Feindschaft aus Ähnlichkeit: Der Westen und der Iran

Das Alte bewahren – das ist der gemeinsame Nenner von Muslimen und Westlern. Beide wollen das. Beide wollen etwas, das sie nie hinkriegen werden. Beide wollen etwas bleiben, das sie nicht sind, gläubig die einen, aufgeklärt die anderen. Deshalb gibt es Krach. Also zurück zum Islam. Ist das eine besonders schlimme Religion? Nein, im Gegenteil.

Als Mordmaschine war das Christentum effizienter. Die Indianer in Südamerika und später in Nordamerika platt gemacht, im 30jährigen Krieg einander verhackstückt, die Scheiterhaufen, die Folterkammern und die beiden Weltkriege mit an die 70 Millionen Toten – waren das etwa keine Christen? Und Auschwitz? Waren das die Moslems?

Aber seien wir gerecht. Die Menschen morden unter Berufung auf die Religion, in Nordirland taten Christen verschiedener Konfession es bis in die jüngste Zeit. Aber sie brauchen die Religion nicht unbedingt, um zu morden, es geht ebenso gut auch ohne. Die Nation, der Stamm oder die Hautfarbe genügen auch.

Die Menschen morden nicht, weil sie Christen oder Moslems sind, sondern weil sie Mörder sind. Deshalb muss man ihnen das Morden ja verbieten, deshalb das Gebot »Du sollst nicht töten!« Gebote wie »Iss Dich satt!« oder »Schlaf Dich aus!« brauchen wir dagegen nicht.

Tatsache ist, dass der Islam vergleichsweise wenig auf dem Kerbholz hat. Vermutlich aus Mangel an Gelegenheit, ich glaube nicht, dass es zwischen Christen und Moslems riesige Unterschiede gibt. Obwohl – einen besonderen Hang zum Sadomasochismus kann man dem Christentum nicht absprechen. Eine andere Religion, die einen halbnackten, mit Nägeln ans Kreuz Geschlagenen und mit einer Dornenkrone Bekränzten zu ihrer Ikone macht, muss man auf dieser Welt erst mal finden. Günther Anders erzählt irgendwo, was für ein furchtbares Schreckbild das Kruzifix in seiner Kindheit für ihn gewesen ist. Die Einübung der Lust, sich selbst zu kasteien und andere zu quälen – vielleicht hat diese Tradition die Christen für eine Weile zu den erfolgreichsten Welteroberern gemacht. Aber ich bin kein Religionsexperte und der Mensch ist nun mal ein grausames Tier, Foltertechniken gibt es wohl in allen Kulturen. Von Mao Tsetung wird berichtet, er sei von der Grausamkeit der Massen förmlich fasziniert gewesen, und er habe sie kalkuliert angestachelt, um Rivalen und Gegner auszuschalten. Und wie war das noch im alten Rom?

Eine Geschichte noch, die ich loswerden muss. Dem Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 fielen auch deshalb so viele Menschen zum Opfer, weil es zur Zeit des Gottesdienstes stattfand und die Kirchen einstürzten, in denen die Gläubigen sich versammelt hatten.

Es traf die Richtigen. Für den Nachmittag war nämlich ein Autodafé angesetzt, eine Ketzerverbrennung, die damals bei den frommen Christen Volksfestcharakter hatte. Das letzte Autodafé hat übrigens 1826 stattgefunden.

So geht das immer. Man will über den Islam sprechen und landet beim Christentum. Neuer Versuch: Fangen wir an mit dem 11.9.2001, den Anschlägen auf die Twin Towers und auf das Pentagon. Wer war’s? Natürlich Osama Bin Laden und seine Crew. Aber das Drehbuch für den Horrorfilm kam aus Amerika. Mit dieser Szene endet Tom Clancys Bestseller »Ehrenschuld«, und sein Bestseller »Befehl von oben« beginnt damit. Nur ist der Typ, der seine Maschine aufs Kapitol krachen lässt und damit die gesamte politische Spitze einschließlich des Präsidenten ausradiert, bei Clancy ein rachsüchtiger Japaner. Die Thriller erschienen 1994 und 1996, damals hatte man noch andere Feindbilder.

Was zeigt uns das?

Osama bin Laden hat nicht nur amerikanische Serien im TV geguckt – »Fury« mochte er am liebsten –, er war auch ein Fan von Tom Clancy. Und vermutlich kannte er Katas­­trophenfilme wie »Erdbeben« oder »Flammendes Inferno«. Also: Wo uns der Islamismus am finstersten und archaischsten erscheint, ist die Verwestlichung am weitesten fortgeschritten.

