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Sie brauchten den Abend und den ganzen folgenden Tag, um Richmond zu erreichen. Sie reisten mit der Eisenbahn und baten manchmal darum, inmitten von Verwundeten, die von der Schlacht nach Hause zurückkehrten, auf Wagen mitfahren zu dürfen. Anders als die Truppen der Union waren die Südstaatler nach dem Sieg in Hochstimmung, und meist wurde der Sieg als das Ende des Krieges betrachtet. Vielleicht würden die Nordstaatler sie nun in Frieden lassen und ihnen zugestehen, als eigenständiger Staat zu leben. Hester bemerkte die Verwirrung darüber, warum es überhaupt zu Kampfeshandlungen hatte kommen müssen. Manche Männer machten sich darüber lustig, was Hester als eine Art Erleichterung wertete, dass sie zu dieser endgültigen Maßnahme gezwungen worden waren und man ihnen keine Feigheit vorwerfen konnte.

Breelands geprellte und ausgerenkte Schulter war eingerichtet worden, und der Arm lag nun in einer Schlinge. Es musste schmerzhaft gewesen sein, aber es war keine Verletzung, die weitere Behandlung erforderlich gemacht hätte. Seine anderen Verletzungen waren geringfügig. Der größte Teil des Blutes an seiner Kleidung stammte von anderen Menschen, als er versucht hatte, Verletzten zu helfen. Monk hatte ihm ein frisches Jackett organisiert, nicht wegen der Reinheit, sondern um seine Loyalität der Union gegenüber nicht zu verraten. Wie sie alle, war auch er erschöpft, aber vielleicht war er verzweifelter als die anderen.

Mehrmals warf Hester ihm von der Seite her Blicke zu, während sie in Richtung Süden reisten. Die Sonne hob die feinen Linien in seiner Haut hervor, in die sich der Schmutz eingegraben hatte und die von der Müdigkeit noch tiefer geworden waren. Seine Hände umklammerten seine Beine, überraschend große und starke Hände. Sie sah seinen Zorn, aber keine Furcht. Seine Gedanken waren weit fort. Innerlich kämpfte er mit etwas, woran er den Rest der kleinen Reisegesellschaft nicht teilhaben ließ.

Hester beobachtete Merrit, die sich kaum der reizvollen Landschaft bewusst war, durch die sie fuhren, der großen Bäume, die schwere Schatten warfen, und der kleinen ländlichen Gemeinden. Sie sahen nur wenige Männer, die auf den Feldern arbeiteten, aber diejenigen, die sie sahen, waren Weiße. Merrit konnte nur an Breeland denken. Sie unterbrach dessen Gedanken nicht, aber sie beobachtete ihn mit angespannter Sorge, wobei ihr Gesicht kalkweiß war. Hester wusste, dass das Mädchen trotz seines eigenen Grauens und seiner Erschöpfung versuchte, sich in Breelands inneren Aufruhr und sein Gefühl der Scham hineinzuversetzen, das er wegen dem Ausgang der Schlacht haben musste. Seine geliebte Union hatte nicht nur verloren, sondern dies auch noch unehrenhaft. Seine Überzeugungen waren bedroht. Was konnte man einem Mann sagen, der unter solchen Schmerzen litt? Sie war klug genug, nichts zu sagen.

Hester beobachtete auch Philo Trace. Sie hielt ihn für fast zehn Jahre älter als Breeland, und in dem harten Sonnenlicht, müde und von Staub und Pulverrauch verschmutzt, waren die Linien in seinem Gesicht tiefer als die in Breelands, überdies hatte er bereits weit mehr davon, die sich von der Nase zum Mund zogen und seine Augen umgaben. Doch sein Gesicht war beweglicher als das des jüngeren Mannes, es war gezeichnet von seinem Charakter, von Lachen und Schmerz. Es hatte nicht die Glätte, war weniger kontrolliert. Es war ein von einer Persönlichkeit geprägtes Gesicht, und es drückte keine Schüchternheit aus.

In Breelands Zügen lag jedoch etwas, was ihr Angst machte. Es war nicht etwas, was direkt zum Ausdruck kam, sondern eher etwas, woran es ihm mangelte, etwas Menschliches, Verletzliches, das sie nicht sehen oder erahnen konnte. War es das, was Merrit bewunderte? Oder war es einfach nicht vorhanden, weil er noch so jung war? Würden Zeit und Erfahrung es in sein Gesicht zeichnen?

Oder bildete Hester sich das alles nur ein, weil sie wusste, dass er Daniel Alberton wegen der Gewehre so kaltblütig getötet hatte, als… sie hätte fast gedacht, als ob er ein Tier wäre. Sie selbst hätte nicht einmal ein Tier töten können.

Schweigend fuhren sie dahin, wechselten nur gelegentlich ein paar Worte, um sich über das weitere Vorgehen oder die Route zu verständigen. Ansonsten gab es nichts zu sagen. Niemand schien den Wunsch zu haben, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Mit Monk musste Hester sich nicht verständigen. Sie wusste, sie hatten ähnliche Gefühle, und der Mangel an Unterhaltung zwischen ihnen war ein Zeichen ihrer tiefen Freundschaft.

Als sie sich Richmond näherten, passierten sie große Plantagen, und hier sahen sie auch schwarze Männer, die mit gebeugten Rücken auf den Feldern arbeiteten, geduldig wie die Tiere. Weiße Männer führten die Aufsicht, schlenderten auf und ab und beobachteten die Arbeiter. Einmal sah sie einen Aufseher, der mit einem scharfen Knall eine lange Peitsche auf die Schultern eines Schwarzen niedersausen ließ. Der Mann geriet ins Taumeln, gab aber keinen Schmerzenslaut von sich.

Hester spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Es war nur eine Bagatelle – es mochte hier oder da täglich Dutzende von Malen geschehen –, doch es war ein Zeichen für etwas, was allem, was sie akzeptierte, zutiefst fremd war. Plötzlich war dies ein anderes Land. Sie befand sich inmitten eines Volkes, das eine Lebensart praktizierte, die sie nicht tolerieren konnte, und mit einem Mal entdeckte sie, dass sie Philo Trace mit ganz neuen Augen betrachtete. Sie hatte ihn gemocht. Er war sanftmütig, besaß Humor und bewies Freundlichkeit, Vorstellungsvermögen, Liebe für Schönheit und einen generösen Geist. Wie konnte er sich nur so heftig dafür einsetzen, eine Kultur aufrechtzuerhalten, die etwas Derartiges guthieß?

Sie sah die Röte auf seinen Wangen, als er ihren Blick spürte.

»Es gibt vier Millionen Sklaven im Süden«, sagte er ruhig.

»Wenn sie einen Aufstand anzetteln, wird der Süden zu einem Schlachthaus.«

Breeland wandte sich um und starrte ihn mit unendlicher Verachtung an. Er machte sich nicht die Mühe, dies in Worte zu fassen. Merrits Gesichtsausdruck spiegelte den seinen wider. Die Farbe auf Trace’ Wangen wurde dunkler.

»Amerika ist ein reiches Land«, fuhr er gelassen fort und weigerte sich, das Schweigen zu akzeptieren. »Überall entstehen neue Städte, vor allem im Norden. Es gibt Industrie und Wohlstand –«

»Aber nicht, wenn man Farbiger ist!«, schnappte Merrit. Trace sah sie nicht an.

Ein kurzes, geringschätziges Lächeln kräuselte sich um ihre Lippen.

»Wir exportieren alle möglichen Arten von Gütern«, fuhr Trace fort. »Erzeugnisse aus dem Norden, wo die Industriellen reich werden –«

»Aber nicht durch die Arbeit von Sklaven!«, stieß Breeland schließlich hervor. »Wir profitieren von unserer eigenen Hände Arbeit!«

»Mit unserer Baumwolle«, fuhr Trace mit leiser Stimme fort.

»Mehr als die Hälfte unseres Exports besteht aus Baumwolle. Wussten Sie das? Baumwolle, die im Süden gewachsen ist… von Zucker, Reis und Tabak gar nicht zu reden. Wer, glauben Sie, pflanzt, pflegt und erntet den Tabak für Ihre Zigarren, Breeland?«

Breeland sog scharf den Atem ein, als ob er zu sprechen beabsichtigte, doch dann stieß er ihn wieder aus.

Trace wandte sich ab und ließ den Blick über die liebliche und sanfte Landschaft gleiten. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Kummer und Schuld ab, eine Liebe für etwas, was ebenso schön wie schrecklich war und was er zu verlieren fürchtete. Vielleicht fürchtete er auch, es für sich selbst zu verlieren.

Zuerst fuhren sie mit der Eisenbahn von Richmond durch Weldon und Goldboro zum Küstenhafen in Wilmington in Nord-Carolina. Von dort ging es wieder landeinwärts nach Florence und dann schließlich nach Charleston in Süd-Carolina, wo vor über drei Monaten der erste Schuss des Krieges abgefeuert worden war, mit dem der Angriff auf Fort Sumter begonnen hatte.

