11
Das echte Kregen, so behaupten meine kregischen Freunde immer wieder in Sprichworten und Aphorismen, verändert sich beständig, ist stets überraschend und wirkt exotisch selbst auf jene, die unter dem grellen vermengten Licht der Sonnen von Scorpio geboren wurden.
Und doch gibt es Orte, die einem Menschen vertraut sind und ans Herz wachsen können.
Seg und Milsi meinten nachdrücklich, wir könnten nun doch die versprochene Zeit bei ihnen verbringen. Delia – ah! Meine Delia glättete die Wogen, und wir flogen nach Croxdrin, wo Milsi und Seg als Königspaar wirkten. Am Fluß des Blutigen Bisses hatten wir schon allerlei Abenteuer erlebt – und würden vermutlich noch weitere durchmachen; im Augenblick aber konnten wir entspannen und das Leben genießen. Schließlich ist das nach Ansicht der weisen Männer überhaupt der Grund für unsere Existenz.
Shalane erholte sich langsam wieder; wir hatten sie und ihre Rumay-Fanatikerinnen nach Vallia zurückgeschickt, wo sich bestimmt eine Schwesternschaft finden würde, sie zu versorgen.
»Ich hoffe doch, daß sie bei den Schwestern von Samphron landen werden«, sagte Delia und genoß lächelnd den Duft der Blumen, die soeben in unsere Gemächer in Milsis Palast gebracht wurden. »Oder bei den Kleinen Schwestern von ...«
»Ach?« fragte ich nickend. »Du hast wohl Angst, daß sie die Schwestern der Rose zu sehr durcheinanderbringen könnten?«
Als sie mein Haar losließ und mich wieder aufstehen ließ, blies ich die Wangen auf und sagte: »Ich hätte eine Idee, wo man sich weicher betten könnte.«
»Wir werden zum Essen erwartet, und Milsis Vorstellungen von Etikette entsprechen doch sehr den meinen, du haariger Graint.«
»Quidang!«
Nach dem Essen kam die Sprache natürlich unweigerlich auf die offenen Fragen, die uns zu schaffen machten. Draußen schimmerte der Fluß im Schein des ersten kregischen Mondes, der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln. Die Organisation des Palasts war ebenso makellos und strahlend wie dieses Bild. Kov Llipton, ein gutaussehender Numim, und die attraktive Rahishta, seine Frau, kümmerten sich um alles. Während Milsis Abwesenheit führte Llipton in Croxdrin das Kommando. Prinzessin Mishti zeigte sich nicht. Milsi war darüber zwar traurig, doch wußte sie, daß das Mädchen noch Zeit brauchte, des Durcheinanders ihrer Gedanken Herr zu werden.
Keine Neuigkeiten hatten wir über den Verbleib Csitras.
Die Hexe aus Loh war verschwunden. Unsere drei Zauberer, Deb-Lu-Quienyin, Khe-Hi-Bjanching und seine Frau Ling-Li-Lwingling, meldeten, daß von Csitras Zaubereien auch nicht die geringste Spur zurückgeblieben war.
»Meint ihr also, das wäre das Ende des Hexenkrieges?« wollte Delia wissen.
»Auf keinen Fall, beim Verschleierten Froyvil! Das verkommene Geschöpf meldet sich bestimmt wieder!«
»Dieser Meinung bin ich auch, Liebling«, sagte Milsi.
»Und ich ...«, sagte ich. »Was meinst du, Delia?«
»Ja. Nur ...«
Wir warteten. Als Delia nicht äußerte, was ihr durch den Kopf gegangen war, sondern statt dessen einen Kelch mit tiefrotem Wein in die Höhe hob, konnte sich Milsi nicht mehr beherrschen: »Delia! Was meinst du?«
Delia setzte den Kelch behutsam wieder ab. Die Umsitzenden schauten sie höflich an. Mit einer auffallend hellroten Serviette wischte sie sich den Mund.
