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Die Zeit verstrich, und als Desvendapurs Freunde sich nicht bei ihm meldeten, fragte er sich, ob sie ihm vielleicht nur deswegen ihre Hilfe angeboten hatten, um ihn zum Schweigen zu bringen. Hatten sie seine Bitte vielleicht gleich wieder vergessen, nachdem sie in die Behaglichkeit und Vertrautheit ihrer eigenen Wohnungen zurückgekehrt waren? Doch obwohl er eine Weile gebraucht hatte, um alles Nötige zu arrangieren, hielt Broud tatsächlich - wenn auch widerwillig - Wort.

Schließlich kam der Tag, an dem Des eine formelle Mitteilung von der Unterbehörde erhielt, die für die Dichter in seiner Region zuständig war; man informierte ihn, dass er auf den Posten eines Besänftigers fünften Grades nach Honydrop versetzt werden würde. Eilig sah er in seinem Sch'reiber nach, wo Honydrop lag. Es war ein winziger Stock außerhalb der Ballungsgebiete Willow-Wanes, deren Bewohner ihren Unterhalt damit verdienten, auf ein paar Feldern Importbeeren anzubauen. Auf einer gebirgigen Hochebene gelegen, herrschte über Honydrop ein Wetter, das die meisten Thranx von einem Besuch der Stadt abgehalten hätte, von der Verlegung ihres Wohnsitzes dorthin ganz zu schweigen. Er würde Schutzkleidung brauchen, eine Seltenheit in seinem Volk, und durch nichts zu erschüttern sein dürfen, um das unversöhnliche Klima ertragen zu können. Und falls er der Versetzung zustimmte, würde sein Status überdies um zwei Grade herabgestuft. Das kümmerte ihn nicht. Das alles war ihm nicht wichtig.

Für ihn zählte nur, dass der Honydrop-Stock weniger als eine Tagesreise von Geswixt entfernt lag.

Es gab natürlich keine Informationen über eine hypothetische, unbestätigte und hochgradig unwahrscheinliche Menschenkolonie. Sein persönlicher Sch'reiber war ein kompaktes Gerät, das sich mit jeder Datenbank des Planeten verbinden konnte, und Des hatte schon lange die Hoffnung aufgegeben, im Datennetz auch nur den entferntesten Hinweis auf eine Menschenkolonie aufstöbern zu können, ganz gleich, wie geschickt oder hartnäckig er suchte. Es gab reichlich Informationen über die Menschen - mehr als er in einer Lebensspanne zu verarbeiten hoffen konnte - und einige über den Fortschritt des ausgereiften Projekts auf Hivehom. Doch über die dauerhafte Anwesenheit von zweifüßigen, intelligenten Säugetieren auf Willow-Wane fand er nichts. Trotz seiner gründlichen Suche blieb dieses Thema nichts weiter als ein Gerücht.

Um Honydrop zu erreichen, musste er nicht weniger als viermal umsteigen; seine Reise begann in einer der großen Röhrenlinien und endete schließlich in einem der unregelmäßig verkehrenden Transporter, die, mit eigener Energieversorgung ausgestattet, die isolierten Berggemeinschaften der Hochebene mit Vorräten, Ersatzteilen und Verbrauchsgütern belieferten. Er hätte nie geglaubt, dass auf einer Welt, die schon seit so langem besiedelt und entwickelt war wie Willow-Wane, noch eine derart lebensfeindliche Umgebung existieren könnte.

Durch die durchsichtige Schutzkuppel des Frachtfahrzeugs, in dem er fuhr, betrachtete er die Bäume, die in dieser Gegend nur in absurden Entfernungen zueinander wuchsen, ja, den zwischen ihnen liegenden Platz und Boden regelrecht verschwendeten. Keine vertrauten Ranken oder Kriechpflanzen wuchsen in anmutigen Bögen von einem Baumstamm zum nächsten. Keine bunten Blüten zierten die sandfarbenen und dunkelbraunen Stämme mit ihrer Farbenpracht. Die winzigen Blätter der hiesigen Bäume schienen nicht genug Licht absorbieren zu können, um die Pflanzen am Leben zu erhalten.

Dennoch wuchsen die Bäume gerade und wurden recht groß. Es war genau jene Art von Landschaft, in der man damit rechnete, auf Besucher von anderen Welten zu treffen. Doch regte sich hier nichts bis auf einige Tiere. Obwohl sie in Des' Tiefländeraugen fremdartig wirkten, erkannte die Transporterbesatzung sie gleich, was nicht verwunderlich war, denn in den zoologischen Büchern des Planeten waren sie gut dokumentiert.

Ein Blick auf die Instrumententafel des Frachtfahrzeugs verriet Desvendapur, dass die Außentemperatur weit näher am Gefrierpunkt lag, als er je außerhalb theoretischer Überlegungen zu erleben gehofft hatte. Er vergewisserte sich, dass seine lästigen Beinschützer straff vergurtet waren und der Wärmemantel, den er sich über den Abdomen gezogen hatte, fest verschlossen war. Nur noch sein Kopf und der Thorax waren ungeschützt - eine unvermeidliche Tatsache. Ein Thranx musste stets ungehindert sehen und atmen können. Doch da er wusste, dass der Großteil seiner Körperwärme durch die weiche Unterseite seines Abdomens abstrahlte, nun durch den Mantel isoliert, war er so zuversichtlich, wie ein Thranx in solch spezieller Schutzkleidung es nur sein konnte.

