1
Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, wirbelte hilflos durch eine stürmische Leere in einen brodelnden Höllenkessel.
»Zum Teufel, was geht hier vor?« brüllte ich. Es kam mir vor, als spräche ich mit einem Mund voller Federn.
Immer wieder drehte ich mich um mich selbst, auf und nieder, und hatte wahrlich das Gefühl, auseinandergerissen zu werden, wie es bei den Echenegs passierte, die sich dazu einer Vielzahl wilder Tiere bedienen. Ich versuchte mich zusammenzurollen, so gut es mir möglich war.
So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Die Herren der Sterne hatten ihren riesigen blauen Skorpion geschickt, um mich von Kregen fortzuholen. Ich rechnete damit, durch verschiedene Räume geführt und dabei womöglich auf einem prächtigen, fauchenden Stuhl transportiert zu werden, ehe ich mit den Everoinye sprechen konnte, fernen, unsterblichen, übermenschlichen Wesenheiten.
Statt dessen wurde ich in einem wirbelnden schwarzen Chaos in Stücke gerissen.
Bei den widerlich triefenden Augäpfeln und der krätzigen Nase Makki-Grodnos, was war hier los?
Ich bin ein Versager, ein Clown – ich weiß. Die Zeit, da ich auf der Erde versucht hatte, in Nelsons Marine Karriere zu machen, waren fruchtlos geblieben. Ein bißchen besser war es mir ergangen, seit man mich am Kragen geschnappt und hier auf Kregen mitten in die Probleme gestoßen hatte. Ja, man konnte wohl annehmen, daß ich mit dem großen Plan, die Völker Paz' zu einen, schon einige Fortschritte gemacht hatte.
Ich schärfte mir ein, die Herren der Sterne, wenn ich sie das nächstemal sähe, mit einigen besonders scharfen Worten zu bedenken.
Immerhin zerrten sie mich mitten in einen Wirbelsturm, umtobten mich mit Windstößen und unerträglichem Lärmen, wirbelten mich umeinander und stülpten mich möglicherweise auch noch von innen nach außen.
Plötzlich prallte ich heftig mit den Fersen auf; den Ruck spürte ich durch das Rückgrat bis hinauf in den Schädel.
Torkelnd bewegte ich mich vorwärts. Schwärze umgab mich wie die Ohrenhöhle einer Lepecranch-Fledermaus. Ich blinzelte.
Nun ja, noch trug ich das flotte scharlachrote Lendentuch und hatte das Krozair-Langschwert bei mir. Und an meiner rechten Hüfte steckte das Seemannsmesser in seiner Scheide – ansonsten gab es nur noch mich.
Mit konvulsivischer Bewegung richtete ich mich auf und zeigte der undurchdringlichen Dunkelheit die Faust.
»Na schön, ihr hochnäsigen Everoinye! Los! Zeigt euch!«
Aber ich hatte nur den Eindruck, daß der Wind noch lauter und heftiger tobte und sich ein erster eisiger Hauch bemerkbar machte.
»Verdammt sollt ihr sein, ihr gleichgültigen ...« Aber meine wütenden Worte waren eine sinnlose Demonstration angesichts der ungeheuren Kräfte, die meine unbedeutende Gestalt umtobten. Die Worte wurden mir förmlich in die Kehle zurückgestoßen.
Ein einzelner grüner Streifen fegte quer durch die Schwärze und trieb mir grelle Funken und Flecken in die Augen.
Der lodernde grüne Pfeil war nur zwei Herzschläge lang zu sehen und verging wieder; aber ich wußte, wer – oder was – sich dahinter verbarg.
Es handelte sich um den impulsiven, eiskalt-verächtlichen Herrn der Sterne, den die anderen Ahrinye nannten. Mein Freund war er wohl nicht.
Die ganze Welt verlagerte sich kreiselnd, und ich brach in die Knie. Ich wußte gar nicht, ob ich mich auf einer Welt befand, auf welcher Welt, oder ob ich nicht etwa auf einem Felsbrocken zwischen den Sternen trieb oder in der Tiefe einer unvorstellbaren Hölle steckte.
