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Der große Eroberungskönig Morbihom erlitt einen Rückschlag im Kampf gegen Königin Lusts lomische Armee, woraufhin seine Streitkräfte im Zurückweichen die Stadt Molophom besetzten.
Hier holten wir den König endlich ein.
Oder, um genau zu sein, wir holten die Kapts, das Gericht, die sonstigen Lagergefolgsleute ein – das ganze Durcheinander einer im Felde stehenden Armee, die einen ersten Rückschlag erlitten hat und auf Rache sinnt. Weymlos Bitte um einen Termin mit den Kapts der Armee stieß auf strikte Ablehnung.
Niemand äußerte: »Ich hab's dir doch gleich gesagt!«
Ketten von Lagerfeuern brannten außerhalb der Stadt und erhellten die Nacht. Drinnen herrschte ein großes Durcheinander. Trunkenheit war noch das geringste der alltäglichen Übel – Plünderungen, Vergewaltigungen, Brandstiftungen und Hinrichtungen ereigneten sich laufend. Die Stadt war saubergenagt wie das Skelett eines Fisches.
Den Gerüchten zufolge sammelten sich neue Truppen bei Königin Lust. Starke Regimenter aus jenem Teufelsloch jenseits des Meeres – Vallia, dem bösen Vallia – waren der Königin zu Hilfe geeilt und verteidigten Lome zusammen mit den einheimischen Streitkräften.
»Trotzdem ist der König noch lange nicht am Ende«, versicherte man uns immer wieder. »Wir haben noch mehr Soldaten. Beim nächstenmal wird sich der Boden rot färben vom Blut der Lomer und Vallianer!«
Während die verdammten Menahamer extrem blutrünstig waren – das kann Ihnen jeder bestätigen, der schon einmal mit ihnen zu tun hatte –, gab es doch wie bei allen Menschen gewisse Abstufungen, es gab eben Menahamer und Menahamer, Männer und Frauen, die sich in ihren Ansichten und ihrer Blutlust unterschieden.
Weymlo und Lamilo machten sich auf die Suche nach Leuten, die Vernunftgründe gelten ließen und sich für die gerechte Sache eines ehrlichen Kaufmannes, nämlich die Bezahlung für gelieferte Waren, einsetzen wollten.
Morbihom selbst – es war wohl doch einfacher, den Idioten mit dem grandiosen Namen zu bezeichnen, den er sich selbst gegeben hatte, anstatt ihn Posno zu nennen – hatte mit Molophom wenig im Sinn, die ihn als geschwärzte Ruine umgab. Sein gutbewachtes Lager, in dem helle Flaggen und gestreifte Baldachine leuchteten, erhob sich auf einer hübschen Wiese am Fluß des Wogenden Schilfs. Hier wies nichts darauf hin, daß seine Armee gerade einen Rückschlag erlitten hatte.
Wie bei den meisten Armeen dieser Art, in denen viele Söldner dienten, konnte man einigermaßen ungestört herumreiten. Seg und ich wurden erst aufgehalten, als wir den inneren Bezirk des Königs betreten wollten, und hier half uns unser Status als Hyr-Paktuns, jeden Anflug von Verdacht sofort zu zerstreuen. Die Rekrutierungsoffiziere der Armee des Königs würden uns mit offenen Armen empfangen.
Ich gebrauchte eine oft angewandte List, als ich dem Deldar am Tor sagte: »Wir schließen uns gern dem König an, Del. Laß uns einige Tage Zeit, damit wir uns ... Nun ja, Dom, du weißt Bescheid.«
»Aye, Dom. Na schön. Einen Tag habt ihr Zeit – ich bin sicher, daß ihr bald das Gold tragt.« Und er berührte den silbernen Mortilkopf auf seiner Brust.
»Meinen Glückwunsch«, sagte Seg beim Fortreiten.
»Ein halsabschneiderischer Haufen«, bemerkte ich.
