Kein Fortschritt ohne Kapitalismus und Krieg
Weil das heutige Leben nicht als Hölle empfunden wird, sondern man sich wohlig darin eingerichtet hat, versucht man, das Kapital mit falschen und unhaltbaren Anschuldigungen wie »exzessiver Egoismus der Reichen« zu denunzieren.
Eine andere Variante ist der Verweis auf neun Millionen Hungertote jährlich, wobei verschwiegen wird, dass sieben Milliarden Menschen leben und die Erde noch nie so viele Menschen ernähren konnte wie unter der Herrschaft des Kapitals. Sogar für Auschwitz wird das Kapital verantwortlich gemacht, und das kann nur heißen, dass man das Kapital ganz nett finden würde, wenn es nicht für Auschwitz verantwortlich wäre.
Das ist es aber nicht. Auschwitz hat viel mit Deutschland zu tun und wenig mit dem Kapital. Das Kapital ist keine Mordmaschine, eher so was wie eine Universalreligion. Universalreligionen sind zum Beispiel Christentum und Islam. Beide beanspruchen, für alle Menschen zu gelten, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Darum missionieren sie. Expansion ist das Ziel. Je größer der Verein, desto besser. Eine Monopolstellung ist erwünscht.
Ganz anders die Indianer im Amazonasgebiet. Jeder Stamm hat seinen Spezialgott. Und den will er mit keinem teilen, der nicht zum eigenen Stamm gehört.
Für die Universalreligionen ist jeder Mensch potentielles Mitglied. Man bringt ihn nach Möglichkeit nicht um, sondern man bekehrt ihn. Für den Kapitalismus ist jeder Mensch ein potentieller Kunde. Deshalb schont man nach Möglichkeit sein Leben. Denn tote Kunden sind schlechte Kunden. Massenmord ist geschäftsschädigend und wird deshalb vom internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verfolgt.
Man sollte nicht vergessen, dass Nazideutschland den Krieg verloren hat. Der Massenmord war ineffizient. Mit zum Skelett abgemagerten KZ-Häftlingen in den Rüstungsfabriken gewinnt man keinen Krieg. Die Sklavenarbeit wurde ja nicht aus Humanitätsduselei von der Lohnarbeit abgelöst. Letztere funktioniert einfach besser.
Und Nazi-Deutschland hat nicht nur den Krieg verloren und dergestalt unabsichtlich den Gegnern geholfen, der Welt zu zeigen, wo der Hammer hängt, nämlich nicht bei deutschen Blut- und Bodenspekulanten.
Deutschland hat unter den Nationalsozialisten sich generell große Verdienste um die Entrassifizierung der Welt erworben. Die fing nämlich im Zweiten Weltkrieg an, als Amerika seine Schwarzen und England seine Gurkha, Inder und Malaien an die Front schicken mussten. Die Farbigen merkten natürlich, wie gut sie waren und wie wichtig, und danach war es mit der weißen Vorherrschaft bald vorbei, das Empire ging flöten. Auch die Franzosen wurden nach ihrer Blamage in Zweiten Weltkrieg nicht mehr ernst genommen. Sie verloren jeden Kolonialkrieg, egal ob in Indochina oder Nordafrika.
Wenn man das NS-System nach dem Kriterium »rassenhygienische Effizienz« beurteilt, dann haben sich die Nazis selbst in den Hintern geschossen und für die Emanzipation der Schwarzen mehr geleistet als Martin Luther King. Nicht mal mehr in Südafrika kann ein deutscher Kaffer seiner Hautfarbe wegen den Herrenmenschen spielen. Aus der Traum. Und wer hat die rassistischen Pogrome in der Zone nach dem Mauerfall gestoppt? Die Linke? Die hat damals »Häschen in der Grube« gespielt. Was ein Glück für die Ausländer, dass sie nicht auf diese Duckmäuser angewiesen waren. Sie hatten einen viel besseren Verbündeten, nämlich das deutsche Großkapital. Bild, Stern, ARD, ZDF, Deutsche Bank, Siemens etc. haben volle Breitseite gefeuert. Topmanager mögen es nämlich gar nicht gern, auf Geschäftsreise in Indien einen Großauftrag an Land ziehen zu müssen, während in Cottbus gerade fünf Inder halb tot geprügelt worden sind. Das ist Gift für die Verhandlungsposition.
Zurück zum Krieg: Man stutzt manchmal, wenn man liest, mit welchen hymnischen Tönen sich Marx über ihn auslässt, ich zitiere kurz aus dem »Rohentwurf« Seite 378:
»Der Krieg ist daher die große Gesamtaufgabe, die große gemeinschaftliche Arbeit, die erheischt ist, sei es um die objektiven Bedingungen des lebendigen Daseins zu okkupieren, sei es um die Okkupation derselben zu beschützen und zu verewigen.«
Aber der Krieg leistet ja noch viel mehr. Nicht nur, dass wir ihm, wie eben skizziert, die Emanzipation der Kolonialvölker von imperialistischer Herrschaft verdanken.
Die Frauenemanzipation ist nur der Legende zufolge von Alice Schwarzer erfunden worden, in Wahrheit geht sie auf eine Initiative von Kaiser Wilhelm zurück, auf seinen Entschluss, einen Krieg gegen den Rest der Welt anzufangen. Weil die Männer sich alle – allgemeine Wehrpflicht! – auf den Schlachtfeldern wechselseitig umbrachten, zogen an der Heimatfront, in den Fabriken und Büros, die Frauen die Hosen an. Und die haben viele nicht mehr ausgezogen. So wurde aus dem Sekretär die Sekretärin, ein typischer Frauenberuf in der Zwischenkriegszeit und danach.
