26

Was machst du denn hier?«, zischte ich. Mein Herz schlug wie ein Dampfhammer. »Ich dachte, du bist in London! «

»War ich ja auch«, erwiderte Porcelain. »Aber dann bin ich zurückgekommen. Ich wollte mich entschuldigen.«

»Das wäre das zweite Mal«, sagte ich, »und du hast schon das erste Mal vermasselt. Ich komme sehr gut ohne deine sogenannten Entschuldigungen aus.«

»Ich weiß«, sagte sie, »und es tut mir leid. Ich hab dich angeschwindelt. Fenella war gar nicht bei Bewusstsein, als ich bei ihr war. Und sie hat auch nicht gesagt, dass du sie überfallen hast. Das hab ich mir nur ausgedacht, um dir weh zu tun.«

»Warum denn?«

»Keine Ahnung. Ich wüsste es auch gern, aber ich weiß es nicht.«

Unvermittelt brach sie in Tränen aus und schluchzte bitterlich. Ohne lange zu überlegen, nahm ich sie in die Arme und zog ihren Kopf auf meine Schulter herab.

»Ist ja gut«, sagte ich, auch wenn natürlich gar nichts gut war.

Aber in mir hatte sich etwas verändert, und ich war auf einmal ganz sicher, dass wir das alles irgendwann klären würden.

»Bleib hier, bis ich wiederkomme«, sagte ich. »Mein Vater ist unten, ich darf ihn nicht warten lassen.«

Was ja so weit auch stimmte.

Als ich wieder in den Salon kam, stand Sergeant Graves neben Feely und sah enttäuscht aus.

»Ich hab die Kugel hier reingelegt«, sagte ich und überreichte Inspektor Hewitt einen Karton, »damit die Oberfläche geschützt ist.«

Ich verlor kein Wort darüber, dass ich den Karton, weil er gerade die richtige Größe hatte, aus Feelys Zimmer gemopst hatte, und auch nicht, dass ich ein Pfund Yardleys Lavendelbadesalz ins Klo gespült hatte, weil ich auf die Schnelle nicht wusste, wohin damit.

Der Inspektor hob den Deckel an und spähte in den Karton.

»Man sieht einen Ring aus blassen Schmutzflecken«, sagte ich. »Was von den Fingerabdrücken noch erhalten ist, dürfte höchstwahrscheinlich …«

»Danke, Flavia«, sagte er ausdruckslos und reichte die Schachtel an Sergeant Graves weiter.

»… und ein paar von mir sind wohl auch drauf«, setzte ich hinzu.

»Bringen Sie die Kugel sofort zu Sergeant Woolmer nach Hinley«, sagte der Inspektor, ohne auf mein Scherzchen einzugehen. »Danach holen Sie mich hier ab.«

»Jawohl, Sir. Erst nach Hinley, dann wieder hierher.«

»Augenblick noch«, sagte ich. »Ich habe da noch etwas.«

Ich zog Feelys besticktes Taschentuch aus meiner Tasche.

»Das hier könnte eine Kopie der silbernen Hummergabel sein, mit der Brookie Harewood umgebracht wurde. Vielleicht ist es auch das Original. Jedenfalls ist unser Monogramm drauf. Eines der Bull-Kinder hat damit in der Rinne herumgebuddelt. Falls noch andere Fingerabdrücke außer seinen und meinen drauf sind, könnten sie zu denen auf der Kristallkugel passen.«

Als ich Inspektor Hewitt die Gabel hinhielt, beobachtete ich die Gesichter der anderen Anwesenden.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, wie Mrs Mullet zu sagen pflegte.

»Gütiger Himmel!« Vater trat vor und griff nach der Gabel, noch ehe der Inspektor sie ausgewickelt hatte.

Beinahe hätte ich ausgeplaudert, dass das übrige Familiensilber zu Sotheby’s unterwegs war, aber das wäre dann wohl doch zu viel für Vater gewesen.

»Bitte nicht anfassen, Colonel«, sagte der Inspektor. »Ich fürchte, ich muss die Gabel als Beweisstück mitnehmen.«

Vater starrte das Besteckteil an, als wäre er eine Schlange, die sich plötzlich einem Mungo gegenübersieht.