Die beiden Fahrer trugen ähnliche Kleidung, doch zeigten ihre Anzüge im Gegensatz zu Desvendapurs starke Abnutzungserscheinungen, die auf häufiges Tragen zurückzuführen waren. Sie ignorierten den einzigen, hinter ihnen sitzenden Passagier und konzentrierten sich aufs Fahren und den matt leuchtenden Kontrollschirm, der über der Instrumententafel schwebte. Das Fahrzeug jagte über einen unwegsamen Pfad, der mit Schlammlöchern durchsetzt und mit Geröll übersät war. Die Steine behinderten das klobige Frachtfahrzeug nicht, denn es glitt auf einem Luftpolster voran, durch das es jegliche natürlichen Hindernisse von geringer Größe leicht überwand. Abseits gelegene Gemeinschaften wie Honydrop und Geswixt waren so klein, dass sie aus Kostengründen nicht an das Netz aus Magnetbahnen angeschlossen wurden, die Willow-Wanes größere Stöcke miteinander verbanden. Kleine Siedlungen mussten durch suborbitale Flugzeuge oder einzelne Transporter wie dem versorgt werden, in dem Des sich einen Platz hatte sichern können.

Einer der Fahrer, eine ältere Thranx-Frau mit einer Antennenprothese, drehte ihren Kopf um hundertachtzig Grad zu Desvendapur herum. »Ist dir schon kalt?« Mit einer Geste verneinte er die Frage. »Na, dann wirst du bald schon frieren.« Kurz klickte sie mit den Mandibeln, dann wandte sie den Kopf wieder den Kontrollen zu.

Verglichen mit dem, was Desvendapur gewohnt war, wirkte die spärliche Vegetation überaus deprimierend. Sie ließ auf eine Umgebung schließen, die lebensfeindlicher war als alles, was Des bislang gesehen hatte. Dennoch lebten hier oben Thranx, trotz der schrecklichen Höhe und der harten Bedingungen. Thranx, und falls das Willow-Wane- Projekt nicht nur ein Gerücht war, auch noch andere Wesen, die die Tri-Eints, die die Entscheidungen in allgemeinen Angelegenheiten der Thranx fällten, vor den Augen ihrer Mitbürger verbergen wollten.

Abgesehen von einer Orbitalstation, hätten sie sich keine bessere Gegend dafür aussuchen können, überlegte Des, während der Frachter zwischen den Granitwällen der hohen Berge dahinschoss, die die Hochebene umgaben. Das war kein Terrain, in das sich ein Thranx zufällig verlaufen oder in dem er Urlaub machen würde. Die AAnn würden die dünnere Luft und weitaus tieferen Temperaturen ebenfalls kaum einladend finden. Des schaute durch die Kuppel und erkannte, dass die oberen Hänge der Berge in Weiß gekleidet waren. Er wusste natürlich, was Rilth war - oder auch Clith, wie manche ihn nannten. Aber das hieß nicht, dass er auch nur das geringste Bedürfnis verspürte, ihn von nahem zu sehen oder zu berühren. Er erschauerte leicht bei dem Gedanken. Es gab gewisse Arten der Inspiration, auf die er gut und gerne verzichten konnte.

Unannehmlichkeiten jedoch zählten nicht dazu. Selbst wenn es hier keine Kolonie gab, oder falls die Regierung hier ein heimliches Projekt durchführte, bei dem es nicht um zweifüßige, intelligente Säugetiere ging, versprach schon allein die raue Umgebung, ihn zu einigen Reimen und Gedichten zu inspirieren. Jeder Dichter, der die Bezeichnung verdiente, war ein offener Zapfhahn. Er konnte ebenso wenig die kaskadenartig durch seinen Kopf strömenden Gedanken und Worte oder die untermalenden Arm- und Körpergesten abstellen, wie er aufhören konnte zu atmen.

Es gab nicht viel zu sehen, als sie in Honydrop ankamen. Im Gegensatz zu den höher entwickelten Thranx-Gemeinschaften in wirtlicheren Landstrichen lag Honydrop beinahe vollständig unter der Erde. Normalerweise hätte man die Oberfläche umfassend gestaltet: mit Docknischen für Fahrzeuge, einem Wald aus Schächten für die Luftzufuhr und - ableitung, mit Großlagerhallen und Parks - vielen Parks. Aber bis auf einige Stellen, an denen man das Unterholz gerodet und die sonderbaren Bäume zum Teil gefällt hatte, war das Terrain, in das der Frachttransporter an jenem Nachmittag fuhr, mehr oder minder unberührt.

Desvendapur hatte zu viel erwartet. Honydrop war schließlich nur eine sehr kleine Gemeinschaft am Rande des nach wie vor wachsenden Besiedlungsgebietes von Willow-Wane. Mehr als dreihundertsechzig Jahre waren eine lange Zeit für die Besiedlung eines Kontinents, doch wenn es eine ganze Welt zu entwickeln und zivilisieren galt, blieben stets entlegene, öde Gegenden übrig, die noch erschlossen werden mussten. Die weitläufige Hochebene, auf der man Honydrop, Geswixt und noch einige andere kleine Außenposten errichtet hatte, war nach wie vor größtenteils unerforscht.

Der Transporter glitt sanft in eine verwitterte Lagerhalle. Sogleich schloss sich ein Doppeltor hinter dem Fahrzeug. Zu Des' Überraschung warteten die beiden Fahrer nicht ab, bis die Innentemperatur der Halle auf ein angenehmes Maß erhöht wurde. Sie öffneten die Sichtkuppel, gleich nachdem sie die Motoren des Transporters abgeschaltet hatten.

