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166494.jpgährend Pippa mit Rebecca Davis telefonierte, warf sie nervöse Blicke zu Barbara-Ellen hinüber, die kerzengerade auf dem Sofa saß und gedankenverloren an einem Glas Cider nippte. Ganz das Bild der perfekten Frau, dachte Pippa, aber sie traute der äußeren Beherrschtheit ihres Gastes nicht völlig – zu gebrochen hatte sie bei ihrem Eintreffen gewirkt.

Peter Paw hatte sich beim Klopfen auf seinen Lieblingsbalken zurückgezogen und beobachtete Barbara-Ellen aufmerksam und mit gespitzten Ohren. Schließlich erhob er sich und strich geschmeidig über das freigelegte Fachwerk unterhalb der Zimmerdecke, bis er sich direkt über dem Sofa befand. Pippa versuchte Rebeccas telefonischen Zwischenfragen die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken, ließ sich aber immer wieder durch den Kater ablenken.

Gleich wird er sich wie ein nasser Sack auf das Sofa plumpsen lassen und die arme Barbara-Ellen zu Tode erschrecken, dachte Pippa alarmiert. Ich habe schon Leute durchs halbe Zimmer fliegen sehen, wenn seine neun Kilo Lebendgewicht neben ihnen aufschlugen und sie vom Sofa katapultierten …

Aber ganz gegen seine sonstige Gewohnheit glitt Paw geräuschlos auf einen tiefer liegenden Querbalken und von dort elegant auf die Rückenlehne des Sofas. Dann balancierte er die Lehne entlang, bis er Barbara-Ellen erreicht hatte, und schmiegte schnurrend seinen Kopf an ihre Wange.

Die Schauspielerin schloss die Augen und brach in Tränen aus.

»Bis gleich dann«, sagte Pippa zu Rebecca, legte den Hörer auf und ging rasch zum Sofa. »Sie kommt so schnell es geht, aber die Straßen sind glatt.«

Barbara-Ellen schien sie nicht zu hören. Sie drückte weinend den Kater an sich und wimmerte: »Carlito …«

»O mein Gott, Barbara-Ellen.« Pippa ging ein Licht auf, als sie an die Gravur des Eheringes dachte. »… Barbarella.«

Die Schauspielerin sah sie durch einen Tränenschleier an und nickte.

Wir brauchen jetzt zwei Dinge, dachte Pippa voller Mitleid, jede Menge Papiertaschentücher und einen starken, torfigen Single Malt Whisky.

Als Rebecca Davis eintraf, flößte Pippa Barbara-Ellen gerade heißen Whisky mit Zitronensaft ein. Die Schauspielerin hatte sich wieder ein wenig beruhigt. Peter Paw lag an Barbara-Ellens Seite, eng an sie geschmiegt.

Auf den Verdacht des Bühnenstars reagierte Rebecca Davis wie von Pippa erwartet. »Verstehe ich Sie richtig? Sie glauben, dass Carlos Kwiatkowski umgebracht wurde? Mit Hilfe seines Autos?«

Barbara-Ellen nickte nur.

»Sam Wilson und seine Kollegen waren vor Ort und haben alles in Augenschein genommen. Sie konnten keinerlei äußerliche Auffälligkeiten an dem Wagen entdecken«, sagte die Polizistin. »Der Journalist ist auf vereister Straße ins Rutschen gekommen und gegen einen Baum geprallt – das ist bei dieser Wetterlage leider kein Einzelfall. Die Fahrer unterschätzen die Glätte der Fahrbahn und …« Sie stockte, als sie Barbara-Ellen zusammenzucken sah.

»Ich bin mir sicher, dass das Auto manipuliert wurde«, beharrte die Schauspielerin. »Carlito war ein vorsichtiger und defensiver Fahrer, besonders bei diesem Wetter. Sein Dienstwagen war ein nagelneuer BMW mit frisch aufgezogenen Winterreifen und allem Sicherheitsschnickschnack, da kommt man doch nicht einfach von der Straße ab.«

»Auch der sicherste Fahrer macht mal einen Fahrfehler«, sagte Rebecca Davis sanft. »Die Straßen sind unübersichtlich, und wenn man auf abschüssiger Strecke zu schnell um die Kurve …«