»Khe-Hi und Ling-Li haben gesagt, sie spürten eine deutliche Veränderung in der Hexe ... Ach, ich weiß nicht, welche rätselhaften Worte sie für ihre Kunst einsetzen ... Im Kharma der Hexe, in ihrem Mittelpunkt magischer Emissionen. Sie wußten das nicht genau zu beurteilen, und der gute alte Deb-Lu konnte leider keine Bestätigung liefern.«
»Bestätigung wofür?«
»Kannst du uns erklären, was Zauberer meinen, wenn sie in ihrer seltsamen Sprache miteinander reden?«
»Nein.«
»Wir müssen wohl auf das Unerwartete gefaßt sein, das dürfte die Zusammenfassung sein.«
Ich wollte schon die überflüssige Bemerkung machen, daß man auf Kregen immer mit Überraschungen rechnen muß, wenn man am Leben bleiben will, da lehnte sich Kov Llipton vor.
»Verzeiht, Majisters und Majestrixes«, sagte der Löwenmensch mit ernster Stimme, »aber ihr redet hier mit großer Vertrautheit über Zauberer aus Loh.«
Ich lehnte mich zurück.
Ja, was Llipton gesagt hatte, stimmte halb. Wir neigten allmählich dazu, die drei Magier als unsere Gefährten, als Freunde anzusehen und zu vergessen, daß sie Zauberer und eine Hexe aus Loh waren.
Milsi sagte atemlos: »Wir vergessen ihre Macht niemals, Kov, niemals.«
Und das stimmte, bei Krun!
»Diese Wesen lassen sich nicht in Schablonen pressen«, fuhr Llipton auf seine ernste Art fort. »Was sie tun, tun sie. Dabei folgen sie eigenen rätselhaften Zielen. Sie neigen vor niemandem den Kopf.«
Ich nahm eine kleine Handvoll Palines aus der silbernen Schale. »Du hast natürlich recht, Kov. Aber ich habe mal einen Zauberer aus Loh gekannt, der ziemlich heruntergekommen und geschwächt war und einem Tyrannen wie ein Sklave diente. Das war in den Unwirtlichen Gebieten Turismonds.«
»Von der Zone habe ich natürlich gehört. Anscheinend bilden sich dort zur Zeit Koloniesiedlungen aus allen möglichen Gegenden.« Llipton fuhr sich über die Numim-Schnurrbarthaare. »Bei Numi Hyr-jiv, der Goldenen Pracht! Majister, welche Zauberkraft wäre denn stark genug, einen Zauberer aus Loh zum Sklaven zu machen?«
»Ach«, erwiderte ich und mußte an Umgar Stro denken, »ich glaube nicht, daß dabei Zauberkräfte am Werk waren. Aber was unsere Freunde angeht, die zufällig ebenfalls Magier sind, so sind sie ein fester Teil des Reiches. Und man muß wirklich betonen, daß das ein großes Glück für uns alle ist!«
»Ein großes Glück!« betonte Seg und dachte offensichtlich an die Ereignisse, in deren Verlauf Deb-Lu sein Kharma benutzt hatte, um uns zu helfen.
»Nun ja«, sagte Delia auf ihre forsche Art, »Khe-Hi und Ling-Li sind nach Loh zurückgekehrt. Ihre Kinder müssen dort zur Welt kommen, wenn sie echte Zauberer oder Hexen aus Loh werden sollen.«
»Die alten Strukturen müssen bewahrt werden.«
So unterhielten wir uns an dem großen Tisch, auf dem die Überreste eines hervorragenden Mahles standen.
