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Baron Luther d’Bussy war nicht zu übersehen, als er am darauffolgenden Morgen auf seinem alles überragenden Sitz in der Loge des Turnierplatzes saß. Stolz wie ein Pfau und fast ebenso farbenprächtig in seinem kostbaren Seidengewand thronte er über der Zuschauermenge und den Turnierteilnehmern, als sei er der König höchstselbst. Mehr als nur ein paar der Vorübergehenden flüsterten hinter vorgehaltener Hand über die Kühnheit des Barons, auf seinem zur Glatze neigenden Haupt eine Krone aus geflochtenem Gold zu tragen. Mochten die Leute auf diese Zurschaustellung seines Reichtums auch noch so starren, es kümmerte den Baron nicht im Mindesten. Er hatte seine Jugend damit verbracht, den Status zu erlangen, den er jetzt hatte und genoss; nach seiner Art zu denken, hatte er jedes Recht, damit zu protzen.
»Eine beeindruckende Beteiligung, Mylord.«
Der Baron brummte seine Zustimmung und warf einen kurzen Seitenblick auf Nigel; dann wandte er sich ab und nahm einen kräftigen Bissen von dem gebratenen Hammelbein, um das Gespräch nicht fortsetzen zu müssen. Aus Gründen, die er lieber nicht näher untersuchen wollte, ging Nigels Stimme – genau genommen der junge Mann an sich – dem alten Mann auf die Nerven.
Und nach dem beklagenswerten Zustand des Gesichts des jungen Mannes zu urteilen, hatte Nigel offensichtlich vor Kurzem dieselbe Wirkung auch auf einen anderen Mann gehabt, einen mit einer starken Faust und einer nicht so großen Toleranz wie die des Barons. Nigels linkes Auge war zugeschwollen und von einem faustgroßen, blauschwarz schimmernden Bluterguss umgeben, aber Nigels Stolz schien nicht gelitten zu haben. Neben den noch fast leeren Logen saß er hoch zu Ross und schaute über die herbeiströmenden Zuschauer und Turnierteilnehmer.
Wenn er sprach, lag eine Großspurigkeit in seiner Stimme, die weder seinem Rang noch seinem Erscheinungsbild zustand. »Es ist bedauerlich, dass König Stephen zurzeit von Staatsgeschäften in Anspruch genommen wird und es ihm deshalb verwehrt ist, Zeuge der politischen Gewichtigkeit Norworths zu werden, die sich hier so großartig beweist, Mylord.«
»In der Tat«, murmelte der Baron mit vollem Mund. Er scheuchte einen Schwarm hungriger Fliegen fort, die begonnen hatten, sein Mahl zu attackieren. Könnte er doch dieses größere Ärgernis im Panzerhemd ebenso leicht vertreiben!
»Natürlich«, fuhr Nigel fort, »könnte ein vorausblickender Politiker die Abwesenheit des Königs als eine Gelegenheit nutzen, für sich selbst zu werben. Besonders in dieser Zeit allergrößter Unruhe.«
Baron d’Bussy hörte auf zu kauen. Er hatte vor langer Zeit damit aufgehört, Intrigen zu schmieden und auf Eroberungsfeldzüge zu gehen, und hatte das Turnier bisher nur als das gesehen, was es sein sollte – ein Sommervergnügen. Alte Gewohnheiten legt man jedoch nur schwer ab, und der Politiker in ihm fand ein unwiderstehliches Maß an Verlockung in Nigels Andeutung eines möglicherweise zu gewinnenden Vorteils. Da er jedoch abgeneigt war, den jungen Mann zu sehr zu ermutigen, indem er seinem Ratschlag folgte, versuchte er, sich den Anschein zu geben, lediglich auf Konversation bedacht zu sein. »Und wie würdest du sie nutzen, diese Unruhe, Bursche?«
Nigel grinste, augenscheinlich mit sich zufrieden. »Ich bin sicher, ich muss Euch nicht sagen, Mylord, dass die bedeutenderen Barone Stephens – von denen ich viele heute hier sehe – darüber reden, wie sie England vor einer Herrschaft Frankreichs über den bevorstehenden Tod unseres geliebten Königs hinaus bewahren können.«
Der Baron lächelte süffisant. König Stephen wurde von vielen abgelehnt und nur von der Minderheit derer unterstützt, denen seine lasche Art des Regierens aus eigenem Interesse willkommen war. In erster Linie sich selbst gegenüber loyal, hatte Baron d’Bussy dafür gesorgt, zu beiden Lagern Kontakte zu pflegen. »Wäre diese Sicherheit nicht gegeben, indem Stephen seinen Sohn zum Thronerben ernennt?«
Nigel schnaufte spöttisch. »Eustace ist ein schwacher Mann mit einem noch schlechteren Ruf als Heerführer. Die Kirche hat sich bereits geweigert, ihn zu unterstützen, und die Zahl der Verbündeten Stephens wird von Tag zu Tag kleiner. Die Barone werden eher versuchen, einen der ihren als König zu lancieren, bevor sie zulassen, dass Eustace oder Mathildas Sohn Henry all das zerstören, was England heute darstellt. Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, niemand brennt darauf, dem harten Kurs zu folgen, den der junge Count Henry für den Fall angekündigt hat, dass er an die Macht kommt.«
Der Baron strich sich über die faltigen Wangen und stieß einen schweren Seufzer aus, während er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte. Was die politische Lage anging, war Nigel in der Tat auf dem Laufenden. Eine bemerkenswerte Leistung für den Bastard einer Bauernhure, aber schließlich hatte der Junge noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, die ihm zum Vorteil gereichen konnte. D’Bussy empfand einen gewissen Stolz über die ehrgeizige Natur des Burschen, und deshalb lächelte er.