»Niemals!«, unterbrach Barbara-Ellen sie brüsk. »Nicht Carlos. Ich war während der letzten Tage viel mit ihm unterwegs, und er ist sogar mir manchmal zu langsam gefahren. Er … wir …«

Sie rang nach Luft und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Wir hatten ein Ziel. Und das wollten wir unbedingt erreichen.«

»Dieses Ziel, von dem Sie sprechen … damit meinen Sie nicht Hideaway oder die gemeinsame Arbeit an der Inszenierung, nehme ich an?«

Barbara-Ellen nickte. »Nein, ich rede von unserer Liebe. Wir wollten endlich zusammenleben. Ich habe … hatte Carlos versprochen, dass ich meinen Mann nach dem Festival verlasse. Bis dahin wollten Carlos und ich absolutes Stillschweigen über unsere Beziehung bewahren, um das Projekt nicht zu belasten.«

»Warum diese Rücksichtnahme? Nach allem, was ich gehört habe, ist Ihr Gatte selbst auch kein Kostverächter«, sagte Rebecca Davis ungläubig. »Warum haben Sie Ihrem Mann nicht klipp und klar gesagt, dass Sie ein Verhältnis haben?«

»Nur weil er es selbst mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt, glauben Sie, hätte er für meine neue Liebe Verständnis haben müssen?« Barbara-Ellen lachte bitter auf. »Da kennen Sie meinen Mann schlecht. Vielleicht würde er mir verzeihen, wenn er mein Verhältnis mit Carlos für ebenso belanglos hielte wie seine eigenen Liebeleien. Aber er weiß, dass ich nicht oberflächlich bin und Carlos ein echter Konkurrent ist … war. Mein Mann ist überaus besitzergreifend, Detective Inspector Davis. Er will mich nicht verlieren. Er kann und will nicht alleine sein, und er braucht mich an seiner Seite. Ganz besonders jetzt.«

»Herr von Kestring ahnte also nichts davon, dass Sie ihn verlassen wollten?« Rebecca Davis wirkte skeptisch.

»Von mir jedenfalls nicht«, gab Barbara-Ellen zurück, »aber Carlito ist tot, nicht wahr? Deshalb frage ich mich, ob Hasso nachgeholfen hat.«

Pippa zog scharf die Luft ein. Bisher war sie dem Gespräch gefolgt, ohne sich einzumischen, aber jetzt …

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass dein Mann …« Sie konnte den Satz nicht vollenden, so abwegig erschien ihr dieser Gedanke.

»Ach, Pippa. Wie viele Szenen hast du selbst erlebt, in denen Hasso wie ein wilder Stier auf Carlos losgegangen ist?«, erwiderte Barbara-Ellen müde.

»Schon, aber das sah eher nach verletzter Eitelkeit aus – immerhin war Carlos sein gnadenlosester Kritiker. Sein Verhalten gegenüber Johannes kam mir viel mehr wie Eifersucht vor – so wie er mit ihm umgesprungen ist.«

Barbara-Ellen lächelte. »Du hast recht, Johannes verehrt mich ebenfalls, aber er begehrt mich nicht als Frau. Ganz sicher nicht. Das weiß Hasso.«

Pippa schlug sich im Geiste an die Stirn. Du meine Güte, das hätte ich auch selbst merken können …

»Mit Carlos verhält es sich völlig anders«, fuhr Barbara-Ellen fort. »Hasso konnte kaum ertragen, mit ihm in einem Raum zu sein. Die Tatsache, dass ausgerechnet er über dieses Projekt berichten sollte, hat meinen Mann schier verrückt gemacht. Ich dachte immer, es geht dabei um uralte Feindseligkeiten aus Uni-Zeiten, aber mittlerweile glaube ich, dass echte Eifersucht im Spiel war. Hasso wusste immer, dass Carlos mich umwirbt, und es war ihm ein Dorn im Auge. Trotzdem hat er sich sogar darüber lustig gemacht und frohlockt, dass ich niemals untreu geworden bin, bis …« Sie verstummte und wandte den Blick ab.

Rebecca Davis wartete kurz und fragte dann: »Bis?«

Barbara-Ellen seufzte und sah sie an, die Augen voller Tränen. »Vor sechs Monaten wurden Carlos und ich ein Paar. Bis heute war ich mir sicher, dass Hasso nichts bemerkt hat, aber jetzt …« Sie zuckte hilflos mit den Achseln.

