12. KAPITEL
Kennedy saß zusammen mit Joe am Strand und schaute Grace und Teddy zu, die im Wasser spielten. Sein Sohn tat so, als sei er ein Delfin, und planschte laut herum, während Grace ihn lachend dirigierte. In der Gegenwart von Kindern schien sie sich viel freier zu fühlen.
Vor ein paar Minuten hatte Heath ihr einen besonders schönen Stein geschenkt. Sie war so begeistert, dass der Junge sich gleich auf die Suche nach einem noch schöneren gemacht hatte. Am liebsten wäre Kennedy auch aufgestanden, um einen Stein für sie zu finden.
“Als du sie eingeladen hast, hierher mitzukommen”, fragte Joe, “war sie da gleich damit einverstanden?” Er saß im Schneidersitz neben ihm. Weil er mehr Freizeit hatte, war er viel brauner gebrannt als Kennedy und hatte sich schon längst sein Hemd ausgezogen. Er behauptete, er wolle sich noch ein bisschen mehr bräunen, aber Kennedy hatte den Verdacht, dass er vor allem Grace imponieren wollte.
Die schien ihn aber gar nicht wahrzunehmen.
“Es war nicht besonders schwer”, sagte Kennedy. Er trug ein T-Shirt über der Badehose, überlegte aber, ob er es nicht ausziehen sollte, um ins Wasser zu gehen.
“Du hast sie gefragt, und sie hat zugesagt, einfach so?” Joe schnippte mit den Fingern.
“Teddy hat ihr oft im Garten geholfen.” Kennedy schob den warmen Sand mit seinen nackten Füßen hin und her. “Ich glaube, sie ist seinetwegen mitgekommen.”
“Du willst mir doch nicht erzählen, dass sie mehr an deinen Jungs interessiert ist als an dir.”
Kennedy schaute überrascht auf. “Doch, wahrscheinlich schon.” Er wollte nicht mit Joe über Grace reden. Es gefiel ihm gar nicht, wie er über sie sprach und noch weniger, wie er sich ihr gegenüber benahm.
Joe nahm einen Schluck Mineralwasser. “Und wie kommst du darauf?”
“Vielleicht liegt es an der Vergangenheit.”
“Das war doch nicht unsere Schuld!”
“Manches vielleicht nicht.”
“Aber anderes sehr wohl, willst du das damit sagen?”
Kennedy wusste, dass Joe ihn provozieren wollte, aber er wollte die Fragen dennoch so ehrlich wie möglich beantworten. “Mehr oder weniger.”
Joe sah ihn abschätzig an. “Du hattest ja eine Freundin. Du hast dich doch nie mit ihr eingelassen.”
“Das nicht, aber ich war auch nicht sehr nett zu ihr. Und du und die anderen …”
“Versuch ja nicht, mir jetzt Schuld aufzuladen”, unterbrach ihn Joe und schüttelte den Kopf. “Sie konnte es doch kaum erwarten, die Hosen runterzulassen.”
Kennedy gefiel überhaupt nicht, welche Bilder Joes Worte in seinem Kopf erzeugten. “Ich möchte nicht darüber reden.”
“Ich will damit nur sagen, dass ich sie nicht weggestoßen habe. Sie bettelte ja praktisch darum.”
Kennedy zuckte zusammen, aber er bemühte sich, sich die Wirkung von Joes Worten nicht anmerken zu lassen. Joe wollte herausfinden, wie sehr er sich mit Grace verbunden fühlte. “Ich glaube, sie litt mehr unter der Art, wie sie nach diesen Vorfällen behandelt wurde”, sagte er ruhig.
Joe schnaubte ungläubig. “Was hatte sie denn erwartet?”
Kennedy musste sich sehr zusammenreißen, um seinen Freund nicht angewidert anzusehen. “Das ist doch nicht dein Ernst.”
Grace lachte laut auf, weil es Teddy gelungen war, sie zu tunken. Joe schaute wieder zum See. “Was immer du glaubst, ich denke, sie ist aus dem gleichen Grund wie früher hergekommen. Nur dass sie diesmal ein bisschen wählerischer ist.”
“Wovon redest du überhaupt?”
“Du glaubst doch nicht, dass sie ohne Hintergedanken mit den Söhnen eines wohlhabenden, verwitweten Mannes herumalbert.”
Kennedy fragte sich, wie er es nur so lange in der Gegenwart dieses Manns ausgehalten hatte. “Doch”, stellte er fest. “Genau das glaube ich.”
Joe lachte hämisch. “Ich hätte dich nicht für so naiv gehalten.”
