September 1899

Akazie-Klein.epsCharlotte warf die Salatköpfe in den Korb und stützte ihren schmerzenden Rücken mit beiden Händen, während sie sich aus der gebückten Stellung aufrichtete. Selbst im Schatten der Obstbäume war es unerträglich warm, kein Lüftchen regte sich, der Himmel war von Dunst überzogen, in dem die Sonne wie eine gleißende, lichtgelbe Kugel stand.

»Bauch ist groß!«, sagte Hamuna grinsend und beschrieb mit dem Arm einen weiten Bogen vor ihrem eigenen Bauch. »Großer Bauch und Schmerz im Rücken – binti.«

»Ach, Hamuna! Du mit deinen Voraussagen!«, stöhnte Charlotte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Gestern hast du noch gesagt, es wird ein kijana, weil meine Füße geschwollen waren.«

»Bintikijana – Mädchen oder Junge – beides ist möglich«, redete sich Hamuna schlau heraus.

»Nimm noch ein paar Maiskolben und Zitronen mit. Und Weißkohl – damit werden wir demnächst wohl die Ziegen füttern müssen, wenn ich nicht endlich lerne, Sauerkraut zu machen.«

All ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen, das Zeug hatte geschäumt und fing dann an zu schimmeln, so dass sie es hatte fortwerfen müssen. Sie blickte noch einmal nach Norden, wo sich der große Berg hinter dem Dunst verborgen hielt, und zupfte dann einige dicke Radieschen heraus, die unbedingt gegessen werden mussten, das Kraut begann schon zu schießen. Wie seltsam, dass sie hier in Afrika die gleichen Gartenfrüchte pflanzen und ernten konnte, die auch im Gärtchen der Großmutter in Leer gestanden hatten. Damals war ihr diese Arbeit schrecklich langweilig erschienen – jetzt konnte sie gar nicht genug davon bekommen, lief wohl zehnmal täglich hinaus, um ihre »Damenplantage«, wie Max den Garten nannte, zu begutachten, dabei freute sie sich über jedes Kräutlein und jeden Kohlkopf.

Sie hatte gerade den Korb ergriffen und kämpfte gegen das Sodbrennen an, das sie jedes Mal plagte, wenn sie sich bückte, als sie Hamunas überraschten Ausruf vernahm.

»Schau, bibi Roden! Kongoti sitzt auf Baum.«

In einem Eukalyptusbaum saß wahrhaftig ein Storch. Er hatte sich auf einer unbelaubten Astgabel niedergelassen und hockte dort unsicher auf dürren Beinen, den langen, roten Schnabel an den gebogenen Hals gepresst. Charlotte hatte noch nie einen Storch auf der Plantage gesehen, aber sie musste lachen, weil der Bursche so ernsthaft dreinschaute, als warte er auf etwas.

»In meiner Heimat sagt man, dass der Storch die Kinder bringt«, erklärte sie Hamuna.

»In Afrika bringt kongoti nicht kitoto«, meinte die Dienerin und schielte misstrauisch zu dem schwarz-weißen Besucher hinüber. »Vielleicht ist er gekommen extra für bibi Roden. Aber besser ist, er fliegt wieder fort.«

Als Max gegen Mittag zurückkehrte, hatte der Storch Gesellschaft bekommen. Wohl dreißig bis fünfzig seiner Artgenossen hatten sich die Plantage als Ruheplatz ausgewählt. Sie hockten wie weiße Flecken in den Eukalyptusbäumen, einige waren neben dem großen Teich gelandet und stelzten auf der Wiese herum, andere saßen auf dem Dach des Wohnhauses, auf dem Stall, sogar auf den Akazien der Allee. Nur auf den Wohnhütten der schwarzen Angestellten wagte kein einziger Platz zu nehmen, denn dort jagte man sie davon.

»Was für eine seltene Invasion«, bemerkte Max grinsend. »Ganz sicher hat das etwas zu bedeuten, Charlotte. Ich glaube, ich sollte Juma und Mtangi nach Moshi schicken und Dr. Brooker bitten, zu uns hinaufzukommen.«

Er redete seit mindestens drei Wochen davon, doch Charlotte hatte bisher immer behauptet, es sei noch jede Menge Zeit und man könne dem Doktor nicht zumuten, für nichts und wieder nichts den Weg zur Plantage zu machen.