»Ah, seht Ihr, Mylord, wir denken sehr ähnlich.«
Nigels Bemerkung und sein plump-vertrauliches Grinsen vertrieben jede Spur von Bewunderung gleich wieder. Der Baron mochte den dreisten Ton nicht. Und ganz gewiss schätzte er nicht den angeführten Vergleich mit seiner Person. »Vergiss nicht, wer du bist, Nigel«, knurrte er, »und halte deine Zunge im Zaum. Denn was ich glaube, ist, dass du von Verrat sprichst, und dabei werde ich nicht mitmachen.«
Er warf die halb aufgegessene Hammelkeule auf den Boden, um das Ende sowohl seiner Geduld als auch der Unterhaltung anzuzeigen. Während der Baron seine Aufmerksamkeit wieder dem Turnierplatz zuwandte, pflückte er sich einige Fleischreste aus den Zähnen, dann wischte er sich die Hände an seinem wallenden Gewand ab. »Geh jetzt«, befahl er Nigel mit einem knappen Wink der Hand, als dieser zögerte, sich zurückzuziehen. »Und rede nicht mehr über diesen Unsinn. Bemühe dich stattdessen, meine Tochter zu finden, und schick sie her, damit sie beim Beginn des Turniers bei mir ist.«
Der Baron wartete auf Widerspruch vonseiten seines überheblichen jungen Ritters, aber Nigel schwieg. Mit hochgerecktem Kinn wendete er sein Pferd und machte sich in lässiger Haltung – und absichtlich, dessen war der Baron sich sicher – über den frisch geharkten Turnierplatz auf den Weg zum Bierzelt.
Gunnar ritt die farbenfroh geschmückte Zeltgasse hinunter und fühlte sich inmitten dieser fröhlichen und ausgelassenen Lebendigkeit fehl am Platz. Er empfand nichts von der Aufregung, nichts von der Anspannung, die sich in den Augen der Männer um ihn herum widerspiegelte. Er schaute in Dutzende von Gesichtern, schaute an den unverbrauchten, hungrigen Mienen der jüngeren Ritter vorbei zu den älteren Männern, die zum Wettstreit gekommen waren. Von denen, die seinen Blick erwiderten, hielten nur wenige ihm mehr als einen Herzschlag lang stand; dann wandten sie sich ab, ließen ihn vorbeireiten, ohne ihn anzusprechen.
Er suchte vergeblich nach dem Paar kalter blauer Augen, das ihn fast jede Nacht im Traum heimsuchte; ein rundes, von Pockennarben gezeichnetes Gesicht und eine rote, knollenartige Nase, die von zu reichlichem Trinken von Bier und Wein zeugte. Er würde dieses Gesicht überall erkennen, sah noch immer die arrogante Haltung eines Mannes von uneingeschränkter Macht vor sich und die kieselsteingleichen, gelb verfärbten Zähne, die sein grausames Lächeln entblößte.
Aber während die blau-goldenen Banner d’Bussys von den Lanzen fast jedes vierten Ritters flatterten, war der Baron selbst nirgendwo zu sehen. Vielleicht hat er zu viel Wein getrunken und sich noch nicht aus seinem Bett erhoben, dachte Gunnar. Nein, wahrscheinlicher war, dass der kleine, korpulente Hahn sich noch in seiner Burg verhätscheln ließ und mit seinem Erscheinen wartete, bis alle sich versammelt hatten, um seinen großen Auftritt auf dem Turnierplatz zu haben.
Gunnar hoffte, dass sein eigener Auftritt zum Zweikampf nicht mit Fanfare angekündigt würde, denn sein Plan sah vor, d’Bussy keinen Hinweis auf seine Anwesenheit zu geben, bis er diesem Teufel die Klinge an den Hals gesetzt hatte. Um keinen Hinweis auf seine Person zu geben, trug Gunnar zwar sein Panzerhemd, aber es war ohne jegliches Zeichen; auch seine Lanze und sein Schild trugen kein Wappen.
In den vergangenen sieben Jahren hatte er niemandem gedient außer sich selbst. Auch heute war er allein, denn er hatte die Handvoll Söldner, die in seinem Dienst standen, angewiesen, in seiner Burg zurückzubleiben. Nur Alaric, sein übereifriger junger Squire, kannte Gunnars wahren Grund, an diesem Turnier teilzunehmen, und auch die möglichen Konsequenzen, sollte er – oder sollte er nicht – sein Ziel erreichen.
Loyal, wie Alaric war, hätte er ihn an einen Baum binden müssen, um zu verhindern, dass er ihn begleitete. Doch Alaric hatte ihm immer wieder versichert, dass sein Wunsch, Gunnar zu begleiten, einzig und allein mit den vielen rosenwangigen, liebreizenden jungen Mädchen zu tun habe, die man bei einem Turnier dieser Größe ganz gewiss antreffen würde. Die Erinnerung an dieses – ihn kaum überzeugende – Argument seines Squires brachte ein amüsiertes Lächeln auf Gunnars Gesicht. Und führte seine Gedanken zu der Frau, der er gestern Morgen im Wald begegnet war.
Es gehörte nicht zu seinen Gewohnheiten, unschuldige Bauernmädchen zu verführen. Genau genommen war es nicht seine Gewohnheit, überhaupt irgendeine Frau zu verführen. Er hatte vor Jahren eine erste Kostprobe fleischlicher Lust erlebt, hatte die Freigebigkeit eines Frauenkörpers gekostet und erfahren, welche Macht der Wunsch danach auf einen Mann ausüben konnte.
