13

 

 

Verfaulender Müll türmte sich kopfhoch an der Straße, und der ranzige Gestank ätzte sich in unsere Nasen und Kehlen. Qualmende Fackeln warfen ein zuckendes Licht auf makabre Szenen, auf hektisch bewegte halbnackte Gestalten, funkelte auf Pfützen fauligen Wassers in den Radspuren und Gossen der schlammverkrusteten Straße. Durch die Luft hallte schrilles Gelächter, durchsetzt von Schmerzensschreien. An jeder Ecke brannten zischende Feuer.

»Bei Vox!« hauchte Seg. »Ist jede menahamische Stadt so infernalisch?«

Bettler, Diebe, Prostituierte, Taschendiebe, der Abschaum der Menschheit, lebten in diesem armen Viertel der menahamischen Stadt Gorlki. Es gab keinerlei Beschränkungen. Brutalität herrschte, die Starken und Skrupellosen hatten die Oberhand. Frauen flohen kreischend vor lustvoll brüllenden Männern. Hätte jemand eine mittelalterliche Höllenszene für ein Gemälde gesucht, wäre er in diesem stinkenden Hades Gorlkis fündig geworden.

»Dies gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte Orso und lenkte seine Zorca um zwei Betrunkene herum, die sich gegenseitig in die Arme gesunken waren; ihre Waffen polterten zu Boden, denn der Kampf um die Geldbörse war vorübergehend dem Wein zum Opfer gefallen, den sie zu sich genommen hatten. Eine zerzaust aussehende alte Frau, der die Lumpen wie die Flügel eines Vogels um den Leib flatterten, huschte verrückt kichernd herbei und schnappte sich die Börse. Aber noch während sie sich in Sicherheit zu bringen versuchte, stürzten sich andere kreischend wie Warvols auf ihre Beute.

Der Höllengestank umwaberte uns und erschwerte das Atmen.

»Ich hab in Vallia schon so manche üble und traurige Stadt erlebt«, sagte Nath der Unduldsame, »aber so etwas noch nicht.«

»Lob sei Opaz.«

»O aye, hier ist ein Leben keinen hamalischen Toc wert.«

Orso zog sein Schwert. Der Drexer funkelte sauber in der Welt des Schmutzes.

»Dann will ich lieber vorbereitet sein.«

Naths Faust, die auf dem Schwertgriff lag, verkrampfte sich nicht. Ich wußte, er würde blitzschnell ziehen und noch vor Orso in einen möglichen Kampf eingreifen können, so gut Orso auch war. Er hatte sich in unsere Gruppe hineingedrängt, weil Drak mich um den Gefallen gebeten hatte, ihn mitzunehmen. Drak schuldete Orsos Vater, einem reichen Finanzkaufmann, einen Gefallen, und da Drak nicht selbst mitritt, konnte mich ja Orso begleiten. Ich war darauf eingegangen, weil ich meinen Sohn, den neuen Herrscher, nicht mit Versprechungen belastet sehen wollte, die bei weniger guter Gelegenheit hätten eingefordert werden können.

Orso Frentar vermochte aufrecht zu reiten, blickte scharfen Blickes in die Runde und hielt seine Klinge fest. Balass der Falke hatte ihn beim Schwertkampf auf die Probe gestellt und sich so zufrieden geäußert, wie das bei Balass in Fragen der Klinge überhaupt möglich war.

Wir waren in lange dunkle Mäntel gehüllt, die über die Hinterhand unserer Zorcas fielen. Wir trugen flache Ledermützen. Wir sahen nicht gefährlich oder reich aus; aber wir ritten auf Zorcas durch diesen menschlichen Sumpf, so daß es nur eine Sache der Zeit war, bis man uns anfiel.

Schließlich gilt die Zorca mit ihrem Spiralhorn, mit ihrem Temperament und ihrer schnellen Gangart – die auf ihren kurzen Körperbau zurückging – als bestes vierbeiniges Satteltier in Paz. Wir ritten weiter.

Da wir Gorlki nicht kannten und die Nacht bevorstand, waren wir durch das erstbeste Tor an der Straße hineingeritten, der wir seit Verlassen des Vollers gefolgt waren. Dieses Tor, das Tor der Strafe, führte direkt durch dieses widerliche Stadtviertel. Die Szenen ringsum waren schlimm genug, der Gestank war noch schlimmer und die allgemeine Schändlichkeit der Umgebung am schlimmsten.

Dabei waren unsere Pläne dankbar schlicht und direkt.

Eine diplomatische Nachricht war von Vondium nach Tomboram abgegangen. Außerdem waren unabhängig von uns Spione eingeschleust worden, die die Ereignisse noch etwas genauer beleuchten sollten.

