18. Kapitel

Verdammte Sturheit. Du hättest mich vorwarnen müssen, dass das einer deiner Charakterzüge ist«, rief Tyler am nächsten Tag, als er und Annalise vor der Polizeiwache aneinandergerieten. Sie stritten über die Frage, wo Annalise unterkommen sollte.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich meine negativen Eigenschaften nicht im Frühstadium einer Beziehung zu verraten pflege«, erwiderte Annalise.

Es war kurz nach drei Uhr nachmittags, und der Tag war jetzt schon unerträglich lang gewesen. Morgens waren sie um kurz nach sieben auf dem Revier eingetroffen, wo Annalise noch einmal von Tyler, Jennifer und den anderen Detectives des Teams, das mit dem Kostüm-Mörder-Fall befasst war, vernommen wurde.

Sie hatten über ihren Adressdaten gesessen und versucht, einen Sinn zu erkennen, etwas zu finden, das vielleicht ein Hinweis auf den Täter sein könnte.

Zum Mittagessen hatte ihr jemand einen Hamburger mit Pommes frites gebracht, obwohl sie überhaupt keinen Hunger hatte. Dann fing die Fragerei von vorn an. Das Frustrierendste daran war, dass sie den Polizisten die gewünschten Hinweise und Antworten, die sie gern gehabt hätten, nicht geben konnte.

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wer der Täter sein könnte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass es jemand war, den sie kannte oder mit dem sie regelmäßigen Kontakt pflegte. Diese Art von Grauen lag außerhalb ihrer Realität, und sie weigerte sich zu glauben, dass jemand, mit dem sie befreundet war, die Morde begangen haben könnte.

Sie wurde über ihre Angestellten ausgefragt, über ihre Freunde und ihre Familie. Während der Vernehmung rief ihr Vater auf dem Handy an, um ihr zu sagen, dass er mit ihr reden müsse. Sie telefonierte kurz im Flur vor dem Vernehmungsraum mit ihm und stellte sich anschließend den weiteren Fragen.

Nach zu wenig Schlaf und mit Schmerzen an Körperstellen, von denen sie nicht einmal wusste, dass sie weh tun konnten, wollte sie nur noch nach Hause fahren und sich die Bettdecke über den Kopf ziehen.

Sie wäre vor Erleichterung fast in Tränen ausgebrochen, als die Männer die Besprechung beendeten und sich in verschiedene Richtungen aufmachten, während Tyler ihr sagte, dass er sie nach Hause bringen würde. Bis zu dieser Minute hatte sie nicht gewusst, dass er von seinem Zuhause sprach, nicht von ihrem.

»Ich finde, das Frühstadium dieser Beziehung haben wir schon hinter uns gelassen«, sagte er, sichtlich frustriert. »Hast du vergessen, dass du gestern Abend überfallen worden bist und dass wir einen Mörder jagen, der auf deine Puppen abfährt?«

»Natürlich habe ich das nicht vergessen«, antwortete sie. Wie sollte sie das vergessen? Jedes Mal, wenn sie sich bewegte, wurde sie von ihrem schmerzgeplagten Körper an den Überfall erinnert. »Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker wird meine Überzeugung, dass ich vergessen habe abzuschließen, als Charlie und ich vom Essen zurückkamen. Und als ich dann die Treppe herunterkam, habe ich den Einbrecher aufgescheucht.«

»Bist du dir da sicher?« Er zog eine dunkle Braue hoch.

Sie wurde rot. »Ich bin mir nur bei der Tatsache sicher, dass ich mich nicht aus meinem Haus und aus meinem Geschäft vertreiben lasse. Außerdem habe ich mich für heute Abend um sechs Uhr mit meinem Vater verabredet.«

»Kann ich dich dann nicht nach dem Treffen mit deinem Dad abholen und zu mir bringen?« Er trat näher an sie heran. »Annalise, ich muss sichergehen, dass dir nichts passieren kann.« In seinen Augen las sie Gefühle, die sie nicht sehen wollte. »Bleib bei mir, bis wir den Kerl haben.«

»Tyler, ich bin mit der Fertigstellung der neuesten Puppe beschäftigt, und ich leite ein Unternehmen. Meine Angestellten sind auf ihr Einkommen angewiesen. Ich kann nicht einfach weglaufen und mich verstecken. Außerdem wissen wir ja gar nicht, wie lange du brauchen wirst, um diesen Kerl zu fassen.«

Sie ging zu seinem Auto. »Und jetzt bring mich bitte nach Hause, oder ich rufe mir ein Taxi, wenn dir das lieber ist.« Sie konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Verrückte gewonnen hätte, wenn sie in Tylers Haus zog. Außerdem konnte sie nicht einfach so bei ihm einziehen und länger bei ihm bleiben, nicht unter diesen Umständen.

Kopfschüttelnd fasste er sie am Ellbogen. »Du bist stur. Verdammt stur. Ich bringe dich nach Hause. Es passt mir zwar nicht, aber ich bringe dich heim.«

»Danke«, sagte sie.

