… und noch ein kleines Geständnis zum Schluss

Es war ein wunderschöner Morgen. Die Sonne steckte ihre goldenen Arme durch die Windschutzscheibe und kitzelte mich in der Nase. Ich war hellwach, obwohl ich seit zwei Tagen nicht geschlafen hatte, wie ein Blick in den Rückspiegel mir bestätigte. Unter meinen Augen lagen dunkle Ringe, meine Haut war aschfahl und meine Lippen waren vom Rotwein dunkel verfärbt. Dieser Anblick bestärkte mich noch mehr. Ich hatte zwei Tage und Nächte in meinem Zimmer gesessen, getrunken und geweint. Mein Herz blutete und ich fühlte eine Qual, von der ich glaubte, dass sie noch nie ein Mensch zuvor verspürt hätte. Wie hatte sie mir das antun können? Wieso war sie so kalt zu mir gewesen? - Ich konnte es nicht verstehen, konnte mir keinen Reim darauf machen. Ich wusste nur, dass sie mir mein Herz aus der Brust gerissen, es zertreten und anschließend noch darauf gespuckt hatte.

Noch heute dreht sich mir beim Gedanken an all das der Magen um. Mir wird übel und ich schmecke sauren Rotwein auf meiner Zunge. Versteh mich nicht falsch, ich bereue nichts. Ich leide nicht wegen dem was ich tat, sondern wegen dem, was sie mir angetan hat!

Es war ziemlich genau acht Uhr morgens, als ich das Haus verließ. Ich weiß noch, dass ich ein bisschen schwankte; Schlafmangel und Alkohol hatten ihr Bestes gegeben, meinen Körper seiner Kräfte zu berauben. Dennoch ließ ich mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. Ich war vollkommen klar im Kopf, als ich durch die menschenleeren Straßen streifte. Ich wusste genau, was ich suchte und fand es auch gerade im richtigen Augenblick.

Das Auto parkte in einer Seitenstraße. Die Sonne reflektierte auf dem himmelblauen Lack des Wagens und ich erinnere mich, dass ich diese Farbe als durchaus untypisch für ein Auto empfand. Die Fahrertür war nicht verschlossen. Derartiger Leichtsinn musste natürlich bestraft werden. Die Besitzer des Wagens konnten nur froh sein, dass ich es war, der ihr Auto gefunden hatte und nicht etwa ein gemeiner Dieb. Selbstverständlich würden sie ihre blaue Familienkutsche von mir zurückbekommen. Nur ob sie sie dann noch haben wollten, wusste ich nicht.

Ich setzte mich hinter das Steuer und ließ meine Finger über das raue Lenkrad gleiten. Das Wageninnere duftete nach Zitrone, der Aschenbecher war leer und die Fußräume waren sauber. Beinahe schien es, als wäre der Wagen nie zuvor benutzt worden. Als hätte man ihn extra für mich gebaut und hier abgestellt.

Ich schaute in das Handschuhfach und hinter die Sonnenblenden, auf der Suche nach einem Zündschlüssel, fand jedoch nichts. Das war weiter kein Problem; ich wusste, wie man ein Auto auch ohne Schlüssel zum Laufen brachte. Der Motor schnurrte und ich stellte sämtliche Spiegel auf meine Bedürfnisse ein. Dann setzte ich den Wagen langsam in Bewegung und verließ die Seitenstraße.

Ich kurvte eine Weile durch den Morgen. Der Wind fuhr durch die heruntergekurbelten Fenster in das Wageninnere, strich mir durchs Haar und erfrischte meinen müden Körper. Ich machte mir keine Sorgen, dass jemand mich entdecken könnte; um diese Zeit lag alles noch in tiefem Schlaf. Es war viertel vor neun, als ich langsam auf die Hauptstraße einbog. Ich konnte keine Menschenseele entdecken und schaltete den Motor aus. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es nicht mehr lange dauern würde. Ich kannte den Ablauf, denn ich hatte ihn oft genug beobachtet. Es würde nichts schiefgehen, dessen war ich mir sicher.

Nach ein paar Minuten verließ ein Schatten eines der Häuser vor meinem Wagen. An dieser Straße gab es, wie an den meisten hier, keinen Gehweg, sodass der Schatten ohne zu zögern die Straße betrat. Er wusste, dass es so etwas wie Verkehr um diese Uhrzeit noch nicht gab.

Ich fühlte wie es in meinem Magen zu kribbeln begann. Die Vorfreude war riesig. Meine Augen brannten von der Übermüdung. Eine winzige heiße Träne bahnte sich zunächst gemächlich, dann immer schneller einen Weg über meine Wange. Ich war nervös und kaute auf meiner Unterlippe herum. Sie schmeckte nach kaltem Rauch und Wein. Ich wartete noch ein paar Sekunden und startete dann den Motor erneut. Der Schatten hatte sich bereits deutlich von mir entfernt und ich musste aufpassen, dass ich den richtigen Zeitpunkt nicht verpasste. Ich atmete tief ein, horchte auf mein Herz und wusste, dass ich das richtige tat.