Als wir uns später in die prächtigen Gemächer zurückzogen, die man uns zur Verfügung gestellt hatte, sagte Delia: »Ich bin immer ein wenig nervös, wenn Khe-Hi und Ling-Li und der gute Deb-Lu nicht in der Nähe sind.«
»Deb-Lu konnte seine Wunder aber schon auf große Entfernung tun ...«
»Ach, das weiß ich doch! Trotzdem ...«
»Trotzdem hörst du jetzt auf herumzureden und kommst zu Bett wie jede Herrscherin ... Nein, verflixt! Bei Zair! Manchmal vergesse ich die Realität, auch wenn ich froh bin, den Job los zu sein!«
»Drak und Silda geben ein beispielhaftes Herrscherpaar ab, davon bin ich überzeugt.«
Das war ich auch, bei Vox!
Nachdem wir kurze Zeit bei Milsi und Seg in Croxdrin zugebracht hatten, verabschiedeten wir uns, riefen letzte Remberees und begannen die Rückreise nach Vallia.
Mit den vereinten Flotten nach Norden fliegend, entdeckten wir kein einziges Shank-Flugboot. In alle Richtungen schickten wir Kundschafter, die nach dem Stützpunkt suchen sollten, von dem aus – das war unsere feste Überzeugung – der weitreichende Vorstoß unternommen wurde. Bis jetzt waren keine Meldungen gekommen.
Wir unterbrachen die Reise auf halbem Wege, um in Jholaix vorbeizuschauen, einem Land in der äußersten nordöstlichen Ecke Pandahems. Hier konnte Milsi ihre Verwandten besuchen – und wer meine Geschichte bisher verfolgt hat, kann sich vorstellen, daß wir eine lebhafte, sehr angenehme Zeit verbrachten. Aus Jholaix stammen nach allgemeiner Auffassung die besten Weine aus diesem Teil Paz'.
In Jholaix begegneten uns Leute, die mit dem Lauf der Dinge unzufrieden waren, so daß wir unserem Anliegen weiteren Auftrieb geben konnten. Ich war zuversichtlich, daß Jholaix unter der Führung von Milsis Verwandten ein mächtiger Verbündeter sein würde.
Ich brauche wohl kaum auf die Aufregungen und Feierlichkeiten einzugehen, die es anläßlich unserer Rückkehr nach Vallia gab. Die Bürger hatten Drak und Silda als neue Herrscher akzeptiert, doch jeder spürte eine besondere Bindung an die göttliche Delia. O ja, es gab eine große Feier, das kann ich Ihnen versichern, und wir ließen den Welkin läuten, wie man in Clishdrin sagt.
Unser erster Besuch des nächsten Morgens galt Nath dem Unduldsamen.
Er saß bereits aufrecht in einem riesigen Bett in der Villa, die wir ihm zur Verfügung gestellt hatten, und wurde von Perli und Sanchi auf das angenehmste versorgt. Phocis hatte einen ganzen Flügel für sich und beherbergte dort einige Freundinnen, die sich von den bedrückenden Erlebnissen im Coup Blag erholen mußten.
Die Kleinen Schwestern der Geduld hatten Shalane und die Rumay-Fanatikerinnen in ihre Obhut genommen. Zu Brot und Wasser, Gebet und Hausarbeit, wie Delia mit einem feinen Lächeln bemerkte. »Bald«, sagte sie, »werden sie dessen überdrüssig sein.«
»Ich muß gestehen, Liebling, ich bin doch etwas beunruhigt, daß du die Rumay-Fanatikerinnen nach Vallia geholt hast.«
»Ganz deiner Meinung. Sobald es Shalane und den anderen Verwundeten wieder besser geht, müssen sie ihre Entscheidung für die Zukunft treffen.«
»Aye. Wenn Jilian die Süße hier wäre, würde sie ihnen in ihrem Regiment Jikai-Vuvushis schnell den nötigen Schliff verpassen.«
»Ja, sie verfolgt noch immer eigene Ziele, das weißt du. Wenn die Mädchen einem Regiment beitreten wollen, soll mir das recht sein. Ich habe eher das Gefühl, daß sie diesen Schritt nicht tun wollen, so unabhängig, wie sie sind. Wahrscheinlich wäre es für uns das beste, wenn wir sie nach Hause zurückschicken.«
»Aye.«
Was Nath den Unduldsamen anging, so freute er sich ehrlich über unseren Besuch.