Monk und Hester blieben bei Merrit und Breeland, während sich Trace um die Arrangements der Schiffspassagen nach England kümmerte. Die Reise in den Süden war zermürbend und anstrengend gewesen. Breeland hatte weder einen Fluchtversuch unternommen, noch hatte Merrit versucht, ihm zu helfen, aber Hester und Monk waren sich beide bewusst, dass nur äußerste Wachsamkeit sicherstellen konnte, dass dies nicht doch noch geschah. Es war notwendig, dass sie sich mit dem Schlafen abwechselten und stets eine geladene Pistole griffbereit hatten.

Einmal warf Breeland Hester einen verächtlichen Blick zu, bis er ihr Gesicht eingehender betrachtete, dann wurde die Geringschätzung von dem Wissen verdrängt, dass sie dem Tod schon öfter begegnet war als er selbst. Er war sich nicht mehr sicher, dass sie nicht schießen würde… vielleicht nicht, um zu töten, aber sicher, um ihn kampfunfähig zu machen. Danach machte er keinen Versuch, sich ihrer Wachsamkeit zu entziehen.

In Charleston wurde viel von Mr. Lincolns Blockade gesprochen, die er über die gesamte Küstenlinie im Süden, von Virginia bis hinüber nach Texas, verhängt hatte. Man spekulierte, ob er damit Erfolg haben würde, und es wurde darüber geredet, von den Bahamas oder anderen neutralen Inseln Waffen zu beziehen.

Doch bereits am zweiten Tag kehrte Trace mit der Nachricht zurück, Passagen bekommen zu haben und dass sie mit der Flut am folgenden Tag auslaufen würden.

Die Reise zurück über den Atlantik dauerte nur dreizehn Tage, und sie schienen fast die ganze Zeit einen günstigen Wind zu haben. Es war ein Vergnügen, unter dem blauem Himmel in der Sonne über das Deck zu schlendern und dabei das lebhafte blaue Meer zu betrachten, das bis zum Horizont durch nichts unterbrochen wurde. Merrit war kaum als das Mädchen wiederzuerkennen, das sie vor der Schlacht und deren vernichtendem Ausgang gewesen war. Die Entschlossenheit und die Leidenschaft war noch in ihr, aber ihre Fröhlichkeit war zerstört. Die Wirklichkeit hatte mit ihren Träumen nichts zu tun. Wenn sie in Breeland einen Makel entdeckt haben sollte, dann war sie zu loyal, dies auch nur durch einen kurzen Augenkontakt zu verraten.

Als Breeland sich von seiner körperlichen Erschöpfung erholt hatte und sich die Schmerzen in seiner Schulter beträchtlich gebessert hatten, verlangte er, mit Monk zu sprechen. Die Kabinen hatten sie so ausgewählt, dass Trace Breeland im Auge behalten konnte. Größere Wachsamkeit war nicht vonnöten, da eine Flucht ohnehin unmöglich war. Breeland weigerte sich, etwas zu sagen, bevor er nicht mit Monk unter vier Augen gesprochen hatte.

Monk hätte sein Ansinnen abgelehnt, wenn nicht seine Neugier geweckt geworden wäre und ihn, entgegen seinem Willen, Breelands Eindringlichkeit gerührt hätte, als ob das, was dieser ihm mitzuteilen wünschte, nicht nur die erwartete Rechtfertigung seiner Taten oder gar das Angebot irgendeines Handels im Austausch für seine Freiheit sein würde.

Sie standen auf dem Deck, ein wenig abseits von den anderen Passagieren, von denen es weit weniger gab als auf der Hinreise. Es gab keine heimkehrenden Emigranten, niemanden, der aus der Neuen Welt in die Alte zurückkehren wollte, in der Hoffnung auf bessere Chancen oder größere Freiheiten. Es schien, als ob niemand den Wunsch hegte, zurückzufahren oder auch niemand dem Krieg entfliehen konnte.

»Was wollten Sie mir sagen?«, fragte Monk ein wenig ungnädig und starrte Breeland an, der sich an die Reling gelehnt hatte und das blaue Wasser beobachtete, das am Heck emporschlug.

Breeland machte keine Bewegung und drehte sich auch nicht um, um Monk anzusehen. »Mrs. Monk berichtete Merrit, dass meine Uhr im Hof des Lagerhauses gefunden worden war, wo Daniel Alberton getötet wurde«, begann er.

»Das stimmt«, erwiderte Monk. »Ich habe sie selbst gefunden.«

»Ich habe sie Merrit als Erinnerung geschenkt.« Er starrte immer noch auf das Wasser.

»Wie galant von Ihnen«, sagte Monk sarkastisch.

»Nicht besonders.« Breeland klang abweisend. »Es war eine gute Uhr, die mir mein Großvater zum Schulabschluss geschenkt hatte. Ich hatte die Absicht, Merrit zu heiraten… damals dachte ich noch, ich hätte die Freiheit, dies zu tun.«

»Ich meinte, wie galant von Ihnen, die Tatsache zu erwähnen, nun, da die Uhr am Tatort gefunden worden ist«, korrigierte Monk ihn.

Breeland wandte sich langsam um, sein Gesicht war hart, und in seinen grauen Augen stand Verachtung.

»Sie können doch unmöglich annehmen, dass sie ihren Vater umbrachte – ihn erschoss, wie es heißt. Das ist verabscheuungswürdig. Nicht einmal Philo Trace würde sich herablassen, etwas Derartiges anzudeuten.«

»Nein, das glaube ich auch nicht«, erwiderte Monk. »Ich glaube, Sie waren es und Merrit war dabei, entweder half sie Ihnen, oder sie war Ihre Geisel.« Er lächelte grimmig.

»Obwohl ich auch die Möglichkeit in Betracht gezogen habe, dass Sie allein waren und die Uhr absichtlich fallen ließen, da Sie wussten, dass wir uns des Umstandes bewusst waren, dass Merrit im Besitz der Uhr war – das Ganze, um uns daran zu hindern, Ihnen zu folgen.«

Breeland war erschrocken. »Sie dachten, ich könnte so etwas tun? In Gottes Namen –« Abrupt brach er ab, seine Augen waren weit aufgerissen. »Sie haben wahrhaftig keine Ahnung, nicht wahr? Ihre Gesinnung, Ihre Ambitionen sind so… so niedrig, dass Ihnen nur Gemeinheit in den Sinn kommt. Sie haben keinen Begriff von der Größe des Kampfes um die Freiheit. Ich bedauere Sie.«

Monk war überrascht, nicht wütender zu sein, aber in Breelands Gesicht lag eine kalte Leidenschaft, die zu fremdartig war, um in ihm Wut zu erregen.

»Wir haben wohl verschiedene Auffassungen von Größe«, erwiderte er gelassen. »Ich sah nichts Bewunderungswürdiges an den drei toten Körpern im Hof des Lagerhauses, an Händen und Füßen gefesselt und mit einem Schuss in den Hinterkopf. Wessen Freiheiten hatten die Toten eingeschränkt, außer den Ihren, um die Waffen stehlen zu können, die sie Ihnen nicht verkauften?«

Breeland zog die Brauen hoch. »Ich habe Alberton nicht getötet. Ich sah ihn nicht wieder, nachdem ich an dem Abend, als auch Sie anwesend waren, das Haus verlassen hatte.« Er schien verwirrt zu sein. »In jener Nacht schickte er mir eine Nachricht, dass er seine Meinung geändert hatte und gewillt war, mir die Waffen doch zu verkaufen, zum vollen Preis. Er wollte seinen Mittelsmann, Shearer, damit beauftragen, mir die Waffen zum Bahnhof zu liefern. Ich sollte mit niemandem darüber sprechen, da er der Meinung war, Trace würde wütend und vielleicht sogar gewalttätig werden.« Seine Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Lächeln. »Tragischerweise hatte er Recht damit. Nur konnte er natürlich nicht damit rechnen, dass Sie ein derartiger Narr sein würden, Trace zu glauben … abgesehen davon, dass Trace Mrs. Alberton übermäßig viel Aufmerksamkeit zukommen hatte lassen, die sich schnell geschmeichelt fühlte. Oder hatten Sie das etwa auch nicht bemerkt? Vielleicht haben Sie, wie viele Engländer, ein zu großes persönliches Interesse am Fortbestand der Sklaverei, um zu wünschen, die Rebellen mögen verlieren.« Das war als Beleidigung gedacht und als solche hervorgestoßen.

Monk wurde zornig. Breelands Worte enthielten eine Anspielung, dass Judith Alberton dem Mörder ihres Mannes gegenüber ein Auge zudrückte, was Monk mit nackter Wut erfüllte. Die Bemerkung über die Sklaverei war vielleicht zutreffend, tat aber rein gar nichts zur Sache. Er verachtete Sklaverei ebenso wie Breeland. Seine Muskeln spannten sich in dem Bedürfnis, Breeland so heftig zu schlagen, wie er nur konnte. Es bedurfte großer Mühe, lediglich Worte als Waffen zu gebrauchen.

