»Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass Egon Aehrenthal ein böser Mensch ist. Dabei fasse ich das Böse im religiösen Sinne auf, Sie vielleicht nicht. Aber niemand kann bestreiten, dass er nach Bösem strebt und Böses tut.«
Pater Iustin hielt ein halbvolles Weinglas in der Hand, trank aber nicht daraus. Alkohol in jeglicher Form hatte ihm nie viel bedeutet, nur zum Essen trank er gern einen guten Tropfen. Doch was er heute gehört hatte, war ihm so zu Herzen gegangen, dass er den Wein und das Vergessen, das er bringen konnte, als Bedrohung empfand. Obwohl er sich an diesem Abend nur zu gern dem Vergessen hingegeben hätte. Der nächste Morgen kam gewiss, und mit ihm das große Werk, das vor ihm stand und das er mehr fürchtete als alles auf dieser Welt.
Er saß mit Ethan in dem verlassenen Speiseraum an einem Tisch, auf dem eine einzige Kerze brannte. Das Feuer im großen Kamin war erloschen, und es wurde langsam kalt. Mönche in ihren Zellen beteten allein, während andere in der Kirche die Liturgie sangen. Ethan fragte sich, was ihn an einen solchen reinen Ort geführt hatte, der durch jahrhundertlange Gebete und Meditation wie von den Händen Zehntausender Mönche blank poliert erschien. Er hatte ihn nicht gesucht. Er war kein Pilger. Er war nur ein Fremder in fremdem Land. Zugleich spürte er instinktiv, dass seine Reise noch lange nicht zu Ende war.
»Ethan, was wissen Sie über Graf László Almásy?«
»Kaum etwas Konkretes. Hat es nicht einen Film über ihn gegeben?«
Vater Iustin nickte.
»Der englische Patient. Ein britischer Schauspieler, Ralph Fiennes, hat ihn gespielt.«
»Ich erinnere mich. Dort kommt eine Höhle in der Wüste vor, deren Wände mit Schwimmern bemalt sind.«
»Die Höhle der Schwimmer. Im Wadi Sura. In der libyschen Wüste.«
Ethan nickte.
»Jetzt erinnere ich mich wieder«, sagte er. »Almásy wurde in einem Schloss im Burgenland geboren. Ich hätte es beinahe besucht. Burg Bernstein.«
»Ursprünglich war es ein ungarisches Schloss, bevor Österreich das Burgenland von den Ungarn eroberte. Almásy wurde dort geboren, wie Sie sagen. Er hat seine Kindheit dort verbracht. In seiner Jugend ist er an diesem Ort mit mehreren rechtsgerichteten okkulten Bewegungen in Kontakt gekommen. Was wissen Sie über die Nazis und das Okkulte?«
»Überhaupt nichts«, antwortete Ethan. »Die waren doch nur eine von vielen politischen Parteien.«
»Es kommt darauf an, was Sie damit meinen. In ihrer Frühzeit standen sie unter dem starken Einfluss mehrerer okkulter Strömungen und Organisationen. Bewegungen dieser Art gab es überall: in Deutschland, in Österreich, in Ungarn, ja selbst hier in Rumänien. Einige waren besessen von der Idee einer reinen arischen Rasse – wie die Nazis. Später hat die Partei viele dieser Bewegungen liquidiert. Aber in der SS gab es zwei Einheiten, die sich weiterhin der Erforschung des Okkulten widmeten.
Um 1900 wurden zwei wichtige rituelle Organisationen gegründet – der Ordo Templi Orientis und der rassistischer eingestellte Ordo Novi Templi, der Neue Templerorden. Viele Jahre später ist Burg Bernstein, Graf Almásys Schloss, das Sie beinahe besucht hätten, das Zentrum des Ordo Novi Templi geworden. Sie sahen sich selbst als die Nachfahren der Templer, eines ketzerischen Ritterordens, den die katholische Kirche bereits 1307 unterdrückt hatte. Es heißt, die Templer hätten Reliquien wie den Heiligen Gral und das Wahre Kreuz Christi besessen. Das wissen Sie jetzt wohl besser, denke ich. Einige Nazis mit solchen Ideen wie SS-Brigadeführer Karl Maria Wiligut machten sich auf, um nach Reliquien wie der Lanze des Longinus zu suchen, den sie den Speer des Schicksals nannten.«
Ethan nahm einen Schluck von dem Wein. Der Geschmack und der Kerzenschein ließen ihn an seine eigene Heilige Kommunion in der Kirche von Woodmancote denken. Vom Glauben an Gott und den dunklen Mysterien der Kirche hatte er sich lange losgesagt. Jetzt lastete die Bürde des Göttlichen plötzlich wieder auf seinem Leben.