Das vallianische Expeditionskorps, das von Nath na Kochwold geführt werden und Iyam gegen die menahamischen Invasoren helfen würde, sollte nach Westen vorrücken, wahrscheinlich in die Nähe der Grenze zu Lome. Königin Lushfymi aus Lome steckte mit in der Sache.

Damit blieb es uns überlassen, der Spur der triumphierenden verdammten Menahamer zu folgen, Informationen zu sammeln und ein paar Orte zum Zuschlagen auszukundschaften.

»Diese stinkende Hölle wird der erste Ort sein«, sagte Orso. »Alles niederbrennen!«

»Und wo sollten die armen Teufel hin, die jetzt hier leben?« wollte Seg wissen.

Der Unduldsame hatte sich auf seine neue Beziehung zu Seg und mir schnell eingestellt. Er nannte mich weiterhin Jak, wie es schon viele vor ihm unter ähnlichen Umständen getan hatten.

Nun sagte er energisch: »Achte auf deinen Calsany, Orso!«

Die beiden Last-Calsanys wurden an Zügeln mitgeführt. Die Körbe und Säcke, die darauf befestigt waren, mußten für die Diebe eine große Versuchung darstellen.

Ungeduldig zerrte Orso an dem Zügel, woraufhin sein Calsany neben den von Nath geführten trottete. Ich hatte Orso eigentlich nicht mitnehmen wollen. Lango Frentar, sein Vater, ein rundlicher, zum Schwitzen neigender, goldbehangener Mann, ließ sich aber nicht beirren. Drak hatte seine Bitte sehr nüchtern vorgetragen. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte ich gesagt: »Nun ja, Orso, sollte man deinen Kopf in einem Eimer nach Hause tragen müssen, soll das nicht meine Verantwortung sein.«

Auf seine temperamentvolle, verächtliche Weise hatte Orso erwidert: »Wenn man meinen Kopf in einen Eimer tun muß, Majister, dann hat er verdient, darin herumzurollen!«

»Dann sei es so.«

Damit gehörte Orso Frentar zu unserer Gruppe.

Die kleinen Hufe der Zorcas wirbelten den Schmutz der Straße auf. Den Tieren gefiel der Gestank dieses widerlichen Stadtviertels wahrlich nicht. Bis vor kurzem hatte so manche Straße auf der Erde auch nicht viel anders ausgesehen – ein offener Abfluß von Schmutzwasser, grün von Hausmauer zu Hausmauer. Hier und dort hatte man Hindernisse errichtet, um den Strom zu lenken; dahinter befanden sich auf Podesten Läden und zerrissene Stände, in denen Waren von zweifelhaftem Wert angeboten wurden. Jedes zweite Gebäude schien eine Taverne zu enthalten, vorwiegend Dopa-Kaschemmen.

Ich rückte mir den weiten Umhang bequem zurecht. Auf der rechten Schulter trug ich ein Lederband voller Terchiks, und ich hatte das Gefühl, jederzeit zu schnellem Ziehen und Werfen bereit sein zu müssen.

Das Krozair-Langschwert hing in seiner Scheide am Sattel. Am Gürtel trug ich einen Thraxter, an einem zweiten Gurt ein Rapier mit Main-Gauche. Wie immer ruhte mein altes Seemannsmesser auf der Hüfte.

Wir müssen ein ziemlich wehrhaftes Schauspiel geboten haben, so daß sich so mancher Halsabschneider nach einem ersten bösen Blick abwandte und in den Schatten verschwand. Frauen stellten sich uns in den Weg, Gestalten mit zerzaustem Haar, die mit verzerrtem Gesicht etwas riefen, deren Augen in den schmutzigen Gesichtern unnatürlich weiß wirkten. Die Menschen hier trugen Lumpen; jedenfalls sahen wir niemanden, der so etwas wie ordentliche Kleidung sein eigen nannte.

Weiter vor uns mußten die besseren Viertel der Grenzstadt Gorlki liegen. Gewisse Angehörige dieses menschlichen Dschungels nahmen sich aber vor, daß wir diese Zuflucht nicht erreichen sollten.

Sicher war es töricht von uns, durch diese Slums zu reiten; aber wir waren fremd hier und hatten keinen besseren Weg gekannt.

Seg warf einen Blick nach vorn, wo ein Holzbalkon über die Straße ragte. »Da oben«, sagte er.

»Aye.«

Zerlumpte, vogelscheuchenhafte Gestalten auf dem Balkon wickelten sich in Fetzenkleidung. Sie wirkten auf den ersten Blick wie Fledermäuse, die die Flügel aufstellten, bereit, sich auf uns zu stürzen, wenn wir unter ihnen vorbeiritten.

