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Die Welt vor dem Sichtfenster sah genau so aus wie die Projektionen, die Desvendapur und die anderen seit Tagen studiert hatten: eine beeindruckende Kugel aus Wolken und Kontinenten, die beinahe überschwemmt wurden von einem unverhältnismäßig hohen Wasseranteil. Es schien unmöglich, dass sich auf solch zerstreuten und isolierten Landmassen intelligentes Leben hatte entwickeln können, doch das war unbestreitbar geschehen. Dann war die Zeit des Studierens vorüber, und ein ranghoher Projektleiter gab ihnen eine letzte Einweisung.

»Weil Geheimhaltung unabdingbar ist, wird man Sie heimlich zur Oberfläche bringen.« Der große Thranx vollzog eine unterstreichende Geste. »Seit wir und unsere menschlichen Kollegen die Kolonie gegründet haben, machen wir uns Gedanken darüber, wie wir unser Projekt mit einem gewissen Maß an garantierter Sicherheit durchführen können. Das heißt aber nicht, dass es kein Restrisiko mehr gibt.« Er sah sie nacheinander an. Mit winkenden Echthänden und zuckenden Antennen gaben die vier angehenden Kolonisten ihm zu verstehen, dass ihnen der Ernst der Lage bewusst sei.

»Falls die Menschen euren Shuttle bei der Landung abfangen, wisst ihr von nichts. Ihr seid Arbeiter und auf dem Weg zur offiziellen Kontaktstätte, die an einem Ort namens Lombok liegt.« Desvendapur fand, dass der Projektleiter den Namen der Ortschaft so merkwürdig aussprach, als befinde er sich im ersten Stadium des Ertrinkens, mit allen acht Stigmen unter Wasser. Doch trotz seiner linguistischen Schwierigkeiten war das Menschenwort deutlich zu verstehen gewesen. »Falls man euch verhört, könnt ihr eure jeweiligen Fachgebiete beschreiben. Eure Berufe sind unauffällig genug, daher wird niemand auf den Gedanken kommen, dass ihr zu einer geheimen Kolonie unterwegs wart und nicht zu einer offiziellen Kontaktstätte.

Packt eure persönlichen Sachen und meldet euch in zwei Zeitteilen in der Ausschiffungskammer!« Mit einer Geste drückte er eine Mischung aus Warnung und Bewunderung aus. »Ihr nehmt an einem bedeutenden Experiment teil. In etwa zwanzig Jahren, wenn es an der Zeit ist, die Existenz der Kolonie zu offenbaren, werden die Menschen unseren Erwartungen zufolge sich schon so sehr an uns gewöhnt haben, dass sie uns nicht nur akzeptieren, sondern sich sogar über ihre eigene anfängliche Unsicherheit amüsieren werden. Zudem wird das Experiment beweisen, dass unsere beiden Spezies dazu in der Lage sind, sich eine Welt zu teilen, ohne die Gesellschaft oder Umgebung der jeweils anderen Spezies nachteilig zu beeinflussen. Das Kolonieprojekt wird noch andere gesellschaftliche Fragen beantworten, aber es ist jetzt nicht erforderlich, in Details zu gehen. Was Ihren Aufenthalt unter diesen Wesen anbelangt, werden Sie von denen, die schon auf dem Koloniegelände leben und arbeiten, gründlich eingewiesen.«

Der Meteorologe gestikulierte eine Frage. »Was ist mit Ihnen? Haben Sie schon viel Zeit unter den Menschen verbracht?«

»Ein wenig«, eröffnete der Projektleiter.

»Und was halten Sie von ihnen? Unsere Erfahrungen mit Menschen sind bisher begrenzt.«

»Sie sind frustrierend. Freundlich, aber zögerlich. So impulsiv, dass es an Dummheit grenzt. Ungemein amüsant. Bedrohlich. Sie bewegen sich flüssig, setzen aber manchmal ihre Hände ungeschickt ein. Sie werden es selbst bemerken. Die Menschen sind ein zockelndes, torkelndes wundersames Gemisch aus Widersprüchen. Und ich spreche von den Besten ihrer Art - damit meine ich zum Beispiel die Regierungsmitglieder, die bei der Durchführung des Kolonieprojektes geholfen haben, indem sie ihre Mitmenschen täuschten. Die allgemeine menschliche Bevölkerung, die durch dieses Experiment bekehrt werden soll, ist wie ein wogendes, unberechenbares, misstönendes Meer kaum kontrollierten Chaos. Unter den Menschen bewegt man sich wie in einem Waffenlager, das jeden Moment explodieren kann. Jeder einzelne Mensch ist eine tickende Zeitbombe. Insgesamt erwecken sie in einem Thranx das Bedürfnis, so schnell wie möglich vor ihnen zu fliehen. Ich persönlich mag sie nicht. Aber der Große Rat hat verfügt, dass wir versuchen sollen, sie als Verbündete zu gewinnen. Ich für meinen Teil bevorzuge eher die Quillp.« Er trat vor.

