15 Sie hörten das Geschrei, Sekunden bevor eine wutschnaubende Keita aus dem Thronsaal gestürmt kam.

»Ich gehe!«, sagte sie, während sie rasch die Treppe heruntereilte, gefolgt von Ragnar. »Richte meinen Geschwistern viele Grüße aus.«

»Oh, Keita …«, begann Éibhear, aber sein Vater hielt ihn zurück.

»Du bleibst!«, befahl Éibhears Mutter hinter Keita und Ragnar, »denn ich bestehe darauf.«

Der dünne Faden, der Keitas Wut im Zaum hielt, musste gerissen sein, denn sie wirbelte auf dem Absatz herum und zischte: »Ich werde nicht bleiben, du herrische Harpyie. Und du wirst mir nichts befehlen!«

»Ich kann tun, was ich will, verdammt noch mal. Ich bin die Königin!«

»Ein heruntergekommenes altes Schlachtross mit Flügeln, das bist du!«

Zur Vergeltung – und zu Éibhears Entsetzen – hob Rhiannon die Klaue, und Flammen schossen aus ihrer Handfläche. Doch Ragnar trat zwischen die Flammen und Keita und hob seine eigene Klaue. Er sog die Flammen ein und schloss die Krallen zur Faust. Nach ein paar Augenblicken öffnete er sie wieder, und die Flammen, die die Königin nach Keita geschleudert hatte, fielen als bunte Kristalle zu Boden.

Überraschung huschte über das Gesicht ihrer Mutter, bevor sie ein nachdenkliches Gesicht zog.

»Sieh an, sieh an, wir sind wohl ein Beschützer, mein kleiner Wintersturm, was? Sag mir, was hat meine unschuldige Tochter getan, dass du dich vor sie wirfst?«

Knurrend versuchte Keita, sich an Ragnar vorbeizudrängen, aber er fing sie ab und zog sie zurück, während die königliche Leibgarde sich um die Königin gruppierte.

Ragnar ignorierte die Worte der Königin und sagte: »Wir müssen nicht aggressiv werden, Majestät. Ich bin mir sicher, es würde nicht schaden, noch ein kleines bisschen zu bleiben.«

»Ich werde nicht …«

Nachdem er Keita mit einem zornigen Blick zum Schweigen gebracht hatte, erinnerte er sie: »Deine Familie hat dich vermisst. Ich bin sicher, dass sie gern ein bisschen Zeit mit dir verbringen würden, bevor du wieder losziehst.«

»Ach! Na schön!«, gab Keita nach. Dann schnaubte sie ihre Mutter an und stürmte davon.

Ragnar neigte kurz den Kopf vor der Königin und folgte Éibhears Schwester.

»Zicke«, knurrte dessen Mutter, bevor sie in ihre Gemächer zurückkehrte.

»Geh mit deiner Schwester!«, befahl sein Vater.

»Aber Dad …«

»Hast du im Norden nicht gelernt, wie man Befehle befolgt? Widersprich mir nicht. Geh einfach.«

»Na gut.« Éibhear folgte seiner Schwester und sah mit einem Blick zurück, dass sein Vater zum Zimmer seiner Mutter hinaufstieg. Vielleicht würde sein Dad die Lage entspannen. Keita war noch nie gut mit ihrer Mutter ausgekommen, aber es war Zeit, dass sie das hinter sich ließen, oder nicht?

 

Rhiannon saß in ihrem Privatgemach, und ihre Gedanken wirbelten.

»Und?«, fragte Bercelak und nahm ihre Klaue. »Ist es erledigt?«

»Ja.«

»Bist du dir sicher, dass du das Richtige tust, Rhiannon?«

»Nein. Sie ist impulsiv. Hitzköpfig. Das habe ich schon immer gesagt.« Sie sah ihn zornig an. »Was gibt es zu grinsen?«

»Nichts. Nur dass deine Beschreibung von Keita klingt wie jemand anders, den ich kenne.«

Perplex fragte Rhiannon: »Wer?«

»Nicht so wichtig. Aber unsere Keita ist klug und gut ausgebildet. Sie ist eine der besten Agentinnen, die wir haben, und das weißt du auch.«

»Natürlich weiß ich das. Aber das wird ein gefährliches Spiel für sie. Vor allem, wenn es um deine Sippe geht.«

»Ich könnte sie warnen …«

»Nein. Dann breiten sich Gerüchte aus. Sie reden alle zu viel, Bercelak. Wir müssen es einfach geschehen lassen. Halte es vor ihnen geheim, wie du es all die Jahre vor mir geheim gehalten hast.«

»Du hast es trotzdem herausgefunden.«

»Nicht herausgefunden – ich habe es gewusst. Das ist ein Unterschied.« Sie seufzte. »Abgesehen davon wird es Zeit, dass sie ernsthaft auf die Probe gestellt wird.«

»Das sagst du immer.«

»Ja.«

»Aber warum? Es bereitet dir eindeutig Sorgen.«

»Es muss sie sein«, sagte sie und fühlte sich plötzlich erschöpft. »Sie muss es tun. Sie muss sich dieser Herausforderung stellen.«

»Warum, Rhiannon? Warum Keita?«

Rhiannon stand auf und ging auf ihr Schlafzimmer zu. »Weil«, sagte sie schlicht, »sie eines Tages wirklich Königin sein wird.«

Damit verließ Rhiannon den Thronsaal, kam aber zurück, als ihr bewusst wurde, dass Bercelak ihr nicht folgte. Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, verdrehte sie die Augen und fügte hinzu: »Ich meine nicht jetzt, Nichtswürdiger. Es sind noch Jahre bis dahin!«

Bercelak atmete hörbar aus. »Ich dachte, du meintest … und mit den anderen vor ihr … und ihrer Neigung zu Gift … götterverdammt, Rhiannon! Du hast mich zu Tode erschreckt!«

Als ihr klar wurde, dass Bercelak gedacht hatte, sie habe ihre Zeit – und anscheinend auch die ihrer Kinder – viel früher enden sehen, als überhaupt in Betracht kam, begann Rhiannon zu lachen und konnte gar nicht mehr damit aufhören. Selbst als er sie schnappte, hochhob und sie knurrend in ihr Schlafzimmer trug, hörte sie nicht auf zu lachen.