7
In ziemlicher Eile kehrte Rathbone in den Gerichtssaal zurück. Sein Mitarbeiter war bestens befähigt, um mit der gegenwärtigen Sache allein zurechtzukommen. Es war ein Routinefall, es galt lediglich, Beweise aufzuführen, von denen die meisten unanfechtbar waren. Dies kam ihm sehr gelegen, da sich seine Gedanken während des Nachmittags weniger mit der Sache Regina versus Wollcraft beschäftigten als vielmehr mit der Sache Regina versus Breeland und Alberton, die er so überstürzt akzeptiert hatte.
Er fühlte sich nicht nur mit dem Fall an sich nicht wohl, sondern auch mit den Gründen, die ihn veranlasst hatten, ihn zu übernehmen. Er hatte in den Zeitungen darüber gelesen, obwohl es ihn nicht sonderlich interessiert hatte, weil ihm die Sache klar auf der Hand zu liegen schien. Aber wie den meisten Zeitungsredakteuren, tat auch ihm Judith Alberton zutiefst Leid. Mitgefühl war eine edle Emotion, aber es war keine gute Basis, um vor Gericht zu ziehen. Geschworene mochten sich von Gefühlsregungen beherrschen lassen, Richter durften das nicht. Und die öffentliche Meinung war sehr unbarmherzig gegen Merrit Alberton. Es sah so aus, als hätte sie sich mit einem Ausländer verschworen, um ihren eigenen Vater zu ermorden. Dies war ein Affront gegen jegliche Formen des Anstandes, gegen Familienloyalität, Gehorsam, Familientradition und Patriotismus. Würde sich jede Tochter die Freiheit nehmen, sich ihrem Vater auf derartig gewalttätige und abstoßende Art zu widersetzen, dann wäre die Gesellschaft an sich bedroht.
Rathbone entdeckte, dass ihn diese Überlegungen irritierten und dass sein Respekt vor der bürgerlichen Gesellschaft, der tief in den Wurzeln seines Lebens verankert war – wenigstens oberflächlich –, ein wenig brüchig wurde. Er verachtete Voreingenommenheit, die nichts weiter war als eine Tradition, die sich in starren Köpfen festgesetzt hatte und zur Gewohnheit geworden war. Er hatte den Fall zum Teil auch deswegen übernommen, weil er die Herausforderung liebte. Es war sowohl aufregend als auch gefährlich, gefordert zu werden. Was, wenn er der Sache nicht gewachsen wäre? Was, wenn es ihm nicht gelänge, Gerechtigkeit zu gewährleisten und ein unschuldiger Mann oder eine unschuldige Frau gehängt wurde, weil er nicht klug genug, tapfer genug, einfallsreich, wortgewandt oder überzeugend gewesen war?
Oder wenn ein Schuldiger auf freien Fuß gesetzt wurde? Um vielleicht erneut zu töten oder um von seinem Verbrechen zu profitieren, was anderen beweisen würde, dass das Gesetz nicht fähig war, die Opfer zu schützen?
Aber auch ohne all diese Gründe wusste er, dass er den Fall übernommen hätte, weil Hester ein Interesse daran hatte. Sie hatte es zwar nicht gesagt, aber er hatte es in ihrem Gesicht gelesen, dass sie sich um Merrit sorgte, dass sie sich vielleicht selbst in dem Mädchen wiedersah, wie sie mit sechzehn gewesen war: eigensinnig, idealistisch und zu verliebt, um schlecht von dem Mann zu denken, in den sie so großes Vertrauen investiert hatte, der ihren Träumen so nah war.
War sie tatsächlich so gewesen? Er wünschte, er hätte sie damals gekannt. Lächerlich, wie stechend der Schmerz immer noch war, selbst ein halbes Jahr, nachdem sie Monk geheiratet hatte. Tatsächlich war der Schmerz jetzt größer, als er es gewesen war, als sie noch unverheiratet war und Rathbone die Chance gehabt hatte, sie um ihre Hand zu bitten. Wenn er damals nur erkannt hätte, wie sehr er es sich gewünscht hatte.
Als die Verhandlung zum Abschluss kam, zufrieden stellend und eine gute Stunde früher, als er erwartet hatte, nahm er den Dank seines Klienten entgegen und trat in den heißen lärmenden Augustnachmittag hinaus. Er winkte den ersten freien Hansom heran, den er entdecken konnte, und gab dem Fahrer die Adresse seines Vaters am Primrose Hill. Er lehnte sich gemütlich zurück und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Er wollte nicht an Monk oder den neuen Fall denken. Und vor allem wollte er nicht an Hester denken.
Nach einem wohltuenden Abendessen, bestehend aus frischem Brot, Brüsseler Pastete, einem angenehmen Wein und hinterher einem heißen Pflaumenkuchen aus Blätterteig mit frischer Sahne, lehnte er sich in seinem Armsessel zurück und sah durch die geöffneten Terrassentüren hinaus auf den Rasen und die Geißblatthecke, hinter der sich der Obstgarten anschloss. Außer dem Gezwitscher der Vögel und dem scharrenden Geräusch, das Henry Rathbone verursachte, indem er mit einem kleinen Messer in seinem Pfeifenkopf herumschabte, ohne tatsächlich etwas damit zu bewirken, war nichts zu hören. Er tat es aus purer Gewohnheit, seine Gedanken waren nicht bei der Sache, und tatsächlich rauchte er seine Pfeife eher selten. Er füllte sie, drückte den Tabak zusammen, zündete sie an und ließ sie regelmäßig wieder ausgehen.
»Na, und?«, sagte er schließlich. Oliver sah auf. »Wie bitte?«
»Hast du die Absicht, es mir zu erzählen, oder soll ich raten?«
Es war sowohl angenehm als auch beunruhigend, derartig durchschaut zu werden. Hier war kein Platz für Ausflüchte, keine Fluchtmöglichkeit, und Oliver konnte auch gar nicht in Versuchung geraten, etwas Derartiges in Erwägung zu ziehen.
»Hast du über die Morde an dem Lagerhaus in der Tooley Street gelesen?«, fragte Oliver.
Henry klopfte seine Pfeife an der Kaminumrandung aus.
»Ja?«, sagte er und sah Oliver besorgt an. »Ich dachte, es wäre ein amerikanischer Waffenkäufer gewesen. Ist dem etwa nicht so?«
»Doch, mit ziemlicher Sicherheit«, erwiderte Oliver trübselig.
»Monk brachte ihn eben erst von Amerika zurück, damit er vor Gericht gestellt werden kann.«
»Und was will er von dir? Er will doch etwas, nicht wahr?«
»Natürlich.« Gelegentlich versuchte Oliver, seinem Vater auszuweichen. Aber er hatte niemals Erfolg damit, denn selbst wenn es ihm gelang, ihn auf die falsche Fährte zu locken, fühlte er sich so schuldig, dass er sofort die Wahrheit gestand und sich hinterher lächerlich vorkam. Henry Rathbone war ein offener und aufrichtiger Mensch. Manchmal war dies ein Nachteil – tatsächlich sogar recht häufig, wenn Verhandlungsgeschick und taktisches Manipulieren gefragt waren. Er hätte es niemals auch nur zu einem leidlich guten Anwalt gebracht, denn er hatte nicht das geringste Talent, eine Rolle zu spielen oder für eine Sache zu plädieren, an die er nicht glaubte.
Aber er verfügte über eine brillante Auffassungsgabe, was Fakten betraf, und einen schonungslos logischen Verstand, der bemerkenswerter Gedankensprünge fähig war.
Jetzt wartete er auf Olivers Erklärung. Draußen zogen die Stare über den Himmel, zeichneten sich schwarz vor den Goldtönen der abendlichen Sonne ab. Irgendwo in der Nähe war der Rasen gemäht worden, und der Geruch des gemähten Grases hing in der Luft.
»Er brachte auch die Tochter zurück«, begann Oliver.
»Sonderbar, aber sie und Breeland behaupten beide, keiner von ihnen sei am Tod Albertons oder dem Diebstahl der Waffen schuldig.« Er sah den ungläubigen Ausdruck im Gesicht seines Vaters. »Nein, ich glaube es auch nicht«, beeilte er sich zu sagen. »Aber seine Geschichte ist besser als ein einfaches Dementi. Er behauptet, Alberton habe seine Meinung geändert, musste dies aber wegen Philo Trace, dem Waffenkäufer aus den Südstaaten, von dem er im Voraus die Hälfte der Summe angenommen hatte, geheim halten.«
Henrys Mundwinkel zogen sich vor Abscheu nach unten.
»War Alberton die Art von Mann, der so etwas tun würde?«
»Nicht nach all dem, was ich gehört habe, aber ich kann es natürlich nicht persönlich beurteilen«, erwiderte Oliver.
»Abgesehen davon, dass eine solche Handlungsweise unredlich gewesen wäre, so hätte sie zudem seinen Ruf für alle Zukunft ruiniert. Aber, was noch wichtiger ist, laut Monk bekam Trace sein Geld nicht zurück.« Er zögerte.
»Wenigstens behauptet Trace das. Und in Albertons Büchern findet sich kein Nachweis, dass er von Breeland Geld bekommen hatte.«
Henry steckte sich die Pfeife in den Mund und zündete ein Streichholz an, dessen durchdringender Geruch augenblicklich die Luft erfüllte. Er hielt es an den Tabak und sog an der Pfeife. Der Tabak entzündete sich, qualmte einen Augenblick und erlosch wieder. Henry schmauchte dennoch weiter.
