eng mit Toms Handschrift beschrieben.
Danny,
tja, es ist vier Uhr früh, und ich bin in einer merkwürdigen Stimmung. (Wer hätte das gedacht?) Ich hoffe, in zwanzig Jahren zeige ich dir diesen Brief und wir lachen darüber. Wenn du ihn vorher liest … ja, dann sind Brynn und ich tot, und du weißt besser als ich, was passiert ist. (Oder du hast geschnüffelt, in welchem Fall ich dir wünsche, dass es dich mindestens genauso gruselt wie mich jetzt. Und du bist verpflichtet, es mir zu beichten, du Schafskopf.)
Gut, aber wenn wir tot sind und Colin noch lebt, dann findest du in diesem Umschlag alles, was du für die nächsten Schritte brauchst. Unsere Testamente sind notariell beglaubigt – du musst sie nur unserem Anwalt geben, und er wird alles in die Wege leiten. Er ist ein Freund von uns; du kannst ihm vertrauen. Den größten Teil unseres Vermögens sollst du verwalten, bis Colin selbst alt genug dafür ist. Brynn und ich haben außerdem jeder eine Lebensversicherung – die von Brynn ist zu Colins Gunsten abgeschlossen, meine zu deinen. Das Geld sollte reichen, um die Hypothek abzubezahlen, falls du von hier weg willst – denk um Gottes willen nicht, du müsstest hierbleiben! Wenn das Schlimmste eingetreten ist, sollst du dich auf gar keinen Fall angebunden fühlen.
Wir haben so ziemlich Colins gesamte Säuglingszeit auf Video. Ich habe vorhin versucht, einen Brief an ihn zu schreiben, aber es hat mich zu fertig gemacht. Wahrscheinlich ist es das Beste, du lässt ihn die Videos einfach anschauen, wenn er so weit ist. Sie sind in einer feuerfesten Truhe im Keller.
Nun zum unguten Teil. Was meine Eltern von mir halten, weißt du. Und solltest du es noch nicht geahnt haben: Dich mögen sie auch nicht besonders. Der gottlose, ungewaschene etc. Ich bin ziemlich sicher, dass sie deine Vormundschaft anfechten werden. Und wenn sie es richtig anstellen, macht Walt möglicherweise auch mit. Ich weiß, dass das hart für dich werden wird; ich weiß, dass du an den Punkt gelangen wirst, wo es dir einfacher erscheint nachzugeben, aber bitte, tu’s nicht. Wenn ich schon nicht Colins Vater sein kann, dann möchte ich wenigstens, dass du es bist. Du hast eine zu geringe Meinung von dir. Ich habe das nicht, Brynn hat es nicht, und Colin auch nicht.
Also dann, pack’s an, spring rein ins kalte Wasser. Um uns trauern sollst du natürlich auch, aber dazu ist jetzt erstmal keine Zeit.
Sag Colin, dass wir ihn lieb hatten, und sag es ihm jeden Tag.
Tom
Zwanzig Minuten später, als Kims leises Klopfen ihn aufschreckte, saß Danny auf der Couch, die Flasche zwischen die Schenkel geklemmt, Toms Brief umgedreht neben sich auf dem Kissen. Er stand so hastig auf, dass er fast den Whiskey verschüttet hätte, und das Zimmer schwankte ganz leicht. Gut, dachte er. Umso besser. Er öffnete die Tür.
Hi, Baby, sagte er.
Hey, sagte Kim und kam ohne Umstände herein, wenn auch nicht sehr weit. Ich musste erst Amanda anrufen, dass sie mich fährt, sagte sie. Ich bin immer noch ziemlich neben der Spur. Sie kreuzte die Arme über der Brust und spähte an Danny vorbei ins Wohnzimmer.
So heilfroh Danny war, sie zu sehen: Sie sah wüst aus. Ihr rundes Gesicht war bleich und gedunsen, die Augen rotgerändert hinter der Brille, das kurze braune Haar verstrubbelt und schlaff. Sonst kannte er sie fast nur sexy und kess und mit Kussmund – er mochte das Energische an ihr, ihren Anblick in schwarzer Lederjacke und engem Rock, der ihre vollen Hüften umspannte. Aber jetzt, in Sweatshirt und Jeans, ausgelaugt und ernst, ähnelte sie eher der Mutter der Babysitterin als der Kim, die er kannte.
Trotzdem, dass sie so gar keine Anstalten machte, ihn zu umarmen, ließ ihm die Kehle eng werden.
Bist du allein?, fragte sie.
Ja. Ich dachte, das hätte ich dir schon ge-
Ich – ich hab gedacht, es wären vielleicht … die Bullen da oder so was. Oder von der Familie jemand.
Er zählte ihr auf, wo die Angehörigen wohnten. Kim drehte sich langsam in der Mitte des Wohnzimmers und starrte auf alles außer auf ihn.
Sie hatte sich nie wohlgefühlt hier bei Tom und Brynn – sie hatte ihnen sogar bittere Superhelden-Namen verpasst: Super-Mom und Lawyer-Boy. Ihr Haus hieß bei ihr nur das Einrichtungshaus. Das ist nicht fair, hatte er ihr immer gesagt. Dabei hatte er sich in dem Haus selber nie so ganz wohl gefühlt. Mit Colin, das musste man sagen, war es besser geworden – turbulenter, weniger museumsartig. Aber Brynn spannte selbst Colin schon ein, brachte ihm bei, wie lustig es war, Ordnung zu halten, alles da hinzutun, wo es hingehört. Neuerdings versuchte Colin, Schubladen oder Schränke schon wieder zuzumachen, bevor Danny sie ganz geöffnet hatte, sein rundes Gesicht tadelnd und beleidigt. Nein, Onkel Danny, das gehört nicht so. Brynn hätte sich totlachen wollen darüber. Onkel Danny ist ein alter Schlamper, stimmt’s?, sagte sie, und Colin zeigte auf ihn und trompetete: Alter Schlamper!
