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Deb-Lu-Quienyin als schimmernde Erscheinung scheuchte uns auf eine von einem unheimlichen Wasserspeier gekrönte Öffnung zu, ein unheildrohendes schwarzes Loch in der Höhlenwand.

Seit unserem Zusammenstoß mit dem Kanzai-Kriegerbruder hatten wir schon etliche Korridore durchschritten. Verständlicherweise klagten die Frauen, doch erkannten sie wie wir, daß wir in Bewegung bleiben und einen Fluchtweg aus dem Coup Blag finden mußten.

Ausnahmsweise saß dem alten Deb-Lu der Turban gerade auf dem Kopf, und er mußte ihn auch nicht festhalten. Sein Gesicht wirkte ungemein ernst.

Aus der unheimlichen schwarzen Öffnung war ganz leise, so daß es beinahe wie ein Windflüstern klang, das Rauschen eines strömenden Gewässers zu hören.

»Die Damen müssen bald wieder rasten, Jak!« rief Nath. Er bildete die Nachhut und trieb die Frauen vor sich her wie ein Ponshoschäfer seine wollschwere Herde. Zwei Mädchen trug er auf den Armen, was ihm noch einigermaßen leicht fiel, und Seg und ich hatten keinen Zweifel, daß sich hier eine erste Zuneigung bildete. Wie klug oder töricht das hier unten in dem magischen Labyrinth war, blieb abzuwarten.

»Mir gefällt nicht, wie der alte Deb-Lu aussieht«, sagte Seg leise.

»Uns erwartet Ärger, soviel steht fest.«

»Um so wichtiger ist es, daß alle ausgeruht sind.«

»Aye.« Ich wandte mich zu Nath um. »Wir machen eine Rast, du Plagegeist!«

»Quidang!«

Die Frauen sanken dankbar nieder und streckten sich auf dem nackten Gestein aus. Nath setzte seine Last behutsam ab und schloß zu Seg und mir auf.

Das Mädchen mit dem wohlgeformten bleichen Körper und dem krausen dunklen Haar kam ebenfalls näher. Es verzog angewidert das Gesicht und entblößte dabei spitz zugefeilte Zähne.

»Also, Männer, wenn wir weiter müssen, sollten wir gehen, um Mayruna der Perforiererin willen!«

»Du würdest deine Freundinnen hier im Stich lassen?« fragte Seg.

»Meine Freundinnen nicht, Mann, von denen nur noch wenige übrig sind. Die anderen zaghaften Närrinnen jederzeit.«

Unbedacht rief Nath der Unduldsame: »Deine Perforiererin gefällt mir nicht, Frau!«

Von unten herauf warf sie ihm einen schiefen berechnenden Blick zu, der imstande zu sein schien, Haut und Fleisch bloßzulegen.

»Das ist richtig bemerkt, Mann. Mayruna die Perforiererin dürfte dir weder in dieser noch in der anderen Welt gefallen.«

Ich versuchte meiner Stimme einen richtigen Ton von Schärfe zu geben, als ich nun sagte: »Wir können noch nicht weiter, junge Dame. Wenn die Frauen sich ausgeruht haben, sehen wir, was das Wasser dort drinnen bringt. Ist das klar?«

Sie öffnete den Mund, und ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie wohl gesagt hätte, denn ich sprach energisch weiter.

»Es wäre also weniger töricht von dir, wenn du dich wie die anderen hinlegtest.«

Sie hatte das Wurfmesser, das der Kanzai so mühelos unschädlich gemacht hatte, wieder an sich gebracht. Ihre braunen Finger bewegten sich zuckend zum Messergriff, dann aber blies sie die Wangen auf und wandte sich heftig ab; ihr wirres Haar schimmerte im kristallenen Licht der Höhle. Staub und Schmutz klebten darin. Sie sagte nichts und verschwand nach hinten, wo sie sich niedersetzte, um Trost auf dem harten Steinboden zu finden.

»Die mußt du im Auge behalten, Nath«, sagte Seg ernst.

»Aye, Horkandur, aye. Ich habe keine Lust, daß ihr Messer mir zwischen den Rippen kitzelt!«

»Sie hat Freundinnen hier«, äußerte ich.

»Wenn sie alle sind wie sie, Bogandur«, sagte Nath, »dürfte das Leben aufregend werden.«

Seg schürzte die Lippen. Ich spürte, daß mein Klingengefährte sich Gedanken machte. Nur ließ er es nicht im geringsten unhöflich erscheinen, indem er nicht auf Naths Bemerkung einging, sondern einen neuen Gesichtspunkt aufbrachte: »In der letzten Zeit sind uns Besuche von Ungeheuern und unseligen Tierwesen erspart geblieben. Dennoch meine ich, daß die Hexe uns nicht gehen lassen wird, ohne einen letzten Schlag zu versuchen. Ja?«

»Unzweifelhaft«, sagte Nath, der dieses Wort liebte.

