Kapitel 31

Als sie am nächsten Tag nachmittags vom Einkaufen nach Hause kam, wartete zu ihrer Überraschung Simon auf sie. In ihrer Wohnung. Kaja überlegte, ob sie sich darüber ärgern oder lieber beeindruckt sein sollte, mit welcher Leichtigkeit sich Simon Zugang verschafft hatte. Lance erging es nicht besser, weil jemand in seine Drachenfestung eingedrungen war. Aber Simon kam ohne Umschweife zur Sache. „Es ist mir gestern Nacht gelungen, Max Aufenthaltsort einzugrenzen. Er befindet sich in einem Radius von 40 km in nordöstlicher Richtung von Zürich.“

Kaja runzelte die Stirn. „Zürich, Schaffhausen, Thurgau, vielleicht St. Gallen“, zählte sie die in Frage kommenden Kantone auf. „Genauer konntest du es nicht rauskriegen?“ Fragend blickte sie ihn an.

„Leider nicht. Ich hatte gehofft, dir würde zu diesem Gebiet eventuell etwas einfallen, was mit der Firma zusammen hängt.“

Kaja überlegte fieberhaft. „So auf Anhieb fällt mit nichts ein. Ihr seid doch in Max‘ Wohnung gewesen. Hat das gar nichts gebracht?“

„Nein. Unterlagen haben wir keine gefunden und seinen Laptop hat er offensichtlich mitgenommen.“

„Mist. Also stehen wir nicht besser da als vorher.“

„So würde ich das nicht ausdrücken“, antwortete er. „Immerhin haben wir das Gebiet der Schweiz auf etwa ein Fünftel eingegrenzt.“

„Na ja, auf mich wirkt es immer noch wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Ich versuche jetzt gleich nochmals, ihn anzurufen.“ Entschlossen griff sie nach ihrem Handy und wartete das Wählzeichen ab. Innerlich betete sie inständig zu allen ihr bekannten Göttern, dass es nicht wieder heißen würde „dieser Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar“.

„Das ist ja eine ganz schöne Auswahl, die du da um Hilfe bittest“, meinte Lance lautlos.

„Ich bin im Moment gerade nicht in der Lage wählerisch zu sein“, vermittelte sie ihm telepathisch. „Ich habe einen Wählton, tu etwas“, zischte sie Simon zu.

Der wandte sich seinem Laptop zu, der schon einsatzbereit auf dem Tisch stand. „Bingo“, sagte er zufrieden nach ein paar Minuten, die Kaja wie Stunden vorkamen.

„Und was passiert jetzt?“, fragte Kaja ein wenig ratlos.

„Ich werde jetzt erst mal dort vorbei fahren und die Gegend erkunden.“

„Du hast mir immer noch nicht verraten, wo ‚dort‘ eigentlich ist.“

„Stimmt. Schau, ich habe hier eine Karte.“ Er drehte den Laptop in ihre Richtung, damit sie auf den Bildschirm schauen konnte. Knapp außerhalb von Schaffhausen.

„Und dann stürmst du die Wohnung?“

„Erst einmal sollte ich wohl versuchen herauszufinden, ob er sich freiwillig an diesem Ort befindet oder gegen seinen Willen festgehalten wird.“ Er grinste. „Ich mag es lieber, wenn die Leute froh sind, dass ich auftauche. Wenn es sich allerdings um sein kleines Geheimversteck handeln sollte, aus welchen Gründen auch immer, wird sich seine Freude in Grenzen halten.“

„Was aber nicht sehr wahrscheinlich ist, oder?“

Sofort wurde er wieder ernst. „Nein. Nachdem, was du mir über ihn erzählt hast und was wir über die Vorgänge in eurer Firma wissen, ist es nicht sehr wahrscheinlich. Umso wichtiger ist es, dass ich mir einen Überblick verschaffe, um die Lage einzuschätzen.“

„Ich bin heute Abend sowieso in der Gegend, kann ich nicht mitkommen?“, bat Kaja ihn aufgeregt.

„Wo bist du denn genau?“ fragte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.

„Ich bin bei einer Freundin eingeladen. Sie veranstalten ein Fest.“

„Dann schlage ich vor, du besuchst erst einmal deine Freundin und ich schaue kurz dort vorbei, wenn ich mehr weiß. Dann können wir nochmals darüber reden“, fügte er bestimmt hinzu, als er merkte, dass sie nicht zufrieden war mit seiner Antwort.

„Okay“, sagte sie zögernd. So ganz passte es ihr nicht, ausgeschlossen zu werden. Aber sie sah ein, dass sie ihm diesmal keine große Hilfe wäre. Schnell schrieb sie Sierras Name und Adresse auf und gab ihm den Zettel.

Er warf einen Blick darauf. „Deine Freundin?“, hakte er mit hochgezogenen Augenbrauen nach. „Die hast du aber schnell gefunden“, grinste er.

„Es ist etwas kompliziert...“, hob sie an zu erklären, brach dann aber ab.

