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Golfito war keine besonders schöne Stadt. Obwohl in einem landschaftlich interessanten natürlichen Hafen gelegen, diente sie nur als Anlaufpunkt für Kreuzfahrt- und andere Touristenschiffe, die ihren Passagieren einen kurzen Eindruck vom Corcovado-Regenwald vermitteln wollten. Nachdem die Touristen wie verrückt eingekauft und 3-D- Chips in ihre tragbaren Aufzeichner gesteckt hatten, gingen sie wieder an Bord der gigantischen, luxuriösen Tragflächenboote und Zeps und fuhren oder flogen weiter, landschaftlich weitaus beeindruckenderen Zielen im Norden, Süden oder jenseits der Landenge entgegen. Was sie zurückließen, waren Erinnerungen an närrisches Betragen und an schnelle sexuelle Bekanntschaften mit Golfitos rührigen Exoten sowie überaus geschätzte Kredits.
Montoya hatte sich redlich bemüht, etwas von den tausenden von Kredits abzusahnen, die von den voll aufgeladenen Kredkarten der lachenden Besucher mit den weit aufgerissenen Augen abgebucht wurden. Doch obwohl er sich nach Kräften bemüht hatte, wollte es ihm einfach nicht gelingen, lohnende Kontakte zu knüpfen. Er war immer ein wenig zu langsam, hinkte einen Schritt hinterher, suchte nach dem richtigen Wort, der passenden Phrase, wie ein Fischer, der nie den richtigen Köder wählt, um Fische aus dem rings um ihn herum von Fischen wimmelnden Wasser zu ziehen.
Doch auch wenn Montoya sich nicht ein einziges Stück vom Geldkuchen der regelmäßig eintreffenden Besuchermassen hatte sichern können, war es ihm immerhin gelungen, einige potenziell nützliche Kontakte zu den weniger angesehenen Bewohnern von Golfitos Küsten- und Regenwaldvorstädten zu knüpfen. Unter diesen manchmal entgegenkommenden, manchmal abweisenden Gesellen war einer, der Cheelo seinerseits mit überschwänglichen Versprechungen zu ködern wusste wie Süßstoff einem Diabetiker das Stillen seines Wunsches nach Süßem verheißt.
Zur eigenen Überraschung hatte der zwar immer hoffnungsfrohe, aber stets realistische Montoya gehört, dass besagte Kontaktperson nun vielleicht eines ihrer Versprechen einhalten würde.
Ehrenhardts Wohnung lag an einem der steilen, mit Regenwald bedeckten Hänge, die rings um die Stadt in die Höhe wuchsen. Während Cheelo in einem leisen elektrischen Lift zu dem mit einem Tor versperrten Zaun hochfuhr, starrte er auf die herrlich blaue Bucht und den dahinter beginnenden dunklen Pazifik hinab. Affen, Jaguare, Quetzals und jede Menge anderer exotischer Geschöpfe lebten in dem sorgsam bewahrten Land zu beiden Seiten der Stadt. An ihnen interessierte Montoya nur eines: wie viel sie in Bargeld wert waren. Nicht dass er es gewagt hätte, einer der bekannten Wildererbanden Konkurrenz zu machen. So dumm war er nicht.
Wenn du das versuchst, endest du als Haut in jemandes Trophäenkiste, dachte er.
Ein hoch aufgeschossener Indianer mit einem kaum zu übersehenden Seitengewehr und ausdruckslosen Augen traf sich mit ihm auf dem Berg. Er bedeutete dem eingeschüchterten Gast, ihm zu folgen und führte ihn auf eine Veranda, von der aus man einen Rundblick auf die in der schwülen Luft brütende Landschaft hatte. Rudolf Ehrenhardt stand nicht von seinem Stuhl auf, bot Montoya jedoch ein Getränk an, das er ihm aus dem eisgekühlten Krug einschenkte, der auf dem liebevoll polierten Tisch aus Amarantholz stand. Da er seinen Besucher nicht aufforderte, Platz zu nehmen, blieb Montoya stehen, das Glas unbeholfen in der Hand.
»Cheelo, mein Freund.« Der Mann mit der Spiegelbrille, der hier in der Gegend die Fäden zog, blinzelte.
Cheelo konnte seine Augen durch das Brillenglas nicht erkennen. Als ob ich mich mit einer Maschine unterhalte, dachte er.
