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Der Job

Der junge Mann im Krankenhaus hieß St. John Giles, und an der Universität Oxford war er der achte Mann beim Rugby oder Nummer sechs im Ruderteam oder etwas dergleichen. Er hatte sich in London einen netten Abend machen wollen. Sein langes blondes Haar klebte ihm schweißnass an der Stirn.

»Ich habe der Polizei doch schon erzählt, was passiert ist, aber sie haben es nicht geglaubt. Das glaubt mir doch sowieso keiner, und Sie werden es auch nicht glauben, warum sollten Sie?«

»Weil wir die Leute sind, die den Leuten glauben, denen sonst keiner glaubt«, sagte ich.

»Und wieso soll ich das glauben?«

»Na ja, Sie müssen es mir eben einfach glauben«, antwortete ich.

Weil die Bettdecke bis zu seiner Brust hochgezogen war, konnte man seine Verletzung nicht sehen, aber ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick wie magisch angezogen zu seinem Lendenbereich hinunterwanderte – wie man eben immer hinstarren muss, wenn ein Autounfall passiert oder jemand eine furchtbare Warze im Gesicht hat. Er sah, dass ich mich bemühte, nicht hinzuschauen.

»Glauben Sie mir – das wollen Sie nicht sehen«, sagte er.

Ich glaubte es ihm und nahm mir eine Traube von seinem Nachttisch. »Erzählen Sie mir doch einfach, was passiert ist«, schlug ich vor.

Er war mit ein paar Freunden in einem Nachtclub am Leicester Square gewesen. Dort hatte er eine nette junge Frau kennengelernt, die er zuerst gründlich mit Alkohol abgefüllt hatte, um sie dann zu überreden, sich für ein bisschen Knutschen mit ihm in eine dunkle Ecke zurückzuziehen. Im Rückblick war St. John bereit zuzugeben, dass er sie vielleicht ein bisschen zu enthusiastisch bedrängt hatte, aber er hätte schwören können, dass sie eine willige Partnerin gewesen sei und dass alles einvernehmlich passierte oder dass sie jedenfalls nicht allzu strikt widersprochen habe. Den Beamten der Met-Abteilung Sapphire, die in Fällen sexueller Gewaltanwendung ermittelte, musste die Geschichte nur allzu bekannt vorgekommen sein; sie bekamen sie schließlich alle Tage zu hören. Zumindest bis zu der Stelle, wo ihm die Frau den Pimmel abbiss.

»Mit ihrer Vagina?«, fragte ich, nur um ganz sicher zu sein.

»Ja, genau.«

»Und Sie täuschen sich nicht?«

»Mann, bei so einer Sache täuscht man sich nicht.«

»Und Sie sind sicher, dass es Zähne waren?«

»Es fühlte sich wie Zähne an«, sagte er. »Aber um ehrlich zu sein – nachdem es passiert war, hab ich nicht mehr so sehr darauf geachtet.«

»Sie hat Sie also nicht geschnitten, sagen wir mit einem Messer oder vielleicht einem zerbrochenen Bierglas?«

»Ich hielt sie an beiden Händen«, sagte er und machte die entsprechende Geste nach. Sie war ziemlich vage, aber ich bekam trotzdem eine ganz gute Vorstellung davon: Er hatte ihre Handgelenke an die Wand gepresst.

Toller Typ, dachte ich und blätterte zu der Beschreibung, die er bei seiner früheren Aussage von der Frau gegeben hatte. »Sie sagen, sie hatte langes schwarzes Haar, schwarze Augen, blassen Teint und sehr rote Lippen?«

St. John nickte eifrig. »Sie sah irgendwie japanisch aus, war aber keine Japanerin. Hübsch, hatte aber keine Schlitzaugen.«

»Konnten Sie ihre Zähne sehen?«

»Nein, Mann, ich hab Ihnen doch schon gesagt …«

»Nicht diese Zähne«, sagte ich. »Sondern die in ihrem Mund.«

»Weiß ich nicht mehr. Ist das denn wichtig?«

»Vielleicht. Sagte sie irgendetwas?«

»Zum Beispiel?«

»Überhaupt irgendwas?«

Er schaute mich völlig perplex an, dachte eine Weile nach und meinte schließlich, dass er nicht glaube, dass sie in der ganzen Zeit, in der er mit ihr zusammen gewesen war, auch nur ein Wort von sich gegeben hatte. Danach stellte ich noch ein paar abschließende Fragen, aber St. John war zu sehr mit dem Ausbluten beschäftigt gewesen, als dass ihm noch irgendetwas aufgefallen wäre. Seine Angreiferin war dann einfach verschwunden, und er hatte nicht mal ihren Namen erfahren, von ihrer Telefonnummer ganz zu schweigen.