Mir war bekannt, daß die Herren der Sterne sich irren mochten wie ich. Allerdings konnte ich mir die übermenschlich intelligenten Wesen nicht als Dummköpfe vorstellen. Im Gegensatz zu mir. Ihre Macht war so umfassend, daß das beschränkte Vorstellungsvermögen eines Sterblichen nicht ausreichte, sich auch nur einen Bruchteil des wahren Denkens dieser Gebilde auszumalen. Während das Universum sich hob und senkte und drehte, versuchte ich mit barbarischer Heftigkeit an dem Kerngedanken festzuhalten, daß die Herren der Sterne mich brauchten.
Mit der schwachen Willenskraft, die ich aufbringen konnte, hatte ich sie früher bekämpft, als ich sie gleichgültig wähnte, allen meinen Wünschen feindlich gesonnen. Im weiteren Verlauf unserer Zusammenarbeit hatte ich Gründe erkannt, warum sie mich für jene Aufgaben erwählt hatten, die ich für sie erledigen sollte. So hatte ich mich in letzter Zeit nicht mehr gegen sie aufgelehnt. Jetzt aber ...
Sobald sich dieser Unsinn gegeben hatte und die Welt wieder oben und unten zeigte, würde ich einige Worte loswerden müssen, bei Zair! Und ob!
Eine Lockerheit der Luft ringsum, ein leichtes Gefühl in Armen und Beinen kündigten eine Veränderung an. Das Universum beruhigte sich. Zu riechen war nichts. Die Dunkelheit bewegte sich ringsum, und ich spürte rauhes Gestein unter den Füßen; aber ich konnte nichts riechen, was wie immer sehr seltsam war, sehr seltsam.
Als der hellgelbe horizontale Streifen erschien und spektral zu leuchten begann, glaubte ich einige verräterische Augenblicke lang, Zena Iztar vor mir zu haben. Dieses Gelb aber hatte nichts gemein mit ihrem prächtigen goldenen Schimmer, der zu beruhigen vermochte und Hoffnung für die Zukunft schenkte. Zena Iztar und ich hatten uns schon zu lange nicht mehr gesehen; vermutlich widmete sie sich übernatürlichen Aufgaben in entfernten Zonen und Dimensionen, die der einfachen sterblichen Menschheit verschlossen bleiben mußten.
Vor dem gelben Streifen, der sich beständig verbreiterte, zeigten sich spitze Gipfel wie bei einem Sägeblatt. Ich muß gestehen, es dauerte einige Zeit, ehe mir bewußt wurde, daß ich eine Morgendämmerung beobachtete.
Die zitronengelbe Strahlung bewegte sich zwischen den Berggipfeln. Schatten zogen sich lang und spitz dahin. Jeder einzelne Kieselstein und Felsbrocken auf der runden ebenen Fläche, die ich einnahm, warf einen scharf definierten eigenen Schatten. Die Gipfel umschlossen die Ebene, umschlossen mich ebenfalls, als wäre ich im Gefängnis.
Ödheit – ein anderes Wort fällt mir nicht ein, diese Gegend zu beschreiben.
Die Ödheit aber war mir herzlich gleichgültig – nur ein Ding hatte Bedeutung, und diese schreckliche Erkenntnis veranlaßte mich, die Faust auf den Griff des Krozair-Langschwerts zu legen – nicht in sinnloser Herausforderung, sondern zur Beruhigung, während mir der Pulsschlag durch die Schläfen zu brausen begann.
Denn wenn es sich hier um die Dämmerung handelte – woran nicht zu zweifeln war – und wenn der gelbe Schimmer von der Sonne ausging, wie man vermuten mußte, nein, dann befand ich mich nicht mehr auf Kregen.
Die Zwillingssonnen Antares', Zim und Genodras, verbreiten ihr vermengtes opalines Licht auf Kregen, rot und grün, rubinrot und smaragdgrün. Nicht gelb.
Die einzige andere Welt, mit der ich Erfahrung hatte, war die Erde, die eine kleine gelbe Sonne besitzt.
Ich ließ mich von meiner Verzweiflung nicht überwältigen, wie es eigentlich verständlich gewesen wäre. Ich nahm nicht an, daß ich mich auf der Erde aufhielt, denn ich schien mich in einer Art Fiebertraum zu befinden. Im nächsten Augenblick kehrte die Dunkelheit zurück, das verrückte Auf und Nieder ergriff mich erneut.
