14
Raina erwachte, als ein Sonnenstrahl ihre Wange streichelte und warm auf ihr nacktes Bein fiel, das unter der Bettdecke hervorguckte. Sie wusste, dass sie sich in Gunnars Bett befand, würde es gewusst haben, selbst wenn sie nicht seinen Geruch überall um sich herum wahrgenommen hätte. Sie tat so, als müsse sie sich strecken, um herauszufinden, ob er noch neben ihr lag, und fühlte nur das kühle Bett. Sie setzte sich auf und schaute sich im Zimmer um. Er war fort.
Ein Tablett mit Essen stand am Fußende des Bettes, und da sie hungrig war, griff sie nach einem Stück Käse. Auf einem Tisch im Zimmer winkte eine Schüssel mit nach Nelken duftendem Wasser. Gunnar hatte offensichtlich dafür gesorgt, dass ihr etwas zu essen gebracht wurde und dass sie es bequem hatte und darüber hinaus ein wenig Ungestörtheit genießen konnte. Raina wusch sich und aß, war vollauf zufrieden und versuchte vergeblich, ein Gefühl von Dankbarkeit zu unterdrücken.
Nachdem sie gegessen, sich um ihre persönlichen Bedürfnisse gekümmert und ihre Flickarbeit wieder zur Hand genommen hatte, erregte Gunnars Stimme unten im Burghof ihre Aufmerksamkeit. Sie hörte das laute Lachen von Männern und – wie jeden Morgen und inzwischen vertraut – das Klirren von Schwertern. Heute jedoch war es nicht das übliche chaotische Durcheinanderklirren vieler Waffen, die in Übungskämpfen aufeinandertrafen, sondern das gemäßigte Duett zweier Schwerter. Neugierig stand Raina auf und schaute aus dem Fenster.
Die Ritter hatten einen Kreis um zwei kämpfende Männer gebildet. Einer von ihnen war Gunnar. Er trug weder Kettenhemd noch Helm – im Gegensatz zu seinem vernünftigeren Gegner. Trotz des Kettenhemdes erkannte Raina die schlaksige Gestalt seines Herausforderers sofort – Alaric. Sie wollte schon hinunterrufen, dem Jungen alles Gute dafür wünschen, dass er über seinen arroganten, anmaßenden Lord triumphieren möge, als Gunnar seine Tunika ablegte.
Heilige Muttergottes, werde ich von seinem Anblick immer so fasziniert sein?, fragte sie sich wie verzaubert, als sie ihn beobachtete. Mit seinen rabenschwarzen Haaren, die ihm bis auf die Schultern reichten, und seinen starken Armen, mit denen er mühelos die schwere Klinge in einer Darbietung von Können und dem Spiel gestählter Muskeln über den Kopf hob, sah er ganz und gar wie ein heidnischer Kriegsgott aus. Mit seiner tiefen Stimme rief er Alaric Anweisungen zu, die von den Mauern des Burghofes widerhallten, während er Schwerthiebe parierte und leichtfüßig auswich.
Seine bronzefarbene Brust und seine breiten Schultern glänzten in der Wärme der Morgensonne, harte Muskeln spannten sich bei jeder Drehung seiner schmalen Taille an, jeder Stoß seines Schwertes war ein tödlicher Beweis für seine Wendigkeit und Kraft. Alaric war kein ebenbürtiger Gegner, und bald wurde klar, dass Gunnar nicht kämpfte, um zu gewinnen, sondern um zu lehren.
Rainas Magen flatterte bei dem Anblick seiner nackten Brust, die von Schweiß glänzte. Wärme begann sich in ihr auszubreiten, und für den Bruchteil eines Augenblicks stellte sie sich vor, wie es wäre, unter all dieser Kraft gefangen zu sein, ihn auf sich zu spüren. Scham färbte ihre Wangen rot, und sie drängte den törichten Gedanken rasch wieder aus ihrem Bewusstsein. Die Wärme, die sich in ihrem Schoß gesammelt hatte, ließ sich jedoch nicht so leicht zum Verschwinden bringen. Und ebenso schwer schien es zu sein, sich vom Fenster und dem Geschehen auf dem Burghof zu lösen.