Daffy saß steif auf dem Diwan und funkelte mich an. Ihr Blick war so hasserfüllt, als machte sie mich für alles Pech unseres Vaters verantwortlich.

Feely schlug erschrocken die Hand vor den Mund.

Alle waren in der Bewegung erstarrt, als hätte ein Fotograf diesen flüchtigen, höchst unbehaglichen Zeitabschnitt mit seinem Blitzlicht für die Ewigkeit festgehalten. Drückendes Schweigen lastete auf dem Raum.

»Mit der Brookie Harewood umgebracht wurde?«, wiederholte Inspektor Hewitt schließlich fragend. »Mit dieser Hummergabel? Kannst du mir bitte erklären, was du damit meinst?«

»Sie steckte in seiner Nase. Als ich seine Leiche am Poseidonbrunnen entdeckt habe. Haben Sie die Gabel denn nicht gesehen?«

Jetzt war es der Inspektor, der die Gabel gebannt anstarrte.

»Bist du ganz sicher?«

»Aber ja!« Ich war ein bisschen gekränkt, dass er meine Worte anzweifelte.

Der Inspektor sagte bedächtig: »Wir haben keine Hummergabel am Tatort gefunden, und auch sonst ist keine aufgetaucht. «

Keine Hummergabel am Tatort? Was für eine aberwitzige Aussage! Genauso gut hätte er abstreiten können, dass die Sonne am Himmel stand! Die Gabel hatte unübersehbar in Brookies Nasenloch gesteckt wie ein Dartpfeil in der Zielscheibe.

Selbst wenn die Gabel aufgrund der Schwerkraft herausgefallen wäre, hätte sie im Brunnen liegen müssen. Dass die Beamten sie nicht gefunden hatten, konnte nur eines bedeuten – dass jemand die Gabel herausgezogen hatte. Und dieser Jemand war höchstwahrscheinlich Brookies Mörder.

Demnach war der Mörder innerhalb der zwanzig Minuten, nachdem Porcelain und ich den Tatort verlassen hatten und bevor die Polizei eingetroffen war, noch einmal zurückgekehrt, war auf den Brunnen geklettert und hatte die Tatwaffe aus Brookies Nase gezogen. Aber warum?

Der Inspektor ließ mich nicht aus den Augen. Ich sah förmlich, wie die Zahnrädchen in seinem Kopf rotierten.

»Sie glauben doch nicht, ich hätte Brookie Harewood umgebracht? «, fragte ich entsetzt.

»Offen gestanden – nein. Aber ich habe so eine Ahnung, dass du weißt, wer es getan hat.«

Ich ließ mir nichts anmerken, aber insgeheim platzte ich vor Stolz.

Na endlich! Das ist die längst fällige Anerkennung.

Am liebsten hätte ich den Inspektor umarmt, aber ich ließ es bleiben. Er hätte sich zu Tode erschrocken, und ich mich – im Nachhinein – ebenfalls.

»Ich habe einen Verdacht«, sagte ich scheinbar gelassen.

»Soso«, brummte der Inspektor nur, »den musst du uns bei Gelegenheit mitteilen. Vielen Dank Ihnen allen. Unsere Unterhaltung war höchst aufschlussreich.«

Mit einem Blick bedeutete er dem Sergeant mitzukommen und ging zur Tür.

»Übrigens, Colonel«, er drehte sich noch einmal um. »Sie sorgen doch dafür, dass Flavia zu Hause bleibt?«

Vater gab ihm keine Antwort, und ich beschloss, seinen Namen unverzüglich auf meine private Liste der Heiligen und Märtyrer zu setzen.

Dann verschwanden die beiden Beamten.

»Glaubt ihr, er mag mich?« Feely stürzte sich auf den Feldstecher auf dem Kaminsims.

»Bestimmt«, erwiderte Daffy. »Er hat dich die ganze Zeit so gierig angeschaut wie der Monsterkrake in 20 000 Meilen unter dem Meer.«

Vater verließ mit leicht ratloser Miene das Zimmer.

Er würde in seine Briefmarkensammlung abtauchen, zu den Kraken und anderen Ungeheuern in den Abgründen seiner Seele.

Im selben Augenblick fiel mir Porcelain wieder ein.