Nur wir beide, sagte Danny zu Kim, für ein Weilchen noch.
Mann, sagte sie. Es müsste, was weiß ich, eine Agentur für so was geben. Jemand … Sie strich sich durchs Haar und ließ den Gedanken unvollendet.
Hey, sagte er und hielt das Glas hoch. Magst du?
Du trinkst?
Ja. Du – also komm, jetzt schau mich nicht so an.
Es ist nur, ich meine, da schläft ein Kind nebenan. Vielleicht solltest du da besser nicht betrunken sein?
Danny sah auf die Flasche und stellte sie dann auf einem Beistelltischchen ab. Weißt du, sagte er, vielleicht brauche ich gerade ein bisschen Trost. Von dir.
Kim starrte ihn an, als hätte er eben in dieser Sekunde aus dem Nichts heraus Gestalt angenommen. Dann blinzelte sie und nickte.
Entschuldige, Baby, sagte sie und schlang die Arme um ihn.
Er küsste sie auf den Scheitel. Sie roch nach verrauchten Bars, nach fernen Bieren. Er mochte den Geruch – er erinnerte ihn an Gigs, an lachende Menschen, an dieses Gefühl, das er jedesmal bekam, wenn die Band loslegte und die Menge zu johlen anfing. Oder wenn er mit wundgespielten Fingern eine kalte Flasche aufhob, hinterher, in den lärmenden, frohen Frühmorgenstunden. Oder wenn er mit Kim ins Bett stolperte. Er fragte sich, wann – ob! – er dieses Gefühl je wieder haben würde.
Kim löste sich von ihm, viel eher, als ihm lieb war. Wo ist Colin?, fragte sie.
Schläft.
Ist er kein einziges Mal aufgewacht?
Nein. Sie sagen, er schläft zurzeit immer durch, und … ach, Scheiße, ich weiß doch eh nicht, was ich ihm sagen soll. Er wird nach seiner Mutter fragen.
Er wollte sie dringend wieder berühren, aber Kim hatte die Arme verschränkt.
Kann ich ihn sehen?
Danny führte sie den Flur entlang, der vom Wohnzimmer abging; ihre Stiefel klackten auf den Dielen, und ohne dass Danny sie darum bitten musste, stützte sie sich rasch an der Wand ab und zog sie aus. Er stieß Dannys Tür auf, blieb aber auf der Schwelle stehen, so dass Kim nur hineinschauen konnte, wenn sie sich ganz dicht neben ihn stellte. Das tat sie. Ihre Hüfte rieb an seiner.
Colin schlief, auf dem Bauch. Er war groß für sein Alter, und so im Dunkeln ausgestreckt schien er noch einmal größer. Wenn man die Augen ein bisschen zusammenkniff, wirkte er auf dem Kinderbett fast so lang wie ein Teenager.
Ehe Danny sie hindern konnte, schlüpfte Kim an ihm vorbei und trat ins Zimmer, wenige Millimeter vor der Hand, die er ihr gerade auf den Rücken legen wollte. Die Dielen knarzten, und er flüsterte Hey und folgte ihr.
Sie drehte sich um und legte den Finger an die Lippen. Dann kniete sie sich auf den geflochtenen Vorleger vor Colins Bett. Ihre Knie kamen nacheinander auf, so laut wie zwei Knallbonbons. Colins Hand zuckte auf der Matratze. Ein paar lange Sekunden blieb Kim völlig reglos, das Gesicht von Danny abgewandt, ehe sie die Hand hob und die Decke sachte über Colins Hinterteil zog. Er zappelte kurz, seine Beine ruderten, dann lag er wieder still. Kim stand auf.
Im Wohnzimmer flüsterte Danny: Was hast du gemacht?
Sie setzte sich auf die Couch. Gebetet. Es klang fragend.
Kim war religiös erzogen, das wusste er, aber auf dem College war sie dann davon abgekommen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie noch betete.
Sie sah seinen Gesichtsausdruck und verzog den Mund. Besonderer Anlass, sagte sie. Okay. Jetzt könnte ich einen Drink vertragen.
Er holte noch ein Whiskeyglas aus der Küche und schenkte ihr ein. Sie trank rasch, saß dann da, die Augen geschlossen.
Kann ich mich zu dir setzen?, fragte er.
Sie nickte und rutschte ein Stück, aber Danny setzte sich so nah neben sie, dass seine Hüfte, als die Polster einsanken, an ihre stieß. Er legte ihr die Hand aufs Knie, und sie schob ihre darüber.
Was ist mit den anderen Freunden?, fragte sie.
Wie?
Andere Freunde von ihnen. Sie kennen doch sicher Leute mit Kindern.
Danny nickte, beschämt, dass er nicht von allein darauf gekommen war. Doch, sagte er. Brynn trifft sich mit ein paar Frauen aus der Nachbarschaft. Sie haben so eine … eine Spielgruppe, wo jede mal dran ist mit Einladen -
Wir bräuchten hier wen, der sich mit Kindern auskennt. Mist. Ich hab keine Ahnung. Ich meine, verhungern würde er uns ja wohl nicht, aber …
Maggie, sagte Danny. Eine von den Frauen heißt Maggie. Ich glaube, sie wohnt sogar hier in der Straße. Die ist oft hier.