“Sie ist mitgekommen, weil sie gern mit Heath und Teddy zusammen ist”, sagte Kennedy. Natürlich war ihm klar, dass sie auch mitgekommen war, um die Bibel zurückzubekommen, aber das erwähnte er nicht. Ihre Gefühle den beiden Jungen gegenüber waren aufrichtig, das wusste er. Er hatte keine Ahnung, wieso sie sie so leichten Herzens angenommen hatte, aber vielleicht hatte es ja damit zu tun, dass die beiden noch zu jung waren, um von ihr als Bedrohung empfunden zu werden. Die Jungs mochten sie, und sie mochte die Jungs. So einfach war das. Wenn Kennedy sich auf eine rein platonische Freundschaft einlassen würde, wäre sie wahrscheinlich freundlicher zu ihm. Aber er konnte einfach nicht leugnen, dass er sich auch körperlich zu ihr hingezogen fühlte. Selbst wenn er ihr versprach, sie nie mehr anzufassen, würde sie spüren, dass er es gern täte. Und dann wurde er für sie zur Bedrohung.
“Du hast vorhin gesagt, du willst mit ihr ausgehen, wenn wir zurück sind”, sagte Joe.
“Ja, und?”
Joe sah ihn ungläubig an. “Das war kein Scherz?”
Wenn der Kerl doch bloß endlich verschwinden würde! Kennedy wäre viel lieber mit Grace und den Jungs im Wasser, statt mit Joe am Strand herumzusitzen. Aber er wollte sich nicht mit Grace beschäftigen, während Joe dabei zusah. Kennedy zweifelte nicht daran, dass Joe stehenden Fußes zu Otis und Camille eilen würde, wenn er irgendetwas zwischen ihnen bemerken würde, was ihm nicht gefiel. Wahrscheinlich würde er das ohnehin tun. “Vielleicht.”
Joe schien alarmiert. “Das darfst du nicht.”
“Sie war doch erst dreizehn, als ihr Stiefvater verschwand. Tut mir leid, aber ich kann sie mir nicht als Mörderin vorstellen.” Eigentlich, dachte Kennedy, sollte ich den Geschehnissen von damals mehr Gewicht beimessen. Aber er merkte, dass ihn das, was jetzt passierte, viel mehr in seinen Bann zog.
“Und ihr Ruf?”, fragte Joe weiter.
“Sie hat sich geändert.”
Joe dachte kurz nach. “Kennedy, meinetwegen leg sie flach, wenn du es nicht lassen kannst – aber mehr auch nicht. Du hast zu viel zu verlieren.”
“Dein Respekt vor Frauen ist inspirierend”, erwiderte Kennedy trocken.
“Cindy war nicht wie Raelynn, falls du verstehst, was ich meine.”
Cindy war Joes Ex-Frau, aber sie war nicht mal annährend so übel, wie er sie jetzt machte. Soweit Kennedy das beurteilen konnte, hatte sie versucht, das Beste aus ihrer Ehe zu machen. Die meisten Konflikte zwischen ihnen gingen auf Joes Konto. Er hatte ihr Geld verspielt und sie betrogen, wahrscheinlich mehr als einmal.
“Ganz schön heiß hier draußen”, sagte Kennedy, um nicht in ein Streitgespräch hineingezogen zu werden. “Lass uns mal ins Wasser gehen.” Er stand auf, zog sich das T-Shirt über den Kopf und ließ es in den Sand fallen.
Joe erhob sich ebenfalls und packte Kennedy am Arm. “Wenn das mit Grace was Ernstes werden sollte, werden deine Eltern ihr Geld wohltätigen Zwecken hinterlassen.”
“Ich fände es schlimmer, mich zu verleugnen, als enterbt zu werden.”
“Keine Frau ist so viel Geld wert.”
“Hast du nicht eigene Probleme, um die du dich kümmern solltest?”, entgegnete Kennedy.
Joe musterte ihn mit eiskaltem Blick. “Was meinst du denn damit?”
“Buzz sagte, du hättest eine Menge Spielschulden angehäuft.”
Joe reagierte kämpferisch: “Das kriege ich alles in den Griff.”
“Das letzte Mal habe ich dir ausgeholfen, aber ich werde es bestimmt nicht noch mal tun. Wenn dein Vater herausfindet, was du so treibst, werde ich nicht der Einzige bleiben, der enterbt wird. Deshalb schlage ich vor, dass du dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten kümmerst.”
“Und deinen Eltern nichts erzähle.”
“Genau.”
Joe schüttelte ungläubig den Kopf und lachte vor sich hin, obwohl die Unterhaltung alles andere als erfreulich war. “Das gibt’s doch gar nicht! Ich werde tatsächlich erpresst, und ausgerechnet von unserem Musterschüler.”
“Wenn du es so sehen willst.”
“Kennedy, wenn du mit Grace ausgehst, werden deine Eltern es auch ohne mein Zutun erfahren.”
“Aber besser wäre es allemal, wenn du dich nicht einmischen und alles noch schwieriger machen würdest.”
Joe riss sich zusammen. “Glaubst du wirklich, es geht mir darum, dir Ärger zu machen?”
Kennedy bezweifelte, dass sein Freund damit zögern würde, wenn es sich für ihn auszahlte. Aber er wiegelte ab: “Natürlich nicht. Ich will ja nur sicher sein, dass du mich nicht hängen lässt.”