Simon steckte sich den Zettel in die hintere Hosentasche. „Erwarte mich nicht vor 9 Uhr.“

„In Ordnung.“

Als Miri eine Stunde später vorbeikam um sie abzuholen, war Kaja vor lauter Aufregung und Sorge um Max völlig durch den Wind. Lance empfing sie schon an der Tür. „Miri, tu etwas, lenk sie ab! Offenbar hat Simon Max aufgespürt und Kaja ist völlig aus dem Häuschen.“

„Verständlich. Schließlich kriegt das Ganze jetzt einen reellen Hintergrund.“ Sie legte ihre Tasche auf der Küchenkombination ab und folgte Kajas Gemurmel, das aus ihrem Schlafzimmer drang. „Hey, was machst du denn?“ Fasziniert schaute Miri zu, wie Kaja ihren Kleiderschrank ausräumte.

„Ich suche meine schwarzen Hosen“, kam es gedämpft aus dem Inneren des Schrankes.

Irritiert schaute Miri an sich herunter. Sie selbst hatte sich ganz zwanglos für ausgewaschene Jeans und einen kuscheligen rosafarbenen Pullover entschieden, der ihre Kurven betonte. „Gibt es für heute Abend einen Dresscode?“

„Nein. Aber wenn alles gut geht, befreien wir heute Abend Max und da muss ich doch entsprechend angezogen sein.“ Kaja kam aus dem Schrank hervor.

„Äh – wir? Bist du dir sicher, dass du das nicht den Profis überlassen willst? Ich meine, falls Max befreit werden muss, dann zeugt das doch davon, dass die ganze Geschichte ein ganzes Stück ernster ist als wir dachten“, gab Miri zweifelnd zu bedenken.

„Ja, ja das stimmt schon. Ich werde mich ja auch nicht mitten ins Getümmel stürzen. Aber dabei sein möchte ich eigentlich schon gerne.“

„Aha. Und was meint Simon dazu?“

Kaja runzelte die Stirn. „Er hat noch gar nichts gesagt. Aber er kommt am späteren Abend kurz auf dem Fest vorbei, offensichtlich ist Max ganz in der Nähe von dort, wo Sierra wohnt. Dann bespricht er das weitere Vorgehen mit uns.“

Miri entschloss sich, erst mal nichts weiter dazu zu sagen und hoffte, dass Simon sie von ihrem Vorhaben abringen konnte. „Suchst du die hier?“, fragte sie stattdessen und hielt eine dunkelblaue Jeans hoch.

Kaja warf einen Blick darauf. „Nein, eigentlich nicht. Aber dunkel ist die ja auch. Dann muss es eben mit dieser gehen.“ Schnell schlüpfte sie in die Hose und vervollständigte ihr Outfit mit einem engen schwarzen Rollkragenpulli. „So, fertig. Das einzige, das mir noch fehlt, ist ein Gastgeschenk. Obwohl ich gar nicht weiß, ob eins erwartet wird.“ Sie zog die warme Lederjacke über und setzte sich aufs Sofa, um ihre alten ausgetretenen Cowboystiefel anzuziehen.

„Ich habe eins dabei. Wir können es ihr ja zusammen geben“, schlug Miri ein wenig schüchtern vor.

„Was ist es denn?“, wollte Kaja neugierig wissen.

„Hier, du kannst es dir ansehen.“ Nervös nestelte sie an einem kleinen Päckchen rum.

Kaja spähte hinein. „Oh, das ist ja das kleine weiße Pony, mit dem sie das letzte Mal gearbeitet hat. Ist das eines deiner kleinen Kunstwerke?“ Sie griff hinein und holte es heraus. Es war etwa sieben Zentimeter hoch und fünf Zentimeter lang, aus gehärteter Knetmasse, weiß bemalt mit einer flauschigen und wuscheligen Ponymähne. Der freche Ponykopf zeigte den unverkennbaren Ausdruck eben dieses Ponys.

„Na ja, Kunstwerke?“ Zweifelnd blickte Miri auf ihre Arbeit. „Aber ja, ich habe es gestern Abend selbst gemacht. Eigentlich wollte ich das rote Pferd für sie machen. Das, welches sie geritten hat, als wir ihr zum ersten Mal begegnet sind. Aber irgendwie hat es sich immer wieder aus meinem Kopf geschlichen und ich konnte es nicht mehr einfangen. Dafür war dieses weiße Pony sehr präsent. Also kriegt sie halt dieses hier.“ Sorgfältig verstaute sie die kleine Figur wieder in ihrer Verpackung.

„Ich bin sicher, sie freut sich sehr!“, sagte Kaja bestimmt. Sie sprang vom Bett auf, um Zorro mit frischem Wasser und einem großen Kauknochen zu versorgen. Zorro hatte jedoch schon den ganzen Nachmittag den Verdacht gehabt, Kaja könnte ihn zu Hause lassen und fiel nicht auf das Ablenkungsmanöver herein. Aus diesem Grund stellte er sich demonstrativ vor die Tür und wedelte aufgeregt.