Maggie hatte eine Tochter – irgendsoein grausiger, pappsü ßer Name, Kaylee? -, die nur ein klein wenig jünger als Colin war. Colin hatte ein Auge auf Kaylee geworfen. Danny war bei einem der Spielnachmittage dabei gewesen – Brynn hatte ihn beschwatzt, seine Gitarre mitzubringen und den Kindern Folksongs vorzunäseln, »This Land is Your Land«, diesen ganzen Müll. Aber die Kinder hatten es herrlich gefunden, und nach »Puff the Magic Dragon« hatten sie dagesessen und zu ihm aufgeschaut, als wäre Danny soeben höchstselbst auf Puffs Rücken vom Himmel herabgeschwebt. Nach der Vorstellung blieb Danny im Wohnzimmer und beaufsichtigte die Kinder, während Brynnie und die Mütter Brynns Kräutergarten hinterm Haus bewunderten. Colin sah fern, an Dannys Knie gelehnt. Dann fing ein älterer Junge, vielleicht vier, damit an, Kaylee zu zwicken, die losweinte. Danny drehte sich um, sagte Hey! Aber ehe er noch aufstehen konnte, hatte Colin sich schon vom Fernseher abgewandt und baute sich zwischen Kaylee und dem Rowdy auf. Lass das, befahl Colin dem Jungen mit einem Gesicht, das ganz verzerrt war vor Wut. Lass das bloß bleiben! Der Rowdy bekam große Augen und begann zu wimmern. Alle Kinder im Raum verstummten und starrten auf Colin, der Kaylee bei der Hand nahm und sie zur Couch hinüberführte. Sie setzte sich an Dannys Füße und hob ein Spielzeug auf. Colin lehnte sich wieder gegen Dannys Knie. Als wäre nichts gewesen.
Er war tapfer, er war so ein tapferer kleiner Kerl. Aber nicht tapfer genug, Himmelherrgott.
Kim sagte: Wir sollten Maggie herholen. Sie weiß sicher eine Menge über Colin. Was er gern mag. Kim stand auf. Weißt du, wo sie wohnt?
Es ist zu früh, sie ist noch nicht wach.
Wütender Blick von Kim. Colin ist ein Waisenkind! Hier ist jemand gestorben, verdammt. Von mir aus können sie beim Weihnachtsessen sitzen, das ist mir scheißegal!
Hey. Hey! Nicht so laut. Okay?
Herrje, irgendwas müssen wir doch machen!
Du tust, als ob wir völlig aufgeschmissen wären. Ich hab zigmal auf ihn aufgepasst. Okay? Er mag Joghurt und Grahamcracker und Bananen. Er darf nichts trinken, was Farbstoffe oder Koffein enthält. Er ist sauber. Okay? Dafür müssen wir diese armen Leute nicht aus dem Bett werfen.
Er sah, wie Kim leicht den Kopf einzog. Seine Wut erschreckte ihn; noch vor zehn Minuten wäre er, wenn er selber die Idee gehabt hätte, schluchzend zu Maggie gerannt. Aber Kim redete so, als hätte er von nichts eine Ahnung.
Kim flüsterte: Ich wollte bloß – ich weiß nicht, was ich tun soll.
Komm. Setz dich erst mal her. Lass Colin meine Sorge sein, wenn du ein Problem damit hast, okay? Jetzt im Augenblick brauch ich dich.
Sie hatte zu schluchzen angefangen. Ich hab kein Problem damit, ich hab nur -
Sie kam zu ihm und setzte sich hin, und er verstand kein Wort von ihrem Gestammel. Er legte den Arm um sie.
Komm, wir legen uns hin. Schscht. Leg dich hin. Wir haben noch ein bisschen Zeit. In Ordnung?
Sie schniefte in seine Schulter, krallte sich mit beiden Händen in sein T-Shirt, nickte. Er ließ die Schwerkraft das ihre tun.
Er streichelte ihre rechte Hand, und da spürte er ihn plötzlich: den Ring, den er ihr geschenkt hatte, vor drei Monaten. Heute Nacht trug sie ihn – bei mehr als einer Gelegenheit im letzten Monat hatte sie ihn nicht angehabt, und Danny hatte sich verrückt gemacht mit seinem Gegrübel darüber, was das hieß. Darüber, ob Kim ihm Botschaften sandte, Signale. Er zog ihre Hand zu seinem Mund hoch, um ihn sehen zu können. Vorhin, als sie hereingekommen war, hatte er gar nicht daran gedacht, nach dem Ring zu schauen. Aber hier war er. Sie hatte ihn angesteckt, für ihn. Kim erwiderte seinen Blick, sah flüchtig auf seinen Daumen, der über den Ring rieb. Ihre Mundwinkel zuckten auf eine Weise, die er nicht deuten konnte, und dann vergrub sie das Gesicht an seiner Schulter und schluchzte los.
Nein, alles in Ordnung, schluchzte sie immer wieder. Alles in Ordnung.
 
Das hatte sie Monate zuvor auch gesagt. Als er ihr den Ring gegeben hatte. Das Ganze war eine viel größere Sache gewesen, als Danny sich vorgestellt hatte. Nicht weil der Ring teuer gewesen wäre – es war nur ein keltisches Herz aus Silber, alt und angelaufen auf eine Art, die es noch ein bisschen schöner aussehen ließ. Er hatte ihn in einem Antiquitätenladen entdeckt, in dem er und Kim manchmal herumstöberten, und er war so beglückt gewesen über seinen Fund – darüber, ihr zuvorgekommen zu sein -, dass er ihn gekauft hatte, ohne sich zu überlegen, was er denn sagen wollte, wenn er ihn ihr gab. Was der Ring bedeutete. Aber man konnte einer Frau nicht einfach so einen Ring schenken. Ein Ring bedeutete immer etwas.
Also hatte er Brynn nach ihrer Meinung gefragt, eines Nachmittags, als sie im Hinterzimmer des Coffeeshops den Wochenplan durchgingen.
Brynn drehte den Ring zwischen den Fingern. Er sah schäbig aus, wie sie ihn so hielt, und Danny wünschte schon, er hätte lieber Tom gefragt. Aber dann lächelte Brynn, und er fühlte sich ein bisschen besser, und sie gab ihm den Ring so behutsam zurück, dass es ihm gleich erheblich besser ging.
Ich will nicht, dass sie denkt, es ist diese Art Ring, erklärte Danny ihr. Aber ich will auch nicht so tun, als würde er gar nichts bedeuten.