Seg und ich traten als erste ein und übergaben unsere Geschenke, und er begrüßte uns auf die fröhliche Art, die wir uns in Csitras verdammtem Zauberlabyrinth angewöhnt hatten.
Ich hatte durch meinen obersten Schreiber, Ob-Auge Enevon, Erkundigungen einziehen lassen; dieser fand schnell die nötigen Unterlagen und hatte mir alles, was es über Naths Untaten, Strafe und nachfolgendes Schicksal zu wissen gab, auf den Schreibtisch gelegt.
»Der alte Hack und Stich!« rief ich. »Mit dem ist er also identisch. Kein Wunder, daß er bei den Worten in Fahrt geriet und sie beim Kampf um den abgestürzten Voller benutzte. Aha, er hat die Kasse seines Regiments ausgeraubt. Also, den Grund dafür kenne ich. Er hätte die Summe garantiert zurückbezahlt, hätte ihm der Divisionskommandant nicht an den Kragen gewollt.«
»Chuktar Strom Enar Thandon«, stellte Enevon nickend fest. »Sein Bericht ist sehr negativ.«
Ich erzählte Enevon, daß Nath der Unduldsame Geld aus der Regimentskasse genommen hatte, um die Tochter seiner Schwester vor den widerlichen Gefolgsleuten Lems des Silber-Leem zu retten.
»Das war eine bewundernswerte Tat«, sagte Enevon.
»Aye. Nath hätte alles zurückbezahlt, wenn man ihn befördert hätte. Wie wir der Akte entnehmen können, wurde die Beförderung vom gleichen Enar Thandon verhindert.«
»Obwohl er Kommandant der 32. Churgur-Brigade war, wurde er nicht vom Jiktar zum Chuktar gemacht.«
Ich klopfte mit den Knöcheln auf die Akte.
»Ich wußte gleich, daß der Unduldsame ein guter Soldat ist – und dies beweist es nun. Schau dir die Liste seiner Auszeichnungen an. Nein, bei Krun! So läuft das in der vallianischen Armee nicht. Ich werde mal ein paar Worte mit Enar Thandon wechseln müssen.« Ich klappte den Mund zu und sagte schließlich: »Die Sache muß dem Herrscher vorgetragen werden, Enevon.«
»Ja, Jis, zweifellos.«
Ich warf ihm einen schiefen Blick zu. »Jis, Enevon?« Jis war eine Ableitung aus ›Majister‹ und wurde immer häufiger anstelle der Anrede ›Herr‹ verwendet.
»Erinnert mich an die alten Zeiten, Dray.«
»Es kostete ziemlich viel Schweiß, Nath in die Zelle zu bekommen.«
»Ich sorge dafür, daß die Papiere an deinen Sohn gehen.«
»Ich bitte darum, Enevon. Jetzt besuche ich den alten Unduldsamen.«
So standen Seg und ich mit unseren Geschenken am Krankenlager, und Nath begrüßte uns lautstark und war vor Freude ganz rot im Gesicht.
»Jak! Seg!« bellte er. »Llahal und Lahal! Kommt rein, trinkt einen! Ich bin bestens versorgt und habe keine Ahnung in einer Herrelldrinischen Hölle, von wem das alles kommt.«
Wir gaben uns auf vallianische Art die Hand, und Perli und Sanchi schenkten Parclear aus; für Bier war es noch zu früh.
»Es freut uns, daß es dir schon wieder besser geht, Nath«, sagte Seg und hob sein Glas.