Ich sagte, dass er sich ganz gut halte, unter diesen Umständen.

»Im Moment vielleicht«, sagte er. »Ich bekomme ja auch verdammt starke Medikamente. Möchte gar nicht daran denken, was passiert, wenn die Pillen abgesetzt werden.«

Auf dem Weg nach draußen sprach ich noch kurz mit seinen behandelnden Ärzten: Der Penis war nicht gefunden worden. Nachdem ich meine Aufzeichnungen vervollständigt hatte – schließlich handelte es sich hier um eine offizielle polizeiliche Ermittlung – schaute ich noch einen Stock höher bei Lesley vorbei. Sie schlief immer noch, das Gesicht völlig unter den Bandagen verborgen. Ich blieb eine Zeit lang neben ihrem Bett stehen. Dr. Walid hatte gesagt, dass ich ihr definitiv das Leben gerettet und möglicherweise auch die Erfolgsaussichten der chirurgischen Gesichtsrekonstruktion verbessert hatte. Aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass es sie fast das Leben gekostet hätte, dass sie mit mir zusammen gewesen war. Es war weniger als ein halbes Jahr vergangen, seit sie Kaffee holen gegangen war, während ich einem Geist begegnete, und die Vorstellung war beängstigend, dass es vielleicht nur an zwei Bechern Kaffee gelegen hatte, dass nicht ich diese Bandagen tragen musste.

Weniger beängstigend, aber viel bedrückender war die Frage, warum die ganze Sache ausgerechnet in jener kalten Januarnacht ins Rollen gekommen war, oder, um genau zu sein, an jenem sonnigen Wintertag auf Hampstead Heath, als Toby der Hund Brandon Coopertown in die Nase biss. In derselben Woche hatte das Linbury Studio, das zweite, kleinere Theater im Royal Opera House, ein wenig bekanntes Schauspiel namens Die Schule für Ehemänner oder Der verheiratete Wüstling auf die Bühne gebracht, dessen Uraufführung 1761 im großen Theater stattgefunden hatte, das aber seither nie mehr hier aufgeführt worden war, und soweit ich wusste, auch nirgendwo sonst auf der Welt. Der Verfasser des Stücks war ein gewisser Charles Macklin. Die Leute von der Oper fielen fast über die eigenen Füße vor Eifer, als ich um Einblick in die Dateien des Kartenvorverkaufs bat, wahrscheinlich hofften sie, mich damit für immer loszuwerden. Ich fand heraus, dass William Skirmish und Brandon Coopertown am selben Abend eine Aufführung besucht hatten. Also war es eine Kette von Zufällen, die William Skirmish den Garaus machten und auch all den anderen, die nach ihm verstümmelt oder getötet wurden. Wie gesagt, es war eine absolut bedrückende Angelegenheit.

Wenn Sie helfen wollen, hatte Nightingale gesagt, dann müssen Sie noch mehr und noch schneller lernen. Tun Sie den Job.

Ich wäre gern noch länger bei Lesley geblieben, aber die Zeit lief.

Nightingale lag in einem der Nachbarzimmer. Er war wach, saß im Bett und löste das Kreuzworträtsel im Telegraph. Wir diskutierten über die Frage des verschwundenen Penis.

»Vagina dentata«, sagte Nightingale. Ich fand den Gedanken alles andere als beruhigend, dass das Phänomen anscheinend oft genug vorkam, um einen eigenen medizinischen Begriff erhalten zu haben. »Sie könnte Orientalin sein, vielleicht aus Chinatown.«

»Jedenfalls keine Japanerin«, sagte ich. »Das Opfer war sich absolut sicher.«

Nightingale nannte mir ein paar wissenschaftliche Werke, die in der Bibliothek standen und in denen ich bei Gelegenheit nachschlagen konnte. »Aber nicht heute«, sagte er. »Sind Sie nervös?«

»Es kann einiges schieflaufen dabei«, sagte ich.