Habt ihr denn schon mal übers Heiraten gesprochen?, fragte Brynn.
Nein.
Es ist jetzt fast ein Jahr, sagte Brynn, ihre Stimme vorsichtig, anspielungsreich. Dabei wusste er, dass sie nicht übermäßig viel von Kim hielt. Kim und Brynn waren beide viel zu liebenswürdig zueinander; Danny meinte die Frauen gut genug zu kennen, um zu wissen, was das hieß. Und Brynn hatte so eine Art, Fragen zu stellen – Was genau macht Kim denn? Was für Zukunftspläne hat sie? -, die es auf bescheuerte Antworten geradezu anzulegen schien.
Und außerdem, sagte er ihr, will ich gar nicht heiraten. Und Kim, soviel ich weiß, auch nicht.
Ach, Danny, sagte Brynn. Und darin war sie anders als Tom: Immer wieder schaffte sie es zwischendurch, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er nicht so war wie sie.
Er fuhr die Stacheln aus. Und deshalb stimmt mit mir was nicht, oder wie?
Nein, natürlich nicht, sagte Brynn, aber in ihrem Blick lag trotzdem etwas Bekümmertes. Danny – du weißt, wie sehr Tom und ich dich mögen. Ich wünsche mir doch nur, dass jemand dich so liebt, wie er und ich uns lieben.
Und das geht nur, wenn ich verheiratet bin?
Brynn ruderte noch ein Stück zurück, sah weg von ihm, hinunter auf ihren Wochenplan. Nein, sagte sie. Du hast ja Recht.
Komm schon, sagte er. Sag’s.
Na ja, sagte sie, ich denke eben, dass es etwas bedeutet – etwas Wichtiges -, wenn man sich auf diese Weise zu einem Menschen bekennt. Sie sah ihn an. Ich wollte eigentlich auch nie heiraten, wusstest du das?
Mhm.
Doch, wirklich, sagte sie. Ich war viel zu sehr auf meine Unabhängigkeit bedacht. Aber allein sein wollte ich auch nicht – irgendjemand sollte schon da sein. Und dann habe ich Tom kennengelernt und mich in ihn verliebt, und plötzlich war alles anders. Ich konnte ihm gar nicht genug Versprechungen machen. Sie lächelte. Und ein Kind wollte ich plötzlich auch. Zusammen mit Tom.
Ich kann nicht umhin zu bemerken, sagte Danny, dass wir über Kinder reden. Wieder mal.
Ich glaube, es hängt alles zusammen, sagte Brynn. Ich wollte ein Kind wegen Tom. Ich glaube, Colin zu bekommen war eine Art, ihm zu sagen: Dieser Teil von mir wird immer da sein. Verstehst du? Das ist die Zukunft, und sie zählt. Sie warf Danny einen raschen Blick zu. Ergibt das einen Sinn?
Ja.
Brynn sah auf den Ring in seiner Hand. Empfindest du bei Kim etwas Ähnliches?
Danny wusste nicht recht, ob das jetzt wieder eine von Brynns Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst-Fragen war. Aber es kam ihm nicht so vor. Danny steckte den Ring in seine Tasche. Ich liebe sie, sagte er.
Brynn lächelte. Als hätten Danny und sie Streit gehabt, und sie hätte gewonnen.
Sie sagte: Dann gib ihr doch einfach den Ring und schau, wie sie ihn gern sehen möchte.
Das klang schlauer als alles, was Danny sich so zurechtgelegt hatte, ganz egal, was Brynn zusätzlich noch hineingeheimniste. Also ging er gleich am selben Abend, als er im Laden fertig war, zu Kim. Kim war stinkig an diesem Abend – zu der Zeit arbeitete sie als Rezeptionistin in einer Wirtschaftsprüfungsfirma und hatte gerade einen neuen Chef bekommen, und der Kerl war ein Arschloch. Danny kochte ihr Spaghetti, und sie lehnte hinter ihm am Kühlschrank, rauchend und schimpfend.
Kims schlechte Laune störte ihn kein bisschen; er summte vor sich hin, während er Tomaten und Paprika für die Soße schnippelte. Und wie er so mit ihr stand und ihren immer halbherzigeren Klagen lauschte, dachte er plötzlich, dass das hier – diese ganze Szene: das Kochen, das unernste Gemaule, der Essensgeruch, die Aussicht darauf, später in den wilden Kissenhaufen auf Kims Wohnzimmerboden nackt mit ihr zu kuscheln und Platten zu hören – dass alles das sich … ausbaufähig anfühlte. Nicht nach Brynns Vorstellungen – nicht mit Heiraten und Kinderkriegen, überhaupt nicht. Aber er wollte nicht, dass es aufhörte. Und als er sich, rein probehalber, vorstellte, dass er Kim verlieren könnte, dass sie in dieser Küche saß und diese selben Dinge alleine tat oder mit irgendeinem anderen Mann, hätte er vor lauter Jammer am liebsten den Kochlöffel hingeworfen und sie umarmt.
Nach dem Essen, als sie auf dem Sofa Wein tranken, sagte er: Ich hab dir einen Ring gekauft. Er spürte, wie er rot wurde. Nicht so einen … aber ich hab dir einen gekauft.
Sie setzte sich auf, während er in seiner Jeanstasche wühlte. Einen Ring?
Er hielt ihn ihr hin.
O mein Gott, sagte sie. Danny! Ist der aus dem Attic?
Ja, ich hab ihn gestern gefunden.
Mein Gott, genau so einen wollte ich immer! Wie hast du das geahnt?
Weiß nicht. Ich dachte einfach, der könnte dir gefallen.
Sie sah ihn an. Ihre Augen waren sehr groß. Also was für ein Ring ist es?
Er grinste. Weiß auch nicht. Vielleicht ein Wie-wär’s-wenn wir-zusammenbleiben-Ring?