»Aber was hat das alles mit Almásy zu tun?«, fragte er.
»Ist das nicht offensichtlich? Almásy und seine Brüder waren Mitglieder des Ordo Novi Templi. Sie wurden mit Lanz von Liebenfels, einem ehemaligen Mönch, bekannt. Der besaß in Österreich-Ungarn Schlösser, die er für okkulte Rituale benutzte. Manche nennen ihn den Vater der Nazibewegung. Einige dieser okkulten Gesellschaften schickten Expeditionen in verschiedene Länder aus, um nach den Ursprüngen der reinen arischen Rasse zu suchen. Eine zog nach Tibet, eine andere nach Nepal, selbst in die Arktis und die Antarktis reisten sie, auch nach Neuschwabenland, wo die Deutschen eine weit entfernte Kolonie gegründet hatten. Von Liebenfels und andere ließen auch nach dem Gral und dem Speer des Schicksals suchen.«
Ethan spürte, wie ihn ein Kribbeln überlief. War dies das Bindeglied, das ihm bisher gefehlt hatte?
Der Priester lächelte milde. Sein Gesicht schien nur noch aus Schatten zu bestehen, in denen die faltigen Züge und die grünen Augen schwebten wie Rauch.
»Almásy war der Erste der Wüstenforscher. Die ägyptische und libysche Wüste kannte er wie keiner vor oder nach ihm. Er reiste per Kamel, Jeep und Flugzeug. Die Wüste war sein, sie gehörte ihm, er besaß sie wie ein Mann eine Frau besitzt, er machte sie zu seiner Geliebten. Und sie gab ihm ihre Geheimnisse preis, sie flüsterte ihm süße Dinge ins Ohr, gab ihm alles, was er sich nur wünschen konnte. Sie schenkte ihm Höhlen, ausgemalt mit schwimmenden Menschen, die die Wellen eines Meeres pflügten, das lange verstummt und tot war. Sie schenkte ihm Oasen in einem Ozean von Sand. Aber anders als in dem Film ist er nicht gestorben, damals noch nicht. Er überlebte den Krieg. Der britische Geheimdienst brachte ihn zunächst in Triest unter, dann in Rom und schließlich im Burgenland, wo er in dem Schloss lebte, seine okkulten Texte las und mit den Meistern uralter Gelehrsamkeit zusammentraf. Sehen Sie, ich weiß, dass all dieses okkulte Zeug einfach lächerlich ist. Ich glaube ebenso wenig an die Theorie der hohlen Erde, wie ich ihre obszönen Vorstellungen von einer Herrenrasse akzeptiere. Aber derartige Ideen hatten einmal große Macht, und sie können sie wieder erlangen.
Bald darauf war Almásy erneut in Ägypten. Er suchte seine alten Freunde, die Wüstenforscher, auf. 1951 machte er sich mit einer Expedition auf, um nach den Überresten einer großen Armee zu suchen, die die Perser zur Oase Siwa geschickt hatten. Herodot berichtet, dass 50 000 Mann in die Wüste zogen und kein Einziger von ihnen zurückkehrte. Man sagt, sie seien immer noch irgendwo dort draußen, ihre Knochen vom Wüstensand verweht. Offiziell heißt es, Almásy sei von dieser Suche wie besessen gewesen.
Es sollte jedoch sein letztes Abenteuer werden. Bevor es richtig losging, zog er sich eine Amöbenruhr zu. Er wurde krank nach Europa gebracht, wo er in einer Klinik in Salzburg starb.«
Der Priester legte eine Pause ein. Nun näherte er sich dem Kern der Sache.