Der Schwall Kaltluft, der den Dichter wie ein Hammer traf, ließ ihn aufkeuchen. Als er die eisige Luft durch seine Stigmen einatmete, wirkte das fast wie ein Kälteschock, und sein gesamter Thorax zog sich reflexartig zusammen. Mit allen vier Händen schnürte er sich die unvertraute Thermalkleidung enger an die Gliedmaßen und den Abdomen.

Wenigstens spiegelte das Innere der Lagerhalle traditionelle Thranx-Werte wider. Alles war organisiert und befand sich an seinem Platz, auch wenn Des eigentlich erwartet hatte, mehr Vorräte zu sehen. Eine isolierte Gemeinschaft wie Honydrop brauchte mehr Unterstützung als ein Stock von vergleichbarer Größe in einer gemäßigteren Klimazone. Vermutlich gab es woanders noch weitere Lagerhallen. Desvendapur stieg aus dem Frachter und musterte seine Umgebung genauer. Eine Crew Schauerleute erschien, ausgestattet mit Servoanzügen und mechanischen Hilfsgeräten. Sie arbeiteten mit den Fahrern zusammen, als sie den großen Frachttransporter zu entladen begannen. Des wartete ungeduldig auf sein Gepäck, das ohne Umschweife gleich mit dem Rest der Fracht verstaut worden war.

Eine Fußhand tippte ihn von hinten an. Unbeholfen drehte er sich in der ungewohnten Kaltwetterkleidung um und erblickte einen Thranx mittleren Alters, der ihn anstarrte. Als er sah, dass der hier Ansässige sogar in noch mehr Kleidung gepackt war als Desvendapur selbst, fühlte dieser sich ein wenig besser. Die Leute, die hier oben lebten, waren also keine Superthranx, gewöhnt an Temperaturen, bei denen die Antennen eines jeden normalen Thranx steif froren. Auch sie litten unter dem außergewöhnlichen Klima.

»Ich grüße Sie. Sind Sie der Besänftiger, der uns aus dem Tiefland zugeteilt worden ist?«

»Der bin ich«, antwortete Des schlicht.

»Möge es Ihnen wohl ergehen.« Die Begrüßung war knapp, die Berührung der Antennen kurz. »Ich bin Ouwetvosen. Ich bringe Sie in Ihre Unterkunft.« Er drehte sich auf den vier Echtbeinen herum und ging voraus. Als Des zögerte, fügte sein Gastgeber hinzu: »Sorgen Sie sich nicht um Ihre Habseligkeiten! Sie werden Ihnen gebracht. Honydrop ist nicht so groß, dass man hier etwas verlieren könnte. Wann werden Sie mit Ihren Vorträgen beginnen können?«

Offenbar waren den Bewohnern von Desvendapurs neuer Heimat traditionelle Etikette und Höflichkeit ebenso fremd wie ihm das Klima. Ein wenig verwirrt folgte Des seinem Führer. »Ich bin gerade erst angekommen. Ich dachte ... ich dachte, ich könnte mich erst einmal an meine neue Umgebung gewöhnen.«

»Dafür brauchen Sie bestimmt nicht lange«, behauptete Ouwetvosen in rauem, aber herzlichen Ton. »Die Leute hier hungern nach therapeutischer Unterhaltung. Die Aufzeichnungen und Projektionen sind zwar an sich eine gute Sache, aber einer richtigen Vorführung können sie nicht das Wasser reichen.«

»Das brauchen Sie mir nicht zu erklären.« Des folgte seinem Gastgeber in einen Lift. Als die Türen sich schlossen, heizte der Lift sich automatisch auf, näherte sich ein wenig der Temperatur an, die Des aus seiner alten Heimat gewohnt war. Sein Körper entspannte sich. Es war, als sei er in eine große Kinderkrippe getreten. Als er merkte, dass Ouwetvosen ihn genau musterte, richtete er die Antennen auf und hob die beiden Fußhände vom Boden, sodass er nur noch auf den vier Echtbeinen stand.

»Ist Ihnen kalt?«

»Mir geht's gut«, log Des.

Ouwetvosens Ausdruck schien ein wenig milder zu werden. »Man muss sich eine Weile daran gewöhnen. Seien Sie froh, dass Sie kein Feldarbeiter sind! Sie müssen Ihre Zeit nicht draußen verbringen, wenn Sie nicht wollen. Ich selbst bin Verwalter vierten Grades. Ich gehe nicht an die Oberfläche, solange es mir niemand befiehlt.«

Desvendapur fühlte sich ermutigt. »So schlimm kann es nicht sein.« Er deutete auf seine Kaltwetterkleidung. »Mit dieser Kleidung könnte ich es dort draußen einen Arbeitstag lang aushalten, glaube ich.«

Der Verwalter beäugte ihn nachdenklich. »Wenn Sie erst eine Weile hier gelebt haben, schaffen Sie das vielleicht wirklich. Die Feldarbeiter tragen auch solche Kleidung. Natürlich nicht, wenn der Rilth aus der Atmosphäre rieselt. Dann brauchen sie geschlossene Klimaanzüge.« Er klickte laut mit den Maxillen. »An solchen Tagen könnte man ebenso gut im Weltraum arbeiten!«

Des verstand den Sarkasmus des Verwalters nicht. »Ihr habt hier mit fallendem Rilth zu tun? Hier, in Honydrop? Ich habe welchen auf den hohen Bergspitzen liegen sehen - aber dass er hier sogar vom Himmel rieselt!«

»Gegen Ende der Regenzeit, ja. Manchmal wird es hier so kalt, dass der Niederschlag gefroren zu Boden fällt. Sie können darauf laufen - wenn Sie sich trauen. Ich habe schon gesehen, wie altgediente Feldarbeiter barfuß darüber gelaufen sind. Aber das halten sie nur wenige Augenblicke aus«, fügte er rasch hinzu.