»Aye«, sagte ich. »Und da wir alle diese Frauen dabei haben ...«

»Genau das will ich sagen.« In Segs blauen Augen blitzte es belustigt. »Unsere kampfstarken Kämpferinnen und Rumay-Anhängerinnen können sich vielleicht doch noch nützlich machen.«

Nath stimmte ein tiefes Lachen an – die Unzweifelhaftigkeit dieser Äußerung beeindruckte ihn doch sehr.

Nicht zum erstenmal – und bestimmt auch nicht zum letztenmal, bei Vox! – freute ich mich über die Gesellschaft guter Gefährten. Ja, ja – ich liebe es, allein auf Abenteuer zu gehen, mit meinem roten Lendenschurz und dem großen Krozair-Langschwert; aber auf gleiche Weise liebe ich Abenteuer, die ich mit nahestehenden Gefährten teilen kann.

Und schon riß ich mich gehörig am Riemen und konnte doch ein höchst unangenehmes Schuldgefühl nicht unterdrücken.

Wie kam ich nur dazu, an Abenteuer zu denken, während Paz meine höchste Aufmerksamkeit erforderte? Wir mußten diesem verdammten Coup Blag entkommen, ungeachtet der verflixten Hexe aus Loh, damit ich mich sogleich darum kümmern konnte, daß die Länder wirklich Schulter an Schulter kämpften. Und mit diesen Ländern ist stets die Bevölkerung gemeint. Bei manchen Herrschern in den Ländern Paz' war es bestimmt keine Kleinigkeit, auf eine Zusammenarbeit hinzuarbeiten. Die Aufgabe, die ich zu Anfang für eine ganz normale, mir einfach übertragene Arbeit gehalten hatte, erwies sich nun als weitaus umfassender und gespickt mit Schwierigkeiten, die ich nicht vorausgesehen hatte.

Die einfache Lösung – von der ich zunächst angenommen hatte, daß diese auch dem Wunsch der Herren der Sterne entspräche – waren ein Marsch in die verschiedenen Länder und die Übernahme der Macht.

Das bedeutete Eroberung, nackte, brutale, gewaltsame Eroberung.

Jetzt erkannte ich, daß es der reinste Wahnsinn gewesen wäre, durch die Kontinente zu ziehen und sich hier zum König und dort zum Prinzen machen zu lassen – ein wahrer Irrsinn, ein Größenwahn unvorstellbaren Zuschnitts.

Nein, es mußte andere Wege geben, aber hier und jetzt hatte ich nicht die geringste Vorstellung, wie diese Wege aussehen mochten.

O gewiß, in bezug auf Pandahem schwirrte mir ein Plan im Kopf herum, den ich in die Tat umzusetzen gedachte, sobald wir hier entkommen wären. Aber das war nur ein kleines Stück des großen Problems.

»Bogandur«, sagte Nath, »du siehst aus, als hättest du eine Zorca verloren und dafür einen Calsany gefunden.«

»Gefunden habe ich eher einen Woflo, Nath«, erwiderte ich nachdrücklich.

»Darauf kannst du aber nicht reiten.«

»Es sei denn, der eine schrumpft oder der andere wächst.«

»Wirklich tiefsinnig«, schaltete sich Seg ein. »Unterdessen kriege ich Hunger.«

Nath brummte und hüstelte. »Ich wünschte, das hättest du nicht gesagt. Jetzt ist mir eingefallen, daß meine Eingeweide so leer sind wie die letzte Flasche im Morgengrauen.«

»Und«, gab Seg zurück, »ich wünschte, du hättest das Wort ›Flasche‹ nicht erwähnt.«

Der kleine Wortwechsel bildete ein heiteres Zwischenspiel. Ich stand auf, reckte mich und schaute in die Runde.

Seg folgte meinem Beispiel und sagte: »Ja, es wird Zeit weiterzumarschieren.«

Nath machte sich daran, die Damen anzutreiben.

Wieder tauchte Deb-Lus gespenstisches Abbild auf.

Die gezackte Öffnung, in die er uns wies, kam mir nicht sonderlich einladend vor. Mein Vertrauen in den Zauberer aus Loh war allerdings grenzenlos, so daß ich mich ohne Zögern der undurchdringlichen Schwärze näherte.

Ringsum hallten das Plätschern und Rauschen fallenden Wassers und wurden von den Wänden zurückgeworfen.