»Du solltest wirklich ein bisschen was in eine Nasenoperation investieren.«
Montoya fuhr innerlich zusammen. Es war natürlich nicht seine Schuld, dass ihm sein charakteristischer Gesichtsvorsprung im Laufe seines schwierigen Lebens öfter gebrochen und gerichtet worden war, als er sich überhaupt erinnern wollte. »Wenn ich's mir leisten könnte, Mr Ehrenhardt, Sir, würde ich sicher darüber nachdenken.«
Der ältere Mann nickte beifällig. Das war eine gute Antwort. »Was, wenn ich dir sagen würde, dass sich jetzt endlich eine Gelegenheit ergibt, durch die du dir die Operation leisten könntest - und viele andere gute Dinge noch dazu?«
Sein Gast stellte das bereits leere Glas wieder auf den Tisch. Er hatte nicht bestimmen können, was das Getränk enthielt, aber es schmeckte wunderbar. »Nun, Sir, Sie wissen offensichtlich, wie ich bin. Ich werde tun, was immer nötig ist.«
Ehrenhardt kicherte amüsiert. Er genoss es, seinen Gast im Ungewissen zu lassen, wusste er doch, dass Montoya begierig darauf war, Details zu erfahren. Ein Adler auf der Suche nach Beute segelte unter ihnen vorbei, suchte die Baumwipfel nach schläfrigen Affen ab. Irgendwo krächzte ein domestizierter Ara.
»Du hast mir schon oft gesagt, dass du eines Tages etwas Großes tun willst.«
»Ich warte nur auf die Gelegenheit, Mr Ehrenhardt, Sir. Alles, was mir fehlt, ist, dass mir jemand die Chance dazu gibt. Nur das fehlt mir noch.«
Der Boss lächelte herablassend. »In Monterrey ist eine Marktlücke entstanden ... sagen wir durch eine Art von Verschleiß.« Ehrenhardt sagte nicht natürlicher Verschleiß, und Montoya hakte nicht nach, warum er das Wort weggelassen hatte. »Man hat mich gebeten, jemanden vorzuschlagen, der sich um die Übernahme der dortigen Geschäfte kümmert. Die Geschäfte sind außerordentlich lukrativ, aber es muss sich jemand um sie kümmern, der Elan, Intelligenz und Hingabe besitzt. Und jemand, der die Bedeutung des Worts ›Loyalität‹ kennt, und weiß, wann er den Mund aufzumachen und wann er zu schweigen hat.«
»Sie kennen mich, Mr Ehrenhardt, Sir.« Cheelo richtete sich zur vollen, wenn auch wenig beeindruckenden Größe auf.
»Nein, ich kenne dich nicht.« Der ältere Mann starrte Montoya sehr, sehr streng an. »Aber jedes Mal, wenn wir uns treffen, erfahre ich mehr über dich. Ich habe den beteiligten Parteien deinen Namen genannt und kann dir zu meiner Freude sagen, dass sie dich für den Posten haben wollen. Natürlich unter bestimmten Bedingungen.«
»Ich danke Ihnen, Sir! Vielen Dank!« Endlich!, dachte Montoya. Die Chance, all seine Träume zu verwirklichen! Er würde es allen zeigen! Jedem, der ihn verspottet, auf ihn herabgesehen und auf seine Absichten gespuckt hatte. Hier war nun endlich die Gelegenheit, es ihnen zu beweisen, jedem einzelnen dieser sarkastischen, herzlosen Bastarde! Besonders dieser wertlosen kleinen Stadt oben im Amistad ...
Etwas, das Ehrenhardt gesagt hatte, ließ ihn zögern. »Bedingungen, Sir? Was für Bedingungen?«
»Nun, mein ehrgeiziger Freund, sicher weißt du, dass sich derartige Gelegenheiten nicht jeden Tag bieten, und solche Chancen bekommt man nicht umsonst. Du kannst das Angebot als eine Art Lizenz betrachten, denn du musst dafür bezahlen. Eine minimale Summe, sozusagen als Vertrauensbeweis des Lizenznehmers.«
Montoya schluckte, verlor aber nicht die Selbstbeherrschung. »Wie viel?« Er war so nervös, dass er ganz vergaß, das ›Sir‹ anzufügen.
Entweder hatte Ehrenhardt es nicht gemerkt oder beschlossen, das Versehen großmütig zu ignorieren. Lächelnd schob er seinem besorgten Gast ein Stück Kunststoff, in das einige Zahlen eingeprägt waren, über den Tisch zu. Montoya nahm es in die Hand.
Sogleich atmete er wieder ruhiger. Die geforderte Summe war zwar entmutigend, aber nicht unmöglich aufzubringen. Das Zahlungsdatum indes ...
»Ich habe bis zu dem angegebenen Datum Zeit, die verlangte Summe zu beschaffen?«
Ehrenhardt nickte väterlich. »Wenn du sie bis dahin nicht bezahlt hast, verkaufen die beteiligten Parteien in gegenseitigem Einvernehmen die lukrative Lizenz jemand anderem. So läuft das nun mal. Nun: Wirst du rechtzeitig zahlen?«
»Ja, Sir! Ich weiß, dass ich sie zusammenbekomme.« Der Zeitraum, innerhalb dessen er das Geld besorgen musste, war großzügig bemessen. Doch durfte er keine Minute damit vergeuden, sich am Strand zu rekeln oder den Damen in den Bars und Restaurants schöne Augen zu machen.