Gunnar hatte endlich einem Zweikampf mit Alaric zugestimmt, um dessen Fähigkeiten im Umgang mit dem Schwert zu verbessern. Er war aufrichtig angetan zu sehen, dass sein Squire gute Fortschritte gemacht hatte. Obwohl seine Fähigkeiten sich zu verteidigen stärker waren als die, anzugreifen, war der Junge mit Hingabe bei der Sache und brannte darauf, etwas zu lernen. Schon allein seine Entschlossenheit würde ihn in der Zukunft zu einem ernst zu nehmenden Gegner machen.
»Aha!« Gunnar lenkte geschickt einen Stoß nach seiner Rechten ab. »Ich sehe, du hast bei meinen Lektionen aufgepasst.« Ihre Klingen klirrten, als er den Stoß parierte.
»Aye, Mylord«, entgegnete Alaric ein wenig atemlos, während er seine Balance zurückgewann und Gunnars Hieb abwehrte. »Ich bin ziemlich gut, nicht wahr?«
»Du bist vielversprechend.« Gunnar lächelte über das große Selbstvertrauen des Jungen und setzte die Schwertspitze auf Alarics kettenhemdgeschützten Arm. »Obwohl du noch immer eine Menge zu lernen hast«, sagte er und ließ die Stahlklinge über die Glieder des Kettenhemdes schrappen. Als Alaric die Aufmerksamkeit auf seinen Arm richtete, nutzte Gunnar diesen Vorteil und richtete die Spitze seines Schwertes auf die jetzt ungeschützte Brust des Squires. »Lass dich in einer Schlacht niemals davon ablenken, dass du nach deinen Verletzungen schaust, mein Junge. Es ist der sichere Weg in den Tod.«
»Verdammt«, murmelte Alaric enttäuscht. »Noch einmal, Mylord? Bitte?«
»Du magst es wohl, geschlagen zu werden.«
»Ich werde es dieses Mal besser machen, Mylord.« Alaric nahm seinen Helm ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn, seine Wangen waren vor Anstrengung gerötet. »Ich habe mich bis jetzt nur aufgewärmt.«
Gunnar lachte. »Du bekommst ja kaum noch Luft, wie es aussieht. Noch ein Kampf, und ich wette, du fällst vor Erschöpfung tot um.«
Die Ritter um sie herum lachten, stachelten Gunnar an, eine weitere Herausforderung anzunehmen. »Kommt schon, Mylord. Gebt ihm noch eine Chance. Er wird ja doch nicht aufgeben, solange er nicht flach auf dem Rücken liegt!«
Alaric setzte den Helm wieder auf und straffte die Schultern, sein Atem wurde ruhiger. »Ich werde nicht aufgeben.«
»Also gut«, gab Gunnar mit einem Schmunzeln nach. Er stellte sich mit gespreizten Beinen hin und duckte sich leicht, dabei wechselte er sein Schwert von einer Hand in die andere. »Ich glaube, ich werde dir doch noch eine Lektion geben.«
»Und was für eine Lektion wäre das, Mylord?«, fragte Alaric und nahm ebenfalls seine Kampfhaltung ein.
»Eine Lektion«, erwiderte Gunnar leichthin und machte einen Ausfallschritt, um seinen ersten Stoß anzubringen, »in Bescheidenheit.« Die versammelten Ritter lachten, feuerten Alaric an.
Der Kampf begann, und Schüler und Lehrer wechselten sich ab, um Stöße anzubringen und sie abzuwehren. Einige Minuten lang traf Stahl in einem rhythmischen Klirren auf Stahl, ehe Alaric, der wieder schnaufte und keuchte, sich auf seine Seite des kleinen Zuschauerkreises zurückzog.
»Gibst du auf?« Gunnar grinste und gestattete es dem Jungen, einen Moment lang auszuruhen. Während Alaric nach Atem und um eine Antwort rang, bohrte Gunnar die Spitze seines Schwertes in den Boden und stützte sich lässig auf den Schwertgriff. »Ergibst du dich, junger Alaric?«
»Nein«, keuchte der Knappe, der vorgebeugt dastand, um wieder zu Atem zu kommen. Jetzt richtete er sich wieder auf und hob seine Waffe.
Gunnar machte sich kampfbereit. »Ich muss sagen, was dir an Verstand fehlt, machst du durch deine Standhaftigkeit mehr als wett.«
Alaric griff seinen Lord an, der im letzten Moment dem Hieb aus dem Weg sprang, was den Jungen vorwärts taumeln und fast in die Knie gehen ließ. Er wahrte jedoch sein Gleichgewicht und wandte sich zu einem erneuten Angriff um. Gunnar duckte sich, um ihn abzuwehren, als das Aufblitzen von blassgrünem Stoff am Fenster seines Zimmers seine Aufmerksamkeit erregte.