Sie lachte, auf die Art, wie sie immer lachte, wenn sie nervös war. Soll ich ihn an einem Bindfaden um den Hals tragen?
Wenn du magst. Kimmy?
Ja?
Ist alles in Ordnung?
Natürlich. Doch. Sie küsste ihn. Alles in Ordnung.
Und dann liebten sie sich, und Danny zog Kim alles aus bis auf den Ring. Und als sie hinterher miteinander im Bett lagen, redeten sie lange davon, dass sie zusammenziehen würden, wenn im August Kims Mietvertrag auslief.
Aber seitdem traten sie auf der Stelle. Der August rückte immer näher. Und Kim erschien Danny zunehmend unruhig und ausweichend – ging, so fand er, öfter mit ihrer Collegefreundin Amanda aus als mit zu seinen Auftritten, schlief öfter neben ihm vor dem Fernseher ein als nackt mit ihm im Bett.
Tom versicherte Danny, das sei normal. Ich kann schon froh sein, wenn ich zweimal im Monat zum Schuss komme, sagte er. Sagt sie dir, dass sie dich liebt?
Schon, sagte Danny. Aber nicht mehr so oft.
Ich würde es ansprechen. Es einfach mal beiläufig erwähnen. Spiel es nicht unnötig hoch.
Sprichst du Brynn darauf an?
Klar, ich beschwer mich andauernd. Aber, Mann – wir haben ein Kind. Wir haben eine Ausrede. Tom sah ihn an und grinste. Singles haben’s nun mal schwerer. Immer schon.
Aber Danny hatte Kim nicht darauf angesprochen. Er traute sich einfach nicht. Stattdessen hatte er sich – er wusste es selber – zum Idioten gemacht: ihr Geschenke und Blumen gebracht, wenn er sich ausrechnen konnte, dass sie nicht in der Stimmung dafür war, sie ins Bett zu kriegen versucht, wenn er genau wusste, dass er sich eine Abfuhr holen würde. Er brachte immer mehr Zeit mit Trinken zu, damit, darüber nachzubrüten, wie blitzschnell es bei ihnen beiden gegangen war – wie Kim nach einem Gig einfach zu ihm gekommen war, euphorisch; wie sie die erste Woche vollauf damit beschäftigt gewesen waren, sich einander zu öffnen, die meiste Zeit in Kims Bett. Der Blick, mit dem sie ihn angeschaut hatte, als wäre sie hin und weg von ihm – als wäre er nicht zehn Jahre älter und dicker und einsamer.
Jetzt schämte er sich fast, daran zu denken, wie dankbar er gewesen war, als Kim ihm gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Daran, wie er vor lauter Glück nicht hatte schlafen können, wie er mit offenen Augen dagelegen und in die Dunkelheit gestarrt und geglaubt hatte, alle seine Sorgen wären vorbei.
Und in der ganzen Zeit tauchte der Ring an Kims Finger auf und verschwand wieder, wie irgendein beliebiges Teil, das sie je nach Laune mal trug und mal nicht.
 
Fast eine Stunde lagen sie zusammen auf der Couch, Kims Rücken an Dannys Bauch geschmiegt. Er rieb in kleinen Bögen über die Naht ihrer Jeans, ein paar Zentimeter auf jeder Seite. Er wusste, dass sie nicht schlief – er konnte ihren Atem spüren, ihr gelegentliches Schniefen. Aber sie sprachen nicht.
Schließlich nahm Kim seine Hand und hielt sie gegen ihre Brüste, mit so festem Griff, dass klar war, dass sie nicht gestreichelt werden wollte. Aber auch nicht unfreundlich.
Danny?, sagte sie – ihre Stimme nach der langen Stille schreckte ihn auf. Was wird jetzt mit uns?
Er schloss die Augen – jetzt kam es. Ich weiß es nicht, sagte er.
Ich will keine Kinder.
Ich auch nicht. Aber ich hab’s versprochen.
Sie schwieg eine Weile, und er konnte nicht an sich halten.
Ich will dich nicht verlieren, Kimmy.
Nach einer langen Pause sagte sie: Ich dich auch nicht.
Danny wurde fast schwindlig vor Erleichterung.
Aber das hilft nichts, fügte sie hinzu und drehte sich ein bisschen. Es wird nie wieder so sein wie vorher. Ich liebe dich, aber doch, weil es eben so war, wie es …
Ich weiß. Aber dafür kann ich nichts.
Kim fragte: Willst du mich als seine – seine Mutter? Ich meine -
Ich weiß es nicht, sagte Danny. Wenn du mich gestern gefragt hättest, dann hätte ich gesagt, dass es zwischen uns – dass ich mir ein bisschen Sorgen mache -
Ja, sagte sie rasch.
- aber dass ich es eigentlich gern hinbekommen möchte. Und wenn es hinhaut, dann -
Dann würde es früher oder später eh auf das hier hinauslaufen, meinst du? Auf ein Kind?
Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber gestern hätte ich es als eine Möglichkeit gesehen.
Sie drehte ihm das Gesicht zu. Ihre Wangen waren nass. Ist es in Ordnung, wenn ich es noch nicht weiß?
Natürlich, sagte er. Ich liebe dich. Weißt du das? Ich liebe dich wirklich.
Was hätte er sonst sagen sollen?
Sie drehte sich ganz zu ihm um und küsste ihn. Oft ließ sie sein »Ich liebe dich« unerwidert – aber wenn sie ihn dann so küsste wie jetzt, dann wusste er, sie sagte es ihm auf ihre Art doch. Er küsste sie zurück, drängte sich fester an ihren breiten, weichen Körper.