»Gut, also jetzt weiß ich, dass du unglaublich störrisch sein kannst«, sagte er, als sie einstiegen. »Worauf darf ich mich sonst noch freuen?«

»Du hast es noch nicht erlebt, aber ich kann ausgesprochen grantig werden«, antwortete sie.

»Das ist ja komisch – Jennifer behauptet, ich hätte manchmal ähnliche Tendenzen. Was macht dich denn grantig?«

Sie durchschaute sein Vorhaben. Er fing ein Gespräch über ein lächerliches Thema an, um sie von dem Grauen in ihrem Leben abzulenken.

»Bummelei macht mich grantig«, sagte sie, entschlossen, auf sein Spielchen einzugehen. »Ich hasse Menschen, die offenbar glauben, ihre Zeit wäre wertvoller als meine.«

»Was noch?«

Sie legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Zu wenig Schlaf, zu viel Koffein. Und wie ist es bei dir?«

Er schenkte ihr sein hinreißendes Lächeln. »Zu viel Schlaf und zu wenig Koffein.«

Sie lachte, trotz ihrer Müdigkeit. Doch der heitere Moment war viel zu schnell vergangen, als die Wirklichkeit wieder über sie hereinbrach. »Nach allem, was ich heute Morgen von dir und deinen Kollegen gehört habe, ist der Mann, den ihr sucht, wohl kein Ass im Nähen.«

»Unsere Experten sagen, die Näharbeiten sind stümperhaft und ein bisschen schlampig ausgeführt worden.«

»Dann kannst du Sammy Winfield von deiner Verdächtigenliste streichen«, sagte sie. Er sah sie verständnislos an. »Er leitet die Nähabteilung von Blakely Dollhouse. Sammy ist Perfektionist und würde sich niemals schlampige Arbeit erlauben.«

»Von meiner Verdächtigenliste kann nur jemand gestrichen werden, der für sämtliche Tatzeiten ein wasserdichtes Alibi vorweisen kann.« Tyler parkte auf dem Seitenstreifen vor Annalises Haus und schaltete den Motor aus. »Ich komme mit hinein. Ich will sichergehen, dass sich keine Monster in deinen Schränken versteckt haben.«

Sie widersprach ihm nicht.

Er brauchte fast eine halbe Stunde, um das zweistöckige Gebäude zu durchsuchen und sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich allein waren.

Annalise war schockiert, als er ein Fenster im ersten Stock entdeckte, das nicht richtig verschlossen war. »Der Polizist, der auf deinen Notruf hin hergekommen ist, hätte es sehen müssen«, sagte er, schloss das Fenster und verriegelte es.

»Glaubst du, dass der Einbrecher auf diesem Weg ins Haus gekommen ist?«, fragte sie.

Er runzelte die Stirn. »Schwer zu sagen, aber ich schätze, er könnte über die Feuerleiter an das Fenster gelangt sein.« Sanft legte er Annalise die Hände auf die Schultern. »Ich könnte dich in Schutzhaft nehmen.«

»Und ich soll mein Leben einfach zurücklassen?« Sie schüttelte den Kopf. »Dazu bin ich nicht bereit.«

»Was mir Angst macht, ist die Vorstellung, dass da draußen irgendein Wahnsinniger ein lavendelfarbenes Kleid näht, das er dir anziehen will«, sagte er. Sie hatte ihm am Morgen, bevor sie zum Revier aufbrachen, die Annalise-Puppe gezeigt.

»Das macht mir auch Angst«, gab sie zu. »Aber dort unten in den Vitrinen stehen noch siebenundfünfzig weitere Puppen, aus denen er sein nächstes Opfer auswählen kann. Außerdem glaube ich, dass die Annalise von allen Puppen noch am sichersten ist. Wenn er mich umbringt, wen soll er dann noch quälen? An wen soll er die Puppen und die Botschaften schicken?«

»Da ist was dran, aber ich wäre trotzdem froh, wenn du in meine Wohnung ziehen würdest.« Er zog sie zu sich heran und schloss sie fest in die Arme. »Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«

»Mir stößt schon nichts zu.« Sie legte den Kopf an seine Brust. Allmählich fühlte sie sich in seinen Armen immer stärker geborgen, und eben aus diesem Grund wollte sie nicht bei ihm wohnen. Mitten in all diesem Wahnsinn hatte er sich tiefer in ihr Herz geschlichen als je ein anderer Mann vor ihm. Sie benötigte ein wenig Abstand.

»Nachdem ich jetzt weiß, was los ist, muss ich eben besonders vorsichtig sein«, sagte sie. »Ich werde tunlichst darauf achten, dass immer alle Türen und Fenster verschlossen sind.«

Sie löste sich aus seinen Armen, als sein Handy klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen, murmelte »Okay« und beendete es dann. »Ich muss zurück aufs Revier.«

»Ich bringe dich zur Tür.«

Vor der Eingangstür angekommen, zwang sie sich zu einem beruhigenden Lächeln. »Ich komme prima zurecht, Tyler. Ehrlich.«

»Rufst du mich an, wenn dein Dad gegangen ist? Und ruf mich bitte auch an, falls du es dir anders überlegst und doch nicht hierbleiben willst. In meiner Wohnung wärst du in Sicherheit.«

»Ich komme auch hier zurecht«, antwortete sie mit Nachdruck.

