32 Keita kauerte sich neben ihren kleinen Bruder und sah zu, wie Morfyd das Blut von seiner Hand wusch. Es sah aus, als hätte er sich an Celyns Gesicht die Knöchel gebrochen, und Morfyd wollte sichergehen, dass sie richtig heilten und sich nicht entzündeten.
»Ich muss einen Umschlag machen«, sagte Morfyd und suchte ein paar Kräuter in der Nähe als Zutaten zusammen.
Keita hob vorsichtig die Hand ihres Bruders an und hielt sie in ihren. »Geht es dir gut?«, fragte sie.
»Aye, Schwester«, sagte er und klang erschöpft nach seinem Wutausbruch. »Beruhige dich.«
»Oh. Das werde ich.« Dann hieb sie ihm auf seine gebrochenen Knöchel und genoss den Schmerzensschrei, den ihr Bruder ausstieß.
»Was in allen Höllen tust du da?«, verlangte Morfyd zu wissen.
»Du!«, sagte Keita und zeigte auf Éibhear. »Wie kannst du es wagen, Izzy das anzutun! Und dann auch noch vor ihren Eltern!«
»Ich habe versucht, sie zu beschützen!«
»Nein, hast du nicht, du verlogener Kerl!«
»Keita!«
Jetzt wirbelte sie zu ihrer Schwester herum. »Und du!«
»Was tue ich denn?«
»Ihn verzärteln! Als hätte er es verdient!«
»Oh, es tut mir so leid, dass ich mich nicht benehme, wie Keita die Schlange es für richtig hält! Es tut mir leid, dass ich nicht nach deinen Vorgaben handle!«
Keita schubste ihre Schwester, und die schubste sie zurück. Sie hatten sich schon fast in den Haaren, als Éibhear dazwischenging. »Hört auf! Was ist bloß los mit euch?«
Keita löste sich von den beiden und stolzierte davon. Sie war zu wütend, um überhaupt klar denken zu können.
Sie fühlte mit Izzy, das war es. Und warum? Weil sie das selbst schon durchgemacht hatte. Dass irgendein Kerl einen vor allen anderen zur Rede stellte, weil er sie aus dem einen oder anderen Grund nicht haben konnte. Na ja, meistens aus einem Grund. Und zwar dem, dass Keita ihn nicht wollte. Und obwohl es nicht genau dasselbe war, wusste sie trotzdem, wie sich ihre Nichte fühlte. Gedemütigt fühlte sie sich. Und wer hätte es ihr verdenken können?
Keita hatte geglaubt, sie hätte Éibhear besser erzogen. Offensichtlich hatte sie sich geirrt! Zumindest das eine Mal.
Und was noch merkwürdiger für sie war? Dass das Einzige, was sie im Moment tun wollte, damit es ihr besser ging, nicht war, shoppen zu gehen, eine Stadt zu zerstören oder etwas aus der Schatzkammer ihrer Mutter zu stehlen. Sie wollte nichts dergleichen. Nein, sie wollte nur Ragnar den Listigen sehen. Ihn sehen. Mit ihm reden. Sich von ihm trösten lassen.
Ein Wunsch, das musste sie zugeben, den sie ein kleines bisschen beängstigend fand!
Ragnar und Vigholf nahmen den jungen Drachen mit hinaus in die Östlichen Felder. Sie stellten ihn mitten hinein und gingen weg. Als sie ein gutes Stück entfernt waren, zogen sie ihre Kleider aus und verwandelten sich.
»Also gut, Junge«, rief Ragnar. »Verwandle dich, wenn du kannst.«
Es dauerte eine Weile, doch dann loderten Flammen auf und der junge Drache war wieder in seiner natürlichen Gestalt.
Ragnar ging zu ihm zurück und prüfte die gebrochenen Knochen in seinem Gesicht, seinen gebrochenen Arm, die gebrochenen Rippen. Ehrlich, Izzy hätte keine Minute später vorbeikommen dürfen.