»Und Sie wollen Ihren Mann offiziell beschuldigen, das Auto Ihres Liebhabers manipuliert zu haben, um ihn umzubringen?«

»Ich glaube nicht, dass er ihn umbringen wollte.« Barbara-Ellen schüttelte den Kopf. »Ich glaube, er wollte Carlos einen Denkzettel verpassen, und das ist furchtbar schiefgegangen.«

In diesem Moment erklang die Türglocke, und Pippa fuhr zusammen. Sie sprang auf, öffnete und prallte überrascht zurück, als Sir Michael an ihr vorbei ins Haus stürmte. Angesichts der beiden Frauen, die im Wohnzimmer saßen, verharrte er mitten im Raum und schien für einen Moment aus dem Konzept gebracht.

Dann räusperte er sich und sagte: »Ich entschuldige mich für die Störung, aber ich brauche dringend …« Er wandte sich zu Pippa um, die noch immer in der Haustür stand. »Ich brauche die Telefonnummer von Hetty in Berlin. Jetzt gleich. Es ist wichtig.«

Pippa ging zum Sekretär und schrieb die Nummer auf einen Zettel, den Sir Michael ihr hastig aus der Hand riss. Eilig lief er wieder zum Eingang, drehte sich dort noch einmal um, als hätte er erst jetzt seine eigene Unhöflichkeit bemerkt, brummte einen Dank und verließ das Haus.

»Was zum Teufel …«, murmelte Pippa und wollte die Tür gerade schließen, als Nicola hereinschlüpfte und sagte: »Ich bin schon von weit weniger berühmten Leuten über den Haufen gerannt worden. Beim nächsten Namedropping kann ich glaubhaft versichern, dass der berühmteste Shakespeare-Mime unseres Landes mich komplett übersehen …«

Sie verstummte, als sie Barbara-Ellen und Rebecca Davis bemerkte. »Oh, hoher Besuch. Dann geh ich mal wieder.«

Pippa ging mit ihr hinaus in die Kälte und zog die Tür hinter sich zu.

»Schade«, sagte Nicola, »ich wollte mit dir kochen.« Sie hob eine große Tüte voller Lebensmittel in die Höhe. »Bei all diesen Köstlichkeiten läuft heute das Verfallsdatum ab, und ich kann sie nicht mehr verkaufen. Ein wildes Sammelsurium und eine echte Herausforderung für unsere Kreativität. Schokopudding mit Knoblauch-Nuss-Krokant, zum Beispiel. Oder Tomaten und Mozzarella mit Vanilleschaum. Fenchel und Schinken in Blätterteig auf Erdbeermarkspiegel? Oder wir füllen Paprikaschoten mit Ananas und Sardellen …«

»Überredet!«, rief Pippa. »Ich bin dabei, aber nicht hier. Ich hole noch schnell den Cider aus dem Kühlschrank, und dann überfallen wir Debbie und Phoebe.«

»Dann gehe ich schon mal ein Haus weiter.« Nicola nickte zufrieden. »Und was immer sich bei dir gerade abspielt – ich bin sicher, Debbie wird helfen, es aus dir herauszukitzeln.«

»Sie und Kwiatkowski kennen sich seit dreißig Jahren, und erst seit einem halben Jahr sind Sie ein heimliches Paar?«, fragte Rebecca Davis gerade, als Pippa das Wohnzimmer durchquerte, um in die offene Küche zu gehen.

Barbara-Ellen nickte. »Ich weiß, das klingt unglaubwürdig, aber es ist die Wahrheit. Ich habe bei meiner Hochzeit Treue versprochen und daran halte ich mich. Ich bin ein altmodischer Mensch. Aber ich kann … konnte … meine Gefühle nicht mehr länger leugnen. Ich habe endlich begriffen, dass ich nicht für den Rest meines Lebens Verantwortung für Hasso übernehmen und die Kastanien aus dem Feuer holen kann.«

Pippa packte den Cider in Zeitlupentempo in einen Korb. Jetzt ärgerte sie sich, dass sie nicht weiter zuhören konnte.