“Das habe ich noch nie getan”, sagte Joe. “Das habe ich dir doch oft genug bewiesen.”
Joe hatte ihn aus dem Wasser gezogen, als er kurz vorm Ertrinken gewesen war …
“Ich weiß”, sagte Kennedy. “Komm jetzt. Gehen wir schwimmen.”
“Na bitte. Ich weiß gar nicht, warum wir uns verrückt machen. Was unsere Eltern nicht wissen, macht ihnen auch keine Sorgen, hab ich recht?” Joe rannte los.
Kennedy antwortete nicht. Er dachte an die Bibel von Reverend Barker, die noch immer im Handschuhfach seines Wagens lag, und wünschte, er könnte einfach zustimmen.
An diesem Abend bestanden Heath und Teddy darauf, dass Grace sich zu ihnen legte, um sich gegenseitig im Dunkeln Gespenstergeschichten zu erzählen. Doch nach all den sportlichen Aktivitäten des Tages dauerte es nicht lange, bis Ruhe ins Zelt einkehrte. Grace lauschte dem regelmäßigen Atem der Jungs und blieb noch eine Weile, weil es so schön war, zwischen ihnen zu liegen, eingekuschelt in ihre Schlafsäcke, auf jeder Seite einen.
Außerdem war sie nicht erpicht darauf, sich zu Kennedy und Joe zu gesellen.
Sie hörte, wie die beiden sich am Lagerfeuer unterhielten. Sie mochte den Klang von Kennedys Stimme, aber seit Joe angekommen war, hatte er sich verändert. Zwar ruhte sein Blick immer wieder auf ihr, aber er sprach sie nur an, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Er trat beiseite, wenn Joe anbot, ihr den Rücken mit Sonnencreme einzureiben, und reagiert nicht, wenn sie ablehnte. Er ließ es zu, dass Joe ihre Wasserflasche trug, und schaute stumm zu, wenn Joe ihr den Köder am Haken befestigte. Außerdem nutzte Joe jede Gelegenheit, die sich bot, um sie zu berühren – sei es an der Hand, am Arm oder am Oberkörper.
Seine Berührungen ließen sie jedes Mal zusammenzucken.
“Ich wünschte nur, Cindy würde endlich mal einen richtig guten Job finden”, sagte Joe. Seine Stimme war so laut, dass sie jedes Wort verstand.
Grace versuchte wegzuhören. Sie nahm den Geruch von Erde und Seewasser wahr, der von den beiden Jungen ausging, und musste lächeln. Sie hatten wirklich viel Spaß miteinander gehabt.
“Ich habe gehört, sie will ein Restaurant eröffnen”, sagte Kennedy.
“Das ist doch unglaublich! Sie hat tatsächlich die Nerven, mich um Geld zu bitten! Ich soll zehntausend Dollar investieren!” Joe lachte ungläubig.
“Schuldest du ihr nicht sowieso noch so viel?”
“Ach, Quatsch!”
“Sie scheint das aber anders zu sehen. Sie behauptet, du hättest den Ring ihrer Großmutter versetzt und …”
“Ist mir egal, was sie sagt. Ich schulde ihr überhaupt nichts! Ich habe für ihren Lebensunterhalt gesorgt, als wir verheiratet waren. Kann ich ihr das nachträglich in Rechnung stellen?”
Grace merkte, wie sie einnickte, und zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Sie sollte nicht unbedingt auf Kennedys Schlafsack einschlafen. Sie stand auf, schlüpfte aus dem Zelt und wollte schnell in ihr eigenes huschen, aber der Reißverschluss war so laut, dass die Männer auf sie aufmerksam wurden.
“Da bist du ja”, sagte Joe. “Komm, setz dich zu uns.”
Grace hätte gern abgelehnt, aber sie hatte Durst und musste vor dem Schlafengehen sowieso noch zu den Waschräumen gehen.
“Kennedy meint, ich soll meiner Ex-Frau zehntausend Dollar geben”, sagte Joe, als sie nach dem Wasserkrug auf dem Campingtisch griff, um sich ein Glas einzuschenken. “Was hältst du davon?”
Grace setzte sich auf einen freien Stuhl. Sie kannte Cindy. Auf der Schule war sie bei ihren Mitschülern sehr beliebt. Sie und Joe hatten geheiratet, als Grace schon längst aus Stillwater weggegangen war. Trotzdem hatte Grace den Eindruck, dass sie eigentlich ganz gut zusammenpassten, weil sie beide ziemlich einfältig waren. “Ich weiß überhaupt nicht, wovon ihr da redet.”
“Ich schulde ihr nichts.”
“Wenn du das so siehst.”
Im flackernden Schein des Feuers waren nicht viele Einzelheiten auszumachen, aber irgendetwas in Kennedys Gesicht wirkte rätselhaft. Gern hätte sie gewusst, was er jetzt gerade dachte. Sie hatte schon gemerkt, dass zwischen ihm und Joe eine gewisse Spannung herrschte, und das hatte sie überrascht. Die beiden waren doch so eng miteinander befreundet.