»Anstelle des Golds wäre wohl eher eine Klinge am Hals angebracht, beim Verschleierten Froyvil!«
Unter unseren Gefährten waren Seg und ich als komisches Duo bekannt und mit Inch sogar als lustiges Trio; in solchen Augenblicken waren unsere Gedanken weit genug vom Komischen entfernt, um im Vaol-Paol einen vollen Kreis zu beschreiben und uns aus der anderen Richtung zum Lachen zu bringen. Könnte man erst gar nicht mehr lachen, auch nicht über so fürchterliche Geschöpfe wie die menahamischen Kazzurs, wäre es um einen geschehen.
Im Fortgehen entdeckten wir am anderen Ufer einen langen Palisadenzaun, vor dem Wächter patrouillierten. Eine beiläufige Frage an einen Och, der Wasser vom Fluß geholt hatte, brachte die Information, daß es sich um das Gefangenenlager handelte.
Uns beiden kam gleichzeitig derselbe Gedanke.
»Kein Zweifel!« rief Seg. »Einen anderen Weg würde Erythur niemals billigen.«
»Du hast recht.«
»Oh, unzweifelhaft!«
Wir kehrten in das kleine Lager zurück, das wir abseits der weitläufigen Anlagen der Armee errichtet hatten, und wurden von einer großen Neuigkeit empfangen.
Lamilos und Weymlos pelzige Gesichter strahlten. Bündel und Ballen wurden geöffnet, und Yamsin war damit beschäftigt, die Präsentation der Kleidung und Geschenke vorzubereiten.
Es bestand ein Termin mit Kapt Rorman dem Unzerstörbaren, General der Zweiten Menahamischen Armee. Die Lamnier sollten sich bei Sonnenuntergang am Zelt des Generals einfinden.
Murlock der Flotte, der mit seinem verbundenen Fuß und der primitiven Astkrücke gar nichts Flottes mehr hatte, erhob die Stimme. Mit der blutroten heilenden Narbe wirkte sein hageres Gesicht so angstvoll wie eh und je. Er hatte sich im Lager nach besten Kräften nützlich gemacht, und Weymlo hatte ihm einige Silber-Dhems zugesteckt. Nun wollte er wissen, was aus ihm werden sollte. »Wenn die Männer des Königs herausfinden, daß ich ...«
»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, erwiderte Seg. »Wenigstens jetzt noch nicht.«
»Ich nehme an, du wirst die Beine unter den Arm nehmen, sobald dein Fuß wieder heil ist.« Ich starrte auf das verwundete Bein.
Sein Gesicht verzog sich noch schuldbewußter.
»Das glaube ich eigentlich nicht, ihr Doms. Wenn ihr einverstanden seid, würde ich euch gut dienen. Und billig.«
»Als was?«
»Mein Vater, mögen seine Knochen bis in alle Ewigkeit ruhen, war Dritter Unterkammerherr am Zweiten Hof im Palast der Exotischen Freuden. Ich bin dazu ausgebildet, in seine vornehmen Fußstapfen zu treten.« Er schüttelte den Kopf. »Leider hatten die Mensaguals, die grausamen Schiedsrichter des Schicksals, etwas anderes mit mir im Sinn.«
Seg schnaubte amüsiert durch die Nase. »Solche Vergnügungen brauchen wir nicht, Murlock.«
»Ah, Horter, aber bedenke eins: Ich verstehe mich sehr gut darauf, einen Haushalt zu führen. Du wärst im Feld versorgt wie nie zuvor, das weiß ich.«
Natürlich wußte er es nicht. Er schaute uns ins Gesicht und fuhr fort: »Meine Bestrafung betraf eine Kleinigkeit – also, das Mädchen war schärfer darauf als ich! Ich schwöre das bei Pymanomar dem Ewig Gerechten! Ich muß versuchen, mir in der Welt eine neue Karriere zu schaffen.«
Seg und ich bezwangen unser Lachen. Schließlich sagten wir: »Also schön, Murlock der Flotte. Aber sieh zu, daß du deine Versprechungen auch wirklich einlöst.«
Als er diese Worte vernahm, fielen die Sorgen sichtlich von ihm ab. Er sprang auf seinem verwundeten Fuß herum und tanzte auf uns zu. »Meinen Dank, ihr Horter! Möget ihr im Namen Havils dreimal gesegnet sein!«
»Dein Fuß!« mahnte Seg.