Er hatte damals diese Macht als Gefahr erkannt und sich einer solchen Ablenkung entzogen, um sich ausschließlich auf seinen Schwur zu konzentrieren. Bis gestern. Irgendetwas an dieser Frau – diesem Lamm – ließ seinen Puls schneller schlagen und sein Blut sich in den unteren Regionen seines Körpers sammeln. Es hatte ihn eine unglaubliche Willenskraft gekostet, sie davonreiten zu lassen, und noch bis lange in die Nacht hinein hatten die Erinnerung an sie und die Hitze, die der Gedanke an sie auslöste, in ihm geschwelt.
Er hatte heute Morgen ganz bewusst der Versuchung widerstanden, nach ihr zu suchen, hatte seinen Blick gezügelt, wann immer dieser abgeschweift war, um in der Menge nach ihrem schmutzigen, aber wunderschönen Gesicht oder ihrer geschmeidigen Gestalt zu suchen, die sich unter dem Gewand einer Bäuerin verborgen hatte. Heute, am Tag aller Tage, konnte er keine Ablenkung gebrauchen.
Aber dann hörte er ihre Stimme. Er wandte sich zu dem sinnlich klingenden, perlenden Lachen um und runzelte die Stirn.
Dort stand sie, als eine von vier Edelfrauen. Ihr Rücken war ihm zugewandt, als sie sprach, und obwohl er nicht verstand, was sie sagte, hörte er ihre vor Aufregung sprudelnde Stimme. Sie trug einen seidenen Bliaut, dessen Blau an einen wolkenlosen Sommertag denken ließ. Ein Kranz aus Veilchenblüten krönte ihr Haupt, ihr dunkles Haar reichte ihr wie ein üppiger, schimmernder Schleier bis über die Hüften.
Sie sah heute eher wie eine Königin als ein Bauernmädchen aus, und ihre Freundinnen schienen derselben Meinung zu sein, denn sie sahen sie mit verzückter Aufmerksamkeit an und lauschten ihr gebannt.
Langsam lenkte Gunnar sein Pferd zu der Gruppe von Frauen, wobei er sich sagte, dass der Wunsch, in ihrer Nähe zu sein, eher daher rührte, sie mit ihrer kleinen Täuschung des Vortages zu konfrontieren, als sich wie die anderen in ihrer Gegenwart zu sonnen. Ihre Stimme wurde deutlicher, je näher er ihr kam.
»Und dann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken –«
Sie holte mit dem Arm aus, ihre Hand war zu einer kleinen Faust geballt, die sie öffnete – eine schwache Nachahmung des Schlages, den er ihrem Angreifer im Wald versetzt hatte. Gunnar verbiss sich ein kleines Lächeln.
Die anderen Ladys keuchten auf und schlugen sich die Hand vor den Mund, aber ihre Blicke ruhten jetzt nicht mehr auf ihr, sondern auf ihm.
Sie sprach unverdrossen weiter. »Sicher, es war schockierend, Zeugin einer so schrecklich brutalen Handlung zu sein, aber Nigel hatte es verdient und –«
»Lady Raina.« Die Frau neben ihr zupfte an Rainas Ärmel und zeigte mit zitterndem Finger über ihre Schulter. Raina hörte auf zu reden und wandte sich um, ihre haselnussbraunen Augen verengten sich in dem Moment, als sie ihn ansah.
»Ihr!«, rief sie laut, und es klang in Gunnars Ohren eher wie ein Tadel als eine Begrüßung.
Niemand, nicht einmal der kühnste Söldner in seinem Dienst, hatte es je gewagt, die Stimme gegen ihn zu erheben. Der Gedanke, dass diese zarte Frau es jetzt tat, die Hände in die Hüften gestemmt und das kecke Kinn ausnehmend hochgereckt, amüsierte ihn über die Maßen. Faszinierte ihn.
»Guten Morgen, Lady Raina.« Er verbeugte sich tief, als er sie mit ihrem Titel anredete und zu verbergen versuchte, wie überrascht er über ihren Anblick war.
Gestern, trotz des Schmutzes in ihrem Gesicht, war sie attraktiv gewesen. Doch jetzt, als sie zu ihm hochsah, das Gesicht rein und die Wangen rosa angehaucht von der Sonne und der Überraschung, ihn wiederzusehen, war sie atemberaubend. Ihre Freundinnen zogen sich zurück, fast ohne dass er es bemerkte.