»O aye, besser, besser! Aber ihr kommt spät! Der junge Ortyg hat mich unterdessen sehr getröstet. Sagt mir, wo ihr wart und welche neuen Abenteuer hinter euch liegen.« Er seufzte tief. »Ich muß zugeben, ich bedaure es, sie versäumt zu haben.«
»Nichts Wichtiges, Jik«, sagte ich.
Er vergoß seinen Parclear. »Jik?«
Ich schaute ihn an.
Er hob einen Finger an die Lippen und sagte: »Dann habe ich euch im Coup Blag also auch meinen Namen verraten. Das Leben ist vorbei, ich möchte es schnellstens vergessen.«
»Nath Javed«, sagte ich, »Jiktar der 32. Churgur-Brigade. Auch alter Hack und Stich genannt. Dabei erwischt, wie er die Finger in die Regimentskasse steckte.«
»Ja, ja, ich habe dir davon erzählt, und du hast geschworen, den Mund zu halten. Aber woher kennst du meinen Rang oder die Brigade ...?«
Seg senkte das Glas und äußerte sich auf seine nachdrückliche Art: »Nath, wir verabscheuen die üble Religion um Lem den Silber-Leem. Wir sind entschlossen, diese Sekte zu unterwandern und zu vernichten.«
»Darauf kann ich nur Amen sagen, Doms! Aye, bei Vox!«
»Gut«, fuhr Seg forsch fort. »Wenn du wieder auf den Beinen bist, unternehmen wir etwas gegen die unsäglichen Menschen, die die Tochter deiner Schwester in ihre Gewalt brachten.«
Nath fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich habe alle hohen Herren und den Herrscher gehaßt – und das aus gutem Grund. Jetzt gibt es einen neuen Herrscher. Könnte er irgendwie anders sein?«
Seg wollte etwas sagen, aber schon sprach Nath in einem beinahe nachdenklichen Ton weiter: »Und doch seid auch ihr beiden, der Horkandur und der Bogandur, hohe Herren, das weiß ich. Aber ich hasse euch nicht. Offenkundig seid ihr Kameraden. Gibt es also Unterschiede bei den Hochgestellten dieses Landes?«
»Und ob. Und einer von ihnen, Enar Thandon, wird seine Handlungsweise wohl noch sehr bereuen.«
Wieder fuhr Nath zusammen. An der Tür entstand ein Lärm, und der junge Ortyg Thingol stürmte mit einer Flasche Bier herein und brüllte, die Mittstunde sei vorüber, und Nath müsse sich die Kehle anfeuchten. Dann erst sah er Seg und mich. Sein helles Gesicht rötete sich, und die braunen Locken bebten. Er fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich.
»Majister!« krächzte er, und die Flasche in seiner Hand begann zu beben. »Verzeih mir, Majister. Ich wußte nicht, daß du und Jen Seg hier seid.«
»Offenkundig sind wir es!« knurrte Seg und warf mir einen dermaßen komischen Blick zu, daß ich laut lachen mußte.
Nath fuhr im Bett hoch. »Majister!« bellte er. »Was soll das? Was hat das zu bedeuten? Majister?«
»Verzeih mir, Jik Nath«, sagte ich, »daß ich dich getäuscht habe. Aber wie du selbst erkennen wirst, war es wichtig, daß ich nur als Jak der Bogandur bekannt wurde. Das verstehst du doch, oder?«
Ihm traten die Augen aus dem Kopf. Er versuchte etwas zu sagen und schnappte nach Luft. In diesem Augenblick kamen Delia und Milsi ins Zimmer und verbreiteten neuen Glanz und neue Wärme. Außerdem brachten sie schöne Geschenke.
»Dray!« rief Milsi. »Dies ist also der furchteinflößende Unduldsame?«
Das nun einsetzende Durcheinander raubte mir im ersten Augenblick doch ein wenig den Atem. Nath mußte loswerden, daß er den Herrscher niemals aus der Nähe gesehen hatte und mich deshalb nicht erkannt hatte. Die Herrscherin aber mußte er gesehen haben, auch wenn er das vielleicht abstritt.