»Eine wundersame Heilung, ihr Horter!«
»Murlock der Flotte«, sagte ich. »Man muß dich wohl eher Murlock den Schlauen nennen.«
»Schlau, wenn es darum geht, alle eure Wünsche zu erfüllen. Ihr werdet heute abend essen, wie ihr es auf dieser Reise noch nicht getan habt!«
Nath und Orso, die gerade dazukamen, hörten sich diese Äußerung belustigt an. Nath fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Ich hoffe, der Schurke ist als Koch so gut wie als Lügner!«
»Ich werde dafür sorgen, daß er jeden Brocken kostet, ehe ich etwas esse«, äußerte sich Orso.
An diesem Abend verabschiedeten wir die Lamnier, die sich für ihre Zusammenkunft mit Kapt Rorman vornehm herausgeputzt hatten.
Dann ließen wir uns nieder, um die Mahlzeit zu kosten, die Murlock der Flotte uns bereitet hatte. Er hatte alle Bemerkungen über die schnelle Gesundung seines Fußes mit einem Achselzucken abgetan und war seit dem frühen Nachmittag verschwunden gewesen. Im ersten verschwommenen rosafarbenen Licht der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln setzten wir uns zum Essen nieder.
Kein Zweifel – Murlock war ein erstklassiger Koch. Er war nicht so gut wie Emder oder gar der Flinkfingrige Minch, aber er gehörte zu den Spitzenkräften. Nach dem Genuß fühlten wir uns nicht überdehnt, sondern angenehm gesättigt.
»So ißt man also in Häusern wie dem Palast der Exotischen Freuden«, bemerkte Nath und stocherte sich die Zähne sauber. »Dort müssen die Preise ja schlimm sein.«
Murlock, der gerade vier Teller, vier kleinere Teller, vier schmutzige Gläser und etliche andere Dinge abräumte, blieb stehen und fuhr herum. Für einen dürren wieselhaften Burschen wirkte er ungemein aufgebracht.
»Horter! Wärst du nicht ein bekannter Hyr-Paktun, der die goldene Pakzhan trägt, würde ich dich wegen der Beleidigung herausfordern!«
»Was?«
»Glaubst du, mein vornehmer Vater habe in einer schlichten Taverne gearbeitet? Der Palast der Exotischen Freuden ist einer der Paläste des Königs – am Blauen See in Pelasmohnia!«
»Oh«, sagte Nath, zeigte aber ansonsten keine Reue.
Es gelang uns, Murlock zu beruhigen, woraufhin er uns einen hervorragenden Wein unbekannter Herkunft kredenzte. So saßen wir denn in gemütlicher Runde trinkend um das Feuer und baten Murlock zu uns, als er mit dem Abwasch fertig war.
»Wie hast du die Speisen stehlen können?« wollte Orso wissen.
»Wir haben wenig Lust, von dem früheren Inhaber dieser Sachen niedergestochen zu werden«, hakte Nath nach.
»Die Zutaten habe ich auf ehrliche Weise erworben, ihr Horter, das schwöre ich bei Pyman ...«
»Ja, ja«, sagte Orso und wischte sich die Lippen. »Genug davon. Wir glauben dir, auch wenn es eine Million Leute gibt, die das nicht täten.«
»Es gibt Menahamer und Menahamer«, sagte Seg und meinte damit, daß Murlock als Palastbediensteter – nicht Sklave – nicht mit den normalen verdammten Menahamern auf eine Stufe gestellt werden konnte. Ich mußte daran denken, daß er immerhin Gartang dem Kazzur ziemlich sauber das Messer in den Hals befördert hatte. Vielleicht war er gar nicht so weich und biegsam, wie es bei vielen Palastbediensteten der Fall ist.
