Kapitel 3
Kaja blieb auf der kleinen Anhöhe stehen und schaute hinunter auf das Haus ihrer Großmutter. Es lag eingebettet zwischen dem kleinen Rebberg und einem kleinen Bach. Aus dem Kamin stieg Rauch auf, der sofort vom Wind in alle Richtungen verweht wurde. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Tief atmete sie die feuchte Luft ein. Sie schloss die Augen, streckte die Arme aus und hielt ihr Gesicht in den kühlen Wind. Versonnen blickte sie in die Weite des kleinen Tals und dachte: Es ist so schön hier – ich hatte es fast vergessen.
In den letzten paar Monaten hatte sie ihren Besuch bei Mémé immer wieder aufgeschoben, wieso eigentlich? Irgendwie war sie in diese Karrieretretmühle des städtischen Lebens geraten und in der Illusion gefangen gewesen, ihre Anwesenheit im Projekt sei unentbehrlich. Kaja lachte verbittert auf: Ja, das hatte man ja gesehen, wie unentbehrlich sie war. Und alles nur, weil sie so blöd gewesen war, Frédéric zu vertrauen. Frustriert drehte sie sich um, packte ihre Tasche fester und verdrängte gewaltsam alle Gedanken an diesen Betrüger.
„Zorro, komm her. Wir sind gleich da. Mémé hat bestimmt was Gutes für dich“, rief sie ihrem Hund zu. Zorro tauchte zwischen den Reben auf. Er war völlig lehmverschmiert, da der Regen den schweren Boden aufgeweicht hatte. „Wie siehst du denn aus, mein Kleiner. Da muss ich dich wohl in den Bach stellen“, lachte Kaja, „nun komm, gehen wir.“
Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Der Hund freudig wedelnd neben Kaja und, unbemerkt von der jungen Frau, der Drache als Schlusslicht.
Beim Haus angekommen, setzte Kaja ihre Reisetasche auf der alten Holzbank neben der Tür ab und machte als erstes ihre Drohung war, den Hund in den Bach zu bugsieren. „Zorro, stell dich nicht so an! Rein mit dir!“ Schwungvoll verfrachtete sie ihn ins Wasser. Mit einer Hand packte sie ihn am Halsband, um mit der anderen die Sand und Lehmreste aus seinem Fell und den Pfoten zu waschen. Endlich zufrieden mit dem Ergebnis, ließ sie den zappelnden Hund los. Zorro sprang mit einem Satz aus dem Wasser und stürmte zum Haus. Dort stellte er sich an der Tür hoch, drückte mit den Pfoten die Türklinke herunter und zwängte sich ins Haus.
Kaja folgte ihm ins Innere des Hauses und fühlte sich sogleich wieder zuhause. Mémé kam aus der Küche und begrüßte sie: „Da bist du ja endlich! Ich habe dich schon erwartet. Nanu? Seid ihr diesmal gleich zu dritt gekommen?“
„Salut Mémé. Zu dritt? Nein, wir sind nur zu zweit, ich und mein kleiner Racker“, antwortete sie und umarmte die alte Frau innig. „Tim ist weiter ins Dorf gefahren und holt dann mit Luc noch mein Auto. Und was meinst du damit, du hättest mich erwartet?“, fragte sie verwundert.
Mémé stutzte einen Moment bis sie begriff, dass Kaja noch nichts von der Anwesenheit des Drachen ahnte. Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Kaja war schon immer sehr kopflastig durchs Leben gehetzt und wollte nie etwas zum Thema Intuition hören. Nun gut, dann würde sie das Mädchen nicht aufmerksam machen auf etwas, dass sie offensichtlich nicht sehen wollte.
„Benimm dich einfach!“, zischte sie dem Drachen leise zu, „ich stelle dir eine Schale Milch aufs Fensterbrett, das sollte ja genügen.“
„Mémé? Was ist los? Sprichst du wieder mit deinen Hausgeistern?“, wollte ihre Enkelin spöttisch wissen.