»Trinken Sie nichts«, riet er mir. »Dann werden Sie keine Probleme bekommen.«

Auf dem Heimweg dachte ich über gewisse eigene Verdachtsmomente hinsichtlich der Identität der bissigen Penisräuberin nach. Im Folly angekommen, machte ich mich auf die Suche nach Molly. Ich fand sie in der Küche – sie schnitt gerade eine Salatgurke.

»Warst du in letzter Zeit mal in einem Club abhängen?«, fragte ich.

Sie hörte auf zu schneiden, drehte sich um und betrachtete mich mit ernsten schwarzen Augen.

»Bist du sicher?«

Sie zuckte die Schultern und rückte wieder der Gurke zu Leibe. Ich beschloss, dass ich die Klärung dieser Frage Nightingale überlassen würde – eine klare Befehlshierarchie ist doch eine wunderbare Sache.

»Ist das unser Reiseproviant?«, fragte ich. »Gurkensandwiches?«

Molly deutete auf den Rest der Zutaten – Salami und Leberwurst.

»Du willst mich wohl verarschen, wie?«, fragte ich.

Sie warf mir einen mitleidigen Blick zu und reichte mir eine Supermarkttüte mit meinem Lunchpaket darin.

In der Garage waren nicht weniger als sechs Koffer neben dem Jaguar aufgetürmt. Außerdem schleppte Beverley eine große Schultertasche mit sich, in die sie, wie ich später entdeckte, das gesamte Zubehör eines durchschnittlichen afrikanischen Haarsalons in Peckham gepackt hatte. Beverley hatte sich gründlich über das Landleben kundig gemacht und wollte kein Risiko eingehen.

»Warum gerade ich?«, fragte sie, während sie mir dabei zuschaute, wie ich ihr Gepäck in den Kofferraum lud.

Ich öffnete ihr die Beifahrertür und sie stieg ein, schnallte sich an und umklammerte fest die Schultertasche auf ihrem Schoß.

»So lautet die Abmachung«, sagte ich.

»Mich hat aber niemand gefragt!«

Ich stieg ein und überprüfte, ob sich ein paar Marsriegel und eine Flasche Mineralwasser im Handschuhfach befanden. Die Notverpflegung war da; ich startete den Motor und fuhr aus der Garage.

Beverley schwieg, bis wir auf der M4 waren.

»Das war Crane«, sagte sie plötzlich.

»Wer?«, fragte ich.

»Der Fluss Crane. Wir sind grade darüber gefahren.«

»Eine deiner Schwestern?«

»Die letzte auf dieser Themseseite«, sagte sie.

Wir fuhren auf die M25 in südlicher Richtung. Erfreulicherweise herrschte nur wenig Verkehr. Ein Airbus A380 im Anflug auf den Flughafen Heathrow flog so niedrig quer über die Autobahn, dass ich die Gesichter sehen konnte, die aus den zwei Fensterreihen herunterschauten, ich schwöre es.

»Wieso war sie nicht bei unserem Treffen?«, fragte ich.

»Sie ist nie im Land, fliegt ständig durch die Welt, schickt uns SMS aus Bali und Postkarten aus Rio. Sie ist sogar mal im Ganges geschwommen.« Beverley sagte das mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Missbilligung.

Dank dem nationalen Lehrplan wusste sogar ich, dass es sich beim Ganges um einen der heiligsten Flüsse Indiens handelte, aber um ehrlich zu sein, ich wusste nicht mehr, warum er dermaßen heilig war. Es hatte irgendwas mit Scheiterhaufen und religiösen Gesängen zu tun. Ich setzte das auf die Liste der Dinge, die ich irgendwann nachschlagen musste – allmählich wurde die Liste verdammt lang.