Sein Mund öffnete sich weiter, ihrer auch. Ein paar Minuten lang pressten sie sich eng aneinander, tief in die Sofakissen gewühlt. Kims Küsse waren immer so, gierig und nass; sie machten ihn verrückt. Sogar jetzt. Danny spürte ein Kribbeln. Seine Hüften schoben sich leicht vor und zurück, seine Hände wollten mehr von ihr, wollten hinuntergleiten zu ihrem Gesäß. Wieder dieses kleine Züngeln des Chaos: Warum nicht, warum denn verdammt noch mal nicht? Wen hier kümmerte es noch?
Kim zog an seiner Hand. Danny, sagte sie und setzte sich auf.
Er ächzte. Er kam sich vor wie ein Sechzehnjähriger: beschwipst von zwei Bieren, nach dem Schulball im Dunkeln beim Fummeln erwischt.
Kannst du mich nicht einfach in den Arm nehmen?, fragte sie. Eine kleine Weile nur?
Klar, sagte er. Kim lag still neben ihm, und er starrte zur Decke hoch, während sein Blut allmählich wieder dahin zurückfloss, wo es hingehörte.
Nach einigen Minuten hob und senkte sich ihre Schulter immer langsamer; die Atemzüge, die ihm über die Wange strichen, wurden länger. Himmelherrgott. Eingeschlafen. War das so viel besser, als sich zu lieben? Sie drückte sich genauso wie er, und wenn sie noch so tugendhaft tat.
Viel brauchte sie von ihm ja nicht. Schon gar nicht den jetzigen Schlamassel.
Er rückte etwas, setzte sich auf, schob dann Kims Beine von seinen Oberschenkeln. Sie murmelte. Ich muss aufs Klo, sagte er.
Beim Aufstehen bemerkte er Toms zwischen die Polster gekrumpelten Brief. Er zog ihn heraus und strich ihn über der Armlehne glatt. Hey, Tom, du bist tot, und ich hab versucht, Kim in deinem Haus zu bumsen.
Du bist ein echter Freund.
Dannys Haus jetzt. Seine Couch. Sein Minivan in der Einfahrt.
Sein Sohn.
Und wenn er doch desertierte? Wenn er mit Walt zu dem Anwalt ging und ihm mitteilte, dass er mit der Sache nichts zu tun haben wollte? Wenn er jetzt gleich zu Kim ging und es ihr sagte?
Danny ging durch die Küche ins hintere Bad. Er pinkelte und wusch sich die Hände. Sein Gesicht im Spiegel war gedunsen, seine Augen blutunterlaufen, die Nase rot und wund.
Auf dem Rückweg machte er vor Colins Tür Halt. Er horchte nach dem Atem des Jungen. Wie hatten Tom und Brynn dem armen kleinen Kerl das antun können? Hier stand Danny und sann auf Mittel und Wege, sich aus dieser Falle herauszulavieren, dachte an Papiere und Anwälte und ans Bumsen, und all das, während Colin schlief und nicht ahnte, dass seine ganze Welt in Trümmern lag.
Er drückte die Tür auf.
Die Sterne an Colins Decke schimmerten ihr fahles, phosphoreszierendes Grün. Danny machte ein paar Schritte ins Zimmer. Er konnte sich nicht dazu bringen, gleich zu Colin hinzugehen, also besah er sich stattdessen die Regale, die an den Wänden aufgereihten Plastikkisten – alles ordentlich aufgeräumt. Es war ein gutes Zimmer, ein guter Ort für ein Kind: fröhlich, voller Spielzeug. Genau wie Dannys Kinderzimmer früher. Er und Tom hatten als Jungen ganze Tage in seinem Zimmer verbracht, mit diesen Tonnen von Star-Wars-Krempel, den sie beide zusammen hatten. War er je glücklicher gewesen als in diesen Zeiten – wenn seine Eltern irgendwo im Hintergrund verschwanden und es nur ihn und Tom gab und den Unfug, den sie sich ausdachten?
Danny beugte sich über Colin, der auf dem Rücken schlief, mit offenstehendem Mund.
Der Junge sah seinem Vater nicht sehr ähnlich. Er war schmaler im Gesicht, die Nase länger – er würde immer mehr nach Brynn kommen, je älter er wurde. Die Größe hatten sie beide ihm vererbt; er würde über einsachtzig werden, meinte der Kinderarzt. Danny versuchte ihn sich groß vorzustellen: mager, mit dichten kastanienbraunen Haaren wie Brynn, nur kurzgeschnitten, an der Seite gescheitelt. Welche Augenfarbe hatte er? Danny konnte sich nicht erinnern. Nicht braun, nicht wie Brynn, nicht -
Nicht schwarz, voller Blutergüsse.
Sie hatten Danny Polaroidfotos zum Anschauen gegeben. Auf dem Weg ins Leichenschauhaus hatte er sich darauf einzustellen versucht, die Leichname selbst ansehen zu müssen, aber die Beamtin erklärte ihm, dass man es heutzutage mit Fotos machte. Er wartete lange Zeit in einem fensterlosen Kabuff. Der Polizist, der Danny benachrichtigt hatte, fragte ihn, ob er einen Kaffee wolle, und als der Kaffee dann kam, war er sogar ziemlich gut. Eine Sozialarbeiterin saß eine Zeitlang bei ihm und nannte ihm Stellen, an die er sich wenden konnte, gab ihm Broschüren und ihre Visitenkarte. Für den Fall, dass er sich morgen danach fühlte, oder wann immer. Es ist jetzt ganz wichtig, dass Sie Leute um sich sammeln, die Ihnen helfen. Gehen Sie die Sache im Team an. Die Beamtin – sie schien kaum dem Teenageralter entwachsen, vom munter wippenden Pferdeschwanz bis hin zu den verstreuten Pickeln auf ihren Wangen – riet ihm, sich Zeit zu lassen. Im Gesicht seien Tom und Brynn nicht schlimm verletzt, sagte sie, aber der Tod, gerade durch Autounfälle, verändere das Aussehen. Im Fall seiner Freunde habe der Aufprall Blutungen im Augenbereich verursacht. Die Augen würden dunkler sein, als er sie in Erinnerung hatte. Darauf müsse er gefasst sein.