Des stellte sich vor, barfuß im Rilth zu laufen. Bestimmt würde die zu Eis erstarrte Feuchtigkeit ihm auf der ungeschützten Unterseite der Fußklauen brennen, seine Nerven betäuben und ihm die Beine hochkriechen. Wer würde sich freiwillig solchen Höllenqualen aussetzen? Bei derart niedrigen Temperaturen würde die Kälte direkt durch das Chitin eines jeden Ektoskeletts dringen und die darin geschützten warmen Körperflüssigkeiten, Muskeln und Nerven erstarren lassen - der Kältetod wäre unvermeidlich. Würde er das wagen?

»Eine Frage, Ouwetvosen: Warum heißt ein Stock, der in einer Gegend wie dieser hier liegt, Honydrop?«

Sein Gastgeber erwiderte seinen Blick und machte eine Geste mit der Echthand. »Da hatte wohl jemand Sinn für Humor. Was für eine Art von Humor möchte ich lieber nicht ausführen.«

Desvendapurs Unterkunft erwies sich als halbwegs geräumig und war komfortabel ausgestattet. Sobald er sich eingerichtet hatte, befasste er sich mit dem kabineneigenen Klimasystem. Nachdenklich öffnete er die Mundwerkzeuge, dann zögerte er. Hier unter der Oberfläche, im Honydrop- Stock, hielten die Klimaanlagen die Temperatur auf Thranx-Norm, und entsprechend wurde die Luftfeuchtigkeit auf 90 Prozent angehoben. Hör auf, an die Bedingungen an der Oberfläche zu denken, ermahnte er sich, und dein Körper wird der Führung deines Geistes folgen!

Er hatte bereits Material für einen Vortrag von gut zehn Minuten gedichtet und wieder verworfen. Inspiriert von dem, was er gesehen hatte, waren seine Verse voller unheilvoller Bezüge auf die klirrende Kälte und öden Berge gewesen. Als er die Strophen noch einmal durchgegangen war, hatte er erkannt, dass sie nicht von dem handelten, was die hiesigen Bewohner hören wollten. Sie wollten besänftigt werden, getragen von seinen Worten, Lauten und Gesten, und nicht erinnert an die Rauheit ihrer Umgebung. Daher hatte er alles durchgestrichen, was er bis dahin verfasst hatte, und von vorn begonnen.

Sein Einführungsvortrag war gut besucht. Alles Neue war in Honydrop eine willkommene Abwechslung, und das schloss auch einen gerade erst eingetroffenen Therapeuten wie ihn mit ein. Da er volles Vertrauen in seine Fähigkeiten hatte, ging er seinen Vortrag ruhig an, und die Veranstaltung wirkte »besänftigend«. Im Anschluss an seine wohl durchdachte Coda traten beträchtlich viele Thranx, weibliche wie männliche, in die Mitte des kleinen GemeinschaftsAmphitheaters, um ihm zu gratulieren und sich freundlich mit ihm zu unterhalten. Nach der harten, anstrengenden Reise vom Tiefland hierher fühlte es sich gut an, wieder in einem geselligen Stock zu sein, die Wärme und den Geruch vieler unbekleideter Thranx wahrzunehmen, die sich dicht an ihn drängten. Er hörte sich ihr Lob und ihre Kommentare gern und bereitwillig an, dankbar für die Aufmerksamkeit. Sogar einige verschleierte Paarungsversprechen wurden ihm gemacht, was er zu schätzen wusste.

Beruhigt und erschöpft zog er sich zur angemessenen Zeit in seine Unterkunft zurück, wo er im Kopf alles noch einmal durchging, was er seit seiner Ankunft gesehen und erlebt hatte. Die Abgeschiedenheit, die Rauheit seiner Umgebung dürfte ihm genug Stoff für eine inspirierte Dichtung liefern. Bestimmt würde er sich schon in wenigen Tagen mental sicher genug fühlen, um die Feldarbeiter auf ihrem täglichen Erntezug zu den Beerenfeldern begleiten zu können, wo er ihnen bei der Arbeit zusehen und mehr von dieser fremdartigen, kaum besuchten Ecke Willow- Wanes zu lernen gedachte.

Er wusste, man würde ihn beobachten und seine Arbeit bewerten. Es wäre nicht angebracht, zu früh Gerüchte über ein nahe gelegenes, geheimnisvolles Projekt zu erwähnen oder sich regelmäßig nach Regierungsoperationen in der Gegend zu erkundigen. Honydrop lag recht weit von Geswixt entfernt, dem Stock, der sich auf der anderen Seite des schroffen Bergkammes befand und angeblich als Basis für jedwede exzentrische Fremdweltleroperation diente. Desvendapur würde eine Möglichkeit finden müssen, wie er dem Stock einen Besuch abstatten könnte, ohne dabei Aufsehen oder Misstrauen zu erregen. Honydrop war eine typische Ackerbaugemeinschaft, wenn auch eine sehr abseits gelegene. Ihre Bewohner gingen ihrer Arbeit nach, ohne dabei allzu genau überwacht zu werden. In Geswixt würde das anders sein.