Er musterte sie einen Moment lang mit widerwilligem Respekt. »Entweder bist du sehr mutig oder sehr dumm.«

Sie lächelte. »Vielleicht ein bisschen von beidem.«

Erst als sie seinen Wagen auf der Straße davonfahren sah, packte sie der verrückte Drang, hinter ihm herzulaufen und ihm zu sagen, dass sie sich umentschieden hätte und doch nicht in ihrem Haus allein bleiben wollte.

Das spontane Angstgefühl legte sich, und nachdem sie noch einmal nachgesehen hatte, ob die Tür verschlossen war, ging sie in ihre Wohnung hinauf.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass ihr noch anderthalb Stunden Zeit bis zur Ankunft ihres Vaters blieben. Sie hatte keine Lust darüber nachzugrübeln, worüber er wohl mit ihr sprechen wollte, doch sie nahm an, dass es mit Charlie zu tun hatte. Annalise ließ sich auf das Sofa sinken und lehnte den Kopf an das Rückenpolster. Die Ereignisse der letzten achtzehn Stunden kamen ihr noch immer verschwommen vor, wie ein Traum.

Sie hatte auf der Polizeiwache gesessen und eine Liste von Mitarbeitern, Freunden und Bekannten aufgestellt, und bei jedem Namen, den sie aufschrieb, hatte sie sich gesagt, dass es unmöglich war, sich gerade diesen Menschen als kaltblütigen Mörder vorzustellen.

Viel lieber hätte sie geglaubt, dass sie den Mörder nicht persönlich kannte. Der Gedanke, neben ihm zu sitzen, mit ihm zu Mittag zu essen, sich mit ihm zu unterhalten – mit einem Menschen, der drei Morde auf dem Gewissen hatte – erfüllte sie tief in ihrem Inneren mit kaltem Grausen.

Am schlimmsten fand sie, dass sie von nun an jedem dieser Menschen mit leisem Misstrauen gegenübertreten würde. Ben hatte sich in letzter Zeit wegen der Absatzschwierigkeiten Sorgen gemacht und sich über den neuen Kurs aufgeregt, den sie mit dem nächsten Produkt einschlagen wollte. Mike war mehr als nur ein bisschen in sie verliebt und wusste, dass sie sich wegen der rückläufigen Verkaufszahlen Sorgen machte.

War etwa einer von ihnen auf diese Idee verfallen, um die öffentliche Aufmerksamkeit wieder stärker auf das Blakely Dollhouse zu ziehen? Die bloße Vorstellung war widerlich, ließ sich aber nicht völlig von der Hand weisen.

George Cole, ihr Versicherungsvertreter, hatte ihr erzählt, dass seine Mutter Blakely-Puppen gesammelt hatte. Verbarg sich hinter seinem sanften Auftreten eine perverse, böse Seele? Und John Malcolm – er war erst neulich im Laden gewesen, um eine Birthday-Bonnie, zu kaufen. Wollte er sie als Vorlage für seine eigene perverse Version dieser Puppe haben?

Und dann war da noch Joey, der seltsamerweise in letzter Zeit seinem eigenen Restaurant fernblieb. Wie oft hatte sie mit ihm über ihre Puppen gesprochen und ihm Einzelheiten aus ihrem Leben verraten?

Sie erhob sich vom Sofa, verstört durch ihre Gedanken über Freunde und Mitarbeiter und Nachbarn. Sie wollte nicht, dass irgendeiner von ihnen der Täter war. Es waren Leute, die sie als Freunde betrachtet hatte. Sie hatte mit ihnen gegessen, im Park gesessen und gearbeitet.

Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Wohnung und sah sich um, ob noch irgendetwas getan werden musste, bevor ihr Vater eintraf.

Er hatte sie noch nie in ihrer Wohnung besucht. Wenn sie sich trafen, dann immer an einem neutralen Ort, in einem Restaurant, im Park oder irgendwo in der Öffentlichkeit. Sie ging zu ihrer Elefantensammlung, die sich in der Schrankwand befand.

Sie hatte die Elefanten und ihn geliebt, und eindeutig nicht in dieser Reihenfolge. Als sie noch klein war, hatte sie sich über lange Zeit hinweg gefragt, was mit ihr nicht stimmte, was sie getan hatte, das ihn dazu brachte, sie zu verlassen. Als sie älter wurde, hatte sie verstanden, dass das Problem bei ihm lag, nicht bei ihr.

»Altlasten«, sagte sie leise. Warum kam sie nicht darüber hinweg? Warum sehnte sich ein Teil ihres Herzens immer noch verzweifelt danach, Daddys kleines Mädchen zu sein?