“Bist du mal verheiratet gewesen?”, fragte Joe.
Sie trank einen Schluck Wasser. “Nein.”
“Hast du vor, mal zu heiraten?”
Sie zuckte zusammen, weil diese Frage sie an ihre Trennung von George erinnerte. Grace umfasste den Becher in der Hand fester, als wollte sie sich an ihm festhalten. “Das weiß ich noch nicht. Es gibt ja auch keinen Grund zur Eile.”
Sie vermisste das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das George ihr vermittelt hatte. Aber andererseits fühlte sie sich auch erleichtert. Sie hatte Schuldgefühle gehabt, weil sie ihm nicht das geben konnte, was er gesucht hatte. Nun war sie frei.
Kennedy stocherte im Feuer herum. Sie sah ihn durch den Funkenregen hindurch kurz an. Was auch immer zwischen ihnen passierte – sie brauchten keine Worte. Das Gefühl wuchs an, und es wurde immer schwerer, ihm zu widerstehen. Sie erinnerte sich daran, wie er sie geküsst hatte, und sie spürte, sie sehnte sich unmissverständlich nach einer Wiederholung.
“Möchtest du eine Tasse Kaffee?”, fragte Joe.
Sie räusperte sich. “Nein, danke. Ich will mich gleich hinlegen.”
“Jetzt schon? Ach, komm, ich bin doch nicht die weite Strecke hierhergefahren, um früh ins Bett zu gehen. Bleib doch wenigstens noch kurz bei uns sitzen. Ich würde dich gern einiges fragen.”
Die düstere Vorahnung, die sie schon verspürt hatte, verstärkte sich. “Ich kann mir nicht vorstellen, was du mich fragen könntest.”
“Oh, es gibt eine Menge. Und ich bin nicht der Einzige. So wie es aussieht, hast du den Schlüssel zum großen Geheimnis, hab ich recht?”
“Nein. Ich habe keine Ahnung, wo der Reverend abgeblieben ist.”
“Der Reverend? Nennst du ihn jetzt so?”
Sie verfluchte ihre Unaufmerksamkeit. Sie war einfach schon zu lange von Stillwater fort. “Wie soll ich ihn denn sonst nennen?”
“Wenn ich mich noch recht erinnere, hast du ihn immer Daddy genannt.”
“Er hat mich nie adoptiert. Und inzwischen bin ich einunddreißig.”
“Du hättest ihn wenigstens ‘mein Vater’ nennen können. Ich habe keine Ahnung, wo mein Vater abgeblieben ist.”
Die kühle Luft des Abends drang durch Grace’ T-Shirt. Sie fröstelte und verschränkte die Arme, damit ihr wärmer wurde. “Ich dachte, du könntest vielleicht Anstoß daran nehmen.”
“Verstehe. Aber als Kind hat es dir nichts ausgemacht.”
“Damals hab ich doch gar nicht an so was gedacht.”
“Und jetzt bist du ja groß geworden.” Joe grinste Kennedy wissend an. “Das haben wir alle bemerkt.”
Kennedy blickte ihn finster an, aber Joe schien das nicht zu stören. “Und welche Theorie hast du über das Verschwinden meines Onkels?”, fragte er. “Bestimmt hast du doch eine.”
“Hör doch endlich mit deinem Onkel auf”, rief Kennedy aus.
Joe legte den Kopf zur Seite. “Das Thema interessiert dich wohl nicht?”
“Ich kann’s nicht mehr hören.”
“Dann bist du aber der Einzige, dem es so geht. Außer Grace vielleicht.”
“Daddy?”, rief Teddy vom Zelt her. Seine Stimme klang verschlafen.
“Was ist denn, mein Junge?”, fragte Kennedy.
“Heath hat mich getreten.”
“Dann schieb ihn doch weg.”
“Hab ich ja versucht, aber er ist zu schwer.”
Kennedy warf Joe einen warnenden Blick zu und stand auf, um sich um seinen Sohn zu kümmern. Aber kaum war er im Zelt verschwunden, lehnte Joe sich nach vorn und stemmte die Ellbogen auf die Knie. “Wollen wir beide nicht versuchen, das Rätsel gemeinsam zu lösen?”
“Wie sollten wir das wohl tun?”, fragt Grace. “Er ist spurlos verschwunden.”
“Spurlos? Glaubst du das wirklich? Aber so etwas gibt es doch gar nicht. Ich bin mir ganz sicher, dass irgendwo eine Spur zu finden sein muss oder ein Hinweis, irgendwas. Vielleicht hat ja auch jemand etwas bemerkt.”
So wie Jed Fowler … “Wer denn?”, fragte sie. Wenn Joe etwas Neues wüsste, hätte sie schon davon gehört.
“Nora Young hat ihn bei der Kirche getroffen. Sie behauptet, sie hätte auf dem Parkplatz gestanden und sich mit Rachelle Cook unterhalten, als er herauskam und zu seinem Auto ging. Er schloss es auf und stieg ein. Rachelle kann das bestätigen.”