»Ich habe keinerlei Interesse an der Sklaverei«, sagte er eisig.

»Es mag Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, aber in England haben wir sie bereits vor langer Zeit abgeschafft, Generationen vor der Zeit, als Sie sich plötzlich bemüßigt fühlten, sie zu Ihrem Anliegen zu machen. Gleichwohl kaufen wir von Sklaven gepflückte Baumwolle… von Ihnen, wohlgemerkt. Im Wert von Millionen von Dollar, ebenso Tabak. Vielleicht sollten wir das unterlassen?«

»Das ist nicht –«, begann Breeland, dessen Gesicht eine stumpfe rote Farbe angenommen hatte.

»Der Punkt?«, unterbrach Monk ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Das stimmt. Der Punkt ist, dass Alberton sich weigerte, Ihnen die Waffen zu verkaufen, die Sie wollten. Deshalb ermordeten Sie ihn und stahlen die Gewehre. Wozu, oder wie erhaben Ihre Motive auch gewesen sein mögen, das ist irrelevant.«

Er konnte nicht umhin, höhnisch zu grinsen. »Wie ausnehmend tapfer!«

Wilder Zorn und Erniedrigung glühten in Breelands Gesicht.

»Ich habe Alberton nicht getötet!« Er presste die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. Er hatte sich mittlerweile vor Monk hingestellt und starrte ihn an.

»Es bestand gar keine Notwendigkeit dazu, selbst wenn ich dazu fähig gewesen wäre. Er verkaufte mir die Waffen. Fragen Sie doch Shearer. Warum fragen Sie ihn nicht?«

War das möglich? Zum ersten Mal zog Monk nun tatsächlich die Möglichkeit in Betracht, dass Breeland nicht schuldig sein könnte.

Breeland sah den Zweifel in seinen Augen.

»Kein großer Polizist, was?«, schnaubte er verächtlich. Monk ärgerte sich. Er wusste, dass er es zugelassen hatte, durchschaut zu werden.

»Also gab Merrit Trace die Uhr, der zufällig – Minuten nachdem jemand die Waffen aus dem Lagerhaus geholt hatte – vorbeikam und Alberton ermordete? Und Trace soll die Uhr dort fallen gelassen haben?«, sagte er mit vorgetäuschter Verwunderung.

»Und unglücklicherweise brachte dieser Shearer, ohne Wissen von Alberton oder Casbolt, Ihnen die Waffen, kassierte das Geld und verschwand?« Er zuckte die Achseln. »Oder, eine andere Möglichkeit, vielleicht gab Merrit die Uhr Shearer? Woraufhin der seinen Arbeitgeber umbrachte und Ihnen die Waffen überbrachte? Sein Motiv liegt klar auf der Hand, Geld natürlich. Aber warum hat Merrit das getan? Sie hat es doch getan, oder etwa nicht? Sie haben keine Ahnung, wo sie sich befand, als Sie dieses betrügerische Geschäft mit dem verschwundenen Mr. Shearer abschlossen.«

Breeland sog scharf den Atem ein, doch er hatte keine Antworten parat, und die Verwirrung auf seinem Gesicht verriet ihn. Wieder sah er hinaus auf das blaue Wasser.

»Nein, sie war zu der Zeit bei mir. Aber sie wird schwören, dass ich die Waffen rechtmäßig von Mr. Shearer erwarb und ich mich niemals auch nur in die Nähe der Tooley Street begeben habe. Fragen Sie sie doch!«

Natürlich fragte Monk das Mädchen, obwohl er fast sicher war, was sie antworten würde. Nichts, was in Washington oder auf dem Schlachtfeld oder auf der Reise durch den Süden zum Schiff geschehen war, hatte ihre innige Zuneigung zu Breeland ändern können. Dasselbe galt für das glühende Mitleid, das sie ihm wegen der Niederlage seiner Truppe entgegenbrachte. Sie beobachtete ihn, sah seine Verbitterung und hatte das dringende Bedürfnis, ihm zu helfen. Er hätte niemals an ihr zweifeln können.

Was Breeland für sie empfand, war weit schwieriger zu erkennen. Er begegnete ihr mit Sanftmut, aber die Wunde, die seinem Stolz geschlagen worden war, schmerzte noch zu sehr, um von irgendjemand berührt zu werden, am allerwenigsten von der Frau, die er liebte und zu der er so leidenschaftlich von der Größe der Sache und dem Sieg, den sie erringen würden, gesprochen hatte. Er würde weder der erste noch der letzte Mann sein, der sich zu sehr seines Mutes oder seiner Ehre gebrüstet hatte, aber ihm schien es schwer zu fallen, mit einer Enttäuschung fertig zu werden. Er verfügte über keinerlei Flexibilität, keine Fähigkeit, sich lustig zu machen, oder, wenigstens für einen Moment, seine verzehrende Leidenschaft zu vergessen.

Monk war nicht sicher, ob er Breeland bewunderte oder nicht. Vielleicht waren es nur solche Männer, die in Regierungen und Nationen wichtige Veränderungen herbeiführen konnten. Möglicherweise war das der Preis für großartige Verdienste.

Hester dagegen hegte keinerlei Zweifel. Sie hielt ihn von Natur aus für selbstsüchtig, und das sagte sie auch.

»Vielleicht versteht Merrit ihn?«, schlug Monk vor, als sie gemeinsam an Deck spazieren gingen, während sich die untergehende Sonne über das gekräuselte Wasser ergoss und feurige Farben über das Blau schüttete. »Worte oder Gesten sind nicht immer vonnöten.«

»Unsinn!« Dieses Argument ließ sie nicht gelten. Sie blinzelte, um sich vor dem gleißenden Licht zu schützen, und schaute auf das Meer hinaus. »Natürlich sind sie das nicht. Aber ein Blick… eine Berührung, irgendetwas ist doch nötig! Im Moment teilt Merrit seinen Schmerz und liebt ihn verzweifelt. Aber was ist mit ihren Schmerzen? Es ist ihr Vater, der tot ist, nicht seiner! Sie ist kein Soldat, William, genauso wenig wie du einer bist.«

Ihr Blick war zärtlich, ihre Augen suchten in den seinen nach einer Wunde, die sie heilen konnte. »Vielleicht hat er keine Albträume wegen der Schlacht, Sudley Church und den Männern, denen wir nicht mehr helfen konnten… aber sie hat welche!«

Ihre Lippen waren weich. »Ebenso wie ich. Vielleicht muss das auch so sein. Aber wir brauchen jemanden, an dem wir uns festhalten können.«

»Ist es nicht möglich, dass er ihr bereits alles gesagt hat, dessen er fähig ist?«, sagte er, trat einen Schritt näher und legte den Arm um sie.

In dem wundervollen Licht überzog sich ihr Gesicht ganz plötzlich mit Zorn und ihre Augen wurden groß. »Sie wird vor Einsamkeit sterben… wenn sie erst einmal realisiert, dass er ihr nichts von sich geben wird. Er wird immer an erster Stelle die Union lieben, weil das einfacher ist. Diese Liebe fordert nichts.«

»O doch, sie fordert alles!«, protestierte er. »Seine Zeit, seine Karriere, ja sogar sein Leben!«

Sie sah ihn ruhig an. »Aber nicht sein Lachen oder seine Geduld, seine Großherzigkeit, sich selbst für eine Weile zu vergessen«, erklärte sie. »Oder an etwas zu denken, was ihn vielleicht nicht sonderlich interessieren mag. Die Union wird ihn niemals bitten, zuzuhören, anstatt zu sprechen, seine Meinung zu ändern, obwohl er dazu noch nicht bereit ist, etwas langsamer zu gehen oder einige seiner Urteile zu überdenken, jemandem anderen zuzugestehen, der Held zu sein, ohne daraus gleich eine große Sache zu machen.«

Er wusste, was sie meinte.

»Er wird immer nach seinen eigenen Maßstäben handeln«, schloss sie. Es klang wie ein Fluch.

»Bist du sicher, dass er Alberton ermordete?«, fragte Monk sie.

Sie nahm sich mehrere Minuten Zeit, bevor sie antwortete. Der Himmel wurde dunkler, und die Farben auf dem Wasser hatten nicht mehr dieselbe Glut. Die Tiefe des Himmels war nun wie ein indigofarbener Schatten, endlos und so wunderschön, dass seine Kurzlebigkeit sie traurig machte. Es tat nichts zur Sache, dass es auch morgen Abend wieder eine Dämmerung geben würde, übermorgen und jeden weiteren Abend. Und bald würde Hester sie nicht mehr über dem Meer erleben, sondern über den Dächern der Stadt.

»Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. »Keine andere Antwort ergibt einen Sinn… aber ich bin mir nicht sicher.«

Das Schiff legte in Bristol an. Monk ging als Erster von Bord und überließ die anderen Trace’ Obhut. Er ging geradewegs zur nächsten Polizeistation und sagte, wer er war und in welcher Beziehung er bezüglich der Morde in der Tooley Street zu Lanyon stand, einem Verbrechen, über das in den Zeitungen ausführlich berichtet worden war. Er erklärte ihnen, Breeland zurückgebracht zu haben, ebenso Merrit Alberton, und er schlug vor, sie per Eisenbahn nach London bringen zu lassen.