Ringsum wogte die Nacht mit den Düften der nachtblühenden Blumen, vermengt mit dem Rauch der Holzfeuer im Lager. Nach einiger Zeit sagte Seg: »Also, mein alter Dom, und wo stecken unsere lamnischen Freunde?«
»Wir brauchen uns ihretwegen nicht den Kopf zu zerbrechen«, sagte Orso. »Die verstehen geschickt zu verhandeln.«
»Die Verhandlungen fanden statt, als das Geschäft verabredet wurde. Jetzt wollten sie nur die fällige Zahlung kassieren.«
»Sie gefallen mir, diese Lamnier«, sagte Nath grollend.
»Heute nacht kannst du weiter für uns arbeiten«, sagte Seg zu ihm. »Schlag dir jeden Gedanken an deine Schlafstatt aus dem Kopf.«
Murlock zog ein enttäuschtes Gesicht. Er seufzte und sagte: »Wenn ihr meine Dienste später noch braucht, Horter, stehe ich euch natürlich zur Verfügung. Ich hatte nur gehofft – es gibt da eine leckere kleine Shishi in ... Na ja ...«
»Mir will scheinen«, sagte Seg und unterdrückte ein Lachen, »daß du auf alles Weibliche losgehst, das dir vor die Augen kommt.«
»Nicht alles, Horter. Ich habe meinen Geschmack.«
»Ah, natürlich!« Seg legte sich einen Finger an die Nase.
»Wie dem auch sei«, sagte ich einigermaßen nachdrücklich, »wir wissen immer noch nicht, wo die Lamnier stecken.«
Murlock stand auf. »Wenn es euch recht ist, Horter, werde ich mich erkundigen, ehe ich Feierabend mache.«
»Ja, ja, schön«, sagte Orso.
Seg und ich antworteten gemeinsam: »Danke, Murlock.«
Nachdem Murlock in der Monddunkelheit verschwunden war, schaute Orso uns an; sein Gesicht wirkte angespannt.
»Ich muß dich Jak nennen, Majister, und dich, Jen, Seg. Ich bin kein Edelmann, aber mein Vater ist unglaublich reich und könnte sich ein Dutzend hoher Herren kaufen. Vielleicht wird er eines Tages einen Titel erstehen, wenn er es will. Trotzdem behandelt ihr diese Abschaumgestalten, als wären sie Koter und Waffenbrüder.«
Seg und ich schauten uns an und warteten darauf, daß der andere etwas sagte; daraufhin warf Nath auf seine schlichte Art grollend ein: »Es tut nicht weh, einen Burschen anständig zu behandeln, Orso. Man weiß nie, ob er einem nicht mal ein Messer an den Hals hält.«
»Fern sei der Tag, da er mir ein Messer an die Kehle halten kann!«
Seg wechselte das Thema, und wir unterhielten uns ein wenig lustlos über dieses und jenes, bis Murlock zurückkehrte.
Entgegen unserer Gesten setzte er sich nicht. »Ich habe einen zweiten Vetter beim Küchenpersonal Kapt Rormans des Unzerstörbaren. Ich kann dort ungehindert ein und aus gehen, denn ich habe mich doch äußerlich ziemlich verändert.« Bei diesen Worten faßte er sich an die Narbe.
»Na? Weiter!« Diese Aufforderung kam von Orso.
»Die Lamnier sind verhaftet und festgesetzt worden. Nur der König kann über sie gebieten.«
Orso bleckte bei dieser Nachricht spöttisch die Zähne; offensichtlich redete er sich ein, daß er die ganze Zeit mit einer solchen Hinterlist gerechnet hatte. Nath brummelte eine Verwünschung und öffnete den Mund. Seg wollte ihn unterbrechen, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Die Pläne bleiben unverändert«, sagte ich. »Nur muß das jetzt unter euch dreien ablaufen.«
Ich stand auf und legte Murlock eine Hand auf die Schulter. »Sagtest du nicht eben, du hättest einen Vetter beim Küchenpersonal im Lager des Königs?«
Er wirkte plötzlich verängstigt, nickte aber wie erwartet, und ich fuhr gelassen fort: »Dachte ich's mir doch. Dann schlendern wir da jetzt mal hinüber, um zu sehen, was wir wegen unserer lamnischen Freunde unternehmen können.«