»Ich sehe, mein Lamm hat seine Wolle gegen feine Seide getauscht.«
Das stolze Kinn wurde noch ein wenig höher gereckt. »Und Ihr, Mylord, scheint heute Morgen Euer schwarzes Fell unter einem Panzerhemd versteckt zu haben. Aber ich sehe noch immer den Wolf.«
»Tatsächlich?« Er stieg aus dem Sattel und trat auf sie zu. »Vermutlich ist es dann zu vermessen zu hoffen, Ihr könntet mich heute als Euren Ritter beim Wettkampf bejubeln.«
Sie stieß einen leisen Ton aus, der sicherlich als Ablehnung gedacht war, aber ihm entging weder das leise Zucken ihrer Lippen noch die feine Röte, die ihr in die Wangen stieg. Sie senkte den Kopf und betrachtete interessiert ihre bestickten Schuhe. »Ich werde niemanden bejubeln«, sagte sie mit einer Spur von Geringschätzung. »Hätte ich die Wahl, würde ich mir den Wettkampf gar nicht ansehen. Entgegen der Vorliebe meines Vaters für diesen Sport sind Turniere in meinen Augen nur ein Vorwand für Gewalt und Ausschweifung.«
»Aye«, Gunnar stimmte mit ihrer Ansicht überein, »sie bringen das Schlechteste in einem Mann zutage. Jeder ist auf der Suche nach Glück oder Ruhm.«
»Und was von beidem sucht Ihr, Mylord?«
Er musste fast lachen über ihre Direktheit. »Um die Wahrheit zu sagen, habe ich für beides keinen Gebrauch. Ich bin hier im Namen der Ehre.«
»Der Ehre einer Lady?«
»Aye«, bestätigte er und zollte der Art, wie ihre Augen sich bei der Erwähnung einer anderen Lady verdunkelten, etwas zu viel Aufmerksamkeit. »Ich bin gekommen, ein Unrecht wiedergutzumachen.«
»Mylord, Ihr überrascht mich«, sagte sie mit einem leicht neckenden Lächeln. »Ich hätte Euch nicht zu der ritterlichen Sorte gezählt. Sagt mir, ist Eure Lady anwesend, um zu sehen, wie Ihr ihre Ehre verteidigt?«
Sofort dachte er an seine Mutter und ihre Bemühungen, einem Jungen, der mehr an Scheinschlachten und rauen Abenteuern interessiert gewesen war, Höflichkeit und Manieren beizubringen. Ritterlichkeit und Ehre waren zwei Eigenschaften, die sie geschätzt hatte; zwei Eigenschaften, die er nie besessen hatte und vermutlich auch nie besitzen würde.
»Sie ist tot«, erwiderte er offen, und seine knappe Antwort genügte, um jede Spur von Heiterkeit von Rainas Gesicht zu vertreiben. Aber Gunnar bemerkte ihre Reaktion kaum. Gefangen in seinen Erinnerungen sprach er seine Gedanken laut aus. »Wenn alles gut geht, wird der dafür Verantwortliche am Ende des Tages bezahlt haben.«
Das laut ertönende Trompetensignal, das seine rätselhafte Bemerkung noch unterstrich, zog nun die Aufmerksamkeit aller Versammelten auf sich. Im Bierzelt erhob sich ein Ruf aus einer Gruppe von Rittern, dem das Klirren von Rüstungen folgte, als sich die Männer schwerfällig zu ihren wartenden Pferden begaben.
»Nun«, sagte Raina, die über die Schulter zum Turnierplatz schaute, »das Turnier beginnt.«
»Aye«, bestätigte Gunnar und ließ den Blick über die an den Zweikämpfen teilnehmenden Ritter gleiten. Ungeduld machte sich mit jedem Herzschlag mehr in ihm bemerkbar. »Aber ich sehe den Baron nicht.«
»Er ist dort in der Loge.«
Gunnars Blick folgte ihrer flüchtigen Geste zu dem oberen Rang der Loge, wo ein grauhaariger, dickbäuchiger alter Mann unter einem gestreiften Baldachin saß. Gehüllt in Mengen leuchtend bunter Seide, die nichts dazu beitrugen, seinen Leibesumfang zu kaschieren, wirkte der Baron wie ein abgetakelter König, wie er da an seinem Becher nippte und sich mit der Hand Luft zufächelte. Als spüre er plötzlich ihre Aufmerksamkeit, wandte sich sein Blick ihnen zu. Er beugte sich vor, blinzelte im Licht der Sonne und schob seine kleine Krone zurecht, als sie ihm in die Stirn rutschte.
Gunnars Magen zog sich zusammen, als eine Erkenntnis in ihm aufstieg. »Er ist nicht für den Wettkampf gekleidet …«
»Wettkampf?«, wiederholte Raina mit einem leisen Lachen. »Nein, natürlich nicht! Es ist Jahre her, seit er selbst im Turnier angetreten ist.«
Ihre Stimme ging fast unter in dem Tumult, der sich in Gunnar zu Raserei aufpeitschte. Wut, Enttäuschung, Hilflosigkeit, Frustration – ein wirbelnder Sturm der Gefühle übermannte ihn und ließ ihn atemlos zurück. Er fühlte sich, als würde sich die Erde unter ihm auftun und ihn verschlingen. Er hatte all diese Jahre gewartet, war den ganzen Weg bis hierher gegangen … für nichts.
»Nein«, sagte Raina jetzt, »mein Vater wird dem Turnierplatz heute nur so nahe kommen, dass er dem Sieger den Preis überreichen kann.«
Ihr Vater.
»Baron d’Bussy ist« – er musste sich fast schütteln, um die Worte auszusprechen, ohne zu stottern – »er ist Euer Vater?«
»Ja, das ist er«, erwiderte sie strahlend und schaute ihn an.
Gunnar kämpfte hart gegen seinen aufgewühlten, gegen sich selbst gerichteten Zorn. Er musste alle Kraft und Beherrschung, die er besaß, aufbringen, um seine Reaktion gleichmütig aussehen zu lassen, unbeeindruckt. Was für ein Dummkopf war er doch gewesen! Was für ein Narr! So gefangen vom Anblick einer hübschen Frau, dass er für die Anwesenheit des Barons blind gewesen war, und schlimmer noch, dass er mit der Tochter dieses Verbrechers plauderte, statt über einen anderen Plan für einen Angriff nachzudenken.
»Was ist denn?«, fragte sie.