Lance verdrehte genervt die Augen. „Hat man das eine Familienmitglied beruhigt, dreht das nächste durch.“

„Lass Zorro in Ruhe“, tadelte Kaja den Drachen und führte den widerspenstigen Hund zu seiner Decke, wo auch der Knochen lag. „Ich komme bald wieder“, versicherte sie Zorro, der ihr mit traurigen Hundeaugen nachschaute.

Draußen im Auto meinte Miri: „Bin ich froh, dass Chili mich nicht jedes Mal so ansieht, wenn er zu Hause bleiben muss. Das würde ich nicht durchhalten.“

Kaja seufzte. „Das ist mit ein Grund, weshalb er meistens dabei ist. Aber heute müsste er ja den ganzen Abend im Auto verbringen. Noch dazu in deinem Auto. Und da hat er es hier doch gemütlicher.“

„Du hast ihn aber nicht zu Hause gelassen, um mein Auto zu schonen, oder?“

„Nein, natürlich nicht. Sonst hätte ich dich gefragt, wenn es darum gegangen wäre.“

„Dann ist ja gut. Meinem Auto hätte es bestimmt nicht geschadet.“ Kaja ließ ihren Blick ein wenig in dem alten Fahrzeug herum schweifen und kam, als sie das staubige Innere betrachtet hatte, zu dem Schluss, dass Miri recht hatte.

Als sie ankamen, war die Party schon im vollen Gange. Lance freute sich so, dass er mitkommen durfte, dass er übermütig den Leuten ihre Häppchen vom Teller klaute und eifrig Gläser vertauschte, als sie sich unter die Leute mischten. „Lance, lass das endlich“, zischte Kaja ihm bestürzt zu. Als sie sich endlich zu Sierra durchgekämpft hatten, hatte diese schon einige Zeit die Gelegenheit gehabt, die kleine Gruppe zu beobachten. Kaja wäre unterdessen am liebsten im Boden versunken. „Tut mir leid“, hob sie zur Begrüßung an. „Mein Drache ist absolut unerzogen. Aber ich kann es leider nicht ändern.“

Sierras Mundwinkel zuckten belustigt. „Immerhin habe ich jetzt den Beweis, den ich wollte. Offenbar fällt er tatsächlich niemandem auf.“ Sie musterte seine schillernde Gestalt von oben bis unten. „Was ja doch eine beträchtliche Leistung ist, wenn man ihn so betrachtet. Hallo Lance, fühl dich frei, alle hier anwesenden an der Nase herum zu führen.“

Perplex schaute Kaja Sierra an. „Du gibst ihm quasi freie Hand? Hast du dir das gut überlegt?“

„Sagen wir mal so, die Leute hier sind Markus‘ Freunde und Klienten. Trotzdem hatte ich die ganze Arbeit. Also denke ich, habe ich mir diesen kleinen Spaß verdient.“ Ihre Augen blitzten boshaft.

„Respekt Madam“, meinte Lance und verbeugte sich leicht, bevor er in der Menge verschwand.

Sierra hatte von einem kleinen Tisch hinter ihrem Rücken mit Champagner gefüllte Gläser hervor geholt und reichte den beiden eines, bevor sie ihr eigenes in die Hand nahm. „In dem Fall, auf unser Wohl, so wie es aussieht werden wir uns gegenseitig ja nicht mehr so schnell los“, meinte sie scherzhaft. „Auf uns.“

„Auf die Drachenschwestern.“ Kaja trank einen Schluck und befand dann: „Drachenschwestern. Ja, das gefällt mir.“

„Ich habe noch etwas kleines für dich“, fiel Miri ein und sie nestelte in ihrer Tasche, um das kleine Päckchen herauszuholen.

„Für mich?“ Sierra starrte sie an.

„Ja, mach es auf“, forderte Kaja sie auf. Behutsam öffnete sie die kleine Schleife, die das Papier zusammen hielt und förderte das kleine Pferdchen ans Tageslicht. „Bounty. Du hast mir Bounty geschenkt, ich fasse es nicht.“ Sie blinzelte ein paar Mal hektisch, um die Tränen, die plötzlich in ihr hochstiegen wieder zum Verschwinden zu bringen.

„Heißt so das kleine weiße Pony, mit dem du gearbeitet hast, als wir dich besucht haben?“

„Was? Nein, das war eine Enkelin von ihr. Bounty war mein erstes Pony und ist schon seit ein paar Jahren tot. Aber es stimmt, sie sehen sich sehr ähnlich.“ Spontan umarmte sie erst Miri und dann auch Kaja. Sie verstaute das kleine Pferd sorgfältig in der Tasche ihrer Strickjacke. „So, jetzt lass uns feiern und unseren Ehrengast beim Unfug treiben unterstützen“, meinte sie und strahlte die beiden Frauen an.