»Die einleuchtendste Erklärung scheint mir zu sein, dass Breeland lügt«, fuhr Oliver fort. »Vielleicht muss ich Albertons geschäftliche Angelegenheiten untersuchen und so viel wie möglich über Philo Trace in Erfahrung bringen, um mich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.«
In schweigender Zustimmung nickte Henry bedächtig. Oliver saß immer noch vorgebeugt da, die Ellbogen auf den Knien aufgestützt. Sie betrachteten sich gegenseitig über den freien Platz vor dem Kamin hinweg. Sie saßen so, als ob das Feuer brennen würde, obwohl es an diesem Sommerabend noch so warm war, dass die Terrassentüren weit offen standen. Es war lediglich eine lieb gewordene Gewohnheit, die sich während der Jahre entwickelt hatte. Zum ersten Mal hatte ein solches Gespräch stattgefunden, als Oliver elf Jahre alt gewesen war. Damals hatten sie sich mit unregelmäßigen lateinischen Verben beschäftigt und versucht, eine Logik zu entdecken. Sie waren zu keinem Ergebnis gekommen, aber das Gefühl der Kameradschaft und die Empfindung, einen gewissen Grad an Erwachsensein erreicht zu haben, waren eine unermessliche Befriedigung gewesen.
»Die Polizei konnte den Transport der Waffen bis zum Fluss nachvollziehen, dann wurden sie auf einen Kahn verladen, den sie bis zu Bugsby’s Marshes verfolgen konnten«, fuhr er fort. »Breeland hingegen behauptet, die Lieferung am Bahnhof entgegengenommen zu haben, woraufhin er mit der Eisenbahn nach Liverpool gefahren sei. Merrit Alberton beschwört diesen Umstand.«
»Das ergibt keinen Sinn«, meinte Henry nachdenklich.
»Wie kompetent ist die Polizei? Das frage ich mich.«
»Monk sagt, der mit dem Fall betraute Mann sei hervorragend. Aber ungeachtet dessen begleitete Monk ihn persönlich und sagt dasselbe. Die Waffen gingen vom Lagerhaus an den Fluss, dann flussabwärts bis Bugsby’s Marshes. Von dort wäre es eine Leichtigkeit gewesen, sie auf ein ozeantaugliches Schiff zu verladen und damit über den Atlantik zu fahren. Nicht einmal Breeland leugnet, sie genommen und sicher nach Amerika gebracht zu haben. Vermutlich wurden sie in der Schlacht bei Manassas eingesetzt.«
Henry erwiderte nichts, er hing seinen Gedanken nach.
»Hester hält das Mädchen für unschuldig«, fügte Oliver hinzu und wünschte augenblicklich, es nicht gesagt zu haben. Er hatte zu viel von sich preisgegeben. Nicht, dass Henry seine Gefühle nicht gekannt hätte. Hester hatte ihn oft genug besucht. Sie war in diesem Zimmer gesessen, hatte das verblassende Licht am Himmel beobachtet und die letzte Abendsonne, die die Spitzen der Pappeln vergoldet hatte, während die abendliche Brise durch die Blätter fächelte. Sie hatte Henry gern gehabt, sich hier zu Hause gefühlt und einen inneren Frieden und Trost gefunden in der Schönheit des Ortes, des Geißblattes und der Apfelbäume.
»Nicht, dass das ein Grund wäre, natürlich!«, fügte er hinzu und spürte, wie er errötete, als Henrys Augen sich weit öffneten. Natürlich war genau das ein Grund. Indem er es leugnete, hatte er nur noch mehr Aufmerksamkeit auf diesen Umstand gelenkt.
»Es scheint eine Menge Dinge zu geben, die du noch nicht weißt«, bemerkte Henry, der die Pfeife hoch hielt und sie trübselig betrachtete. »Vielleicht wurde das Mädchen missbraucht und ist sich dessen nicht bewusst.«
»Das ist möglich«, nickte Oliver. »Ich muss noch eine Fülle von Fragen beantworten können, wenn ich kompetent vor Gericht auftreten will, von einer Chance auf Erfolg gar nicht zu sprechen.«
Henry betrachtete Oliver angelegentlich. »Du hast den Fall übernommen, nehme ich an.«
»Nun… ja.«
Henry stöhnte. »Ein wenig überstürzt vielleicht. Aber du bist ja weit impulsiver, als du es gerne glauben möchtest.« Er lächelte und raubte damit seinen Worten die Schärfe. Er hegte eine tiefe Zuneigung zu seinem Sohn, und Oliver hatte diese nie in Zweifel gezogen.
»Ich werde Mrs. Alberton aufsuchen müssen«, erklärte er.
»Vielleicht möchte sie mich gar nicht mit dem Fall betrauen.«
Henry machte sich nicht die Mühe, etwas zu entgegnen. Er hatte ebenso viel Achtung vor den beruflichen Qualitäten seines Sohnes wie jeder andere.
»Was meint Monk?«, fragte er stattdessen.
»Ich habe ihn nicht gefragt«, gab Oliver ein wenig patzig zurück.
»Interessant, dass er es dir nicht sagte«, sagte Henry und studierte dabei seine Pfeife. »Für gewöhnlich geht er mit seinen Ansichten wenig diskret um. Entweder ist er unaufrichtig, oder er weiß es nicht.«
»Ich werde mehr wissen, sobald ich Merrit Alberton gesprochen habe und höre, was sie zu sagen hat«, fuhr Oliver fort, vielleicht mehr zu sich selbst sprechend als zu seinem Vater. »Dann werde ich wenigstens ihren Charakter einschätzen können. Und selbstverständlich werde ich, ob ich ihn nun vertrete oder nicht, mit Breeland sprechen müssen.«
»Beabsichtigst du, auch ihn zu vertreten?«
»Ich würde es lieber vermeiden, aber wenn er auch nur einen Funken von Verstand hat, wird er alles in seiner Macht Stehende tun, damit sie beide gemeinsam unter Anklage gestellt und verteidigt werden.«
»Was ist, wenn er darauf vorbereitet ist, sie zu verteidigen, indem er die ganze Verantwortung auf sich nimmt?«, fragte Henry ruhig. »Wenn er sie liebt, ist das wahrscheinlich. Wirst du ihm das erlauben?«
Oliver dachte einige Augenblicke lang nach. Was würde er tun, wenn Breeland gewillt wäre, die Verantwortung auf sich zu nehmen, um Merrit zu entlasten, und er selbst Merrit aber für schuldig hielt?
»Du denkst wohl besser noch einmal darüber nach«, warnte Henry »Wenn sie sich wirklich lieben, kann es sehr gut sein, dass beide versuchen werden, die Schuld für den anderen auf sich zu nehmen und dir damit die Aufgabe noch schwieriger machen, egal, wen du vertrittst. Daran hast du wohl noch nicht gedacht?«, fragte er überrascht.
»Nein«, gab Oliver zu. »Es war nichts, was Monk gesagt hatte, sondern eher etwas, was er zu erwähnen vergaß, aber ich gewann den Eindruck, Breeland würde sich für niemanden opfern. Doch ich muss erst noch einiges in Erfahrung bringen, ansonsten riskiere ich, mich in diesem Fall zu verheddern.«
»Stimmt«, nickte Henry. »Einerseits könnte Breelands Geschichte stimmen, auch wenn sie unwahrscheinlich klingt?«
»Du meinst, die Geschichte mit dem Unterhändler Shearer? Ich weiß es nicht. Ich kenne aber keinen Grund, die sie völlig unwahrscheinlich macht – ich werde Monk bitten, herauszufinden, ob es diesen Shearer wirklich gibt, und wenn ja, was er für ein Mensch ist. Könnte er Alberton selbst ermordet und das Geld für sich behalten haben?« Er fuhr fort, laut zu denken. »Das wäre die natürlichste Verteidigungsstrategie und ist vermutlich auch das, was Breeland behaupten wird. Wenn ich die aber benutze, muss ich sichergehen, dass sie nicht widerlegt werden kann.«
Schweigend betrachtete Henry ihn. Oliver erkannte, dass er eng mit Monk zusammenarbeiten müsste, ein Gedanke, den er bis jetzt beiseite geschoben hatte. Er wollte den Fall übernehmen, aber er wäre lieber unabhängig gewesen und hätte Hester und Monk die fertige Verteidigung präsentiert, anstatt die beiden um ihre Unterstützung bitten zu müssen.
»Hältst du es für möglich, dass Breeland schuldig ist und die Tochter sich dessen nicht bewusst ist?«, fragte Henry »Wenn sie davon wusste und nicht gewaltsam nach Amerika entführt wurde, dann ist sie eine Komplizin und dem Gesetz nach eine Mittäterin.«
Schnell fügte Oliver hinzu: »Ich weiß es nicht zweifelsfrei, aber nach dem, was Monk mir sagte, kann es nicht sein, dass sie sich der Wahrheit nicht bewusst ist. Sie und Breeland waren die Nacht zusammen, in der Alberton ermordet wurde, und sie war ganz gewiss nicht gezwungenermaßen in Amerika.« Er zögerte. »Außerdem wurde im Hof des Lagerhauses eine Uhr gefunden, die Breeland ihr als Andenken geschenkt hatte.«
Henry erwiderte nichts, aber sein Gesichtsausdruck sprach Bände.
Draußen wurden die Schatten auf dem Rasen länger, und die Luft war merklich kühler geworden. Ein Dreiviertel-Mond leuchtete am dunkel werdenden Himmel. Die Sonne hatte nun auch die Pappeln verlassen.
»Ich bin verpflichtet, auch Breeland zu verteidigen.«
Oliver brachte das Unvermeidliche zum Ausdruck.