Beispiel Iran: Der hat ein riesiges Drogenproblem. In Teheran gibt es ein Dealer-Viertel, in das sich die Polizei nicht hineintraut, ein Viertel mit extrem hoher Kriminalität. Wie überall sind die Drogenkonsumenten Jugendliche. Das Problem ist so groß, dass das Regime seine Existenz anerkennen und die Einrichtung von Drogenberatungsstellen erlauben musste. Es war eine schwere Entscheidung, denn Drogenberatungsstellen passen wirklich nicht zum Gottesstaat.

Oder die Intifada in Jerusalem und in der Westbank: Man erkennt sie wieder, die gleichen Jungs, nur anders kostümiert, die in Paris und London die Stadt aufgemischt haben. Verwahrloste Jugendliche, für die es keine Autorität, Führung und Unterstützung durch die Familie mehr gibt. Wie in den amerikanischen Slums.

Beispiel Irak: Die ersten Unternehmen, die sich etablierten, waren Porno-Kinos, eine Goldgrube für die Betreiber. Der Andrang war gewaltig. Erst danach kam der Mobilfunk.

Ich schließe aus diesem Informationenmix, dass der Islam exakt so faul und morsch wie das Christentum im Westen ist. Bei allen Konflikten in Nahost geht es ja in Wahrheit auch gar nicht um Religion, sondern um Politik und darum, wer an den Schaltstellen sitzen darf und wer das größere Stück vom Kuchen bekommt. Über Religionsfragen könnten Sunniten und Schiiten sich wohl einigen, nicht aber darüber, wer den Präsidenten stellen und den Reichtum absahnen darf. An diesem Punkt hört die Toleranz auf. In solchen Konflikten ist die Konfession ein Vorwand unter vielen. In Kenia liefen die Fronten entlang der Stammesgrenzen.

Die Einheit des Islams ist eine Projektion des Westens, die freilich auf die Moslems nicht ohne Wirkung bleibt. Sie fangen an, sich selbst so zu sehen, wie sie wahrgenommen werden. Das ist der übliche Mechanismus.

Fundamentalismus ist immer ein Krisensymp­tom, egal ob in den USA, in Nahost oder hier. Oder in Israel, muss man aus aktuellem Anlass dazusagen. Immerhin sehen die Israelis Anlass, gegen jüdische Religionsfanatiker zu demonstrieren. Wenn Gesellschaften in einer tiefen Krise stecken, werden sie unberechenbar, und die Außenpolitik hat immer innenpolitische Gründe. Ganz einfach: Der Iran braucht Atomwaffen, weil die Gesellschaft zerfällt, der Islam sie nicht mehr kitten kann und der Staat das Drogenproblem bei Jugendlichen nicht in den Griff kriegt. Weiß der Teufel, was daraus wird. Sicher ist nur: Mit dem Koran hat das nichts zu tun.

Der Islam kommt mir vor wie eine abbruchreife Ruine, aber einsturzbedrohte Altbauten können lebensgefährlich sein. Richtig mörderisch ist ja auch das Christentum erst mit seinem beginnenden Zerfall geworden, d.h. als sich erste Zweifel an der Glaubenslehre zu regen begannen. Um Ketzer verbrennen können, braucht man welche, und um sie zu finden, braucht man den Ketzer in der eigenen Brust: Ich entdecke nur Ungläubige, wenn ich mir so was wie Unglauben überhaupt vorstellen kann. Das konnten die Menschen im frühen Mittelalter zum Beispiel nicht. Folglich hielt sich die Aggressivität des Christentums damals in Grenzen, richtig biestig wurde es erst später.

Eine Religion fängt man sich so leicht ein wie einen Schnupfen, aber es ist verdammt schwer, sie wieder los zu werden. Wenn alles schon gelaufen scheint, erweist sich der Restmüll als entsorgungsresistent, er wird entgelagert. Zwar sind bei uns die Gläubigen und Kirchen so was wie die Zehn kleinen Negerlein im Abzählreim, aber es geht langsam voran, und für den Vatikan, diese strahlende Ruine, ist ein Ende der Halbwertzeit noch gar nicht abzusehen. Und solange besteht immer Gefahr, dass es im Schrotthaufen zu einer unkontrollierten Kettenreaktion kommt, wie in Fukushima. Was man manchmal von christlichen Fundamentalisten in Amerika hört, gibt schon Anlass zur Sorge, ob die Notkühlsysteme noch funktionieren. Harrisburg scheint ja dicht zu sein, ob das auch für den christlichen Fundamentalismus gilt, weiß man nicht. Angst davor haben sie jedenfalls alle.

Man nenne mir einen einzigen deutschen Politiker, der vor laufender Kamera sagt: »Christentum? Religion? Dieser alberne Hokuspokus interessiert mich nicht.« Man nenne mir einen einzigen, der, wenn es hart auf hart kommt, nicht den Gläubigen macht. Und warum heuchelt er? Weil er Angst hat. Klar, gesteinigt wird er deshalb nicht. Aber seinen Job kann er vergessen. Er muss dann ins Kabarett oder ins Feuilleton wechseln, die Hofnarren dürfen plappern.