»Aber ich bin an meine Befehle gebunden. Ich gestehe ein, dass die Menschen unbestreitbar klug und intelligent sind. Man verlangt von uns, dass wir uns bemühen, sie uns trotz individueller Abneigungen zu Freunden zu machen, damit die AAnn - oder eine ebenso unangenehme Spezies - sich nicht ihrerseits mit ihnen anfreunden. Darauf hinzuarbeiten ist ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Arbeit. Sie alle sind Spezialisten, manche auf modernen Forschungsgebieten, manche im Versorgungswesen, aber jeder von Ihnen ist ein Botschafter. Vergessen Sie das nie, keinen Zeitteil lang!«

Man entließ sie in ihre Kabinen, damit sie ihre jeweiligen Habseligkeiten packen und ihre Gedanken sammeln konnten. Des wusste nicht, was seinen drei Gefährten durch den Kopf ging, doch was ihn betraf, konnte er seine Aufregung kaum im Zaum halten. Das war es, worauf er so lange Zeit hingearbeitet hatte! Dafür hatte er gelogen und betrogen und gefälscht: für wilde, frische Inspiration, die allen anderen Dichtern auf sämtlichen Thranx-Welten verwehrt bliebe.

Plötzlich schob sich ein finsterer Gedanke vor seinen Traum wie eine Wolke. Was, wenn es bereits einen Dichter in der geheimen Kolonie gab? Bestimmt würde sich das Personal dort des einen oder anderen offiziellen Besänftigers rühmen - oder? Er beschloss, sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Falls es dort Besänftiger gab, mussten sie ihren Pflichten nachgehen und Vorträge für ihre Mitkolonisten halten. Er arbeitete nicht unter solchen Bedingungen, war frei von allen Verpflichtungen. Wenn er seine alltäglichen, niederen Arbeiten in der Küche verrichtet hätte, würde er völlig frei dichten können. Seine Werke würde er vor neugierigen Augen in dem sicheren Speicherbereich seines Sch'reibers ablegen. Er würde sie erst nach seiner Rückkehr nach Willow-Wane veröffentlichen, sobald der Zeitpunkt da wäre, die Identität des Hilfsnahrungszubereiters Desvenbapur abzulegen und Desvendapur den Dichter wieder auferstehen zu lassen.

Sobald die Zeit reif ist, gemahnte er sich selbst. Sobald sie reif ist. Stimulation und Erleuchtung gehen vor, erst dann kommt die Aufdeckung meiner Identität.

Allem äußeren Anschein nach unterschied sich der Thranx-Shuttle nicht von den anderen, in denen Desvendapur bislang mitgeflogen war. Der Shuttle hatte einen schnittigen Rumpf mit mehreren Tragflächen, die ihn sowohl für Atmosphären- als auch für Orbitalflüge tauglich machten. Falls ein aufmerksamer Beobachter den Shuttle beobachten würde, ob im Orbit oder von der Planetenoberfläche aus, so würde er auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches an der Rumpfkonfiguration entdecken.

Nachdem der Shuttle von den Planetenbehörden die endgültige Starterlaubnis erhalten hatte, löste er aus der Seite der Zenruloim und flog ins All wie ein Vlereq, der sich von seinem Ei erhebt. Er entfernte sich mit Hilfe der Sekundärtriebwerke vom Sternenschiff, ehe er schließlich in sicherer Entfernung das Haupttriebwerk zündete. Er schaltete auf Gegenschub und fiel nicht nur hinter sein Mutterschiff zurück, sondern sank auch tiefer hinab auf den Planeten zu.

Desvendapur und seine Gefährten richteten ihre Aufmerksamkeit auf den Bildschirm vor ihnen, während sie aus dem Gravitationsfeld des Schiffes ihrer Königin trieben. Der Schirm zeigte nicht mehr den gesamten wolkenbedeckten Planeten, sondern einen Abschnitt, der das ganze Bild ausfüllte. Sie sanken an einer Orbitalstation der Menschen vorbei, einem massiven Konstrukt aus rotierenden, ineinander verzahnten Scheiben, in denen es vor kleineren Raumfahrzeugen nur so wimmelte. Zwei Sternenschiffe hatten am einen Ende der Station angedockt. Für das ungeschulte Auge des Dichters schienen sie in etwa die gleiche Größe und Masse zu haben wie die Zenruloim. Ein beeindruckender Anblick, aber nicht überwältigend. Gewisse Aspekte der menschlichen Baukunst waren der thranxischen recht ähnlich, wohingegen andere völlig fremdartig wirkten, gar unverständlich. Unfassbar, dass sich die Gesetze der Physik durch derart sonderbare Bauwerke auf die gleiche Weise beugen ließen!

Dann war der Shuttle unter die geschäftige Orbitalstation gesunken. Ein leuchtend blauer Ozean lag unter ihnen. Aus seinen Studien wusste Des, dass es auf der menschlichen Heimatwelt drei große Ozeane gab, von denen selbst der kleinste größer war als das ausgedehnteste Meer auf Willow-Wane oder Hivehom. Obwohl er wusste, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, ängstigte ihn der Anblick mehr, als er zugeben wollte. Wenn ein Thranx aufrecht im einen Meter tiefen Wasser stand, befanden sich sein Kopf und alle wichtigen Sinnesorgane ein gutes Stück über der Wasseroberfläche; dennoch würde er langsam ertrinken, weil seine acht Atemöffnungen, die Stigmen, im Thorax saßen, der ganz vom Wasser bedeckt wäre. Ein hartes Ektoskelett und schlanke Beine machten das Schwimmen zu einer kniffligen Angelegenheit.