Er kroch in seinem Bett herum, warf die Decken zur Seite und versuchte aufzustehen. Schließlich stand er schwankend vor uns, und sein scharlachrotes Gesicht war schweißfeucht.
»Majestrix!« blökte er und fiel flach aufs Gesicht.
Seg und ich zerrten ihn wieder ins Bett, dann standen wir um ihn herum und schauten auf ihn nieder.
Wie Sie sehen, konnte selbst ein entschiedener Adligen- und Herrscher-Hasser wie der alte Hack und Stich der Wirkung der göttlichen Delia nicht widerstehen und wäre ihr ohne weiteres bis in den Tod gefolgt.
Der Nadelstecher wurde gerufen. Nath war bewußtlos. Man scheuchte uns aus dem Zimmer. Im Gehen sagten wir Perli und Sanchi, die vor Schreck verstummt waren, daß wir wiederkommen würden.
»Hast du das Gesicht des Unduldsamen gesehen?« fragte Seg. »Als er daran denken mußte, wie kumpelhaft er mit dem Bogandur umgesprungen war?«
»Er wird's überwinden«, sagte Delia, die wie immer praktisch dachte.
»Wenn das bedeutet, daß er Drak loyal ergeben sein wird ...«
»Ich glaube, Liebling, daran gibt es keinen Zweifel.«
Der junge Ortyg Thingol hatte natürlich recht; die Mittstunde war vorüber, so daß wir die respektablen Bürger spielen und uns einen langen durststillenden Schluck Ale gönnen konnten. Wein würde erst später auf den Tisch kommen.
In diesen Tagen im stolzen Vondium, der Hauptstadt Vallias, der ich nicht mehr als Herrscher vorstand, hatte ich gehofft, ein bißchen Zeit für mich zu haben und zu faulenzen. Vergebliche Hoffnung! Es schien immer etwas Neues zu geben.
Drak und Silda und das Presidio arbeiteten weiter energisch an der Aufgabe, das Land nach der Zeit der Unruhe wieder zusammenzufügen. Wir besprachen uns mit zahlreichen Menschen, die Ihnen in der Schilderung meiner Abenteuer schon begegnet sind, und mit vielen anderen, die sich auf vorbildliche Weise für Vallia einsetzten. Die Armee war bei guter Stimmung. Die großen Galeonen Vallias wurden neu auf Kiel gelegt. Der Flugdienst verstärkte nachdrücklich die Luftflotten; diese Arbeiten hingen aber von einem guten Klima in Hamal und Hyrklana ab, wo Voller entworfen wurden. Lieferkontingente an Flugbooten und Satteltieren wurden auch in Balintol eingekauft.
Alles in allem hatten wir verflixt wenig Zeit für uns.
Der Terror, den die Neun Verwünschungen der Hexe aus Loh gegen Vallia entfesselt hatten, war aufgehoben worden – das hofften wir jedenfalls. Und noch immer gab es keine Nachricht von Csitra oder den Shanks.
Eines Abends hatten wir einen großen diplomatischen Empfang hinter uns gebracht, den ich als außerordentlich anstrengend empfand. Drak und Silda boten schon allein äußerlich das perfekte Bild eines Herrscherpaares. Als wir endlich die zeremoniellen Roben und die hohen edelsteinverzierten Kragen abnehmen konnten, die einem praktisch den Kopf einschnürten, glaubten wir uns wahrlich eine gewisse Entspannung verdient zu haben.
Zahlreiche Freunde und Gefährten versammelten sich in den neu ausgestatteten Corbitzey-Gemächern, die mit rubinroten Teppichen behangen und von zahllosen Samphronöl-Lampen erleuchtet wurden. Mondblütenduft lag angenehm in der Luft, und die Tische bogen sich unter den Speisen und Getränken. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Versammelten zu singen beginnen würden – eine allgemein verbreitete, hoch angesehene Tradition in Vallia.