Rebecca Davis runzelte fragend die Stirn. »Verantwortung für Ihren Mann? Wie das?«

»Hasso hat bei so manchem Engagement verbrannte Erde hinterlassen. Zuletzt hat man ihn nur noch an eine Bühne geholt, wenn man aus Publicitygründen einen Skandal brauchte – oder mich engagieren wollte. Hasso mag ein Egozentriker sein, aber er ist nicht dumm. Natürlich hat er gemerkt, was vorging, und sein Verhalten wurde immer unkontrollierbarer. Und unerträglicher. Vor einem halben Jahr hat der PaperRazzi ein großes Porträt von mir gebracht, mehrere Seiten mit einer großen Fotostrecke. Natürlich haben sie Carlos geschickt. Wir haben eine ganze Woche eng zusammengearbeitet, viel gelacht und …«

»Und Sie hatten den direkten Vergleich«, vervollständigte Rebecca Davis.

Barbara-Ellen nickte.

»Bei diesem Vergleich kam Ihr Mann nicht besonders gut weg, richtig?«

Wieder nickte die Schauspielerin. »Ich wusste, ich würde auf Dauer nicht mehr mit Hasso leben können. Aber wir mussten uns etwas überlegen, um ihn – wie soll ich sagen? – auf eigene Füße zu stellen. Deshalb haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass er dieses Festival übernehmen kann.«

In der Küche spitzte Pippa die Ohren – jetzt wurde es interessant …

»Wie darf ich das verstehen?«, fragte Rebecca Davis.

»Carlito und ich haben uns mit aller Kraft bemüht, dass Hasso sich beim Shakespeare Birthday Festival bewirbt. Ich wusste, er würde der Möglichkeit, Hamlet zu inszenieren, nicht widerstehen können. Carlito hat bei Sir Michael für ihn geworben, und ich habe heimlich die Runde bei möglichen Konkurrenten gemacht. Das war unsere Chance: Wenn er hier eine gute Inszenierung hinlegt, dann ist er wieder im Geschäft.«

»Und Sie könnten ihn ohne schlechtes Gewissen verlassen.«

Barbara-Ellen schossen die Tränen in die Augen. »Wir nannten es das Barbarella-Projekt

Pippa wollte gerade durch den Vorgarten direkt zu Phoebes Cupido Cottage hinübergehen, als sie Dana Danvers die Straße hinaufstöckeln sah. Schnell zog sich Pippa in den Schatten der großen Säule aus Buchsbaum zurück. Wo kommst du denn jetzt her?, dachte Pippa. Der Mantel der Schauspielerin war schief geknöpft, und sie wirkte wütend und etwas derangiert. Dana sprach aufgeregt in ihr Handy, und Pippa bedauerte, dass Rumänisch nicht zu den Sprachen gehörte, die sie beherrschte.

Dana hastete vorbei, ohne sie zu bemerken. Pippa atmete auf und verließ den schützenden Vorgarten, aber da kam schon der Nächste die Straße hinauf: Hasso von Kestring.

Hallo – wart ihr etwa auf ein Stelldichein im Taubenhaus?, dachte Pippa. Wenn ihr nicht gemeinsam gesehen werden wollt, dann seid doch wenigstens so clever, nicht bloß hundert Meter Abstand zu halten, sondern verschiedene Wege zu benutzen. Oder wart ihr im Pub? Aber dann gibt es keinen Grund, nicht gemeinsam zum Hotel zu gehen. Also doch Taubenhaus. Die Richtung könnte stimmen, und es ist schließlich ein offenes Geheimnis, dass ihr beiden …

Abrupt blieb Pippa stehen, als sie sich an Carlos’ Notiz in Danas Dossier erinnerte. Das Barbarella-Projekt! Konnte es sein, dass Barbara-Ellen und Carlos die rumänische Schauspielerin bewusst auf den Regisseur angesetzt hatten, um ihn abzulenken? Deshalb hat Barbara-Ellen auch nicht mit der Wimper gezuckt, als sie die Gertrud nicht spielen durfte und als Dana ihrem Mann Avancen machte …

Pippa sah zum beleuchteten Fenster des Cottages zurück und pfiff durch die Zähne. Interessante Vorstellung. Aber was hatte eine Frau wie Dana davon?

Pippa grüßte von Kestring mit einem Nicken und wollte weitergehen, aber er hielt sie auf.

»Sie wissen nicht zufällig, wo ich meine Frau finde? Ich habe schon das ganze Dorf nach ihr abgesucht.«

Pippa schüttelte den Kopf.