Vorsichtig tastete ich jeden Abschnitt mit der Schwertspitze ab und kam auf diese Weise nur langsam voran. Sicherheit war an diesem Ort weitaus wichtiger als Geschwindigkeit.

Sich blindlings vorzuwagen, hätte den Tod bedeutet, o ja, bei Krun!

Die unheimliche Atmosphäre des fremden unterirdischen Labyrinths durfte uns nicht an die Nerven gehen. Ja, wir steckten tief unter der Erde, umgeben von vielen Millionen Tonnen Felsgestein, überdies schlichen wir in völliger Dunkelheit vorwärts und waren allen eingebildeten Ängsten ausgeliefert, die sich der menschliche Geist nur ausdenken kann. Dennoch mußten wir an unserem Mut festhalten und weitermarschieren und uns den Gefahren und Schrecknissen stellen, sobald sie uns anfielen.

Ein denkbar schwacher Widerschein vermengter Farben auf einer weit vor uns liegenden Felsfläche deutete auf die Existenz einer entfernten Lichtquelle hin – damit änderte sich auch die Atmosphäre des überaus vorsichtigen Kriechmarsches durch die Dunkelheit. Je weiter wir vorrückten, desto stärker wurde das Licht. Unser Blickwinkel auf die Felswand veränderte sich, und allmählich schälte sich die vorherrschende Farbe als ein stechendes Grün heraus.

»Da muß man doch gleich an Genodras denken«, sagte ich vor mich hin und schritt weiter aus. Die Zwillingssonnen von Scorpio, Zim und Genodras, mochten gerade strahlend am kregischen Himmel stehen, genausogut konnte es dunkle Nacht sein, durchbrochen nur von einigen der sieben kregischen Monde, die sich strahlend zwischen den Sternen tummelten. Der Tag-und-Nacht-Rhythmus der Welt war hier unten im Augenblick aufgehoben.

Das Rauschen dröhnte und hallte nun überall, und ich war überzeugt, daß wir uns einem ziemlich großen Wasserfall näherten.

Die Luftfeuchtigkeit legte sich auf Lippen und Zungen. Der steinerne Boden wurde glitschig vor Feuchtigkeit. Das grüne Licht nahm an Intensität zu und offenbarte an den Felswänden Algen und Flechtgewächse, und in den Spalten huschten Tiklos hin und her, kaum wahrnehmbar für das ungeübte Auge.

»Das verflixte Wasser können wir wohl nicht trinken«, sagte Seg resigniert und gekränkt.

»Keine Ahnung, Seg. Nachdem Csitra die Flügel gestutzt wurden, sind natürliche Dinge vielleicht wieder so natürlich wie früher.«

»Wenigstens hat uns die böse Hexe von Zeit zu Zeit zu essen gegeben.«

»Aye.«

Direkt vor uns strömte das grüne Licht durch eine schräge weite Öffnung, so daß die Strahlung von der gegenüberliegenden Felswand reflektiert wurde. Das Tosen hatte inzwischen eine beinahe schmerzhafte Dimension angenommen. Die Frauen stolperten dahin und hatten die Hände auf die Ohren gepreßt.

An der Seite des Ganges erschienen Deb-Lus Umrisse. Dort zeigte sich ein Spalt im Gestein, ein gezackter Streifen der Schwärze, der vom Boden bis in etwa zehn Fuß Höhe führte und zum hellen Gestein einen bedrohlichen Kontrast bildete.

»Dort hindurch?« rief Nath. »Während wir direkt vor uns eine weite bequeme Öffnung haben!«

»Bisher hat uns der Zauberer aus Loh noch nicht in die Irre geführt.« Ich ließ den Blick über unsere Gruppe wandern. »Bleibt zusammen!« Mit diesen Worten stürzte ich mich in den finsteren Spalt.

Spinnweben fuhren mir weich über das Gesicht. Gereizt fegte ich sie zur Seite und marschierte mit ausgestrecktem Schwert weiter. Der Boden war uneben und mit Felsbrocken übersät, die aus dem oberen Teil der Felsöffnung gefallen waren. Der Lärm ließ sofort nach.

Mein Vorstoß erfüllte mich mit Unbehagen und ließ mir Schauder über den Rücken laufen. Der Felsspalt neigte sich nach links, dann nach rechts, und immer neue Spinnweben versuchten meinen Kopf einzuhüllen. Ein vages Dreieck grünen Lichtes erschien weiter vorn. Ich atmete tief durch und roch Feuchtigkeit und grüne Vegetation und etwas anderes, Öliges, das mich an fremdartige Lebensformen denken ließ. Ich zwang mich zum Weitergehen und trat schließlich aus dem zerbröckelten Ende der Felsverschiebung auf eine Fläche aus braungoldenem Kies hinaus.