„Junge Dame, nicht in diesem Ton. Du bist immer noch meine kleine Enkelin und es bleibt dir überlassen, nichts von Hausgeistern zu halten. Aber hier in meinem Reich sprichst du mit Respekt von ihnen. Ich habe nämlich keine Lust, dass sie sich über dich ärgern und anfangen, Unsinn zu treiben. In Ordnung?“
„Ist ja gut“, wehrte Kaja lachend ab und hob versöhnlich die Hände. Sie wusste ja, wie empfindlich Mémé war, was ihre Rituale anbelangte. Ihre Großmutter galt im ganzen Umkreis als weise Frau und wurde von allen hoch geschätzt wegen ihres Heilwissens. Zudem machte sie die besten Duftkerzen weit und breit. Diese verkaufte sie jeweils freitags auf dem Markt im Dorf. Sie waren beliebte Touristengeschenke, wurden aber auch von den Ansässigen sehr gern gekauft, weil diese um die wohltuende Wirkung der reinen ätherischen Öle wussten, die Mémé bei der Herstellung verwendete. Als Kind hatte Kaja Mémé stundenlang zugeschaut. Und als sie grösser wurde, viele verregnete Nachmittage dabei geholfen, die Kräuter zuzubereiten um die kostbaren Öle zu gewinnen, das Wachs aus Paraffin und Stearin zu mischen und die Kerzen zu gießen. Und in der Weihnachtszeit kamen noch die sanft riechenden Bienenwachskerzen hinzu, die sie zusammen in stundenlanger Arbeit in vertrautem Schweigen oder beim Klang von Mémés Stimme, die alte Märchen erzählte, zogen. Doch von allem anderen, was ihre Großmutter tat, hatte sie sich immer distanziert. Es reichte schon so, wenn die anderen im Internat ihr Hexenkind hinterher riefen. Wenn sie jetzt so zurück dachte, konnte sie nicht einmal mehr sagen, was der Grund gewesen war, dass die anderen sie so nannten. Sie hatte nur beiläufig etwas erzählt, was sie in den Sommerferien gemacht hatte. Auf jeden Fall hatte sie danach gut aufgepasst und immer nur unverfängliche Erlebnisse zum Besten gegeben. Und wollte auch mit Mémé über nichts mehr sprechen, das man nicht sehen und anfassen konnte.
„Also, wieso wusstest du, dass ich komme? Ich wusste es ja selbst erst, als ich im Auto saß“, ließ Kaja nicht locker. Denn obwohl sie selbst nichts mit dergleichen am Hut hatte, staunte sie immer wieder über Mémés sechsten Sinn.
„Du weißt doch, dass wir eine gute telepathische Verbindung haben. Wenn du auch mal auf Empfang schalten würdest…“, sie beendete den Satz nicht, wohl wissend, dass sie damit bei ihrer Enkelin auf taube Ohren stossen würde. Obwohl, der Drache ist ja offensichtlich wegen ihr hier, dachte sie bei sich, „das kann ja noch heiter werden.“ Laut sagte sie: „Jetzt komm erst mal richtig an. Ich habe dir deinen Lieblingskuchen gebacken und das Teewasser sollte jetzt dann auch heiß genug sein.“
Sie ging voran in die Küche und Kaja folgte ihr. Sie mussten beide den Kopf ein wenig einziehen, um den getrockneten Kräutern auszuweichen, welche fein säuberlich sortiert vom Deckenbalken hingen, um zu trocknen. Die Küche war das Herzstück des kleinen Bauernhauses. Die Abdeckung war aus gehauenen Granitplatten gestaltet und bildete einen schönen Kontrast zur Holzeinrichtung. In der Mitte stand der uralte Holztisch, der überall Spuren seines langen Lebens aufwies. Diverse Einkerbungen und verblasste Farbtupfer erinnerten an Kajas künstlerische Eingebungen in der Kindheit oder an ihre ersten Versuche, selbst Brot mit dem großen Messer zu schneiden. Durch die alten Doppelfenster mit den Holzstreben schickte die untergehende Sonne, die sich inzwischen wieder hervorgewagt hatte, ihre letzten Strahlen und zeichnete ein warmes Muster an die Wände. Aus dem kleinen CD-Player in einer Ecke tönte leise klassische Musik. Mozart, vermutete Kaja, war sich aber nicht sicher. Zwar gefiel ihr klassische Musik, sie konnte sie jedoch selten einordnen, wenn sie sie hörte. Zorro lag schon ganz entspannt zusammengerollt vor dem offenen Kamin.