Sie wusste, dass Tyler im Begriff war, sich in sie zu verlieben. Sie erkannte es in seinen Augen, wenn er sie ansah, spürte es in jeder Zärtlichkeit. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er mehr von ihr verlangte, eine emotionale Verbindlichkeit in ihrer Beziehung.

Ein Teil von ihr sehnte sich geradezu danach, den Gefühlen nachzugeben, die er in ihr wachrief. Zwar hatte sie sich immer eingeredet, ein Ehemann und eine Familie wären ihr im Grunde nicht wichtig, aber tief in ihrem Herzen musste sie sich eingestehen, dass sie sich genau das wünschte. Doch sie hatte Angst.

Es war soviel einfacher, eine Beziehung leicht und unverbindlich zu halten, soviel einfacher, auf diese Weise sein Herz zu hüten. Sie hatte den Verdacht, dass es schon zu spät war, aus der Beziehung mit Tyler ungeschoren davonzukommen. Wenn er sie verließ – und er würde sie über kurz oder lang verlassen –, würde seine Abwesenheit sie schmerzen, so wie sie vor langer Zeit unter der Abwesenheit ihres Vaters gelitten hatte.

Um Viertel vor sechs hatte Annalise Kaffee gekocht und einen Teller mit Keksen bereitgestellt, die sie in der Vorratskammer gefunden hatte. Sie wusste nicht, ob ihr Vater Oreos mochte, doch sie knabberte vier Stück davon, während sie auf ihn wartete.

Um Punkt achtzehn Uhr ertönte der Summer. Als sie die Treppe hinunterlief, um ihren Vater ins Haus zu lassen, wunderte sie sich, dass Franks Besuch fast die gleiche Anspannung in ihr hervorrief wie das Wissen, dass sich irgendwo in den Randzonen ihres Lebens ein Serienmörder bewegte.

»Hi, Schätzchen.« Er beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, nachdem sie ihn ins Haus gelassen und die Tür hinter ihm abgeschlossen hatte. »Geht’s dir gut? Ich habe mir den ganzen Tag über Sorgen gemacht. Haben sie den Kerl geschnappt, der letzte Nacht bei dir eingebrochen ist? Charlie kommt um vor Angst um dich.«

Es war nicht Franks Art, einfach draufloszureden, aber genau das tat er in diesem Moment. »Mir geht’s gut, Dad, komm mit nach oben. Ich habe vor wenigen Minuten Kaffee gekocht.«

»Haben sie den Kerl geschnappt?«, wiederholte Frank auf dem Weg die Treppe hinauf.

»Nein, aber wahrscheinlich war es ein versuchter Raubüberfall. Tyler hat im ersten Stock ein offenes Fenster entdeckt, und dort ist der Einbrecher wahrscheinlich eingestiegen. Jetzt ist das Fenster fest verriegelt.«

»Charlie sagte, als ihr gestern vom Essen zurückkamt, hat euch ein Obdachloser vor deinem Haus angesprochen.«

»Das war Max«, entgegnete sie. »Und ich weiß genau, dass er nicht der Einbrecher war. Heute Morgen habe ich erfahren, dass die Polizisten, die auf meinen Notruf hin gekommen waren, Max gestern Nacht schlafend im Park vorgefunden haben. Sie sagten, er wäre so betrunken gewesen, dass er nicht mehr stehen konnte, geschweige denn, bei mir einbrechen und mich angreifen. Aber ich wusste auch vorher schon, dass er mir niemals weh tun würde. Wir sind Freunde.«

Frank schwieg, bis sie in der Wohnung angekommen waren, dann schaute er sich interessiert um. »Du hast es wunderschön hier, Annalise«, sagte er und setzte sich an den Tisch. Annalise schenkte Kaffee ein. »Aber ich bin in Sorge wegen dieser Gegend. Trotz der vielen Renovierungen und Umbauten ist das hier eigentlich kein Wohngebiet. Nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die Geschäfte geschlossen sind, ist kaum noch ein Mensch auf der Straße. Es ist gefährlich.«

Sie setzte sich zu ihm an den Tisch. Annalise konnte seiner Einschätzung nicht widersprechen. In dieser Gegend waren immer noch viel zu viele leerstehende Gebäude, beliebte Treffpunkte für Drogenhändler und ihre Partys. Während Max ein ziemlich harmloser Zeitgenosse war, traten einige der anderen Obdachlosen geradezu aggressiv auf, und zwei von ihnen waren schon wegen wiederholten Einbruchs verhaftet worden.

»Hier ist mein Zuhause«, antwortete sie.

Er legte beide Hände um den Keramikbecher und hob ihn an die Lippen. Zu ihrer Verwunderung sah Annalise, dass seine Hände ein wenig zitterten. War er krank? O Gott, war er gekommen, um ihr mitzuteilen, dass er an einer schrecklichen Krankheit litt?

»Dad, warum bist du hier?«, fragte sie.

Er stellte den Becher ab. »Kommt es dir nicht merkwürdig vor, dass du mich sogar nach dem Grund meines Besuchs fragen musst?«

»Unsere Beziehung ist nun mal nicht so, dass wir jeweils im Haus des anderen ein und aus gehen«, bemerkte sie trocken.

