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Ohne auch nur einen Herzschlag lang zu zögern, begann der Jagd-Kov seine Worte in die Tat umzusetzen.

Energisch schob er die Frauen zur Seite. Eine fiel auf die Knie, ihre Haare wirbelten nach vorn, ihr Schrei ging im allgemeinen Raunen unter. Loriman stürmte nach hinten auf dem Weg, den wir gekommen waren.

Bedrückt wichen ihm die Frauen aus; sie begriffen nicht, wieso er wie ein durchgehender Chunkrah an ihnen vorbeidonnerte.

Schließlich drehte er sich um und schaute zurück.

Auf seinem stets harten und hochmütigen Gesicht stand nun ein fanatischer Ausdruck des Triumphs, der Entschlossenheit. Stets Opfer seiner Ideale des Jagens, hatte sich Kov Loriman jetzt gänzlich von ihnen verzehren lassen.

Er sah Hexe Csitra als seine wichtigste Jagdbeute an.

Der Staub der Korridore, der ungewaschene Geruch der Frauen, das Gefühl, unter Millionen von Tonnen Felsgestein festzusitzen, erweiterten die Gefühle, die Kov Loriman beschäftigten, um weitere Dimensionen.

Er schwenkte sein Schwert.

»Bei Hito dem Jäger! Sie wird nicht länger leben als ich, das schwöre ich bei Pandrite dem Allprächtigen!« Energisch senkte er das Schwert. »Hai, Jikai!«

Er fuhr herum, noch einmal funkelte das Licht auf dem Metall seines Brustpanzers, dann war er verschwunden.

Seg lachte. »Beim Verschleierten Froyvil! Mein alter Dom! Ich wüßte nur zu gern, ob ich froh oder traurig bin, den Burschen los zu sein!«

»Ach«, sagte ich und versuchte mit einer Nonchalance zu sprechen, die ich nicht empfand. »Wir werden den alten Loriman wiedersehen, mach dir keine Sorgen.«

Nath der Unduldsame sog die Luft ein. Er hatte einer der hübscheren jungen Damen einen Arm um die Hüfte gelegt. »Für mich sind seine Chancen so groß wie die einer glühenden Kohle auf den Eisgletschern Sicces, sollte er wirklich gegen die Hexe bestehen müssen. Bei Gott, sie wird ihn mit Haut und Haaren verschlingen!«

»Marschieren wir weiter, Doms!« mahnte ich. Ich erklärte Nath nicht, daß Loriman mit der Schutzhaube, die uns die freundlich gesonnenen Zauberer aus Loh verpaßt hatten, keine allzu großen Gefahren drohten. Allerdings nur, wenn er in den magischen Wirkungsbereich der Haube einbezogen worden war.

Ich ging davon aus, daß Deb-Lu entsprechend vorgegangen war. Ich brauchte Loriman noch für einen wichtigen Teil meiner Pläne.

Die Entscheidung hatte lange gedauert und war mir schwer gefallen. Aber die Zeit war gekommen, sie war getroffen worden, und nun brauchte man sie nur noch in die Tat umzusetzen.

»Kommt!« sagte ich in einem Tonfall, der Seg veranlaßte, mir einen fragenden Blick zuzuwerfen. Ich wußte, daß ich angesichts der ernsten Situation viel zu munter sprach; aber die Entscheidung hatte, indem ich sie traf, diesen Teil meiner Sorgen verfliegen lassen. Und der gute alte Seg würde seine Rolle bei diesem Plan hervorragend spielen, das wußte ich – sobald er sich etwas hatte ausweinen können.

In diesem Moment kreischten die Mädchen auf und drängten erschrocken zurück. Es gab ein hübsches Durcheinander wirbelnder Arme und Beine, halbnackter Körper, die übereinanderfielen, von Gesichtern, die sich in frisch aufflackernder Angst verzerrten. Die Gerüche waren plötzlich beinahe unerträglich.

Der Bursche, der diese Reaktion auslöste, stand wie ein knorriger Baum vor uns, die Beine gespreizt, den Körper in eine schwarzgoldene Rüstung gepreßt, ganz schimmerndes Leder und mattes Metall und goldene Knöpfe und Nieten. Einen besonderen Akzent bildete ein dramatisch zurückgeworfener scharlachroter Umhang. Am Helm schimmerte ein Schädelzeichen – darunter ein Gesicht von geballter Wildheit, gesenkter Schnurrbartenden, angeschliffener Zähne, rotgeäderter Augen und weiter Nasenflügel, die sich hin und her bewegten wie der Bauch eines Fisches.