Es stimmte. Die Leute auf den Fotos sahen nicht aus wie Tom und Brynn. Doch. Doch, sie sahen aus wie sie. Ihre Gesichter sahen aus wie graue Latex-Masken von Tom und Brynn, die schlaff und hohl dalagen, ohne einen Kopf dahinter, der ihnen Form gab. Die rechte hatte Toms Haare und Bart. Die andere sah aus wie Brynn, nur dass ihre Züge schiefgezogen waren, mit Schlagseite nach rechts. Er konnte ihre bloßen Schlüsselbeine sehen und sagte sich, dass sie außerhalb der Fotos nackt sein mussten, und das erschien ihm verkehrt, furchtbar verkehrt.
Die Gesichter hatten einen unterschiedlichen Ausdruck. Tom sah aus, als würde er einen Witz erzählen. Sein Mund stand offen, und seine Lippe kräuselte sich ein wenig und gab die Zähne frei. Seine schwarzen Augen waren Schlitze, der Kopf lag eine Spur im Nacken. Brynn sah trauriger aus. Toter, ihre Haut bläulicher. Blutsprenkel an Schulter und Kinnlade deuteten auf etwas Entsetzliches weiter unten hin. Ihre Haare standen wirr vom Kopf weg; sie hatte sie hochgesteckt gehabt, als sie um fünf aus der Arbeit weggegangen war. Ihre Augen waren nach oben gerollt, weiß an den unteren Rändern, schwarz an den oberen, und ihr Mund stand noch etwas weiter offen. Als wäre sie diejenige der beiden gewesen, die nach vorne geschaut und gesehen hatte, was auf sie zukam. Als hätte sie es Tom sagen wollen, ihn warnen, aber Tom hätte nicht zugehört.
Er sagte zu der Beamtin: Ich habe genug gesehen.
Sie waren irgendwo zum Essen gewesen. Wahrscheinlich ein bisschen spät dran. Sie schienen immerfort heimzueilen, um da stehen zu können, wo Danny jetzt stand: am Bett ihres schlafenden Kindes. Um mühelos das tun zu können, wozu Danny nicht den Mut fand: sich hinabbeugen und Colin auf die Stirn küssen, ihn zudecken, riskieren, dass er aufwachte. Ihn lieben.
Liebte er Colin?
Er liebte Tom. Brynn hatte er liebgewonnen. Aber ihren Sohn? Sollte er nicht mehr empfinden, als er empfand? Wenn er auch nur im Ansatz ein guter Mensch war, müsste dann sein Herz nicht diesem armen Kind zufliegen? Gestern noch hätte er gesagt, klar liebe ich Colin. Natürlich. Er ist mein Patenkind.
Aber heute?
Was, wenn vor ihm plötzlich der Teufel stünde und einen Pakt vorschlug? Du kannst Tom und Brynn zurückhaben. Nichts leichter als das. Gib mir einfach den Jungen, und ich bringe sie zurück. Würde er einwilligen? Was war Colin denn überhaupt? Er war drei, völlig ungeformt noch. Alle liebten Kinder so über die Maßen – aber was war mit ihren Eltern? Wo blieben die? Nur weil sie ein Kind hatten, galt ihr Leben plötzlich weniger? All ihre Arbeit, all ihre Liebe und Mühe waren dahin, und zurück blieb nichts als ein Kind, das den Verlust nicht im Entferntesten ermessen konnte – war das ein gerechter Tausch?
Er stellte sich Toms Eltern vor, oder auch Walt, die Colin für sich fordern könnten. Wenn sie jetzt hier wären, wenn sie anbieten würden, ihm die Last abzunehmen, würde Danny kämpfen? Wäre er in der Lage dazu? Sein erster Impuls würde sein, zu zerfließen vor Erleichterung. Kim bei der Hand zu nehmen und das Weite zu suchen.
Er dachte an Colins Art, sich an seine Hand zu hängen – manchmal, um ihn irgendwo hinzuzerren, ihm Spielsachen zu zeigen. Aber manchmal griff er auch einfach nur nach Dannys Hand und hielt sie, als wäre es das Natürlichste von der Welt.
Wer hatte sich in letzter Zeit mehr darüber gefreut, ihn zu sehen? Colin oder Kim?
Danny ließ sich schwerfällig auf dem Boden neben Colins Bett nieder. Er war der schlechteste Mensch, der herumlief. Er liebte den Jungen doch. Wirklich. Vielleicht nicht so, wie seine Eltern ihn liebten – aber das war nicht Colins Schuld. Nichts von alledem war Colins Schuld. Danny wünschte, er könnte sich bei jemandem entschuldigen, der ihn verstand.
Er versuchte es sich auszumalen. Seine Stimme zu hören, die sagte: Ich hab dich lieb, Colin.
Neuerdings hatte er angefangen, Colin auf seiner Gitarre herumspielen zu lassen. Seine Finger waren zu klein, um viel auszurichten, aber Danny brachte seine Martin mit und zeigte Colin, wie er sie halten musste, zeigte ihm, dass verschiedene Saiten verschiedene Töne machten. Danny drückte die Saiten herunter, und Colin zupfte aufs Geratewohl mit dem Plektrum daran herum und guckte nach jedem geglückten Ton hingerissen zu Danny hoch. Er wurde jetzt schon immer ganz aufgeregt, wenn er nur den Gitarrenkasten sah. Manchmal zupfte Danny die Saiten, und Colin krähte dazu das ABC-Lied – das bei ihm, so klein wie er war, zu einem ziemlichen Kuddelmuddel geriet, aber immerhin.
Manchmal setzte Danny Colin auf seine Schultern und schnaufte, mit den Armen pumpend, im Garten herum wie eine Lok, und wenn die Lok pfeifen sollte, zog Colin an Dannys Pferdeschwanz, unter spitzen Begeisterungsschreien, ganz selig in seiner Höhe.
