April

1. April

Als ich heute Morgen den »Hetzkurier« durchblätterte, stieß ich auf eine Story mit der Überschrift »Geld wächst wirklich auf Bäumen!« Berichtet wurde von einem Mann, der einen Zehn-Pfund-Schein in seinem Garten vergraben hatte und dann einen Busch vorfand, dessen Blätter aus Zehnern bestanden.

Das fand ich selbst für den »Hetzkurier« ziemlich gewagt, aber dann sah ich, dass wir heute den 1. April hatten. Als ich später zum Mittagessen zu Jack und Chrissie fuhr, war ich also auf allerhand Aprilscherze mental vorbereitet.

Für einen kleinen Jungen ist es das Tollste überhaupt – vor allem am 1. April –, seine Oma zum Narren zu halten. Eigentlich hat ja jeder Spaß daran, eine machtvolle Figur aus dem eigenen Leben auf einer Bananenschale ausrutschen zu sehen. Ich habe Jack nie mehr so lachen sehen wie damals, als er zehn Jahre alt war und ich im Morgenmantel hinterrücks in den Gartenteich fiel. Noch heute kann er sich kaum beruhigen, wenn ich das erwähne.

Gene machte mir die Tür auf. Er trug eine Plastikrüstung mit der Aufschrift »Star Wars«. Ich ging in die Küche und hatte kaum meine Tasche abgestellt, als Gene mit unterdrücktem Kichern sagte: »Setz dich auf diesen Stuhl, Oma.« Er wies auf einen Stuhl, unter dessen Sitzauflage unübersehbar ein rosa Furzkissen hervorragte. Ich ließ mich nieder und zeigte mich angemessen verblüfft und beschämt über das Furzgeräusch. Dann schnappte Gene sich das Kissen und legte es auf einen anderen Stuhl, und ich sollte mich wieder setzen. Obwohl er ja nun wusste, dass ich im Bilde war, fand er meine Reaktion trotzdem komisch. Ich brachte zwanzig Minuten damit zu, mich immer wieder auf dem Furzkissen niederzulassen und Erstaunen und Scham zum Ausdruck zu bringen, und die Reaktion war jedes Mal die gleiche. Gene schüttete sich aus vor Lachen und schrie: »April, April!«

»Gib mir mal die Hand, Oma«, forderte er mich schließlich auf, als die Furzorgie allmählich an Reiz verlor. An seinem Finger steckte ein überdimensionaler Ring, und seine Hand war zu klein, um das Metallplättchen vom Handschocker zu verbergen. Beim Händeschütteln kribbelte es in meiner Hand. »April, April!« Dann: »Du bist echt erschrocken, oder, Oma? Du hast gedacht, ich hätte echt einen Ring an, oder?«

Nach meinem Riesenschreck angesichts dieses genialen Scherzes spazierte Gene zur Küchenspüle. Als er zurückkam, sagte er: »Riech mal!« Er hielt mir eine nasse Plastikblume unter die Nase, die mit einem Loch in seiner Rüstung verbunden war. »April, April!«, schrie er dann begeistert, als er unter seiner Rüstung auf den Ballon gedrückt hatte und mir aus der Blume Wasser ins Gesicht spritzte. Ich spuckte und fuchtelte mit den Armen und verlangte keuchend nach einem Handtuch, als wäre ich von den paar Spritzern komplett durchnässt worden.

Schließlich fragte er: »Hast du Hunger? Magst du eine Erdnuss?« Er erstickte fast vor Lachen, als ich die Dose aufschraubte und vollkommen aus der Fassung geriet, weil mir eine Raupe an einer Feder ins Gesicht sprang. »APRIL, APRIL! HAHAHAHA!!!«

Meines Erachtens lässt sich die seelische Reife von Erwachsenen daran erkennen, ob sie bei solchen Streichen mitspielen oder nicht. Als Gene letztes Jahr Tim, Marions langweiligem Mann, die – ihm bereits vom Vorjahr bekannte – Erdnussdose anbot, verkündete Tim, das sei ein Aprilscherz und, nein danke, er wolle keine Erdnuss. Woraufhin er in meiner Achtung so weit sank, dass ich wochenlang keine Lust mehr hatte, mit ihm zu reden.

Als Kind hatte ich natürlich selbst meine wahre Freude an Aprilscherzen. Marion und ich haben vor unserem Haus Münzen auf den Gehweg geklebt und uns dann schiefgelacht, wenn nichts ahnende Passanten sich die Fingernägel abbrachen beim Versuch, die Geldstücke aufzuheben. Wir bastelten auch leere Pakete, stellten sie vors Haus und konnten uns kaum mehr beruhigen, wenn jemand eines mitnahm. (Wenn man heutzutage so ein Paket finden würde, wäre die gesamte Gegend binnen Kurzem von schwer bewaffneten Polizisten abgeriegelt und von Helikoptern überwacht.)

Und es war natürlich auch immer wahnsinnig komisch, in der Schule einem Mädchen einen halb leeren Wasserkrug zu reichen, dabei aber so zu tun, als wäre er total schwer – mit dem Ergebnis, dass sie sich bekleckerte.

Ich hatte jedenfalls einen schönen Tag mit der Familie. Einer von Genes Schneidezähnen ist locker; wie seltsam, wenn man bedenkt, dass ich doch erst vor kurzer Zeit so aufgeregt war, als er plötzlich aus dem Zahnfleisch herausschaute! Sehr zufrieden und entspannt heimgekommen.

5. April

Oh, mir graut bei der Vorstellung, dass sie nächsten Monat abfahren. Ich wünschte, ich könnte mir eine Wohnung im selben Haus in New York kaufen, und dann könnte Gene einfach zu mir kommen, und wir würden zusammen Origami-Boote basteln oder auf dem Klavier herumklimpern. Ich werde sie so entsetzlich vermissen. Es kostet mich enorme Mühe, tapfer zu sein. Bei jedem Treffen versuche ich krampfhaft, fröhlich zu wirken, munter in die Hände zu klatschen und lachend Sätze wie »Na klar werdet ihr mir fehlen, aber ich hab so viel um die Ohren, weiß nicht mal, ob ich überhaupt Zeit habe, euch zu besuchen!« von mir zu geben, damit sie sich bloß keine Sorgen um mich machen.

Um mich aufzuheitern, habe ich mir Pflanzen aus einem Katalog bestellt, der mir aus irgendeinem Grund zugeschickt wurde. Auf dem Titelblatt war ein Geranienmeer in leuchtenden Violett-, Rosa- und Gelbtönen abgebildet, das an Frühlingsdüfte und Sonnenschein erinnerte. Ich hoffe, die liefern schnell. Habe Calibrach-irgendwas geordert.

Archie sollte mich eigentlich an diesem Wochenende besuchen, kam aber nicht. Ich rief an, um nachzufragen, aber er hatte eindeutig keine Erinnerung an die Verabredung und sagte nur, er sei gerade beim Mittagessen.

»Ich mache mir Sorgen wegen Mrs Evans«, meinte er. »Sie hat Philippas Brosche gestohlen.«

»Das ist nicht Philippas Brosche, sondern meine«, erwiderte ich. »Und sie ist bei mir.« Das Ganze erinnerte mich allmählich an eine hängende Schallplatte.