Nach einer Zeit, die mir zwar nicht wie eine Ewigkeit vorkam, die aber doch ziemlich ausgedehnt erschien, wurde ich wieder auf den Füßen abgesetzt und hatte das deutliche Gefühl, daß die Herren der Sterne große Schwierigkeiten hatten. Jene ehrfurchtgebietenden Wesen hatten die Macht, mich nach ihrem Willen auf Kregen herumspringen zu lassen. Sie konnten mich vierhundert Jahre weit zur Erde zurückversetzen, um mich dann – wenn sie wollten – wieder zurückzuholen.
Nun wollte mir scheinen, als brächten sie nicht einmal mehr die einfach scheinende Aufgabe zustande, mich vor ihr Antlitz zu holen.
Ich stand auf einer Reihe von Metallkästen, die die ganze Welt zu umspannen schienen. Jedes Gebilde hatte die Größe eines durchschnittlichen Einfamilienhauses. Dieser vertraute Vergleich vermochte aber die Fremdheit der Szene nicht auszuräumen. Ich spürte die Absonderlichkeit, das Ungewöhnliche. Metallkästen, so weit das Auge reichte, die Gassen dazwischen schattenschwarze Streifen, die bedrohlich und abweisend wirkten.
In der metallischen Leere rührte sich nichts.
Der Himmel war nichts anderes als eine silbrigweiße Leere, ein gleichmäßiger Lichtstrom, der das kalte Metall erhellte und in die dazwischen liegenden Fugen Dunkelheit preßte.
Weil es nichts anderes zu tun gab, nahm ich mir vor, einen Blick in die Gassen zwischen den Blöcken zu werfen; die Oberfläche der Kästen war einheitlich flach, leer und ungemein uninteressant.
An einer Ecke des Kastens führte eine Metalleiter an der Flanke abwärts. Die Sprossen schienen für eine normal große Person bemessen zu sein. In bezug auf die Bewohner der Erde läßt sich der Begriff ›normal groß‹ anwenden; hier auf Kregen kann er sich nur auf Apims beziehen, Angehörige der Homo-sapiens-Rasse wie ich.
Die Leitersprossen fühlten sich kalt an. Ich stieg zügig in die Tiefe und mußte seltsamerweise an die früheren Zeiten denken, da ich Wanten hinabklettern mußte; nur war ich als Jüngling eher noch an der Stützleine hinabgeglitten.
Der verdammte Boden bestand auch nur aus Metall.
Bis zu einer Höhe von etwa fünf Fuß oberhalb des Bodens war die Wand des Kastens verfärbt. Sie zeigte nicht den stählern-silbernen Schimmer, den ich kannte, sondern sah rostig und löchrig aus, als lösten sich der Stahl und sonstige Legierungen bereits auf.
An dieser Stelle war die Gasse etwa zwanzig Fuß breit, und der gegenüberliegende Kasten zeigte ähnliche Spuren der Verwitterung.
Die Perspektive hatte hier unten etwas Weiträumiges und Hochaufragendes.
Die Fluchtpunkte wurden von den zusammenlaufenden Kantenlinien der Kästen gebildet, und ich hatte den Eindruck, daß sie energischer aus dem Blickfeld rückten, als es nach der Logik sein durfte. Ich begriff nicht, was ich da vor mir sah. Das gilt natürlich für mancherlei auf diesem Planeten, doch möchte ich es hier ausdrücklich erwähnen im Hinblick auf so manche Information, die mir später zufiel, Informationen, die vielen von Ihnen, die Sie da meine Bänder hören, im täglichen Leben sehr vertraut sind.
Die schwindelerregende Perspektive erstreckte sich nach rechts und links.
So war der einzuschlagende Weg, was mich betraf, eigentlich gleichgültig. Ich wandte mich also nach links. An der ersten Kreuzung tat ich einen Schritt vorwärts und warf mich sofort wieder zurück, den Rücken gegen die Metallwand gestützt, und ließ das Krozair-Langschwert hochzucken.
Der Mann dort draußen trug eine komplette Rüstung und hielt ein unangenehm aussehendes Schwert in der Hand.