»An Almásys Tod ist etwas merkwürdig«, sagte er dann. »Als sein Bruder seine Wohnung in Kairo aufsuchte, fand er sie leer. Alle Papiere waren fort, alle Wüstentagebücher und alle Karten. Die Pläne für die Expedition nach Siwa waren verschwunden, ebenso seine sämtlichen Aufzeichnungen über die Höhle der Schwimmer. Nichts von alledem war mehr da.«
»Aber was hat das alles mit Egon Aehrenthal oder Sarah und mir zu tun?« Obwohl sich die libysche Wüste weit weg jenseits des Mittelmeeres befand, konnte Ethan ihren heißen Atem auf seiner Wange spüren. Wie war das alles nur geschehen? fragte er sich. Sie hatten die Mitternachtsmesse besucht und wollten das größte Weihnachten feiern, das seine Familie je erlebt hatte. Aber sie stürzten in ein Blutbad, sahen Reliquien von Jesus Christus und waren nun an einen Ort geraten, den er nur aus Vampirfilmen kannte …
Pater Iustin antwortete.
»Ich denke, Almásys Papiere sind bald nach seinem Tod irgendwie auf Burg Bernstein gelangt. Dort haben sie gelegen, bis Jahre später Egon Aehrenthal auf sie stieß. Er fand Bücher und Aufzeichnungen, die seine Fantasie erregten. Besonders eine Sache muss ihn gepackt haben. Er las etwas von den Reliquien. Almásy ist Ihrem Großvater Gerald in Kairo begegnet und hatte auch die anderen Mitglieder der LRDP-Patrouille kennengelernt, die zusammen mit Gerald die verschwundene Stadt entdeckten. Irgendwie hat Almásy Wind von dem Ort bekommen, wo man auf die Reliquien von Jesus gestoßen war und vielleicht mehr als das.
Die Suche nach den Überresten der nach Siwa gezogenen persischen Armee war ein Bluff. Viele Expeditionen hatten sich schon auf den Weg gemacht, aber niemand hatte sie gefunden. Die Wüste ist riesig, man kann dort ein Leben lang suchen und immer mit leeren Händen zurückkehren.
Almásy war nicht an toten Persern interessiert. Er vermutete, dass er in der Nähe der Oase Siwa auf die Gebeine von Jesus stoßen könnte. Das sollte ihm die Möglichkeit geben, auch den anderen Reliquien auf die Spur zu kommen, die bereits von dort entnommen waren. Für den Ordo Novi Templi und die anderen halb aufgelösten Kulte und Kameradschaften, die an dem alten Glauben festhielten, konnte das von größter Bedeutung sein. Mit der Kraft der Reliquien, der magischen Wirkung, die er den heiligen Gebeinen zusprach, glaubte er sie wiederbeleben zu können. Und nicht nur diese okkulte Halbwelt. Er hoffte ein ganzes Glaubensgebäude wiederzuerrichten, das vor nicht allzu langer Zeit den Erdball terrorisiert hatte. Ein neues Volk, einen neuen Führer, ein neues Reich. Davon hat er geträumt, das weiß ich. Aber bis vor kurzem habe ich geglaubt, seine Träume seien 1951 mit ihm begraben worden.
Darin habe ich mich geirrt. Meine Quellen berichten mir, dass Aehrenthal einem Verwandten Almásys den ganzen Nachlass abgekauft hat, als er noch in Bernstein lebte. Oder ihn illegal an sich gebracht hat, was mich nicht wundern würde. So oder so ist er in den Besitz der Tagebücher gekommen und hat dort einen Hinweis auf Ihren Großvater und dessen Fund entdeckt. Ich denke, anfangs hat er nicht allzu viel gewusst. Er muss angenommen haben, die Reliquien lägen noch in der Wüste, in der Stadt Wardabaha.
Das war die Zeit, da er sich für biblische Archäologie zu interessieren begann und mit Antiquitäten aus jener Epoche seinen Lebensunterhalt verdiente. Von Zeit zu Zeit wurde mir von gewissen Nachforschungen berichtet, die er anstellte, von Objekten und Manuskripten, die er gefunden hatte.
Vor einigen Jahren nahmen einige von uns Aehrenthal schärfer ins Visier als zuvor. Es begann damit, dass ich in London mit einem Mann sprach, der sich als Forscher für das British Museum mit Altertümern aus dem Nahen Osten befasste. Aehrenthal hatte schon mehrfach seinen Weg gekreuzt und, so vermutete er, ihn bei einigen Gelegenheiten mit betrügerischen Mitteln um wichtige Entdeckungen gebracht. Der Mann besucht heute noch die Kirche St Dunstans in London. Er ist kein orthodoxer Christ, sondern Anglikaner. Trotzdem haben er und ich viele gemeinsame Interessen entdeckt. Als junger Priester habe ich Hebräisch und Aramäisch gelernt und mich sehr für biblische Geschichte interessiert. Darüber sprachen wir miteinander und kamen dann auf die Archäologie, von der ich wenig wusste.