Wie verabredet traf Simon um neun Uhr bei der Adresse, die Kaja ihm gegeben hatte, ein. Er stieg aus dem Auto und blieb einen Moment im Dunkeln stehen. Aus einem geöffneten Fenster tönte Musik und verhaltenes Stimmengemurmel. Offensichtlich war er am richtigen Ort. Simon ging die paar Stufen hoch zur Eingangstür und läutete. Er musste einen Moment warten, bis ihm die Tür geöffnet wurde. Eigentlich hatte er unverzüglich nach Kaja fragen wollen. Doch als sein Blick auf Sierra fiel, wollte ihm beim besten Willen nicht mehr einfallen, weshalb er eigentlich hier war: Er konnte sie nur anstarren. Um das Durcheinander in seinem Inneren zu verberge, fiel ihm nichts Besseres ein, als sie abschätzig von Kopf bis Fuß zu mustern. Sie war groß und schlank, mit einer guten Körperspannung und einem Kopf voller roter Locken. Die Spannung, die sie ausstrahlte, war allerdings momentan gegen ihn gerichtet. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht versucht, die Situation mit einem lockeren Spruch zu entschärfen aber heute Abend hatte er nun wirklich keine Zeit für solche Dinge. Was schade war, wenn er diese bernsteinfarbenen Augen betrachtete, die ihn an eine gefährliche Tigerin erinnerten.

„Hör zu, ich weiß nicht, ob du heute Abend hier den Türsteher machst, es ist mir auch völlig egal, ich muss nur dringend mit Kaja sprechen“, antwortete er müde. Dennoch hatte sein Ton eine gewisse Schärfe, die verriet, dass er es gewohnt war, dass alles nach seinen Wünschen lief. Etwas, auf das Sierra in letzter Zeit schon fast allergisch reagierte. Misstrauisch beäugte sie den hochgewachsenen Mann. Er sah zugegebenermaßen verboten gut aus mit intensiv leuchtenden blauen Augen, die sich in ihre zu bohren schienen, aber sein selbstsicheres Auftreten ging ihr gewaltig gegen den Strich. Und der Türsteherspruch war ja wohl unterste Schublade!

„Wer will das wissen? Und vor allem: weshalb?“

Irritiert sah er Sierra an. „Ist sie jetzt nun hier oder nicht?“ Entschlossen wollte sie die Tür zuknallen, als er blitzschnell den Fuß dazwischen schob. Genauso entschlossen wie sie gerade eben packte er sie unsanft an den Oberarmen und wollte sie beiseite schieben. Während Sierra noch überlegte, ob sie ihm lieber die Kniescheibe zertrümmern oder doch nur ihren Ellbogen in seine Rippen rammen sollte, tauchten zum Glück Kaja und Miri auf.

„Sierra, alles in Ordnung?“ Verwirrt blickte Kaja von Sierra zu Simon und wieder zurück. Simon ließ sie sofort los, als hätte er sich die Finger verbrannt. Keine Türsteherin. Die Dame des Hauses!

„Dieser Kerl da sucht dich.“

Simon strich den Ausdruck „Dame“ gedanklich wieder. „Deine Freundin hier ist offenbar ein richtiger Drache“, meinte er kurz angebunden, worauf sich die drei Frauen anblickten und leicht hysterisch zu kichern anfingen. Irritiert blickte Simon von einer Frau zur anderen. Irgendwie verlief seine Aufgabe, Kaja abzuholen nicht so unkompliziert, wie er sich das vorgestellt hatte. Und was diese Sierra betraf, äussere Eindrücke täuschten offenbar gewaltig.

„Er wollte mir nicht sagen, weshalb er dich sprechen will. Woher wusste er überhaupt, wo du zu findest bist?“

„Weil ich es ihm gesagt habe. Tut mir leid, dass ich dich nicht vorgewarnt habe, ich hatte es völlig vergessen. Darf ich vorstellen, Sierra, das ist Simon. Er hilft mir bei einem Problem, dass ich bei der Arbeit habe. Simon, das ist Sierra, meine Freundin.“ Hölzern gaben sich die beiden die Hand.

Dann wandte sich Sierra wieder an Kaja. „Dieses Arbeitsproblem ist tatsächlich so dringend, dass ihr das am Samstagabend besprechen müsst?“

„Es ist ein wenig kompliziert. Ich erzähle dir alles ein andermal. Miri, willst du mitkommen?“

„He, das ist kein Sonntagsspaziergang“, schaltete sich Simon ein.

„Ich glaube, ich bleibe lieber hier. Ich bin nicht aus demselben Superheldenzeugs gemacht wie du, Kaja. Die Action überlasse ich lieber euch. Ist das für dich okay, wenn ich hierbleibe?“

Etwas überrumpelt von den sich überstürzenden Ereignissen und der Erinnerung an den elektrischen Stoss, den sie verspürt hatte, als Simon sie zur Seite schieben wollte, nickte Sierra nur. „Dafür klärst du mich auf, in was unsere Schwester hier verwickelt ist“, fügte sie nach einer Sekunde hinzu. Gut. Offensichtlich hatte sich ihr Hirn wieder eingeschaltet, dachte Sierra selbstironisch.

Kaja atmete erleichtert auf. „Dann ist ja alles geklärt. Ich melde mich morgen und halte euch auf dem Laufenden.“

„Das will ich doch hoffen, viel Glück!“ Miri nahm sie kurz in den Arm und drückte sie.