Abweisend, atemberaubend, ohne einen Hauch von Menschlichkeit nach einem ganzen Leben des Blutvergießens, war dieser Kanzai-Kriegerbruder kein magischer Auswuchs unserer Phantasie.

Die Kanzai nehmen Rekruten aus allen geeigneten Rassen auf – auch wenn es heißt, daß sie Chuliks und Khibils und Laceroti am liebsten haben – und bilden diese Jünglinge zu Kriegerbrüdern aus. Danach steht ihnen ganz Kregen offen.

Wir hatten mit diesen Kämpfern in Vallia wenig zu schaffen, nachdem der Großvater des alten Herrschers sie in einem großangelegten Feldzug geschlagen hatte, der inzwischen in vielen Liedern und Legenden wiedererzählt wurde. Dagegen gab es in Pandahem eine ziemlich große Anzahl von Kanzai-Brüdern.

Der Bursche trug Thraxter und Kurzschwert an einem Waffengurt oberhalb des Rocks der Rüstung. Er schien keine Wurfwaffe bei sich zu haben – was aber nur täuschen konnte. Er trug keinen Bogen; doch hatte er andere unangenehme Dinge, die er mit tödlicher Geschwindigkeit verschleudern konnte.

Die Kanzai verachteten Schilde.

Mit zielstrebiger Bewegung zog er nun einen Chunkscreetz, einen Schwertbrecher, der eher wie ein japanischer Sai aussah als wie eine europäische Waffe. Aus schwerem Eisen geformt, mit zwei gekrümmten Einkerbungen, die dazu bestimmt waren, die Klinge eines Gegners festzuhalten und zu zerbrechen, war der Schwertbrecher eine Waffe, mit der man rechnen mußte.

Der Mann bewegte sich präzise-beherrscht, und jede Bewegung nahm zwischen Perioden absoluter Reglosigkeit eine bestimmte Zeit in Anspruch.

Die Kette, die er nun aus einem Beutel zog, veranlaßte Seg, den Atem anzuhalten. An einem Ende der Kette pendelte ein Messer mit drei Klingen, am anderen ein dreizackiger Greifhaken. Es handelte sich um die kregische Adaptation des japanischen Kyotetsu-shoge, Kawa-naga genannt, eine verbesserte Waffe, die den Gegner zu verkrüppeln vermochte. Ich teilte Segs Mißtrauen gegen solche Waffen.

Der Kanzai ließ die Kette um den Kopf wirbeln. Die dünnen Lippen weiteten sich zu einem einladenden Lächeln. Er prahlte nicht – das ist nicht die Art der Kanzai.

»Ich regle die Sache ...«, entfuhr es Nath.

»Bleib ruhig! Vielleicht können wir mit diesem Kanzai-Bruder reden, anstatt ihn zu bekämpfen.«

»Eher könntest du den Fluß des Goldenen Lächelns mit bloßen Händen stauen!«

Sirrend bewegten sich die Kettenglieder in einem Kreis vor dem Kämpfer. Er führte die Kette durch eine verwirrende Folge von Mustern, von Schlingen und Gegenkreisen und raffinierten Schwüngen um den Körper und unter den Armen hindurch. Offenkundig vollführte er hier eine Trainingsroutine. Sie war eindrucksvoll, das muß ich sagen, bei Krun!

Daß Seg sich währenddessen mit seinem Bogen zum sofortigen Einsatz bereithielt, ist so normal, daß ich nicht besonders darauf eingehen muß.

»Ich will dich nicht töten, Kanzai!« rief ich. »Es hat hier schon zuviel Blutvergießen gegeben. Ich fordere dich auf, uns und den armen Frauen den Durchgang zu erlauben.«

Die Mädchen hatten sich einigermaßen beruhigt; nur noch gelegentlich war ein Stöhnen oder ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. Sie stellten sich ein wenig auf ihr Schicksal ein, das ihnen aber alles andere als gut gefiel.

Man kann kaum den Blick abwenden von einer kregischen Frau, wenn sie zu allem entschlossen ist und auf Rache aus ist.

Ein silbernes Geschoß löste sich aus einer vorzuckenden Hand und raste geradewegs auf das Herz des Kanzai zu.

Ehe das Mädchen sich ducken konnte, prallte ihr Messer gegen den schräg gehaltenen Schwertbrecher und klirrte harmlos auf den Steinboden.

»Hübsch«, sagte Nath im Ausatmen.

Das Haar des Mädchens bewegte sich wie ein Korb voller Schlangen, als sie losstürmte. Das geworfene Messer hatte nichts gebracht, jetzt wollte sie an dem Kanzai-Kämpfer ihre anderen Waffen ausprobieren.