»Außer er besteht auf einem eigenen Anwalt, und dann könnte ich mir vorstellen, dass Merrit Alberton sich für dieselbe Person entscheidet, ungeachtet der Wünsche ihrer Familie.«
»Wirst du ihn denn als Klient akzeptieren, wenn du ihn für schuldig hältst?«, fragte Henry. »Wenn du weißt, dass seine Verurteilung auch die des Mädchens zur Folge hat?«
Dies war ein moralisches Dilemma, das Oliver zutiefst verabscheute. Mordfälle stießen ihn meistens ab, weil sie von Brutalität zeugten und, soweit er es beurteilen konnte, auch unnötig waren. Breeland, oder ein anderer, hätte die Waffen auch stehlen können, ohne Alberton und die Nachtwächter zu töten. Sie hätten bewusstlos und gefesselt zurückgelassen werden können und damit keine Chance gehabt, den Diebstahl zu verhindern. Zu dem Zeitpunkt, als man sie fand, wäre Breeland längst in Sicherheit gewesen. Die Morde waren völlig überflüssig und zeugten von einer gänzlich sinnlosen Grausamkeit. Viel lieber hätte er ausschließlich für Merrit die Verteidigung übernommen, auch wenn ihm im Moment noch nichts Besseres eingefallen war, als auf ihre Jugend und ein gewisses Maß von Nötigung und Einschüchterung zu plädieren und dass sie die Gewaltanwendung nicht vorhersehen konnte. Keines dieser Argumente war jedoch auf Breeland anzuwenden.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich muss noch viel mehr verstehen, bevor ich überhaupt formulieren kann, wie ich meine Verteidigung aufbauen werde.«
Eine Weile wurde das Schweigen nicht unterbrochen. Henry stand auf, schloss die Terrassentüren und kehrte auf seinen Platz zurück.
»Außerdem gibt es da noch diese Sache mit der Erpressung«, begann Oliver schließlich erneut, und zu Henrys Überraschung erzählte er ihm, dass Monk kurz erwähnt hatte, Alberton hätte ihn bezüglich dieser dringlichen Angelegenheit konsultiert. »Ich nehme an, das könnte etwas mit der Sache zu tun haben«, sagte er unsicher.
»Nun, natürlich musst du herausfinden, wer dafür verantwortlich war«, stimmte Henry zu. »Vielleicht nahm jemand Rache dafür, die Waffen nicht erwerben zu können.«
»Aber Breeland log wegen der Gewehre!«, sagte Oliver und kehrte damit zu dem einen Punkt zurück, der unausweichlich schien. »Monk verfolgte sie doch bis hinunter zu Bugsby’s Marshes, nicht aber zum Bahnhof und nach Liverpool.« Er starrte in den leeren Kamin.
»Aber warum Mord?«, fragte Henry. »Nach dem, was du gesagt hast, musste Breeland Alberton nicht ermorden, um an die Waffen zu kommen. Nimm dieses Mädchen sehr sorgfältig unter die Lupe, Oliver, und ebenso die Witwe.«
Oliver erschrak. »Du meinst, ein häuslich motiviertes Verbrechen?«
»Oder ein finanzielles«, fügte Henry hinzu. »Was immer es auch ist, du musst dir sicher sein, bevor du vor Gericht trittst. Ich fürchte, du hast keine andere Wahl, als Monk damit zu beauftragen, so viel wie möglich herauszufinden, bevor du dich zu irgendetwas verpflichtest. Ich denke, du wärest gut beraten, die Verhandlung so lange wie möglich hinauszuzögern und viel mehr über Albertons Familie herauszufinden, bevor du dich für sie einsetzt, andernfalls würdest du deinem Klienten einen schlechten Dienst erweisen.«
Oliver sank tiefer in seinen Sessel, zufrieden, in diesem ruhigen Raum seinen Gedanken nachhängen zu können, ohne die Notwendigkeit, sich erheben zu müssen, um das Gas anzuzünden.
Henry nuckelte gedankenverloren an seiner Pfeife, aber er wusste, er konnte den Fall Alberton zumindest für diesen Abend ad acta legen.
Rathbone war verblüfft, als er Judith Alberton sah. Er hatte erwartet, das prächtige Haus würde in Schwarz drapiert sein, die Vorhänge geschlossen, ein Kranz an der Tür, und die Straße vor dem Haus würde mit Stroh bedeckt sein, um das Klappern der Pferdehufe zu dämpfen, die Spiegel würden verhangen oder gar zur Wand gedreht sein. Manche Leute hielten sogar die Uhren an. Alle Witwen trugen Trauerkleidung, gestatteten sich höchstens eine schwarze Bernsteinbrosche oder ein Medaillon, das mit Haaren des Verstorbenen dekoriert war, eine Sitte, die Rathbone abstoßend fand.
Aber Judith Albertons Gesicht war in seiner Schönheit bemerkenswert, und der außergewöhnlich starke Gefühlsausdruck darin machte es vollkommen nebensächlich, was sie trug.
»Ich danke Ihnen für Ihr Kommen, Sir Oliver«, begrüßte sie ihn, als er den dämmrigen Salon betrat. »Ich fürchte, unsere missliche Lage ist äußerst ernst. Ich nehme an, Mr. Monk hat Sie informiert. Wir benötigen dringendst die beste Hilfe, die wir finden können. Hat er Ihnen die Situation bereits geschildert?«
»Umrisshaft, Mrs. Alberton«, erwiderte er und nahm auf dem Stuhl Platz, den sie ihm anbot. »Aber ich muss noch sehr viel mehr verstehen, wenn ich das Beste für Sie erreichen soll.« Er vermied das Wort Erfolg. Er war sich nicht sicher, ob er überhaupt eine Chance hatte. Wie sähe ein Erfolg aus? Merrit freigesprochen und ein anderer verurteilt? Aber wer? Nicht Breeland, denn damals waren sie ineinander verliebt gewesen. Sie würden entweder überleben oder gemeinsam zu Grunde gehen. Das musste er ihr zu Bewusstsein bringen.
»Natürlich«, stimmte sie zu. Wenigstens nach außen hin war sie völlig gefasst. »Ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß. Ich bin nur nicht sicher, was Ihnen helfen könnte.« Die Verwirrung stand nur zu offensichtlich in ihren Augen. Ihre Hände lagen bewegungslos in ihrem Schoß, aber sie waren verkrampft, und die Knöchel traten weiß hervor.
Es war überraschend schwierig, einen Anfang zu machen. Es war stets unangenehm, in die Trauer eines Menschen einzudringen, in Dingen herumzustochern, die eine Seite des Toten ans Licht brachten, die andere nicht gekannt hatten, und die weniger schmerzvoll gewesen wären, hätte man sie geheim halten können. Aber drohende Gefahr erlaubte solchen Luxus nicht. Die Würde, mit der sie ihren Kummer zu verbergen suchte, berührte ihn tiefer, als dies Tränen vermocht hätten.
»Mrs. Alberton, aus dem, was ich bis jetzt gehört habe, schließe ich, dass es keine Möglichkeit zu geben scheint, Ihre Tochter getrennt von Lyman Breeland zu verteidigen.« Er sah, wie sich ihre Lippen aufeinander pressten, doch er konnte es sich nicht leisten, ihr, außer der Wahrheit, Dinge zu sagen, die sie gerne gehört hätte.
»Sie gaben beide an, in jener Nacht ständig beisammen gewesen zu sein«, fuhr er fort. »Ob sie sich über seine Absichten bewusst oder gar eine willige Komplizin war, darüber lässt sich streiten, obwohl wir natürlich bessere Beweise brauchen, als wir sie im Moment in der Hand haben, um die Geschworenen zu überzeugen. Unsere einzige Hoffnung ist, in Erfahrung zu bringen, was genau passiert ist, und dann unser Bestes zu tun, um alles darzulegen, was den Vorwurf entkräften könnte. Außer, es gelingt uns, zu beweisen, dass eine gewisse Möglichkeit besteht, dass eine andere Person der Schuldige ist.«
Er hatte wenig Hoffnung bei seinen Worten.
»Ich kenne die Wahrheit nicht«, gestand sie unverblümt.
»Ich kann nur einfach nicht glauben, dass Merrit zu etwas Derartigem fähig sein könnte… jedenfalls nicht freiwillig. Mr. Breeland kümmert mich nicht, Sir Oliver. Das hat er nie getan, aber mein Gatte hatte keine solchen Bedenken. Er verkaufte ihm die Waffen einfach deshalb nicht, weil er sich bereits dazu entschlossen hatte, sie Mr. Trace zu überlassen, und schon die Hälfte des Kaufpreises erhalten hatte.«
»Sind Sie sicher, dass Mr. Trace das Geld bezahlte?«
»Oh, ja.«
»Was ist mit dem Geld von Breeland?«
Sie riss die Augen auf. »Von Breeland? Es kam kein Geld von Breeland! Er stahl die Gewehre. Das war sicherlich der Grund, warum er – warum er meinen Mann und die Wächter ermordete, diese armen Männer. Ich tat für ihre Familien, was ich konnte, aber für den Verlust eines geliebten Menschen gibt es keine Entschädigung.«
»Man möchte annehmen, dass der Diebstahl der Grund war«, stimmte Oliver zu. »Und doch hätte er die Waffen stehlen können, ohne jemanden zu töten, nicht wahr? Ein Schlag auf den Kopf hätte sie überwältigt und sie ruhig gestellt, er hätte sie entsprechend fesseln und sie damit an Flucht oder Verfolgung hindern können.«
Er sah die Schatten in ihren Augen, den plötzlich aufflackernden Schmerz, als sie verstand, dass der Tod ihres Mannes für den Diebstahl gar nicht notwendig gewesen wäre, dass er aus Hass oder purer Grausamkeit ermordet worden war und nicht, weil er eine Rolle im amerikanischen Krieg gespielt hatte.