Was ich damit sagen will: Geschichte ist ein dermaßen verzwicktes und verrücktes Spiel, dass niemand wissen kann, was er womit erreicht.
»Der erste Weltkrieg als Vorkämpfer der Frauenemanzipation, der zweite Weltkrieg als Wegbereiter der Entkolonisierung – bist du noch zu retten?« Auf diesen Vorwurf kann man sich verlassen.
Man frage nicht mich, man frage die Menschheit, warum sie Kriege braucht, um voranzukommen. Oder man frage den lieben Gott. Der soll die Menschen ja gemacht haben. Ich war es jedenfalls nicht.
Auch der Industriekapitalismus ist gewissermaßen ein Kriegskind. Wer installierte den Massenmarkt als Voraussetzung für die industrielle Massenproduktion? Nein, nicht die Werbung. Das Militär natürlich. Allgemeine Wehrpflicht heißt, dass man auf einen Schlag 100.000 und mehr Uniformen braucht, und den Stoff und den Zwirn dafür. Erst bei garantiertem Absatz in solchen Dimension wird es für den Kapitalisten interessant, Maschinen konstruieren zu lassen und große Fabriken zu bauen. Und damit war die Textilindustrie geboren, die erste industrielle Massenproduktion überhaupt, welche dann die Industrialisierung weiterer Produktionszweige nach sich zog.
Vielleicht sollte man der Linkspartei mal eine Sammlung mit Marxzitaten schicken, von Passagen, in denen sich Marx über den Krieg äußert. Vielleicht exkommunizieren sie ihn dann. Das wäre vor allem für Marx ein Gewinn.
Man kann mir vorhalten, ich selbst hätte in meinem Buch »Brothers in Crime« die Überflüssigwerdung der Menschen thematisiert, was zwar nicht ihre vorsätzliche Tötung, aber doch die weitgehende Aussortierung bedeutet. Und dafür schaffe der Kapitalismus ja tatsächlich die Voraussetzungen. Man muss unterscheiden. Als Subjekte werden die Menschen überflüssig. Reduziert auf bedürftige und ausgehaltene Kreatur aber sind sie ein Posten in der Volkswirtschaft. Man streiche allen Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Rentnern etc. die Bezüge und die Krankenversicherung. Was passiert? Die Kliniken entlassen Personal und machen Pleite, der Lebensmitteleinzelhandel geht in die Knie, Zigtausende Sozialbürokraten werden arbeitslos. Ein funktionierender Kapitalismus ist eben auf Massenproduktion und folglich Massenkonsum angewiesen. Wenn nur die Superreichen sich einen Flug leisten könnten, wäre er auch für sie zu teuer. Und zu gefährlich.
Um das Jahr 2000 herum hätte man für Computerschrott gutes Geld bekommen, wenn man noch welchen im Keller hatte. Die NASA suchte händeringend Intel 8088-Prozessoren. Die waren 1980 auf den Markt gekommen und mit 5 Mhz getaktet, aktuelle Prozessoren sind um den Faktor 500 bis 1000 schneller. Aber die alten Dinger waren extrem sparsam beim Stromverbrauch gewesen und extrem robust, und deshalb wollte die NASA welche haben. Aber natürlich nicht so viele, dass es sich gelohnt hätte, eine Fabrik dafür zu bauen. So eine Fabrik ist nämlich wahnsinnig teuer und wird erst rentabel durch den Massenmarkt.
Man kann mir ferner vorhalten, ich hätte früher gegen den Kulturimperialismus polemisiert. Habe ich, aber nicht, ohne dazuzusagen, dass er in Deutschland ein zivilisatorischer Fortschritt war. Doch es stimmt, dass man es damals mit Grauen sah, wenn man in Griechenland oder der Türkei statt Mokka Cola bekam.
Zum letzten Mal ging es mir so bei einem Fernsehbericht über eine Südseeinsel. Die Eingeborenen hatten gar nichts, nur ihre Hütten aus Palmwedeln. Und diese Eingeborenen saßen nun abends an ihrem idyllischen Strand auf ihrer wunderschönen kleinen Insel, und zwar um einen Fernseher herum, der von einem Generator mit Strom versorgt wurde.
Der erste Gedanke: Furchtbar! Da lassen diese Eingeborenen sich nun von Seifenopern und Reklame verblöden, statt einander Geschichten zu erzählen und ihre Tänzchen zu machen oder im Chor zu singen oder so was. Das wäre doch viel besser, schöner, unterhaltsamer.
Für mich.
Für die aber offensichtlich nicht. Vielleicht hatte es ihnen schon lange zum Hals herausgehangen, wenn der Opa oder der Stammesälteste immer die gleichen alten Geschichten erzählt. Vielleicht mochten sie ihre Lieder und Tänze nicht mehr, weil sie die schon zu oft getanzt und gesungen hatten. Es muss ja einen Grund geben, warum sie den Fernseher, den Generator und die Satellitenschüssel beschafft hatten. Vermutlich war es so, dass sie als sterbenslangweilig empfanden, was uns als Idylle erscheint.
Es scheint jedenfalls so zu sein, dass alle Menschen, die in Kontakt mit der glitzernden Warenwelt des Kapitalismus kommen, ihren Verlockungen und ihrem trügerischen Glanz erliegen. Vielleicht ist der Mensch einfach so gebaut, dass er seine Erfüllung im Kapitalismus findet. Früher hätte ich einen solchen Verdacht empört zurückgewiesen. Heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, kann ich nur sagen: Ich weiß es wirklich nicht.