»Du hast sie?«, fragte Archie. »Aber ich hab sie dir doch gar nicht geschenkt. Du hast sie doch nicht etwa gestohlen, oder?«

»Nein, Schatz, sie ist bei mir, weil du sie mir geschenkt hast. Sie hat niemals Philippa gehört. Ich habe dir erzählt, dass ich sie verkaufen wollte, um das Facelifting zu finanzieren, und du warst damit einverstanden.«

»Oh«, sagte er, als wäre jetzt der Groschen gefallen, aber ich merkte, dass er keine Ahnung hatte, wovon ich redete. Er versuchte, die Sache zu überspielen. »Ach, du hast sie. Richtig, ich erinnere mich. Dann ist ja alles bestens.«

Wir plauderten ein bisschen, doch dann sagte er, er müsse jetzt aufhören. »Wann kommst du mich besuchen, Liebling?«, fragte er. »Ich habe dich ja seit Monaten nicht gesehen. Hier ist alles so schön. Die Glockenblumen werden bald blühen. Und ich möchte gern noch mit dir sprechen, bevor ich Mrs Evans rauswerfe. Ich kann ja keine Diebin im Haus haben, nicht wahr? Wer weiß, was sie als Nächstes stiehlt.«

Spontan dachte ich: Wieso nicht gleich? Archie hatte nichts vor, und wenn ich mich vorher ankündigte, hatte er in letzter Zeit immer Ausflüchte gemacht. Deshalb sagte ich entschieden: »Ich mache mich gleich auf den Weg, in ein paar Stunden bin ich bei dir!«, so dass er es sich nicht anders überlegen konnte.

Ich schrieb Michelle eine Nachricht, damit sie Pouncer fütterte, warf ein paar Sachen in einen Koffer und raste dann, bedrückt und besorgt, im Eiltempo nach Devon. Unterwegs wurde mir klar, dass ich ab jetzt nie wieder unbeschwert zu Archie fahren würde. Dass mein lieber alter Freund zu verschwinden begann und eine der glücklichsten Phasen meines Lebens sich dem Ende zuneigte.

Es dämmerte schon, als ich ankam, und zu meiner Freude schien Archie mich sogar zu erwarten! Als er meinen Wagen auf der Zufahrt hörte, öffnete er sofort die Tür und blickte erwartungsvoll zu mir herüber.

»Philippa!«, rief er, als ich ausstieg. »Wie schön! Ich habe dich so lange nicht gesehen! Liebling!« Und er schloss mich in die Arme.

Hielt er mich tatsächlich für Philippa? Oder verwechselte er nur unsere Namen? Ich wusste es nicht, und es war mir auch einerlei. Archie nahm meine Reisetasche aus dem Auto und führte mich ins Haus. Kurz vor seinem Schlafzimmer blieb er stehen. »Da wären wir«, sagte er und öffnete die Tür von einem der Gästezimmer. »Ich hoffe, das Zimmer gefällt dir!«

»Aber, Schatz, normalerweise … Ich meine, sonst schlafe ich doch immer bei dir«, erwiderte ich nervös.

»Ich weiß, Liebling«, entgegnete er, plötzlich wieder ganz der alte Archie. »Aber ich habe wohl angefangen schlafzuwandeln, meine Süße. Ich weiß nicht, warum. Bin in letzter Zeit öfter an sonderbaren Orten gelandet. Ich möchte dich nicht stören«, fügte er etwas kläglich hinzu. »Bin manchmal so durcheinander.«

Ich nahm seine Hände und blickte ihm in die Augen. Dann küsste ich ihn.

»Wenn du dich damit wohler fühlst«, sagte ich, »ist das kein Problem.«

Natürlich war es ein Problem für mich, aber was sollte ich tun? Ich konnte mich ihm ja nicht aufdrängen. Und weil er sich so ernsthaft und so sehr wie früher angehört hatte, war mir auch klar, dass er um seinen bedrohlichen Zustand wusste. Und er spürte, dass ich es wusste.

7. April

Bin gerade zurückgekommen. Ach, das ist alles so schlimm! Ich hoffe so sehr, dass Sylvie mit ihm zur Ärztin geht. Wenn ich das Sagen hätte, dann hätte ich Archie schon in die Praxis geschleift, als er seine Brille verlegt hatte. Aber ich kann mich da nicht einmischen, weil Sylvie die Verantwortung für ihn trägt und sich furchtbar aufregen würde.

9. April

War eben in meinem kleinen Lebensmittelladen an der Ecke und habe Tiefkühlerbsen gekauft. Weil ich das Geld nicht passend hatte, hat man mir einen Penny erlassen. Was natürlich sehr nett ist, aber ich weiß jetzt schon, dass diese Schulden mich verrückt machen werden. Was ist schon ein Penny, könnte man sagen. Aber für mich hat ein Penny noch denselben Wert wie zu der Zeit, als ich Süßigkeiten kaufen ging. Ich darf also keinesfalls vergessen, ihn zu bezahlen.

10. April

»ÖFFENTLICHES TODESWESEN!«, brüllt der »Hetzkurier«. »Mehr Menschen sterben in Krankenhäusern als im Blitzkrieg! Warnung für Kranke: nicht zum Arzt gehen!«

Michelle, die der Küche einen Kurzbesuch abstattete, um ihr Yakult-Frühstück einzunehmen, starrte entsetzt auf die Schlagzeile. »Iesch muss sum Arzt ’eute Nachmittag! ’offentlisch iesch sterbe niescht!«

»Natürlich nicht!«, erwiderte ich beruhigend und ließ die Zeitung aus ihrem Blickfeld verschwinden. »Das ist alles völliger Blödsinn.«

Im Ernst: Ich muss unbedingt diese grauenhafte Zeitung abbestellen. Das kann ja gar nicht stimmen. Dieses blöde Blatt versetzt die Menschen in Angst und Schrecken.

11. April

Penny kam zum Lunch, damit wir das Anwohnertreffen durchsprechen konnten. Sie hatte riesige Pläne von unserem Viertel sowie die Unterlagen des Stadtrats dabei und legte alles auf dem Tisch aus. Ich fand das Ganze recht unverständlich, aber Penny war bestens vorbereitet.

»Das ist ein Riesenprojekt«, stellte sie fest. »Und wir können es uns nicht erlauben zu verlieren. Ich fürchte, wir sind nicht genug Leute, um uns gegen die Pläne durchzusetzen. Wir brauchen dringend mehr Mitglieder im Komitee.«

»Bislang sind da nur du, ich, James, Marion und Tim«, sagte ich zweifelnd. »Du hast Recht.« Dann kam mir ein Gedanke. »Warum fragen wir nicht Pfarrer Emmanuel von der evangelischen Kirche an der Ecke, ob er mitmachen möchte? Das wäre doch gut.«

»Du meinst Praise the Lord Inc.? Wo früher die Autowerkstatt war?«, sagte Penny. »Kennst du den? Wäre natürlich eine Hilfe, wenn er mit einsteigen würde. Fragst du ihn?«

»Und wie wär’s mit Sheila der Dealerin? Ihren Nachnamen weiß ich nicht, aber sie lebt seit dreißig Jahren hier«, gab ich zu bedenken. Sheila ist ein wandelnder Albtraum – rassistisch und komplett verrückt –, aber sie kann hart zuschlagen, und wenn sie mal brüllt, hört man es in der ganzen Straße. Sie an der Seite zu haben wäre auf jeden Fall von Vorteil, weil sie der dienstälteste Drogendealer des Viertels ist und zweifellos den Respekt ihrer Kollegen hat.