Aber das waren nur die guten Zeiten, an die Danny dachte. Die Spiele.
Es kam immer noch vor, dass Colin auf den Boden pinkelte. Er musste gebadet werden. Und auch das Spielen – das nahm Stunden und nochmals Stunden in Anspruch; man konnte den armen Kerl schließlich nicht vor dem Fernseher parken und sein Gehirn vergammeln lassen. Ganz zu schweigen von dem unbedeutenden Faktor Persönlichkeit und Erziehung, all den positiven Gefühlen und Gedanken, dem Karma, das Tom und Brynn durch ihre bloße Anwesenheit auf ihn übertragen hatten. Dem Selbstvertrauen.
Jetzt würde es jeden Augenblick so weit sein, dass Colin aufwachte und fragte, wo seine Mutter war. Und nach einer langen, verplemperten Nacht wusste Danny darauf nach wie vor keine Antwort, oder?
Gut, so schwierig war die Frage auch wieder nicht. Es gab nur eine Antwort. Danny würde sagen: Deine Mama und dein Papa schlafen, aber sie wachen nicht wieder auf. Andere würden ihm sagen: Deine Mama und dein Papa sind im Himmel, und er würde Colin erklären, dass das letztlich alles das Gleiche bedeutete. Deine Mama und dein Papa sind nicht mehr da. Es würde grauenhaft sein. Colin würde weinen; sie würden alle weinen. Kein Weg führte daran vorbei.
Nein, die Fragen, über die er in Wirklichkeit nachdenken musste, waren die Fragen, die später auf ihn zukämen, wenn Colin älter war, wenn es viel mehr ins Gewicht fiel, ob Danny log oder die Wahrheit sagte.
Danny sah sich an einem Tisch in einer kleinen dunklen Küche sitzen, irgendwann in der Zukunft. Colin saß ihm gegenüber – ein Teenager vielleicht, oder sogar schon ein junger Mann. Colin war groß, gutaussehend – mit strubbeligem rotem Haar, Brynns schmalem Gesicht. Toms Brille, möglicherweise. Einem schwarzen T-Shirt.
Danny hätte nicht sagen können, wo sie waren – nicht in diesem Haus jedenfalls. Eher in einer Wohnung. Ärmlicher irgendwie, schäbiger. Einer Wohnung wie die von Kim, nur dass Kim nirgends zu sehen war. Und warum sollte sie? So viel konnte man nicht erhoffen, so viel konnte man nicht verlangen, weder von ihr noch von sonst einem Menschen.
Es schien genau die Sorte Wohnung, in der Leute wohnten, die sich stritten. Wie denn auch nicht – er und Colin hatten beide zu viel verloren, um immerzu glücklich und zufrieden zu sein.
Aber sie stritten nicht, jetzt nicht. Sie hatten jeder eine Bierdose in der Hand, und Colin rauchte -’tschuldige, Brynnie, weiß auch nicht, wo er das herhat. Aber solange es weiter nichts ist …
Wie waren sie?, fragte Colin ihn. Er hatte Toms Stimme: volltönend, vertrauenerweckend.
Danny hörte sich antworten: Sie haben sich geliebt. Sie haben dich geliebt. Sogar mich haben sie geliebt.
Dann waren sie gute Menschen?
Er sah sich über den Tisch langen und seine Hand auf Colins Hand legen. In das Gesicht des Jungen kam ein abwehrender Ausdruck. Bekümmert. Ängstlich.
Sie waren die besten Menschen, die ich jemals gekannt habe, sagte Danny. Und du trägst von beiden eine Hälfte in dir.
Er musste eingenickt sein. Kims Hand auf seiner Schulter ließ ihn hochschrecken. Er sah zum Bett hin, wo Colin lag, immer noch schlafend. Kim kauerte sich neben ihn auf den Bettvorleger.
Was machst du?, flüsterte sie.
Ich wollte nicht, dass er alleine aufwacht. Im Moment, in dem er es sagte, wurde ihm klar, dass es die Wahrheit war.
Sie schmiegte sich enger an ihn.
Ich bin alleine aufgewacht, sagte sie.
Es musste ihr bewusst sein, wie das klang.
Kim -
Nein, schon gut. Sie flüsterte es dicht an seinem Ohr. Das war … ein Witz. Tut mir leid. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Ich auch nicht, sagte er. Mir kann’s fürs Erste wahrscheinlich niemand so leicht recht machen.
Er konnte ihre Augen kaum sehen in dem Halbdunkel, aber er wusste, dass sie ihn ansah. Sie wisperte: Darf ich hier mit dir sitzen?
Danny knetete ihre Schulter.
Ja, sagte er. Klar.
Sie rutschte noch ein Stück näher. Wieder dachte er voller Panik an all die Dinge, die erledigt sein wollten. Einer von ihnen musste eigentlich sofort zum Coffeeshop rüberlaufen und ein Schild an die Tür hängen. Die Frühschicht konnte jeden Augenblick anrücken.
Aber Kim legte sich hin und bettete ihre Wange auf Dannys Bein und zog seinen Unterarm über ihre Brust. Sie küsste seine Hand und nestelte seine zusammengebogenen Finger unter ihrem Kinn zurecht. Er rieb über ihre Finger. Er berührte ihren Ring.
Er behielt Colin im Blick, der still dalag, ruhig – nicht ahnend, dass im Moment, wo er die Augen aufschlug, die Welt untergehen würde. Danny langte hinüber, legte die freie Hand auf Colins Kopfkissen, nah an sein Haar, und lauschte auf ihre Atemzüge in der Stille des Zimmers.
Der Laden konnte warten. Alles konnte warten, diese paar Minuten noch. Wenn das alle Zeit war, die ihnen blieb, ihnen dreien, dann wollte Danny sie um keinen Preis anders verbringen.