„Können wir, wenn wir dann mit dem ganzen Mädchenkram durch sind?“, fragte Simon ungeduldig.

„Ja ja!“ Kaja verdrehte die Augen und verabschiedete sich auch noch von Sierra. „Danke für die Einladung. Deine Gäste sind jetzt in Sicherheit, Lance kommt mit mir.“ Den letzten Satz flüsterte sie ihr zu, damit Simon ihn nicht mitbekam. Er runzelte zwar die Stirn, unterließ jedoch jeglichen Kommentar, wofür ihm Kaja dankbar war. Die Spannung hier war so schon fast mit den Händen greifbar.

„Was für ein Neandertaler war das denn?“, wollte Sierra verärgert wissen, als sie sich mit Miri auf den Weg zurück zu den Gästen machten.

„Neandertaler?“ Miri grinste. „Der muss dich ja ziemlich geärgert haben, wenn dir nichts anderes an ihm aufgefallen ist.“

Sierra schnaubte ungehalten. „Was sollte mir denn sonst noch aufgefallen sein.“

„Zum Beispiel dass er ein ausgesprochen gut aussehender Neandertaler ist…“

„Das nützt auch nichts mehr bei diesem Benehmen“, erwiderte Sierra mürrisch. Sie hakte sich bei Miri ein und zog sie Richtung Küche. „Jetzt will ich aber alle Hintergründe hören“, lenkte sie ab, worauf Miri nur zu gerne einging.

„Und die habe ich dir auch noch zu finden geholfen“, schnaubte zur gleichen Zeit Simon im Auto, als sie Richtung Schaffhausen fuhren.

„Ich weiß gar nicht, was ihr zwei miteinander habt. Ich finde sie sehr nett.“

„Wir haben nichts miteinander. Das war ja das Problem. Ich bin mir vorgekommen, als würden wir von zwei komplett verschiedenen Planeten stammen!“ Kaja beschloss, das Thema auf sich beruhen zu lassen.

„Sehr weise“, stimmte Lance ihr lautlos zu.

„Was ist jetzt mit Max? Hast du ihn tatsächlich gefunden?“

„Ja.“

Kaja stieß hörbar den Atem aus. „Gott sei Dank. Geht es ihm gut?“

„Soweit ich das beurteilen konnte durchs Fenster, geht es ihm gut.“

„Aber?“ fragte Kaja nach einer Weile, als Simon nicht weitersprach.

„Er wird in einem schlecht einsehbaren Gebäude festgehalten. Sieht nach einer alten Lagerhalle aus. Und er war leider nicht alleine. Sonst hätte ich ihn schon rausgeholt.“

„Das wäre meine nächste Frage gewesen…“

„Anscheinend sind sich die Leute, die ihn dort festhalten, nicht einig, was sie mit ihm anfangen sollen. Aber hör selbst.“ Er holte sein Handy hervor und drückte blindlings einige Tasten, den Blick auf die Straße gerichtet.

Erst krächzte es, dann wurde die Tonqualität besser und Kaja konnte Stimmen hören:

„…wir sollten uns endlich um das Problem kümmern.“

„Das tun wir doch schon. Wir haben ihn schließlich erfolgreich aus dem Verkehr gezogen.“

Die erste Stimme war schon fast unnatürlich ruhig und sehr kalt. Die zweite hingegen klang eher defensiv, erregt und ein wenig unsicher. „Und was denkst du, geschieht, wenn du ihn freilässt?“, wollte die ruhige, aber dadurch umso bedrohlicher wirkende Stimme wissen.

„Was soll schon geschehen. Er hat keine Ahnung, wer ihn festgehalten hat. Dafür habe ich schließlich gesorgt. Und der Deal wird zu dieser Zeit unter Dach und Fach sein. Dann interessiert sich niemand mehr für seine Vermutungen. Vor allem nicht, wenn wir verlauten lassen, dass er Gelder veruntreut hat.“

„Dass sind genau die Punkte, wo ich mir nicht so sicher bin. Schließlich hat er deine Stimme gehört. Ich denke, du machst einen Fehler, wenn du ihn unterschätzt.“ Einen Moment lang setzten die Stimmen aus. Dann meldete sich der ruhige Mann wieder. „Ich mag keine offenen Risiken. Vergiss nicht, wessen Schuld es war, dass er überhaupt so viel rausfinden konnte. Denk darüber nach, ich muss jetzt gehen.“ Dann war die Aufnahme zu Ende.

„Streit unter Gaunern“, hielt Simon fest. „Kann uns vielleicht noch nützlich sein, oder aber das Risiko beträchtlich erhöhen. Erkennst du eine der Stimmen wieder?“

Kaja nickte schockiert. Bis jetzt war das Ganze spannend und natürlich besorgniserregend gewesen, doch durch diese Bandaufnahme wurden ihr der Ernst der Situation und die tatsächlichen Ausmaße der Lage erst richtig bewusst.

„Alles okay?“, fragte Simon nach, dem trotz der schwachen Lichtverhältnisse im Auto auffiel, wie bleich sie geworden war.