»Nein, ist sie nicht, und darüber möchte ich gern mit dir reden. Gestern Abend, als der Anruf von Charlie kam und ich hörte, dass du überfallen worden bist, wurde mir klar, wie kurz das Leben ist, und dass dir oder mir jeden Augenblick etwas zustoßen könnte und du dann niemals wirklich wissen würdest, wie sehr ich dich liebe.«

»Gut, jetzt weiß ich’s«, sagte sie leichthin, woraufhin er die Stirn runzelte.

»Wirklich?« Er beugte sich vor. Sein Blick war so eindringlich, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. »Annalise, du bist seit sehr langer Zeit böse auf mich, und wir hätten schon längst einmal offen und ehrlich miteinander reden müssen.«

Sie wehrte sich gegen den Drang, vom Tisch aufzustehen und vor ihren eigenen Gefühlen die Flucht zu ergreifen. »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte sie schließlich. »Zwischen uns ist doch alles bestens.« Zu ihrem Entsetzen traten ihr heiße Tränen in die Augen. Wütend wischte sie sie fort, bevor sie über ihre Wangen rinnen konnten.

»Das sieht mir aber nicht so aus«, sagte Frank leise.

Dass er nicht die geringste Ahnung zu haben schien, warum sie böse auf ihn war, steigerte ihren Zorn. »Okay, du willst reden, also reden wir offen und ehrlich.« Diesmal gab sie dem Drang aufzustehen nach und sprang geradezu von ihrem Stuhl hoch. »Dann lass uns mal darüber reden, wie oft du mich abholen wolltest, um den Tag mit mir zu verbringen. Ich habe mich feingemacht und war so aufgeregt, dass es kaum auszuhalten war, und dann saß ich auf der Verandatreppe und wartete … und wartete … und wartete, aber du bist nicht gekommen.«

Sie sah ihn nicht an, sondern blickte in die Vergangenheit zurück, auf die Jahre der Bedürftigkeit und der Sehnsucht. Der bittere Schmerz, den sie immer zu unterdrücken versucht hatte, kochte in ihr hoch.

»Lass uns darüber reden, wie wichtig du für mich warst und wie wenig Bedeutung ich in deinem neuen Leben hatte.« Endlich sah sie ihn an. »Ich habe dich gebraucht, Dad, aber du hast mir nur Elefanten gegeben.«

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und strich sich mit einer Hand über die Stirn, und als er Annalise wieder ansah, war sein Blick tief bewegt. »Als ich deine Mutter verließ, bat sie mich, dir ein paar Wochen Zeit zur Umgewöhnung zu lassen. Sie versprach mir, dass sie mir danach ein großzügiges Besuchsrecht einräumen würde. Der erste Fehler, den ich machte, war, sie zu heiraten. Der zweite Fehler bestand darin, dass ich ihr geglaubt habe.«

Annalise blieb stehen und sah ihn überrascht an. In all den Jahren seit der Scheidung hatte sie nie gehört, dass er ein böses Wort über ihre Mutter äußerte.

Er sah älter und kleiner aus, als er jetzt über ihre Schulter hinweg einen unbestimmten Punkt an der Wand anstarrte. »Ich habe mich ein paar Wochen zurückgehalten, dachte, es wäre das Beste für dich, dann habe ich angerufen und wollte eine Regelung treffen. Ich pflege nicht schlecht über Tote zu reden, Annalise, aber deine Mutter war eine hartherzige Frau.«

Er seufzte tief auf. »Ich bin mit nichts in den Händen von ihr gegangen. Alles, was wir besaßen, steckte in ihrem Unternehmen. Ich hätte die Hälfte verlangen können, aber ich wusste, dass es sie vernichtet hätte. Nachdem ich gegangen war, habe ich sechs Monate lang auf dem Sofa eines Freundes geschlafen, weil ich keine Unterkunft hatte. Deine Mutter hat mir klargemacht, dass kein Richter mir jemals das Sorgerecht zusprechen würde, da ich dir ja nichts zu bieten hätte. Ich habe sie verlassen, weil sie ihr Leben nicht mit mir teilen wollte. Sie wollte weder ihre Träume noch ihre Arbeit noch irgendetwas in ihrem Leben mit mir teilen. Und erst als ich gegangen war, wurde mir klar, dass sie auch keinesfalls die Absicht hatte, dich mit mir zu teilen.«

Er erhob sich, machte aber keinerlei Anstalten, näher zu kommen. »Ich wusste nicht, wie ich mich gegen sie wehren sollte, denn sie war im Besitz der ultimativen Waffe – und das warst du. Sie ließ mich wissen, dass du mich hasstest und dass ich nur Unruhe in dein Leben bringen würde. Sie redete mir ein, es wäre das Beste für dich, wenn du bei ihr bliebest, ein Mädchen bräuchte seine Mutter, aber mich bräuchtest du nicht. Wenn ich mit dir telefonierte oder bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ich dich sehen durfte, hast du dich stets so verhalten, als wärst du überall lieber als bei mir.«

Annalise hielt an ihrem Zorn fest, hatte Angst, dass ihr nichts mehr bliebe, wenn sie ihn losließ. »Ich war ein Kind, Dad. Du hättest etwas unternehmen müssen. Du hättest dir mehr Mühe geben sollen.« Der Zorn war wie ein wildes Tier in ihr, gewann an Macht, weil sie es nährte. All die Jahre des Schmerzes brachen jetzt in ihr auf, als sie zum Regal ging und wahllos einen der Elefanten herausnahm.