Die Polizei war beeindruckt, und man bot an, ihm einen Constable zur Unterstützung mitzugeben, um sicherzustellen, dass die Gefangenen während der Reise nicht fliehen würden. Monk bemerkte den Gebrauch des Plurals mit einem Anflug von Kummer, aber er war nicht überrascht.

»Ich danke Ihnen«, sagte er und nickte. Er ließ es nicht gerne zu, dass eine weitere Person hinzugezogen wurde – es beraubte ihn seiner Eigenständigkeit –, doch er musste offizielle Hilfe in Anspruch nehmen, denn es wäre idiotisch gewesen, zu riskieren, all das aufs Spiel zu setzen, was sie erreicht hatten, nur wegen seines Stolzes, selbst Entscheidungen zu treffen, die vermutlich nicht den kleinsten Unterschied ausmachen würden.

Wie es sich herausstellte, verlief die Reise ereignislos. Die Polizei in Bristol hatte nach London telegrafiert, so dass Lanyon sie am Bahnhof erwartete. Als Monk die Menschenmengen sah, war er erleichtert. Es hätte sich als äußerst schwierig erweisen können, Breeland ohne Hilfe an einer Flucht zu hindern. Hätten er oder Trace eine Pistole gezückt, hätte sie leicht jemand aus der Menge überwältigen können, der tapfer genug war, und auch naiv genug, um Breeland für das Opfer einer Entführung zu halten. Ob die Tatsache, dass sich Merrit immer noch bei ihnen befand, ihn an der Flucht hinderte, war etwas, worauf Monk sich ungern verlassen würde. Breeland könnte sich vor sich selbst damit rechtfertigen, dass die Sache der Union von größerer Wichtigkeit war als das Leben einer Frau, wer immer diese auch sein mochte. Er wäre vermutlich sogar überzeugt, dass sie aufzugeben ein persönliches Opfer war. Oder er könnte annehmen, dass sie nicht eines Vergehens angeklagt und schon gar nicht für schuldig befunden werden würde.

Könnte es etwa sein, dass sie tatsächlich unschuldig war?

Aber das alles tat nichts zur Sache, denn Lanyon war mit zwei Constables hier, und Breeland wurde verhaftet und in Handschellen abgeführt.

»Und Sie, Miss Alberton?«, sagte Lanyon, wobei sich auf seinem langem Gesicht ein Ausdruck der Verlegenheit und des Bedauerns breit machte.

Das Licht in Merrits Augen erstarb, und ihre Schultern sackten herunter. Monk bemerkte, dass sie sich auf Breeland konzentriert und sich gestattet hatte, ihre eigenen Probleme zu vergessen.

Breeland bewegte seine Schultern, als ob er, wäre er frei gewesen, sie berühren und auf irgendeine Weise trösten wollte. Doch er trug bereits Handschellen.

Es war Hester, die den Arm um das Mädchen legte.

»Wir werden alles tun, um dir die beste Hilfe zukommen zu lassen«, sagte sie laut und deutlich. »Zunächst werden wir zu deiner Mutter gehen und ihr berichten, dass du am Leben bist und dass es dir relativ gut geht. Im Moment lebt sie ja in völliger Ungewissheit über dein Schicksal.«

Merrit schloss die Augen, und Tränen quollen unter ihren Lidern hervor. So nahe an ihrem Zuhause war es schwieriger, mutig zu sein, und der Schmerz wurde schärfer. Bisher hatten all ihre Gedanken Breeland gegolten. Vielleicht hatte sie nicht einmal über ihre Mutter nachgedacht. Doch jetzt, mit den vertrauten englischen Stimmen um sich herum, den altbekannten Gerüchen der Heimat, war das Abenteuer vorüber, und die lange Abrechnung hatte begonnen.

Sie versuchte zu sprechen, um Hester zu danken, doch sie vermochte es nicht, ohne die Kontrolle über sich zu verlieren. Also schwieg sie.

Über Lanyons Schulter hinweg sah Monk, dass sich eine Gruppe Menschen bildete, die alle voller Neugier zu ihnen herüberstarrten. Lanyon bemerkte Monks Blick und sah ihn entschuldigend an.

»Wir machen uns wohl besser auf den Weg«, sagte er hastig.

»Bevor sie erraten, wer Sie sind. Es gibt hier eine ganze Menge böses Blut.«

»Böses Blut?«, fragte Hester, die nicht sofort begriff, wovor er sie warnte.

Lanyon senkte die Stimme und zog die Augenbauen zusammen. »In den Tageszeitungen, Ma’am. Es wurde eine Menge über Mr. Albertons Tod geschrieben und über Ausländer, die hierher kommen und junge Mädchen zum Mord anstiften und so weiter. Ich denke, wir sollten sie so schnell wie möglich wegbringen.« Er achtete darauf, sich nicht umzusehen, während er sprach, doch Monk hatte bereits bemerkt, dass die Menschenmenge dichter wurde und die Gesichter sich verfinsterten. Einer oder zwei Männer starrten sie bereits unverblümt an. Sie schienen näher zu kommen.

»Das ist abstoßend!« Hester war wütend, und ihre Wangen überzogen sich mit Zornesröte. »Bis jetzt ist noch nicht einmal jemand angeklagt, geschweige denn verurteilt worden!«

»Wir können es hier nicht auf einen Kampf ankommen lassen«, erwiderte Monk scharf. Er hörte selbst, wie sich seine Stimme hob, und er dachte daran, wie schnell die Situation zur gewaltsamen Auseinandersetzung eskalieren konnte. Er hatte Angst um Hester. Ihre Entrüstung könnte sie vergessen lassen, auf ihre eigene Sicherheit zu achten, und der Mob würde wenig Unterschied machen zwischen einem Täter und jemandem, der sich dazu hergab, diesen zu beschützen.

Lanyon sagte genau dasselbe. »Kommen Sie jetzt, schnell«, befahl er und sah Breeland an. »Kommen Sie nur nicht auf komische Ideen – hier einen kleinen Aufstand zu inszenieren, zum Beispiel, in der Hoffnung, Sie könnten untertauchen. Das wird Ihnen nicht gelingen! Sie handeln sich höchstens Prügel ein, und Miss Alberton womöglich auch.«

Breeland zögerte einen Augenblick, als ob er im Geiste tatsächlich einen derartigen Plan in Erwägung zöge, dann blickte er in Merrits bleiches Gesicht und ihre gramerfüllten Augen und gab den Gedanken auf. Er senkte den Kopf ein wenig, als würde er sich ergeben, und ging gehorsam zwischen Lanyon und dem Constable.

Merrit folgte mit dem zweiten Constable ein paar Schritte dahinter, woraufhin Monk, Hester und Philo Trace allein auf dem Bahnsteig zurückblieben.

»Wir müssen zu Mrs. Alberton fahren«, sagte Trace nervös.

»Sie wird vor Sorge außer sich sein. Ich wünschte bei Gott, es gäbe etwas, was wir tun könnten, um Merrit von diesem Verdacht zu befreien. Wir können sie doch bestimmt vor der Anklage bewahren?« Seine Worte waren positiv, aber seine Stimme schalt sie Lügen. Er sah Monk an, als ob er auf Hilfe hoffte, die jenseits seiner Vorstellungskraft lag. »Sicher denkt doch niemand…« Er brach ab. Er wandte sich an Hester, als wolle er weitersprechen, doch dann sah er ihr Gesicht.

Sie wussten alle, dass Merrit in Breeland verliebt war und sich loyal verhalten würde. Das allein hätte ihr verboten, ihn im Stich zu lassen, wie die Wahrheit über den Mord auch immer aussehen mochte. Die eigene Haut zu retten wäre ihr als Betrug erschienen, was für sie eine größere Sünde war als das eigentliche Verbrechen. Vielleicht würde sie es irgendwann einmal bedauern, aber in absehbarer Zukunft würde sie sich nicht von Breeland trennen oder ihr Schicksal von seinem lösen.

»Wir fahren umgehend zu ihr«, stimmte Monk zu.

Nach der langen Zugfahrt in der drückend heißen Hitze des frühen Augusts waren sie alle müde. Hester war sich nur zu bewusst, dass sie vom Rauch der Lokomotive verschmiert war und dass der untere Teil ihres Reisekleides vor Staub starrte, von den Knitterfalten gar nicht zu reden, aber sie machte keine Einwände. Zudem war es fast sieben Uhr abends und kaum die Stunde, zu der man unangekündigte Besuche machte. Aber auch das war im Moment nebensächlich. Ohne weitere Diskussionen stapelten sie ihr Gepäck auf den Wagen des Kofferträgers und strebten dem Ausgang und der nächsten verfügbaren Droschke entgegen, die sie zum Tavistock Square bringen würde.