»Wegen der Störche?«, kicherte Charlotte. »Aber Max, das ist doch albern.«

Er lud sich einen Berg Salat auf den Teller, um den Ertrag ihrer »Damenplantage« zu würdigen, wenngleich sie wusste, dass er der gebratenen Ziege mit weitaus größerer Begeisterung zusprach.

»Nicht wegen der Störche, mein Schatz. Weil es jetzt jeden Augenblick so weit sein kann. Du musst das doch spüren, oder nicht?«

Sie spürte gar nichts und wusste auch nicht, was sie da spüren sollte. Schließlich war es ihre erste Geburt, und weder die Großmutter noch Tante Fanny hatten sich über solche Details ausgelassen. Nur dass es sehr wehtat, war ihr bekannt. Es musste auf jeden Fall weitaus schlimmer sein als damals die Fehlgeburt, dafür würde sie aber auch ein Kind auf die Welt bringen. Und so Gott wollte, war es ein gesunder Junge.

»Also, ich schicke die beiden noch heute los – dann kann der Doktor schon morgen Mittag hier sein«, entschied Max eigenmächtig.

»Wenn sie ihn unten in der Station entbehren können …«

»Verflixt noch mal, das müssen sie. Schließlich geht es hier um Le…« Er stockte erschrocken und fuhr dann fort: »… um Mutter und Kind. Um dich und unseren Sohn.«

»Oder unsere Tochter.«

»Meinetwegen auch eine Tochter«, brummte er belustigt. »Wenn sie dir ähnlich wird, dann können wir sie behalten.«

Sie lachte und lehnte sich im Stuhl zurück. Ihr war ein wenig übel. Wahrscheinlich hatte sie zu viel gegessen.

»Ich reite noch mal raus, bin aber bald wieder da!«, verkündete er und trank im Aufstehen sein Glas leer. »Lauf nicht so viel herum, es ist sicher besser, wenn du dich ein wenig aufs Ohr legst.«

Sie gab keine Antwort; seine ständigen Vorschriften gingen ihr auf die Nerven. Gewiss, er sorgte sich um sie, aber weshalb meinte er eigentlich, alles besser zu wissen? Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie die Schwangerschaft im Bett oder im Lehnstuhl verbracht.

Als er fort war und Sadalla das Geschirr hinaustrug, bereute sie ihren Ärger schon wieder. Er war eben ein Mann, seine Tatkraft, die sie so sehr bewunderte, seine Durchsetzungsfähigkeit – all das half ihm wenig angesichts dieses weiblichen Mysteriums, das ihm fremd war und ihn hilflos machte. Es war an ihr, ihn immer wieder zu ermutigen und ihm zu zeigen, dass sie sich der Sache gewachsen fühlte. Einfach war das nicht, denn außer Hamuna gab es kein weibliches Wesen, mit dem sie sich hätte austauschen können. Auch wenn sie eine Weile böse auf Klara gewesen war – jetzt hätte sie die Cousine gern in ihrer Nähe gehabt. Es wäre so schön gewesen, mit Klara über allerlei Dinge zu reden, die nur unter Frauen besprochen werden konnten. Über Haus und Garten, über Gefühle und Sehnsüchte, über die Liebe und das Leben als Ehefrau, über die Schwangerschaft …

Klara hatte nichts davon geschrieben, dass sie vielleicht auch ein Kind erwartete. Auch kein Wort darüber, ob sie glücklich mit Peter Siegel war, allerdings lobte sie den missionarischen Eifer ihres Ehemannes in jedem Brief über den grünen Klee. Ach, wenn sie doch nur ein einziges Gespräch unter vier Augen mit ihr führen könnte – sie war sich sicher, dass auch Klara ihr vieles zu erzählen hatte.

Ihrem Magen ging es wieder gut, fast bereute sie jetzt, nicht noch ein Stück von dem selbst hergestellten Ziegenkäse genommen zu haben. Sie hatte keine Lust, sich schon wieder ins Bett zu legen, obgleich sie sich eigentlich schläfrig fühlte. Stattdessen setzte sie sich ans Klavier und spielte eine Invention von Bach, der ihr in letzter Zeit immer besser gefiel. Lächelnd dachte sie an ihren alten Klavierlehrer, der einst so eifrig bemüht gewesen war, ihr den großen Johann Sebastian näherzubringen. Damals war ihr diese Musik steif vorgekommen, ein kunstvolles Gebäude aus musikalischen Themen, die einander Antwort gaben, ineinanderflossen und sich wieder trennten, weiterströmten und sich verwandelten. Jetzt erst entdeckte sie, dass mehr dahintersteckte. Eine ganze Welt von Empfindungen, die nur derjenige entschlüsseln konnte, der die Sprache dieser Musik begriff …

Was war eigentlich mit ihren Augen los? Sie konnte ja kaum noch die Noten entziffern. Wieso war es so dämmrig?