»Willst du wissen, was ich von deinen Elefanten halte, Dad?« Sie schleuderte den Elefanten gegen die Wand, wo er in Stücke zerbrach. In einem versteckten Winkel ihres Hinterkopfs wusste sie, dass sie die Kontrolle verloren hatte. »Das halte ich von deinen Elefanten.«

Tränen brannten ihr in den Augen, und ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Sie griff nach einem weiteren Elefanten und warf auch diesen an die Wand. Die Scherben spiegelten wider, wie sie sich gefühlt hatte, als sie hoffte, er würde kommen, um sie abzuholen, als er sie wieder einmal enttäuscht hatte. Sie war im Begriff, den dritten Elefanten zu zerschmettern, als ihr Vater sie packte und sie fest an sich zog. »Lass mich los«, schrie sie und hämmerte mit beiden Fäusten gegen seine Brust.

»Nein.« Er legte einen Arm fest um ihre Taille. Sie schlug erneut nach ihm und schluchzte herzzerreißend. Immer und immer wieder schlug sie zu, und er hielt sie in den Armen, zuckte nicht mit der Wimper, versuchte nicht einmal, ihren Schlägen auszuweichen. Als sich ihr Zorn erschöpft hatte, blieb sie schließlich reglos stehen. Tränen strömten ihr über die Wangen. Frank zog sie noch enger an sich und bettete ihren Kopf an seine Brust.

Sie schloss die Augen und ließ sich ein wenig beruhigen. Sie nahm seinen Duft wahr, den Duft, den sie noch aus Kindertagen in Erinnerung hatte: ein Hauch von Rasierschaum, sein vertrautes Aftershave und sein Atem, eine Mischung aus Kaffee und Pfefferminzdrops.

Doch was sie überraschte, war sein kräftig pochender Herzschlag an ihrem Ohr, der noch eine weitere Erinnerung in ihr wachrief. Eine Erinnerung daran, wie sie morgens aufstand, sich anzog und in die Küche ging, wo ihr Vater am Tisch saß, Kaffee trank und die Morgenzeitung las. Wenn sie eintrat, legte er die Zeitung beiseite, rückte mit dem Stuhl vom Tisch ab und forderte sie mit einer Geste auf, auf seinen Schoß zu kommen. Dort kuschelte sie sich zusammen, den Kopf an seine Brust gelegt.

Wieder schluchzte sie in seinen Armen auf. »Seit deiner Geburt bist du mein erster Gedanke am Morgen, und dir gilt mein Gebet am Abend«, sagte Frank leise.

Schließlich ließ er sie los, ergriff aber ihre Hand und führte sie zum Sofa, auf dem sie sich nebeneinander niederließen. Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie ein wenig zu sich heran.

»Ich habe Fehler gemacht, was dich angeht, Annalise. Ich habe mir von deiner Mutter sagen lassen, was das Beste für dich wäre, als du noch klein warst, und später, als du älter wurdest und so böse auf mich warst, habe ich mir von dir sagen lassen, was das Beste für dich wäre. Aber eines solltest du wissen: Es ist nie vorgekommen, dass ich mit deiner Mutter besprochen hätte, dich abzuholen, und dass ich dann absichtlich nicht gekommen bin. Nicht ein einziges Mal.«

Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Ich erinnere mich mindestens an fünf Male, als Mom mir gesagt hat, ich soll mich hübsch anziehen und mir das Haar bürsten, weil du mich zum Essen oder ins Kino abholen würdest.«

»Wenn das so abgesprochen gewesen wäre, hätte mich nichts daran hindern können, mein Versprechen zu halten.«

Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter. »Sie war immer so mitfühlend, wenn du nicht gekommen warst. Sie gab mir dann ein Schüsselchen Eis, und wir setzten uns an den Tisch, und sie erklärte mir, dass du wahrscheinlich viel wichtigere Dinge zu tun hättest, als mich zu besuchen.«

Die Vorstellung, wie ihre Mutter sie manipuliert hatte, trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. Ihre Mutter hatte nicht teilen wollen. Und Annalise war für sie nur ein Besitz gewesen, den sie für sich behalten wollte, ohne Rücksicht auf die Folgen.

Sie war nichts weiter als die Erbin gewesen, die den Traum ihrer Mutter fortführte. Dieses Wissen hatte Annalise schon lange tief in ihrem Inneren in sich getragen, und jetzt, da sie der Realität ins Gesicht sah, öffnete sich diese Schmerzenskammer und entließ die Wahrheit in ihr Bewusstsein.