Hatte sie ihn beobachtet?
In der Sekunde, die er für diesen Gedanken brauchte, traf Alarics Schwert seinen ungeschützten Arm.
»Jesus Christus!«, brüllte Gunnar.
Alaric warf sein Schwert auf den Boden, riss sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn zur Seite. »Oh Gott!«, schrie er. »Mylord, ich wollte doch nicht – oh Gott!«
»Es ist nur ein Kratzer«, grummelte Gunnar, weitaus ärgerlicher darüber, dass er sich von dem Gedanken hatte ablenken lassen, Raina hätte Interesse für ihn gezeigt, als darüber, dass sein Squire ihn getroffen hatte. Er presste die Hand auf die Wunde und ging zum Turm, um sich anzuziehen. »Setzt das Training fort«, bellte er seine Männer an.
Alaric folgte ihm auf dem Fuß und stammelte nervös Entschuldigungen und Flüche über seine Unachtsamkeit, während sie den Turm betraten und die Treppe hinaufgingen.
Raina hörte Schritte auf der Treppe. Als die Zimmertür weit aufgestoßen wurde, schaute sie mit einem Zusammenzucken von ihrer Näharbeit auf. »Du lieber Himmel!«, keuchte sie, als sie das Blut zwischen Gunnars Fingern hervorquellen sah. Sie war an ihre Arbeit zurückgegangen, als es offensichtlich geworden war, dass die Männer ihr Training auf dem Hof vermutlich noch bis zum Nachmittag fortsetzen würden. Dass so etwas geschehen würde, darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Sie ließ ihre Flickarbeit fallen, missachtete Gunnars beunruhigtes Stirnrunzeln und war im Nu bei ihm. »Was ist passiert?«
»Wir haben auf dem Burghof trainiert«, erklärte Alaric, dessen Augenbrauen sich vor Sorge zusammenzogen. »Ich habe Mylord getroffen – aber ich schwöre, dass es nicht mit Absicht geschehen ist!«
Raina wies ihren widerstrebenden Patienten mit einem Kopfnicken an, sich auf einen Schemel vor den Kamin zu setzen. »Ist es sehr schlimm?« Sie kniete sich neben Gunnar und schaute auf, um seinen dunklen Blick auf sich gerichtet zu sehen, während sie sich bemühte, seine Hand von der Wunde zu ziehen.
»Nur ein Kratzer, mehr nicht«, knurrte er und wandte endlich den Blick von ihr ab. »Herrgott, ihr beide benehmt euch, als hättet ihr noch nie eine Fleischwunde gesehen.« Er nahm die Hand von der Verletzung, als Raina beharrlich blieb. Der Schnitt war glatt und blutete nicht mehr so stark, aber er war recht tief und musste genäht werden, um zu verhindern, dass die Wunde eiterte und eine hässliche Narbe zurückblieb.
Raina stand auf, um Nadel und Faden und den Becher Wein zu holen, der neben dem Bett stand. Dann kehrte sie zu Gunnar zurück und kniete sich neben dem Schemel auf den Boden; behutsam hob sie seinen Arm hoch und goss den Inhalt des Bechers über den Schnitt. Sie fühlte, wie Gunnar sich anspannte, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Es tut mir leid«, sagte sie und wischte das Blut und den Wein mit einem Tuch fort. »Ich fürchte, das muss genäht werden.« Sie wartete auf seine Ablehnung, erinnerte sich daran, dass viele Ritter ihres Vaters es oft vorzogen, an ihren Wunden zu leiden, lieber schreckliche Narben akzeptierten als den Gedanken an das Nähen der Wunde. Gunnar jedoch beendete ihre Sorge mit einem Schulterzucken.
Sie drückte die Wundränder so eng und so sanft sie konnte zusammen, stach die Nadel in die dunkle Haut von Gunnars Arm und zuckte dabei vor Mitgefühl zusammen. »Alarics Können muss sich verbessert haben, wenn er seinem Lehrer einen solchen Hieb beibringen konnte.«
»Oh, n-nein, Mylady!« Bei ihrem Lob begann Alaric zu stammeln. »Es lag nicht an meinem großen Können, glaube ich, sondern eher daran, dass Mylords Aufmerksamkeit –«
Gunnar warf seinem Squire einen finsteren Blick zu. »Die Sonne hat mich geblendet«, grummelte er.