»Nyenje! Nyenje!«, schrie jemand draußen vor dem Haus. War das Kapande? Oder Mtangi? Nein, der war wohl mit Juma nach Moshi geritten.

Hamuna kam ins Zimmer gelaufen, mit den Armen fuchtelnd, ihre bunte, umständlich gewickelte Haube drohte sich aufzulösen.

»Nyenje! Der ganze Himmel ist voll. Schnell kommen, bibi Roden. Sie fressen den Garten auf …«

Heuschrecken! Charlotte fuhr erschrocken hoch, der Klavierhocker kippte um und schlug auf den Dielenboden. Sie hatte von den großen Schwärmen gehört, die in kürzester Zeit jedes Blatt und jeden grünen Halm vertilgten, aber bisher war die Plantage davon verschont geblieben. Schon unter dem Vordach blieb sie stehen, musste sich an einem Holzpfeiler festklammern und starrte ungläubig auf das wimmelnde Inferno. Eben gerade war alles ruhig gewesen, nicht ein einziger Windhauch, doch jetzt brach es wie ein rötliches Unwetter über das Land herein. Milliarden geflügelter Wesen schwärmten am Himmel, schossen zischend wie kleine, graurote Pfeile an ihr vorüber, eine rauschende, knisternde Flut, die sich über die grüne Wiese gelegt hatte wie ein lebendiger Teppich.

Drüben bei den Wohnhütten der schwarzen Angestellten herrschte große Aufregung. Männer, Frauen und Kinder sprangen in den Gärten herum und schlugen mit Tüchern und Zweigen auf die gefräßigen Insekten ein, um ihren Mais und die Hirse zu retten. Sie vernahm Max’ laute Stimme, der seine Angestellten zusammentrieb und in die Kaffeepflanzungen schickte, dann rief er den schwarzen Frauen zu, sie sollten Feuer anzünden, der Rauch würde die Biester vertreiben.

Eine Berührung an ihrer Wange riss sie aus der Erstarrung – eine verirrte Heuschrecke hatte sie gestreift und war dann auf den Boden gefallen. Dort krochen zahllose weitere Tierchen herum, bedeckten die Pflanzen in den Kübeln so dicht, dass Blätter und Blüten kaum noch zu sehen waren. Ein rötlich grauer, knisternder, malmender Überzug, der nichts als kahle Strünke übrig lassen würde.

Ihr Garten! Die Kohlpflanzen, der Salat, die jungen Apfelbäumchen, der Mais … Sie eilte zurück ins Haus, riss ein Laken aus dem Schrank und rannte durch die gleich einem Hagelsturm heranschwirrenden Insekten. Im Garten hüpften Schammi, Sadalla und Hamuna wild durcheinander und droschen auf die Pflanzen ein, Schwärme von Heuschrecken wirbelten bei jedem Schlag empor, um sich gleich darauf an einer anderen Stelle niederzulassen. Charlotte stürzte zu einem der kleinen Apfelbäumchen, das in diesem Jahr zum ersten Mal kleine Früchte trug, und versuchte, die gierigen Fresser zu vertreiben. Es war aussichtslos, man konnte förmlich sehen, wie die Blätter schwanden, die hungrigen Heuschrecken krochen in Scharen über den Stamm, hingen an den Ästen und fraßen, fraßen, fraßen. Wenn sie mit dem Laken gegen den kleinen Baum schlug, flatterten einige der Insekten in die Höhe, doch die meisten kümmerten sich gar nicht um den Angriff, sie waren im Fressrausch, nur die unmittelbar getroffenen fielen zu Boden und verbreiteten einen widerlichen Geruch.

Plötzlich wurde ihr speiübel, sie stolperte rücklings gegen den Gartenzaun und übergab sich. Gleich darauf spürte sie, wie ihr Leib sich verhärtete und die erste Schmerzwelle durch Bauch und Rücken zog. Der Schmerz war so heftig, dass sie sich zusammenkrümmte und die Arme um den Leib schlang.