Ragnar hatte gehofft, er würde in der Lage sein, den jungen Drachen noch in seiner Menschengestalt zu heilen, damit der Junge in einem weichen Bett bleiben konnte, wo Frauen ein und aus gingen, um nach ihm zu sehen und ihn zu trösten wie ihr verletztes Schoßhündchen. Aber Ragnar kannte sich ganz einfach nicht so gut mit menschlichen Knochen aus wie mit den eigenen. Er wartete, solange er konnte, dass Morfyd zurückkam, denn er wusste, dass ihre Fähigkeiten als Heilerin seine bei Weitem übertrafen, aber nachdem der halbe Nachmittag vergangen war, beschloss er, nicht länger zu warten.
»Was brauchst du von mir?«, fragte Vigholf Ragnar.
»Etwas zu essen. Eine Kuh müsste genügen.«
»Also gut, ich bin gleich zurück.«
Ragnar beugte sich vor. »Hörst du mich, Celyn?«
Der Feuerspucker nickte.
»Es wird wahrscheinlich nicht lange dauern, aber es wird wehtun. Sehr. Verstanden?«
»Tu es«, flüsterte er.
»Ich kann etwas tun, das weniger wehtut, aber es bräuchte länger, bis du wieder ganz gesund bist. Ein paar Tage musst du aber trotzdem im Bett bleiben.«
Celyn zwang die Augen auf und sah Ragnar an. »Tu es.«
Ragnar ging auf die Knie und hob die Vorderklauen über Celyn. Er schloss die Augen und ließ die Macht, die im Boden unter ihm war, durch seinen Körper aufsteigen. Als er hatte, was er brauchte, ließ er diese Macht durch seine Klauen in den Körper des Feuerspuckers fließen.
Celyn knurrte vor Schmerzen und biss die Reißzähne zusammen, während seine Knochen sich an ihren Platz ordneten und wieder zusammenfügten.
Manche hätten vielleicht die weniger schmerzhafte, aber langwierigere Heilungsart bevorzugt, aber Ragnar wusste, warum dieser hier es nicht tat – Iseabail. Celyn würde seinen Vetter keine Sekunde länger als nötig mit ihr allein lassen. Zumindest nicht, wenn er es verhindern konnte.
Ragnar kannte das alles. Drachen, die um eine Frau kämpften – das endete selten gut.
Nachdem er den letzten Knochen gerichtet hatte, vergewisserte sich Ragnar noch einmal, dass er nichts vergessen hatte, das später zu Blutungen führen konnte. Als er sich sicher war, senkte er die Klauen, und sein Körper sackte nach hinten. Er wäre auf dem Boden aufgeschlagen, wenn sein Bruder nicht da gewesen wäre, um ihn aufzufangen.
Keuchend nickte er ihm zu. »Danke.«
»Hier. Etwas zu essen für dich.«
Vigholf servierte Ragnar die immer noch strampelnde Kuh und ließ ihn sie erledigen, indem er seinen Kiefer um ihren Hals legte und ihn brach. Dann aß Ragnar, bis er spürte, wie seine Kraft zurückkehrte.
Als er den Rest seiner Mahlzeit seinem Bruder anbot, setzte Celyn sich schon wieder auf. Er war noch blutverschmiert, und Ragnar war sich sicher, dass er noch tagelang Schmerzen haben würde, aber er war wieder munter.
»Danke«, sagte Celyn mit einem Nicken.
»Gern geschehen.«
Der junge Drache stand auf und taumelte ein wenig.
»Ich helfe ihm besser zurück.« Vigholf ging mit Celyn in Richtung Burg, und Ragnar blieb zurück und stocherte sich Kuhfleisch aus den Zähnen.
Er hatte gerade einen ziemlich großen Rippenknochen entfernt, als Keita auf ihn zukam. Sie hatte sich ein neues Kleid angezogen, die Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und trug immer noch keine Schuhe. Was hatte sie eigentlich gegen Schuhe?
»Hunger?«, fragte er und bot ihr an, was von dem Kadaver übrig war.