»Ich habe mir eingeredet, ich wäre wichtig für meine Mutter, sie hätte mich lieb. Ohne diese Vorstellung wäre mir nichts mehr geblieben«, flüsterte sie.

»Das stimmt nicht. Du hast mich. Du hast mich immer gehabt, Annalise. Und jetzt hast du Charlie. Er ist restlos begeistert von dir. Und wenn du willst, hast du auch Sherri.«

Annalise richtete sich auf und löste sich aus der Umarmung ihres Vaters. »Sie scheint nett zu sein.«

Frank lächelte. »Sherri ist der liebenswürdigste, großzügigste Mensch, den ich kenne.«

»Und sie teilt ihre Gedanken mit dir?«

Er lachte. »Sherri teilt mir jeden Gedanken mit, der ihr in den Sinn kommt.« Er wurde wieder ernst. »Obwohl sie eine starke, unabhängige Frau ist, gibt sie mir das Gefühl, dass sie mich braucht, dass ihr Leben nicht so schön wäre, wenn sie mich nicht hätte.«

»Und das hat Mom nicht getan.«

Er seufzte. »Deine Mutter war stark und unabhängig, aber sie gab mir immer das Gefühl, dass ich eine unnütze Belastung in ihrem Leben war.«

Annalise sagte nichts, aber oft genug hatte sie sich genauso gefühlt. Und sie hatte schon lange den Verdacht, dass ihre Mutter nicht einmal den Anschein von Liebe für sie übrig gehabt hätte, wenn sie, Annalise, nicht nähen gelernt hätte, nicht an der Puppenproduktion beteiligt gewesen wäre. Es ging immer nur um die Puppen. Um diese verdammten Puppen.

»Annalise, diese Jahre gibt uns niemand zurück«, sagte Frank leise. »Ich kann dir nur immer wieder sagen, wie leid es mir tut, dass ich nicht für dich da war. Wenn ich die Zeit zurückdrehen und alles in Ordnung bringen könnte, würde ich es tun, aber das kann ich nicht.«

»Ich weiß.«

»Aber wir haben hoffentlich noch viel Zeit vor uns, und von jetzt an können wir dafür sorgen, dass sich in unserer Vater-Tochter-Beziehung etwas ändert.« Leise Besorgnis schwang in seiner Stimme mit, als hätte er Angst vor ihrer Antwort.

Sie hatte die Wahl. Sie konnte an Zorn und Schmerz festhalten und ihr Leben unverändert fortsetzen, oder sie konnte verzeihen, etwas ändern und eine neue, liebevolle Beziehung zu ihrem Vater aufbauen. Die Entscheidung war im Grunde klar.

Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ja, wir können von jetzt an etwas ändern«, sagte sie. »Du hast gerade genau das gesagt, was ich gestern zu Charlie gesagt habe. Er wünschte sich auch, dass wir uns schon viel früher kennengelernt hätten, und ich habe ihm geantwortet, dass wir noch viel Zeit vor uns haben, um gemeinsame Erinnerungen zu sammeln.«

»Das wünsche ich mir auch mit dir, Liebes. Ich möchte Teil deines Lebens sein. Ein fester Bestandteil.«

»Das fände ich schön.«

Sie redeten noch eine Stunde lang – über Lillian, über ihr jeweiliges Leben und über alles, was sie sich von der Zukunft erhofften. Annalise erzählte ihm noch ausführlicher von dem Schmerz, den sie als Kind empfunden hatte, und jedes Wort war wie eine Erleichterung.

Es war seltsam: Alles, was sie im Grunde von ihm wollte, war, dass er ihren Schmerz anerkannte und sich entschuldigte. Das war für sie die richtige Mischung, die den Heilungsprozess in Gang setzte.

Sie redete nicht mit ihm über die Mordfälle und darüber, was sie kürzlich erfahren hatte. Sie wollte ihn nicht beunruhigen und hoffte, dass Tyler und seine Leute den Mörder fassten, bevor Frank erfuhr, dass sie in gewisser Beziehung zu den Morden stand.

Es war kurz nach acht Uhr, als sie die Treppen hinunterstiegen. An der Tür umarmten sie sich. »Entschuldige bitte meinen Ausbruch von vorhin«, sagte sie und dachte an die Elefanten, die sie zerbrochen hatte.

»Nicht nötig.« Er lächelte, ein Lächeln, das all die Vaterliebe enthielt, nach der sie sich immer gesehnt hatte. »Du brauchtest ein Ventil für deine aufgestauten Emotionen. Sie mussten raus, um Platz zu schaffen für all das Positive, das die Zukunft noch bringen wird.« Er beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Vergiss nicht, hinter mir abzuschließen.«

Sie nickte. »Gute Nacht, Dad.«

Zurück in ihrer Wohnung, ließ sie das Gespräch immer und immer wieder im Kopf Revue passieren. Jahrelang hatte sie sich, was ihre Mutter betraf, an ein Phantasiegebilde geklammert. Danika hingegen hatte zweifellos die Wahrheit über Lillian Blakely erkannt. Annalise war eine Investition in die Zukunft für sie gewesen, ein praktisches Reklamewerkzeug, das man nach Belieben einsetzen konnte, doch Annalises Wert als eigenständiger Mensch, als ihre Tochter, hatte Lillian nie gesehen.