Menschen, hatte Des gelernt, waren nicht nur gute Schwimmer, sondern besaßen sogar von Natur aus Auftrieb. Befänden sich ein Mensch und ein Thranx nebeneinander im Wasser, würde der Mensch sich auf den Rücken drehen und an der Oberfläche treiben, wohingegen ein Thranx, nachdem er angemessen panisch das Wasser aufgepeitscht hätte, auf den Grund eines jeden Gewässers sinken würde, in das er sich dummerweise verirrt hatte. Umgekehrt war kein Mensch einem Thranx mit seinen acht Gliedmaßen in puncto Standfestigkeit ebenbürtig. Zudem konnten die Zweifüßer mit ihren zwei Händen und den zehn greiffähigen Fingern nicht an die Fingerfertigkeit und Eleganz der Thranx heranreichen, die vier Hände und sechzehn Finger hatten.

Allerdings konnten die Menschen weitaus mehr Lärm erzeugen als jeder Thranx, wenn sie es wollten. Doch ließ sich gewiss darüber streiten, ob das eine sonderlich nützliche Eigenschaft war.

Als der Shuttle in die Atmosphäre eintrat, spürten die Insassen allmählich wieder ihr Körpergewicht; Des' Abdomen wurde wieder gegen den dick gepolsterten Shuttlesattel gedrückt, auf dem er saß. Auf dem Bildschirm waren nun abwechselnd dichte, wirbelnde Wolkenwälle und Abschnitte der Planetenoberfläche zu sehen. Die Landmassen wiesen die unterschiedlichsten Farbtöne auf - wie auf jeder Welt, auf der Leben existierte. Er hörte, dass Jhywinhuran ihn fragte, was er mache, und gab ihr abwesend eine Antwort. Seine Aufmerksamkeit galt ganz dem fremden Planeten, dem sie entgegenrasten. Ruhige, gefasste Fluganweisungen hallten aus den Lautsprechern. Dann ging ein heftiger Ruck durch den Shuttle, als der zweite Shuttle, der im Bauch des größeren verankert gewesen war, sich von ihm löste. In steilem Sturzflug raste er der Oberfläche entgegen, getarnt und mit elektronisch verzerrter Signatur, um nicht von den Überwachungsgeräten auf der Planetenoberfläche entdeckt zu werden. Dass sie über einem durchgängigen Streifen Regenwald niedergingen, in dem die Bevölkerungsdichte so gering war wie nirgendwo sonst auf der Welt, schützte sie zusätzlich vor Entdeckung.

Die geringe Höhe, in der die Piloten den Sub-Shuttle vom größeren abgetrennt hatten, die Fluggeschwindigkeit und der Sturzflugwinkel ließen nicht den geringsten Spielraum für Fehler. Bei einer zu vorsichtigen Annäherung an sein Ziel würde der Shuttle darüber hinausschießen und unversehens über besiedeltem Gebiet erscheinen. Näherte er sich diesem zu schnell, würden die Piloten nicht mehr rechtzeitig abbremsen können, was sowohl mit einer Tragödie als auch mit Anschuldigungen enden würde. Doch die Piloten des winzigen Schiffs flogen ein derart schwieriges Flugmanöver nicht zum ersten Mal. Die g-Kräfte, die an Des und seinen Gefährten zerrten, pressten sie gegen die Shuttle-Bänke und drückten ihnen die Antennen an die Köpfe. Das beunruhigte Desvendapur nicht. Man hatte sie während ihrer Einweisung darauf vorbereitet, und in dem beengten Innenraum des kleinen Sub-Shuttles konnten sie ohnehin nirgendwohin flüchten.

Als die übergroßen Bremstriebwerke das Schiff durchrüttelten, presste Desvendapur die Mundwerkzeuge fest zusammen. Der Bildschirm verdunkelte sich, als sie in ein Unwetter flogen. In der Region, in der man die Kolonie errichtet hatte, regnete es regelmäßig - eine warme, feuchte Erinnerung an Zuhause. Die Piloten, an solche Wetterverhältnisse gewohnt, hatten mit dem für die Tropen typischen Regen keine Schwierigkeiten.

Durch dunkelgraue Wolken und Nebel sahen sie flüchtig das Blätterdach, die fremdartigen Umrisse des Regenwalds. Dann spürte Des einen Aufprall und ein Rütteln, als der Shuttle in eine stark getarnte Öffnung schoss. Der Lärmpegel in der Kabine stieg beängstigend, während der Shuttle bremste und schließlich in einem geschlossenen Korridor zum Stillstand kam. Als Desvendapurs Atmung sich wieder normalisiert und er sich von den Sicherheitsgurten befreit hatte, erblickte er einige kleine Wartungsfahrzeuge, Maschinen und mehrere schwer beladene sechsbeinige Gestalten, die sich rasch und anmutig dem Shuttle näherten.

Er und seine Gefährten traten in ein Shuttleterminal hinaus, das sich bis auf seine außergewöhnlich geringe Größe kaum von den Terminals unterschied, die sie von Willow- Wane her kannten: die gleiche Ausrüstung, die gleichen Einrichtungen, alles nur viel kleiner. Als sie aus dem Shuttle stiegen, erwartete eine junge Thranx sie mit einem Luftkissen-Transporter und hieß sie willkommen.

Nachdem man ihnen versichert hatte, dass man sich um ihr Gepäck kümmern werde, kletterten sie auf den Transporter - ebenfalls ein verkleinertes Modell - und wurden aus der Flughalle gebracht.