»Nein danke. Wie geht es Celyn?«
»Besser. Ich habe seine Knochen gerichtet, und er hat aufgehört zu bluten. Wie geht es deinem Bruder?«
»Der spielt den selbstgerechten Herrn des Trübsinns an einem der Seen, mit Morfyd als liebevollem Kindermädchen.«
Ragnar nahm menschliche Gestalt an. »Du klingst wütend auf ihn.«
»Bin ich auch. Sehr wütend. Und ich bin wütend auf Celyn. Dieses Spiel zu spielen, und die arme Izzy steht zwischen den Fronten.«
»Die ›arme Izzy‹ kann sich schon selbst behaupten.«
»Das stimmt wohl.«
Sie ging angespannt auf und ab. »Was ist los, Keita?«
»Nichts.«
»Warum wirkst du dann, als würdest du am liebsten die Wände hochgehen?«
»Ich weiß nicht. Ich habe einfach das Gefühl, dass …«
»Etwas auf dich zukommt? Dass etwas kommt, das alles zerstört, was du liebst?«
Keita blieb stehen und wandte sich Ragnar zu. »Eigentlich wollte ich sagen, dass ich das Gefühl habe, dass ich nicht glücklich war, bis ich dich gesehen habe, und ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.«
»Äh … oh.«
»Aber ich habe das Gefühl, dieses ›Etwas kommt, das alles zerstört, was ich liebe‹ sollte mich jetzt mehr beunruhigen, oder was meinst du?«
»Na ja …«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Mach mir keinen Ärger, Warlord. Was hast du mir verschwiegen?«
»Es ist etwas, das Vigholf mir über eure Menschenkönigin erzählt hat. Es beschäftigt mich schon die ganze Zeit.«
»Götter, wen hat sie jetzt wieder umzubringen versucht?«
»Nein, nein. Nichts dergleichen. Es ist nur … sie hat Träume.«
Keita senkte langsam die Arme. »Was für Träume?«
»Von brutalen Kriegern, die auf Dämonenpferden reiten und ihre Kinder holen kommen.«
Keita ging wieder hin und her, den Blick auf den Boden gerichtet. »Menschliche Krieger?«
»Menschen, ja. Aber Hexen. Wenn ich es richtig beurteile, träumt sie von den Kyvich. Kriegerhexen aus den Eisländern.«
Keita blieb mit dem Rücken zu ihm stehen.
»Ragnar … haben ihre Pferde Hörner?«
Annwyl hatte ihr Training für heute abgesagt, und sie war auch froh darüber. Es war ganz einfach zu viel los, als dass sie sich hätte konzentrieren können. Und nicht konzentriert zu sein, bedeutete mehr Schaden, als sie im Moment zu tolerieren bereit war.
Sie betrat den Rittersaal durch die hintere Tür und fand Talaith am Esstisch. Sie hatte Essen vor sich stehen, schien aber mehr darin herumzustochern, als zu essen.
»Wie läuft’s?«, fragte Annwyl, während sie sich neben ihre Freundin auf einen Stuhl fallen ließ.
»Es könnte schlimmer sein, denke ich. Ich wünschte, es wäre besser.«
»Was beunruhigt dich? Abgesehen vom Offensichtlichen, meine ich.«
Talaith schob ihren Teller von sich. »Ich mache mir Sorgen, dass Izzy dumme Entscheidungen treffen könnte, nur um diesen Idioten zu ärgern, den ich liebe wie meinen eigenen Sohn.«
»Es ist frustrierend, wenn man sie liebt, ihnen aber trotzdem das Gesicht einschlagen möchte, oder?«
»Sie sind zu jung für all das.«
»Ich kann sie mit einer neuen Truppe losschicken. Sie kann sich um die Plünderer an der Küste kümmern.«
Talaith verzog das Gesicht. »Das macht es irgendwie zu ihrer Schuld, oder nicht? Sie liebt ihre Einheit, aber wir würden sie wegschicken wegen dieses … dieses …«
»Zentaurenmists?«
»Genau. Übrigens«, wechselte sie das Thema. »Ich finde Ebba großartig.«
»Großartig«, stimmte Annwyl zu. Sie hob die Hand. »Horch mal. Sie hält sie ruhig, aber man hat nicht dieses Gefühl des Grauens, jeden Moment ihre entsetzten Schreie zu hören.«
»Es ist wunderbar.«
»Oh je.«
Talaith zuckte zusammen. »Was?«
Annwyl deutete auf die offene Tür des Rittersaals, durch die Éibhear und Morfyd hereinkamen.