Er holte tief Luft, fühlte seine Nasenflügel von der Anstrengung beben und stieß den Atem langsam wieder aus. Er verbarg seine Erschütterung hinter einem nichts sagenden Lächeln, eine Fähigkeit, die er sich in langen Jahren angeeignet hatte, und sah sie an.
Ihr fragender Blick und das Stirnrunzeln verschwanden rasch und verschmolzen zu einem hoffnungsvoll wirkenden Lächeln. »Kennt Ihr meinen Vater?«
»Mylady«, sagte er. »Ich glaube, es gibt von hier bis zum Kontinent keinen Menschen, der Euren Vater oder dessen Ruf nicht kennt.«
»Aye«, entgegnete sie, offensichtlich angetan von seiner Antwort. »Das glaube ich auch.«
Offensichtlich hatten sein unbeschwerter Ton und seine freundliche Miene nichts von der Bitterkeit verraten, die er empfand. Nur er wusste, wie sehr sein Herz vom Hass auf den Dämon seiner Vergangenheit erfüllt war, wie sein Blut vor Zorn kochte.
In diesem Moment kam ein flachsblonder Junge zu Raina gelaufen. Er blieb neben ihr stehen, verschränkte die Hände und räusperte sich. »B-Bitte um E-Entschuldigung, M-Mylady.« Das Stottern des Jungen wandelte sich zu einem schrecklichen Gestammel, während sein Blick nervös zwischen Gunnar und ihr hin und her wanderte. Er holte tief Luft. Als er weitersprach, war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »M-Mylord hat m-mich geschickt, um E-Euch zu h-holen. An seine S-Seite zur Eröffnung des T-Turniers.«
»Danke, Robert.« Sie beugte sich zu dem Pagen herunter. »Du machst das schon viel besser«, flüsterte sie und strich ihm über das lange, weißblonde Haar. »Begleite mich zu den Logen. Ich werde für jeden von uns beiden eine süße Waffel kaufen. Was hältst du davon?«
Beim begeisterten Nicken des Jungen lachte Raina und richtete sich auf. Sie zog ihn an sich, um ihn schwesterlich zu umarmen. Sie sah Gunnar an, ein warmes Lächeln glühte noch in ihren Augen, und er spürte ein seltsames Ziehen in seinem Magen. Ob vor Eifersucht oder Verlangen, er wusste es nicht, auf jeden Fall aber unterdrückte er das Gefühl so rasch, wie es gekommen war.
Sie ist d’Bussys Tochter, sagte er sich. Die Brut seines Feindes, und er durfte ihr keinerlei Gefühle entgegenbringen.
»Ich muss gehen«, sagte sie.
»Natürlich«, murmelte er. Der Baron starrte sie noch immer von seinem Platz in der Loge an, als Gunnar Rainas Hand in seine nahm und sie an seine Lippen führte. Er fühlte sie zittern, als er einen keuschen Kuss auf ihre Finger drückte, fühlte sie rasch atmen, als ihre Wangen sich mit einem unschuldigen Rosa färbten. Aber Gunnars Blick blieb auf das sich verfinsternde Gesicht ihres Vaters gerichtet.
Erst als sie ihm ihre Hand entzog, wandte er den Blick von dem Baron ab und sah dessen Tochter an. »Es war mir ein Vergnügen, Lady Raina«, sagte er und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, weil er damit die Wahrheit sagte.
»Mylord.« Sie bedachte ihn mit einem höflichen Kopfnicken. Dann, vom Kinn bis zum Haaransatz errötend, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging mit dem jungen Robert davon.
Gunnar beobachtete ihre durchscheinenden Röcke, die um ihre Beine wirbelten, ihre sanft gerundeten Hüften wiegten sich bei jedem ihrer Schritte. Plötzlich blieb sie stehen, wandte sich um und kam zu ihm zurück.
Sie drückte ihm etwas in die Hand und gab ihm rasch einen Kuss auf die Wange. »Viel Glück«, wisperte sie an seinem Ohr, ging zurück zu dem Pagen und ließ Gunnar neben seinem Pferd stehen wie einen einfältigen Tölpel.
Verwirrt und aufs Höchste überrascht öffnete er seine Hand und starrte darauf. Ein Stück blauer Seide, licht wie der Sommerhimmel, lag dort. Die Ränder des feinen Stoffes kräuselten sich in der leichten Brise, strichen weich und zart über seine schwieligen Finger.
Bei allen Heiligen, sie hatte ihm ihre Gunst geschenkt!
Er wollte den Stofffetzen fortwerfen, zusammen mit den verwirrenden Gefühlen, die sie nach nur zwei kurzen Zusammentreffen in ihm geweckt hatte. Stattdessen hielt er ihn an sein Gesicht und atmete den Duft ein. Die seidigen Falten ließen ihn an die verführerische Zartheit ihrer Lippen denken, als sie ihn auf die Wange geküsst hatte.
Seine Männlichkeit erhob sich mit raschem und kraftvollem Verlangen auf eine Art, die er nie zuvor empfunden hatte. Verlangen nach diesem lieblichen Mädchen, nach dieser faszinierenden Frau, dem sanften Lamm. Der Tochter seines Feindes.
Wie konnte ein so unschuldsvolles Geschöpf von d’Bussys verdorbenem Blut sein? Wie konnte so offensichtliche Tugend von etwas so Bösem abstammen? Er würde vielleicht nie eine Antwort darauf bekommen, denn wenn dieser Tag vorüber und ihr Vater durch Gunnars Schwert getötet worden war, würde Raina ihn fürchten und verachten.