Judith Alberton empfing sie, ohne Formalitäten vorzuschieben. Unbewusst blickte sie als Ersten Philo Trace an.

»Wir haben Merrit«, sagte er sogleich, und sein Blick wurde weich, als er in ihre Augen sah. »Sie ist sehr müde und leidet sehr unter all dem, was geschehen ist, doch sie ist unverletzt und bei guter Gesundheit.«

In ihrem Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab, doch sie zögerte.

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, fuhr er fort. »Sie ist nicht mit Breeland verheiratet, und sie wusste nichts vom Tod ihres Vaters… aber das hatten Sie sicherlich auch nicht angenommen.«

»Nein, nein, natürlich nicht.« Sie sah ihm in die Augen, als wolle sie dadurch ihren Worten Nachdruck verleihen. Sie wartete auf weitere Informationen, auf Dinge, die bis jetzt nicht ausgesprochen worden waren. Sie sammelte sich und erinnerte sich daran, dass Monk und Hester immer noch auf ihre Anerkennung und ihren Dank warteten. Sie errötete leicht, als sie sich ihnen zuwandte.

»Ich kann gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich Ihnen für Ihren Mut und Ihr Geschick bin, das es möglich machte, meine Tochter nach Hause zu bringen. Ich gestehe, ich dachte, ich hätte Unmögliches erbeten. Ich… ich hoffe, Sie haben keine Verwundungen erlitten? Ich kann nicht glauben, dass Sie keiner Mühsal ausgesetzt waren, und wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, mit der ich Sie mehr als mit Worten oder Geld belohnen könnte, denn was Sie getan haben, ist großartiger, als dass man es mit dem einen oder anderen vergüten könnte.«

»Bis jetzt hatten wir Erfolg«, erwiderte Monk schlicht.

»Das allein ist eine beträchtliche Belohnung. Ich möchte nicht undankbar erscheinen, Mrs. Alberton, aber würden Sie akzeptieren, dass wir das alles taten, weil wir es selbst für wichtig hielten? Belasten Sie sich bitte nicht mit der zusätzlichen Bürde der Dankbarkeit.«

Hester merkte, dass sie vor Stolz lächelte. Es waren generöse Worte gewesen, und sie wusste, dass er sie spontan geäußert hatte. Sie streckte ihre Hand aus und legte sie ganz sanft auf seinen Arm, wobei sie seinen Blick mied, sich aber einen Schritt näherte. Sie wusste, dass er sich ihrer Gegenwart bewusst war, da sich seine Wangen mit zarter Röte überzogen.

Auch Judith Alberton lächelte, doch die Furcht stand immer noch in ihren Augen. Sie wusste weit besser als ihre drei Besucher, was die Zeitungen geschrieben hatten.

»Ich danke Ihnen. Bitte kommen Sie und nehmen Sie Platz. Sind Sie hungrig? Hatten Sie seit Ihrer Ankunft Gelegenheit, sich etwas auszuruhen?«

Sie nahmen dankbar an, berichteten ihr aber nicht, wie mühsam die Reise tatsächlich gewesen war. Sie waren mitten in einem exzellenten Dinner, als Robert Casbolt eintraf und geradewegs in den Speisesaal marschierte, ohne darauf zu warten, von einem Lakaien angemeldet zu werden. Er warf einen Blick über die versammelte Gesellschaft, doch seine Augen blieben an Judith haften.

Ohne überrascht zu sein, sah sie zu ihm auf, als ob er häufiger auf diese Weise erscheinen würde.

Hester bemerkte den Anflug von Ärger in Philo Trace’ Gesicht, den er im nächsten Augenblick jedoch bereits wieder unterdrückt hatte, aber sie konnte ihn verstehen.

Wenn Casbolt den Ausdruck bemerkt hatte, so gab er dies wenigstens nicht zu verstehen.

»Sie ist in Sicherheit und wohlauf«, sagte Judith als Antwort auf seine unausgesprochene Frage.

Seine Augen verdüsterten sich, und er konnte die Vorahnung darin nicht verbergen. »Wo ist sie?«

Judiths Mund wurde schmal. »Die Polizei verhaftete sie. Breeland natürlich ebenfalls.«

»Sie haben Breeland!« Er stutzte. Zum ersten Mal sah er nun Monk ins Gesicht, Philo Trace ignorierte er immer noch. »Sie brachten ihn tatsächlich zurück? Mein Kompliment! Wie haben Sie ihn dazu gebracht?«

»Mit vorgehaltener Pistole«, erwiderte Monk trocken. Casbolt unternahm keinen Versuch, seine Bewunderung zu verbergen. »Das ist wahrhaftig bemerkenswert! Ich gestehe, Sie unterschätzt zu haben. Ich gebe zu, wenig Hoffnung gehabt zu haben, Sie könnten Erfolg haben.« Er wirkte überwältigt. Er zog sich einen freien Stuhl heran und nahm Platz. Lächelnd winkte er das Angebot des Lakaien ab, ihm Speisen und Wein zu bringen. Er wendete den Blick nicht von Monk ab. »Bitte erzählen Sie, was geschehen ist. Ich bin höchst begierig darauf, alles zu erfahren.«

Er bat nicht um Judiths Erlaubnis, aber vermutlich wusste er, dass sie noch erpichter darauf war als er selbst.

Monk begann den Bericht über ihre Abenteuer, straffte die Geschichte, soweit es möglich war, aber häufig unterbrachen ihn Judith oder Casbolt und baten um mehr Details, sprachen ihm ihr Lob aus oder brachten ihre Erschütterung über die Gefahren zum Ausdruck, denen sie ausgesetzt gewesen waren. Judith war insbesondere von der schwierigen Lage des amerikanischen Volkes bekümmert, das sich in diesem schrecklichen Kriegszustand befand. Sie schien bereits lebhafte, aber nur unvollständige Berichte über die Schlacht am Bull Run in den Zeitungen gelesen zu haben, die bestätigten, dass es ein schreckliches Gemetzel gewesen war.

Monk erzählte so wenig wie möglich davon, ohne jedoch den Inhalt seines Berichtes zu verstümmeln. Judith wurde mit jedem Augenblick gespannter. Einmal wurde ihr Gesicht weich, als Monk kurz von Merrits Hilfe bei der Vorbereitung der Ambulanzen für die Verwundeten sprach.

»Es muss schrecklich gewesen sein… nicht auszudenken!«, sagte sie mit belegter Stimme.

»Ja…« Er bot nicht an, ihr mehr darüber zu erzählen, aber als Hester sein Gesicht beobachtete, den Glanz seiner glatten, sonnenverbrannten Haut über den Wangen, wusste sie, dass es mehr sein eigener Schmerz war, den er nicht erneut durchleben wollte, und es ihm weniger darum ging, Judith den Schmerz zu ersparen.

Hester hatte gesehen, wie ihn das Grauen überwältigt hatte, wie ihm die eigene Hilflosigkeit den Glauben an sich selbst geraubt hatte. Dasselbe hatte sie verspürt, als sie zum ersten Mal eine Schlacht gesehen hatte, doch für sie war dieses Gefühl nicht so schlimm gewesen, da sie wenigstens über medizinisches Wissen verfügte und eine Funktion auszufüllen hatte. Sie konnte sich auf den Menschen konzentrieren, dem sie helfen, wenngleich vielleicht nicht retten konnte. Es war nicht immer der Erfolg, der es ihr erträglicher gemacht hatte, es war vielmehr die Fähigkeit, wenigstens den Versuch unternehmen zu können.

»Nahm Breeland denn an der Schlacht nicht teil?«, fragte Casbolt mit ungläubigem Blick.

»Doch. Genau dort fanden wir ihn.«

»Und er kam dennoch mit Ihnen?« Casbolt zog voller Unverständnis die Stirn in Falten. »Aber warum? Das hätte er doch bestimmt verhindern können! Ich kann einfach nicht glauben, dass ihn sein eigenes Volk dem englischen Recht überantwortete.«

»Die Union verlor die Schlacht«, erwiderte Monk, ohne eine weitere Erklärung anzubieten. Er sagte nichts von dem Blutbad und der Panik, als ob die Männer, deren Schande er damit verteidigte, Menschen waren, die ihm bekannt gewesen wären. Er sah weder Hester noch Trace an, auch gab er ihnen keine Chance, ihn zu unterbrechen.

»Wir reisten durch die Linien der Konföderierten nach Richmond und anschließend nach Charleston. Niemand versuchte, uns daran zu hindern.«

Judiths Augen waren groß vor Bewunderung. Selbst unter diesen Umständen konnte Hester nicht umhin, festzustellen, welch schöne Frau sie war. Es überraschte sie keineswegs, dass Philo Trace sich zu ihr hingezogen fühlte. Sie hätte es unverständlich gefunden, wenn es sich anders verhalten hätte.

»Aber die Polizei verhaftete Merrit«, sagte Judith zu Casbolt.

»Sie fanden Breelands Uhr im Hof des Lagerhauses.«

»Ich weiß«, beeilte er sich zu sagen. »Ich war dabei, als Monk sie aufhob.« Er wirkte konsterniert.