Ich wartete.
Nichts geschah.
Ich atmete tief ein, ließ mich auf die Knie sinken und lugte vorsichtig um die Ecke.
Der Mann stand einfach nur da.
Ich beobachtete ihn.
Stumm und reglos verharrte der Mann zwischen den Metallkästen. Seine Rüstung schien aus dem gleichen stahlsilbernen Material zu bestehen wie die uns umgebenden Bauten. Von den Knöcheln bis zur Brust war er von korrodierenden Rostflecken übersät, die eine Art körniges Netz auf das Metall legten.
Nach einer gewissen Zeit richtete ich mich auf und trat vor.
»Lahal, Dom!« rief ich die förmliche kregische Begrüßung.
Er antwortete nicht. Ich musterte ihn aus der Nähe. Das Langschwert hing an meiner Seite und war zum Einsatz bereit, das kann ich Ihnen sagen, zum Einsatz innerhalb kürzester Zeit!
Das Schwert des anderen verwirrte mich, denn es schien an der Klinge zylindrisch zu sein und keinen Griffschutz zu haben, und vom Griff führte eine zersetzte Röhre zu dem Gebilde auf dem Rücken des Burschen.
Das Gesicht war zur Gänze bedeckt, mit Ausnahme einer Art Gitter, das mir für die Atmung oder die Augen ein wenig seltsam plaziert zu sein schien.
»Lahal!« rief ich noch einmal.
Keine Antwort.
Ich trat langsam vor.
Es gibt wahrlich viele Menschen, die meinen Schritt als leise bezeichnen. Einige behaupten, ich würde mich verstohlen bewegen, andere, die weniger Humor haben, meinen sogar, ich hätte etwas Verschlagenes. Wie auch immer – auf dem Metallboden erzeugte ich kein Geräusch.
Plötzlich klappte ein Bein des schwer gerüsteten Mannes zur Seite. Er kippte um. Beim Aufprall zerfiel das Bein zu Staub, der Körper landete in einem Gewirr von Armen und einem Metallbein am Boden.
Ich erstarrte.
Ich überlegte, daß die Vibrationen des Metallbodens der letzte Anstoß für seine Zerstörung gewesen sein mußten.
Das Metall gab einen ironisch klaren Ton von sich, als es auf den Boden prallte – ein Laut, der eigentlich kaum in die reizlose Umgebung paßte.
Da ich für den armen Burschen nichts tun konnte, schickte ich ihn mit einigen wenigen Worten an Zair und Djan und Opaz auf den Weg zu den Eisgletschern Sicces und marschierte weiter.
Das verstohlene Schlurfen, das weiter vorn zu hören war, erleichterte mich gewissermaßen.
Flach gegen die Metallflanke eines Kastens gepreßt, starrte ich in die Gasse hinein.
Ein Wesen kam in Sicht, das mich an eine pferdegroße Raupe erinnerte. Es bewegte sich ungeschickt auf einer Vielzahl kleiner Beine, die sich in einem wogenden Rhythmus auf und nieder bewegten. Die vier Augen ragten auf Stengeln vor. Die Zangen zur Nahrungsmittelaufnahme entfalteten sich, als das Wesen die korrodierte Mauer des nächsten Kastens erreichte. Ich schwöre, die Raupe legte das Ende an das befallene Metall und begann es einzusaugen. Ich hätte schwören können, ja; trotzdem kam mir das alles rational nicht begreiflich vor. Ja, was war hier schon der Logik zugänglich, wenn man die jüngsten Ereignisse bedachte?
Der Körper des Wesens wies einen ähnlichen silbrigstählernen Schimmer auf, der auch auf dem umgebenden Metall lag; hier und dort sprießten schwarze Haare. Die Augen waren rot. Der Wurm saugte das verfaulte Metall ein. Nach kurzer Zeit hatte er sich einen Halbkreis eingeschnitten und setzte an einer anderen Stelle neu an.
Dicht unter der Saugröhre befand sich links und rechts ein eingefaltetes Paar Greifkrallen. Der Wurm benutzte diese Gliedmaßen nicht dazu, das Metall abzureißen. Ihre Größe und Rauheit ließ allerdings vermuten, daß er dazu durchaus in der Lage war, sollte einmal ein Metallstück nicht rostig genug sein und Widerstand leisten.