Sie straffte die Schultern. „Ja. Ich bin schließlich nicht diejenige, die gekidnappt worden ist.“ Sie schwieg eine Weile. „Ich hab eine der Stimmen erkannt.“

Simon warf ihr einen Blick zu. „Welche denn?“

„Der, der sich so angehört hatte, als würde er sich verteidigen, das war mein Abteilungsleiter. Den anderen kenne ich nicht. Jetzt hast du ihn einfach seinem Schicksal überlassen, um mich abzuholen? Was ist, wenn sie ihn in der Zwischenzeit umgebracht haben?“

„Hältst du mich wirklich für so unbedacht?“, antwortete Simon leicht belustigt.

Kaja schaute durchs Fenster hinaus zu der in der Dunkelheit vorbeiflitzenden Landschaft. „Nein, natürlich nicht. Tut mir leid, ich mach mir einfach Sorgen.“

„Ich habe einige meiner Mitarbeiter sowie die lokale Polizei informiert. Einer von meinen Leuten hat mich abgelöst, und behält die Situation im Auge, bis alle eintreffen. Sollte irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen, wird sofort reagiert.“ Das zu hören, erleichterte Kaja ein wenig.

„Wir sind da.“ Simon parkte den Wagen am Straßenrand. „Hör zu. Deine Aufgabe ist es, hier zu warten.“ Er drückte ihr ein Funkgerät in die Hand und erklärte ihr mit knappen Worten, wie es funktionierte. „Benutze es nur im Notfall. Sobald wir Max draußen haben, bringt ihn jemand zu dir, damit er ein bekanntes Gesicht sieht, bis der Krankenwagen da ist. Falls er ihn braucht“, fügte er hinzu, als er ihre Bestürzung erkannte.

„Kann ich denn gar nichts tun?“

Seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Nein. Das ist kein Spiel, Kaja. Wir sind ausgebildet für solche Situationen. Du nicht. Verstanden?“

Widerstrebend antwortete sie: „Ja, okay.“

„Und außerdem würde mir Tim den Kopf abreißen, wenn dir etwas passiert“, murmelte er, als er leise aus dem Auto stieg und die Türe behutsam schloss.

„Was hat den Tim hiermit zu tun?“, ärgerte sie sich, doch vergeblich. Simon war schon mit den Schatten der Nacht verschmolzen und hörte sie nicht mehr.

Seit ihrem Treffen mit dem unseligen Ende hatte sie versucht, jeden Gedanken an Tim zu vermeiden. Das war leichter gewesen, als sie gedacht hatte. Doch jetzt musste sie feststellen, dass das wohl zum größten Teil daran gelegen hatte, dass sie so beschäftigt gewesen war. Oder besser gesagt, ununterbrochen daran gearbeitet hatte, beschäftigt zu sein, um unerwünschte Gedanken an Tim gar nicht erst an die Oberfläche gelangen zu lassen...

Frustriert fuhr sie sich durch die Haare. Das durfte wohl nicht wahr sein! Sie war gerade mitten in einen Krimi geraten und vertrieb sich die Zeit damit, einer flüchtigen Nacht nachzutrauern. Entschlossen fasste sie nach dem Türgriff, um aus dem Auto zu steigen.

„Das lässt du schön bleiben“, ermahnte sie Lance mit fester Stimme. „Ich sehe doch nicht zu, wie mein Schützling zwischen die Fronten gerät!“

Sie ignorierte ihn und versuchte die Tür zu öffnen. Diese bewegte sich keinen Millimeter. „Lance! Du solltest mir doch eigentlich helfen!“

„Aber nicht dabei, dich in Schwierigkeiten zu bringen! Noch dazu, wenn das Ganze nur dazu dient, dich davor zu drücken, dich mit deinen Gefühlen für Tim auseinanderzusetzen. Du weißt ganz genau, dass es nicht nur eine flüchtige Nacht war, die Tim und dich verbindet.“

„Aber viel mehr auch nicht“, presste sie zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. „Den Rest der Zeit ist er schließlich nicht hier.“

Gelangweilt kaute Lance auf einem Kaugummi, den er Simon stibitz hatte. „Sind wir jetzt wieder an diesem Punkt der Diskussion angelangt? Echt, Kaja, du enttäuschst mich. Ich hätte gedacht, dass du schon einen Schritt weiter wärst.“

Kaja fing an zu pfeifen und studierte demonstrativ ihre Fingernägel.

Lance verdrehte die Augen und fing an, Kaugummiblasen zu machen. Plötzlich alarmiert wandte er den Kopf nach hinten, warf einen Blick durchs Heckfenster und zischte Kaja zu: „Raus hier, aber schnell.“

„Ich kann nicht, dafür hast du ja gesorgt.“

„Raus, nun mach schon.“

Kaja bemerkte die Dringlichkeit in seiner Stimme und fasste wieder den Türgriff, der sich diesmal problemlos öffnen ließ. Während sie vom Sitz auf den Gehsteig glitt, murrte sie: „Weißt du eigentlich auch mal, was du willst?“ Sie hatte den Satz kaum fertig gedacht, als auf der anderen Seite des Wagens eine Gestalt angerannt kam.