»Sheila wer?«

»Sheila die Dealerin«, sagte ich. »Ich hab keine Ahnung, wie sie wirklich heißt. Vermutlich hat sie schon einen bürgerlichen Namen. Das ist die, die immer auf der Straße raucht, weißt du.«

»Und wie wär’s mit dem Mann aus der Moschee … dem Imam? Der wäre auch gut. Religiöse Führer sind immer wirksam. Die kommen beim Stadtrat mit allem durch. Mit denen will sich keiner anlegen.«

»Ich kann’s versuchen. Aber der ist ein bisschen schüchtern, glaube ich. Und ich weiß auch nicht, wie gut sein Englisch ist.«

»Sieh zu, dass du den auf unsere Seite bringst. Das wäre so cool«, meinte Penny.

Komisch, diese Ausdrücke wie »cool«. Die kommen scheinbar wieder in Mode. Für junge Leute muss es seltsam sein, ihre Jugendsprache aus dem Mund von Leuten im Alter ihrer Großeltern zu hören. Als ich neulich beim Einkaufen einem zierlichen jungen Mädchen das Geld passend hinlegte, sagte sie »klasse«. Dieses Wort habe ich seit den Sechzigern nicht mehr gehört. Aber vermutlich sind all diese Wörter ursprünglich von Druiden oder den alten Griechen oder sonst wem erfunden worden.

12. April

Als ich zur Akupunkteurin aufbrach, fiel mein Blick wieder auf unser Pärkchen in der Straße, das nun vom Stadtrat zerstört werden sollte. Und mir kam eine Idee. Anstatt jeden Monat meinen Garten zu malen, könnte ich das doch mit den Bäumen in der Grünanlage machen! Wie David Hockney. Die Bäume zu jeder Jahreszeit. Würde auch mehr Sinn ergeben. Wir könnten eine Ausstellung über die zum Untergang verurteilten Bäume machen und die als Publicity für unsere Kampagne nutzen.

Der Akupunkteurin habe ich beim Reinkommen gleich erzählt, dass sich ihre Praxis auf der nördlichen Hälfte der Oxford Street befinde, westlich vom Oxford Circus. Das schien sie komplett zu verblüffen. Dabei sollte sie das wirklich wissen. Sie kann kaum jünger sein als ich.

Aber sie war mit Leidenschaft bei der Sache. Sie hieß Vishna – was zu einer rundlichen Weißen mittleren Alters nicht gut passte, sie gab sich jedoch alle Mühe, entsprechend zu wirken, indem sie sich in indische Tücher hüllte und nach Patschuli roch. Am Boden standen kleine rote Lämpchen, an den Wänden hingen Schaubilder von den Akupunkturpunkten, ein gewaltiger Buddha hockte auf einem niedrigen Lacktisch, und überall im Raum trieben Kerzen in Wasserschalen. Zu dem Patschuliduft gesellte sich der unangenehm süßliche Duft von Räucherstäbchen.

Vishna blickte recht erstaunt, als ich ihr mitteilte, dass ich erstens etwas gegen meine knirschenden Gelenke und zweitens etwas für meine Entspannung tun wollte, damit ich eine reife Entscheidung über ein Facelifting treffen könnte. Doch dann hielt sie sich tapfer, indem sie meinen Mut lobte und sagte, ich sähe jetzt schon toll aus, nach der OP aber bestimmt noch wundervoller. Danach fand ich sie natürlich höchst sympathisch, trotz ihres mangelhaften Orientierungssinns.

Sie bot mir einen Platz an, machte sich Notizen und erklärte mir, wir hätten jetzt das Jahr des Tigers, und es sei ein hervorragender Zeitpunkt für ein Facelifting, denn der April sei Quelle für Energie, Vitalität und Neubeginn.

»Ich weiß, Sie glauben mir nicht«, sagte sie. »Aber Sie haben ein großartiges Jahr vor sich. Und nun mal ran an die Nadeln!«

Sie hatte Recht, ich glaubte ihr nicht, aber es tat dennoch gut, von einer liebenswürdigen Person etwas Aufmunterndes und Optimistisches zu hören.

Sie führte mich in ein kleines Zimmer mit einem Massagetisch. Im Hintergrund liefen Walgesänge, und ich bat sie sofort, die auszustellen. Meiner Erfahrung nach gibt es kaum etwas, das Entspannung effektiver verhindert als Walgesänge. Was teilen die sich da überhaupt mit? »Bring bitte Plankton mit, wenn du schon unterwegs bist, Schatz«? Oder: »Nimm dich vor Harpunen in Acht«? Plötzlich fiel mir der Penny ein, den ich dem Lebensmittelhändler schuldete. Musste den unbedingt bezahlen.

Vishna brachte die Wale zum Verstummen, dimmte das Licht und legte los.

»Diese hier ist gegen die Dämonen der Unentschiedenheit!«, verkündete sie und bohrte eine Nadel in meine Wade. »Und mit dieser werden Sie wieder ganz gelenkig … eine noch hier …« (Ich zuckte zusammen, als sie mir eine Nadel in die Lippe piekte.) »Die wird Sie in Fahrt bringen, es ist ein gutes Zeichen, dass Sie zucken, das bedeutet, dass Sie zum Leben erwachen …«

Nachdem sie mich so mit Nadeln gespickt hatte, dass ich mir wie ein Igel vorkam, legte sie mir die Hände auf den Kopf und intonierte: »Und nun sind wir ganz in unserer Mitte, wir sind voller Freude und Liebe. Eine goldene Flüssigkeit strömt von deinen Füßen in deinen Kopf und wieder zurück, in einem Kreis, dem Kreislauf des Lebens … bis in deine Zehen …« Sie stellte sich an meine Füße. »Verwurzelt in der Erde, deine Füße sind wachsende Wurzeln, mit denen du die Energie aus Mutter Erde aufnimmst, die im Einklang steht mit allen Planeten …« (In diesem Moment ließ sie eine Glocke ertönen.) »… und die Schwingungen sind in dir, im innersten Selbst, der wahren Marie, im tiefsten Inneren, und entfalten sich wie eine Blüte, die sich öffnet für einen Neubeginn und all deine Talente … ähm … Kunst … Kreativität … ähm … und sie treiben grüne Schösslinge in Verbindung mit allen Kräften …«

Es fiel mir schwer, ernst zu bleiben. Dann rieb sie an diversen Messingschalen, die schaurig wimmernde Laute von sich gaben, und bevor ich mich versah, war alles vorbei, und sie knöpfte mir sechzig Mäuse ab.

Zugegebenermaßen fühlte ich mich danach ziemlich entspannt, dachte mir aber, dass ich denselben Effekt auch hätte erreichen können, indem ich mich ins Bett legte und an die Decke starrte.

Aber immerhin konnte ich mir jetzt besser vorstellen, mich liften zu lassen.

13. April

Die Breitbandverbindung funktioniert wieder, und heute Nachmittag kommt James endlich vorbei, um Skype zu installieren. Ich weiß inzwischen genau, worum es sich bei diesem Wunder der Technik handelt. Verblüffend, dass man sich so eine Mini-Kamera auf den Computer stecken und dann umsonst mit Leuten am anderen Ende der Welt nicht nur sprechen, sondern sie dabei auch sehen kann. Klingt aufregend, finde ich. Aber bevor das bei mir eingerichtet wird, brauche ich wohl erst mal einen starken Drink. Wenn nämlich jemand an meinem Computer herumhantiert, bin ich derartig panisch, dass ich schon in Tränen ausbreche, wenn nur ein simples Anti-Virus-Programm installiert wird. Ich habe dann immer solche Angst, dass alle meine Dateien verschwinden und am Ende auf dem leeren Monitor »Ha! Ha! V-Wurm hat wieder zugeschlagen!« steht oder wie immer sich diese Viren nennen.