 

Es erforderte einiges an Überwindung, an meine eigene Labortür zu klopfen, aber ich wollte Porcelain nicht erschrecken und plötzlich mit aufgeschlitzter Kehle dastehen.

Aber als ich eintrat, war das Labor leer, und ich wurde wieder einmal sauer.

Hatte ich nicht gesagt, sie solle hierbleiben, bis ich wieder zurückkam?

Doch als ich in mein Zimmer ging, saß sie im Schneidersitz auf meinem Bett wie ein unterernährter Buddha und las in meinem Notizbuch.

Das ging jetzt aber endgültig zu weit!

»Was bildest du dir eigentlich ein?« Ich riss ihr das Buch aus der Hand.

»Ich lese über mich«, sagte sie.

Ich sah rot.

Nein, erst sah ich weiß, ein lautloses grelles Weiß, das alles auslöschte, wie die Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki niedergegangen waren. Erst als die tödliche blütenförmige Explosion allmählich verblasste und in Gelb und dann in Orange umschlug, glühte es schließlich dunkelrot vor meinen Augen.

Mich hatte ein geradezu biblischer Zorn gepackt, wie ich ihn noch nicht erlebt hatte. War es ein Erbteil der de Luces, der sich zum ersten Mal in mir Bahn brach?

Bis dahin hatte mein Zorn eher den karibischen Karnevalsfeiern geglichen, die man in den Reisedokumentationen im Kino sah – ein lärmender Ausbruch von Farben und Hitze, der im Lauf des Tages sanft verklang. Diesmal jedoch empfand ich eine eisige Kälte. Ich stand unnahbar und unansprechbar in einer frostigen Einöde. Zum allerersten Mal konnte ich Vater verstehen.

Eines war klar: Ich musste sofort verschwinden. Ich musste allein sein, bis diese Flutwelle wieder abgeebbt war.

»Entschuldige mich bitte«, sagte ich zu meinem eigenen Erstaunen und verließ schleunigst das Zimmer.

 

Ich setzte mich ein Weilchen auf die Treppe.

Ja, Porcelain hatte meine Privatsphäre missachtet, aber meine Reaktion hatte mir selbst Angst eingejagt. Ich zitterte immer noch.

Ich blätterte in meinem Notizbuch, konnte mich aber nicht auf die Einträge konzentrieren.

Was hatte Porcelain gerade gelesen, als ich ins Zimmer geplatzt war? Angeblich eine Stelle über sich selbst.

Ich konnte mich kaum erinnern, was ich über sie geschrieben hatte. Rasch fand ich die Stelle.

PORCELAIN: Kann ihre Großmutter nicht überfallen haben, weil sie sich zur Tatzeit in London aufhielt – behauptet sie jedenfalls. Aber warum hat sie ihre Kleider ausgewaschen?

Die Frage blieb weiterhin unbeantwortet, aber falls Porcelain zurückgekehrt war, um mich umzubringen, hätte sie es längst erledigen können.

Als ich das Buch zuklappte, fiel mir ein, dass es noch keinen Eintrag zu den Pettibones gab. Ich hatte der Eisfrau doch versprochen, ihr Unterlagen über Nicodemus Flitch und die Humpler zu bringen.

Dass ich diese Unterlagen in der Not schlicht erfunden hatte, war eigentlich kein Hinderungsgrund. In einer Bibliothek wie der unseren gab es bestimmt bergeweise alte Dokumente, mit denen sich die unverhohlene Gier der Frau befriedigen ließ.

Wenn sich sonst niemand in der Bibliothek aufhielt, konnte ich mich gleich ans Stöbern machen.

Schon ging es mir viel besser.

 

Ich legte das Ohr an die Tür. Falls Daffy wie gewöhnlich in der Bibliothek hockte und las, könnte ich vielleicht einen Teelöffel voll Stolz hinunterschlucken und sie um Rat fragen, eventuell unter dem Vorwand einer Beleidigung, denn darauf sprang sie eigentlich immer an.

Wenn das nicht klappte, konnte ich immer noch einen Waffenstillstand ausrufen. Dafür musste ich mich beim Betreten des Zimmers mit einem Knie auf den Teppich niederlassen und »Pax vobiscum« rufen. Daffy würde mit »Et cum spiritu tuo« antworten, und es würde fünf Minuten lang – gemäß der Kaminuhr – Waffenruhe herrschen. Während dieser Zeitspanne durfte keine von uns beiden irgendwelche Beleidigungen oder Gemeinheiten äußern.