Der eiserne Schwertbrecher hatte sich kaum eine Handbreit zur Seite bewegt, um das Messer des Mädchens abzulenken. Während das Mädchen schreiend zum Angriff überging, fand ich Zeit zum Überlegen, ob der Mann wohl einen von Segs lohischen Pfeilen ebenso mühelos aus der Bahn bringen konnte.

»Töte sie nicht, Kanzai!« rief ich drohend. »Sonst bist du ein toter Mann!«

Ob er diese prahlerischen Worte überhaupt beachtete, konnte ich nicht feststellen; jedenfalls versetzte er dem Mädchen lediglich einen Schlag auf den Kopf und ließ sie schlummernd zu Boden gehen.

Schon setzte die Kette ihre summenden Bahnen fort.

»Er fordert uns heraus, soviel steht fest.« Nath der Unduldsame blies die Wangen auf. »Unverschämter Cramph!«

Wenn wir die verflixten Frauen nicht bei uns gehabt hätten, wäre die Situation sogar unterhaltsam gewesen. So aber galt unser erster Gedanke der Sicherheit unserer Begleiterinnen.

Einige waren durchaus fähig, in den meisten Situationen, die auf Kregen denkbar waren, auf sich selbst aufzupassen. Die Ereignisse in diesem Labyrinth waren aber doch zuviel für sie gewesen.

»Wir müssen weiter«, sagte ich. »Wir haben nicht die Zeit, hier Spielchen zu veranstalten. Es gibt viel zu tun.«

»Dann muß ich ihn wohl aufs Korn nehmen.«

Diese Aussicht stimmte Seg nicht gerade fröhlich. Er ist wie ich ein Mann, für den Kampfhandlungen keinen Reiz mehr haben.

»Mit dem Chunkscreetz geht er verdammt geschickt um«, stellte Nath fest.

Anstelle einer Antwort bewegte Seg lediglich die prächtigen Bogenschützenschultern und hob die Waffe.

Der Kanzai explodierte wie ein Zelt in einem Sturm.

Der Schwertbrecher verschwand in der Scheide. Die Kette kam zur Ruhe. Die rechte Hand zuckte zu einer geschickt geöffneten Tasche und zog zwischen braunen Fingern ein silbermetallisch blinkendes Gebilde hervor.

Der Stern des Todes zog brummend eine Linie der Zerstörung von der Hand des Kanzais zu ... Mein Handeln stand unter einer Lenkung, die mit mir nichts mehr zu tun zu haben schien. Ich trat vor, und die Krozair-Klinge zuckte vor Seg herum. Der funkelnde Stern des Todes und das großartige Langschwert trafen aufeinander und ertönten wie die schönsten Silberglocken aus Vandayha.

Die kleine sternförmige Teufelswaffe zuckte kreiselnd zur Seite, prallte zu Boden und rollte dort seltsamerweise wie ein Kinderspielzeug weiter.

Der Kanzai rührte sich nicht von der Stelle. Seg schoß nicht.

Einige Herzschläge lang verharrten wir so reglos wie eine Skulpturengruppe in einem Museum. Die Kette blieb stumm und reglos. Ein zweiter Stern des Todes zeigte sich in den Fingern des Kanzai. Diesmal hielt er ihn hoch, ließ ihn auf den Fingern kreisen.

Diese Bewegung löste die unheimliche Starre, die uns gebannt hielt, und doch schleuderte der Kanzai seinen Stern des Todes nicht los, und Seg brachte auch seinen tödlichen lohischen Pfeil nicht auf den Weg.

Der Kanzai-Kriegsbruder erhob die Stimme.

Seine Stimme klang barsch, kehlig und rauh und ließ erkennen, daß er sein Leben den Mühen des Kämpfens unterworfen hatte.

»Jikais! Ein Unentschieden!«

»Unverschämter Teufel!« rief Seg unterdrückt. »Ich kann ihn niederstrecken, eins, zwei, drei, da nützt ihm auch sein verdammter Schwertbrecher nichts!«

Seg war dazu in der Lage – kein Zweifel. Sie müssen mir glauben, daß in seinen Worten auch nicht der geringste prahlerische Unterton mitschwang.

Ein metallisches Klirren lenkte uns nicht ab. Der Stern des Todes fiel auf die Seite. Er war seltsam schief über den Boden gerollt und dabei rhythmisch auf und nieder gewippt. Nach Art einer japanischen Shuriken war das Gebilde asymmetrisch geformt, damit es sich im Fluge nicht auf gerader Bahn bewegte. Trotz dieser raffinierten Eigenschaft waren die Krozair-Disziplinen in der Lage gewesen, die Waffe von dem beabsichtigten Ziel abzulenken.