Es macht keinen Spaß, Tiere zu töten. Hierfür gibt es im Grunde nur zwei Gründe oder Entschuldigungen – entweder weil sie eine gefährliche Plage sind oder man Hunger hat. Obwohl ich ziemlich hungrig war, kam mir diese metallfressende Raupe nicht sonderlich appetitlich vor. Ich machte also kehrt und ging in die andere Richtung.
Nach dem zunehmenden Aufstand in meinem Magen zu urteilen, mußte ich eine ziemlich lange Strecke zurückgelegt haben, wobei sich das Bild der Kästen und Gassenwände unterwegs nicht veränderte. Ich stieß in der Gasse auf ein weiteres Dutzend kampfgerüsteter Männer, zwei weitere hielten sich auf Dächern auf. Aber keine dieser Gestalten sagte etwas oder rührte sich. Die Rüstungen waren im Begriff, sich aufzulösen, so daß ich vermuten mußte, daß die armen Kerle seit langer Zeit tot waren.
Außerdem entdeckte ich etwa zwei Dutzend metallfressende Raupen und machte jeweils einen großen Bogen, um ungehindert meiner Wege zu gehen.
Was ich mit dieser sinnlosen Wanderung zu erreichen hoffte, ist mir nicht klar. Ich konnte jedenfalls nicht einfach an einer Stelle verharren und auf den Tod warten. Wenn ich durchhielt und weiterwanderte, mußte ich doch gewißlich auf etwas anderes stoßen als diese geistlosen Kästenreihen! Vielleicht gelang mir das wirklich, wenn ich nicht vorher verhungerte oder verdurstete.
Als meine finsteren Gedanken eben diese Schlußfolgerung erreichten, ertönte weiter vorn ein energisches Fauchen.
Das Geräusch kam mir irgendwie vertraut vor, erinnerte es mich doch auf bemerkenswerte Weise an das Zischen des Zauberstuhls der Herren der Sterne, der seine Last von Zimmer zu Zimmer befördert.
An einer Kreuzung, die etwa hundert Meter vor mir lag, erschien ein dunkles Objekt, zuckte von rechts nach links und verschwand wieder.
Was ich von dem Gebilde in dem kurzen Augenblick wahrnehmen konnte, erinnerte mich ebenfalls an den Stuhl der Herren der Sterne.
Ich lief zu dem Quergang vor und schaute um die Ecke; von dem Stuhl war nichts zu sehen, und schon umgab mich wieder die gewohnte Stille dieses Ortes.
In der Folge sah ich noch etliche Stühle vorbeihuschen, doch ärgerlicherweise jeweils durch entfernte Quergänge, so daß ich keine Möglichkeit hatte, den Insassen etwas zuzurufen – vorausgesetzt, daß überhaupt jemand in den Stühlen saß.
Wie ich feststellen konnte, besaßen die Metallkästen Türen vieler unterschiedlicher Größen. Es gab allerdings keine Möglichkeit, Zugang zu erlangen. Der Spalt zwischen Tür und Zarge war haarfein, und es gab keine Knöpfe, Griffe oder sonstigen Öffnungssysteme. Natürlich mußte eine Methode existieren, die Türen zu öffnen, sonst hätte es sie nicht gegeben; aber ich kam nicht darauf.
Es dauerte nicht lange, da bewegte ich mich durch ein Gebiet, wo die Verrottung der Metallwände weit fortgeschritten war und eine große Zahl Raupen sich zufrieden an den Wänden gütlich hielt. Ich mußte große Umwege gehen.
An einer Ecke konnte ich verfolgen, wie eine Raupe, die sich voll ausgestreckt hatte, den Körper wieder einzog und mit rhythmischer Bewegung erneut auf Suche ging. Ein gezacktes Loch blieb an der Stelle zurück, wo er seine Mahlzeit zu sich genommen hatte.
Überaus behutsam schaute ich hinein.
Es war pechschwarz.