»Alles klar!« brüllte ich zurück und machte noch einige Schritte, um die neue und unermeßlich weite Höhle zu erkunden.

Von der Decke, die ich nicht ausmachen konnte, sickerte ein diffuser grüner Schimmer herab. Geflügelte Wesen huschten zwischen stalagmitähnlichen Spitzen umher, die sich an der linken Wand hinzogen; sie schienen blaue und weiße Streifen durch das Zwielicht zu ziehen. Der braungoldene Kies ging allmählich in goldenen Sand über, der sich zu einem Flußufer hinneigte. Das Brausen des Wasserfalls erreichte mich durch eine Gischtwand an der Tunnelöffnung, durch die der Fluß die Höhle erreichte. Die Vegetationsgerüche vermengten sich zu einer recht angenehmen Duftmischung.

»Also«, sagte Seg und trat ins Freie, »was haben wir denn hier. Fisch zum Abendessen?«

Dann milderte sich der Blick seiner blauen Augen. Er schaute in die Runde und sagte: »Weißt du, mein alter Dom, dies ist ein bemerkenswert hübscher Ort so tief unter der Erde.«

»Hier wachsen sogar Bäume mit Wurzeln im Wasser. Und die Vögel – wenn es sich um Vögel handelt – sehen ziemlich ungefährlich und wohlgemut aus.«

Die Frauen kamen, eine nach der anderen, aus dem Felsspalt und ließen sich erschöpft auf den Kies sinken.

Nath setzte seine hübsche Last ab und gesellte sich zu Seg und mir.

»Ein Wald im Erdinneren!« rief er.

»Vielleicht ein Zauberwald, mein alter Unduldsamer.«

»Anzunehmen, Horkandur. Wenn das so ist, können wir ihm bestimmt aus dem Weg gehen, indem wir einen Bogen schlagen.«

»Un-zweifelhaft«, sagte Seg betont.

»Die Frauen sollen sich eine Zeitlang ausruhen«, sagte ich. »Wir suchen unterdessen am besten nach dem Weg ins Freie.«

Nath seufzte brummend. »Ich möchte die Frauen hier unten nicht gern unbewacht lassen, Bogandur«, sagte er.

»Da hast du recht, Nath. Übernimmst du diese ehrenvolle Aufgabe?«

»Ja.«

»Wenn etwas passiert«, sagte Seg auf seine gelassene Art, »fängst du an zu schreien und verteidigst sie alle und hackst und stichst um dich, bis wir zurückkommen, klar?«

Ich schaute Nath an und sah, wie er zusammenfuhr, als sei er sehr überrascht. Ich hatte keine Ahnung, was diese Reaktion in ihm ausgelöst hatte.

»Ja«, wiederholte er, diesmal viel forscher.

Vor uns erschien das hellhäutige Mädchen mit dem zerzausten Haar. Es wurde von den Gefährtinnen begleitet, deren Haar ebenso borstig wirkte und in Augenblicken höchster Anspannung wohl ebenfalls wie die Schlangen der Medusa aussehen konnte.

»Wir suchen in der einen Richtung, Mann, wenn ihr die andere übernehmt.«

Die meisten waren nur halb bekleidet, aber alle waren mit Messern, Speeren oder Schwertern bewaffnet und sahen wahrlich so aus, als wäre mit ihnen nicht gut Kirschen essen.

»Schön«, sagte ich und fügte hinzu: »Ich würde dich ungern weiter ›Frau‹ nennen, Frau. Würdest du mir deinen Namen anvertrauen?«

Namen sind im wundersamen Kregen von überragender Bedeutung für die Menschen. Viele Leute verwenden nur sogenannte Gebrauchsnamen, aus der Überzeugung heraus, daß der Gegner besondere Macht über sie gewinnt, wenn er den richtigen Namen wüßte. Sie warf mir einen Blick zu, einen bohrenden, abschätzenden Blick. In ihrem Haar schimmerte Staub.

»Du kannst mich Shalane nennen, Mann.«

»Schön, Shalane.«

Die Gruppe der Rumay-Fanatikerinnen zog nach rechts, und als wir in die andere Richtung marschierten, sagte Nath: »Das sind keine Kampfmädchen; aber so manche Jikai-Vuvushi, der nur die Uniform und der Pomp und das ganze Drumherum wichtig sind, ergriffe beim Anblick dieser Gestalten die Flucht, o ja, bei Vox – das gilt für viele!«

»O aye«, sagte Seg zustimmend, »ein überaus rauflustiger Haufen.«

Und so machten wir uns daran, die neue Welt zu erkunden, die wir tief im Berg gefunden hatten, und die Gefahren zu ergründen, die hier lauern mochten.