Es ist natürlich sehr lieb von James, dass er das für mich macht, weil ich in puncto Computer ein hoffnungsloser Fall bin. Allerdings spricht auch einiges dafür, sich für solche Angelegenheiten einen Mann ins Haus zu holen, den man für seine Dienste entlöhnt. Wenn nämlich ein Freund sich des Computers annimmt, muss man um ihn herumspringen, von seinen Fähigkeiten schwärmen und Sätze wie »Oh, du bist genial! Ich wäre schon froh, wenn ich nur halb so klug wäre wie du!« von sich geben. Das ist unerlässlich. Und man muss auch bereit sein, entsetztes Stöhnen über den Zustand des Rechners zu ertragen, bevor der Experte zur Tat schreitet. Etwa so, wie wenn man einen neuen Zahnarzt hat.

Ich weiß noch, wie ich vor zehn Jahren zu einem neuen Zahnarzt ging. Er warf einen Blick in meinen Mund und schüttelte den Kopf. »Wo um alles in der Welt waren Sie denn zuletzt mit Ihren Zähnen?«, fragte er dann. »In Usbekistan? War das überhaupt jemand vom Fach?«

»Uuhhuuu«, erklärte ich. Präziser konnte ich mich in jenem Moment nicht äußern. Aber das Ganze war ungeheuer ärgerlich. Vor allem, da jeder Zahnarzt sich so über die Arbeit seines Vorgängers auslässt.

Später

Ich hatte tatsächlich Recht mit der Zahnarzt-Analogie. Nachdem wir uns in meinem kleinen Büro um Genes Klappbett herummanövriert hatten, ließ James sich am PC nieder und beäugte missbilligend meinen Desktop.

»Was soll denn das da sein?«, fragte er und starrte auf ein mysteriöses Zeichen in Form eines roten Kreuzes, das ich noch nie beachtet hatte.

»Ach so, das. Keine Ahnung«, antwortete ich. »Das ist irgendwie aufgetaucht.«

»Gefällt mir nicht. Ich werd’s entfernen.«

Das nahm circa zehn Minuten in Anspruch. Ich saß untätig daneben und stierte vor mich hin, während James wie ein Chirurg herumhantierte, der eine komplizierte Hirnoperation durchführt. Dabei gab er diesen entnervenden Laut von sich, den Menschen heutzutage machen, wenn sie kundtun wollen, dass sie nachdenken, nämlich: »Te te te te …«

Dann sagte er unvermittelt, während er in die Tasten hackte: »Hier sollte kein Shortcut sein. Und weißt du, es wäre viel einfacher, wenn du …«

»Ganz bestimmt«, warf ich hastig ein. »Aber ich mag es so, wie es ist. Bitte ändere nicht zu viel, sonst komme ich nicht mehr zurecht!«

Kopfschüttelnd legte James die Skype-Disc ein, machte »Hm« und »Aah« und »Te te te« und wartete, während der Computer brummte und grübelte.

»Hast du Windows XP?«, fragte James.

Das fragen immer alle, die sich mit meinem PC beschäftigen. Ich weiß nicht mal, was Windows XP sein soll.

»Keine Ahnung«, sagte ich kleinlaut.

»Jedenfalls ist der furchtbar langsam«, erwiderte James. »Wie viel Gigabyte hast du noch frei?«

»Das weiß ich nicht, James.« Ich merkte, wie mein Puls zu rasen anfing. »Bitte stell mir nicht solche Fragen, die machen mir Angst!« Aus taktischen Gründen fügte ich noch hinzu: »Ich weiß eben nicht so viel über Computer wie du«, woraufhin ein zufriedenes und erhabenes Lächeln auf James’ Gesicht trat.

»Du hättest es viel leichter, wenn du dir ein App für deine Fotos installieren würdest«, meinte er dann.

Nun blieb ich stumm und umklammerte nur noch die Armlehnen meines Stuhls wie bei der bevorstehenden Notlandung eines Flugzeugs. Ich hatte eine vage Vorstellung, wovon James da redete, aber sobald jemand »App« sagt, gerate ich in Panik.

Schließlich hatte er alles geregelt und schlug vor, mich von zuhause anzurufen, damit wir uns über Skype unterhalten könnten.

Zum Abschied umarmte und küsste er mich und sagte: »Und vergiss das Porträt nicht! Ich möchte wirklich, dass du mir Modell sitzt, ja, Schätzchen?«

17. April

O Gott, gerade ist das Anwohnertreffen zu Ende gegangen. Ein Segen. Ich hatte es geschafft, Pfarrer Emmanuel dorthin zu scheuchen, und Marion und Tim kamen auch. Sie trug ein Laura-Ashley-Kleid, das aus den Sechzigern stammen musste, und er hatte inzwischen einen mordsmäßigen Kugelbauch. Die beiden leben in der Vergangenheit und sind ein gutes Beispiel dafür, dass man im Alter lieber Single bleiben sollte. Und dann fand sich erstaunlicherweise auch Sheila die Dealerin ein, mit grünen Plüschpantoffeln und der obligatorischen Kippe in der Hand.

»Macht euch doch nix, wenn ich eine rauche?«, fragte sie, als sie hereingeschlurft kam. Ich muss sagen, dass sie roch. Nach altem Pommes-Fett und überhaupt irgendwie schmutzig. »Alles Blödsinn, das Geschwätz übers Rauchen. Meine Oma ist einhundertdrei geworden und hat ihr Leben lang sechzig Kippen am Tag geraucht. Und gesoffen wie ein Loch. Alles schwachsinniges Gelaber, wenn ihr mich fragt.«

Nachdem wir uns alle um den Küchentisch versammelt hatten, tat Sheila ihre Meinung zum geplanten Hotelbau kund.

»Wer will’n hier überhaupt schon wohnen«, sagte sie. »Alles voller Neger und diesen Typen mit Spüllappen auf’m Kopf. Die Straßen dreckig, Lärm ohne Ende …«

Penny und ich wären am liebsten im Erdboden versunken. Ich kriegte Herzrasen und lief rot an, aber Pfarrer Emmanuel – der aus Antigua stammt – schien nichts gehört zu haben. Er saß gelassen am Kopfende des Tisches und lächelte milde.

Als er dann das Wort ergriff, stellte sich allerdings heraus, dass er wohl über den Anlass des Treffens im Unklaren war.