Lord Farris und Nath na Kochwold unterhielten sich in einer Ecke leise mit Seg und mir, als ein Gong ertönte und ein Kurier den hellerleuchteten Raum betrat. Roben ti Vindlesheim, der bei uns stand, warf einen Blick hinüber und redete dann auf seine finstere, nachdrückliche Weise weiter, wobei er sich auf seine geliebten Kanäle konzentrierte und – so wollte es seinen amüsierten Freunden scheinen – alles andere vergaß.
Mantig Roben hatte von mir, als ich noch im Amte war, die Aufgabe übertragen bekommen, Vallias einst blühendes Kanalnetz wieder instandzusetzen. So manche Wasserstraße war heute verschüttet und unbenutzt. Ein aufblühendes Land, in dem viel transportiert und gereist wird, braucht Kanäle, bei Vox! Roben, der in seiner Arbeit für Vallia aufging, war einer der vielen anständigen Kameraden, die sich während und nach der Zeit der Unruhe um den Thron geschart hatten.
»Der Bote geht direkt zu Drak, Dray«, stellte Seg fest. »Allmählich lernen sie es.«
»Wird auch wirklich Zeit, bei Bongolin!«
Die saubere, ordentliche Erscheinung des Kuriers verriet uns, daß er nicht mit einem Satteltier geflogen, sondern an Bord eines Vollers gelandet war. Ich beobachtete Draks hartes, fähiges Gesicht, das dem meinen so ähnlich und zugleich überaus unähnlich war, und sah darin einen Ausdruck entstehen, der nicht Unentschlossenheit signalisierte, sondern das Abwägen unterschiedlicher Entscheidungsmöglichkeiten. Unentschlossenheit gehörte nicht zu Draks Problemen.
Die größte Unentschlossenheit in Draks Leben hatte Silda gegolten.
Nun schaute er in meine Ecke, bemerkte, daß ich ihn über alle die buntgekleideten Gäste hinweg beobachtete, und kam in meine Richtung. Mein Herz schlug schneller. Drak war Herrscher von Kopf bis Fuß, bei Zair, und ich war stolz auf den Jungen.
Ich wartete, bis er das Wort ergriff. Stille trat in unserer Runde ein, Neugierige bildeten einen größeren Kreis.
»Menaham.« Drak hatte die linke Faust auf den Rapiergriff gelegt. »Das verdammte Menaham. Wir haben uns ja alle gefragt, was dieser neue König anstellen würde, den man sich dort zugelegt hat. Also, jetzt wissen wir es.« Er schaute in die Runde, und nur ein Dummkopf hätte seinen Ausdruck als unentschlossen interpretiert – es war ein charaktervolles, dominierendes und – ja – gutaussehendes Gesicht. »Der Dummkopf ist in Iyam eingefallen und dringt mit Feuer und Schwert quer durch das Land in Richtung Lome und Yumapan vor.«
In seinem leidenschaftlichen Plädoyer für die Kanäle unterbrochen, ergriff Mantig Roben ti Vindlesheim als erster das Wort, gewissermaßen als Fortsetzung seiner Gedanken.
»Sollen sie sich dort in Pandahem gegenseitig in Stücke hauen, Jis! Wir müssen Vallia kitten und wiederaufbauen. Die Sache da unten geht uns nichts an.«
Das Murmeln ringsum zeigte an, daß eine ziemlich große Zahl der Anwesenden seine Ansicht teilte.
Drak reckte störrisch den Kopf vor. Während er sprach, ruhte sein Blick auf mir, ein finsterer, konzentrierter Blick. Er kannte die Absichten, die ich mit Paz hatte, er kannte sie verdammt gut.
»Eine schlimme Nachricht, o ja. Sie zerstört so manches, wofür wir hier in Vallia gearbeitet haben. Aber die Sache geht uns doch an, denn sie betrifft ganz Paz!«