15
Dolan Weymlo erwies sich als interessanter Weggefährte, hatten ihn doch seine Geschäfte in so manche entlegene kregische Gegend geführt. Er hatte gewinnträchtige Geschäfte in Ländern gemacht, in denen ich niemals gewesen war, und war Menschen begegnet, von denen ich nichts wußte.
Die alten Geschichten von Wesen mit einem Auge in der Brust und Beinen, die aus ihrer Stirn wuchsen, wurden ausführlich besprochen.
Ich sah darin einen Test, den Weymlo mit uns durchführte. Nath glaubte an solche Karikaturen und hing mit staunend aufgerissenen Augen an den Lippen des Erzählers.
Orso saß verächtlich-aufrecht im Sattel und ritt für sich. Wir waren mit dieser Aufteilung im Grunde zufrieden, dann aber sagte ich zu Seg: »Wir sind zu viert und sollten eigentlich eine Einheit bilden. Es ist mir recht, daß Orso allein reitet; mir gefällt dabei allerdings nicht, daß unsere Reihen dadurch weniger fest geschlossen sind.«
»Er ist jung und hat ein lebhaftes Temperament«, stellte Seg fest. »Er wird sich einfinden, wenn die Pfeile auf die Sehnen gelegt werden.«
Wir ritten in westlicher Richtung durch das verwüstete Iyam, die Zwillingssonne leuchtete strahlend, und das Wetter war sogar für das nördliche Pandahem ausgesprochen gut.
Die Insel hat so manchen Vorteil zu bieten. Das von Osten nach Westen führende Mittelgebirge trennt die Insel in zwei Teile, die auch im Charakter unterschiedlich sind. Im Süden erstrecken sich die schwülen Dschungelzonen. Hier oben im Norden war das Wetter spürbar wärmer als in Vallia, aber keineswegs unangenehm.
Unter scheckigem Himmel, der die Natur ringsum lächeln ließ, ritten wir an verkohlten Ruinen vorbei, die beinahe obszön wirkten, vorbei an Galgen mit ihren schrecklichen Lasten, vorbei an Feldern, auf denen der locker hingeschaufelte Boden die verwesenden Leichen nicht ganz zu verdecken vermochte. O ja, dem triumphalen Weg des großen Königs Posno, der sich König Morbihom von der Eisernen Hand nannte, war sehr leicht zu folgen!
Wir wurden nur dreimal angegriffen.
Die elenden, verzweifelten Geschöpfe, die sich in den Ruinen oder in Bodenspalten und Höhlen versteckten, ließen sich mit streitbarem Gehabe verscheuchen. Das Aufblitzen von Klingen deutete an, daß sie hier nicht die wehrlose Karawane eines Kaufmannes vor sich hatten. Bei beiden Anlässen wies Weymlo seine Leute an, Pakete mit Nahrungsmitteln zurückzulassen.
Der dritte Angriff war von anderer Natur.
Da in seinen Adern das kommerzielle Blut eines Lamniers floß, hatte Dolan Weymlo der Versuchung nicht widerstehen können, auch in Gorlki Geschäfte zu machen. So hatten wir etliche Calsanys und Esel bei uns, beladen mit Waren, die – zumindest theoretisch – bei der Armee, der wir folgten, gute Preise bringen müßten. Dame Yamsin ritt einen Freymul, der oft auch Zorca des armen Mannes genannt wird. Zu uns gehörten ferner Söldner, die als Leibwächter angeworben worden waren.
Es handelte sich um einen bunt zusammengewürfelten Haufen, zu dem diesmal kein Paktun gehörte. Die meisten Kämpfer dieses Ranges dienten natürlich in der Armee des Königs; unsere Begleiter waren einfache Soldaten oder Jünglinge, die ihr Söldnerleben gerade erst begannen. Nach meinem Urteil konnte man sie nicht als Masichieri bezeichnen, die sich zwar Paktuns nennen, aber kaum besser sind als Drikinger oder Banditen.
Wir vier hatten Weymlos Einstellungsangebot höflich ausgeschlagen. Wir ritten in seiner Gesellschaft, weil es zum gegenseitigen Vorteil war – wir bewegten uns in der Deckung einer ziemlich großen Streitmacht, und er gewann den Schutz vier erfahrener Klingen dazu.
Der dritte Angriff wurde laut und brüllend und mit tödlicher Absicht vorgetragen.
Es handelte sich um Deserteure, um Nichtsnutze aus der Armee, Drikinger, getrieben von einer Verzweiflung, die tiefer saß und finsterer war als die Verzweiflung der armen Menschen, deren Häuser vernichtet worden waren. Dies ist kein Widerspruch. Die Burschen mußten in Cottmers Höhlen enden, wer immer sie auch erwischte – und das wußten sie.