„Unten bleiben“, kam prompt der Befehl des Drachen, als sie sich schon aufrichten wollte, um erkennen zu können, wer es war. Reflexartig duckte sie sich. Auf der Fahrerseite wurde die Tür aufgerissen, jemand sprang hinein und ließ den Motor an. Mit quietschenden Reifen fuhr das Auto davon.

Kaja richtete sich auf. „Das war der Abteilungsleiter. Wir können ihn doch nicht einfach so davon kommen lassen!“

„Das wird er auch nicht“, schmunzelte Lance zufrieden. „Sieh selbst…“

Ungefähr 200 Meter weiter vorn fing der Motor von Simons Auto an zu stottern. Schließlich kam der Wagen zum Stehen. Im Schein einer Straßenlaterne war zu sehen, wie der Fahrer noch zweimal versuchte, den Wagen zu starten, bis er offensichtlich beschloss, zu Fuß zu flüchten. Vergeblich rüttelte er am Türgriff.

„Du bist genial“, lobte Kaja ihren Drachen. „Jetzt geht’s ihm so wie mir“, stellte sie zufrieden fest. „Ich hoffe, die Befreiung von Max läuft nach Plan.“ Besorgt spähte sie durch die Dunkelheit zur alten Lagerhalle hinüber. Plötzlich ertönte ein Schuss. Erschrocken zuckte Kaja zusammen. Ihr Herz hämmerte. Sie hielt es nicht länger aus. Obwohl sie im Grunde wusste, dass es absolut blödsinnig war gerade dann loszurennen, wenn gerade ein Schuss gefallen war, konnte sie einfach nicht anders. Lance blieb nichts anderes übrig, als ihr hinterher zu fliegen.

„Frauen“, murmelte er missmutig. Aber insgeheim war er auch ein bisschen stolz auf seinen Schützling. Er überholte sie, damit er sie wenigstens warnen konnte, falls es brenzlig wurde. Sie näherten sich dem Grundstück, das von einer hohen Thuja-Hecke umzäunt war. „Warte hier“, befahl Lance, da er von seiner Position aus sehen konnte, wie jemand aus dem Gebäude stürmte. Um wen es sich handelte, musste er erst noch herausfinden. Als sie keine Anstalten machte, auf ihn zu hören, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit einem kleinen Zauberbann zu belegen. Das würde sie zwar nicht lange aufhalten, war aber besser als gar nichts.

„Was zum…“ Kaja blieb die Sprache weg. Jetzt hatte dieser hinterlistige Drache sie doch tatsächlich dazu gebracht stehenzubleiben. Ohne groß nachzudenken, zeichnete sie mit den Fingern das Schutzzeichen in die Luft, dass Mémé ihr als Kind beigebracht hatte. Sofort konnte sie die Füsse wieder bewegen. Offensichtlich hatte sie damals besser aufgepasst, als ihr bewusst gewesen war. Sie wollte auf der Stelle wieder losrennen, als sie innehielt. Die kurze Zwangspause hatte offenbar ihr Gehirn wieder in Gang gesetzt. Lance hatte sicherlich einen guten Grund gehabt, weshalb er ihre Füsse am Boden festwachsen ließ, wie sie sich zähneknirschend eingestand. So näherte sie sich langsam und vorsichtig, darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu verursachen, der hohen Hecke. Sie schlich sich bis zur nächsten Lücke, die wohl von den Arbeitern benutzt wurde, um auf direktem Weg zum gegenüberliegenden Hotdog-Stand zu gelangen, der jetzt einsam und verlassen in der Dunkelheit stand. Da ihr Blut nicht mehr ganz so stark durch die Ohren rauschte, konnte sie hören, wie jemand auf sie zugerannt kam. Sie wusste allerdings nicht, ob Freund oder Feind. Fieberhaft überlegte sie, während die Schritte immer näher kamen.

In diesem Moment warnte sie Lance: „Achtung Kaja, der böse Unbekannte nähert sich dir. Wenn du ihn aufhalten möchtest, dann tu was!“

Toller Ratschlag dachte Kaja ungehalten. Und was genau? In dem Moment war der Schatten fast bei ihr angelangt. Aus einem Impuls heraus zwang sie sich, an Ort und Stelle hinter dem Rand der Hecke verborgen stehen zu bleiben und zu warten, bis der Mann nur noch zwei Schritte von ihr entfernt war. Dann nahm sie ihren ganzen Mut oder das, was davon noch übrig war, zusammen und streckte ihr Bein auf. Der Mann fiel um wie ein gefällter Baum und knallte kopfvoran auf den harten Gehsteig. Als endlich zwei Männer aus Simons Team hinzukamen, stand sie immer noch wie erstarrt an Ort und Stelle. Mühelos überwältigten die beiden den am Boden liegenden Mann und fesselten ihn mit Handschellen. Erleichtert nahm Kaja zur Kenntnis, dass der Mann zwar aus einer Kopfwunde blutete, ansonsten jedoch noch sehr lebendig zu sein schien. Zumindest ließen die fantasievollen Drohungen, die der Mann mit jedem Atemzug zischend ausstiess, darauf schließen.