Während der Fahrt sahen sie nichts Ungewöhnliches. Die Stollenwände waren mit widerstandsfähigen, leichten Verbundstoffen besprüht worden, um alle Eindringlinge von außen abzuhalten. Vertraute Beleuchtungskörper und Markierungen wiesen den Weg in Nebenkorridore, zu speziellen Einrichtungen, Wasser- und Energieleitungen. Alles sah genauso aus wie in dem Stock, den sie erst vor kurzem verlassen hatten. Sie hätten ebenso gut noch auf Willow- Wane sein können.

Ein schrecklicher Gedanke schoss Des durch den Kopf. Was, wenn dieser Stock hier und sie selbst Teil eines außergewöhnlichen, extremen Gesellschaftsexperiments waren? Was, wenn sie zwar tatsächlich durch den Plusraum gereist waren, aber nur, um in weitläufigem Bogen nach Willow-Wane zurückzufliegen - oder einfach nur nach Hivehom? Was, wenn sie leichtgläubige Freiwillige in einem Experiment waren, das zeigen sollte, wie Menschen und Thranx auf engem Raum miteinander zurechtkämen - in einer künstlichen Umgebung, die die Heimatwelt der Menschen simulierte? Der Ausblick aus einem Sternenschiff und aus Shuttle-Fenstern konnte jedenfalls leicht simuliert werden. Was, wenn sie schlicht und ergreifend auf einer Thranx-Welt gelandet waren? Das war unmöglich zu bestimmen. Alles, aber auch alles war genau wie auf einer Thranx-Welt.

Bis auf die Luft.

Sie stank nach Fremdartigkeit, unbekannten Pflanzen und Moschus. Wahrscheinlich wurde die Atemluft gefiltert, ehe man sie in die Kolonie leitete, trotzdem barg sie noch immer den Geruch des völlig Fremden. Natürlich konnte man den Geruch einer Atmosphäre ebenso leicht fälschen wie Bilder. Einer abgeschlossenen Umgebung ließen sich leicht alle Arten von Aromen - ob Duft oder Gestank - zuführen. Falls man diese Umgebung tatsächlich simuliert, dachte Desvendapur, erledigt hier jemand seine Arbeit ganz hervorragend.

Aufgrund seiner einzigartigen Vorgeschichte war er misstrauischer als seine Gefährten. Sich dessen bewusst, beschloss er, seinen Verdacht für sich zu behalten. Er hoffte, dass er sich irrte.

Falls sich die hiesige Schwerkraft überhaupt von der Gravitation Willow-Wanes unterschied, war der Unterschied vernachlässigbar gering. Desvendapur wusste nicht, ob er aufgrund seines Verdachts beunruhigt oder entzückt sein sollte. Der Luftkissen-Transporter bog in einen zweiten Korridor ab und wurde langsamer. Und in diesem Moment zerstreuten sich seine Verdachtsmomente größtenteils, wenn nicht sogar vollständig.

Drei Spezialisten schlenderten an einer Seite des Ganges entlang, unterhielten, sich freundlich miteinander, während sie lebhaft mit den Antennen wedelten und zuckten. Sie trugen keine Spezialkleidung, nichts, was auf eine ungewöhnliche Umgebung hätte schließen lassen. Zwei Menschen begleiteten sie. Während sie sich mit den Thranx unterhielten, gestikulierten sie mit ihren Vordergliedmaßen. Verglichen mit dem einzelnen Menschen, dem Desvendapur auf der Oberfläche Willow-Wanes begegnet war, trugen diese Menschen hier praktisch nichts am Leib. Unverhohlen stellten sie ihre fleischigen, vielfarbigen Oberhäute zur Schau. Dank seiner Studien konnte Des beide Menschen als männlich bestimmen. Doch waren es weder die Menschen selbst noch ihre spärliche Kleidung, die ihn besonders faszinierten. Vielmehr waren es ihre nicht thranxischen Begleiter.

Die beiden kleinen Vierfüßer, die den Menschen und den Thranx um die Beine strichen, waren mit einer struppigen Substanz bedeckt, die Des gerade noch als Fell identifizieren konnte, ehe der Transporter an ihnen vorüberfuhr. Das Fell des einen Vierfüßers unterschied sich deutlich von dem des anderen. Überdies war er wesentlich größer, doch hätten sie beide nicht bis an die Unterseite von Des' Abdomen herangereicht. Die Vierfüßer hatten längliche Gesichter, intelligente Augen und Kiefer, die eher an die Kiefer der AAnn erinnerten als an die ihrer menschlichen Gefährten.

Angestrengt versuchte Desvendapur, sich an die Einzelheiten über die menschliche Gesellschaft zu erinnern. Soweit er wusste, verzehrten die Zweifüßer nicht nur das Fleisch bestimmter Lebewesen, sondern ließen auch Exemplare anderer Spezies in ihren Häusern leben, als befriedige die Gesellschaft der eigenen Artgenossen ihr Bedürfnis nach Geselligkeit nicht. Bei der Wahl ihrer Hausgefährten bevorzugten die Menschen bestimmte Subspezies. Zu den beliebteren zählte die Spezies Hund, und bei den beiden pelzigen Vierfüßern, die die Gruppe begleiteten, schien es sich um durchschnittliche Repräsentanten dieser Spezies zu handeln. Besonders faszinierend war, dass sie trotz ihrer niedrigen Intelligenz den drei Thranx ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken schienen wie den beiden Menschen.