“Tatsächlich? Dede Hunt hat gesehen, wie er gegen halb neun aus der Stadt gefahren ist.”
“Sie glaubt, ein Auto gesehen zu haben, das wie seins aussah. Das ist was anderes.” Im Schattenspiel des Feuers wirkte sein Grinsen düster und bösartig. “Und Bonnie Ray Simpson, eure Nachbarin, hat gesehen, wie er gegen neun oder zehn Uhr seinen Wagen in der Auffahrt geparkt hatte.”
“Bonnie Ray ist Alkoholikerin.”
“Aber das muss ja nicht bedeuten, dass sie seinen Wagen nicht gesehen hat.”
Grace lehnte sich zurück und bemühte sich, Gelassenheit auszustrahlen. “Er ist aber nie nach Hause gekommen. Nur meine Mutter kam zurück.”
“Wann war das?”
“Um neun. Sie war bei der Chorprobe bei Ruby Bradford.”
“Und sie hat ihn nicht gesehen?”
“Das weißt du doch. Ich sagte doch, dass er nicht nach Hause gekommen ist.”
Joe ließ sich zurückfallen. “Mein Gott, macht dich das denn nicht verrückt, Grace?”
Sie nahm wieder einen Schluck Wasser und sah ihn über den Rand des Bechers hinweg an. “Was?”
“Die Ungewissheit.”
“Ich habe mich damit abgefunden”, log sie. Es war ihr gelungen, einige der Geschehnisse in jener Nacht aus ihrem Gedächtnis zu verbannen – das, was passiert war, nachdem ihr Stiefvater Molly ausgeschlossen hatte, und bevor ihre Mutter nach Hause kam. Aber noch immer konnte sie sich an zu viel erinnern.
“Du scheinst dir ja ziemlich sicher zu sein, dass dieses Geheimnis nie aufgeklärt wird”, sagte Joe und schnalzte mit der Zunge. “Weißt du vielleicht etwas, das wir nicht wissen?”
Sie erinnerte sich daran, wie Clay kurz nach ihrer Mutter nach Hause kam, hörte die Schreie und das schreckliche Geräusch von Faustschlägen. “Das hast du mich doch eben schon gefragt. Glaubst du, meine Antwort ändert sich?”
“Könnte sein.”
“Könnte, ja, aber das wird bestimmt nicht passieren, mach dir keine Hoffnungen.”
Er schaute sie einen Moment lang argwöhnisch an. “Deine Mutter hatte ein blaues Auge am Tag nach dem Verschwinden deines Vaters. Und Clay hatte eine aufgeplatzte Lippe.”
“Clay hat sich einen Teller aus dem Schrank geholt und sie dabei versehentlich mit dem Ellbogen am Auge erwischt. Und als er sich dann nach unten gebeugt hat, um nachzusehen, was geschehen war, hob sie plötzlich den Kopf und traf ihn am Mund.” Es hatte noch mehr Verletzungen gegeben, aber die hatten sie glücklicherweise kaschieren können.
“Bist du sicher?”
“Glaubst du etwa, dass dein Onkel, der Mann der Kirche, den alle so schätzten, seine Frau schlug? Oder dass er sich mit seinem Stiefsohn geprügelt hat?”
Joe grinste verschlagen und trank seinen Becher mit Whisky aus. “Vielleicht hat ihn ja jemand provoziert.”
“Dazu war er doch viel zu nett und freundlich.”
Der Reißverschluss des Zeltes ertönte und signalisierte ihnen, dass Kennedy wieder zurück war.
“Was glaubst du, Kennedy?”, fragte Joe, während er seinen Becher auf den Boden stellte.
“Ich glaube, du hast ein bisschen zu viel getrunken. Wollen wir nicht lieber schlafen gehen?”
“Jetzt wird es doch gerade erst interessant.” Joe rieb sich über die Bartstoppeln an seinem Kinn. “Erzähl mir, was du glaubst, was mit ihm passiert ist, Grace, ganz ehrlich.”
“Das reicht jetzt, Joe”, sagte Kennedy. “Sie möchte nicht darüber reden.”
“Ich habe sie gefragt, nicht dich.”
Kennedy wirbelte herum. “Ist mir egal. Lass sie in Ruhe.”
Grace hielt die Luft an. Mit dieser plötzlichen Spannung zwischen den beiden Freunden hatte sie nicht gerechnet. Joe warf ihr einen missgünstigen Blick zu. “Wie es scheint, bist du ja ganz schön aufgestiegen.”
“Was meinst du denn damit?”, fragte sie.
“Nichts.”
Etwas war in Bewegung geraten an dem Tag, als sie nach Stillwater zurückgekommen war – wie ein Stein, der sich am Abhang gelöst hat und nun immer schneller ins Tal rollte. Wenn sie ihm nicht Einhalt gebot, würde er sie erschlagen. “Was willst du eigentlich von mir?”, fragte sie ruhig.
“Du weißt doch, was ich will. Die Wahrheit. Und ich will, dass Kennedy sie hört.”