Meine Finger umklammerten das Lenkrad und mein Fuß bearbeitete das Gaspedal. Zunächst drückte er es ganz vorsichtig herunter, ließ es dann wieder nach oben schnellen, nur um es dann plötzlich mit voller Kraft auf den Boden zu pressen. Der Wagen machte einen Satz und der Motor heulte auf, beinahe so, als hätte er einen Schluckauf. Dann erholte er sich wieder und das Auto bewegte sich vorwärts, wobei es immer mehr an Geschwindigkeit aufnahm. Der Fahrtwind riss jetzt an meinen Haaren und ich musste meine Augen zusammenkneifen, damit ich überhaupt noch etwas erkennen konnte. Ich raste die menschenleere Straße entlang, auf den Schatten zu, der jetzt nur noch wenige hundert Meter von mir entfernt war.

Offensichtlich war das Geräusch des Motors nicht mehr zu überhören, denn ich erkannte, dass der Schatten stehenblieb und sich langsam umdrehte. Ich erinnere mich an weit aufgerissene Augen und einen dumpfen Schlag, der so unspektakulär war, dass ich ihn beinahe nicht wahrgenommen habe.

Enttäuscht hielt ich an, stellte den Motor ab und verließ den Wagen. Erst als ich um die Motorhaube herumging, sah ich das Ausmaß meiner kleinen Spritztour. Die Motorhaube war eingedrückt, der rechte Scheinwerfer war zerstört und überall hatten sich, wie feiner Nebel, kleine rote Spritzer verteilt, die farblich einen interessanten Kontrast zum Autolack bildeten. Meine Hände begannen zu zittern.

Ein paar Meter vom Wagen entfernt lag ein Körper im Gras eines gepflegten Vorgartens. Die Gliedmaßen waren seltsam verdreht und das Gesicht zeigte nach unten. Ich unterdrückte den Impuls hinüberzugehen und einen letzten Blick auf sie zu werfen, denn ich befürchtete, dass ich dann vielleicht doch ein schlechtes Gewissen bekommen könnte. Außerdem wollte ich Gaja so in Erinnerung behalten wie sie gewesen war. Ich wollte kein Mitleid empfinden, sondern mich nur daran erinnern, was sie meinem Herzen angetan hatte.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen begab ich mich wieder in den Wagen und startete den Motor. In diesem Augenblick wurde die Tür des Hauses aufgerissen, in dessen Vorgarten Gajas verdrehter Körper lag. Instinktiv duckte ich mich hinter das Lenkrad und drückte das Gaspedal nach unten.

Ich erhaschte nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf ein kleines Mädchen mit langem Haar und leuchtend grünen Augen. Ich raste davon und war mir sicher, dass sie mich nicht gesehen hatte; zumindest nicht genug von mir, um mich identifizieren zu können. Außerdem war sie nur ein Kind und niemand würde einem Kind glauben. Zumindest nicht hier, nicht in meiner Stadt.

Ich parkte das Auto ein paar Straßen weiter und stieg aus. Als ich die Tür schloss, entdeckte ich auf der Rückbank einen übergroßen Stoffpinguin, der mich mit freundlichen Augen anblickte. Ich winkte ihm fröhlich zu und machte mich dann auf den Weg nach Hause. Ohne es zu merken, pfiff ich dabei eine kleine Melodie vor mich her. Kennst Du das, wenn man ein Lied mit einer schönen Erinnerung verknüpft und man es deshalb niemals vergisst? Ich sage Dir, das hier ist so ein Lied, dass ich wohl nie vergessen werde und auch nie vergessen will:

 

 

Häng das Fähnlein in den Wind

halt die Karte in der Hand

das versteht doch jedes Kind

gerät außer Rand und Band

jetzt geht’s rein in die Natur

dort entdecken wir Leben pur

 

 

Und? Kommt Dir das Lied bekannt vor? Ach komm schon, Du musst jetzt nicht schockiert sein. Du wusstest doch, worauf Du Dich einlässt. Was willst Du jetzt von mir hören? - Das es mir leid tut? Das tut es nicht. Ich kann nun mal nicht aus meiner Haut. Und wenn Du hier drin stecken würdest, dann ginge es Dir mit Sicherheit ganz genauso! Genau wie ich es gesagt habe. Und wenn Du Dich weigerst, dass zu akzeptieren, dann stell Dir doch mal die Frage, warum Du eigentlich überhaupt noch hier bist.