»Ich hatte darüber nachgedacht«, sagte sie leise und mit gesenkten Augenlidern, als ob sie sich vor seinem Verständnis schützen wollte.
Er war sich dieser Tatsache schmerzlich bewusst. Er wäre nicht in sie gedrungen, hätte er eine Alternative gewusst, doch Zeitdruck und die zwingenden Erfordernisse der Gesetze erlaubten keine Rücksichtnahme.
»Mrs. Alberton, wenn ich Ihre Tochter verteidigen soll, bin ich gezwungen, auch Mr. Breeland zu verteidigen, außer ich finde einen Weg, die beiden vor den Augen der Öffentlichkeit und damit vor den Augen der Geschworenen voneinander zu trennen. Ich muss die Wahrheit wissen, wie sie auch aussehen mag. Glauben Sie mir, ich kann es mir nicht erlauben, im Gerichtssaal mit Überraschungen konfrontiert zu werden oder einem Prozessgegner gegenüberzutreten, der die Fakten besser kennt als ich.« Er rutschte leicht auf seinem Stuhl hin und her. »Wissen ist meine einzige Waffe, und das Können der ganzen Welt kann einem Mann nichts anhaben, dessen Rüstzeug meinem weit überlegen ist. Die Geschichte von David und Goliath ist wunderbar und kann auf bestimmte Umstände übertragen werden. Was aber sehr oft übersehen oder gar vergessen wird, ist, dass David nicht allein dastand. Ich verfüge leider nicht über sein Vertrauen, dass Gott auf meiner Seite steht.« Er lächelte bei seinen Worten, machte sich damit über sich selbst lustig.
Ihr Kinn fuhr hoch, und sie suchte seinen Blick. »Ich habe absolutes Zutrauen, dass Merrit am Mord ihres Vaters nicht bereitwillig Hilfe leistete«, sagte sie, ohne zu zögern und mit starker Stimme. »Ich glaube jedoch nicht, dass Gott bei jedem Fehler der Justiz eingreift. Tatsache ist doch, dass wir alle nur zu gut wissen, dass er das nicht tut. Sagen Sie mir, was Sie von mir benötigen, Sir Oliver. Ich werde alles geben, was ich besitze, um meine Tochter zu retten.«
Er zweifelte nicht daran, dass sie das auch so meinte. Selbst wenn er sich noch keine Meinung über sie gebildet hätte, wäre ihre Not, ihr Mut und ihre Angst offen in ihrem Gesicht zu lesen gewesen.
»Ich benötige sämtliche Fakten, die sich nur finden lassen«, erwiderte er. »Und ich benötige Ihre Zustimmung, sollte es sich als notwendig herausstellen, was sein kann, dass ich auch Breeland verteidige, welche Konsequenzen sich daraus auch ergeben mögen.« Er beobachtete sie genau, während er sprach, sah am Flackern ihrer Augen, mit welchem Widerstreben sie sich mit einem Mann liieren würde, den sie für den Mörder ihres Gatten hielt.
»Bitte denken Sie genau darüber nach, Mrs. Alberton, bevor Sie antworten«, warnte er. »Ich weiß nicht, worauf ich noch stoßen werde, wenn ich mich erst einmal näher und eindringlicher mit der Sache befasse. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es etwas sein wird, was Sie zu erfahren wünschen. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich alles tun werde, um Ihren Interessen zu dienen, wenn Sie mich mit dem Fall beauftragen. Ich kann und werde mich Ihres Vertrauens als würdig erweisen. Aber ich werde Sie weder anlügen, noch werde ich Sie vor der Wahrheit schützen können.«
»Ich verstehe.« Sie war jetzt sehr blass, und ihr ganzer Körper schien sich verkrampft zu haben, als ob sie völlig zusammenbrechen würde, würde sie ihre eiserne Kontrolle verlieren. »Ich werde es ertragen, was immer Sie auch herausfinden mögen. Ich glaube, am Ende wird sich herausstellen, dass sich meine Tochter keiner Missetat, höchstens der Torheit schuldig gemacht hat. Tun Sie, was immer Sie für nötig erachten, Sir Oliver.«
»Das wird beinhalten, Monk noch einmal einzuschalten, damit er in dem Fall weitergehende Ermittlungen anstellt, als es bis dato geschehen ist.«
»Alles, was Sie für angemessen halten«, nickte sie.
»Wenn Sie ihm vertrauen, tue ich das auch. Er erwies sich ohnehin bereits mehr als befähigt, indem er Merrit nach Hause zurückbrachte. Wie er es zustande brachte, Breeland davon zu überzeugen, ebenfalls zu kommen, das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Mit vorgehaltener Waffe, soweit ich es verstanden habe«, entgegnete Oliver trocken. »Aber es scheint, diese Maßnahme war eher deshalb nötig, weil Breeland bei seinem Regiment bleiben wollte, nicht so sehr, weil er sich vor dem Prozess fürchtete. Er behauptet, sich weder des Mordes noch des Raubes schuldig gemacht zu haben.«
Sie erwiderte nichts. Verschiedene Emotionen huschten über ihr Gesicht: Angst, Schmerz, Verwirrung, Zweifel.
Er erhob sich. »Zuerst werde ich mich auf den Weg machen, um mich mit Miss Alberton zu unterhalten. Ich kann wenig unternehmen, bevor ich nicht gehört habe, was sie zu sagen hat.«
»Werden Sie zurückkommen und mir erzählen, was sie sagte?«
Hastig erhob sie sich. Sie bewegte sich mit bemerkenswerter Grazie, was ihm erneut zu Bewusstsein brachte, welch schöne Frau sie war.
»Ich werde Sie auf dem Laufenden halten«, versprach er. Es war nicht ganz die Antwort, die sie erbeten hatte, aber es war alles, was er versprechen konnte. Als der Diener ihn an die Tür brachte, fragte er sich, wie sehr er dieses Versprechen wohl bereuen mochte. Er konnte sich keinen Ausgang dieses Falles vorstellen, der nicht tiefes und schreckliches Leid verursachen würde, und es schien keine Antworten zu geben, die Judith Albertons schmerzlichen Verlust nicht noch gesteigert hätten.
Oliver Rathbone hatte keine Schwierigkeiten, die Erlaubnis zu einem Gespräch mit Merrit zu erhalten. Er stand in dem kleinen kargen Raum im Gefängnis, in dem sie vor der Verhandlung festgehalten wurde. Die steinernen Wände waren gekalkt, der Fußboden bestand aus Steinquadern. Die Scharniere der Eisentür waren tief in den Türrahmen eingebettet, auf der anderen Seite biss das Schloss tief hinein, als ob sich ein verzweifelter Mensch in dem blinden Versuch zu fliehen, dagegenwerfen könnte.
Es gab einen Tisch, an dem er sitzen und vielleicht schreiben konnte, doch es gab kein Tintenfass. Ein Bleistift würde genügen müssen. Ein zweiter Stuhl war für den Angeklagten gedacht.
Als sie eintrat, war er erneut überrascht. Er hatte eine mädchenhafte, wütende, verängstigte Person erwartet, die höchstwahrscheinlich wenig geneigt war, mit ihm zusammenzuarbeiten. Stattdessen erblickte er eine junge Frau, die niemals mit der Schönheit ihrer Mutter würde konkurrieren können, die aber dennoch über Spuren von Liebreiz und Würde verfügte, obwohl sie ganz offensichtlich erschöpft war und sich das Haar, das am Hinterkopf zusammengefasst und mit Nadeln befestigt war, anscheinend ohne Zuhilfenahme eines Spiegels frisiert hatte. Da sie noch keines Verbrechens überführt war, trug sie noch ihre eigenen Kleider. Es war ein blaues Musselinkleid mit weißem Kragen, der die Blässe ihrer Haut betonte. Es war sauber und frisch. Ihre Mutter musste es ihr geschickt haben.
»Die Aufseherin sagte, Sie wären Sir Oliver Rathbone und Sie würden mich verteidigen«, sagte sie sehr leise.
»Ich nehme an, meine Mutter hat Sie beauftragt.« Es klang nicht nach einer Frage. Sie wussten beide, dass es keine andere Erklärung gab.
Er setzte zu einer Erwiderung an, aber sie unterbrach ihn. »Ich hatte keinen Anteil am Mord meines Vaters, Sir Oliver.« Ihre Stimme zitterte kaum merklich. »Aber ich werde Ihnen nicht erlauben, mich zu benutzen, um die Schuld auf Mr. Breeland abzuwälzen.« Als sie seinen Namen aussprach, hob sie leicht das Kinn, und ihre Mundwinkel wurden weich.
»Vielleicht erzählen Sie mir, was Sie wissen, Miss Alberton«, erwiderte er, wobei er auf den Stuhl ihm gegenüber deutete, damit sie Platz nahm.
»Nur unter der Voraussetzung, dass ich nicht manipuliert werde«, antwortete sie. Sie stand sehr gefasst vor ihm und wartete auf seine Antwort, bevor sie sich auch nur bereit erklärte, ihm zuzuhören.
Plötzlich wurde ihm bewusst, wie jung sie noch war. Ihre Loyalität war blind, vollkommen und vielleicht das Wertvollste, was ihr eigen war. Er konnte sich vorstellen, dass sie sich über diese Eigenschaft definierte, über die Fähigkeit, jemanden absolut zu lieben. Er konnte sich selbst kaum an solch tief empfundene Leidenschaft erinnern. Doch er hoffte, einst selbst so glühend, so achtlos sich selbst gegenüber gewesen zu sein und die Liebe über alles gesetzt zu haben.