»Ein Hotel, das ist doch eine wunderbare Nachricht! Und der Herr weiß, dass wir wunderbare Nachrichten wahrlich brauchen! Vor allem in dieser Gegend!« Im Predigtmodus sprach er weiter, blickte mit leuchtenden Augen in die Runde und wies immer mal mit dem Finger auf diesen oder jenen. »Denn«, fuhr er in erhabenem Tonfall fort, »das Hotel wird das Niveau dieses Viertels verbessern. Das wäre mein erster Punkt. Der zweite wäre: Was bedeutet ein Baum? Viel, werden einige von euch sagen, und wahrhaftig gibt es zu viele Bäume in dieser Gegend. Wer von uns kann schon behaupten, dass ein Baum gut ist? Wie ein Mensch kann auch ein Baum gut oder schlecht sein. Hier, sage ich euch, gibt es jedenfalls zu viele Bäume. Wer kann ermessen, warum der Stadtrat sie nicht fällen will? Ich habe darum gebeten, einen alten Baum bei meiner Kirche zu fällen, und man weigert sich. Jeden Herbst verstopft wegen der Blätter dieses Baumes meine Regenrinne, und ich erwäge schon, ihn selbst zu fällen. Betrachten wir doch dieses Bauvorhaben auch von der positiven, nicht nur von der negativen Seite.«

Sheila die Dealerin sorgte umgehend für klare Verhältnisse. Sie beugte sich vor und glotzte dem Pfarrer ins Gesicht. »Was glaubst’n wohl, warum wir hier sind, du Riesen- Riesen-« Hier schien ihr das Vokabular auszugehen. »Weil keiner hier am Tisch das Scheißhotel will und wir alle die Scheißbäume behalten wollen. Nix für ungut, Herr Vikar, aber das musste mal gesagt werden.«

Ich glaube nicht, dass irgendwer jemals so mit dem Pfarrer gesprochen hat. Aus der umgebauten und nun heiligen Autowerkstatt höre ich ihn am Sonntagabend immer seine Schäfchen anschreien, dass sie alle elende Sünder sind, die in der Hölle enden werden. Die hängen vermutlich an seinen Lippen und katzbuckeln, sobald sie ihn sehen, weshalb es wohl sehr ungewohnt für ihn war, so angeherrscht zu werden. Doch nach ein paar Minuten hatte er die Zielrichtung kapiert und auf unsere Linie eingeschwenkt.

Marion versuchte zu vermitteln, ganz die naive alte Hippiebraut. »Jeder hat ein Anrecht auf eine eigene Meinung.«

Ich hätte ihr gerne widersprochen, ließ es aber bleiben.

»Wir brauchen einen Baumexperten«, warf Penny ein. »Jemanden, der uns erklären kann, weshalb diese Bäume für die Umwelt unverzichtbar sind. Und der uns hoffentlich auch noch darauf hinweist, dass eine seltene Fledermausart in ihren Wipfeln wohnt. Kennt jemand hier einen guten Baumspezialisten?«

David, mein Exmann, war früher bei der hiesigen Planungsbehörde, und ich erwog, ihn ins Gespräch zu bringen, da er nächste Woche ohnehin vorbeikommen wollte.

Doch da meldete sich überraschend wieder Sheila die Dealerin zu Wort. »Mein Neffe war in Wandsworth bei der Landschaftsplanung. Der weiß alles über Eschen, Eichen, Blätter, Äste. Den könnt ihr holen. Der macht’s auch umsonst. Schuldet mir was.« Sie zwinkerte sagenhaft zweideutig, und wir zerbrachen uns nun alle den Kopf, wie der Baumexperte von Sheila so gefügig gemacht worden war.

Marion erbot sich, ihn anzurufen, und obwohl ich eigentlich das Gespräch leitete, brachte Sheila es auf ihre Art zu Ende.

»Sonst noch was?«, krakeelte sie. »Reicht auch. Ich hau dann mal wieder ab. Wenn die meinen, sie könnten hier einfach so ’n Hotel hinbauen, kriegen sie’s mit der guten alten Sheila zu tun. Werden sich noch umgucken. Danke für den Tee, Süße.« Und damit zog sie qualmend und Asche verstreuend von dannen. Ich blickte ihr herzlich und bewundernd nach. Wie meine polnische Nachbarin ist diese Lady eine echt toughe Braut. Eine Überlebenskünstlerin.

Pfarrer Emmanuel verweilte noch ein bisschen und erkundigte sich, ob wir am Sonntag zum Gottesdienst kämen. Ich antwortete, leider verreise ich am nächsten Wochenende, und das würde auch bis zu meinem Lebensende so bleiben, weshalb ich seiner Kirche sonntags keinen Besuch abstatten könne. Ich lege keinen Wert darauf, in die Hölle geschickt zu werden. Der Pfarrer räumte enttäuscht das Feld. Von mir aus kann er von seiner elenden Kanzel aus gerne seine Gemeinde ankreischen. Aber mich wird er nicht davon überzeugen, dass ich nach meinem Tod irgendwo landen werde, ob nun im Himmel oder in der Hölle oder irgendwo dazwischen.

18. April

Als ich heute Morgen die Wäsche aus der Maschine holte, merkte ich, dass ich die Sachen für die Reinigung mitgewaschen hatte. Ein Pulli von Vivienne Westwood, den ich für vier Pfund in einem Secondhand-Laden erstanden hatte, war komplett ruiniert, und mein blaues Leinenkleid sah aus wie ein alter Putzlappen.

Dann fiel mir ein, dass ich den Penny immer noch nicht zurückgezahlt hatte. Ich lief damit zum Laden, aber der hatte zu. Elender Mist.

Später

Abends war mir gar nicht gut, alles drehte sich vor meinen Augen. Ich konnte nicht mal mehr richtig sehen. Als Penny anrief, sagte ich, dass ich vermutlich einen Schlaganfall kriegen würde. Oder ich hatte schon einen und blickte deshalb nicht mehr durch.

Penny fragte, ob mir schwindlig war, und wollte wissen, was ich gegessen hatte. Dann bot sie an, mich in die Notaufnahme zu fahren. Obwohl ich Krankenhäuser am liebsten meiden wollte (schönen Dank auch, Hetzkurier) und mir alles vor den Augen verschwamm, taumelte ich zu ihrem Wagen. Penny förderte die Stadtkarte zu Tage, um die Route zur nächsten Klinik nachzuschauen, aber sie konnte nichts erkennen, so weit sie die Karte auch von sich weghielt. Sie reichte sie mir.

»Muss meine Lesebrille rausholen«, sagte ich und kramte in meiner Handtasche herum. Aber ich fand nur meine normale Brille.

»Hast du die vielleicht auf?«, fragte Penny, als sie den Wagen startete. Sie hatte Recht. Und als ich die Lesebrille gegen meine normale Brille austauschte, verschwanden schlagartig sämtliche Symptome. Ich schämte mich so sehr, dass ich erst an der nächsten Ampel den Mut aufbrachte, Penny die Wahrheit zu sagen.

»Ich fürchte, es lag nur an meiner Brille«, gab ich kleinlaut zu. »Ich habe den ganzen Tag meine Lesebrille getragen. Deshalb ist mir so komisch. Ich bin gar nicht krank.«

»Na, dem Himmel sei Dank!«, brummte Penny genervt und hielt nach einer Stelle zum Wenden Ausschau. »Lieber Gott, hast du mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.«

Zur Entschädigung lud ich sie noch auf ein Glas zu mir ein. Wir machten eine Flasche Sekt auf, und ich brutzelte uns ein nettes Kräuteromelett. Eigentlich sollte auch noch Schinken mit rein, aber ich hatte ihn rausgelegt, und Pouncer war schneller gewesen. Ich sagte zu Penny, wie froh ich sei, dass sie gleich um die Ecke wohne und was ich nur ohne sie täte, und sie erwiderte, nein, sie sei so froh, dass ich gleich um die Ecke wohne und was sie nur ohne mich täte. Danach begaben wir uns beide müde, aber zufrieden zu Bett.