Entschlossen, nicht darüber nachzudenken, schob Gunnar den Fetzen Seide in seinen Handschuh, dann löste er seinen Helm vom Sattel und setzte ihn sich auf. Er war jetzt nicht mehr nur Mann, sondern vor allem Krieger. Jeder Muskel in ihm spannte sich zum Kampf an, und Gunnar zwang sein Herz, hart wie Stein zu werden. Wie er es in der Vergangenheit schon so oft getan hatte, verdrängte er systematisch alles Fühlen und alle Emotionen, bis es nur noch die kalte Kraft seines Schwertes und seiner Muskeln gab.
Er stieg auf sein Pferd und nahm seinen Platz am Rand des Turnierplatzes ein. Wenn der Baron nur den letzten Sieger auszeichnete, dann würde Gunnar dafür sorgen, dass er es war, der den Preis entgegennahm.
Von dem Moment an, in dem das Trompetensignal den Beginn des Wettstreits verkündete, kämpfte Gunnar wie ein Besessener. Er drängte unbarmherzig voran, zog seinen Vorteil aus der Müdigkeit der anderen Teilnehmer und spürte seine eigene nicht, bis der Tag sich neigte und nur noch eine Handvoll Männer übrig waren.
Zum Schluss waren nur noch Gunnar und ein weiterer Ritter übrig. Letzterer war einer von d’Bussys Männern und konnte Gunnar, was die Körpergröße anging, nicht das Wasser reichen. Doch das grimmig angespannte Kinn des Mannes, das der Helm frei ließ, zeigte deutlich dessen Entschlossenheit. Er preschte mit einem schrillen Kriegsschrei heran, während Gunnar sich noch von seinem Pferd herunterbeugte, um seinem letzten Gegner auf die Beine zu helfen.
Gunnar fuhr hoch, riss sein Pferd herum und hob seinen Schild, hatte nur knapp Zeit, sich vor dem Angriff zu schützen. Die Lanze des Ritters krachte gegen Gunnars Schild, trieb ihm die Luft aus den Lungen und brachte ihn für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht. Gunnar klopfte das Herz in der Brust so laut, dass er kaum den Aufschrei der Zuschauer und den Applaus hörte, als er im Sattel schwankte.
Er durfte nicht verlieren. Er musste gewinnen.
Der Ritter wendete sein Pferd und stürmte von Neuem auf Gunnar los, die Lanze erhoben, um mitten ins Ziel zu treffen. Mit einem Grollen in der Kehle ritt Gunnar seinem Gegner entgegen, die Lanze auf dessen Herz gerichtet. Die Erde bebte, als ihre mächtigen Rösser aneinander vorbeidonnerten. Alles wurde plötzlich still, als würde die Zeit langsamer laufen. Gunnar hielt den Blick auf den Schild seines Widersachers gerichtet, auf die Stelle, die er treffen wollte, um ihn vom Pferd zu stoßen. Seine ganze Konzentration galt dieser Stelle, als er sein Pferd vorwärts trieb.
Binnen eines Augenblicks spürte Gunnar den erwarteten Stoß, hörte das krachende Splittern einer Lanze, die ihr Ziel getroffen hatte. Dann, zum ersten Mal in seinem Leben, fühlte er seine Welt wegkippen … und begriff, dass er aus dem Sattel fiel. Er krallte sich in die Mähne des Pferdes, aber sein Handschuh aus dickem Leder verhinderte, dass er fest zugreifen konnte. Sein Pferd schlug aus und versuchte verzweifelt zu fliehen. Gunnar schlug hart auf dem Boden auf, sein Atem ging keuchend.
Der Hengst bäumte sich auf und preschte an den Rand des Platzes, während Gunnar mühsam auf die Beine kam. Er zog rasch sein Schwert und stand bereit, als d’Bussys Mann sich näherte, um ihn zu attackieren. Der Ritter trieb seinem Schlachtross so brutal die Sporen in die Flanken, dass das Tier schrill wieherte und hochstieg, ehe es auf sein Ziel zugaloppierte, schnaubend und keuchend, während Brocken von Erde hinter ihm aufflogen. Ein höhnisches Grinsen zeigte sich unter dem Nasenschutz des Mannes, als er seine Lanze senkte. Gunnar wusste, dass dieser Mann ihn töten wollte, und fragte sich kurz, ob sein Vater sich damals im Kampf gegen d’Bussy auch so gefühlt hatte.
Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, als der Ritter und sein Ross schon bei ihm waren. Erst im allerletzten Moment sprang Gunnar vor dem Angreifer zur Seite und trieb sein Schwert in den Hinterleib des Pferdes, als es an ihm vorbeischoss. Das mächtige Ross wieherte wild und wankte zur Seite, warf seinen Reiter aus dem Sattel. Der Ritter sammelte sich blitzschnell, zog sein Schwert und drang mit einem markerschütternden Schlachtruf auf Gunnar ein.
Funken stoben, als Stahl auf Stahl traf, ein wütendes Klirren, wieder und wieder, während die Gegner ihre Schwerter schwangen, um den Schlag des anderen abzuwehren. Gunnars Gegner begann bald zu ermüden, hieb wild um sich, schlug blind in die Luft in dem Versuch, Gunnar zu treffen. Gunnar spürte die Erschöpfung des Mannes und verdoppelte seine Anstrengungen, wehrte die Klinge des Gegners ab und hielt sie mit seiner eigenen zwischen ihnen fest. Während die Aufmerksamkeit des Ritters auf seine Klinge gerichtet war, schlang Gunnar sein Bein um die Wade des Mannes und riss ihn mit einem harten Ruck von den Füßen. Der Mann fiel rücklings zu Boden. Gunnar war im Nu über ihm und presste ihm das Schwert auf die vom Panzerhemd geschützte Brust. »Ergebt Ihr Euch?«, knurrte er.