Doch Zeit und Erfahrung hatten das geändert… zu sehr. Hätte er vielleicht nicht solch große Angst gehabt, so heftig zu lieben, hätte er möglicherweise Hester nicht verloren. Aber dies waren sinnlose Gedanken, die zu schmerzlich waren, um sich ihnen, wenn auch nur flüchtig, hinzugeben.
»Ich habe keinerlei Absicht, Sie zu manipulieren«, entgegnete er mit einer Leidenschaft, die ihn selbst überraschte. »Ich möchte die Wahrheit erfahren, oder wenigstens so viel davon, wie Sie mir darüber berichten können. Beginnen Sie bitte mit den einfachen Tatsachen. Später können wir uns dann mit Schlussfolgerungen und Meinungen beschäftigen. Vielleicht möchten Sie mit dem Todestag Ihres Vaters beginnen, außer Sie haben das Gefühl, dass frühere Ereignisse relevant sein könnten.«
Sie setzte sich folgsam und sammelte sich, wobei sie die Hände faltete.
»Mr. Breeland und Mr. Trace wollten beide die Waffen erwerben, die mein Vater zu verkaufen hatte. Jeder natürlich für seine Seite in Amerikas Bürgerkrieg. Mr. Trace repräsentierte die Konföderierten, die Sklavenstaaten. Mr. Breeland ist Angehöriger der Union und tritt gegen die Sklaverei ein, überall.« Der stolze und wütende Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Bis hierhin konnte Rathbone nicht umhin, sich mit ihrer Meinung zu identifizieren. Er unterbrach sie nicht.
»Mein Vater sagte, er hätte bereits versprochen, die gesamte Waffenlieferung, über sechstausend Gewehre, an Mr. Trace zu verkaufen«, fuhr sie fort. »Und er wollte seinen Entschluss auch nicht ändern, egal, was Mr. Breeland oder auch ich dazu zu sagen hatten. Wir brachten jedes Argument gegen die Sklavenhaltung an, beschrieben das Grauen und die Ungerechtigkeit, jede Monstrosität menschlicher Grausamkeit, aber er wollte sich nicht umstimmen lassen.« In ihren Augen standen Tränen, aber voller Zorn blinzelte sie und ärgerte sich, derlei Gefühle gezeigt zu haben. »Ich stritt mit ihm.« Sie zog die Nase hoch, dann schüttelte sie den Kopf, als sie bedachte, wie unelegant das wirken musste.
Rathbone bot ihr sein Taschentuch an.
Sie zögerte, dann nahm sie es, schnäuzte sich und fuhr dann fort.
»Ich danke Ihnen. Ich war wirklich sehr aufgebracht. Ich denke umso mehr, da ich immer nur das Beste von ihm gedacht hatte. Ich hatte an ihm nie die Seite gesehen, die …« Sie senkte die Augen und wich seinem Blick aus.
»Die nicht zugeben konnte, dass er einen Fehler begangen hatte, und die nicht willens war, einer besseren Sache zuliebe nachzugeben. Ich sagte einige Dinge zu ihm, die ich jetzt nur zu gerne zurücknehmen würde. Nicht, dass sie nicht wahr gewesen wären, aber ich konnte doch nicht wissen, dass es die letzten Worte sein würden, die er je von mir hören würde.«
Rathbone wollte ihr keine Zeit lassen, bei dem Gedanken zu verweilen.
»Sie verließen also den Raum. Wohin gingen Sie?«
»Was? Oh! Ich ging nach oben, packte eine Reisetasche mit dem Nötigsten – Wäsche, ein paar frische Blusen, Toilettenartikel –, das war alles.«
»Wo war Mr. Breeland während des Streites?«
»Ich weiß es nicht. In seiner Wohnung, nehme ich an.«
»Er war nicht mehr im Haus Ihrer Eltern?«
»Nein. Er war nicht Zeuge des Streits, wenn es das ist, was Sie denken.«
»Es kam mir nur so in den Sinn. Wohin gingen Sie dann?«
»Ich verließ das Haus.« Ihre Wangen überzogen sich mit zarter Röte. Er glaubte ihr, dass sie sich der Tragweite des Schrittes bewusst war, den sie unternommen hatte, und dass sie das Risiko, das dieser für ihren Ruf darstellte, mit ebenso viel Vernunft abzuschätzen wusste wie ihre Mutter. Sie atmete tief durch. »Ich ging durch den Dienstbotenausgang an der Seite des Hauses, ging die Straße bis zur Hauptstraße entlang, bis sich ein Hansom fand. Ich hielt ihn an und nannte dem Fahrer die Adresse von Mr. Breelands Wohnung.«
Er musste nicht nach der Adresse fragen, Monk hatte sie ihm bereits genannt.
»War Mr. Breeland zu Hause?«
»Ja. Er hieß mich willkommen, vor allem, nachdem ich ihm von dem Streit erzählte, den ich mit meinem Vater hatte.« Sie beugte sich über den Tisch. »Aber Sie müssen wissen, dass er mich in keinster Weise dazu ermutigte, mich meinen Eltern zu widersetzen oder mich auch nur im Mindesten ungeziemend zu verhalten. Ich verlange, dass Sie das ganz und gar glauben!«
Rathbone war nicht sicher, was er glauben sollte, aber es wäre eine Torheit gewesen, ihr dies zu sagen. Es tat auch nichts zur Sache. Er konnte es sich nicht leisten, sich diesbezüglich mit Breelands Moral zu befassen.
»Ich stelle das nicht in Frage, Miss Alberton. Ich muss wissen, wie Sie den Rest der Nacht verbrachten, bis Sie London hinter sich ließen. Sehr präzise, wenn ich bitten darf. Lassen Sie nichts aus.«
»Sie denken, Lyman hätte meinen Vater ermordet.« Ihre Augen richteten sich direkt auf ihn, und ihre Stimme war fest. »Er tat es nicht. Was er Mr. Monk sagte, ist die volle Wahrheit. Ich weiß es, weil ich bei ihm war. Wir verbrachten den Abend, indem wir uns miteinander unterhielten und planten, was wir tun sollten.« Ein erstes Lächeln huschte um ihre Lippen, sie schien sich über sich selbst und eine unschuldigere Vergangenheit lustig zu machen. »Er versuchte mich dazu zu überreden, mit meinen Eltern Frieden zu schließen. Er warnte mich vor dem Krieg in seinem Land und erklärte mir, dass die Ehre von ihm fordert, sich seinem Regiment anzuschließen und zu kämpfen. Selbstverständlich wusste ich das bereits. Ich wünschte mir einfach nur, seine Frau zu werden und auf ihn zu warten, ihn zu unterstützen und alles zu tun, um im Kampf gegen die Sklaverei behilflich zu sein. Ich stellte mir keinen Augenblick lang vor, einfach nur in ein friedvolles neues Leben an einem anderen Ort der Welt zu segeln.«
Rathbone glaubte ihr. Ihr Ernst war offenkundig, und er meinte, den Anflug von Enttäuschung in ihrer Stimme zu vernehmen, über den sie wohl selbst überrascht war. Irgendetwas belastete sie, aber bis jetzt hatte er keine Ahnung, was es war.
»Bitte fahren Sie fort«, sagte er. »Erzählen Sie mir genau, was passierte. Ließ Breeland Sie an jenem Abend je allein?«
»Nicht länger als ein paar Augenblicke«, erwiderte sie.
»Er verließ seine Wohnung nicht. Es war fast Mitternacht, und wir sprachen immer noch davon, was wir unternehmen sollten.« Der Ausdruck von Stolz und Zärtlichkeit trat einen Moment lang in ihre Augen. »Er war um meinen Ruf besorgt, mehr als ich selbst es war. Wenn ich die Nacht in seinem Wohnzimmer geschlafen hätte, hätte niemand in Amerika es erfahren, und allein das war mir wichtig. Dennoch sorgte er sich um mich, und das belastete ihn.«
Rathbone wusste besser als sie, wie schnell sich Gerüchte verbreiteten, und der Gedanke ging ihm durch den Kopf, inwieweit Breelands Sorge um ihren Ruf darin begründet war, weil er ihn als ihren künftigen Ehemann betreffen könnte. Doch dies war eine unbarmherzige Regung, und er sprach sie nicht laut aus.
Sie schluckte. Trotz ihres Versuches, Ruhe zu bewahren, und ihres unzweifelhaften Mutes, war der Preis hoch, den sie zahlte.
»Kurz vor Mitternacht kam ein Junge mit einer Depesche für Lyman. Es war eine Nachricht. Er riss sie auf und las sie. Sie besagte, dass mein Vater seinen Entschluss bezüglich des Verkaufs der Waffen geändert habe, dies aber aus offenkundigen Gründen vor Mr. Trace nicht habe äußern können. Er würde Trace das Geld später zurückbezahlen, und er erklärte, Lymans Argumente über die Sklavenhaltung hätten ihn schließlich überzeugt, so dass er den Konföderierten die Waffen nicht mehr guten Gewissens verkaufen konnte. Lyman sollte zum Bahnhof am Euston Square kommen, wo ihm die Gewehre übergeben werden sollten. Liverpool wäre der beste Hafen, um sie auf ein Schiff nach Amerika zu verladen.« Sie beobachtete ihn eindringlich, schien ihn förmlich zwingen zu wollen, ihr Glauben zu schenken.
Er erkannte, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit Breelands Worte für die Erklärung benutzt hatte, aber er unterbrach sie nicht.