21. April

Für das Mittagessen mit David hatte ich Räucherlachs besorgt. Es war schön, David wiederzusehen. Er lebt jetzt auf dem Land, aber wir haben uns immer noch viel zu erzählen, weil wir zehn Jahre lang verheiratet waren. Und da er Jacks Vater ist, will er auch immer viel über die Familie wissen, weil er die drei nicht so oft sieht wie ich.

»Jack wird nicht in New York bleiben, Liebes«, sagte er. »Da kannst du dich drauf verlassen. Er ist einfach nicht der New-York-Typ. Vergiss nicht, ich habe da gewohnt. Neun Monate.«

»Aber das ist Ewigkeiten her, wenn ich das mal so sagen darf. Nichts bleibt gleich. Und selbst wenn Jack kein New-York-Typ ist – also der dynamische Manager oder so –, könnte das durchaus bei Chrissie der Fall sein.« Ich servierte ihm die Zwiebelsuppe, die es als ersten Gang gab. Dann holte ich Getränke und Servietten und ließ mich auch am Tisch nieder.

»Nee, sie tut bloß so«, wandte David ein. »In England geht sie als energische Geschäftsfrau durch, weil alle anderen so lahm sind. Aber mit diesen hochkarätigen Manhattan-Ladys kann sie nicht konkurrieren. Da herrscht ein harter Kampf, und sie ist zu gutmütig.«

»Ich habe solche Angst, dass sie dort bleiben und dann ständig ›wow‹ sagen werden«, äußerte ich und merkte, wie mir schon wieder die Tränen in die Augen stiegen. Das Ganze geriet allmählich zum Pawlow’schen Reflex. Man braucht bloß »wow« zu sagen, und ich fange das Heulen an.

»Nun sei aber nicht albern«, widersprach David und drückte mir beruhigend die Hand. »Sie sind doch nicht dumm. Und dir ist sicher aufgefallen, dass sie das Haus nicht verkauft haben. Das beweist, dass sie zurückkommen wollen. Natürlich möchten sie das jetzt ausprobieren, aber sie werden auch wiederkommen. Schneller als du ›wow‹ sagen kannst.«

»Ach, lass das doch bloß«, erwiderte ich ärgerlich. In diesem Moment erinnerte ich mich wieder, weshalb David und ich geschieden waren. »Das ist nicht witzig.«

Ich bin wirklich ein albernes Huhn.

Nach dem Essen spazierten wir gemeinsam zu dem Gestrüpp – Verzeihung, der Grünanlage – am Ende der Straße, und David meinte, soweit er das beurteilen könne, seien die Bäume in bestem Zustand, und ob wir uns schon an den Denkmalschutz gewandt hätten. Er nannte mir auch noch einige Umweltschutzorganisationen.

»Das Letzte, was ihr hier braucht, ist ein Hotel«, meinte er. »Es gibt schon genügend Fluktuation bei den Anwohnern. In ein paar Jahren würde so ein Hotel bestimmt zur Jugendherberge, und dann wird’s erst richtig unangenehm.«

Eine Jugendherberge! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Lieber Gott!

Habe zwar schon einige Skizzen gemacht, aber ich hatte auch meine Kamera dabei, um zu fotografieren. Mir steht nämlich nicht der Sinn danach, hier tagtäglich an der Staffelei zu sitzen und mir von den Dealern anhören zu müssen, dass der Grünton vom Gras falsch ist. Außerdem möchte ich nicht bei Regen malen, und obwohl wir schon April haben, ist es immer noch scheußlich kalt.

24. April

Heute hatte ich den Termin bei dem zweiten Lifting-Mann. Offen gestanden, überlegte ich mir ernsthaft, den Termin bei diesem Mr Parson einfach abzusagen. Mr Mantovani fand ich so gruselig, und wieso wollte ich mich überhaupt liften lassen, mich schaute doch ohnehin keiner an, geliftet oder ungeliftet. Aber gestern hatte ich im »Hetzkurier« gelesen, dass man zweifelnde Stimmen in sich unbedingt ignorieren sollte. Vielleicht sollte ich mir statt der Falten lieber die zweifelnde Stimme wegoperieren lassen.

James überredete mich jedenfalls dazu, nicht aufzugeben, und so quälte ich mich schließlich zu Mr Parson. Er war wesentlich sympathischer als der schauerliche Mantovani. Sein Mobiliar hatte Normalgröße, er zupfte nicht mit einer Zange an meinem schlaffen Fleisch herum und verlor nicht ein Wort über meine Brüste. Leider trug er zwar auch eine Fliege, aber sie war wenigstens dezent hellbeige.

»Können Sie überhaupt noch richtig sehen?«, fragte er. »Ihre Augenlider hängen nämlich so weit herunter, dass die Krankenkasse vielleicht sogar die Kosten für die OP übernehmen würde. Wegen der Sehkraft.«

Dann erläuterte er mir, warum ich mir das gesamte Gesicht und nicht nur die Augen liften lassen sollte, »denn wenn Sie nur die Augen machen lassen, wird der Rest Ihres Gesichts sehr – nun, im Vergleich anders aussehen«, sagte er. Bei ihm war aber weder von Brüsten noch von Bauch oder Knien die Rede, so dass ich nicht den Eindruck bekam, dass er mir etwas verhökern wollte. Er machte ein Foto von mir (für seinen »Vorher-Nachher«-Ordner), und ich musste feststellen, dass ich im Profil absolut grauenhaft aussah. Mein Kinn und mein Hals sind eine untrennbare Masse, wie auf Genes Zeichnungen. Mr Parson meint, das kann man alles verbessern. Für siebentausend Steine. Tausend weniger als bei Mr Mantovani.

Weshalb ich zu meiner eigenen Verblüffung einen Termin drei Monate später vereinbarte, in der Hoffnung, dann genügend Mut aufzubringen, um ihn wahrzunehmen.

Worauf um alles in der Welt habe ich mich da eingelassen?

25. April

Bin soeben von Christie’s zurückgekehrt. Wie in allen Auktionshäusern in Londoner Edelvierteln wimmelte es dort von schleimigen, glatt gekämmten, fetten kleinen Männern in maßgeschneiderten Nadelstreifenanzügen mit farbenfrohen Taschentüchern in der Brusttasche. Obwohl ich nur aus dem nahe gelegenen Viertel Shepherd’s Bush angereist war, kam ich mir vor wie ein Landei auf Stadtausflug. Besonders schäbig fühlte ich mich dann in der Warteschlange, denn da waren außer mir nur vornehme ältere Herren mit Bündeln von Silberbesteck und nette alte Damen, die ihre wertvollen Antiquitäten schätzen lassen wollten.

Die Angestellten behandelten mich zuvorkommend; ich war nicht ganz sicher, ob sie grundsätzlich zu allen Personen freundlich waren, weil sie vielleicht etwas Wertvolles zu verkaufen hatten, oder ob sie einfach höflich sein wollten oder mich für eine reizende ältere Dame hielten. War mir auch einerlei. Hauptsache nett. Man freut sich ja allemal darüber.