Mit zitternden Knien ließ sie sich auf dem Rand des Gehwegs nieder. Langsam setzte der Schock ein, als ihr bewusst wurde, dass sie tatsächlich gerade einen Kriminellen buchstäblich zur Strecke gebracht hatte. Irgendjemand legte ihr eine Decke um die Schulter.

„Eigentlich müsste ich dich dafür, dass du nicht auf mich gehört hast, in eine Zelle sperren “, vernahm sie Simons Stimme von der Seite. Sie hatte ihn gar nicht kommen gehört. „Das meine ich im Ernst, Kaja! Ab jetzt nur noch Schreibtischjobs für dich. Trotzdem, gute Arbeit“, meinte er widerwillig.

„Weißt du was? Das habe ich eben selber auch beschlossen.“ Sie wandte den Kopf nach links um ihn schwach anzulächeln. „Du blutest ja!“, rief sie entsetzt aus, als sie den Blutgetränkten Lappen sah, den er sich an den linken Oberarm presste.

„Nur ein Streifschuss“, wehrte er ab. „Meine Schuld. Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Kerl es tatsächlich auf eine Schießerei ankommen lässt. Josef wird mir die Ohren langziehen. Und Tim wahrscheinlich auch“, fügte er grummelnd hinzu. „Wenigstens konnten wir einen der beiden aufhalten und Max ist auch frei.“

„Geht es ihm gut?“

Simon deutete auf den Krankenwagen, der ein Stück weiter die Straße runter angehalten hatte. „Er wird gerade durchgecheckt. Aber soweit ich es beurteilen konnte, fehlt ihm nichts, was ein wenig Ruhe und gute Pflege nicht in Ordnung bringen könnten.“

„Da bin aber ich erleichtert. Übrigens, den anderen haben wir auch!“

„Wie?“ Ruckartig setzte sich Simon auf.

Kaja erzählte ihm schnell, wie der Abteilungsleiter sein Auto geklaut hatte – und plötzlich nicht mehr weiterfahren konnte.“

„Was für ein Glück, dass du bereits draußen warst!“

„Hm“, antwortete Kaja unbestimmt. Sie konnte ihm ja schlecht von ihrem Drachen-Frühwarnsystem erzählen.

„Aber eins verstehe ich nicht: Weshalb ist er nicht zu Fuß weitergeflüchtet? Und weshalb ist das Auto überhaupt stehen geblieben? Der Wagen ist praktisch neu und ich hatte noch nie Probleme damit.“

Kaja druckste ein wenig herum. „Äh, das mag jetzt etwas seltsam klingen, aber elektronische Geräte spielen gerne ein wenig verrückt, wenn ich mich in ihrer Nähe aufrege…“

Skeptisch nahm Simon ihre Aussage zur Kenntnis. Eine bessere Erklärung hatte er allerdings auch nicht auf Lager. Er holte sein Funkgerät hervor und sprach einige knappe Anweisungen hinein. „Mein Team kümmert sich darum. Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?“

Kaja überlegte kurz. „Ich würde ganz gerne schnell nach Max sehen. Falls er ins Krankenhaus muss, begleite ich ihn. Deine Schussverletzung solltest du vielleicht auch zeigen.“ Sie deutete auf seinen Arm.

Unbehaglich wand er sich. „Lieber nicht. Josef wird sich darum kümmern.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Du bist der Profi.“ Sie wandte sich zum gehen, drehte sich dann aber nochmals um. „Danke. Und – tut mir leid, wegen deines Autos.“

Kaja begleitete Max ins Krankenhaus, von wo aus sie seinen Partner André informierte. Der war inzwischen auch schon ganz krank vor Sorge gewesen, da er Max nicht hatte erreichen können. Doch da er nicht gewusst hatte, wem er trauen sollte, hatte er niemanden um Hilfe gebeten. Als er endlich im Spital ankam, verabschiedete sich Kaja und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Sie hätte André gerne besser kennengelernt. Aber heute Abend war sie einfach zu müde.

Zum Glück kann ich von Schaffhausen direkt nach Zürich fahren, dachte sie erschöpft. Das Adrenalintief machte sich langsam bemerkbar. Vom Hauptbahnhof bis zu ihrer Wohnung würde sie sich ein Taxi gönnen, beschloss sie. Sie war definitiv nicht in Stimmung, um mit irgendwelchen Partygängern in der Kälte auf Tram und Bus zu warten.

Gegen ein Uhr nachts kam sie endlich zu Hause an. Sie wurde frenetisch von Zorro begrüsst. Der Arme hatte wohl die ganze Aufregung aus der Ferne mitbekommen und nicht helfen können. Sie schaffte es gerade noch, sich kurz sehr heiß zu duschen, bevor sie ins Bett wankte und ausnahmsweise auch Zorro in ihr Bett verfrachtete. Einladend tätschelte sie den Platz neben sich auf der Matratze. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sie schlang ihren Arm um ihn, legte ihren Kopf an sein dickes Fell und schlief auf der Stelle ein.