»Und das tat er auch«, fuhr sie fort. »Wir begannen sofort zu packen, nahmen jedoch nur mit, was für ihn von größter Wichtigkeit war. Selbst dafür blieb kaum Zeit. Aber die Waffen waren das Allerwichtigste. Sie waren schließlich Teil des Kampfes für die Freiheit und für eine Sache, die stets Priorität haben sollte über materielle Besitztümer.«
»Sie halfen ihm beim Packen?«
»Natürlich. Ich hatte selbst nur wenig bei mir.« Wieder huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Sie musste wohl an ihren eigenen hastigen Aufbruch im Namen der Liebe und des Prinzips denken, der ihr lediglich erlaubt hatte, nur das mitzunehmen, was sie in eine kleine Tasche stopfen und in der Hand tragen konnte. Oliver versuchte sich vorzustellen, welche lieb gewordenen Wertgegenstände sie in ihrem kurzen Leben gesammelt haben mochte, die sie hatte zurücklassen müssen. Offensichtlich hatte sie dies ohne größeres Bedauern getan. Er dachte, wie tief, wie selbstlos sie Breeland lieben musste. Es schmerzte ihn überraschend heftig, zu denken, dass dieser sich ihrer Liebe vielleicht vollkommen unwürdig erweisen mochte. Als er das Wort ergriff, klang seine Stimme ärgerlicher, als er es beabsichtigt hatte.
»Und von wem stammte die Nachricht? Ich nehme an, sie trug eine Unterschrift.«
»Ja, natürlich«, erwiderte sie entrüstet. »Er hätte wohl kaum gehandelt und alles zurückgelassen, hätte er nicht gewusst, wer sie geschickt hatte.«
»Und wer war das?«
Die Farbe ihrer Wangen wurde kräftiger, und einen Moment lang war sie verwirrt, als sie erkannte, wie viel von der Wahrheit ihrer Antwort abhing und sie diese vielleicht gar nicht völlig kannte.
»Sie war von Mr. Shearer unterzeichnet«, sagte sie kämpferisch. »Natürlich… jetzt, im Licht der Morde…« Sie schluckte. Scheinbar konnte sie in diesem Zusammenhang den Namen ihres Vater nicht erwähnen. Ihr Kinn fuhr hoch. »Aber als wir an den Euston Square kamen, waren die Waffen tatsächlich da und bereits in einen Waggon verladen. Lyman ließ mich nie für länger als ein paar Augenblicke allein, und das erst, als die Waffen übergeben wurden und er Mr. Shearer bezahlte. Er hatte eine schriftliche Bestätigung, dass er autorisiert war, das Geld an meines Vaters Stelle in Empfang zu nehmen, und so hatte alles seine Ordnung. Ich… ich war so glücklich, dass mein Vater letztendlich die Gerechtigkeit der Sache eingesehen hatte, für die Lyman kämpfte, und seine Meinung geändert hatte.«
»Aber Sie haben nicht daran gedacht, nach Hause zurückzukehren und ihm das zu sagen?«
Ihre Augen bekamen einen kummervollen Ausdruck.
»Nein«, beeilte sie sich zu sagen. »Ich liebte Lyman und wollte mit ihm nach Amerika reisen. Ich… ich war immer noch ärgerlich auf meinen Vater, weil er so lange gebraucht hatte, einzusehen, was mir von Anfang an klar war. Sklaverei ist ein schreckliches Übel. Ein menschliches Wesen wie einen Besitz zu behandeln kann niemals richtig sein.«
Oliver wusste nicht, was er denken sollte. Die Geschichte ergab keinen Sinn, und gleichwohl hatte er nicht den Eindruck, dass sie log. Sie glaubte, was sie sagte. Hatte Breeland sie irgendwie betrogen? Wenn er Alberton nicht ermordet hatte, hatte er jemanden dazu angestiftet? Diesen Shearer etwa? »Erzählen Sie mir von der Fahrt nach Liverpool und was sich dort zutrug«, forderte er sie auf.
»Warum sollte das wichtig sein?« Sie war verwundert.
»Bitte erzählen Sie«, insistierte er.
»Gut. Lyman begleitete mich zu einem Abteil, in dem ich einigermaßen behaglich sitzen konnte, und sagte, ich solle dort auf ihn warten, bis er mit dem Schaffner gesprochen hatte. Nach etwa zehn Minuten kam er zurück, und kurz danach fuhr der Zug los.«
»Wer war außer Ihnen noch in dem Waggon?«, unterbrach er sie.
»Was tut das zur Sache? Niemand, den ich kannte. Ich habe mit niemandem gesprochen. Ein alter Mann mit einem mächtigen Backenbart. Eine Frau mit einem scheußlichen Hut, bestimmt der hässlichste, den ich je gesehen habe, braun und rot! Warum kombiniert jemand nur Braun und Rot? Ansonsten kann ich mich an niemanden erinnern. Es ist alles unwichtig.«
»Wo hielt der Zug an?«, drängte er.
Gehorsam beschrieb sie die Reise in all ihren eintönigen Details.
Er notierte sich ihre Antworten in hastigen, kaum leserlichen Schriftzügen.
»Und in Liverpool?«
Sie berichtete ihm von Breelands Schwierigkeiten, die Waffen vorübergehend irgendwo zu lagern und Passagen auf einem Schiff zu buchen, das über Queenstown in Irland nach New York fuhr. Mit jedem Detail wurden die Bilder realer, und er war immer mehr davon überzeugt, dass sie ihre Geschichte aus eigener Erfahrung schilderte, nicht aus purer Vorstellungsgabe.
»Ich danke Ihnen«, sagte er schließlich. »Sie waren sehr geduldig, Miss Alberton, und Sie haben mir sehr geholfen, eine Verteidigung für Sie aufzubauen.«
»Ich erlaube Ihnen nicht, mich auf Lymans Kosten zu verteidigen!«, rief sie schnell und beugte sich mit gerötetem Gesicht über den Tisch. »Bitte verstehen Sie das! Ich werde Sie ablehnen, oder was immer auch nötig sein wird, wenn…«
»Das habe ich bereits verstanden, als Sie es mir zum ersten Mal mitteilten, Miss Alberton«, erwiderte er gleichmütig. »Ich werde dies nicht tun. Sie haben mein Wort darauf. Ich kann Ihnen jedoch nicht versprechen, was das Gericht tun wird, und ich konnte noch niemals jemandem versprechen, was die Geschworenen tun werden. Aber für mich selbst kann ich sagen, dass ich zu meinem Versprechen stehe.«
Sie lehnte sich zurück. »Ich danke Ihnen, Sir Oliver. Ich bin sehr dankbar, dass Sie sich für mich und… einsetzen und tun, was Sie können.«
Er erhob sich und empfand plötzlich heftiges Mitleid mit ihr.
Sie war so jung, fast noch ein Kind, und sie versuchte, sich wie eine erwachsene Frau zu benehmen und ihre Würde zu bewahren. Er wünschte sich sehnlichst, sie trösten zu können oder dass entweder ihre Mutter oder ihr Vater, oder sogar Breeland, dieser verdammte Kerl, zu ihr kommen könnten. Doch alles, was er tun konnte, um ihr zu helfen, war, die Förmlichkeit zu wahren und die entschlossene Selbstkontrolle zu unterstützen, auf die sie sich so sehr verließ.
»Ich werde wiederkommen und Ihnen mitteilen, wie ich vorankomme«, sagte er vorsichtig. »Sollten Sie mich einige Tage lang nicht zu sehen bekommen, dann deshalb, weil ich meine Bemühung in Ihrer Sache voranzutreiben versuche. Guten Tag, Miss Alberton.« Ein wenig hastig wandte er sich um und vermied es, in ihre Augen zu blicken, aus denen nun die Tränen quollen.
Sowohl aus Neugier als auch aus Pflichtgefühl drängte es Rathbone, Lyman Breeland aufzusuchen. Dies war jedoch keine Aufgabe, von der er erwartete, sie würde einfach oder gar angenehm sein.
Er wurde in einen Raum geführt, der dem in der Frauenabteilung des Gefängnisses glich und die gleichen gekalkten Wände, den gleichen einfachen Tisch und zwei hölzerne Stühle aufwies.
In mancherlei Hinsicht war Breeland genau so, wie Rathbone es erwartet hatte. Er war groß und hager und hatte einen athletischen, an körperliche Ertüchtigung gewöhnten Körper. Man hätte ihn als einen Mann der Tat eingeschätzt. »Militär« war das Erste, was einem wegen seiner strammen Haltung und eines gewissen Stolzes, den er sogar unter diesen niederschmetternden Umständen nicht abgelegt hatte, in den Sinn kam. Er war mit einem einfachen Hemd und einer Hose bekleidet, die ihm einen oder zwei Fingerbreit zu kurz war. Vermutlich war sie geliehen. Er hatte das Schlachtfeld bei Manassas sicherlich mit schmutziger und blutbefleckter Uniform verlassen.
Aber Breelands Gesicht überraschte Rathbone. Ohne sich dies bewusst gemacht zu haben, hatte er sich eine Meinung gebildet und einen Mann zu sehen erwartet, in dessen Gesicht sich Leidenschaften ablesen lassen würden, Eifer und Loyalität sowie ein Wille, der sich über sämtliche Hindernisse, über Schmerz und schroffe Abweisung hinwegsetzen würde. Vielleicht hatte er sich unbewusst jemanden wie Monk vorgestellt.