Auf der gegenüberliegenden Seite brannte ein Feuer und verengte den Durchgang. Unvorstellbare Karikaturengestalten tanzten um dieses Feuer, und auf der Seite vollführten Akrobaten und Feuerschlucker ihre Kapriolen, um der staunenden Menge vielleicht einige Kupfer-Obs zu entlocken.

Menschen liefen überall durcheinander, der Lärm brandete auf, das Zischen und Knacken der Flammen lieferten eine unheildrohende Begleitmusik.

»Nath, Orso«, sagte ich, »zieht die Köpfe ein und reitet wie agateflügelige Jutmänner aus Hodan-Set!«

Seg und ich ließen uns zurückfallen. Unsere Gefährten trieben ihre Zorcas zum Galopp an, gefolgt von den bedächtig trottenden Calsanys. Bald würden die Calsanys anrichten, wozu sich alle Calsanys hinreißen lassen, wenn sie aufgeregt und nervös sind. In dieser Jauchegrube von Straße würde das aber keinen Unterschied machen.

Nath und Orso ritten, so schnell sie konnten. Sie zogen nicht die Köpfe ein, schwenkten aber die Waffen, die im Widerschein des lodernden Feuers rot funkelten.

Vier abgerissen wirkende schwarze Gestalten ließen sich vom Balkon fallen.

Sie verschätzten sich lediglich um eine Handbreit, durch den plötzlichen Galopp beirrt. Segs Klinge hieb zweimal zu, ebenso die meine. Vier Bündel sanken seitlich der Zorcahufe zu Boden. Ihr Blut tränkte den Schlamm; niemand achtete darauf, niemand kümmerte sich um sie.

»Hier kommen die dazugehörigen Fanshos!« schrie Orso.

Augenblicklich hieb er energisch auf die Horde ausgemergelter menschlicher Wölfe ein, die ihn aus dem Sattel ziehen wollten. Die schmutzigen Gesichter schimmerten vor Schweiß und dem Fett ihrer letzten Mahlzeit. Die Augen wirkten gelblich-weiß wie Sauermilch und hatten etwas Stechendes, und die von schwarzen Zähnen gesäumten Münder kreischten Drohungen und Verwünschungen. Ihre Zahl war so groß, daß wir eine oder zwei Murs mit ihnen zu schaffen hatten, ehe wir sie niederreiten oder niederhauen konnten – ganz zu schweigen von den Reaktionen einer aufgebrachten Zorca, die auch mit den Hufen und dem Horn in den Kampf eingriff. Offenbar saß Orso auf seiner ureigenen Zorca, die er selbst trainiert hatte.

Wiehernd hob Orsos Zorca den Kopf; ich hatte fast den Eindruck, als ob sie sich freue. Blut zeigte sich an der gedrechselt wirkenden Spitze.

Weiter vorn wurde unsere Aufmerksamkeit auf ein neues Durcheinander gelenkt.

Direkt vor uns leuchtete Fackelschein am Tor der Schmerzen auf, das sich in der Binnenmauer der Stadt befand. Wir hatten die Slums beinahe hinter uns gebracht. Eine Gruppe Moltingurs, die untereinander zerstritten war, bekam gar nicht mit, wie zwei dunkle Gestalten den Schatz stahlen, um den die Auseinandersetzung ging.

Orso lachte. »Die Dummköpfe haben das Mädchen gestohlen und verlieren es nun infolge der eigenen Gier!«

Die Szene, so unschön sie auch sein mochte, schien damit zutreffend interpretiert. Die Moltingurs hatten das Mädchen geraubt, ein lamnisches Mädchen von großer Schönheit, um sie an den höchsten Bieter zu verkaufen, doch ehe dieses Geschäft eingeleitet werden konnte, hatte der Streit um das Mädchen den geschickten Gauffrers die Chance gegeben, die Beute an sich zu bringen.

»Sie haben sie gerade eben erst in diese Hölle gebracht – das Tor ist ganz nahe«, sagte Nath.

»Aye.«

»Offenkundig lebt sie nicht hier.«

»Aye, denn sie ist noch sauber.«

Ich lenkte meine Zorca vorsichtig zu den beiden Gauffrers hinüber, zwei nagetiergesichtigen Wesen, die das strampelnde Mädchen, deren goldenes Fell im Fackelschein schimmerte, wie einen Sack abtransportierten. Ich versetzte ihnen Hiebe mit der Breitseite des Schwertes auf den Kopf; in seliger Eintracht sanken sie bewußtlos zu Boden.