Die junge Frau aus der Abteilung Moderne Malerei war zum Glück begeistert, nachdem sie einen Blick auf meinen Schatz geworfen hatte. Sie meinte, man könne für die Pitchforths jeweils mit einem Anfangsgebot von eintausend Pfund und für den Caulfield mit dreitausend Pfund einsteigen. Letzteres ist übrigens ein sehr hübsches Bild in kräftigen Farben von einem Stuhl vor einem Fenster. Und auch die kleinen Pitchforths mag ich sehr, aber es ist an der Zeit, sich von Dingen zu trennen, anstatt daran zu hängen. Dann schickte man mir noch so einen aalglatten Burschen, der die Brosche begutachtete und meinte, man solle den Mindestpreis bei zweitausend Pfund ansetzen.

Also gab ich alles zur Auktion frei, in der Hoffnung, damit genug Geld für das Lifting zusammenzukriegen.

Was tue ich da bloß? Hilfe!

26. April

Die jüngste Schlagzeile des »Hetzkurier« lautet: »ASYLANTEN RUINIEREN WOHLFAHRTSSYSTEM! Weiße zum Jahresende in der Minderheit!«

Ich glaube nicht, dass das hier irgendwen aufregt.

Die Akupunktur konnte nichts gegen meine Gelenkprobleme ausrichten. Brauche immer noch mindestens eine Stunde, um vernünftig in die Gänge zu kommen.

Der Baummann traf ein, als Penny und James gerade hier waren. James erläuterte die Pläne für sein Porträt, und ich hörte nur mit halbem Ohr zu, weil ich daran dachte, was für eine Riesensumme ich demnächst für eine sinnlose Eitelkeitsaktion verschwenden wollte.

Nun ja! Penny und ich fielen jedenfalls fast in Ohnmacht beim Anblick des Baummanns, denn er ist schlicht umwerfend. Schlank und toll gebaut (»sehr cool«, wie Penny sagen würde), üppige graue Haare, braungebrannt und irgendwie baumartig. Er war auch ganz auf unserer Seite und ging sofort auf die Barrikaden bei der Vorstellung, dass grundlos Natur zerstört werden sollte.

Er heißt Ned, hat früher für die Stadt gearbeitet, ist aber inzwischen im Ruhestand und berät Bürgerinitiativen, ohne irgendetwas außer seinen Ausgaben zu berechnen, was sehr nett von ihm ist. Ich verstehe nicht recht, wie die schaurige alte Sheila seine Tante sein kann, aber Gene sind manchmal sehr sonderbar.

Wir gingen mit ihm zur Grünanlage, und er fotografierte die Bäume und meinte, sie gehörten zur Kategorie A – was auch immer das bedeuten mochte. Ferner erklärte er, Robinia pseudoacacia und Platanus acerifolia seien Lebensraum für viele Vogelarten, vor allem aus Afrika, und in der Rinde einer dieser Baumarten käme ein für die Umwelt sehr wichtiger Pilz vor … Ich verstand wenig, aber Penny machte sich Notizen.

»Er ist fantastisch!«, sagte sie später. »Er kennt diese ganzen lateinischen Namen!«

»Toller Typ!«, äußerte James. »Und Single. Meinst du, er ist schwul?«

»Ich dachte, das merkt man gleich, weil schwule Männer sich immer zublinzeln«, wandte Penny ein.

»Nein, das ist komplett aus der Mode«, erwiderte James. »Heutzutage blinzelt man nicht mehr. Aber ich weiß, was du meinst. Er hat einen Pub erwähnt, wo er immer hingeht, und ich dachte mir, das könnte als Einladung gemeint sein.«

»Einladung!«, sagte ich einigermaßen gekränkt. »Warum hat er uns denn nicht eingeladen?«

»Er sieht aus wie eine Birke, findet ihr nicht auch?«, schwärmte Penny.

»Erinnert ihr euch an diese Kinderbücher, in denen die Äste der Bäume ihre Haare waren und der Stamm ihr Gesicht?«, fragte ich.

»Ja – aber er sieht besser aus«, erwiderte Penny.

»Umso ärgerlicher, dass die heimliche Einladung offenbar nur James gilt.«

»Mist!«, murrte Penny.

»Na ja, wir wollen nun auch nicht unbedingt mit einer Birke ausgehen, oder, Penny?«, fragte ich.

Aber ich bekam keine Antwort.

27. April

Habe dieses Wochenende wieder Archie besucht und war vorher ziemlich nervös. Er schien mich unbedingt sehen zu wollen, also musste ich hinfahren. Es passte mir auch deshalb gar nicht, weil es das letzte Wochenende war, an dem ich noch mit der Familie zusammen sein konnte. Aber Jack und Chrissie hatten furchtbar viel vorzubereiten und waren froh, Gene eine Weile loszuwerden. Also nahm ich ihn einfach mit. Archie hatte immer viel Freude an dem Kleinen gehabt und konnte toll mit ihm umgehen, und ich hoffte nun, dass Archie sich nicht allzu sonderbar benehmen würde.

Am Samstag lief alles bestens. Wir machten zusammen einen schönen Frühlingsspaziergang. Die Narzissenzeit war schon vorbei, aber in dem kleinen Wäldchen blühten ganze Teppiche von Glockenblumen, und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, ohne Mantel rausgehen zu können. Archie bestand allerdings darauf, seinen Lodenmantel zu tragen, der mich allmählich wirklich gruselte. Hie und da riss der graue Himmel auf und wurde blau, und Hoffnung und Verheißung lagen in der Luft. Auch Hardy schien das zu spüren und sprang wie wild in der Gegend herum. Vielleicht hatte ihn allerdings auch wochenlang niemand richtig ausgeführt.

Abends spielten Archie und Gene Schnippschnapp. Mrs Evans hatte ein köstliches Abendessen zubereitet, und Archie war fast wie früher. Er kommt ganz gut zurecht, solange er nichts Eigenständiges machen muss, und kann sich sogar flüssig unterhalten. Aber sobald etwas Außergewöhnliches geschieht, kommt er völlig aus dem Tritt. Gene und ich schliefen im Zimmer nebenan in getrennten Betten, und obwohl Archies Nachtwandeln mich nervös machte, bekam ich doch immerhin ein paar Stunden Schlaf. Am nächsten Tag, als wir nach dem Frühstück in der Bibliothek saßen und die Sonntagszeitungen lasen, kam Gene hereingestürmt und schlug vor, wir sollten das Elefantenspiel machen.

Archie hatte das früher immer gerne gespielt und war gut darin gewesen, laut herumzutrompeten und sogar Pupsgeräusche von sich zu geben, was Gene zu hysterischen Lachanfällen veranlasst hatte. Doch als jetzt von Elefanten die Rede war, geriet Archie in Panik.

»Elefant?«, fragte er. »Wo?«

»Da«, sagte Gene und deutete auf einen großen Eichenschrank, der hier statt meines Schranks unter der Treppe zum Einsatz kam. »Weißt du doch, wo wir immer spielen.«

Archie wurde plötzlich ganz aufgeregt. Er stand auf und rang die Hände.

»Warum ist ein Elefant in diesem Schrank?«, schrie er. »Ich will keine Elefanten in meinem Schrank! Wie kannst du es wagen, einen Elefanten in meinen Schrank zu stecken!« Er stürzte auf Gene zu, der lachte und das Ganze für das Spiel hielt. Aber ich merkte, dass etwas schieflief, und erreichte Gene zum Glück noch rechtzeitig. Ich war sicher, dass Archie ihn geschlagen hätte.