“Joe …”, sagte Kennedy.
Grace hob eine Hand. Sie wollte nicht zwischen Kennedy und seinem alten Freund stehen. Wenn sie Stillwater verließ, sollte sein Leben noch genauso perfekt sein wie am Tag ihrer Ankunft. “Lass ihn. Er hat mir doch gar nichts getan”, sagte sie und ging zu ihrem Zelt. Jetzt war sie noch überzeugter davon, dass sie die Überreste ihres Stiefvaters wegbringen mussten. Sie mussten sie tief im Wald vergraben und anschließend Joe die Farm durchsuchen lassen. Das war ein schrecklicher Gedanke, aber wenn die Sache gut ausging, konnten sie die ganze Stadt davon überzeugen, dass ihre Familie nichts mit dem Verschwinden des Reverends zu tun hatte. Und dann endlich ein ganz normales Leben führen.
Ein kühler Nachtwind fuhr durch Kennedys Haar, als er neben Grace’ Zelt in die Hocke ging und ihren Namen flüsterte.
Er hörte, wie sie sich umdrehte, aber sie antwortete nicht.
“Grace”, wiederholte er leise und schabte mit seiner Taschenlampe über den Nylonstoff, um sie auf sich aufmerksam zu machen.
“Was ist denn?” Sie klang müde und verwirrt.
“Komm zu den Waschräumen.”
“Warum denn?”
“Schsch”, warnte er und sagte dann nichts mehr. Er wollte Joe nicht aufwecken, der seinen Whiskyrausch in seinem eigenen Zweipersonenzelt ausschlief.
Grace kroch aus ihrem Zelt. Sie trug Flip-Flops, eine Pyjamahose und darüber ein verkehrt angezogenes Sweatshirt. Sie ging ein Stück, bevor sie ihre Taschenlampe einschaltete. Als sie den halben Weg hinter sich gebracht hatte, trat Kennedy neben sie. Ein Ast knackte unter seinen Füßen, und sie hob die Lampe, um ihn anzustrahlen. Er legte rasch eine Hand darüber und drückte sie nach unten. “Was tust du denn …”, begann sie.
Er drückte ihre Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und sie brach ab.
Sie erreichten die Waschräume. Er schaltete beide Lampen aus und führte sie dann um das kleine Gebäude herum. Er war sich nicht sicher, wie sie auf seine nächtliche Störung reagieren würde, und es überraschte ihn, dass sie sich ohne Widerstand an der Hand nehmen ließ. Sie fühlte sich zerbrechlich und kalt an, und das bestärkte ihn in seinem Entschluss.
“Wohin führst du mich?”, fragte sie.
Er schob sie in den Wald. Als er schließlich überzeugt war, dass niemand sie mehr hören konnte, sagte er: “Hier können wir bleiben.”
“Was ist denn?”
Er versuchte ihr Gesicht auszumachen, aber die Äste und Blätter über ihnen schirmten das Mondlicht ab. “Wir müssen reden.”
“Nein, müssen wir nicht”, sagte sie und klang jetzt wieder distanziert.
“Sag mir, was es mit der Bibel auf sich hat”, sagte er. “Was habt ihr in Jeds Werkstatt gesucht? Wo hast du sie her?”
Sie schüttelte den Kopf. “Das geht dich nichts an, Kennedy.”
Diese Fragen machten ihn verrückt, dabei wusste er, dass er besser nichts davon erfahren sollte. Er seufzte. “Du hast recht. Vergiss es.” Aber worum ging es eigentlich? Er hatte die Bibel eingesteckt. Er hatte sie mitgebracht, um sie ihr zurückzugeben.
“Hast du dich entschieden?”, fragte sie.
Er spürte, dass sie seine Antwort fürchtete. “Was wirst du tun, wenn ich sie dir gebe?”
“Hast du das denn vor?”
Der zweifelnde Unterton in ihrer Stimme machte ihn wütend. “Glaubst du denn, ich umarme dich, küsse dich, sage dir, dass ich dich lieben möchte – und werfe dich dann den Wölfen zum Fraß vor?”
Sie antwortete nicht, und sein Zorn verrauchte, als ihm klar wurde, dass es genau das gewesen war, was seine Freunde früher mit ihr gemacht hatten, immer und immer wieder. Womöglich war sie deshalb gar nicht fähig, sexuelle Begierde und Vertrauen in Einklang zu bringen.
“Willst du sie irgendwo verstecken?”, fragte er.
“Ich würde sie verbrennen”, erklärte sie. “Und dich würde ich bitten, sie einfach zu vergessen und weiterzuleben, als wäre nichts geschehen.”
Er zögerte. “Und … was ist mit dir?”
“Was soll mit mir sein?”
“Soll ich dich auch vergessen?”
“Gibt es denn eine andere Möglichkeit?”
Die Antwort darauf fiel ihm schwer. “Du fühlst doch das Gleiche wie ich, Grace.”
Sie stimmte nicht zu, aber sie widersprach auch nicht.