Ein angespannter Moment verstrich, und er drückte die Klinge tiefer.
»Ergebt Ihr Euch?«
»Aye«, stieß der Ritter schließlich hervor. »Ja, ich ergebe mich.«
Gunnar lockerte seinen Griff und trat einen Schritt von dem Mann zurück, gestattete ihm, aufzustehen. Der Ritter erhob sich und nahm seinen Helm ab, zeigte seine Niederlage an und enthüllte seine Identität.
Es war der Mann, der Raina am Vortag belästigt hatte. Jetzt biss er die Zähne zusammen und drohte Gunnar mit den Worten: »Es ist noch nicht vorbei.«
Jubelrufe brandeten auf, aber Gunnars Sieg war noch nicht vollkommen. Er bestieg sein Pferd und stählte sich für die letzte Auseinandersetzung mit dem Dämon seiner Vergangenheit. Hass durchströmte ihn, als er sich den Logen näherte, sein Blick war starr auf den Baron gerichtet, als dieser sich anschickte, die von der Loge auf den Platz hinabführende Treppe hinunterzugehen. Er hatte seiner Tochter den Arm gereicht.
Gunnar beobachtete mit mitleidloser Ruhe, wie der bejahrte Baron die Stufen hinunterstieg. Er erkannte plötzlich, dass Raina nicht am Arm ihres Vaters ging, um an ihm einen Halt zu finden, sondern um ihn zu stützen, während er langsam und auf zögernden, fast zittrigen Beinen den Weg zu ihm auf den Platz zurücklegte.
Gunnar empfand einen Stich der Beschämung durch den dicken Mantel aus Wut und Hass, in den er sich seit so langer Zeit gehüllt hatte. Dieses rundliche, gebeugte Wesen war der Dämon, der ihn in den vergangenen dreizehn Jahren bis in seine Träume verfolgt hatte? Aber Gunnar weigerte sich, Mitleid zu empfinden, weigerte sich, irgendetwas zu empfinden.
Als der Baron den Fuß der Tribüne erreicht hatte, hob er einen juwelenbesetzten Kelch hoch und forderte mit dieser Geste die Zuschauer auf, Beifall zu spenden. Dann wandte er sich an Gunnar, neigte in Anerkennung des Siegers den Kopf und reichte den Kelch dann an Raina weiter. Sie nahm den verzierten Becher und bot Gunnar an, daraus zu trinken.
»Mein Lob!«, rief der Baron und klatschte herzlich in die Hände. »Mein Lob gilt Euch, guter Sir! Welch eine exzellente Darbietung Eures Könnens!«
Gunnar nahm den Kelch von Raina entgegen, nickte ernst. Der Anblick des mit Rubinen und Saphiren besetzten Kelches lenkte ihn für einen Moment ab, als er sich fragte, wie – und auf wessen Kosten – er in d’Bussys Besitz gelangt sein mochte.
»Ein schöner Preis«, verkündete der Baron stolz. »Ein Schatz, der eines Königs würdig ist, nicht wahr?«
Gunnar drehte den Kelch in den Händen. »In meinen Augen ist er wertlos.« Er ignorierte Rainas entsetzten Aufschrei und wandte seine Aufmerksamkeit dem Baron zu. »Die Belohnung, die ich mir von diesem Tag verspreche, ist sehr viel bedeutender als dieser Kelch.« Er hatte so laut gesprochen, dass alle Anwesenden seine Worte hören konnten.
Alle Heiterkeit wich augenblicklich aus dem Gesicht des Barons. Gunnar erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Plötzlich hoben sich die Brauen des Barons fast bis an seine Stirn, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. Dann begann er zu lachen, ein herzliches, ein schallendes Lachen, und wandte sich an die erstaunte Menge. »Bei Gott, hier steht ein Mann nach meinem Herzen!«
»Das bin ich, d’Bussy«, stieß Gunnar hervor, »das bin ich.«
Er leerte den Kelch mit einem Zug und warf ihn achtlos zu Boden, wo er vor die Hufe seines Pferdes rollte. Seine rechte Handfläche zuckte und legte sich auf das Heft seines Schwertes, während d’Bussys Lachen in seinen Ohren gellte. Seine Finger schlossen sich um den Ledergriff des Schwertes, und er zog die Klinge aus der Scheide, das metallische Geräusch lenkte die Aufmerksamkeit des Barons wieder auf ihn.
Der Mund des Barons stand noch offen vor Lachen, als sich Begreifen auf seinem Gesicht malte und seine Begeisterung in Überraschung und Erschrecken umschlug. Die Zeit schien dahinzukriechen, als Gunnar mit dem Arm weit ausholte, die Augen auf d’Bussys fleischigen Hals gerichtet. Aber als seine Klinge ihren herabsausenden Bogen beschrieb, verlor Gunnar sein Ziel aus den Augen. Ein Aufblitzen von himmelblauer Seide verwirrte seine Wahrnehmung, versetzte ihn zurück an diesen einen Tag, den zu vergessen ihn verlangte …
Überraschung und Furcht hatten Gunnar erstarren lassen, als d’Bussy sein Schwert zog, es auf ihn richtete, um ihn zu töten. Ein blendendes Funkeln von Sonnenlicht küsste die Klinge, als der Baron sie über seinen Kopf erhob. Im Bruchteil eines Herzschlags verdunkelte sich das Licht. Gunnar schrie auf … aber es war zu spät. Seine Mutter sprang vor, warf sich zwischen ihn und das herabsausende Schwert. Sie schrie d’Bussy an, innezuhalten.