Das silbrige Licht, das von draußen hineindrang, schien weitere Reihen von Kästen zu offenbaren, eine nach der anderen, eine Folge, die sich in der Dämmerung verlor. Es kam mir sinnlos vor, dort drinnen auf die Jagd nach zahlreichen kleinen Kästen zu gehen, während ich hier draußen schon jede Menge große Kästen zum Spielen hatte.
Ja, ich wurde immer hungriger, und auch mein Ärger nahm beständig zu.
Und dann surrte an mir vorbei, was ich für den schlimmsten Ärger hielt – worin ich mich allerdings irren sollte. Ein Stuhl fegte aus der gegenüberliegenden Gasse und huschte dicht an mir vorbei. Das verdammte Ding war leer.
Da legte ich den Kopf in den Nacken und erhob die Stimme. »Ihr Herren der Sterne!« brüllte ich. »Bei allen guten Geistern – was geht hier vor? Schlaft ihr alle, oder seid ihr senil?«
Unheimliche Echos umspielten mich.
»Verflixt!« zog ich vom Leder. »Ich wünschte, die alten Dummköpfe bekämen endlich ihren Laden auf Vordermann!«
Da niemand antwortete, blieb mir nichts anderes übrig, als hoffnungsfroh weiterzumarschieren.
Den Toten in ihren verrostenden Rüstungen näherte ich mich nicht. Da sie nicht im Kampf niedergeschlagen worden waren, hatte sie vermutlich eine Krankheit hinweggerafft. Damit wollte ich nichts zu tun haben.
Nur einer der Toten trug keine Rüstung – ein Numim, dessen zorniges Löwenmenschgesicht im Tod schlaff und entspannt wirkte. Er trug am Gürtel eine Wasserflasche. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen – dabei konnte mir das Wasser den Tod bringen. Dem Numim war die Brust eingedrückt worden, ein unschöner Anblick, und dicht bei seiner rechten Hand lag ein Krummschwert auf dem Metall.
Ich ging weiter.
Nun war ich aber wirklich hungrig.
Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ich mich den Raupen anschloß, mir ein Stück rostiges Metall abriß und festzustellen versuchte, wie gut mir diese Nahrung schmeckte. Die Geschöpfe wirkten groß, massig und wohlgenährt. Vielleicht war das korrodierte Metall wirklich schmackhaft. Ich verbannte lebhafte Erinnerungen an Puddingschalen, an Bratfleisch und Speck, an Obst, Gemüse und Tassen mit Tee, und marschierte weiter. Immer stärker wurde mein Blick von dem zerfallenden, abbröckelnden Metall angezogen.
Es fühlte sich an wie Kekse, die gerade die richtige Härte hatten; Krümel fielen zu Boden. Ich verformte die Masse in der Handfläche. Ich betrachtete sie. Ich roch daran. Kein Geruch. Behutsam kostete ich eine winzige Portion mit der Zungenspitze. Die Härte zerschmolz sofort zu einer Paste. Und der Geschmack – wirklich seltsam. Wie Essig – dabei nicht scharf und unangenehm, mit einem Hauch Pfeffergurke und Gewürzen und Pickles und Tomaten – und unter dieser bizarren Mischung blieb das Gefühl, daß ich, o ja – bei Krun! – Metall aß.
Ich schluckte einen weiteren Bissen hinunter. Nach einigen Ladungen zeigte sich das Zeug mehr als genießbar. Ich konnte mir vorstellen, daß man von diesem Zeug süchtig wurde. So kam ich also nicht weiter. Ich kannte keine metallfressenden Raupen auf Kregen.
Ich wanderte weiter, wobei ich die Paste mummelte – Zähne waren dazu nicht erforderlich, denn ähnlich wie die Raupen konnte ich das Zeug einfach hinunterwürgen, sobald es angefeuchtet worden war. Ich muß gestehen, daß ich mich etwas beruhigt hatte. Ich war noch immer äußerst gereizt und nahm mir vor, den Everoinye, sollten sie sich je wieder blicken lassen, einige hübsche Schimpfworte an den Kopf zu werfen.
Im Grundsatz kenne ich mich mit den Geheimnissen des Universums, mit der rätselhaften Beschaffenheit des menschlichen Geschicks, seiner Wahlmöglichkeiten und mit der Unausweichlichkeit des Todes aus; ich hatte es mir aber nicht ausgesucht, hier zu sein, und so gingen mich hier und jetzt die Rätsel des Universums nichts an, und erst recht hatte ich nicht die Absicht, hier zu sterben.