Judith senkte die Stimme. »Breeland schenkte sie Merrit als Andenken an ihn. Ich wusste das, aber ich hatte gehofft, die Polizei wüsste es nicht. Wie dem auch sei, jedenfalls erzählte Dorothea Parfitt es ihnen… in aller Unschuld, wie ich vermute. Aber nun kann es natürlich nicht mehr rückgängig gemacht werden. Merrit zeigte ihr die Uhr, sie prahlte ein bisschen, wie Mädchen es eben so tun.«

Casbolt legte den Arm um ihre Schultern und zog sie näher zu sich. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und die Intensität seiner Gefühle war einen Moment lang vollkommen offen in sein Gesicht geschrieben.

»Breeland ist verabscheuungswürdig«, sagte er leise. »Er muss sie ihr wieder abgenommen haben und sie dort fallen gelassen haben, unabsichtlich oder mit der Absicht, uns damit an seiner Verfolgung zu hindern, welche ihr Schaden hätte zufügen können. Wie es auch sei, Judith, ich schwöre, wir werden ihn in die Knie zwingen. Wir werden die besten Anwälte engagieren, die es gibt, und einen Kronanwalt als Verteidiger für Merrit, wenn wir es nicht verhindern können, dass es tatsächlich zur Anklage kommt.« Er wandte sich an Monk. »Halten Sie es denn für denkbar, dass Breeland sie entlasten wird? Empfindet er ihr gegenüber überhaupt einen Funken von Liebe, hat er ihr gegenüber ein Ehrgefühl? Schließlich ist er ein erwachsener Mann und sie ist kaum mehr als ein Kind. Außerdem hätte sie nie im Leben daran gedacht, aus eigenem Antrieb Waffen zu stehlen.«

Noch bevor er antwortete, wusste Hester, was Monk sagen würde. Sie warf sogar Trace einen kurzen Seitenblick zu und sah auch in seinem Gesicht den Schatten der Ahnung.

»Nein«, antwortete Monk unwirsch. »Er leugnet, Mr. Alberton ermordet oder jemals Waffen gestohlen zu haben.« Er ignorierte ihre ungläubigen Mienen und fuhr fort. »Er behauptet, Mr. Alberton habe seine Meinung hinsichtlich des Waffenverkaufs geändert und ihm eine entsprechende Nachricht zukommen lassen. Er sagt, er habe die Gewehre legal erworben und einem Mann namens Shearer das Geld dafür übergeben.«

»Was?« Casbolt riss den Kopf hoch. Judith starrte Monk ungläubig an.

»Weiter behauptet er, er habe keine Ahnung, wer die Männer im Hof des Lagerhauses ermordet haben könnte.« Monk fuhr fort: »Doch er deutete die Möglichkeit an, es sei Trace gewesen, aus Rache, dass es ihm nicht gelungen war, die Waffen in seinen Besitz zu bekommen.«

»Das ist doch lächerlich!« Casbolt konnte nicht länger an sich halten. »Das ist völlig absurd. Niemand würde das glauben.« Er wandte sich an Judith. »Hast du eine entsprechende Zahlung bekommen?«

»Nein«, gab sie entschieden zurück.

»Wer ist überhaupt dieser Shearer? Und wo ist er?«, fragte Monk sie.

»Ich weiß nicht, wo er ist«, gestand sie. »Für die Waffen wurde kein Geld bezahlt außer der Summe, die Mr. Trace anfangs hinterlegte, denke ich.«

Casbolt fuhr zu Philo Trace herum. »Sie hinterlegten doch die erste Hälfte für die gesamte Lieferung, nicht wahr?«

»Sie wissen, dass ich das tat, Sir.«

»Bekamen Sie jemals etwas zurückerstattet, weil Sie den Kauf nicht tätigen konnten?«

»Nein, keinen Cent.« Trace’ Stimme war leise, und sie klang angespannt, als ob es ihm Judiths wegen peinlich wäre, obwohl es doch nicht ihre Schuld war.

Casbolt sah Monk an. »Das sollte Ihre Fragen hinreichend beantworten, falls Sie noch welche gehabt haben sollten. Ich weiß nicht, was er mit Merrit getan hat, um sie von seiner Unschuld zu überzeugen, oder wie er sie gar dazu brachte, eine Lüge zu beschwören, um ihn zu schützen, aber sie ist erst sechzehn, noch ein Kind! Gewiss ist sie viel zu jung, um ihr Wort ernst zu nehmen, das sie für einen Mann gegeben hat, von dem sie ganz offensichtlich regelrecht besessen ist.« Er biss sich auf die Lippe, und sein Gesichtsausdruck wurde wieder weicher.

»Glauben Sie, er könnte sie bedroht haben?«

Wieder gab Monk eine aufrichtige Antwort. »Nein. Meiner Meinung nach glaubt sie wirklich an seine Unschuld. Ich weiß nicht, warum. Das mag keinen anderen Grund haben, als dass sie es nicht ertragen kann, ihn für schuldig zu halten. Es gibt wenige Dinge, die bitterer sind als die Zerstörung einer Illusion, und wir Menschen neigen dazu, uns selbst glauben zu machen, was wir unbedingt glauben möchten, wie absurd es auch immer sein mag. Wir nennen es Loyalität oder Glaube oder welche Tugend uns selbst am höchsten erscheint und dem Bedürfnis angemessen ist.«

Casbolt sah Judith an, dann richtete er den Blick auf die polierte Oberfläche des Tisches mit all seinem Silber und Blumenschmuck. »Es scheint keinen Weg zu geben, sie vor Schaden bewahren zu können. Das Beste, was wir tun können, wird sein, sie davor zu bewahren, vor dem Gesetz in Breelands Schuld mit einbezogen zu werden. Die Geschichte über unseren Unterhändler Shearer ist absurd. Ganz offensichtlich organisierte Breeland den Diebstahl der Waffen, ob er nun persönlich daran beteiligt war oder nicht.« Er sah Judith an, und wieder wurde sein Gesicht weicher, seine Stimme sanfter. »Möchtest du Pillbeam damit beauftragen, die Sache für dich in die Hand zu nehmen? Wenn es dir lieber ist, kann ich mich darum kümmern und dafür Sorge tragen, dass Merrit von dem bestmöglichen Barrister vertreten wird. Es besteht keine Notwendigkeit, dich damit zu belasten.«

In ihre Augen trat ein sanfter Schimmer. »Ich danke dir, Robert«, sagte sie schnell und griff nach seiner Hand. »Ich weiß nicht, wie ich diese schrecklichen letzten Wochen ohne deine Freundschaft durchgestanden hätte. Du hast dich nicht im Mindesten geschont, und ich weiß, dass dein Kummer meinem fast nicht nachsteht. Daniel war ja länger dein Freund, als er mein Ehemann war. Er würde dir fast ebenso dankbar sein wie ich für deine unermüdliche Sorge.«

Casbolt errötete auf sonderbar verlegene Weise und zeigte damit eine Verwundbarkeit, die Monk irritierte.

»Ich glaube nicht, dass Merrit zustimmen wird, getrennt von Breeland von einem Anwalt vertreten zu werden«, bemerkte Hester eindringlich. »Und ganz gewiss wird sie ihm nicht erlauben, sich auf irgendeine Art für sie zu opfern. Sie wird es als Maß ihrer Liebe betrachten, mit ihm zu leiden, egal, wie unschuldig sie tatsächlich sein mag.«

»Aber das ist doch…«, begann Casbolt, doch als er ihr Gesicht sah, brach er ab. Vielleicht kannte er Merrit gut genug, um die Wahrheit ihrer Worte zu erkennen. Er drehte sich zu Monk um.

Doch wieder war es Hester, die das Wort ergriff. »Wir kennen Sir Oliver Rathbone sehr gut. Er ist der beste Barrister Londons. Wenn jemand sie verteidigen kann, dann er.«

Judith wandte sich schnell zu ihr um, in ihren Augen lag Hoffnung. »Würde er das denn tun? Vielleicht ist Merrit ja gar nicht gewillt, Hilfe anzunehmen. Wird er dann nicht ablehnen… unter diesen Umständen?« Sie biss sich auf die Lippe. »Ich werde ihm jeden Preis bezahlen, wenn es daran liegen sollte. Bitte, Mrs. Monk, wenn es irgendetwas gibt, was Sie tun können, um ihn dazu zu bewegen…! Ich werde das Haus verkaufen, die Juwelen, die ich besitze, alles, nur um meine Tochter zu retten.«

»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Hester. »Es wird nicht Geld sein, das ihn interessiert, obwohl ich ihm selbstverständlich mitteilen werde, wie sehr Sie sich sorgen und zu welchen Opfern Sie bereit wären. Alles hängt von der Frage ab, ob wir eine Möglichkeit finden, Merrit von Breelands Vergehen zu trennen.«

»Sie müssen getrennt vor Gericht gestellt werden!« Casbolt konnte nicht umhin, Hester zu unterbrechen. Sein Körper war angespannt, und seine Augen wirkten müde.