Im gleichen Augenblick war Seg von seiner Zorca gesprungen und fing das gefesselte Mädchen auf. Sie trug einen Knebel, und ihre Augen waren angstvoll, aber auch zornig aufgerissen. Seg warf sie vor sich über die Zorca und sprang wieder in den Sattel. Auf dem kurz gebauten Tier war gerade genug Platz für den Reiter und das gerettete Mädchen. Allen voran preschte Seg auf das Tor der Schmerzen zu, und wir waren hindurchgaloppiert, ehe die Moltingurs der Tatsachen des Lebens gewahr wurden.

»Das war – überraschend«, sagte Orso, als wir die Zügel anzogen. »Ihr habt da eben sehr schnell gehandelt.«

Nath der Unduldsame fügte sich gleich wieder aufs angenehmste in die Gefährtenschaft, die wir schon im Coup Blag gepflegt hatten, und sagte mit volltönender Stimme: »Ach, ich habe sie schon schneller handeln sehen, das kannst du mir glauben.«

Seg lachte.

»Am besten suchen wir uns zuerst eine anständige Taverne und besprechen dort, wie wir das arme Mädchen wieder nach Hause schaffen.« Er bückte sich, nahm ihr den Knebel ab und stellte sie auf die Füße. Der Boden war hier trocken und einigermaßen sauber. Nath zog sein gefährlich aussehendes Messer und hatte dem Mädchen, ehe es auch nur zusammenzucken konnte, die Fesseln aufgeschnitten.

Sie machte einen beachtenswerten Versuch, sich an ihre Herkunft und ihren Mut zu erinnern, als sie sagte: »Ich danke euch Jikais für ...«, aber dann wurde sie schwach und wäre lang zu Boden gefallen, wenn Segs kräftiger Bogenschützenarm nicht ihre schlanke Hüfte umfangen hätte.

»Also, nun ...«, sagte ich und trug damit wirklich entscheidend zu der Szene bei.

»Sie muß ins Bett, und man sollte sofort nach einer Nadelstecherin schicken – schneller, als eine Cisfliege summen kann«, sagte Seg. Er nahm das Mädchen auf die Arme und ging auf die Lederflasche zu, eine Schänke, die einige Häuser entfernt geöffnet hatte. Wir folgten ihm. Die Lederflasche war nicht gerade ein vornehmes Etablissement, aber schließlich hatten wir einen Notfall.

Der Wirt, ein Och mit Namen Niswan der Lop, war nur zu gern bereit, uns zu helfen, nachdem Nath ihm Gold gezeigt und Orso seine Schwertklinge mit einem blutigen Tuch gesäubert hatte.

Die Nadelstecherin, die ein mehrfaches Doppelkinn, eine beachtliche Brust und gestärkte Unterröcke ihr eigen nannte und nach Pfefferminz roch, scheuchte uns aus dem kleinen Schlafzimmer und verkündete später, daß das lamnische Mädchen am Leben bleiben würde. Wir durften dann wieder zu der Patientin, nachdem wir die Nadelstecherin mit Gold entlohnt hatten. Ihren Beutel mit Geheimtinkturen schwenkend, verließ sie uns schließlich wieder.

»Also«, sagte Seg, und sein lächelndes, freundliches Gesicht war für eine wehrlose Dame unter solchen schrecklichen Umständen wirklich sehr beruhigend, »ich bin froh, daß es dir besser geht.«

»Die Kerle haben mich entführt«, flüsterte sie, und auf ihrem Gesicht zeigten sich noch die Spuren des Entsetzens und der Angst. »Sie wollten mich verkaufen – es war entsetzlich!«

Es klang nun wirklich sehr rechthaberisch, als ich mich sagen hörte: »In einer Gesellschaft, die die Sklaverei zuläßt, muß man mit solchen Dingen rechnen.«

»Ich weiß – nicht recht, wie du das meinst.«

Ich ärgerte mich über mich selbst, der gute alte Seg aber brachte die Sache gleich wieder aus der Welt. Sie sagte, sie heiße Yamsin Weymlo, und ihr Vater sei Kaufmann. Bei Lamniern war das keine Überraschung.

»Du hattest Glück, Yamsin«, sagte Orso. »Hätten Katakis dich erwischt, wärst du längst ...«

»Durchaus!« fauchte Seg und unterbrach Orsos unbedachte Äußerungen.

»Wir lassen deinem Vater sofort Bescheid sagen«, sagte ich. »Jetzt ruh dich aus. Wir sind in der Nähe, und du brauchst nur zu rufen, wenn du etwas brauchst.«

Ihr goldenes Fell bildete einen angenehm schimmernden Kontrast zu dem Kissen, und ihr schönes Gesicht – schön nach Begriffen aller Rassen, die ein Auge für solche Dinge haben – entspannte sich ein wenig, und das begann mich doch zu beruhigen.

»Ja«, flüsterte sie, »ich danke Mutter Heymamlo. Und ich danke euch, meinen vier Jikais.«