Und dann war sie still.
Gunnar hörte noch immer die Klinge, als sie sich in den schlanken Hals seiner Mutter grub, fühlte noch die bestürzende Wärme des Blutes, das sein Gesicht benetzte.
Schmeckte noch immer die Bitterkeit des Verlustes …
Eine sanfte Stimme holte ihn zurück, brachte seine Hand mitten in der Bewegung zum Innehalten. Raina stand jetzt vor ihrem Vater, die Arme weit ausgebreitet, um ihn zu beschützen, ihre Kehle an seiner statt ihm dargeboten. »Nein!«, rief sie, die Augen vor Angst und Bestürzung weit aufgerissen. »Bitte nicht!«
Gunnar senkte sein Schwert, nicht bereit und nicht fähig, die Frau zu töten, um seiner Rache willen. Zur Hölle mit diesem Weib!
Sie starrte ihn voller Entsetzen an, schüttelte stumm den Kopf, angstvolle Schluchzer hatten ihr die Stimme geraubt. Gunnars Klinge schwebte mit tödlicher Bereitschaft vor ihrer Kehle.
»Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?«, schrie d’Bussy aufgebracht und trat hinter ihr hervor, um seinen Angreifer ins Auge zu fassen. Aus den Augenwinkeln sah Gunnar mehrere Männer, die von den Seiten her auf ihn zukamen. Er drückte die Klinge fester auf Rainas Hals, sein starrer Blick enthielt eine tödliche Warnung an den Baron. D’Bussy hob die Hände, um die herankommenden Wachen aufzuhalten.
Das Herz raste Gunnar vor unerträglicher Wut, als er knurrte: »Heute mögt Ihr meinem Schwert entkommen sein, aber merkt Euch, d’Bussy, Eure Verbrechen gegen mich werden nicht ungestraft bleiben.« Dann wandte er sich an die Menge. »Dieser schändliche Bastard hat aus Gier meinen Vater ermordet und tötete meine Mutter vor meinen Augen, als sie sich weigerte, seine Hure zu werden.«
Grabesstille senkte sich über die Tribüne.
»Lügner!«, schrie Raina.
»Wer seid Ihr, Ritter?«, verlangte der Baron zu wissen, seine knarrende Stimme übertönte die seiner Tochter.
»Niemand von Bedeutung, wie Ihr mir vor langer Zeit gesagt habt.«
Der alte Mann sah ihn verwirrt an.
»Ihr erinnert Euch nicht an mein Gesicht, Baron? Dabei ist es nur einige Jahre her, kein ganzes Leben. Vielleicht braucht Ihr einen Namen, um Euer Gedächtnis aufzufrischen.«
»Ich wünsche nur, dass Ihr geht, ehe ich befehle, Euch zu foltern und zu vierteilen«, knurrte der Baron. Gunnar lachte, denn die Bestie, die dieser Mann war, begann sich zu erheben.
»Vielleicht«, entgegnete er mit grausamer Ruhe, »dachtet Ihr, indem Ihr den Namen Rutledge von dieser Erde löscht, könntet Ihr ihn auch aus Eurem Gedächtnis tilgen.«
»Vater!«, ergriff Raina das Wort, und ihr war anzuhören, wie fassungslos sie war. »Vater, wovon spricht er?«
Gunnar zwang sich, seinen Blick nicht von dem Baron zu nehmen, und beobachtete mit Befriedigung, dass dessen wässrig blaue Augen sich zu tödlichen Schlitzen verengten. »Bei allem, was heilig ist, Ihr seid verrückt! Wahnsinnig!«, spie der Baron. »Ich habe niemanden ermordet, und ich habe Euch noch nie gesehen.«
»Dreizehn Jahre haben Euch wohl vergesslich gemacht, Baron«, erwiderte Gunnar kalt. »Und sorglos zudem, da Ihr Eure liebreizende Tochter allein unter Wölfen umherziehen lasst.«
D’Bussy erbleichte, und er schob seine Tochter hinter sich.
»Zwei Mal seit gestern war ich ihr nah genug, sie Eurer Obhut zu entziehen«, fuhr Gunnar fort, »aber ich bin nur Euretwegen hergekommen. Ihr könnt Euch nicht ewig hinter den Röcken Eurer Tochter verstecken, alter Mann. In dem Augenblick, in dem Ihr Euch umdreht, könnt Ihr sicher sein, dass es mein Gesicht sein wird, das Ihr seht, der Stahl meiner Klinge, den Ihr schmecken werdet. Lasst Euch diesen Tag als Warnung dienen, dass ich zurückkommen werde. Und dann wird die Rache mein sein.«
Mit diesen Worten zog er sein Schwert zurück und wendete sein Pferd, verließ den Turnierplatz in einer Wolke aus Staub und mit einigen von d’Bussys Männern auf den Fersen.
Entsetzt und vor Angst zitternd sank Raina in die Arme ihres Vaters und beobachtete, wie der Mann, der in der kurzen Spanne eines Tages zuerst zu ihrem Retter und dann zu ihrem Feind geworden war, aus ihrem Leben davongaloppierte. Sie betete, dass sie ihm nie wieder begegnen müsse, aber in ihrem Herzen wusste sie, dass er jedes seiner Worte ernst gemeint hatte.
Er würde zurückkommen. Und mochte der Himmel ihnen allen beistehen, wenn das geschah.