Er erzählte mir, dass Aehrenthal an Almásys Nachlass gelangt sei. Erst Wochen zuvor war er ihm in Jerusalem begegnet. Dort fand er ihn in Hochstimmung. Aehrenthal konnte kaum an sich halten und berichtete meinem Freund, er stehe kurz davor, den Heiligen Gral zu finden. Eine Woche später machte er sich in die libysche Wüste auf. Er hatte ein halbes Dutzend Tuareg-Führer bei sich. Es hieß, er wolle Almásys Expedition, die Suche nach der verschwundenen persischen Armee, zu Ende führen. Aber die Zeit verging, und von ihm samt seinen Führern war nichts zu hören. Man glaubte schon, ihn habe in der riesigen Weite das Schicksal der Perser ereilt und er werde nie mehr zurückkehren.
Dann aber tauchte er plötzlich in Tripoli auf. Er war stark abgemagert, aber noch arroganter als zuvor. Gegerbt vom Wüstenwind, erschien er wie ein Prophet oder von Dämonen gehetzt. Was er dort draußen gesehen hatte, wollte er nicht sagen. Vielleicht hatte er gar nichts gesehen. Er sprach nicht von einer Entdeckung und hatte auch nichts bei sich. Aber jeder, der ihm damals begegnete, sagte, er habe einen völlig veränderten Mann erlebt.
Mein Freund reiste nach Tripoli und traf sich mit ihm. Er bot Aehrenthal an, alles zu kaufen, was er in der Wüste gefunden hatte. Doch der behauptete, dort draußen gäbe es nichts, keine Gebeine, nicht einmal Splitter davon. Keine Streitwagen, kein Zaumzeug von Pferden oder Kamelen, keine Rüstungen, keine Speere, Schwerter oder Äxte. Nur Sand. Aber etwas entschlüpfte ihm doch: Er suchte Männer in England, alte Männer, die mit Almásy oder auch ohne diesen in der Wüste gewesen wären – das ließ er offen. Mein Freund fragte ihn nach dem Gral, aber er hüllte sich in Schweigen.
Bald darauf kehrte Aehrenthal nach Österreich zurück, wo er verschiedene Organisationen aufsuchte und mit mehreren Leuten sprach. Dann kam er hierher nach Transsilvanien und ließ sich in dem Schloss nieder, wo Miss Usherwood gefangen gehalten wurde. Das ist jetzt sein Hauptquartier. Die Österreicher behalten ihn scharf im Auge. Ihr Sicherheitsdienst registriert jede seiner Bewegungen. Hier in Rumänien dagegen kümmert sich niemand um ihn. Natürlich gibt es in Österreich jede Menge alte Nazis und ebenso viele neue, aber der Staat hat sie unter Kontrolle. Hier in den Wäldern von Transsilvanien kann er seine Verschwörungen aushecken und seine Netze spinnen.«
Ethan stand auf. Er musste seine Beine bewegen und seine Arme etwas lockern. Er war todmüde. Zwar versprach eine Mönchsklause wenig Komfort, aber er wollte sich nur hinlegen, die Augen schließen und in Schlaf versinken.
»Ich begreife immer noch nicht, was Aehrenthal erreichen will, wonach genau er strebt. Offenbar hofft er auf eine Neubelebung des Nazismus und will die Reliquien als Symbole benutzen, um die er seine Anhänger sammelt. Aber weshalb diese Fixierung auf Sarah? Er hat doch jetzt, was er von uns wollte. Warum verschwendet er so viel Zeit auf sie?«
Vater Iustin war ebenfalls aufgestanden und ging zum Kamin, der immer noch ein wenig Wärme abgab.