Und falls er sich hier irren sollte, dann hatte er die ganze Reise und all die Mühen - ganz zu schweigen von seiner Abstufung um zwei Grade - eben vergebens auf sich genommen.

Während die Wochen verstrichen, stellte Des fest, dass er sich immer besser in Honydrop einlebte. Die hiesigen Thranx waren ein zäher Haufen. Sie schätzten jedes einzelne Wort seiner Dichtung, jede seiner unterstreichenden Gesten, jedes Neigen seines Kopfes und jede kreisende Bewegung seiner Antennen. Selbst seine weniger inspirierten, wenn auch kunstgerechten Refrains ernteten Lob. Sein Erfolg, das spürte er, fußte eher in der Inbrunst, die er während des Vortrags versprühte, als in der etwaigen Genialität seiner geistigen Ergüsse. Als Besänftiger verströmte er eine Leidenschaft, der sich niemand entziehen konnte. Die Bürger nahmen die zusätzliche emotionale Wärme seiner Vorträge dankbar an. Unverlangte Empfehlungen sammelten sich zuhauf in seiner Akte. Es war sogar die Rede davon, ihn für den implantierten Schulterstern vorzuschlagen.

Jederzeit hätte er seine Versetzung in einen größeren Stock, auf einen lohnenderen Posten beantragen können. Auf Verlangen hätte man ihn sicher auch befördert. Doch er machte keine Anstalten, sich darum zu kümmern.

Worum er sich hingegen bemühte, war, sich mit jedem Thranx anzufreunden, der im Transportwesen tätig war, angefangen vom Arbeiter, der die Erntemaschine bediente, mit der die prallen Früchte von den verstreut liegenden Feldern aufgelesen wurden, über den Fahrer der stockinternen Personentransporter bis hin zum gelegentlich vorbeikommenden Frachtpiloten. Ein Blick auf die Karten verriet ihm, dass es sinnlos wäre, einen Fußmarsch nach Geswixt oder zu jedem anderen Ort in der Nähe zu unternehmen. Ohne einen Ganzkörper-Klimaanzug würde er es niemals über den Bergkamm schaffen, und es gab nicht den geringsten Grund, warum ein Dichter eine solche Extremwetterausrüstung anfordern sollte. Ihm blieb keine Wahl, als seine Beziehungen dahingehend zu verbessern, eines Tages eine Mitfahrtgelegenheit erhaschen zu können.

Sein Vorhaben wurde ihm durch die Tatsache erschwert, dass die Stöcke Honydrop und Geswixt - trotz ihrer geographischen Nähe - kaum Kontakt zueinander hatten. Die in Honydrop geernteten Früchte wurden direkt aus den Bergen in die weiterverarbeitenden Fabriken der nächstgelegenen Stadt transportiert. Nichts wurde von Honydrop nach Geswixt geliefert, und alle nötigen Vorräte kamen direkt aus dem Tiefland. Trotz allen formellen Verkehrs zwischen den beiden Stöcken hätten sie sich ebenso gut an zwei entgegengesetzten Punkten des Planeten befinden können.

Desvendapur saß in einem der beiden Gemeinschaftsparks, umgeben von zusätzlicher Feuchtigkeit, dichter tropischer Vegetation und genießbaren Pilzen, genoss das künstliche Licht, das durch den Dunst von der Decke herabschien, als plötzlich Heulmilsuwir an ihn herantrat. Sie war eine Versorgungsarbeiterin, die, wie so viele, Desvendapurs Arbeit bewunderte. Im Laufe der Zeit hatte sie sich zu einer guten Freundin entwickelt, auch wenn sie einander nur unregelmäßig sahen.

»Süße Gezeiten, Desvendapur!«

Er legte seinen Sch'reiber beiseite, leicht verärgert, beim Dichten unterbrochen worden zu sein. »Guten Tag, Heul. Hast du dienstfrei?«

»Eine kurze Weile, ja.« Sie ließ sich auf den Nachbarsattel nieder: den Abdomen auf die Stützfläche gelegt und die Echtbeine rechts und links davon abgespreizt. »Du arbeitest noch immer? Sogar hier?«

»Der Fluch der Kreativität.« Er machte eine schwache, humorvolle Geste, um seinem Tonfall die Schärfe zu nehmen. »Selbst ein Besänftiger braucht Besänftigung. Von allen Ruheorten in ganz Honydrop beruhigt mich nur dieser hier.«

»Nur der hier?« Sie streckte die Echthand aus und strich ihm über den glatten, blaugrünen Thorax, gleich unterhalb der Atemstigmen.

Ohne sich irgendetwas Konkretes davon zu versprechen, sann Des über die Schlankheit ihrer Legeröhren nach, die zusammengerollt an ihrem unteren Abdomen anlagen. »Es gibt auch noch andere Stellen«, räumte er mit widerwilliger Wärme ein.