Orso trieb seine Zorca sofort mit den Knien an und stürzte sich ins Gewühl.
Unsere Söldner standen einer ersten ernsten Herausforderung gegenüber. Als Seg, Nath und ich den ersten ungezielten Angriff brüllend abschlugen, faßten sich die Söldner ein Herz und machten mit. Sie kämpften, so gut sie konnten, und ich bin sicher, daß so mancher Jüngling bei dieser Gelegenheit einiges von dem entdeckte, was es bedeutete, Söldner zu sein. Wir verloren nur drei Mann – zwei Tote und einen Verwundeten, der sich wieder erholen würde.
Kurz vor dem Kampf hatten Seg und ich die Seidenbänder unserer Pakzhans aus der Kleidung gezogen, so daß der goldene Zhantilkopf an unserer Kehle funkelte. Nur Paktuns, die großen Ruhm geerntet haben, erhalten die Anerkennung der Pakzhan durch ihre Kollegen – sie werden Zhan-Paktuns genannt. Die Männer mit den silbernen Mortilköpfen, der Pakmort, heißen Mort-Paktuns.
Ich habe es bei Banditen erlebt, daß sie beim Anblick eines goldenen Abzeichens bei dem Mann, den sie ausrauben wollten, sofort die Flucht ergriffen.
Nath der Unduldsame, der nur in der vallianischen Armee gedient hatte, war natürlich kein Söldner. Auch Orso Frentar hatte bisher nicht als Söldner gedient. Der Überfall gab uns erneut Gelegenheit, sein Können mit dem Schwert zu beobachten, das er auf den besten Akademien Vondiums errungen hatte.
»Sehr sauber und präzise«, stellte Seg fest. »Allerdings behalte ich mir mein endgültiges Urteil vor, bis wir in einer richtigen Hack-und-Stich-Lage gewesen sind.«
»Genau die Worte Balass' des Falken.«
»Aye!« knurrte Nath. »Im Durcheinander eines Kampfes vergeht so manche hübsche Theorie wie eine Seifenblase.«
Seg setzte an: »Un – zwei ...«
Und Nath röhrte: »... fel – haft, Horkandur!«
Wir ritten zur Karawane zurück, und die Dienstboten krochen unter den Eseln hervor. Niemand, der einigermaßen bei Verstand war, würde sich unter solchen Umständen unter einem Calsany verstecken.
Zählend wanderte Schreiber Lamilo an der Kette der Tiere entlang.
»Es fehlt keins«, meldete er.
Der Kapitän der Söldner, ein Fristle namens Foison der Streich, fuhr sich über seine Schnurrbarthaare und nahm die Anerkennung für die erfolgreiche Erledigung der Aufgabe entgegen, für die er und seine Männer angeworben worden waren. Als Cadade hatte Foison der Streich durchaus noch Möglichkeiten.
Ein heiserer Ruf ließ uns herumfahren.
Die Büsche, in denen die Deserteure und Briganten sich versteckt hatten, säumten das Gelände ein wenig ein; dahinter allerdings erstreckte sich das weite Land. Inmitten der Opfer unseres Kampfes erhob sich eine Hand.
»Soho!« rief Foison der Streich, der Cadade. »Da lebt noch einer. Nun ja, bei Odifor, das dauert nicht mehr lange.«
Er wog seinen Thraxter in der Hand und stolzierte mit trutzigem Katzengesicht los.
Ich wandte mich sofort an den lamnischen Kaufmann.
»Horter Weymlo«, sagte ich nachdrücklich, »hältst du es nicht für sinnvoll, diesen Burschen auszufragen? Er könnte sich als nützlich erweisen, wenn du deinen Cadade noch rechtzeitig zurückrufen kannst.«
Weymlo erhob keine Widerworte. »Foison!« rief er sofort. »Halt! Wir wollen dem Burschen einige Fragen stellen, ehe du ihn dir vornimmst.«
Foison fuhr mit erhobenem Schwert herum. Dann fauchte er auf seine katzenhafte Art: »Quidang!«
Der Räuber wurde herbeigeschleppt. Er war am Fuß verwundet und hatte Blut verloren. Eine noch ganz frische rote Wunde verunstaltete seine linke Wange. Er war ein ausgemergelter Apim mit einem auffälligen braunen Haarschopf und einem wieselhaft-schlauen Ausdruck; im Mund fehlten ihm zwei Schneidezähne. Doch schaute er uns mit überraschender Direktheit an; auf einem Fuß hüpfend, von zwei Wächtern festgehalten.
»Hier ist er, Horter«, sagte Foison. »Ein unangenehmer Rast, das kann man wohl sagen. Je eher der den Stahl zu spüren bekommt, desto besser.«
Weymlo fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Obwohl Lamnier von Natur aus sanftmütig sind, bringt sie ihr Beruf unweigerlich mit Gewalt in Berührung. Er setzte ein strenges Gesicht auf.