Es ist viel Projektion und überhaupt Psychopathologie im Spiel, bei dieser geschürten Angst vor dem Islam, und das Interessengestrüpp ist fast unentwirrbar. Die Kirchen zum Beispiel konkurrieren zwar gegeneinander, aber alle zusammen verhalten sich wiederum wie ein Branchenverband. Wenn hier Moscheen gebaut werden sollen, unterstützen die christlichen Kirchen das Vorhaben. Es geht um Markterweiterung. Hauptsache, die Leute sind Kirchenkunden. Dann ist es nur noch eine Frage der Geschäftsstrategie, ob sie mein Produkt kaufen oder das der Konkurrenz. Wenn die Kunden sich an Rama gewöhnt haben, kaufen sie auch Sanella.

Konkurrenz ist gut für’s Geschäft, besonders auf dem Markt der Weltanschauungen. Die Fundis in Teheran und Washington wissen ganz genau, was sie aneinander haben. Der Iran und die Taliban – wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Unglücklicherweise gibt es sie. Jeder schafft sich den Feind, den er braucht. Bei der Herstellung der Spezies Taliban haben nachweislich US-Thinktanks Regie geführt. Und beim Iran sollte man nicht ganz vergessen, dass der Irre aus Paris, der später Ayatollah wurde, nur deshalb so erfolgreich war, weil zuvor die westliche Wertegemeinschaft dort zur Freude deutscher Hausfrauen und amerikanischer Ölkonzerne einen Pfauenthron installiert hatte.

Aber das ist Geschichte. Gegenwart ist, dass alle Nationen in der Krise stecken. In den westlichen Ländern merken die Leute, dass man sich für die Freiheit, zu schimpfen, nichts kaufen kann. Und in den islamischen Ländern merken sie, dass man für den Islam auch nichts kriegt. Der Kitt bröckelt überall, aber die Scheiben halten, es gibt ja auch noch die Nägel, mit denen sie vor dem Verkitten fixiert worden sind.

Solche Desillusionierungsphasen sind heikel. Warum fingen die Moskauer Schauprozesse 1936 an, als das Regime fest im Sattel saß? Ganz einfach: Nun hätte das Arbeiterparadies auf Erden Wirklichkeit werden müssen. Wurde es aber nicht. Und bevor die Massen das merken, muss man ihnen einen neuen Feind und eine neue Aufgabe liefern.

Warum haben die Nazis 1938 den Krieg angefangen? Weil sie mit ihrem Latein am Ende gewesen sind. In Deutschland ließen sich beim besten Willen keine Gegner oder Feinde mehr finden, die Nazis waren unter sich. Nun hätte die versprochene Volksgemeinschaft eigentlich existieren müssen. Tat sie aber nicht. Die Tippse musste merken, dass sie so arisch sein konnte wie sie wollte und trotzdem eine armselige Tippse blieb. Was tun? Auf zu neuen Ufern! Wenn wir die Welt erobert haben, aber dann! Dann endlich sind wir so weit, dass jeder deutsche Pavian irgendwo den Herrenmenschen spielen kann.

Man kann nur hoffen, dass die Muslime in den arabischen Nationen sich nicht am europäischen oder christlichen Vorbild orientieren. Gebe Allah, dass sie schlauer sind.

So schlau, wie die Kommunisten ein einziges Mal in ihrer Geschichte gewesen sind. Damals, 1989 nämlich, als die Ossis unsere D-Mark klauten und uns mit dem Soli auch noch tributpflichtig machten. Seit Mauer und Eiserner Vorhang weg sind, haben wir keinen Schutzwall mehr. Der Ostblock flutet die Touristenstrände rund ums Mittelmehr, wo man mit D-Mark in der Tasche einmal König war und sich heute neben neureichen Russen wie ein Penner fühlt. Was im Schaufester steht, kommt aus China, Russland, Polen, der Slowakei und so weiter. Die dicken deutschen Lohnabhängigen mit dem dicken Opel müssen lernen, wie sich richtige freie Marktwirtschaft anfühlt, nämlich wie Hartz IV.

So muss man es machen, den Westen mit seinen eigenen Waffen bekämpfen. Zwanzig Jahre Mauerfall, und der Westen steht vor dem Staatsbankrott. Die Bevölkerung in den arabischen Ländern ist im Schnitt unter dreißig Jahre alt – ein Schatz, den man nur heben muss. Und wenn sie das schaffen, sieht Europa so alt aus, wie es ist.

Lang lebe erst mal der Kapitalismus!

Und über den Sozialismus reden wir, wenn Deutschland und Uganda den gleichen Lebensstandard haben.