“Es ist doch so, nicht wahr?”, drängte er.
Sie schaute trotzig zu ihm auf, und er entschied, dass er es darauf ankommen lassen musste. Er legte die Taschenlampen auf den Boden und schob eine Hand unter ihr Sweatshirt, umschlang ihre Hüfte und strich mit dem Daumen über ihre zarte Haut. Sie umklammerte seine Arme, und er wusste nicht, ob sie es tat, um sich festzuhalten oder um ihm Einhalt zu gebieten.
“Wenn ich dich berühre, selbst wenn es nur so ist wie jetzt, macht es mich einfach wahnsinnig vor Verlangen”, flüsterte er. “Ich möchte dich unter mir spüren, in dich eindringen.”
Sie schloss die Augen und bog sich ihm entgegen. Sein Herz begann heftig zu pochen, als er seine Lippen über ihren Nacken gleiten ließ. Ihr Haar roch nach dem Rauch des Lagerfeuers. Er küsste sie hinter dem Ohr und ließ seine Hand unter ihrem Sweatshirt langsam nach oben gleiten. Sie stöhnte, als er ihre Brüste umfasste, und es klang, als würde sie allen Widerstand aufgeben.
Aber dann stieß sie ihn von sich, und sie standen sich gegenüber, beide wie vom Donner gerührt.
“Was ist los?”, fragte er.
“Das geht nicht.”
“Warum?”
“Weil ich Angst vor den Gefühlen habe, die es hervorruft.”
“Gefühle sind aber doch etwas Gutes, Grace.”
Sie strich sich mit der Hand durchs Haar. “Für mich schon. Ich kann dich nicht nur ein bisschen und nur eine Weile lieben.”
Nur ein bisschen und nur Weile? War es das, was er wollte?
Vielleicht. Er wollte eine tiefe Beziehung, um das Vakuum auszufüllen, dass der Tod von Raelynn in seinem Leben hinterlassen hatte. Aber selbst wenn sie beide ihre jeweilige Vergangenheit bewältigten, konnte er ihr keine dauerhafte Verbindung versprechen. Wenn sein Vater erfuhr, dass sie zusammen waren, würde es seinen Tod bedeuten. Und das war nur eine von vielen Unwägbarkeiten.
Trotzdem konnte er sie nicht einfach loslassen.
“Ich habe bereits eine wunderbare Beziehung gehabt. Ich weiß, wie es sein kann”, sagte er.
“Aber was bedeutet das für uns?”
“Das bedeutet, dass du mir wirklich vertrauen sollst. Ich bin nicht Joe.”
“Ich soll mich dir also ausliefern.”
“Aber ich liefere mich dir auch aus”, sagte er, obwohl er wusste, dass sie beide auf ganz verschiedene Art verletzlich waren.
Sie schüttelte den Kopf. “Wir würden scheitern.”
“Lass es uns riskieren”, bat er. “Wer weiß, wohin unsere Freundschaft uns führt.”
Sie schien zu schwanken, aber dann sagte sie: “Nein.”
“Warum nicht?”
“Weil unsere Freundschaft nirgendwohin führen kann, Kennedy. Ich beneide dich um deine innige Beziehung zu Raelynn, aber ich bin nicht so wie sie. Außerdem interessiere ich mich nur für eine einzige Sache.”
“Du meinst die Bibel.”
“Wirst du sie mir geben?”
Kennedy war kurz davor, in seine Hosentasche zu greifen. Er wollte seine Loyalität beweisen, ihr klarmachen, dass er sie nicht benutzen wollte. Aber wenn Grace und ihre Familie wirklich etwas mit dem Verschwinden von Lee Barker zu tun hatten, konnte er dann zulassen, dass ein solches Beweisstück in Rauch aufging? So gefährlich dieses Buch im Augenblick für Grace war, so nützlich konnte es doch als Beweismittel werden, wenn der Fall wider Erwarten doch einmal vor Gericht kam. Denn dann könnten die Anmerkungen des Reverends die Schuldigen entlasten.
Statt die Bibel hervorzuholen, rieb er sich mit der Hand über das Gesicht und sagte: “Geht nicht.”
“Du willst mich also doch den Wölfen zum Fraß vorwerfen.”
Er verzog das Gesicht. “Nein, bestimmt nicht. Ich habe sie schon vernichtet.”
“Wann?”
“Gestern Abend, als du schon ins Zelt gegangen warst.”
Ihre Augen funkelten, als sie zu ihm aufsah. “Warum?”
“Weil ich erregt war. Der Reverend war ein Betrüger. Ich hasse ihn genauso sehr wie du.”
Offenbar klang er überzeugend genug. Sie entspannte sich. “Du hattest recht”, sagte sie und hielt sich an einem Baumstamm fest, als sei ihr schwindelig geworden.
Kennedy spürte, wie sein Herz bis zum Hals pochte. “Womit?”
“Mit dem, was er mit mir gemacht hat”, sagte sie. Dann hob sie hastig ihre Taschenlampe auf und rannte davon.