Ich hatte mir zu guter Letzt einen komplizierten Kompromiss ausgedacht. Wie Brock schrieb, konnte man die Genii locorum nicht dazu bringen, einfach miteinander über ein Abkommen zu verhandeln, es gehörte immer auch eine gewisse Symbolik dazu. Ein Lehnseid kam nicht infrage, und eine Heirat zwischen den beiden Dynastien wäre sowohl für Mama Themse als auch für Vater Themse ein zu grausames Schicksal gewesen. Also hatte ich einen Austausch von Geiseln vorgeschlagen, als eine Art vertrauensbildende Maßnahme, durch die die Bindungen zwischen den beiden Hälften des Flusses gefestigt werden sollten. Eine angemessen mittelalterliche Lösung, die gerade diesen beiden Leuten besonders zusagen musste, die definitiv immer noch an ihre göttlichen Rechte glaubten. Es war ein typisch englischer Kompromiss, zusammengehalten durch Schnur, Siegelwachs und das Netzwerk der alten Gottheiten. Ich hätte ja gern behauptet, dass ich die Sache mit dem Geiselaustausch vom Geschichtsunterricht in der Schule kannte oder aus den alten Erzählungen vom vorkolonialen Leben in Sierra Leone, aber in Wahrheit hatte ich das aus dem Fantasy-Rollenspiel Dungeons and Dragons, das ich mit dreizehn immer gespielt hatte.

»Warum muss denn gerade ich es sein?«, hatte Beverley gefragt, als sie herausgefunden hatte, was geplant war.

»Mit Tyburn geht es nicht«, hatte ich gesagt. Es war völlig undenkbar, Tyburn jemandem als Symbol der Friedfertigkeit und des guten Willens auf den Hals zu hetzen. »Und Brent ist zu jung.« Es gab noch weitere Töchter, manche waren die Seelen von Flüssen, deren Namen ich noch nie gehört hatte, darunter war auch eine füllige, ständig lächelnde junge Frau, deren formeller Name Black Ditch lautete. Nicht dass sie von irgendjemandem so gerufen worden wäre. Ich nahm an, dass Mama Themse einfach dachte, Beverley würde sie bei den Bauerntölpeln am wenigsten in Verlegenheit bringen. Die Geisel der Gegenseite hieß Ash, seinen Fluss kannte man im Wesentlichen deshalb, weil er an den Shepperton Film Studios vorbeifloss.

Der Austausch sollte am Abend des 21. Juni stattfinden – Mittsommernacht –, und zwar in Runnymede. Unser Gastgeber war Colne Brook, der Sohn des Colne, der wiederum auch Ashs Vater war. Die verschiedenen Nebenflüsse der Themse bildeten ein ziemliches Durcheinander, vor allem nach zweitausend Jahren »Verbesserungen«. Ich vermutete, dass Oxley der eigentliche Organisator hinter der Operation war, und er würde nichts dem Zufall überlassen. Diese Vermutung bestätigte sich, als ich zu dem Straßengewirr am Hythe End kam – prompt tauchten ein paar handgeschriebene Wegweiser am Straßenrand auf und leiteten uns geradewegs in eine Sackgasse, die von Doppelhäusern gesäumt war und an einem Tor endete, neben dem man parken konnte.

Isis wartete am Tor auf uns, begleitet von einer Schar männlicher Teenager, alle in ihren besten Sonntagskleidern, die sich sofort über den Jaguar hermachten und unbedingt die einzelnen Gepäckstücke tragen wollten. Ein strohblonder Bursche wollte für fünf Pfund den Wagen bewachen – ich versprach ihm zehn, um ganz sicherzugehen, natürlich erst zahlbar bei meiner Rückkehr.

Isis umarmte Beverley, die sich endlich überreden ließ, den Todesgriff um ihre Kosmetiktasche zu lockern, und führte sie durch das Tor und durch die dahinter liegenden Felder. Vater Themse hatte seinen »Thron« in der Nähe der Klosterruine unter einer uralten Eibe aufstellen lassen. Neben ihm standen seine Söhne in der ganzen Pracht und Herrlichkeit ihrer Donkeyjacken und Koteletten, darum herum ihre Frauen und Kinder. Alle blickten uns schweigend entgegen, als wäre Beverley eine widerwillige Witwe in einem Bollywood-Melodram. Der Thron selbst bestand aus altmodischen rechteckigen Heuballen von der Art, die, wie ich zufällig weiß, in der britischen Landwirtschaft nicht mehr üblich ist. Kunstvoll bestickte Pferdedecken waren darüber drapiert. Für den heutigen Anlass hatte man den Alten Mann des Flusses in seinen besten Anzug gesteckt und ihm Bart und Haare so lange gebürstet, bis sie nur noch ein kleines bisschen verwahrlost aussahen.