Soweit Desvendapur aufgrund seines - zugegebenermaßen begrenzten - Wissens sagen konnte, hatte man solche Geschöpfe nicht nach Willow-Wane importiert. In der Kolonie auf Hivehom war kein Platz für sie. Die Versorgungseinrichtungen waren für Menschen gebaut worden, nicht für ihre domestizierten Tierfreunde. Es war schon kostspielig genug, die Zweifüßer angemessen zu versorgen. Auf der Heimatwelt der Menschen gab es offenbar derartige Einschränkungen nicht. Der Anblick der Hunde hatte Desvendapurs Misstrauen zwar nicht gänzlich zerstreut, doch war er nun weit eher davon überzeugt als zuvor, tatsächlich auf der Erde zu sein. Anscheinend hatten sich die domestizierten, pelzigen Vierfüßer in der Gesellschaft der drei Thranx wohl gefühlt - viel zu wohl, als dass sie erst kürzlich importiert und auf ein Projektgelände wie dieses hier geschafft worden sein konnten.

Der Transporter hielt an und senkte sich heulend zu Boden. Zwei Thranx-Frauen mit Rangabzeichen, die Desvendapur noch nie gesehen hatte, erwarteten sie. Während der Transporter die beiden Wissenschaftler zu einem anderen Zielort brachte, führten die Frauen Des und Jhy schnell durch die Einrichtungen, in denen sie arbeiten würden, und geleiteten sie dann zu ihren neuen Unterkünften. Des und Jhy verabredeten sich zum Abendessen, um sich über ihre Tageserfahrungen auszutauschen.

Während der Dichter ungeduldig darauf wartete, dass sein Gepäck geliefert wurde, inspizierte er die Doppelkabine, die von nun an auf unbestimmte Zeit sein neues Zuhause sein sollte. Alles wirkte vertraut; die Unterkunft unterschied sich kaum von der, in der er auf Geswixt gehaust hatte. Die gesamte Einrichtung schien von Thranx-Welten zu stammen, was eingedenk der hohen Geheimhaltungsstufe der entstehenden Kolonie nicht verwunderlich war. Schließlich konnten die Zweifüßer, die den Thranx heimlich dabei halfen, auf ihrer Heimatwelt Fuß zu fassen, wohl kaum ein einheimisches Unternehmen damit beauftragen, eine Ladung Thorax-Massagegeräte herzustellen.

Des stutzte. Auf dem Gestell am Fuß des Schlafsattels stand etwas Sonderbares. Als er sich dem Objekt zuwandte, kitzelte ein angenehmer, dezenter Duft seine Antennen. Bei dem Objekt handelte es sich um einen kleinen, sorgfältig zusammengesteckten Strauß aus Blumen, die Des noch nie gesehen hatte: abgespreizte weiße Blütenblätter, die am Ansatz der Staubblätter ins Dunkelviolette spielten. Er beugte sich dicht über sie und neigte die Antennen vor, um an ihnen zu riechen. Die Stängel steckten in einem gerillten Gefäß aus Buntglas. Falls die Blumen von Willow-Wane oder Hivehom stammten, gab es dort eine Gruppe von Botanikern, die sich ihren Lohn, ganz gleich wie hoch, redlich verdient hatten. Doch die Schnittblumen rochen nach keiner der beiden Thranx-Welten. Sie rochen nach dem Hier und Jetzt.

Er freute sich schon darauf, den Weg zur Küche zu suchen, doch blieb ihm dieses Vergnügen noch bis zum nächsten Tag verwehrt. Niemand erwartete von ihm, dass er nach einer interstellaren Reise aus dem Shuttle stieg und sich gleich an die Arbeit machte. Falls das alles hier nur eine Kulisse war, die ihn und die anderen davon überzeugen sollte, dass sie sich auf der Erde befänden, während sie in Wirklichkeit ihre Welt nie verlassen hatten, wies sie einen Detailreichtum auf, den Desvendapur nur bewundern konnte. Doch mit jedem verstreichenden Zeitteil war er mehr und mehr davon überzeugt, dass er wirklich eine Interstellarreise hinter sich gebracht hatte und dass sie wirklich in einer geheimen Kolonie angekommen waren, die sich auf der heiligsten aller Menschenwelten verbarg.

Er hatte gehofft, dass er einigen Zweifüßern begegnen würde, doch beim Nachtmahl waren nur Thranx anwesend. Einige von ihnen hatten stark nach draußen gerochen, nach feuchtem, stechendem, fremdartigem Draußen, um genau zu sein. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er vermutlich morgen oder übermorgen Gelegenheit dazu bekäme, mit Menschen zu interagieren. Schließlich hatte er ja bei seiner Ankunft zwei von ihnen in Gesellschaft dreier Thranx gesehen, oder nicht? Er war bis jetzt geduldig gewesen, da konnte er auch noch ein bisschen länger warten.