»Du hast den Tod verdient. Hast du irgend etwas zu sagen?«
Beim Sprechen machten sich die beiden fehlenden Zähne als leises Pfeifen bemerkbar. Der verletzte Bandit zwang sich dazu, auf dem einen gesunden Fuß zu stehen und die Schultern zu recken.
»Ich bin Murlock, der der Flotte genannt wird.« Nun ja, dieser Zuname schien zu passen. Er fuhr fort: »Ich wurde zu Unrecht für ein Verbrechen verurteilt, das ich nicht begangen hatte. Ich konnte fliehen. In dieser Gegend kann man nur am Leben bleiben, wenn man sich einer Bande anschließt. Sonst ist man tot – wegen der Banden, der Soldaten oder wegen des Hungers.«
»Das kann ich dir glauben«, sagte Weymlo.
»Bei meiner Flucht wurde ich verwundet ...« Er deutete auf die Narbe. »Ich war gezwungen, bei den Drikingern zu bleiben. Ich habe nicht gegen euch gekämpft, das schwöre ich bei Pymanomar dem Allsehenden!«
»Eine haarsträubende Geschichte!« fauchte Foison verächtlich.
»Sie stimmt! Ich habe mich in einem Busch versteckt, und Gartang der Kazzur, ein blutrünstiger Teufel, wie es ihn kein zweitesmal geben kann, hieb mir in den Fuß, weil ich nicht zusammen mit den anderen angreifen wollte. Daraufhin brachte ich ihn um.«
»Ah!« sagte Seg. »Zeig uns das!«
Daraufhin marschierten wir in das Gebüsch – und fanden dort einen massigen Brokelsh, dem noch ein Messer in der Kehle steckte. Seine Kleidung und Rüstung wiesen ihn als Drikinger aus, der sich für größere Aufgaben geeignet hielt. Murlock der Flotte berührte den Toten mit seinem verwundeten Fuß und stieß einen Schmerzensschrei aus.
»Schaut euch das Messer an, ich sage euch, was in den Griff eingraviert ist.«
Foison machte eine Bewegung, und einer seiner Männer bückte sich und zerrte das blutige Messer heraus. Angewidert streckte Weymlo die Hand aus und schaute auf den Griff.
»Na?«
»Bei der Gnade Gashnids.«
»Das steht hier auf dem Griff«, sagte Weymlo und hob den Kopf.
Danach gab es einige Diskussionen, doch waren wir alle der Meinung, Murlock dem Flotten glauben zu können. Schließlich war er nicht der erste Pechvogel, der gegen seinen Willen vorübergehend bei einer Räuberbande mitmachen mußte. Soweit ich die Lage auf Kregen beurteilte, würde er auch nicht der letzte sein.
»Verbindet ihm den Fuß und setzt ihn auf einen Calsany«, ordnete Weymlo an. »Dann wollen wir diesen unseligen Ort verlassen.«
Soviel zu unseren Abenteuern während des ersten Abschnitts unserer Reise zu König Morbihom von der Eisernen Hand.
Denn natürlich lag es auf der Hand, daß Vallia am besten gedient wäre, wenn wir den verrückten König erreichen und mit ihm sprechen könnten.
Während des Rittes erfuhr ich von Weymlo unter anderem, daß er ursprünglich aus Tomboram stammte; hier konnte ich mich nun gleich nach meinen Freunden Tilda und Pando erkundigen. Nach der Eheschließung in Vondium waren sie nach Hause zurückgekehrt. Weymlo wußte auch nicht mehr, als meine Geheimagenten bereits gemeldet hatten. Neu für mich war allerdings, daß der König von Tomboram angeblich krank war.
Seg warf mir einen Blick zu und sagte: »Wenn der alte Inch das hörte, er würde sofort ... Nun ja, wer weiß?«
»Dem energischen Burschen wäre alles zuzutrauen.«
Ich ließ das Thema damit auf sich beruhen, denn natürlich war das eine gänzlich andere Geschichte, wie Ihnen auch klar sein dürfte.
Auf der Suche nach dem unseligen König Morbihom von der Eisernen Hand ritten wir durch Iyam und näherten uns schließlich der Grenze nach Lome.
Zum wiederholten Male schauten wir uns die Überreste einer niedergebrannten Stadt an, und Seg sagte kopfschüttelnd: »Die arme Königin Lust.«
Ich mußte ihm recht geben. Ich fürchtete um das Reich von Königin Lust.
Und doch ging es hier um Dinge, die viel wichtiger waren als das Wohlergehen einer Königin und ihres Reiches mit seiner Bevölkerung. König Posno, der unsägliche König Morbihom von der Eisernen Hand, mußte gebremst werden, und das verdammt schnell, um ganz Paz' willen!