»Liebling, hier ist kein Elefant.« Ich stellte mich vor Gene. »Das ist nur ein Scherz!«

Doch jetzt riss Archie die Schranktüren auf. »Hier ist kein Elefant!«, rief er aus. »Er muss entkommen sein! Schließt Türen und Fenster. Er darf nicht wieder reinkommen! Er macht alles kaputt!« Archie lief in den Flur hinaus und schnappte sich einen Spazierstock. Dann marschierte er durch die Räume und schlug Türen und Fenster zu.

Hardy, der das Spektakel auch für ein tolles Spiel hielt, bellte wie verrückt und raste hinter Archie her.

Das Schlimmste war, dass Gene sich immer noch vor Lachen kringelte. Er verstand nicht, was vor sich ging.

»Versteckt euch hinter dem Sofa!«, schrie Archie, als er zurückkam. »Was sollen wir tun, Philippa?«

Wir gingen zum Sofa, und Archie zog uns mit verblüffender Kraft nach unten. Jetzt packte mich die Panik, ich riss mein Handy heraus und rief Sylvie an. Etwas anderes fiel mir nicht ein.

»Was machst du da?«, fragte Archie vorwurfsvoll.

»Ich rufe den Tierschutzverein an«, log ich. »Die sollen den Elefanten abholen.« Ich hörte nur das Freizeichen und betete stumm, dass Sylvie abnehmen würde. Dann war sie dran.

Gene hatte immer noch nichts verstanden und lachte nach wie vor.

»Tierschutzverein?«, sagte ich sehr laut und hoffte inständig, dass Sylvie nicht auflegen würde. »Hier spricht Marie Sharp, ich bin bei Archie Lloyd, und wir haben große Angst, dass in unserer Bibliothek ein Elefant ist, bitte kommen Sie sofort her und …«

»Lass mich mit denen reden!«, schrie Archie und riss mir das Handy aus der Hand. »Tierschutz? Beeilen Sie sich! Er wird uns angreifen!«

Zum Glück begriff Sylvie sofort, was passierte, und war im Nu da, in Begleitung ihres Mannes Harry. Dem es dann gelang, Archie davon zu überzeugen, dass der Elefant den Weg zum Zoo zurückgefunden hatte, aus dem er entkommen war. Mir kamen vor Erleichterung die Tränen. Gene hatte immer noch keine Ahnung, was vor sich ging, und fand, es sei eines der besten Elefantenspiele überhaupt gewesen. Aber ich war völlig verstört, vor allem, weil Archie Gene fast angegriffen hatte.

Wir aßen alle zusammen bei Sylvie zu Mittag, was entspannend war, und Archie beruhigte sich zusehends. Aber dann fragte Harry, ob ich Bittere Quitten, vergiftete Seelen gesehen hätte, und ich berichtete, dass ich nach der ersten halben Stunde rausgegangen sei. Woraufhin Harry und Sylvie meinten, ich hätte mir den Film aber unbedingt bis zum Ende anschauen sollen. »Es ist so anrührend, wenn die Person, der die Finger abgehackt wurden, Klavier spielen lernt, und dann gibt es noch diese zehnminütige Szene in diesem Folterkeller in dem bulgarischen Gefängnis, und na ja, man ist einfach dort, versteht du. Du musst dir das wirklich noch anschauen, es ist so authentisch.«

»Und die Kamera«, fügte Sylvie noch hinzu. »Es lohnt sich schon allein wegen der Kameraarbeit.«

»Und der kleine Junge!«, ergänzte Harry.

»Ja, der kleine Junge!«, wiederholte Sylvie emphatisch und schlug die Hände vors Gesicht. Aber die beiden wollten mir dann das Ende nicht erzählen, sosehr ich auch darum bat, sondern beharrten darauf, dass ich mir den Film noch einmal bis zum Schluss ansehen müsse, denn er sei einfach großartig.

Davon abgesehen verstanden wir uns blendend.

Danach brachte Harry Archie nach Hause und wollte auch über Nacht bei ihm bleiben, und ich setzte Gene bei seinen Eltern ab und fuhr nach Shepherd’s Bush zurück.

Als ich ankam, fiel mir meine Ehrenschuld beim Laden an der Ecke wieder ein, die ich nun endlich begleichen wollte. Der Inder an der Kasse erinnerte sich nicht an den Penny und wollte ihn erst nicht annehmen. Als ich darauf bestand, blickte er mich an, als wäre ich komplett durchgedreht.

29. April

Habe eine Mail von Sylvie bekommen, in der sie sich ausgiebig entschuldigt hat. Als sie am nächsten Tag zu ihrem Vater gefahren war, um mit ihm Tee zu trinken, hatte er sie gefragt, wer zum Teufel sie sei und wieso sie in sein Haus eindringe. Sie sei eine üble Schlampe und solle auf der Stelle verschwinden, sonst würde er die Polizei rufen.

Solche Ausdrücke hat Archie früher nie benutzt. Aber nun hat Sylvie endlich einen Arzttermin vereinbart. Dem Himmel sei Dank! Endlich! Ich bin so erleichtert!

30. April

Heute brachte mir der Postbote ein Paket vom Pflanzenversand, und ich öffnete es begierig. Herrje, was für eine Enttäuschung! Sechsunddreißig Minipflanzen, kaum so groß wie mein kleiner Finger, in einer Plastikkiste. »Stecklinge« hießen sie, und sie hatten nicht die geringste Ähnlichkeit mit Calibans oder wie immer diese Dinger heißen – ich kann mir diese lateinischen Namen nie merken. Jedenfalls konnte ich mir schlecht vorstellen, dass sie jemals die versprochene üppige Blütenpracht erzeugen würden – zumindest nicht in den nächsten fünf Jahren. Ich brachte Stunden damit zu, die Dinger einzupflanzen, und war dabei äußerst skeptisch. Am Ende sahen sie nur aus wie grüne Punkte.

Später kam Penny vorbei und zeigte mir einen Brief, den sie für das Planungskomitee entworfen hatte. Noch bevor sie den Mantel ausgezogen hatte, verkündete sie, es gebe schlechte Nachrichten.

»Was denn?«, fragte ich beunruhigt.

»James hat sich verliebt!«

»Was soll das heißen?«, fragte ich pikiert. Ich hielt mich für eine enge Freundin von James und hätte es gern als Erste erfahren, wenn er sich verliebte. »In wen denn?« Dann dämmerte es mir. »Doch wohl nicht die Birke, oder?«

»Ich fürchte schon. Er ist in diesen Pub gegangen, sie haben sich auf Anhieb gut verstanden, und jetzt ist James verliebt.«

»Aber er hat doch gesagt, er wolle nach Hughie nie wieder eine andere Beziehung!«, erwiderte ich verstimmt. Dann fiel mir auf, dass mein Verhalten recht lieblos war, und ich fügte hinzu: »Na ja, ich freu mich ja für ihn.«

»Ich auch«, sagte Penny und hängte ihren Mantel auf. »Ich finde es wunderbar, dass er jemanden kennen gelernt hat.«

Als wir in der Küche neben dem Kocher standen und warteten, bis das Wasser kochte, blickten wir uns vielsagend an. »Aber es bringt einen auch irgendwie auf die Palme, wenn du mich fragst«, sagte ich.

»Allerdings«, erwiderte Penny. »Wie kann er es wagen? Er hat doch uns, oder? Wieso verliebt er sich? Völlig albern.«

»Wird nicht halten«, unkte ich.

»Ich hoffe nicht«, murmelte Penny düster.

Um uns aufzuheitern, genehmigten wir uns dann je zwei Schokoschnäpse zu unserem Kaffee.