Eine Zeit lang plauderten sie über belanglose, aber ablenkende Themen. Dann änderte sich ihr Tonfall. »Irre ich mich oder hast du bei unserem Gespräch vor einigen Tagen ab und zu erwähnt, dass du gerne mal Geswixt besuchen würdest?«

Er kämpfte darum, seine erste Reaktion auf ihre Worte zu unterdrücken. Sein Gesicht war von Natur aus unbeweglich, nicht aber seine Gliedmaßen. Dennoch glaubte er, dass es ihm weitgehend gelungen war, seine Gefühle vor der Thranx zu verbergen. »Ein Ortswechsel, und sei es nur ein kurzer, ist immer eine willkommene Abwechslung.«

Mit einer Geste gab sie ihm zu verstehen, dass sie in diesem Punkt nicht seiner Meinung war, und ließ unterstreichend die Kieferzangen kräftig aneinander klacken. »Nicht wenn man an die Oberfläche geht. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, warum jemand die Mühe auf sich nehmen sollte, Geswixt zu besuchen. Alles, was ich von dort gehört habe, deutet darauf hin, dass es eine grausige, kärgliche Schürfstation ist, ohne jeglichen Komfort.«

Sie gestikulierte mit einer Echthand. »Sogar noch unkomfortabler als Honydrop.«

»Was wird denn dort abgebaut?«, fragte er abwesend. »Was für ein kostbares Metall?«

Sie machte eine unsichere Geste. »Das weiß ich nicht. Ich glaube, ich habe einmal gehört, dass man dort bis jetzt nur nicht eisenhaltige Substanzen gefördert hat. Und ich glaube nicht, dass man schon Erz gefunden hat. Sie suchen noch immer danach.«

»Und graben viele Tunnel und Stollen, nehme ich an? Eine Mine hat immer viele Stollen. Und beim Stollenbau muss eine Menge Erde und Gestein bewegt werden.«

Sie schaute ihn neugierig an. »Ja, schon, glaube ich.« In ihren Facettenaugen, die goldenen Spiegeln glichen, blitzte das reflektierte Licht. »Wie dem auch sei, wenn du wirklich dorthin reisen und dich umsehen willst, habe ich jemanden gefunden, der dich mitnehmen könnte.«

Desvendapurs Herzen schlugen sogleich ein wenig schneller. »Das ist interessant. Kenne ich diese Person zufällig?«

»Vielleicht. Ihr Name ist Melnibicon. Sie ist eine Pilotin.« Als Des ihr zu verstehen gab, dass er die Thranx nicht kannte, führte Heulmilsuwir weiter aus: »Ich bin ihr einige Male begegnet, als ich ihr Ladungsverzeichnis überprüft habe. Anscheinend braucht man in Geswixt eine ganz bestimmte Medizin. Geringe Mengen eines selten verordneten Enzymkatalysators. Anstatt zu warten und es sich von Ciccikalk liefern zu lassen, bringt unsere Abteilung eine kleine Menge davon über die Berge nach Geswixt. Ein rascher Dienst aus Höflichkeit. Melnibicon übernimmt den Transport. Da ihr Gleiter, abgesehen von einem kleinen Paket mit Medikamenten, ziemlich leer sein wird, dachte ich, dass sie vielleicht Platz für einen Passagier hat.«

»Du hast sie in meinem Namen gefragt?« Hätte Des sich nicht bewusst darum bemüht, seine Emotionen zu unterdrücken, er hätte gewiss Zuneigung für Heulmilsuwir empfunden.

»Ich wusste, dass du daran interessiert sein würdest, und da ich deine Rezitationen so sehr genossen habe ... und deine Gesellschaft, dachte ich, ich könnte dir auf diese Weise danken.«

»Ich dachte, Reisen nach Geswixt und von Geswixt nach Honydrop seien verboten.« Er beobachtete genau, wie sie reagierte.

»Eingeschränkt möglich. Nicht verboten. Ansonsten müsste Melnibicon erst die erforderlichen bürokratischen Genehmigungen für den Flug einholen. Offiziell geht man davon aus, dass sich niemand ohne Anmeldung nach Geswixt begibt. Aber ab und zu unternehmen manche Leute diese Reise.« Sie beugte sich vor und griff in eine prächtig bestickte, handgewebte Tasche an ihrem Abdomen und reichte ihm ein beprägtes Kunststoffrechteck.

»Hier findest du sie. Sie wird am Mitt-Mittag aufbrechen, damit sie vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein kann. Es ist besser, so eine Gelegenheit am Scheitelpunkt des Moments zu nutzen. Zu viel Planung kann zu Aufsehen führen. Wirst du dich mit ihr treffen und die Reise unternehmen?«

Desvendapur setzte alle vier Echtbeine auf den Boden und glitt vom Sattel. »Ich weiß es nicht«, log er. »Ich muss darüber nachdenken. Wenn man es herausfindet, könnte ich Schwierigkeiten bekommen.«

»Ich werde dich nicht verraten.« Die Logistikbeamtin beugte kokett die Legeröhren. »Du wirst nach Geswixt fliegen, kurz alles besichtigen und wieder zurück sein, ehe einer unserer Vorgesetzten überhaupt bemerkt, dass du fort bist. Was soll da schon Schlimmes geschehen?«

Nichts Schlimmes, in der Tat. Eventualitäten schossen ihm durch den Kopf wie wirbelnde Baumstämme in einem heftigen Frühlingsmonsun. »Bis heute Abend bin ich wieder zurück«, verkündete er rundweg.

»Natürlich bist du bis dahin wieder zurück.« Sie erhob sich von ihrem Sattel und trat neben ihn. »Und ich werde auf dich warten und dich begrüßen, damit du mir alles über deinen heimlichen Besuch im exotischen Geswixt erzählen kannst.« Sie vollzog eine Geste der Belustigung.

Während er im Geiste bereits durchging, welche Vorkehrungen er noch treffen musste, wandte er sich zum Gehen. Dann zögerte er und schaute zu ihr hinüber. »Heul, warum interessiert du dich so für mich? Warum machst du dir meinetwegen solche Mühe?«

»Du bist ein Dichter, Des. Du bist so anders als wir, passt dich ganz anders an.« Kaum hatte sie den Satz vollendet, war sie auch schon aufgestanden und hatte einige Schritte gemacht, auf einen der Südstollen zu, um den Park zu verlassen. Desvendapur sah ihr nach, dann machte er sich auf den Weg in seine bescheidene Unterkunft. Er hatte einige Dinge dort, die er auf jeden Fall mitnehmen wollte - nur für den Fall.