Sicher hast du das, dachte sie ironisch, aber warum dieser weinerliche Tonfall? War Dana nicht so anschmiegsam wie erhofft, und jetzt willst du dein altes Spielzeug zurück?

Von Kestring zückte sein allgegenwärtiges Schnupftabaksfläschchen und nahm eine große Prise. Dann sagte er kichernd: »Sie sind doch für unsere Freizeitgestaltung zuständig, Frau Bolle. Wie es der Zufall will, habe ich gerade jede Menge Freizeit. Irgendwelche Vorschläge?«

Das machte Pippa sekundenlang sprachlos.

»Sie scheinen da etwas zu verwechseln, Herr von Kestring«, sagt sie schließlich, »ich stehe weder als Pausenclown zur Verfügung, noch habe ich vor, Sie in den Schlaf zu singen, wenn Sie sich langweilen. Aber ich habe einen anderen Vorschlag: Sie bitten Ihre neue rechte Hand, Ihnen zu helfen, Züchter von Bearded Collies zu recherchieren. Dann können Sie für meine Großmutter einen neuen Hund besorgen. Wäre das nicht eine schöne Freizeitbeschäftigung?«

Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und marschierte wütend zu Phoebes Haustür.

Phoebe saß auf ihrem Sofa und blätterte in alten Zeitungsausschnitten und Fotoalben, während Pippa, Debbie und Nicola in der Küche werkelten.

»Und auf der Rückfahrt von Cheltenham ist der Unfall passiert?«, fragte Debbie.

»Sieht so aus.« Pippa ließ das Messer sinken, mit dem sie gerade Fenchelknollen in dünne Scheiben schnitt. »Carlos war bei einem Computernerd, der ihm helfen sollte, seine Daten zurückzubekommen. Übrigens sagte Carlos, du hättest ihm diesen Experten empfohlen, Nicky.«

»Richard, der Wunderknabe … Er hat mein Internetcafé eingerichtet und dem halben Dorf einen schmissigen Computerkurs gegeben. Seitdem sucht John Napier über Partnerbörsen unermüdlich eine zweite Hetty, und Amanda Bloom versteigert bei Ebay die erwilderten Fasane ihres Gatten. Scheint ein Mordsgeschäft zu sein – besonders außerhalb der Jagdsaison. Die dörfliche Gerüchteküche tobt in einem Chatroom bei www.dont-hide-away.net. Am tollsten sind die Decknamen.«

»Die du natürlich alle kennst. Sofort raus damit.« Debbie knuffte Nicola in die Seite.

»Nur so viel: Du arbeitest bei Doctor Doolittle, und Tom Barrel ist Cider-Boy

»Wie einfallsreich.« Debbie bog sich vor Lachen und kam dann auf das Ausgangsthema zurück. »Was tut Richard der Wunderknabe denn alles für dich, Nicky?«, fragte sie. »Und sieht er dabei auch noch gut aus?«

»Wäre ich nur fünf Jahre jünger, würde ich wirklich mit ihm ausgehen«, sagte Nicola, »aber er ist Anfang zwanzig, das geht einfach nicht. Ich hätte immer das Gefühl, ihn fragen zu müssen, ob er seine Schulaufgaben schon fertig hat. Ich stehe auf erwachsene Männer.«

Sie widmete sich wieder ihrer Aufgabe, Erdbeeren und Ananas zu einem mit Whiskylikör marinierten Obstsalat zu verarbeiten, den sie zum Schokoladenpudding essen wollten.

Sie hielten einen Moment inne und lauschten, als nebenan ein Motor gestartet wurde und ein Auto wegfuhr.

»Rebecca Davis«, murmelte Pippa und überlegte kurz, ob sie nach Barbara-Ellen sehen sollte, entschied sich aber dagegen.

»Zurück zu Carlos«, befahl Debbie energisch. »Weiß man, was er danach gemacht hat? Nachdem er beim göttlichen Richard war? Übrigens, Pippa, dein Wasser ist so weit.«

Pippa ging hinüber zum Herd, ließ die Fenchelscheiben ins kochende Wasser gleiten und stellte den Küchenwecker auf acht Minuten.

»Er wird direkt wieder nach Hideaway aufgebrochen sein, denke ich. Vermutlich war der Computermann der Letzte, der mit ihm gesprochen hat. Obwohl … bei dem, was ich mittlerweile weiß …«

»Was weißt du? Raus damit!«, verlangte Debbie, und Nicola drehte sich neugierig auf ihrem Küchenstuhl um.