Talaith trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Ich sollte mich da nicht einmischen.«
»Nein. Solltest du nicht.«
»Es geht mich nichts an.«
»Nein.«
Drei Sekunden später knallte Talaith die Hände auf den Tisch. »Ich kann mich da nicht raushalten!«
Annwyl rieb sich die Nase, um sich das Lachen zu verkneifen, als sie zusah, wie Talaith um den Tisch herumging und auf Éibhear zusteuerte, der sie mit großen Augen und vollkommen panisch ansah, während Morfyd sich vor ihren Bruder stellte, um ihn zu verteidigen, wenn es nötig war.
»Ich bin jetzt gerade so sauer auf dich, mir fehlen die Worte!«
»Celyn nutzt sie aus!«, verteidigte er sich.
»Das geht dich nichts an, Éibhear.«
»Hör mal, es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe, Talaith …«
»Mich? Das solltest du Izzy sagen.«
»… aber sie hat alle angelogen!«
»Auch das geht dich nichts an.«
Annwyl sah Izzy den Flur entlang zur Treppe stürmen; wahrscheinlich hatte sie Éibhears Stimme gehört. Sie hatte gerade die letzte Stufe erreicht, als Annwyl ihr entgegenkam und sie am Arm festhielt. »Wie wäre es mit einem Spaziergang?«, befahl Annwyl mehr, als es vorzuschlagen.
»Du!«, schrie Izzy über ihre Schulter, während Annwyl sie zum Hinterausgang führte. »Du bist ein selbstgerechter Depp!«
»Ich habe an dich gedacht, du dämliche Kuh!«
»Kuh?«
Annwyl zerrte ihre Nichte zur Tür hinaus und immer weiter, da sie überzeugt war, dass Izzy, wenn sie auch nur einen Augenblick anhielt, direkt wieder in den Saal laufen und Éibhear alle blauen Haare einzeln von seinem riesigen Kopf reißen würde.
Ragnar sah Keita scharf an. »Du hast auch von ihnen geträumt?«
»Einmal … vielleicht zweimal.« Sie kratzte sich an der Kehle. »Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, weil prophetische Träume nicht so mein Ding sind.« Sie trat näher. »Wie schlimm ist es?«
»Die Kyvich?« Er lachte kurz auf, aber sie zuckten beide bei dem Klang zusammen. »Ich habe sie nie in der Schlacht gesehen, aber ich habe gehört, dass ein Warlord oder Monarch, der kurz davor ist, einen Krieg zu verlieren, sein Schicksal wenden kann, wenn die Kyvich sich seines Falles annehmen. Eine halbe Kyvich-Legion – und ihre Legionen sind viel kleiner als die Legionen einer normalen Armee – kann eine Stadt in Schutt und Asche legen. Sie gehen den Weg des Kriegers und der Hexe perfekt. Sie töten ohne Bedenken oder Reue, und man hört, dass sie die Seelen der Menschen brechen, die sie verärgern, bis sie ihre persönlichen Kampfhunde sind, so könnte man es nennen. Sie lassen die Ärmsten im Kampf los, um den Feind ein bisschen aufzureiben, und sie fühlen nichts, wenn die Menschen getötet werden.«
»Und was noch?« Sie spannte die Arme, die sie vor der Brust verschränkt hatte. »Etwas verschweigst du mir. Was ist es?«
»Es gibt nur wenige Kyvich-Hexen, die in ihren Rängen geboren werden. Sie …«
»Sag es.«
»Sie nehmen die Mädchen ihren Müttern weg. Normalerweise, noch bevor sie gehen können. Oft übergeben ihre Mütter sie lieber, als ihre restlichen Kinder oder ihr ganzes Dorf in Gefahr zu bringen. Nicht dass ich den Müttern ihre Zurückhaltung vorwerfe. Die Ausbildung der Kyvich ist brutal und … gnadenlos. Und sie beginnt, wenn die Mädchen fünf oder sechs Winter alt sind.«