Stattdessen sah er sich einem gut aussehenden Mann gegenüber, der auf andere Weise unzugänglich wirkte. Sein Gesicht war glatt, seine Züge vollkommen ebenmäßig, aber etwas darin schien völlig unnahbar zu sein. Vielleicht hatte es noch zu wenig Falten, als ob seine Emotionen zwar alle vorhanden, aber noch unter der glatten Oberfläche begraben wären.
»Guten Tag, Mr. Breeland«, begann er. »Mein Name ist Oliver Rathbone. Mrs. Alberton engagierte mich, um ihre Tochter zu verteidigen, und ich wage zu behaupten, Sie werden es begrüßen, dass es nötig sein wird, Merrit Albertons und Ihre Verteidigung entweder in die Hand eines Mannes oder in die Hände zweier Männer zu legen, die als eine Person fungieren.«
»Selbstverständlich«, stimmte Breeland zu. »Keiner von uns beiden ist schuldig. Außerdem waren wir die ganze Zeit über in gegenseitiger Gesellschaft, als das Verbrechen begangen wurde. Sicherlich wurden Sie darüber bereits informiert.«
»Ich sprach mit Miss Alberton. Dennoch möchte ich hören, was Sie in eigener Sache darüber zu sagen haben, wenn Sie wünschen, dass ich mich auch für Sie verwende, oder was Sie zugunsten von Miss Alberton vorbringen können, sollten Sie es vorziehen, sich von jemand anderem vertreten zu lassen.«
Kein Lächeln flog über Breelands Gesicht. »Ich hörte, Sie seien der Beste, und es scheint mir vernünftig zu sein, uns von einer Person verteidigen zu lassen. Da Sie offenbar bereit dazu sind, nehme ich das Angebot an. Ich verfüge über genügend Mittel, wie hoch Ihre Forderungen auch sein mögen.«
Er drückte sich sonderbar distanziert aus, als ob Rathbone sich aufdringlich um ein Geschäft beworben hätte. Er war unter Androhung von Gewalt in ein fremdes Land zurückgebracht worden, um für ein Verbrechen vor Gericht gestellt zu werden, für das er gehängt werden würde, wenn er schuldig gesprochen wurde. Er würde von einem Fremden verteidigt werden, dem er vertrauen musste, ohne die Möglichkeit zu haben, ihn einer Prüfung zu unterziehen. Jeder Mann, der kein Narr war, würde sich zunächst abwartend verhalten und verärgert oder ängstlich reagieren.
Rathbone beschloss, keinen Versuch zu machen, eine persönliche Beziehung herzustellen. Zunächst wollte er ganz formell die Fakten feststellen.
»Gut«, sagte er gnädig. »Wenn Sie vielleicht Platz nehmen wollen, dann könnten wir damit beginnen, die Details unserer Strategie zu besprechen.«
Breeland setzte sich gehorsam. Er bewegte sich geschmeidig, ja sogar mit Grazie, lediglich eine Schulter schien etwas ungelenk zu sein.
Rathbone setzte sich ihm gegenüber. »Würden Sie damit beginnen, wie Sie Daniel Alberton kennen gelernt haben.«
»Ich hörte seinen Namen im Metier der Waffenhändler«, antwortete Breeland. »Er ist bekannt, er genießt Vertrauen, und er konnte qualitativ hochwertige Waffen liefern, und das auch noch schnell. Ich nahm Kontakt mit ihm auf und versuchte, erstklassige Musketen mit Munition für die Union zu erwerben. Ich berichtete ihm über das Anliegen, für das wir uns einsetzen. Ich erwartete nicht von ihm, zu verstehen, dass die Union für uns von größter Wichtigkeit ist. Von einem Engländer kann man nicht erwarten, den Schaden zu begreifen, den eine Sezession verursachen würde, aber ich dachte, jede zivilisierte Nation würde der Versklavung einer Rasse durch eine andere ein Ende bereiten wollen.« Die Verachtung in seiner Stimme war schneidend. Sie hatten sich erst wenige Minuten miteinander unterhalten, und sicherlich war sich Breeland der Gefahr bewusst, in der sein Leben schwebte, und doch hatte er die erste Gelegenheit ergriffen, um seiner Leidenschaft für die Sache der Union Ausdruck zu verleihen.
Rathbone fand dies eigenartig beunruhigend, obwohl er nicht sicher war, warum.
Breeland fuhr fort, seine Versuche, mit Alberton ins Geschäft zu kommen, und sein Scheitern zu beschreiben. Alberton hatte Philo Trace sein Wort gegeben und dessen Geld angenommen und fühlte sich somit gebunden. Widerwillig zollte Breeland einer derartigen Haltung Respekt, trotzdem war er der Meinung, die Gerechtigkeit der Sache der Union hätte das Gefühl der Verpflichtung jedes Mannes aufheben müssen.
Rathbones Antwort war spontan und wenig überlegt.
»Kann irgendeine Gruppe kollektive Ehre für sich in Anspruch nehmen, ohne die Ehre der Individuen zu betrachten, aus denen sie sich zusammensetzt?«
»Natürlich«, erwiderte Breeland mit einem direktem, Konfrontation suchenden Blick. »Die Gruppe ist immer wichtiger als der Einzelne. Das ist es doch, was Gesellschaft ausmacht, das ist Zivilisation. Es überrascht mich, dass Sie fragen mussten. Oder wollen Sie mich auf die Probe stellen?«
Rathbone wollte bereits leugnen, doch dann erkannte er, dass er ihn auf gewisse Weise tatsächlich auf die Probe stellte, wenngleich nicht so, wie Breeland dies annahm.
»Was ist der Unterschied zwischen dem und der Behauptung, der Zweck heilige die Mittel?«, fragte der Anwalt.
Breeland sah ihn an, seine klaren, grauen Augen drückten keinerlei Unschlüssigkeit aus. »Unsere Sache ist gerecht«, erwiderte er mit einem scharfen Unterton. »Kein vernünftig denkender Mensch könnte das in Zweifel ziehen, aber ich tötete weder Daniel Alberton oder sonst irgendjemanden, außer natürlich auf dem Schlachtfeld, von Angesicht zu Angesicht, wie es ein Soldat tut.«
Rathbone gab keine Antwort. »Erzählen Sie mir, was in jener Nacht passierte, als Sie sich mit Alberton stritten und Miss Alberton später das Haus verließ, um zu Ihnen zu kommen.«
»Sie sprachen doch mit ihr. Hat sie es Ihnen nicht erzählt?«
»Ich will Ihre Version der Ereignisse hören, Mr. Breeland. Bitte berichten Sie.« Rathbone war zornig, ohne zu wissen, weshalb.
»Wenn Sie wünschen. Sie wird alles bestätigen, was ich sage, weil es der Wahrheit entspricht.« Breeland fuhr fort, den Abend zu beschreiben, und im Grunde sagte er dasselbe wie Merrit Alberton. Rathbone drängte ihn, Details der Zugfahrt nach Liverpool zu erzählen, den Waggon zu beschreiben, in dem sie saßen, und sich einiger Bagatellen bezüglich der Mitreisenden und ihrer Kleidung zu erinnern.
»Ich sehe den Sinn nicht«, protestierte Breeland, und ein Anflug von Wut verdüsterte sein Gesicht. »Warum soll das auch nur die geringste Bedeutung für Daniel Albertons Tod haben, welchen Hut irgendeine Frau Stunden später in einem Eisenbahnwaggon trug?«
»Ich sage Ihnen nicht, wie Sie Ihren Waffenhandel zu betreiben haben, Mr. Breeland«, gab Rathbone patzig zurück. »Sagen Sie mir bitte nicht, wie ich eine Verteidigung vorbereite oder welche Informationen ich dazu benötige.«
»Wenn Sie das Gefühl haben, eine Beschreibung des Hutes der Frau zu benötigen, Mr. Rathbone, dann werde ich sie Ihnen geben«, antwortete Breeland kühl. »Aber Miss Alberton wäre sicherlich weit besser in der Lage, Ihnen derlei Dinge zu beschreiben. Mir erscheint das sowohl trivial als auch absurd.«
»Sir Oliver«, korrigierte Rathbone ihn mit eisigem Lächeln.
»Was?«
»Mein Name ist ›Sir Oliver‹, nicht ›Mr. Rathbone‹. Und der Hut ist wichtig. Bitte beschreiben Sie ihn.«
»Er war groß und ausnehmend scheußlich. Soweit ich mich erinnern kann, war er hauptsächlich rot, kombiniert mit einem anderen, dumpferen Ton, braun oder etwas Derartiges – Sir Oliver.«
»Ich danke Ihnen. Ich glaube Ihrem Bericht über die Reise, obwohl er den Fakten zu widersprechen scheint, über die die Polizei verfügt.« Er erhob sich.
»Es ist die Wahrheit«, erwiderte Breeland und stand ebenfalls auf. »Ist das alles?«
»Für den Augenblick, ja. Gibt es etwas, was ich für Sie tun könnte? Möchten Sie Ihrer Familie oder sonst irgendjemandem eine Nachricht zukommen lassen? Haben Sie alles, was Sie an Kleidung oder Toilettenartikeln brauchen?«
»Ausreichend«, sagte Breeland mit einer leichten Grimasse.
»Ein Soldat sollte sich aus persönlichen Entbehrungen nichts machen. Außerdem wurde es mir erlaubt, die Briefe zu schreiben, die mir wichtig waren, so dass meine Familie vielleicht bereits weiß, dass ich bei guter Gesundheit bin. Ich ziehe es vor, sie nicht von dieser absurden Beschuldigung in Kenntnis zu setzen, bis sie sich als falsch erwiesen haben wird.«
»Dann werde ich fortfahren, jeden nur möglichen Weg zu verfolgen, um Beweise zu finden, dass jemand anderer für den Tod von Daniel Alberton und den beiden Wächtern im Lagerhaus verantwortlich ist«, sagte Rathbone, neigte den Kopf kaum merklich und verließ den Raum.