»Oh«, sagte Raina und wandte sich wieder dem Nähen der Wunde zu. Als sie wieder etwas sagte, war ihr Ton verständnisvoll, neckend. »In Zukunft müsst Ihr vorsichtiger sein, Mylord. Und Alaric, du tätest gut daran, aus dieser Sache zu lernen. Mein Vater hat immer gesagt, dass ein Ritter es sich nicht erlauben darf, auf dem Schlachtfeld unkonzentriert zu sein.«
»Ja, Mylady«, murmelte Alaric.
»Und ihr könntet jetzt mit eurer Plauderei aufhören«, unterbrach Gunnar sie. »Los, Alaric, hol mir einen Becher Ale. Ich bin durstig und zudem deine Gegenwart mächtig leid.«
Alaric sprang auf und lief aus der Kammer. Er schloss die Tür hinter sich und ließ Gunnar in einer angespannten Stimmung mit Raina zurück. Er beobachtete, wie sie seine Wunde versorgte; ihre Berührung war sehr sanft, und ihre ganze Konzentration schien darauf ausgerichtet zu sein, ihm nicht noch mehr Unbehagen zu bereiten. Wenn sie nur wüsste, dass sein größtes Unbehagen von ihrer Nähe und der Leichtigkeit ihrer Berührung herrührte. Es kostete ihn große Selbstbeherrschung, nicht nach ihrer kleinen Hand zu greifen und sie dorthin zu legen, wo ihre Berührung seinem Körper am besten getan hätte.
Würde sie ihn jetzt ansehen, es wäre ihm unmöglich, sie nicht zu nehmen, das wusste er. Sollte er in diesen grünbraunen Tiefen auch nur eine Spur des Sich ergebens sehen, wäre er ganz sicher verloren. Er schloss die Augen und betete, dass sie schnell fertig würde, damit er sich so weit wie möglich von ihr entfernen konnte.
»Tue ich Euch weh?«
Er sah Rainas zu ihm emporgehobenes Gesicht, ihre Augen suchten kühn die seinen. Aus Angst vor dem, was sie darin lesen könnte, richtete er seinen Blick auf ihren Mund. Das war ein Fehler. Ihre Lippen waren feucht und weich, als sie mit der Zungenspitze darüberfuhr.
Gott, er wollte diesen Mund schmecken.
»Nein«, brachte er schließlich ein Krächzen zustande, und dieses Wort war ebenso ein Befehl an ihn selbst, wie es die Antwort auf ihre unschuldige Frage war. Ja, sie tut mir weh, dachte er. Der Schmerz, den sie verursachte, war von der süßesten Art, es war eine Sehnsucht, die anders war als alles, was er je in seinem Leben gefühlt hatte. Ein Schmerz, den ganz sicher nur ihr Kuss würde lindern können.
»Ich bin fertig«, flüsterte sie und richtete den Blick Gott sei Dank wieder auf seinen verletzten Arm. Als sie den Kopf darüber neigte, um den Faden abzubeißen, berührten ihre Lippen seine Haut für den Bruchteil einer Sekunde, und Gunnar schoss fast von seinem Schemel hoch.
Sie sah ihn an, in ihren Augen stand Verwunderung. Dann lächelte sie. »Habt Ihr etwa gedacht, ich würde Euch beißen?«
Er wollte irgendeine gescheite Bemerkung dazu machen, aber zu seiner großen Bestürzung hatte es ihm die Stimme verschlagen. Stattdessen konnte er sie nur ansehen. Er wünschte, sie würde vor ihm fliehen und wollte doch ebenso sehr, dass sie blieb. Ganz nah bei ihm.
Näher.
Sie begann, zurückzuweichen, und wie aus eigenem Antrieb streckte seine Hand sich aus und schloss sich um ihr Handgelenk. Raina zögerte, hob langsam den Kopf und war ihm dabei so nah, dass er ihren warmen Atem über seine Haut streichen fühlte. Ihre Lippen teilten sich in stummem Protest, aber die Einladung stand unverkennbar in ihren Augen, in der Art, wie ihr Arm sich in seinem Griff entspannte.