Falls Daffy jedoch ein Tintenfass nach mir warf, war die Friedenspfeife abgelehnt.

Ich hörte nichts. Also öffnete ich die Tür einen Spalt.

Die Bibliothek war leer.

Ich trat ein und schloss sicherheitshalber hinter mir ab. Obwohl der Riegel wahrscheinlich die letzten hundert Jahre nicht mehr bewegt worden war, glitt er geräuschlos in die Aussparung.

Guter alter Dogger, dachte ich. Wieder einmal hatte er ganz unauffällig dafür gesorgt, dass alles so funktionierte, wie es funktionieren sollte.

Falls mich jemand zur Rede stellte, würde ich behaupten, ich sei ein bisschen krank und hätte ungestört ein Schläfchen halten wollen.

Ich schaute mich um. Ich war schon ewig nicht mehr allein in der Bibliothek gewesen.

Die Bücherregale türmten sich bis zur Decke, als wären sie wie geologische Verwerfungen durch die Schichtenbildung der Erdkruste entstanden.

Unten und damit in Reichweite standen die Bücher, die der jetzigen Generation gehörten. Darüber und gerade nicht mehr in Reichweite standen die in viktorianischer Zeit angehäuften Exemplare, und darüber stand bis hoch zur Decke der ganze Plunder, den die georgianischen de Luces hinterlassen hatten: Hunderte und Aberhunderte ledergebundener Bände mit dünnen, wurmzerfressenen Seiten und so winziger Schrift, dass einem die Augen juckten.

Ich hatte schon früher in diesen Schwarten gestöbert, aber bald festgestellt, dass es sich überwiegend um die staubtrockenen Memoiren oder Predigten irgendwelcher Langweiler handelte – allesamt aus der Zeit, in der Mozart noch in Windeln herumgekrabbelt war.

Es war der reinste Friedhof für religiöse Schriften.

Ich würde mich methodisch von oben voranarbeiten, und mir eine Wand nach der anderen vornehmen, erst die Nordwand, dann die Ostwand und so weiter.

Bücher über abtrünnige Geistliche waren bestimmt auf die obersten, unzugänglichsten Bretter verbannt. Abgesehen davon wusste ich selbst nicht so genau, wonach ich suchte.

Ich zog mir die Bibliotheksleiter auf ihren Rollen heran und machte mich mit tastenden Schritten an den schwindelerregenden Aufstieg.

Bibliotheken dieser Größenordnung, dachte ich dabei, sollte man mit Sauerstoffflaschen ausrüsten, damit die Benutzer nicht höhenkrank werden!

Was mich an Harriet denken ließ, und auf einmal wurde ich todtraurig. Auch Harriet hatte früher diese Leiter erklommen. In ebendiesem Raum war ich seinerzeit auf eins ihrer Chemiehefte gestoßen, das mein ganzes Leben umgekrempelt hatte.

»Mach weiter, Flave!«, ermahnte mich meine innere Stimme energisch. »Harriet ist tot, und du hast viel zu tun.«

Ich kletterte weiter und legte dabei den Kopf schief, damit ich die Titel der Bücher lesen konnte. Zum Glück hatten die älteren Bände vernünftige, sachliche Titel. Die Goldbuchstaben waren so tief in das Leder geprägt, dass sie dreidimensional wirkten und im ewigen Dämmerlicht unter der Decke gut zu lesen waren:

Das Leben des Simeon Hoxey – Anmerkungen zur Septuaginta – Beten und Büßen – Gedanken über die Göttlichkeit – Die Astronomischen Prinzipien der Natur- und Offenbarungsreligionen – Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman – Polykarp von Smyrna – und so weiter und so fort.

Gleich darüber stand Hydraulik und Hydrostatik, zweifellos eine Hinterlassenschaft von Plätscher-Lucius de Luce. Ich zog das Buch aus dem Regal und schlug es auf. Auf dem Vorsatzblatt prangte Lucius’ Exlibris: das Wappen der Familie de Luce und darunter sein in überraschend kindlicher Schrift gekrakelter Name. Hatte er das Buch als kleiner Junge geschenkt bekommen?