»Es ist doch ganz offensichtlich ungerecht, die beiden so zu behandeln, als handelten sie im selben Geist und trügen dieselbe Verantwortung. Sicherlich könnte ein guter Anwalt eine Jury davon überzeugen!«

Seine Stimme klang verzweifelt, ein schriller Unterton wurde laut, der seine aufsteigende Panik verriet.

»Natürlich«, sagte Monk schnell, bevor Casbolt weitersprechen konnte und Judith seine Angst bemerken würde. »Wir werden ihm die Umstände erläutern, und wenn er einwilligt, den Fall zu übernehmen, kann er zu Ihnen kommen, um die nötigen Arrangements zu treffen.«

»Ich bin Ihnen ja so dankbar!« Judiths Gesicht leuchtete vor Erleichterung, dann legte sich plötzlich ein Schatten der Scham darüber. »Sie haben bereits so viel für mich getan! Sie müssen erschöpft sein, und ich sitze einen halben Abend lang hier und belästige Sie mit weiteren Problemen und hoffe auf Ihre Hilfe, wo Sie doch nur noch ein Schatten Ihrer selbst sind und sich nichts auf Erden so sehr wünschen, als endlich nach Hause und in Ihr Bett zu kommen. Es tut mir Leid!«

»Dazu besteht keinerlei Veranlassung.« Hester streckte eilig den Arm über den Tisch und berührte Judiths Hand.

»Wir haben Merrit ins Herz geschlossen und sind fast so empört wie Sie über das Unrecht, das geschehen könnte, müsste Breeland den Preis für sein Verbrechen nicht bezahlen. Hätten Sie uns nicht ohnehin gebeten, es hätte uns widerstrebt, unsere Aufgabe halb erfüllt aufzugeben.«

Judith erwiderte nichts. Sie war so von ihren Gefühlen gefangen genommen, dass sie sich kaum mehr unter Kontrolle hatte.

»Ich danke Ihnen«, sagte Casbolt an ihrer Stelle. »Es war ein glücklicher Tag für uns, als Sie unsere Wege kreuzten. Ohne Sie wäre dies alles zu einer vollkommenen Tragödie geworden.« Er wandte sich an Trace. »Ich habe es bis jetzt versäumt, auch Ihnen für Ihre Mitarbeit zu danken, Sir. Ihr Wissen und Ihr Wille, Ihre Zeit zu opfern und das Risiko auf sich zu nehmen, Ihre Sicherheit für die Gerechtigkeit und für Merrit aufs Spiel zu setzen, das ist eine beachtliche Barmherzigkeit, die Sie als wahren Gentleman auszeichnet. Wir stehen hoch in Ihrer Schuld, Sir.«

»Zwischen Freunden gibt es keine Schuld«, erwiderte Trace. Er sprach mit Casbolt, aber Monk war sich ziemlich sicher, dass seine Worte für Judith bestimmt waren.

Es war nicht eine Aufgabe, auf die Monk sich gefreut hätte. Er hatte gehofft, Judith Alberton würde über einen Anwalt verfügen, dem ihr uneingeschränktes Vertrauen galt, so dass sie sich nicht weiter hätte umsehen müssen, aber er hatte dennoch immer mit der Möglichkeit gerechnet, sich am Ende an Rathbone wenden zu müssen. Dies war ein auswegloser Fall.

Trotzdem spürte er, während er und Hester auf dem Heimweg waren, wie sich bei der Aussicht, am folgenden Tag zur Vere Street fahren und mit Oliver Rathbone sprechen zu müssen, schlimmer noch, ihn um einen Gefallen bitten zu müssen, eine tiefe Depression über ihn legte.

Ihre Beziehung zueinander hatte eine lange, von Spannungen geprägte Geschichte. Rathbone war von Geburt an alles, was Monk nicht war. Er war privilegiert, lebte in finanziell gesicherten Verhältnissen, er hatte eine exzellente Erziehung genossen, war Mitglied der gehobenen Gesellschaft und bewegte sich völlig mühelos als Gentleman. Monk hingegen war der Sohn eines Fischers aus Northumberland, ein Selfmademan, der seine Bildung bezog, woher er nur konnte, und der seine Lage ständig durch Einfallsreichtum und harte Arbeit zu verbessern suchte. Vor unkritischen Augen konnte er als Gentleman bestehen. Er besaß keinen Deut weniger Eleganz als Rathbone, aber sie kostete ihn Mühe. Er hatte gelernt, wie er sich zu benehmen hatte, imitierte Herren, die er bewunderte, und doch machte er manches Mal Fehler und erinnerte sich ihrer hinterher mit brennender Verlegenheit.

Rathbone hatte sich niemals anmerken lassen, dass er Monk überlegen war; das zu tun, wäre auch völlig überflüssig gewesen. Monk begriff das erst jetzt, in seinen Vierzigern.

Eigentlich war alles nur ein natürlicher Verschleiß zwischen zwei Männern, die über dieselbe Intelligenz und denselben Ehrgeiz verfügten, über eine rasche Auffassungs und Formulierungsgabe und die dieselbe Leidenschaft für Gerechtigkeit hegten. Was aber wirklich wichtig war und was bei jedem von ihnen stets im Vordergrund stand, war, dass sie beide dieselbe Frau liebten. Und diese Frau hatte Monk gewählt.

Nun musste Monk zu ihm gehen und ihn um Hilfe bitten, ihm einen Fall anbieten, der sich gewiss als kompliziert und höchst gefühlsbetont herausstellen konnte und der aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einer befriedigenden Lösung führen würde. Doch es war eine Art Kompliment, dass er Rathbone für den einzigen Mann hielt, der solch eine Aufgabe übernehmen wollte und konnte.

Hester bestand darauf, Monk zu begleiten.

Sie kamen unangemeldet, woraufhin ihnen ein Diener entschuldigend mitteilte, Sir Oliver befände sich im Gericht. Wenn die Angelegenheit jedoch so wichtig sei, wie sie andeuteten, und in Anbetracht ihrer langjährigen Verbindung, könnte man eine Nachricht zum Old Bailey schicken, wo Sir Oliver sie eventuell während der Mittagspause empfangen könnte.

So geschah es dann auch. Die drei setzen sich in einem überfüllten Gasthaus zusammen, beugten sich über einen kleinen Tisch und unterhielten sich so leise wie möglich, jedoch laut genug, um sich über das Gewirr von Stimmen hinweg, die allesamt dasselbe versuchten, verständlich zu machen.

Rathbone begrüßte Hester, dann lauschte er aufmerksam Monk, der ihm die ganze Geschichte darlegte und sich darauf konzentrierte, den Fall möglichst logisch zu schildern. Monk war selbst überrascht, wie unwohl er sich fühlte.

»Ich nehme an, Sie haben von den Morden im Hof des Lagerhauses in der Tooley Street gelesen?«, fragte er.

»Ja«, antwortete Rathbone zurückhaltend. »Ganz England las darüber. Äußerst scheußliche Sache. In einer der heutigen Morgenzeitungen stand zu lesen, Lyman Breeland sei nach London zurückgebracht worden, um vor Gericht gestellt zu werden, ebenso wie Albertons Tochter. Aber das ist vermutlich blanker Unsinn.«

Er schob das Gemüse langsam auf seinem Teller herum.

»Sicher wurde jemand gesehen, der den beiden ähnelt. Warum, um Gottes willen, sollte er sein Anliegen und sein Land im Stich lassen, wenn er gerade jetzt dort gebraucht wird, und weshalb sollte er hierher zurückkommen, wo er doch mit großer Wahrscheinlichkeit am Galgen endet? Ich halte es für vorstellbar, dass Präsident Lincoln auf diplomatischer Ebene eine Einigung mit England anstreben würde, wegen Breelands Bedeutung für die Sache der Union, aber ich kann mir keine Möglichkeit vorstellen, wie sich das mit der öffentlichen Meinung hier in unserem Land vereinbaren ließe, vom Gesetz gar nicht zu reden.« Er zog die Stirn in Falten. »Warum fragen Sie? Ich nehme an, Sie haben irgendein Interesse an dem Fall, andernfalls hätten Sie das Thema nicht aufgebracht.«

»Wir waren es, die ihn zurückbrachten«, erwiderte Monk, während er Rathbones langes Patriziergesicht mit den hohen Wangenknochen und dem sensiblen Mund betrachtete. Er sah, wie sich plötzliche Überraschung darauf abzeichnete. »Mit vorgehaltener Waffe allerdings«, fügte er hinzu. »Aber er war nicht so unwillig, wie man annehmen hätte sollen.«

»Tatsächlich?« Rathbones Augenbrauen hoben sich. »Er behauptet, unschuldig zu sein und von Albertons Tod nichts gewusst zu haben.« Monk schenkte Rathbones Gesichtsausdruck keine weitere Beachtung. »Ich glaube es zwar nicht, aber es ist nicht vollkommen ausgeschlossen. Er sagt, Alberton habe seine Meinung geändert und ihm die Waffen verkaufen wollen, und dass er ihm eine entsprechende Nachricht habe zukommen lassen. Der Nachtportier in Breelands Unterkunft brachte ihm in jener Nacht tatsächlich eine Depesche, nach deren Empfang Breeland seine Habseligkeiten packte und kurz darauf mit Merrit Alberton das Haus verließ.«

»Die Depesche hätte alles Mögliche beinhalten können«, räsonierte Rathbone. »Aber fahren Sie fort.«

»Er sagte, ein Mann namens Shearer, ein Unterhändler Albertons, hätte die gesamte Ladung, Waffen und Munition –«

»Wie viele?«, unterbrach Rathbone.