»Hamuna!«

Die schwarze Dienerin hatte ihr buntes Kopftuch abgewickelt, um damit nach den Heuschrecken zu schlagen, das Haar darunter war kurz geschoren und lockig wie das Fell eines neu geborenen Lämmchens.

»Gehen in Haus, bibi Roden. Hier nicht bleiben. Wir nicht helfen können. Gehen in Haus. Hamuna geht mit dir …«

Es klang seltsam beruhigend inmitten von all dem Geschrei und den feindlich herumschwirrenden Insekten. Rauch zog zu ihnen herüber, die schwarzen Frauen hatten Max’ Rat befolgt und Feuer angezündet, doch wie es schien, kümmerte der Qualm die gefräßigen Heuschrecken nur wenig.

An Hamunas Arm stieg Charlotte die Stufen zum Vorbau hinauf, dort ließ der Schmerz nach, und sie konnte wieder Atem holen.

»Es ist vorbei, Hamuna. Lauf zurück in den Garten, ich brauche dich jetzt nicht …«

»Gehen in Haus, bibi Roden.«

»Ja, ja. Ich ruhe mich ein wenig aus.«

»Du kannst ausruhen morgen. Kitoto ist wach, du nicht ausruhen. Du ihm helfen.«

Das Kind wollte auf die Welt! Ausgerechnet jetzt in diesem schrecklichen Chaos, während hier draußen alles vernichtet wurde, das sie so liebevoll geschaffen hatte, wollte das Kind geboren werden! Sie konnte nichts daran ändern, die Geburt überwältigte sie genau wie der Einfall der Heuschrecken, gegen den sie ebenso machtlos war. Sie ließ sich auf einem Stuhl nieder, umschloss ihren Bauch mit den Armen und begann hilflos zu schluchzen.

»Bauch wird böse, wenn du weinst.«

Hamuna hatte recht, denn jetzt kündigte sich die nächste Wehe an, riss an ihrem Rücken und presste ihren Leib wie mit einer eisernen Schlinge zusammen. Sie stöhnte leise, während ihr noch die Tränen übers Gesicht liefen, schreien wollte sie auf keinen Fall, schon deshalb, weil sie sich vor Hamuna schämte.

»Kitoto hat viel Kraft. Du keine Angst. Hamuna ist hier.«

Sie rieb ihr den Rücken, und es linderte tatsächlich ein wenig den Schmerz. Dabei schwatzte sie unaufhörlich, erzählte von einem malaika, einem Geist, ganz ähnlich einem Engel, den sie auf dem Haus habe sitzen sehen. Das sei ein gutes Zeichen, ein malaika beschütze die Menschen und führe sie auf den Weg Gottes.

Charlotte begriff nicht viel, offensichtlich brachte Hamuna ihren alten Glauben und die Predigten der Missionare, die manchmal auf die Plantage kamen, durcheinander. Ein malaika – vermutlich hatte sie einen Storch auf dem Hausdach sitzen sehen. Die verdammten Störche waren hinter den Heuschrecken her gewesen, deshalb ihr massenhaftes Erscheinen heute früh. Aber wo immer sie sich jetzt die Bäuche vollschlugen – auf der Plantage war es nicht. Kein Einziger war zu entdecken.

»Hamuna hat fünf kitoto geboren … Eine binti ist gestorben am Fieber. Zwei mvulana sind fortgegangen mit Karawane … Hamuna sie nicht wiedergesehen. Ein mvulana ist gestorben an Schlägen von deutsche bwana. Ein mwulana hat geheiratet zwei Frauen, aber Missionar in Daressalam hat gesagt, er darf nicht haben viele Frauen …«

Es war das erste Mal, dass Hamuna über ihre Kinder sprach, und Charlotte musste sich eingestehen, dass sie auch nie danach gefragt hatte. Max hatte Hamuna von der Küste mitgebracht, aus Tanga oder Bagamoyo, das wusste Charlotte nicht mehr genau. Dort hatte sie im Haushalt eines indischen Geschäftsmannes gearbeitet. Sie musste viel älter sein, als Charlotte geglaubt hatte, wenn sie schon fünf Kinder in die Welt gesetzt hatte – wie traurig, dass die meisten offenbar nicht mehr am Leben waren …

Die Wehen kamen jetzt in kürzeren Abständen, und der Schmerz wurde so heftig, dass Charlotte die Zähne zusammenbiss und die Finger in die Tischdecke krallte. Wenn die Welle verebbt war, lehnte sie sich keuchend im Stuhl zurück; es war seltsam, aber in diesen kurzen Erholungspausen fehlte ihr nichts, der boshaft peinigende Schmerz war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.