»Ethan«, sagte er, »ich wollte diese Frage nicht ansprechen, aber ich glaube, ich habe nicht das Recht, Sie darüber im Unklaren zu lassen. Er will Sarah, aber er will auch Sie. Sie haben Kenntnisse, die er nicht besitzt, und er wird vor nichts zurückschrecken, um sie aus Ihnen herauszuholen.«
»Sie meinen, wo Wardabaha liegt?«
»Genau das.«
»Aber er hat doch die Reliquien. Er kann sie benutzen, sie in einem Museum ausstellen und dokumentieren, wie sie gefunden wurden.«
»Er will viel mehr. Wir sind erst vor einem Jahr darauf gekommen und waren uns nicht sicher, bis …« Er verstummte und griff nach einem Feuerhaken, um noch ein paar Flammen aus den verkohlten Scheiten zu holen. »Ehrlich gesagt, bis Sie heute Abend hier ankamen. Bestimmte Gerüchte waren schon bis zu uns gedrungen, aber was Sie und Sarah mir berichtet haben, bringt Klarheit in die Sache.
Bis vor einigen Jahren war Aehrenthal nur an seinem Ordo Novi Templi und den verschiedenen Neonazigruppen interessiert, denen er angehörte oder mit denen er in Kontakt stand. Die heiligen Reliquien wollte er schon lange finden. Deshalb begann er sich überhaupt mit biblischen Altertümern zu befassen. Jedes Mal, wenn ein Gerücht von einem derartigen Objekt an sein Ohr drang, rannte er los. Er hat eine ganze Sammlung von Fälschungen in seinem Schloss dort oben.
Dann hörte er von Ihrem Großvater und dessen Entdeckung. Diese Nachricht muss über Almásys Tegebücher an ihn gelangt sein. Der hatte mehrere Mitglieder der Truppe Ihres Großvaters getroffen, als die sich nach der Entdeckung in Kairo aufhielt. Wenn nicht Krieg gewesen und sie nicht zu neuen Operationen abkommandiert worden wären, dann wäre der eine oder andere wahrscheinlich mit Almásy handelseinig geworden und hätte diesen nach Wardabaha geführt. Sie wären mit ihm dorthin gezogen, und Almásy hätte sich mit den … Reliquien, die Ihr Großvater damals dort zurücklassen musste, einen Namen gemacht. Dann war der Krieg zu Ende, Almásy starb, einige aus dem Trupp Ihres Großvaters ebenfalls, und die Sache geriet in Vergessenheit.
Ich denke, Wardabaha war für Aehrenthal viele Jahre lang nur ein vager Traum. Schließlich kamen zwei Dinge zusammen: Er fand heraus, wo Ihr Großvater lebte. Und er las etwas über das Klonen von Zellen. Vielleicht war die Reihenfolge auch umgekehrt. Aber lange her ist es noch nicht.«
»Ich verstehe nicht. Das Klonen von Zellen? Meinen Sie dieses Schaf?«
Iustin blickte erschöpft drein. Auch er wäre gern zu Bett gegangen, aber er wusste, dass er in dieser Nacht ohnehin keinen Schlaf finden würde.
»Er will die Gebeine unseres Herrn finden. Er hofft, dass noch Gewebe daran ist. Von dort will er die DNA entnehmen. Daraus möchte er seinen eigenen Christus schaffen, ein Baby, das zu einem Christuskind heranwächst und später zu einem Mann, der Aehrenthals Kreatur ist. Nicht nur körperlich, sondern auch in seinem Denken und Fühlen. Das wäre ein Christus, der die Juden hasst, der die Schwarzen verachtet, der die Überlegenheit der arischen Herrenrasse predigt. Und sein erster Akt bestünde darin, einen zweiten Holocaust zu verkünden.
Seine Gefolgsleute werden sich bereits lange vorher um ihn scharen. Aehrenthal wird sie sammeln, und sie werden weitere werben. Aehrenthal hat jetzt die Reliquien in seiner Hand. Wir müssen sie nicht hier in Rumänien suchen. Er wird sie mit sich nach Libyen nehmen, um sie mit den Gräbern zu vereinigen. Bald besitzt er dann die Gebeine der gesamten Christusfamilie, dazu jene der früheren Weggefährten des Herrn und deren Kinder, außerdem alles, was von deren Besitztümern noch vorhanden ist.
Ein neues Reich entstünde, und Egon Aehrenthal wäre sein Führer.«
Pater Iustin legte den Feuerhaken wieder an seinen Platz zurück. Die Scheite waren nun endgültig zu Asche zerfallen. Im Kamin lag nur noch ein Haufen schwarzer Holzkohle.
»Es ist Zeit, zu Bett zu gehen«, sagte Iustin. »Wir beide haben morgen viel vor.«