Kennedy blieb stehen und ließ die Stille auf sich einwirken, während er zu verarbeiten versuchte, was sie gerade gesagt hatte. Er hatte noch nie so heftige Gefühlsaufwallungen erlebt wie jetzt mit Grace. Raelynn war fröhlich, lieb und verlässlich. Sie hatten sich schon sehr früh ineinander verliebt und eine relativ problemlose Beziehung miteinander geführt.
Grace hatte recht – sie war kein bisschen wie Raelynn. Sie war durch die Hölle gegangen und würde womöglich nie darüber hinwegkommen. Warum sehnte er sich dann nur so nach ihr? Lass die Finger davon, sagte seine Vernunft, nein!
Aber es gab noch diese andere Stimme, die sich überhaupt nicht darum scherte. Sie rief: Ja, ja, ja!
Und diese Stimme wurde immer lauter.
Grace rannte, so schnell sie konnte. Sie sprang aus dem Wald, umrundete die Waschräume und lief über den Pfad zum Campingplatz. Sie wollte unbedingt ihr Zelt erreichen, bevor Kennedy dort angekommen war. Die Bibel war fort. Auch wenn sie gern dabei zugesehen hätte, wie sie verbrannte, war sie doch sehr glücklich darüber, dass Kennedy es war, der sie vernichtet hatte.
Trotzdem war etwas an ihm, das sie ängstigte, und das hatte nichts mit dem dunklen Geheimnis ihrer Familie zu tun.
Sie lächelte wehmütig. Wer hätte gedacht, dass ein Funken Hoffnung – jene Hoffnung, sie könnte eines Tages tatsächlich einmal das Glück haben, den Mann zu bekommen, den sie liebte – dass dieser kleine Funke ihr so viel Angst einjagen würde?
Sie staunte über die Wärme, die sie verspürte, wenn Kennedy ihre Hand hielt. Vielleicht lag es ja nur daran, dass sie sich danach sehnte, für die Erniedrigungen, die sie erlitten hatte, entschädigt zu werden. Doch es ging um mehr. Seine Stimme, seine Berührungen, seine Gegenwart bedeuteten ihr mehr als bei jedem anderen Mann …
Der riesige dunkle Schatten tauchte plötzlich vor ihr auf. Sie sprang zurück und hätte beinahe laut aufgeschrien.
“Ich bin’s.”
Es war Joe. Er trug Shorts, Tennisschuhe ohne Socken und eine Windjacke, die er nur halb über der nackten Brust zugezogen hatte. Offenbar hatte er sich genauso hastig angezogen wie sie.
“Was machst du hier draußen?”, fragte er.
Grace versuchte verzweifelt, ihre Selbstsicherheit wiederzufinden, die ihr bei ihrem Gespräch mit Kennedy abhandengekommen war. “Ich war auf Toilette.”
“Wo hast du denn deine Taschenlampe?”
“Hier.” Sie schwenkte sie zwischen sich und ihm hin und her, um zu verhindern, dass er einen Schritt auf sie zu machte. “Der Mond ist so hell, da braucht man sie gar nicht.”
Er nahm ihr die Lampe aus der Hand, schaltete sie ein und leuchtete hinter sie. Sie drehte sich um und erwartete Kennedy zu sehen, aber zum Glück war er noch nicht zurück.
“Bist du allein?”, fragte Joe verwundert.
Ihm würde sie bestimmt nichts anvertrauen. “Was dachtest du denn?”, sagte sie. “Es ist mitten in der Nacht.”
Jetzt leuchtete er direkt in ihr Gesicht. “Hätte ja sein können, dass du Kennedy einen bläst.”
Sie blinzelte im grellen Licht, hob die Hand und stieß die Lampe zur Seite. Sie versuchte, ganz ruhig zu bleiben. Alles andere würde ihn nur noch ermutigen. “Der liegt doch in seinem Zelt. Wie sollte ich das denn hinkriegen?”
Joe lächelte boshaft. “Ich habe nachgesehen. Er ist nicht da drin. Aber das weißt du ja schon längst.”
Sie zuckte lässig mit den Schultern. “Wenn Teddy und Heath da sind, kann Kennedy nicht weit sein. Vielleicht konnte er nicht schlafen und geht ein paar Schritte.” Sie ging um ihn herum und fügte hinzu: “Vielleicht schaust du mal am See nach.”
Joe lachte leise. “Es kann ja sein, dass Kennedy sich im Augenblick für dich interessiert, Grace. Er hatte seit zwei Jahren keine Frau mehr im Bett. Aber es wird vorbei sein, sobald er bekommen hat, was er will. Versprich dir nicht zu viel.”
Grace drehte sich nicht um. “Ich verspreche mir gar nichts.”
“Na klar”, rief er hinter ihr her. “Deine Mutter war ja auch nicht hinter der Farm meines Onkels her! Nur dass mit Kennedy noch mehr auf dem Spiel steht, nicht wahr? Das muss man dir lassen, Gracie – du angelst dir wenigstens den dicksten Fisch im Teich!”