Er war bereits draußen in der Sonne und inmitten des Straßenlärms und der hektischen Betriebsamkeit, als er erkannte, warum er so zornig war. Breelands Bericht hatte sich so genau mit dem Merrits gedeckt, selbst bezüglich solcher Nebensächlichkeiten wie dem Hut der Frau, dass er nicht daran zweifelte, die Wahrheit gehört zu haben. Eine erfundene Geschichte hätte sich nicht auf solche Bagatellen ausgedehnt. Er war ziemlich sicher, dass beide, Merrit und Breeland, diese Reise von London nach Liverpool unternommen hatten, und es schien keine andere Gelegenheit gegeben zu haben, zu der sie gereist sein könnten. Nichtsdestoweniger würde er Monk dies überprüfen und eventuell sogar Zeugen auftreiben lassen.
Weshalb er jedoch die Fäuste ballte, während er mit verkrampften Schultern den Bürgersteig entlangmarschierte, war der Umstand, dass Breeland nicht einmal gefragt hatte, wie es Merrit ging, ob sie verängstigt war, ob sie litt, krank war oder vielleicht etwas brauchte, oder was man möglicherweise für sie tun konnte. Sie war fast noch ein Kind und befand sich an einem Ort, der schrecklicher war als alles, worauf ihr Leben sie hätte vorbereiten können, zudem musste sie der Möglichkeit ins Auge sehen, für ein Verbrechen gehängt zu werden, das gänzlich mit Breelands Passion für seine politischen Überzeugungen zusammenhing, wie gerechtfertigt diese auch immer sein mochten. Trotz allem war es ihm nicht in den Sinn gekommen, nach ihr zu fragen, obwohl er wusste, dass Rathbone sie gerade erst verlassen hatte.
Zu gegebener Zeit hätte Rathbone Breelands Hingabe vielleicht bewundert, aber er konnte sich nicht vorstellen, jemals einen Mann zu mögen, der sich einer Sache verschrieb, die die Menschheit im Allgemeinen betraf, und sich nicht um Individuen sorgen konnte, die ihm am nächsten standen, einen Mann, der ihrem Leiden gegenüber blind war, wo doch ein Wort von ihm schon Hilfe gebracht hätte. Die Frage schoss ihm durch den Kopf, ob Breeland die Menschen überhaupt mochte oder ob er einfach nur einen großen Kreuzzug brauchte, der ihn völlig in Anspruch nahm und in dem er mit Leib und Seele aufgehen konnte, um ihn als Entschuldigung anzuführen, warum er persönlichen Beziehungen aus dem Weg ging, die Opfer bezüglich seiner Eitelkeit, Kompromisse, Geduld und Generosität des Geistes verlangt hätten. Verschrieb man sich einer wichtigen Sache, konnte man sich als Held fühlen. Die eigenen Schwächen zeigten sich nicht, und man wurde nicht durch intime Beziehungen auf die Probe gestellt.
Diese Gedanken gaben ihm ein Gefühl der Vertrautheit und des Bedauerns. Der beständige stille Schmerz in seinem Inneren, wenn er an Hester dachte, entsprang der Selbsterkenntnis, die ihm umso schärfer zu Bewusstsein kam, da er Breeland von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte.
Es war bereits später Nachmittag, als Rathbone sich auf den Weg zu Monk machte. Es war nicht eine Unterredung, der er mit Freude entgegengesehen hätte, aber sie war unvermeidlich. Breelands Geschichte musste durch Fakten und Zeugenaussagen untermauert werden. Monk war der Mensch, der diese, wenn sie denn existierten, aufstöbern konnte, und Rathbone war geneigt, zu glauben, dass dies der Fall war.
Kurz nach sechs Uhr kam er in der Fitzroy Street an und fand Monk zu Hause vor. Er war froh, denn er wäre ungern mit Hester allein gewesen. Er war überrascht, wie wenig Zutrauen er zu seinen eigenen Gefühlen hatte.
Monk schien ihn fast erwartet zu haben, und in seinem hageren Gesicht breitete sich der Ausdruck der Befriedigung aus, als Rathbone eintrat.
Monk bedeutete Rathbone, Platz zu nehmen. Hester befand sich nicht im Zimmer. Vielleicht kümmerte sie sich gerade um häusliche Pflichten. Er fragte nicht.
»Ich habe ihre Geschichte gehört.« Rathbone legte elegant ein Bein über das andere und lehnte sich zurück, als ob er vollkommen entspannt wäre. Er war ein brillanter Barrister, was bedeutete, dass er sich klar auszudrücken verstand und schnell und logisch denken konnte.
Außerdem war er ein guter Schauspieler. Er hätte sich auch selbst mit diesen Attributen, insbesondere mit letzterem, beschrieben. »Auch die von Breeland«, fügte er hinzu.
»Ich halte es für wahrscheinlicher, dass die Geschichten wahr sind, als das Gegenteil, aber natürlich brauchen wir Beweise.«
»Sie glauben es also«, sagte Monk nachdenklich. Es war unmöglich, seinem Gesichtsausdruck zu entnehmen, was er dachte. Rathbone hätte es gerne gewusst, aber er wollte nicht fragen, noch nicht.
»Merrit beschrieb mir die Zugfahrt nach Liverpool sehr detailliert«, erklärte Rathbone und erwähnte die Frau mit dem Hut. »Breeland gab mir mehr oder weniger dieselbe Beschreibung. Das ist kein Beweis, aber es deutet doch darauf hin, dass es die Wahrheit ist. Vielleicht können Sie sogar jemanden finden, der mit demselben Zug reiste und die beiden gesehen hat. Das wäre ein Beweis.«
Monk nagte an seiner Unterlippe. »Ja, das wäre es«, gab er zu.
»Aber wer brachte dann Alberton um? Was aber noch sonderbarer ist: Wie kamen die Waffen vom Fluss bei Bugsby’s Marshes zum Bahnhof am Euston Square?«
Rathbone lächelte leicht. »Um das herauszufinden, beschäftige ich Sie. Es scheint da noch einige grundlegende Fakten zu geben, die uns noch unbekannt sind. Vielleicht hat das auch mit diesem Unterhändler Shearer zu tun. Und da wäre noch die höchst unangenehme Möglichkeit, dass Alberton selbst einer Art von Täuschungsmanöver unterlag und Shearer doppeltes Spiel trieb, oder gar Breeland.«
Ein Funke von Amüsement leuchtete in Monks Augen auf.
»Ich nehme an, Sie haben Breeland nicht sonderlich ins Herz geschlossen.« Er sagte es mehr im Ton einer Beobachtung als einer Frage.
Rathbone hob die Augenbrauen. »Überrascht Sie das?«
»Nicht im Mindesten. Es gibt vieles, was ich an ihm bewundere, aber ich kann mich nicht dazu überwinden, ihn zu mögen«, erwiderte Monk.
»Wissen Sie, er fragte nicht einmal, wie es Merrit ginge.« Rathbone vernahm den Zorn und die Bestürzung in seiner eigenen Stimme. »Außer seinen verdammten Überzeugungen scheint ihm nichts wichtig zu sein!«
»Sklaverei ist ja auch reichlich abstoßend.«
»Das sind viele Dinge, und viele davon entspringen Besessenheit.« Rathbones Stimme zitterte plötzlich vor Wut. »Und einer Unfähigkeit, nichts außer dem eigenen Standpunkt zu sehen oder mit dem Schmerz einer anderen Person mitzufühlen, wenn er sich auf irgendeine Weise von dem eigenen unterscheidet.«
Monks Augen wurden groß. »Sie haben absolut Recht«, sagte er mit tief empfundener Ernsthaftigkeit. »Ja… Lyman Breeland ist ein sehr gefährlicher Mann. Ich wünschte, verdammt noch mal, wir müssten ihn nicht verteidigen, um Merrit verteidigen zu können.«
»Ich sehe keine Alternative, andernfalls, glauben Sie mir, hätte ich sie gewählt«, versicherte Rathbone.
»Ermitteln Sie gründlich. Ich glaube nicht, dass Merrit sich einer Sache schuldig machte, außer, sich in einen kaltherzigen und fanatischen Mann zu verlieben. Sehen Sie sich Philo Trace sehr genau an und diesen Unterhändler Shearer, und untersuchen Sie alles, was Sie für zweckdienlich halten.«
»Wie immer eilt es Ihnen natürlich damit.«
»Exakt.« Rathbone sprang auf die Beine. »Tun Sie Ihr Möglichstes, Monk. Für Merrit Alberton und ihre Mutter.«
»Aber nicht für Breeland…«
»Breeland kümmert mich einen feuchten Kehricht. Finden Sie die Wahrheit.«
Monk begleitete Rathbone zur Tür; sein Gesicht war bereits von Gedanken zerfurcht. »In der Sache liegt eine nette Ironie, finden Sie nicht?«, bemerkte er. »Ich hoffe inständigst, dass es nicht Philo Trace war, denn ich mag ihn ganz gern.«
Rathbone antwortete nicht. Sie waren sich beide nur zu bewusst, dass es in der Vergangenheit Männer gegeben hatte, die sie gemocht hatten, und Fälle, in denen Liebe und Hass vollkommen unangebracht erschienen waren. Manche Tragödien verstand man nur allzu leicht, obwohl die damit verbundenen Gefühle und das Verständnis dafür bei weitem nicht einfach waren.