Und zum ersten Mal in ihrem Leben fragte sich Annalise, warum sie so entschlossen war, den Traum einer Frau am Leben zu erhalten, die sich nie auch nur im Geringsten um ihre Träume geschert hatte.

Vielleicht war es an der Zeit, die Richtung, die sie ihrem Leben geben wollte, zu überdenken. Zwar beabsichtigte sie keineswegs, etwas zu überstürzen oder in diesem Moment Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben auf den Kopf stellen würden, doch der Gedanke an einen neuen Weg war geboren.

Die Stille in der Wohnung war bedrückend, als sie sich auf das Sofa kuschelte. Doch als sie genauer hinhörte und lauschte, hörte sie das vertraute Summen des Kühlschranks, das Ticken der Wanduhr und das leise Surren der Klimaanlage. Tröstliche, heimelige Geräusche.

Gähnend griff sie nach ihrem kabellosen Telefon. Die letzten vierundzwanzig Stunden kamen ihr wie Monate vor. Sie konnte nur hoffen, in dieser Nacht lange und traumlos zu schlafen. Sie tippte Tylers Handynummer ein. Er meldete sich beim ersten Klingeln. »Ich habe dir versprochen anzurufen, wenn Dad gegangen ist«, sagte sie.

»Alles in Ordnung?«

»So gut wie seit langer Zeit nicht mehr. Wir haben ausführlich geredet. Das hatten wir beide bitter nötig – besonders ich.«

»Da bin ich froh. Und du hast gut hinter ihm abgeschlossen?«

»Ja.« Seine Frage brachte ihr ihre düstere Situation wieder zu Bewusstsein. »Tyler, ich glaube nach wie vor, dass der gestrige Einbruch nichts mit diesen Morden zu tun hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein Opfer sein soll, denn aus den Botschaften, die er mir schickt, geht doch eindeutig hervor, dass er mit seinen Taten prahlen will.«

»Ich hoffe, du hast recht, aber wir können es nicht als gegeben hinnehmen.«

»Hast du mit den Informationen, die ich dir gegeben habe, etwas anfangen können?«

»Bisher habe ich noch nichts Konkretes, abgesehen davon, dass wir deinen Freund Joey, den Restaurantbesitzer, von der Verdächtigenliste streichen konnten. Er war zu Besuch bei einem Verwandten in Arizona, der an Krebs im Endstadium leidet. Ich fürchte, es wird Tage dauern, bis wir alles andere geklärt haben. Wir wollen heute Nacht durcharbeiten.«

»Das könnte ich jetzt nicht. Ich bin fix und fertig und freue mich nur noch darauf, die Nacht durchzuschlafen.«

»Und von mir zu träumen?« Seine Stimme war leise und sexy. »Annalise, weißt du, dass ich mich in dich verliebt habe?«

Im ersten Moment riefen seine Worte das alte Angstgefühl in ihr wach, doch es verging fast genauso schnell, wie es gekommen war. »Ich glaube, ich bin auch in dich verliebt«, gestand sie leise.

»Du glaubst? Wann weißt du es mit Sicherheit?«

Sie lächelte in den Hörer. »Ich lasse es dich wissen.«


Max wollte den Jungen wiedersehen. Mickey … nein, Charlie. Seit er Charlie gesehen hatte, schwirrten bruchstückhafte Erinnerungen durch seinen Kopf. Mickey mit seinem typischen Lächeln, seinen Augen, die vor Humor blitzten, und Sam, der seltener lächelte, aber wenn, dann war es wie ein Geschenk der Götter.

Er hatte große Sehnsucht nach ihnen, nach ihrem Duft, dem Klang ihrer Stimmen. Manchmal war ihm, als hätte er sie erst gestern verloren, dann war seine Trauer tief und frisch und marterte ihn mit unerträglichen Schmerzen. Zu anderen Zeiten war die Trauer nur noch ein Flüstern in seinem Hinterkopf, das ihm keine Ruhe ließ. Doch der Kummer verließ ihn nie vollständig.

An diesem Abend war die Trauer frisch, und als er aus seiner Kiste kroch, war sein Blick tränenverschleiert. Er wusste, dass die Seelen seiner Söhne schon lange, bevor das Feuer ihre Körper verzehrt hatte, im Himmel angekommen waren. Und er zweifelte auch nicht daran, dass er sie irgendwann, wenn seine Zeit gekommen war, dort wiedersehen würde.

Er würde seine Söhne wieder in den Armen halten, und ihr Lachen würde sein Herz erfüllen und seine verwundete Seele heilen. Er sagte sich, dass er nur Geduld haben musste, dass Gott ihn, wenn die Zeit gekommen war, aufnehmen und mit seinen Söhnen vereinen würde.

Angst sei dein Begleiter: Thriller
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