»Jikais!« rief der Kanzai von neuem.

»Er scheint plötzlich nervös zu sein«, bemerkte Seg entzückt.

»Hat nicht damit gerechnet, daß sein Stern des Todes daneben träfe.«

»O ja.«

»Schieß ihn ab, Seg!« forderte Nath auf seine ungestüme Art.

Der Kanzai hörte die Worte.

Die Kettenglieder bewegten sich klirrend über den Höhlenboden. Der hochgehaltene Stern schimmerte.

»Habt ihr euch den dekadenten Rumay-Sitten verschrieben, Doms?« rief der Kanzai.

»Nein!« brüllte Seg heftig.

Ich schwieg. Es hätte mich ehrlich interessiert zu sehen, wie die Reaktion des Kämpfers gewesen wäre, wenn wir uns zu den Rumay-Gebräuchen bekannt hätten.

»Das ist gut.« Er senkte den Stern des Todes.

»Hör mal«, wiederholte ich mit Nachdruck, »wir können hier nicht ewig verweilen.« Ich begann lauter zu sprechen und legte auch ein wenig Ungeduld in meine Stimme. »Kanzai! Tritt zur Seite und laß uns durch, sonst mußt du die Folgen deiner Torheit tragen!«

Ich setzte mich in Bewegung, das Krozair-Schwert mit beiden Fäusten umfassend, bereit, einen oder zwei Sterne des Todes aus der Bahn zu werfen oder dem Mann den Kopf abzuschlagen, wenn er den Weg nicht freigab.

Er zögerte einen Augenblick lang. Offenkundig gefiel ihm der Eindruck nicht, den er von uns gewinnen mußte. Was er hier unten im Coup Blag zu suchen hatte, war seine Sache und interessierte uns eigentlich nicht.

Der Stern des Todes verschwand wieder in der Tasche. Die Kettenglieder legten sich auf wundersame Weise zu Schlingen und wurden verstaut. Als er zur Seite trat, legte sich seine rechte Hand auf den Griff des Thraxters.

Ich stand neben ihm und starrte ihn zornig an. »Die Damen gehen jetzt durch, Kanzai. Dernum?*«

Er nickte und brachte damit den abstoßenden Schädel auf dem Helm in Bewegung, dessen Federn wippten. Mit der linken Hand bedeutete er uns, daß wir passieren könnten.

»Laß die Mädchen losgehen, Nath!«

Auf schnellen Füßen und mit so manchem verstohlen-ängstlichen Blick auf den massigen Kämpfer huschten die Mädchen vorbei. Einige gingen allerdings anders. Einige passierten den Mann mit erhobenem Kopf und betontem Gang. Es waren die Frauen, deren erster Gedanke nicht der Kleidung gegolten hatte, sondern ihren Waffen. Der Kanzai musterte sie wie jeden denkbaren Gegner.

Als alle vorbei waren, sagte ich: »Ich danke dir, Dom.« Ich wandte mich ab, hielt dann aber noch einmal inne. »Und du? Hier unten?«

»Ich habe meinen Auftrag.«

Mehr würden wir nicht aus ihm herausbekommen. Als Kanzai-Kriegerbruder mußte er nur seinem Herrn Rede und Antwort stehen.

In einer solchen Welt gibt es wahrlich unterschiedliche Charaktere, und Kregen ist eine Welt zahlreicher Wunder und mancher Absonderlichkeit, bei Zair!

Ich wollte schon den anderen hinterhermarschieren, da hörte ich, wie er tief den Atem einsog; im gleichen Moment hatte ich mich geduckt, war herumgefahren und hielt ihm das Langschwert gegen die Rippen.

Er trat einen Schritt zurück, sehr plötzlich, sehr energisch, und auf seinem Gesicht malte sich Verblüffung.

»Ich wollte doch nur ...«, setzte er an. Dann schluckte er trocken und rief: »Bei den Namen! Ich kenne deine Disziplin nicht, Dom; aber du bist schnell, sehr schnell.«

Ich starrte ihm aus nächster Nähe in die Pupillen.

Es wäre mir in diesem Augenblick nicht schwergefallen, eine billige Bemerkung zu machen.

Ich gab mich mit einem einfachen: »So ist das, Dom. Remberee« zufrieden.

»Remberee, Dom. Ich werde dich nicht vergessen.«