Doch während die Tage verstrichen, ohne dass er auch nur einen einzigen Menschen zu Gesicht bekam, wurde er unruhig. Er war nicht den ganzen Weg mit gefälschter Identität hierher gereist, um sich für den Rest seines Lebens mit der Zubereitung von Nahrung abzuplagen. Obwohl er die begrenzten Anforderungen seines neuen Berufs gemeistert hatte, konnte er es kaum erwarten, ihn abzulegen und wieder in den Mantel eines Vollzeit-Dichters zu schlüpfen. Damit er dies tun könnte, musste er in dem Quell frischer Inspiration versinken, den er hier zu finden hoffte. Doch war dieser Quell hier für ihn ebenso schwer zu erreichen wie auf Willow-Wane.

Wo sind die Menschen? Mit Ausnahme der beiden, an denen er bei seiner Ankunft vorbeigefahren war, hatten die Zweifüßer nur durch Abwesenheit geglänzt. Der Gedanke, dass Desvendapur hier auf der Mutterwelt der Zweifüßer noch weniger Kontakt zu ihnen haben sollte als auf Willow-Wane, war absurd. Und eingedenk der Tatsache, wie oft er ihnen bislang begegnet war, hätte er genauso gut auf Willow-Wane bleiben können. Seine Frustration lieferte ihm Material für einige kernige, beißende Strophen, doch obwohl sie kunstvoll gedichtet und originell waren, bargen sie nicht die Glut der Entdeckungen, die er so verzweifelt machen wollte. Jeder Versuch, näher zu den Menschen vorzudringen, erforderte äußerste Vorsicht. Ein Hilfsnahrungszubereiter, der hartnäckig und wissbegierig Informationen suchte, die nichts mit seinen offiziellen Pflichten zu tun hatten, konnte rasch ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Desvendapur musste jede Frage vorsichtig und in beiläufiger, nahezu gleichgültiger Weise stellen. Doch wussten seine Kollegen in der Nahrungszubereitung bemerkenswert wenig über die Kolonie.

Auch Jhywinhuran war ihm keine echte Hilfe. Obwohl er sich vorgenommen hatte, ihr distanziert zu begegnen, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Zwar war ihr Stockrang nicht niedriger als der seine, doch offensichtlich betrachtete sie ihn als intellektuell überlegen und schaute in allen Dingen, die nichts mit ihren jeweiligen Fachgebieten zu tun hatten, zu ihm auf. Nicht, dass sie ihm aus niederen Beweggründen schmeicheln wollte oder verborgene Absichten verfolgte. Ihre Aufmerksamkeit und Bewunderung für ihn war aufrichtig. In ihrer Gegenwart entspannte Desvendapur sich weit mehr, als ihm lieb war. Ständig auf der Hut, immer darauf vorbereitet, enttarnt zu werden, genoss er die Gesellschaft einer Artgenossin, die ihn unverhohlen gern hatte, ganz gleich, wie geheimnisvoll seine Herkunft war oder wie zugeknöpft er sich gab, wenn bestimmte Themen zur Sprache kamen.

Als er sie fragte, ob sie schon Menschen gesehen habe, antwortete sie, ja, schon zwei Mal, aber nur von weitem. Sie habe keinen direkten Kontakt mit ihnen gehabt. Angesichts ihres Ranges gab es dazu auch keinen Grund. Zweifellos hatten die Menschen sich mit ihren Thranx-Freunden getroffen, um über Dinge zu sprechen, die weit über die Grenzen der Kolonie hinausreichten. In Fragen hinsichtlich Jhywinhurans Fachgebiet, der Müllentsorgung, brauchte die Kolonie sicher Rat und Hilfe von außen, solange sie noch kein komplett abgeschlossenes System war. Ein solches System zu schaffen war zwar möglich, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Offenbar arbeitete man noch daran - das jedenfalls ging aus dem kurzen Gespräch zwischen den Menschen und den Thranx hervor, die Jhywinhuran zweimal beobachtet hatte.

Die Menschen hatten keinen Grund, die Küche aufzusuchen. Desvendapur und seine Kollegen brauchten keine Hilfe bei der Vorbereitung der Grundmahlzeiten für die Kolonie. Auf dem Koloniegelände gab es noch eine zweite Küche, die sich die Arbeit mit Des' Küche teilte. Es tröstete ihn nicht, herauszufinden, dass die Kollegen dort auch nicht mehr Kontakt zu den Menschen hatten als er.

Er musste irgendwie an die Menschen herankommen, eine Möglichkeit finden, in ihrer seltsamen Kultur, ihrer Welt zu versinken. Dass er für seine Leistungen in seinem Wahl-Fachgebiet befördert wurde, verschaffte ihm zwar persönliche Genugtuung, half ihm aber nicht dabei, den Zweifüßern näher zu kommen; vielmehr bescherte es ihm zusätzliche ungewollte Aufmerksamkeit. Aufgrund der hohen Geheimhaltungsstufe der unterirdischen Kolonie war die Bewegungsfreiheit ihrer Bewohner eingeschränkt. Desvendapur durfte sich frei im Küchenkomplex bewegen und die Freizeiteinrichtungen und Räume aufsuchen, in denen er gesellschaftlichen Kontakt zu anderen Thranx pflegen konnte; zu sämtlichen anderen Bereichen aber war ihm der Zutritt untersagt. Das schloss das aufwendig getarnte Shuttleterminal und alle Bereiche des Stocks ein, durch die man nach draußen gelangen konnte - und davon gab es nicht sehr viele.