»Und Talwyn wäre perfekt für sie, nicht wahr?«
»Nach allem, was du mir erzählt hast … außerdem hat Talwyn im Moment aufgrund ihres Alters und ihrer Eltern noch keine Bindung an einen Gott. Aber wenn sie eine Kyvich wird, würden zumindest die Kriegsgötter dafür sorgen, dass sie durch ihre Treuepflicht den Kyvich gegenüber für sie arbeiten würde.« Er holte tief Luft. »Keita, wenn ich gewusst hätte, dass du auch von ihnen geträumt hast …«
»Wir können uns jetzt nicht darum sorgen, was wir hätten tun sollen, Ragnar.« Jetzt kam ihre königliche Ausbildung zum Tragen: Keita zeigte weder Panik noch Angst. Sie sagte einfach: »Wir müssen Annwyl und Fearghus warnen.«
»Einverstanden.« Ragnar ging über das Feld zurück in Richtung Burg. »Ich glaube, dafür hat Annwyl die ganze Zeit trainiert, ohne dass es ihr bewusst war.«
»Irgendeine Ahnung, wann sie hier sein werden?«
Sie betraten den Wald, der die Burgmauer umgab. »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe gehört, ihre Fähigkeiten und Begabungen sind unermesslich. Dass sie sich schnell bewegen und Tausende von Wegstunden unentdeckt gehen können. Um ehrlich zu sein, soweit wir wissen – können sie vielleicht sogar fliegen.«
»Na gut, zumindest ist der größte Teil der Familie hier, um sie zu schützen …«
Ragnar blieb stehen und schaute über die Schulter. »Keita?«
Er ging zurück zu der Stelle, wo er zum letzten Mal ihre Stimme gehört hatte. »Keita?«
»Lord Ragnar?«, fragte eine Stimme.
Er drehte sich um und sah Éibhear, der in den Wald gestapft kam. »Hast du meine Schwester gesehen? Keita?«
»Hast du sie nicht gesehen?«
Éibhear sah ihn an. »Wie bitte?«
»Hast du Keita nicht gesehen? Sie war eben noch hier.«
Éibhear schüttelte den Kopf. »Nein, Sir.«
Ragnar verstand das nicht. »Aber sie war eben noch genau hier!«
Ragnar hörte ihre Stimme in seinem Kopf. Schwach, aber es war eindeutig Keitas.
Oben.
Er hob den Blick und schob dann Éibhear zurück in Richtung Burg. »Geh. Hol deine Brüder und deine Schwester.« Er richtete den Finger auf den Prinzen, der mit verwirrtem Blick stehen blieb. »Geh! Sofort! Sag ihnen, sie sollen meinem Geruch folgen!« Dann verwandelte sich Ragnar und schwang sich in die Lüfte.
»Ich sage, wir hätten Éibhear den Bastard umbringen lassen sollen.«
Talaith rieb sich mit den Fingerspitzen die Augen. Sie liebte ihren Gefährten, wirklich, das tat sie. Aber es gab einfach keine Grauzone für ihn. Nur schwarz, weiß und ärgerlich.
»Ihn umzubringen erscheint mir ein bisschen hart«, ermahnte sie Briec. »Es ist ja nicht so, als hätten wir Izzy gezwungen, etwas zu tun.«
»Ich weiß nur, dass Celyn nicht hierbleiben kann«, beharrte Fearghus. »Ich will ihn hier nicht haben, wo er unser Essen isst und unser Frischwasser benutzt, damit seine eiternden Wunden heilen.«
»Ihr seid alle lächerlich«, sagte Morfyd. »Wir können ihn nicht rauswerfen.«
Gwenvael, der als Einziger saß, schleuderte seine Füße auf den Tisch. »Ich bin schon für weniger rausgeworfen worden, ich sehe nicht ein, warum nicht auch er.«
Dagmar hob einen Finger. »Wenn du nichts Nützliches zu diesem Gespräch beizutragen hast, Schänder, dann sei still.«
»Wir würden ihm ja nicht sagen, dass er die Südländer komplett verlassen soll«, argumentierte Fearghus, der sich wahrscheinlich recht großmütig fand.