Pippa berichtete in Telegrammform vom Gespräch zwischen Barbara-Ellen und Rebecca Davis.

»Da bin ich platt«, sagte Nicola.

»Bitte, das bleibt unter uns, ja?«, bat Pippa.

»Du hast doch Tür an Tür mit ihm gewohnt. Gab es nicht irgendwelche Hinweise?«, fragte Debbie. »Du weißt schon … verräterische Geräusche oder so.«

Pippa schüttelte den Kopf. »Schäm dich, Debbie. Aber jetzt fällt mir ein: Bei der Probe heute Morgen hat Barbara-Ellen einmal den Raum verlassen, um …«

Weiter kam sie nicht, denn aus dem Backofen roch es verdächtig verbrannt.

»Die Paprikaschoten!«, kreischte Debbie, und bei der darauffolgenden Rettungsaktion vergaß Pippa völlig, was sie hatte sagen wollen.

Als sie am Esstisch saßen, staunte Pippa, welche Köstlichkeiten sie aus Nicolas wilder Mischung gezaubert hatten: Die dünnen, noch bissfesten Fenchelscheiben hatten sie nach dem Kochen mit den Sardellen in Knoblauchöl dünsten lassen und zum Servieren mit feingehacktem Fenchelgrün bestreut, die gebackenen Paprikaschoten waren mit Tomaten, Mozzarella und Schinken gefüllt – und die ganze Tischrunde ergötzte sich am beschwipsten Dessert.

Beim Essen erzählte Pippa den anderen, dass sie beim Packen von Carlos’ Besitztümern auf Dossiers gestoßen war.

Debbie und Nicola ließen nicht locker, bis Pippa alles darüber erzählt hatte, nur Phoebe hielt sich mit Nachfragen zurück.

»Ich habe nicht alle gelesen«, wehrte Pippa ab, »nur die von Duncan, Anita und Dana. Weiter bin ich nicht gekommen.«

»Schade«, sagte Debbie, »vielleicht kannst du später noch …«

»Ich weiß nicht, ich kam mir vor, als würde ich in Kwiatkowskis Tagebuch schnüffeln.« Pippa verstummte, als sie an das Kästchen mit den Ringen und die damit verbundene Tragödie dachte. »Außerdem werden die Sachen morgen früh abgeholt. Es gibt also keine Gelegenheit mehr, weiterzuforschen, denn ich bin todmüde und will nur noch ins Bett.«

Phoebe tupfte sich mit ihrer Serviette die Mundwinkel ab. »Wann wollten diese Zeitungsleute denn kommen, meine Liebe?«

Pippa zuckte mit den Achseln. »Das konnten sie mir nicht exakt sagen. Aber so früh wie möglich. Sie schicken jemanden von der Londoner Redaktion.«

»Du gehst morgen pünktlich zur Probe«, entschied Phoebe, »und ich übernehme das Gepäck. Keine Widerrede. Das tue ich gerne für dich.«

Nur noch schlafen und diesen verdammten Tag vergessen, dachte Pippa, als sie gähnend die Haustür von Cosy Cottage öffnete. Sie tastete nach dem Lichtschalter und fuhr erschrocken zusammen, als die Deckenleuchte aufflammte: Barbara-Ellen saß noch immer auf dem Sofa, Peter Paw auf dem Schoß.

»Ich konnte einfach nicht ins Hotel hinübergehen«, sagte die Schauspielerin leise. »Hier fühle ich mich Carlos näher. Darf ich in seinem Zimmer schlafen, Pippa?«

»Natürlich.« Pippa bedauerte Barbara-Ellen, die sie flehend ansah und ihre Trauer im Harmony House nicht offen zeigen durfte, zutiefst. »Ich werde nur schnell das Bett frisch beziehen.«

»Bitte nicht.«

Barbara-Ellen setzte den Kater behutsam auf den Boden und stand auf. Die beiden Frauen sahen sich einen Moment in die Augen. Pippa verstand und ließ die Schauspielerin allein die Treppe hinaufgehen, begleitet von Peter Paw.

Pippa sah ihr nach.

Was du bisher auch getan oder auch nicht getan hast, um deine Frau zu halten, Hasso von Kestring, du hast sie unwiderruflich verloren.