Wo sich diese Ausgänge befanden, war allgemein bekannt. Da sie größtenteils für Notfälle angelegt worden waren, wäre es unsinnig gewesen, sie geheim zu halten. Kein Thranx, wie neugierig auch immer, würde schamlos die Vorschriften missachten, indem er versuchte, einen dieser Ausgänge unautorisiert zu benutzen. Nicht nur, weil er damit gegen die strengen Verhaltensregeln des Stocks verstieße, sondern weil es keinen Grund dafür gab. Innerhalb der Kolonie war alles behaglich und vertraut. Draußen - draußen lag eine unbekannte fremde Welt, in der es von seltsamen Tieren nur so wimmelte und die von einer labilen Spezies beherrscht wurde. Wer würde schon freiwillig nach draußen gehen? Jeder empfindsame Thranx, der den Wunsch dazu äußerte, würde unversehens von den anderen als unausgeglichen, leicht verrückt oder regelrecht geisteskrank abgestempelt werden.

In seiner Eigenschaft als Dichter musste Desvendapur sich in mehrerlei Hinsicht einschränken.

Hätte er ständig über seine Situation gejammert, wäre es durchaus möglich gewesen, dass man ihn in die Krankenstation eingewiesen hätte. Sich dieser Gefahr bewusst, riss er sich zusammen und konzentrierte sich auf die Arbeit. Nachts ging es ihm viel schlechter als am Tag, denn dann konnte er ungestört auf und ab schreiten und seine Gedanken kreisen lassen. Jhywinhuran, die nicht wusste, warum der größtenteils gelassene Desvendapur mitunter seltsam aufgewühlt war, versuchte, ihn bestmöglich zu trösten. Oft sprach er auf ihren Trost an, manchmal aber konnte sie ihm nicht helfen. Wie sollte sie auch die kreative Wut begreifen, die in ihm brodelte, den reißenden Strom aus Schaffenskraft, der durch die Vorschriften und äußeren Umstände in der Kolonie immer mehr aufgestaut wurde wie von einem hohen Damm?

So konnte es nicht weitergehen, das wusste Desvendapur. Früher oder später würde die angestaute Frustration sein Urteilsvermögen und seine Vernunft überwältigen. Dann würde er etwas Dummes tun und sich letztlich selbst verraten. Das wiederum hätte zur Folge, dass man ihn seiner Pflichten enthöbe und in Gewahrsam nähme. Dann würde er auf eine Thranx-Welt gebracht, wo man seinen Fall verhandeln und ihn unausweichlich bestrafen würde. Wenn man herausfände, dass er etwas mit dem Tod der Transporter-Pilotin Melnibicon zu tun hatte, würde es ihm sogar noch schlechter ergehen. Dann wäre jede Chance auf eine angesehene Künstlerkarriere für immer dahin.

Wie sollte er sich über Dinge, die nichts mit seiner Arbeit zu tun hatten, kundig machen, ohne zugleich übermäßig neugierig zu wirken? Nachdem er gründlich über mögliche Alternativen nachgedacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass es weniger riskant sei, sich nur einer einzigen Person zu nähern, anstatt vielen Personen Dutzende ›unauffällige‹ Fragen zu stellen.

Er suchte sich einen jungen Transporterführer namens Termilkulis aus, der die Küche regelmäßig mit Vorräten belieferte. Desvendapur bemühte sich um seine Freundschaft, steckte dem lebhaften und tüchtigen jungen Thranx Delikatessen aus dem Vorratslager zu und lockte ihn auf diese Weise immer mehr aus der Reserve, bis sich der Fahrer in Gesellschaft des Nahrungszubereiters überaus wohl fühlte.

Eines frühen Morgens, nachdem Desvendapur die Vorbereitungen für das Morgenmahl abgeschlossen und die Speisen den Abteilungsmeistern zur Endverarbeitung übergeben hatte, begegnete er Termilkulis, der soeben eine Lieferung für die Küche hereinbrachte. Als Des ihm sagte, dass er selbst nun eine Pause machen wolle, freute es ihn sehr, dass der Fahrer prompt vorschlug, die Pause gemeinsam zu verbringen. Sie zogen sich in ein abgelegenes Eckchen der Kolonie zurück, in der Nähe des schmalen Entladedocks, und nahmen eine bequeme Ruhehaltung ein: alle vier Echtbeine und beide Fußhände auf den Boden gesetzt.

Nachdem sie einige Minuten lang über den Morgen nachgedacht und ab und an belanglose Bemerkungen fallen gelassen hatten, fragte Des beiläufig: »Es kommt mir seltsam vor, dass wir hier auf der Heimatwelt der Menschen so wenig Einheimische sehen.«

»Tja, in der Abteilung, in der du arbeitest, dürfte das wohl normal sein, glaube ich.« Völlig entspannt ließ Termilkulis die Antennen über die Stirn hängen.