Mich interessierte das Rätsel dieses Ortes, denn ihn zu verstehen, konnte bedeuten, daß ich von hier loskam.
Wenn ich es nüchtern betrachtete, schien es keine große Hoffnung zu geben, diesen seltsamen Haufen Metallkästen jemals zu begreifen.
In mir machte sich der nagende Zweifel breit, daß ich vielleicht den falschen Weg gewählt hatte, daß ich mich nicht nach rechts, sondern nach links hätte wenden müssen.
Ich kann Ihnen sagen, das Wohlbefinden, das sich durch eine unerwartet gute Mahlzeit an einem Ort herleitete, in dem es nicht ohne weiteres nach gastronomischen Freuden aussah, nutzte sich schnell wieder ab, sehr schnell, bei Vox!
In meiner mürrischen Verfassung dauerte es eine Zeitlang, bis mir auffiel, daß das Metall der Kästen, an denen ich nun vorbeikam, nicht mehr korrodiert war. Aufmerksam wurde ich erst durch das Gehabe einer Metallraupe, der ich instinktiv ausgewichen war.
Das Wesen hob den Kopf, zielte mit den Kauwerkzeugen auf eine Metallwand und verspritzte eine Flüssigkeit in sauberem Muster auf der Metallfläche. Diese Flüssigkeit leuchtete in allen Farben des Regenbogens, bevor sie verschwand.
»Das ist es also!« rief ich. »Diese haarigen Scheusale spritzen irgendein Zeug auf das Metall, das die Zersetzung bewirkt, dann folgen sie nach und schlürfen das Metall in sich hinein!«
Dies änderte meine Einstellung zu der Paste und ihrem Geschmack nicht. Ich habe auf Kregen schon viel schlechter gegessen.
Ein gutes Stück weiter, auf allen Seiten von sauber schimmernden Kästen umgeben, stieß ich auf ein Objekt, das – endlich! – auf eine Veränderung hindeutete.
Ein schmaler, beinahe zerbrechlich wirkender Turm ragte in den silbrigen Himmel. Das Netzwerk der spinnwebenhaften Streben und Stützpfeiler, zart und märchenhaft aussehend, bildete einen geradezu überwältigenden Gegensatz zu der gewohnten Szene.
Sehr vorsichtig näherte ich mich dem bezaubernden Turm und starrte an ihm hinauf. Vor der allesumfassenden Weiße konnte ich die Spitze nicht ausmachen, doch befand sie sich weit über mir; ehe das Geflecht aus Streben sich meinen Blicken entzog, hatte es sich zu haarfeinen Strichen verdünnt.
Vielleicht hätte ich selbst rätselhaft gefunden, was ich nun tat, wäre mir nicht eine Erinnerung an Zena Iztar in den Sinn gekommen. Als sie mich in der Gestalt Madame Iwanownas auf der Erde besuchte, hatte sie gesagt: »Wenn es nötig wird loszuschlagen, mußt du mit einem Gongschlag der Macht handeln.«
Damals hatte ich keine Ahnung gehabt, was sie meinte.
Nun aber kehrte die Erinnerung zurück. Zena Iztar mochte geheimnisvollen Wegen folgen, doch hatte sie stets ein Ziel im Auge, und so zog ich das lange Krozair-Langschwert und hieb es mit der Flachseite gegen eine Strebe des Märchenturms.
Das Gebilde gab einen reinen milden Gongton von sich.
Im nächsten Augenblick hing ich mit dem Kopf nach unten in der Luft, getrieben in einem Wirbelsturm der Schwärze, kopfüber in die Dunkelheit, in ein strahlendes Blau stürzend. Ich landete heftig und japste.
Lärm explodierte ringsum. Männer brüllten durcheinander und stritten sich, Frauen lachten und kreischten, und ich nahm den beißenden Geruch einer Taverne wahr, ein Gestank nach ranzigem Fett, verbranntem Fleisch, angefeuchtetem Sägemehl, verschüttetem Wein und billigen Frauen.