Bevor er sich davon abhalten konnte, beugte er sich vor und presste seine Lippen auf ihre. Oh Gott, sie waren noch viel weicher, als er es sich vorgestellt hatte! Ein Stöhnen stieg in seiner Kehle auf, seine Lenden wurden hart, und er zog sie an seine Brust, sein Kuss wurde hungriger und war von dem Verlangen erfüllt, sie so zu verschlingen, wie sie jeden seiner wachen Gedanken verschlang. Als sie die Hand in seinen Nacken legte und ihn näher zog, drängte er sich an sie, kämpfte er gegen den Drang, sie dort zu nehmen, wo sie saß. Der Kuss wurde tiefer, raubte ihm fast den Verstand vor Verlangen. Er stöhnte und hielt sie zwischen seinen Schenkeln gefangen.
Herrgott, er wollte sie so sehr …
Ein leises Klopfen an der Tür blieb unbeantwortet; dann drang Alarics zittrige Stimme durch den köstlichen Schleier, der sie vom Rest der Welt abschirmte. »Mylord? Ich bringe Euch Euer Bier.«
Raina löste sich als Erste von dem Kuss, die Lider niedergeschlagen wich sie hastig von ihm zurück bis in die fernste Ecke der Kammer. Gunnar starrte sie einen Moment lang wie hypnotisiert an. Er war wütend über die Unterbrechung und wollte, dass der Junge verschwand. Als Raina sich die zitternde Hand auf den Mund presste, wusste er, dass der Augenblick vorüber war. »Herein!«, rief er, und seine Stimme klang barscher, als er gewollt hatte, rau von unbezwungener Leidenschaft. Ihm war unbehaglich, als Alaric die Tür öffnete und mit dem gewünschten Bier eintrat.
Das Schweigen in der Kammer war greifbar, und Gunnar wusste, dass der Junge schon ein Narr hätte sein müssen, um nicht zu ahnen, dass etwas geschehen war. »Vergebt mir die Störung, Mylord«, murmelte Alaric, als er den Becher neben Gunnar abstellte und rasch einen Blick in die Ecke warf, in der Raina stand. »Wünscht Ihr sonst noch etwas?«
Gunnar entließ ihn mit einem knappen Winken und einem Kopfschütteln. Als die Tür sich hinter dem Jungen geschlossen hatte, stand er auf und betrachtete seinen Arm. »Nähen könnt Ihr besser als Wäsche waschen«, sagte er in dem jämmerlichen Versuch, zu scherzen.
Sie schwieg. Nein, sie würde ihn nicht einmal ansehen. Er hatte sich Freiheiten herausgenommen, die er sich geschworen hatte, nicht herauszunehmen. Er hatte ihren Mund geplündert und sich ihr fast aufgezwungen – trotz seiner Zusicherung, sich fernzuhalten. Und jetzt versuchte er, Konversation zu machen. Sie musste ihn verachten. »Ach, was soll’s, verdammt noch mal«, stieß er hervor und wandte sich ab, um das Zimmer zu verlassen.
In diesem Moment hörte er ihr Keuchen.
Auch ohne sich umzudrehen, wusste er, was ihre Abscheu hervorgerufen hatte. Er wusste es, weil er die gleiche Reaktion von jedem erfuhr, der die Gelegenheit bekam, einen Blick auf seinen Rücken zu werfen.
Seine Narben.
Er streckte die Hand nach der Tür aus und war bestrebt, aus dem Zimmer zu kommen, weil er nicht den Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht sehen wollte.
»Gunnar«, rief sie leise.
Er konnte sich nicht erinnern, dass sie ihn je bei seinem Vornamen genannt hatte. Der Klang war so unendlich zart und schickte dennoch ein Beben durch ihn, das er ihn so heftig wie einen Blitzschlag bis in sein Herz fühlte. Sie wird meinen Namen nicht immer mit solcher Zärtlichkeit aussprechen, dachte er. Es würde der Tag kommen, und zwar schon bald, an dem sie ihn mit dem gleichen Hass ausspeien würde, den er einst für Luther d’Bussy empfunden hatte. Er konnte nicht ändern, was geschehen war, konnte nicht ändern, wer er war. Und er würde sich nicht gestatten, an das zu denken, was sein könnte. Er presste die Zähne aufeinander und blieb stehen, ohne sich zu ihr umzudrehen.
»Gunnar, was ist mit dir geschehen?«
In diesem Augenblick wollte er ihr wehtun, wollte sie mit einem einzigen Wort vertreiben und sich selbst die Erinnerungen ersparen … und die Hoffnung.
»Sag es mir«, drängte sie ihn sanft. »Wer hat dir das angetan?«
»Dein Vater«, erwiderte er voller Bitterkeit. Dann öffnete er die Tür und verließ die Kammer, ohne sich umzusehen.