Wenn er Glück hatte, würde sich ihm die Gelegenheit bieten, in Geswixt zu bleiben.

Melnibicon war eine ältere, wortkarge Thranx, deren Legeröhren schon vor langem ihre Elastizität verloren hatten und eng an ihren Flügeldecken anlagen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand Desvendapur gefolgt war, führte sie ihn ins enge Cockpit ihres Frachtgleiters. Niemand sah, wie er an Bord ging, denn das Lagerhallenpersonal war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.

Nachdem der Gleiter die Starterlaubnis erhalten hatte, rollte er durch das wetterfeste Doppeltor auf ein kleines, mustergültiges Landefeld hinaus. Des wurde durchgerüttelt, als der Gleiter senkrecht mehrere Hundert Fuß aufstieg, ehe er schließlich beschleunigte und auf Ostkurs ging.

»Tut mir Leid, dass du so durchgerüttelt wurdest«, murmelte Melnibicon knapp, während sie sorgfältig ihre Instrumente beobachtete und ab und zu den Blick hob, um durch das Fenster vor sich in den entmutigenden Himmel zu schauen. »Ich bin daran gewöhnt, Fracht zu transportieren und zu verladen, keine Touristen.«

»Das ist schon in Ordnung.« Desvendapur ließ sich auf dem schmalen, freien Sattel neben ihr nieder und schaute durchs Fenster. Zerklüftete Berggipfel und schroffe Kämme, dick mit Rilth bedeckt, trennten das fruchtbare, aber kalte Tal, unter dem Honydrop lag, von dem höher gelegenen, in dem sich Geswixt befand. Wieder einmal sah er, dass selbst der hartgesottenste Thranx schnell umgekommen wäre, hätte er sich ohne Ganzkörperklimaanzug zu Fuß auf den Weg nach Geswixt gemacht. Was zu Fuß mehrere Tage gedauert hätte, würde der Frachtgleiter in weniger als einer Stunde schaffen.

Desvendapur hatte das Gefühl, dass es angebracht sei, irgendwie seine Dankbarkeit zu zeigen. »Dass du mich mitnimmst, ist sehr nett von dir.«

Mehr brummend als pfeifend antwortete Melnibicon ihm: »Meine Arbeit ist ziemlich langweilig. Ein wenig Gesellschaft ist mir ein kleines Risiko wert. Erzähl mir was, Dichter! Erzähl mir etwas über dich und die Weltjenseits dieser kalten Hölle! Wie ist das Leben so in Ciccikalk?«

»Wieso fragst du mich das? Du hast doch Bilder davon.«

»Es geht aber nichts darüber, es sich von jemandem beschreiben zu lassen, der vor kurzem noch dort war. Schildere es mir in blumiger Sprache, Dichter! Ich mag es, wenn man mich in Hoch-Thranx besänftigt.«

Er trug ihr die besten Verse vor, zu denen er fähig war, und nahm auch zu Improvisationen Zuflucht, als ihm das Wissen und die Erfahrung im Stich ließen; und die ganze Zeit über gab er sich größte Mühe, nicht nach draußen zu schauen. Ansonsten wäre er gleich wieder an den kalten Tod erinnert worden, der ihn unten am Boden erwartete.

Trotz seiner Nervosität verging die Zeit rasch. Als Melnibicon ihm mitteilte, dass sie den Bergkamm überflogen hatten und sich im Landeanflug auf Geswixt befänden, rang er sein Unbehagen nieder und drückte Gesicht und Antennen an das Sichtfenster.

Die Aussicht war nicht gerade interessant. Obwohl er nicht wusste, wie er sich Geswixt vorzustellen hatte, war er enttäuscht, denn der sich ihm bietende Ausblick war alles andere als inspirierend. Er wirkte nichts sagend.

Unter ihnen erstreckte sich ein langes, schmales Tal. Dahinter, in nördlicher Richtung, ragten unwirtliche hohe Berge auf, hinter denen wiederum das ferne Meer lag. Ein reißender Fluss durchschnitt das Tal in dessen Mitte. Im Gegensatz zu dem Land über und um Honydrop war hier nirgends ein Anzeichen auf Ackerbau zu erkennen. Nur die geröllfreie Scheibe der Landeplattform verriet, dass in dem Tal intelligente Bewohner hausten. Sie flogen über einer der entlegensten Regionen Willow-Wanes. Geswixt war - wie Honydrop und jeder andere Stock in unwirtlichen Klimazonen - natürlich ausschließlich unterirdisch angelegt worden.

Was hast du denn auch erwartet?, tadelte Des sich, als der Frachtgleiter durch einen Pass zwischen zwei Felswänden flog. Wo waren die Horden von Menschen, die in alle Richtungen auseinander sprengten oder sich beim Anblick eines anfliegenden Luftfahrzeugs auf die Knie warfen? Nur weil nichts darauf hinwies, dass hier zweifüßige Säugetiere lebten, hieß das noch lange nicht, dass es hier tatsächlich keine gab.

Dennoch fand Des es entmutigend, keinerlei Menschen zu sehen.