»Sechstausend Gewehre und eine halbe Million Munitionskugeln«, erwiderte Monk. Rathbones Augen wurden groß.

»Ganz schönes Gewicht. Nichts, was man mit einem Schubkarren abtransportieren könnte. Wissen Sie, wie viel das ungefähr ausmacht? Eine Wagenladung, zwei oder gar drei?«

»Mindestens drei große Wagen«, antwortete Monk. »Er sagt, Shearer hätte sie ihm an den Bahnhof geliefert, wo er ihm den gesamten Betrag in bar ausbezahlt hätte, woraufhin Shearer seiner Wege gegangen sei. Breeland behauptet, Alberton überhaupt nicht gesehen zu haben und ihm ganz gewiss nichts angetan zu haben.«

»Und was sagt Merrit Alberton dazu?«, fragte Rathbone mit einem Blick auf Hester.

»Dasselbe«, antwortete sie. »Sie sagt, sie seien mit dem Zug nach Liverpool gefahren, von dort aus mit dem Schiff, das noch in Queensland in Irland anlegte. Nach der Ankunft in New York seien sie per Eisenbahn nach Washington gereist. Wir legten den gleichen Weg zurück. Sie beschrieb ihn ziemlich genau.«

Rathbone dankte ihr. Es war unmöglich, zu sagen, ob er in ihrem Gesicht ihre Gefühle gelesen hatte.

»Ich hatte gedacht, die Polizei hätte die Waffenladung bis zu einem Prahm, der flussabwärts fuhr, verfolgt«, sagte er nachdenklich. »Habe ich da irgendetwas falsch verstanden?«

»Nein. Das ist tatsächlich so«, bestätigte Monk. »Wir konnten den Weg des Prahms bis Greenwich verfolgen, und wir nehmen an, dass dort ein seegängiges Schiff wartete, auf das die Gewehre verladen wurden.«

»Dann lügen sie also beide?«

»Muss wohl so sein. Außer, es gibt noch eine andere Erklärung, auf die wir bis jetzt nicht gestoßen sind.«

»Und was erwarten Sie nun von mir?« Obwohl bereits ein trauriger Schatten um seine Augen spielte, lag ein Lächeln auf seinen Lippen, vielleicht in Erinnerung an andere Schlachten, die sie miteinander ausgefochten hatten und in denen sie sowohl Niederlagen als auch Siege aneinander geschweißt hatten.

Hester sog pfeifend den Atem ein, überließ die Antwort jedoch Monk. »Wir möchten, dass Sie Merrit Alberton verteidigen«, antwortete er. »Sie schwört, ihren Vater nicht ermordet zu haben, und ich glaube ihr.«

Hester beugte sich mit eindringlicher Miene nach vorn.

»Aber sei es, wie es sei, sie ist erst sechzehn Jahre alt und steht vollkommen unter Breelands Einfluss. Sie glaubt leidenschaftlich an die Sache der Union und hält ihn für einen Helden. Sie hat sämtliche Ideale von Tapferkeit und Edelmut, die ein junges Mädchen nur haben kann.« Rathbones dunkle Augen wurden groß. »Die Union der Vereinigten Staaten? Warum, um Himmel willen? Welche Bedeutung soll das für ein junges englisches Mädchen haben?«

»Nein, es ist nicht die Union, ihr geht es mehr um die Sklaverei!«

Ihr eigenes glühendes Bestreben, ihr tiefgründiger Hass auf alle Übel der Herrschaft, auf Grausamkeit und Verweigerung der Menschenrechte, brannten in ihrem Gesicht. Wenn Merrit Alberton nur einen Teil von dem empfand, was sie in sich spürte, dann wäre es schmerzlich einfach, zu glauben, dass sie einem Mann, dessen Kreuzzug der Freiheit gewidmet war, bis ans Ende der Welt gefolgt wäre und dabei wenig an den Preis gedacht hätte, den sie dafür zu bezahlen haben würde.

Rathbone seufzte. In einem Augenblick tiefsten Verständnisses wusste Monk genau, was er dachte, und als Rathbone sprach, wurde er darin bestätigt.

»Das mag ihr bei einer britischen Jury sehr wohl Sympathien einbringen, die der Sklaverei ebenso wenig Liebe entgegenbringt wie ein Unionist, aber vor den Augen des Gesetzes wird es nichts entschuldigen. Ist sie mit diesem Breeland verheiratet?«

»Nein.«

Er seufzte leicht. »Na, ich nehme an, das ist wenigstens etwas. Und sie ist sechzehn Jahre alt?«

»Ja. Aber sie wird nicht gegen ihn aussagen.«

»Das habe ich angenommen. Auch wenn sie es täte, würde es uns nicht besonders helfen. Treue ist eine sehr attraktive Qualität. Treulosigkeit ist es nicht, selbst wenn es gute Gründe dafür gibt. Ich schwöre Ihnen, Monk, bisweilen denke ich, Sie verbringen Ihre Zeit damit, immer kompliziertere Fälle für mich aufzutreiben, bis Sie wieder einen haben, der mich in völlige Konfusion stürzt. Dieses Mal haben Sie sich wahrlich selbst übertroffen. Ich weiß kaum, wo ich beginnen soll.« Aber der Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte, dass seine Gedanken bereits rasten.

Monk spürte nun zum ersten Mal seit langer Zeit, dass sich seine Stimmung etwas hob. Wenn Rathbone den Fall als persönliche Herausforderung ansah, würde er ihn sicherlich übernehmen. Nichts würde es ihm je gestatten, vor den Augen Hesters einen Rückzieher zu machen. In seinen Augen blitzten Humor, Selbstironie und Selbsterkenntnis, als ob er Monks Gedanken so gut wie seine eignen kannte und sie akzeptierte. Wenn es einen Augenblick gab, in dem Schmerz und neuerlich empfundene Einsamkeit Rathbone belasteten, dann gelang es ihm, ihn schnell zu überwinden.

Er begann die beiden über jedes Detail auszufragen, das ihm in den Sinn kam. Er stellte Fragen über Casbolt, Judith Alberton, Philo Trace und über die gesamte Reise nach Amerika und was sie dort getan hatten. Insbesondere interessierte er sich für Monks Fahrt die Themse hinunter, die er in Begleitung Lanyons unternommen hatte.

Er wirkte betrübt, und einen Augenblick verlor er regelrecht die Fassung, als Monk vom Auffinden der Leiche Albertons erzählte und davon, dass er beinahe auf die Uhr getreten wäre.

Von der Schlacht am Bull Run erzählte Monk wenig. Dieses Grauen war etwas, wofür er keine Worte fand. Die wenigen Worte, die ihm einfielen, klangen gestelzt, und seine Gefühle waren zu aufgewühlt, um sie hier in diesem lärmerfüllten, freundlichen und friedlichen Gasthaus mit jemandem zu teilen. Außerdem war er selbst nicht bereit, daran zu denken. Es war zu eng mit seiner Liebe zu Hester und mit einem sonderbar stechenden Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit verbunden, sich je der Schönheit würdig zu erweisen, die er in ihr gesehen hatte. Außerdem war dies das Letzte, was er Rathbone hätte anvertrauen wollen. Gerade diesem Mann gegenüber wäre das äußerst grausam gewesen.

Hastig fuhr er fort zu berichten, wie sie Breeland gefunden hatten und wie er und Philo Trace ihn auf dem Weg nach Richmond, Charleston und bis nach Hause abwechselnd bewacht hatten.

»Verstehe«, murmelte Rathbone, als Monk seinen Bericht beendet hatte, wobei Hester nur gelegentlich einige Worte hinzugefügt hatte. »Dann dürfen Sie Mrs. Alberton mitteilen, dass ich sie aufsuchen werde und sie mich an ihren Solicitor verweisen kann, um mir von ihm Instruktionen erteilen zu lassen. Ich habe offenbar wieder einmal eine große Schlacht vor mir.«

Monk überlegte, ob er ihm danken sollte, zögerte, und er unterließ es dann. Rathbone hatte den Fall nicht wegen ihm persönlich übernommen… für Hester vielleicht… möglicherweise wegen der Herausforderung, wegen der Gerechtigkeit, aber niemals wegen Monk, höchstens um unter Beweis zu stellen, dass er sich der Aufgabe gewachsen fühlte.

»Gut!«, sagte Monk. »Sehr gut.«