»Schammi soll meinem Mann Bescheid sagen.«

»Lass bwana arbeiten. Er muss Bananenstauden schützen. Nyenje fressen nicht Kaffeeblätter, aber Bananen. Kaffeebaum braucht Schatten von Banane …«

Charlotte beharrte nicht auf ihrem Wunsch. Im Grunde hatte Hamuna recht – Max hätte sich nur schrecklich aufgeregt, und helfen konnte er ihr sowieso nicht. Sie wusste ja selbst nicht so genau, wie man ein Kind auf die Welt brachte. Aber Hamuna, die jetzt über das Unglück der Dschagga klagte, Hamuna hatte schon fünf Kinder geboren, sie wusste, was zu tun war. Sie hatte sie auch gepflegt, als sie krank war, es war gut, dass Hamuna bei ihr war.

»Dschagga haben Rauch gemacht wegen nyenje. Aber das nichts hilft, nyenje werden fressen allen Mais und alle Bananen und alle Hirse. Dschagga müssen hungern. Werden kommen auf Plantage wegen Arbeit. Schlimmes Unglück von bösem Geist sheitani …«

Die Wehe kam so schnell, dass Charlotte nun doch einen lauten Schrei ausstieß und sich stöhnend an der Tischkante festklammerte.

»Wie lange dauert das denn noch? Weshalb kommt das Kind nicht endlich? Ich kann nicht mehr …«

»Dauert manchmal viele Tage. Manchmal bibi nur hustet, und kitoto fällt aus ihrem Bauch heraus. Einmal es tut viel weh und andere Mal nur ganz wenig. Kitoto ist immer anders …«

»Hör auf!«

Es dauerte die ganze Nacht. Hamuna schickte Sadalla zu den Hütten der Schwarzen, um zwei alte Frauen herbeizuholen. Sie breiteten für Charlotte eine Schicht Bastmatten auf dem Fußboden des Schlafzimmers aus, überredeten sie, sich darauf zu setzen, und hängten ihr Amulette um den Hals. Charlotte tat, was sie von ihr verlangten, ließ sich von ihnen Arme, Beine und den Rücken reiben, wehrte sich nicht, wenn sie auf ihrem Bauch herumdrückten und sie mit einem Sprühnebel aus pombe bespuckten. Die beständig gemurmelten und ganz sicher unchristlichen Beschwörungen konnte sie sowieso nicht verstehen. Sie war ganz und gar damit beschäftigt, dem höllischen Schmerz zu begegnen, der ihren Körper in zwei Teile reißen wollte.

Max rannte im Wohnraum umher wie ein Irrsinniger und klopfte alle fünf Minuten an die Schlafzimmertür, um zu fragen, wie es drinnen stünde, doch er brachte es nicht über sich hineinzugehen.

»Ich kann nicht sehen, wie sie leidet«, stöhnte er verzweifelt. »Noch dazu, wo es meine Schuld ist – ich habe ihr das angetan. Großer Gott!«

Das Kind wurde geboren, als die Morgennebel über der Plantage die Farbe von reifen Orangen annahmen. Kein Vogel war zu hören, nicht einmal ein Affe zeterte, Gärten, Wiesen und Bäume waren kahl gefressen. Nur zwei Störche stelzten gemächlich durch die leeren Gärten und füllten sich die Mägen mit toten Heuschrecken.

Als Dr. Brooker am Nachmittag auf der Plantage ankam, gab es für ihn nicht mehr viel zu tun. Charlotte lag erschöpft in ihrem Bett, das Kind schlief in einer hölzernen Wiege, die Max heimlich ohne Charlottes Wissen für seinen Sohn angefertigt hatte.

»Ein Unglück kommt selten allein«, sagte der Arzt mitfühlend. »Ein Mädchen. Ein verflucht kräftiger Brocken, hätte gut auch ein Junge sein können.«

»Was reden Sie für einen Unsinn!«, fuhr Max ihn an. »Eine Tochter ist genau das, was ich mir gewünscht habe!«

Himmel über dem Kilimandscharo
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