Ich folgte Beverley und Isis, als sie vor den Thron traten. Gestern hatte ich den ganzen Tag lang mit Beverley geübt, aber trotzdem musste Isis es ihr jetzt vormachen. Isis knickste tief und mit gesenktem Kopf. Beverley tat es ihr mit kurzer Verzögerung nach. Der Alte Mann des Flusses fing meinen Blick auf. Er berührte langsam seine Brust mit der Hand und streckte dann den Arm mit nach unten gerichteter Handfläche aus – der römische Gruß. Dann stieg er vom Thron, fasste Beverley an beiden Händen und zog sie hoch.

Er hieß sie in einer Sprache willkommen, die ich nicht verstand, und küsste sie auf beide Wangen.

Plötzlich war die Luft voll vom Duft der Apfelblüten und dem Geruch von Pferdeschweiß, Orangenlimo und alten Gartenschläuchen, staubigem Asphalt und lautem Kinderlachen. Alles war so überwältigend stark, dass ich überrascht einen Schritt zurücktrat. Ein sehniger Arm legte sich um meine Schultern und verhinderte, dass ich stolperte, und Oxley boxte mir freundschaftlich in die Seite, wobei durchaus auch ein paar Rippen hätten zu Bruch gehen können.

»Hast du das eben gespürt, Peter?«, fragte er. »Das ist der Anfang von etwas, wenn ich mich nicht täusche.«

»Der Anfang von was?«

»Keine Ahnung. Aber der Sommer liegt definitiv in der Luft.«

Beverley konnte ich im Gedränge der Gefolgsleute von Vater Themse nicht mehr sehen. Oxley zog mich von der Menge weg, um mich mit der anderen Hälfte unseres Geiseltauschs bekannt zu machen. Ash war ein junger Mann, ungefähr einen halben Kopf größer als ich, mit breiten Schultern, klarem Blick, edler Stirn und leerem Hirn.

»Hast du deine Sachen beieinander?«, fragte ich ihn.

Ash nickte und klopfte auf eine Tasche, die an seiner Schulter hing.

Isis tauchte kurz aus der Menge auf, um mir einen schwesterlichen Kuss auf die Wange zu verabreichen und mir das Versprechen abzunehmen, sie einmal ins Theater auszuführen. In diesem neuen, glorreichen Sommer waren solche Dinge nun plötzlich möglich geworden. Danach wäre ich eigentlich gegangen, aber Ashs Verwandte brauchten gut eine Stunde, um sich von ihm zu verabschieden, und deshalb war es fast dunkel, bis wir wegkamen. Als ich mit Ash zum Jaguar zurückging und mich kurz umblickte, sah ich, dass Vater Themses Leute Sturmlaternen an die Äste der alten Eibe hängten. Mindestens zwei Fiedeln spielten, und ich hörte ein klackendes Geräusch, von dem ich nur vermuten konnte, dass es sich um ein Waschbrett handelte. Gestalten sprangen und tanzten im gelben Licht der Laternen, und ich hörte die verführerische melancholische Musik, die bei jeder Party zu hören ist, zu der man selbst nicht eingeladen wurde. Ich war nicht ganz sicher, aber ich meinte Beverley unter den Tanzenden zu sehen, und es gab mir einen kleinen Stich.

»Kann man in London auch tanzen gehen?«, erkundigte sich Ash. Er klang genauso nervös wie Beverley auf der Herfahrt.

»Aber sicher.«

Wir stiegen in den Wagen und machten uns über die A308 und die M25 auf den Rückweg.

»Kann man in London auch was trinken gehen?«, fragte Ash und bewies damit ein feines Gespür für Prioritäten.

»Warst du noch nie in London?«, fragte ich.

»Nein. Ich war überhaupt noch nie in einer Stadt. Unser Dad steht nicht auf solche Dinge.«

»Keine Angst, es ist im Grunde genauso wie hier auf dem Land«, sagte ich. »Nur eben mit mehr Leuten.«