»Ich finde, er sollte die Südländer komplett verlassen.« Briec deutete auf die beiden Nordländer, die am anderen Ende des Tisches aßen. »Er kann mit diesen zwei Idioten in dieses Drecksloch von einem Territorium zurückgehen.«
Talaith zuckte zusammen und flüsterte den jetzt finster dreinblickenden Gästen ein tonloses Entschuldigung zu.
Éibhear kam in den Saal gerannt.
»Du hättest ihn umbringen sollen«, sagte Briec noch einmal, bevor sein Bruder ein Wort herausbringen konnte.
»Was ist los?«, fragte Fearghus.
»Eigentlich weiß ich das auch nicht so genau.«
»Was soll das heißen?«
»Lord Ragnar hat mir gesagt, ich soll gehen und euch holen.«
Gwenvaels Füße knallten auf den Boden. »Warum?«
»Ich weiß nicht. Ich habe Keita gesucht, wisst ihr« – er zuckte die Achseln – »dachte mir, wenn es stimmt, was alle sagen, müsste er wissen, wo sie ist, aber dann hat er mich gefragt, ob ich Keita gesehen habe. So, wie er sich benahm – es war, als wäre sie direkt vor seinen Augen verschwunden.«
Talaith schüttelte den Kopf. »Das kann nichts Gutes bedeuten.«
»Jetzt beruhigen wir uns mal alle«, unterbrach sie Morfyd. »Sie ist wahrscheinlich weggelaufen, weil sie seinen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Ihr wisst, wie sie ist.«
»Vielleicht sollten wir nicht davon ausgehen, dass unsere kleine Schwester einfach mitten in einem Gespräch verschwunden ist, nur um von ihm wegzukommen.« Fearghus deutete auf Gwenvael. »Geh hinter den Wachhäusern nachsehen. Briec, kontrollier die …«
»Warte. Warte«, sagte Morfyd mit einem gereizten Seufzen. »Gib mir einen Moment, um nach ihr zu sehen.«
Morfyd schloss die Augen, und Talaith beobachtete, wie die Fäden von Magie, die die Drachin jederzeit umgaben, sich von ihrem Körper lösten und sich in alle Richtungen ausstreckten. Es war schön und erstaunlich anzusehen und schade, dass es nur ein paar wenige sehen konnten.
»Dauert das lange?«, fragte Gwenvael. »Mir ist jetzt schon langweilig.«
»Ich schlage vor, wir reißen unserem Vetter den Schorf von den Wunden … als Zeitvertreib«, meinte Briec.
Morfyd riss die Augen auf und sah sich im Raum um. »Oh, Götter!«
Talaith rutschte von dem Tisch, auf dem sie gesessen hatte. »Was ist los?«
»Elestren.«
Ein Augenblick fassungsloser Stille folgte, in dem alle einander ansahen. Dann rannten sie zur Ausgangstür.
Weil sie sie nicht aufhalten wollten, folgten Talaith und Dagmar ihnen, auch wenn sie nicht vorhatten, irgendwohin zu gehen.
Briec hielt bei den Nordländern an und musterte sie von oben bis unten, bevor er fragte: »Gebt ihr auf sie acht, bis wir zurück sind?«
Vigholf – Talaith konnte den Blitzdrachen nur an seinen kurzen Haaren von seinem Vetter unterscheiden – nickte einmal kurz. Briec warf einen Blick zu Talaith zurück und schoss zur Tür hinaus.
Meinhard – er hatte das längere Haar und den etwas größeren Kopf – schaute auf und fragte: »Meinst du, wir können noch etwas zu essen bekommen, während wir auf euch achtgeben?«