Desvendapur stimmte ihm mit einigen Gesten zu, die er bewusst knapp und schlicht hielt. »Da hast du wohl Recht. Und du?«, fragte er mit augenscheinlicher Gleichgültigkeit. »Wie viele hast du gesehen?«

Der Transporterfahrer schien die Frage nicht ungewöhnlich zu finden. »Einen oder zwei.«

»Aber du müsstest bei deinen Lieferfahrten in der Kolonie doch eigentlich viel mehr Zweifüßer zu sehen bekommen als wir, oder?«

»Nein. Weißt du, nachdem ich hierher verlegt worden bin, habe ich mich anfangs auch darüber gewundert.« Der Dichter erstarrte, doch als er sah, dass seine Frage den jungen Fahrer nicht misstrauisch gemacht hatte, entspannte er sich wieder. »Daher habe ich meine Vorgesetzten gefragt, wie das denn sein kann, und ihre Antwort war völlig logisch.«

»Ja?«, erwiderte Desvendapur wie nebenbei. »Wirklich?«

Termilkulis wandte sich ihm zu. »Das hier ist eine Thranx-Kolonie, ein Stock. Nur wenige Menschen, die für eine erhabene, aber geheime Abteilung ihrer Regierung arbeiten, wissen von ihr. Die Kolonie soll beweisen, dass wir in ansehnlicher Zahl unter ihnen leben können, ohne ihre Zivilisation nachteilig zu beeinflussen. Wenn die Xenosoziologen beider Seiten glauben, dass die Zeit reif ist, werden sie die Existenz unserer Kolonie offenbaren, was die Meinung der Zweifüßer über uns hoffentlich positiv beeinflussen wird.

Aber es gibt keinen Grund, warum mehr als nur einige wenige Menschen unseren Stock besuchen sollten. Das hier ist eben eine Thranx-Kolonie. Und als solche ist sie von Thranx bewohnt.« Mit der Fußhand vollführte er eine Geste. »Von Thranx wie uns beiden.«

Seine Ausführungen ergaben vernichtend, frustrierend viel Sinn, das wusste Desvendapur. Wieso sollte in einem Stock, selbst wenn er auf der Heimatwelt der Menschen lag, die Anwesenheit von Menschen erforderlich sein? Während die jeweiligen Projekte auf Willow-Wane und Hivehom von Anfang an zu dem Zweck entwickelt worden waren, die komplexen Auswirkungen und Probleme zu erforschen, die sich beim engen Zusammenleben von Menschen und Thranx ergaben, war diese Kolonie hier ganz anderer Natur. Sie unterlag der Geheimhaltung - beider Regierungen. Die Kolonie sollte zeigen, dass Thranx auf einer von Menschen beherrschten Welt leben konnten. Der offene Kontakt zu den Zweifüßern würde später erfolgen, wenn beide Spezies sich an die Anwesenheit der jeweils anderen gewöhnt hätten, mit anderen Worten: wenn die Menschen die Thranx nicht mehr abstoßend fanden und umgekehrt.

So viel begriff Des. Auch er fand viele Aspekte der Menschheit Ekel erregend. Der Unterschied zwischen ihm und seinen Artgenossen bestand darin, dass er den Ekel als hervorragende Inspirationsquelle betrachtete.

Doch wie sollte er sich dem Ekel und ähnlichen Emotionen hingeben, wenn ihm der Umgang mit den Milliarden von Ekelerregern verboten war? Nur zu gern würde er sich damit begnügen, zu einem Dutzend Menschen Kontakt zu haben, doch allem Anschein nach würde ihm sogar das verwehrt bleiben. Er konnte nicht ewig darauf warten, dass etwas geschehen würde, dass sich die Umstände änderten. Seine Dienstzeit hier war begrenzt. Darüber hinaus war er zu ungeduldig, als dass er einfach abwarten und dann würde reagieren können. Es lag ganz und gar nicht in seiner Natur, einfach aufzugeben und sich dem Schicksal zu fügen.

Was sollte er tun? Falls Des am Rand eines Sektors, zu dem er keinen Zutritt hatte, zufällig noch einmal einen Menschen sähe, könnte er die Verbote ignorieren und sich erdreisten, den Besucher anzusprechen. Das würde funktionieren - für ein oder zwei Minuten, bis der Sicherheitsdienst jeden weiteren Kontakt zu dem Zweifüßer verhinderte, indem er Des fortzerrte. Nein, das Risiko war zu hoch und die potenzielle Belohnung zu gering. Oder er könnte versuchen, einen Zweifüßer zu fangen und eine Weile bei sich zu behalten; doch wenn er auch nur in den Verdacht käme, innerhalb der Kolonie Gewalt angewandt zu haben, würde man ihn schneller vom Planeten befördern, als er dafür brauchte, seine spärlichen Habseligkeiten zu packen. Termilkulis, dem ein Fahrzeug zur Verfügung stand, könnte sich als sehr hilfreich erweisen - bis dieser herausfinden würde, was sein neuer Freund aus der Küche wirklich vorhatte. Dann würde er Des zweifellos sofort die Freundschaft kündigen und der Stock-Obrigkeit das exzentrische Verhalten des Nahrungszubereiters melden.

Nein, was immer ich tue, entschied Desvendapur, ich werde es allein tun müssen. Seine Handlungsmöglichkeiten waren überaus begrenzt. Zumindest diejenigen, die auf Vernunft beruhten. Gewiss, es stand ihm nach wie vor offen, etwas Unvernünftiges zu tun. Ein durchschnittlicher Thranx wäre gar nicht erst auf diesen Gedanken gekommen. Und wäre Desvendapur auch nur im Mindesten durchschnittlich gewesen, so hätte auch er nie darüber nachgedacht.

Die Lösung war so offensichtlich wie verrückt. Wenn er schon keine Menschen im Stock kennen lernen konnte, dann würde er eine Möglichkeit finden, ihnen außerhalb des Stocks zu begegnen.