Sonst war das Vorsatzblatt dicht an dicht mit Berechnungen beschrieben: Summen, Winkel, algebraische Gleichungen waren eilig und kaum leserlich hingekritzelt. Außerdem war das Buch wellig, als wäre es nass geworden.

Zwischen die Seiten war ein gefaltetes Papier gesteckt, das sich, als ich es glattstrich, als handgemalte Landkarte erwies, und zwar eine Karte, wie ich sie noch nie gesehen hatte.

Sie bestand aus lauter verschieden großen Kreisen, die miteinander verbunden waren, teils mit geraden Strichen, teils mit verschlungenen Linien. Manche Linien waren dick, andere dünn. Manche waren einfach, andere doppelt gezogen, und einige wenige waren in unterschiedlichen Mustern schraffiert.

Zuerst dachte ich an eine Eisenbahnkarte – vielleicht der Plan für eine ehrgeizige Erweiterung der Haltestelle Buckshaw, die ganz in der Nähe lag und an der früher einmal Züge gehalten hatten, Passagiere ausgestiegen und Güter für das Herrenhaus ausgeladen worden waren.

Erst als ich ganz unten den Umriss des künstlichen Sees erkannte und dann den unverwechselbaren Umriss von Buckshaw selbst, begriff ich, dass es sich nicht um eine Landkarte handelte, sondern um Lucius’ Originalplan für seine unterirdischen Wasserleitungen.

Interessant, dachte ich, aber nur am Rande. Ich steckte den Plan ein, um mich später damit zu beschäftigen, und hielt wieder nach Büchern Ausschau, in denen die Humpler erwähnt sein könnten.

Predigten für Seeleute – Gottes Plan für die Karibischen Inseln – Nachlass des Alexander Knox, Wohlgeb. …

Und auf einmal stand es direkt vor mir: Dissenters – Glaubensabweichler in England!

Ich muss schon sagen – das Werk war eine Offenbarung!

Ich hatte eine langweilige Aufzählung von Weltuntergangspredigern erwartet, aber mir tat sich eine wahre Schatzkiste voller Intrigen, Verleumdungen, Eitelkeiten, Entführungen, mitternächtlicher Fluchten, Hinrichtungen, Verstümmelungen, Verrat und Zauberei auf.

Bei jedem größeren grausamen Blutvergießen in der englischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts hatte garantiert ein religiöser Abweichler dahintergesteckt. Ich nahm mir vor, ein paar dieser Bände mitgehen zu lassen und mir auf meinem Zimmer ein paar schaurig-schöne Lesestunden zu gönnen. Sie lasen sich bestimmt spannender als Der Wind in den Weiden, das schon seit Weihnachten auf meinem Nachttisch lag. Tante Felicity hatte es mir geschickt, weil sie es angeblich für eine Abhandlung über körperliche Züchtigungen hielt.

Mit den Glaubensabweichlern in der Hand, stieg ich die Leiter wieder hinunter und ließ mich in den gepolsterten Ohrensessel fallen, den sonst Daffy besetzt hielt.

Weil es kein Inhaltsverzeichnis gab, war ich gezwungen, das ganze Buch durchzublättern und den Text nach dem Wort »Humpler« zu durchforsten. Dabei gab ich mir größte Mühe, mich nicht allzu sehr von den Gewaltschilderungen in diesem frommen Werk ablenken zu lassen.

Erst gegen Ende des Buches fand ich, wonach ich gesucht hatte. Aber dann, auf einmal, war es da, ganz unten auf einer Seite, in einer Fußnote, die mit einem zerquetschten Sternchen markiert und in einer wunderlichen altmodischen Schrift gehalten war.

»Die Unsitte der Kindstaufe greift einen primitiven religiösen Brauch auf, eine Verirrung aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert nach Christus. Dieser Brauch wird oft verfälscht und entstellt, wie zum Beispiel bei einer gewissen Sekte, die als ›Humpler‹ bekannt ist. In deren Sitte, Kinder an den Fersen hochzuheben und mit dem Kopf in fließende Gewässer zu tauchen, hat sich der griechische Mythos von Achilles auf absurde, ja barbarische Weise erhalten.«

Mrs Mullet hatte recht gehabt!