Nach einem ereignislosen Abstieg landete Melnibicon den Gleiter sanft auf dem runden Landefeld und rollte dann in eine Halle vor, in der ringsum verschiedene Fahrzeuge standen. Die zerbeulten, vom Wetter mitgenommenen Fahrzeuge im Terminal von Geswixt wurden offenbar oft benutzt. Das Terminal sah genauso aus wie das in Honydrop, nur größer. Soeben löschten einige Thranx die Fracht eines Flugwagens, während andere einen kleinen Gleiter mit Kisten und Fässern aus zwei Containertransportern beluden. Nichts deutete auf ungewöhnliche Aktivitäten oder überdurchschnittliche Sicherheitsvorrichtungen hin.

Falls es doch nur ein Gerücht war, dachte Des enttäuscht, habe ich nicht nur einen Nachmittag, sondern auch eine ganze Jahreszeit meines Lebens mit einer weltfremden Suche verschwendet.

Das gedämpfte Summen der Gleitermotoren erstarb. Melnibicon löste die Gurte und glitt vom Pilotensattel, dann drehte sie sich um und schaute Desvendapur an. »Willkommen in Geswixt. Hast du es dir so vorgestellt?«

Er machte eine nichts sagende Geste. »Ich habe ja noch nichts von der Stadt gesehen.«

Sie gab ein hohes Pfeifen von sich: Thranx-Gelächter. »Sieh dich nur um! Ich muss die Medizin abliefern. Sie warten schon darauf, deshalb bin ich bestimmt bald zurück. Dann mache ich eine kurze Pause und halte ein Schwätzchen mit einigen Fliegern, die ich hier oben kenne.« Sie fragte das Cockpit nach der genauen Uhrzeit, die ihr prompt genannt wurde. »Sei in vier Zeitteilen wieder hier! Ich will lieber nicht im Dunkeln durch die Berge fliegen müssen, auch wenn der Gleiter fast vollautomatisch fliegt. Nur weil die Route vorprogrammiert ist, heißt das ja nicht, dass ich nicht sehen will, wohin wir fliegen.«

Des ging von Bord und stellte fest, dass er in dem geräumigen Terminal ganz allein war. Ziellos lief er von Gleiter zu Gleiter, beobachtete Techniker bei der Arbeit und stellte ihnen Fragen. Er hoffte, dass seine Fragen harmlos klangen und trotzdem zugleich den Eindruck vermittelten, dass er von etwas Geheimnisvollem wisse, das hier angeblich vor sich ging. Die Antworten, die er erhielt, variierten von amüsiert bis aufrichtig unwissend. Auf diese Weise verbrachte er den Großteil des restlichen Nachmittags, an dessen Ende er nicht klüger war als vor seinem Abflug in Honydrop.

Ein junger Thranx rackerte sich soeben damit ab, eine beträchtliche Anzahl kleiner, sechsseitiger Behälter von einer Entladeplattform auf die Lastfläche eines kleinen Transportfahrzeugs zu verladen. Die Maschine, die er für diese Arbeit benutzte, war klobig und wenig hilfreich. Des wurde Zeuge eines seltenen Beispiels dafür, wie ein Thranx die Geduld verlor. Da er nichts anderes zu tun und sich schon damit abgefunden hatte, ohne die gesuchte Erbauung nach Honydrop zurückzukehren, ging er zu dem Thranx hinüber und bot ihm seine Hilfe an. Wenn es hier schon nichts gab, was seinen Geist stimulierte, so konnte er sich zumindest etwas Bewegung verschaffen.

Der junge Thranx nahm das Angebot des Fremden dankbar an. Gemeinsam ging die Verladung der Behälter deutlich schneller vonstatten. Die offene Ladefläche des kleinen Fahrzeugs wurde zusehends voller.

»Was ist da drin?« Nur mäßig interessiert schaute Desvendapur auf die Behälter, die er mit allen vier Armen gepackt hielt. Die in die Seite des grauen Behältnisses eingeprägte Aufschrift war nicht sonderlich informativ.

»Nahrung«, antwortete der andere Thranx. »Zutaten. Ich bin ein Nahrungszubereiter dritten Grades.« In seiner Stimme lag kein falscher Stolz. »Vor einigen Jahren habe ich in meinem Lehrgang als Bester abgeschnitten. Mein Abschluss hat mir meine gegenwärtige Position verschafft.«

»So, wie du es schilderst, klingt es wie etwas Besonderes.« Noch nie für sein Taktgefühl bekannt, würde Desvendapur auch jetzt keine Flügeldecke vor den Mund nehmen. Er reichte dem wartenden Thranx noch einen Behälter. »Das hier ist Geswixt, nicht Ciccikalk.« Und sogleich fügte er die Bemerkung hinzu, die er an diesem Nachmittag schon so oft hatte fallen lassen, auf der Suche nach Information: »Das sähe natürlich anders aus, wenn die Menschen hier wären.«

»Hier?«, pfiff der hart arbeitende Zubereiter amüsiert. »Warum sollten hier in Geswixt Menschen sein?«

»Ja, warum eigentlich? Eine absurde Bemerkung.« Der geübte Des ließ sich weder seine Entmutigung noch seine Enttäuschung anmerken.

Sein neuer Bekannter nahm sich kaum die Zeit, Luft zu holen. »Wirklich absurd! Sie sind alle oben im Tal, in ihren eigenen Unterkünften.« Er deutete auf den schnell wachsenden Stapel aus Behältern. »Hier ist Nahrung für sie drin. Ich lerne nämlich nicht, wie man Nahrung für uns Thranx zubereitet, sondern für Menschen.«