»Genau das habe ich auch den anderen gesagt.« Ehrenhardts Lächeln verblasste. »Ich kenne deine finanzielle Lage, Cheelo. Sie ist nicht gerade Vertrauen erweckend.«
Montoya gab sich größte Mühe, den kritischen Einwand abzutun. »Das liegt daran, dass ich mich gern amüsiere, Sir. Ich gebe die Kredits so aus, wie ich sie einnehme. Aber wenn Sie meine Finanzen kennen, wissen Sie auch, dass ich nicht immer so knapp bei Kasse bin.«
Zu Montoyas Erleichterung setzte der Big Boss wieder sein Lächeln auf. »Wieder eine gute Antwort. Wenn du weiterhin die richtigen Antworten gibst, Cheelo, und rechtzeitig die nötige Summe aufbringst, wirst du deine Chance bekommen, etwas Großes zu tun. Nutze die Gelegenheit, arbeite hart, und du wirst eine wohlhabende und wichtige Person, genau wie ich! Ich brauche dir nicht zu sagen, dass sich im Leben eines Mannes höchst selten eine derartige Gelegenheit ergibt. Für die meisten ergibt sie sich nie.«
»Ich werde sie nicht ungenutzt lassen, Sir - und Sie nicht enttäuschen!«
Ehrenhardt winkte zurückhaltend ab. »Mit mir hat das nichts zu tun, Cheelo. Es hat allein etwas mit dir zu tun. Vergiss das nicht!« Er nippte nachdenklich an der hellen Flüssigkeit, deren Temperatur von dem Thermokrug nur knapp über dem Gefrierpunkt gehalten wurde. Irgendwo in dem weitläufigen weißen, stuckverzierten Gebäude weigerte sich der idiotische Ara noch immer, den Schnabel zu halten. Sein Gekreisch machte Montoya nervös. »Sag mir, Cheelo - was hältst du von diesen Fremdweltlern, die in letzter Zeit so häufig in den Nachrichten zu sehen sind?«
»Fremdweltler, Mr Ehrenhardt?«
»Diese insektenähnlichen Wesen, die so hartnäckig die Beziehungen zwischen unseren Spezies ausbauen wollen. Was meinst du: Welche Absichten verfolgen sie wirklich?«
»Das weiß ich wirklich nicht, Sir. Über solche Themen denke ich nicht viel nach.«
»Das solltest du aber.« Der Big Boss rückte sich die dunkle Brille zurecht und sah auf die Bucht und den dahinter liegenden offenen Ozean hinaus. »Unsere Ecke der Galaxis ist überraschend dicht bevölkert, Cheelo. Wir alle müssen uns die Frage stellen, was hier vor sich geht. Wir können uns nicht mehr nur um unsere Angelegenheiten hier auf der Erde kümmern und ignorieren, was auf anderen Welten geschieht, wie damals, als der Posigravantrieb noch nicht erfunden war. Nimm diese reptilienhaften AAnn beispielsweise! Die Thranx behaupten hartnäckig, die AAnn seien unverbesserliche, aggressive Expansionisten. Die AAnn wiederum bestreiten das. Wem sollen wir Menschen nun glauben?«
»Ja - das weiß ich wirklich nicht, Sir.«
»Nein, natürlich, weißt du das nicht.« Ehrenhardt seufzte tief. »Und es ist nicht richtig, dass ich von jemandem wie dir eine Antwort auf diese Frage erwarte. Aber hier auf der Erde bin ich ständig von Leuten mit begrenzter Sichtweise umgeben.« Abrupt stand er auf und drückte dem verblüfften Montoya die Hand, mit einer Kraft, die sein Alter Lügen strafte.
»Liefere das Geld bis zum angegebenen Termin ab, und die Lizenz gehört dir, Cheelo! Die Lizenz, das Prestige und alles andere, was damit einhergeht! Eins noch: Du musst das Geld vor meinen Augen überweisen. Meine Geschäftspartner verlangen von mir, dass ich den Transfer persönlich bezeugen kann. Es gibt viele Traditionalisten in unseren Reihen. Sie trauen der Elektronik nicht, die so mühelos lange Strecken überwinden kann. Also: Sehe ich dich vor dem angegebenen Datum wieder?«
Montoya nickte nervös, und Ehrenhardt ließ seine Hand los und tätschelte ihm die Schulter. »Danach kannst du deine ›großen Taten‹ vollbringen!« Er setzte sich wieder hin. Die Unterredung war beendet.
Den Verstand von Euphorie umnebelt, fuhr Cheelo wieder mit dem Lift zur Stadt hinab. Endlich hatte er seine Chance! Bei allen Göttern seiner Vorväter und bei den Gonaden von jenen, die ihn bislang getreten, geschlagen oder beleidigt hatten - er würde das nötige Geld irgendwie auftreiben! Das dürfte nicht allzu schwer sein. In solchen Dingen hatte er reichlich Erfahrung.
Aber er würde das Geld nicht in Golfito auftreiben können. Da hier vorwiegend Touristenschiffe und Reisezeppeline Station machten, gab es hier schlicht und ergreifend zu viel Polizei. Die Ordnungshüter sahen Stadtbewohnern wie Cheelo besonders genau auf die Finger. Sie kannten ihn zu gut. Er würde sich irgendwo anders an die Arbeit machen müssen.
Er wusste auch schon wo.