Sie ließ sich am Küchentisch nieder und fing an Ria zu streicheln, die schneeweiße Katze von Mémé, die hoheitsvoll auf den Hund herab blinzelte. Ria war die Nachfolgerin von Kämpfer, einem getigerten Kater, der rauflustig den ganzen Hof beherrscht und tyrannisiert hatte. Er war Kajas Schatten gewesen, als sie noch klein war. Er hatte sie auf allen ihren Erkundungsgängen rund um den Hof begleitet und in der Nacht in ihrem Bett geschlafen. Leider hatte er einen Kampf mit einem streunenden Hund, den er partout nicht in der alten Scheune dulden wollte, nicht überlebt. Kaja war damals untröstlich gewesen. Lange wollte sie nichts von einer neuen Katze wissen, bis sie in ihren Sommerferien eines Tages über ein kleines, weißes, verwaistes Fellbündel gestolpert war. Zusammen mit Mémé hatte sie das Kätzchen aufgepäppelt. Ria hatte sich allerdings sehr Mémé angeschlossen und war unbestreitbar ihre Katze. Da konnte man nichts machen. Katzen suchen sich ihre Menschen halt selber aus, dachte Kaja. Ist vielleicht auch besser so, ich war in den letzten paar Jahren ja so selten hier.
„Was für einen Tee möchtest du?“, tönte die Stimme ihrer Großmutter aus einem Schrank über der Spüle.
„Vielleicht einen Orangenblütentee, der sollte meine Gedanken ein wenig beruhigen“, antwortete Kaja ohne nachzudenken.
Erfreut drehte sich Mémé um und meinte: „Du hast ja doch einiges behalten, was ich dir über Kräuter beigebracht habe.“
Gespielt verzweifelt sagte Kaja: „Ich kann nichts dafür, mein Gedächtnis speichert einfach alles, was ich höre“, und kicherte dann los.
So war sie wenigstens mit minimalem Aufwand durch die Schule und schließlich durchs Studium gekommen. Beim Gedanken an das Studium folgte sogleich die Erinnerung an ihren Job hinterher und die damit verbundenen Probleme. Sofort verdüsterte sich ihre Stimmung wieder. Rastlos fing sie an, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, gleichzeitig verabschiedete sich der CD-Player mit einem Knistern und gab den Geist auf. Mémé, die eben das heiße Wasser über die Kräuter gegossen hatte und nun den dampfenden Krug zum Ziehen auf den Tisch stellte, schaute auf und blickte von Kaja, die mit finsterer Miene dasaß, zu dem elektronischen Gerät und wieder zurück.
„Was ist los Kindchen – auf wen bist du so wütend?“, wollte sie von ihrer Enkeltochter wissen.
„Auf niemanden, wie kommst du darauf?“, antwortete Kaja ausweichend, „danke fürs Tee kochen!“
„Lenk nicht ab, junge Dame, bleib beim Thema und bleib sitzen“, sagte Mémé, als Kaja Anstalten machte, aufzustehen, um die Teetassen zu holen. „Wenn ich mir deinen Gesichtsausdruck so anschaue und gleichzeitig noch mit ansehen muss, wie mein neuer CD-Player stirbt, musst du mir nicht weiß machen wollen, nichts sei los.“ Sie drehte sich um, um aus dem Schrank zwei Tassen zu holen.
Kaja versuchte, ihre Miene zu glätten und ein unschuldiges Gesicht zu machen. Was kläglich misslang. Also verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen und atmete tief durch: „Ja, Mémé, du hast ja recht. Nichts ist in Ordnung. Ich erzähle dir auch alles. Nur, wenn es dir recht ist, nicht gleich. Jetzt möchte ich einfach nur deine Gesellschaft und deinen Kuchen genießen, wenn das geht.“
Bestürzt über den verzweifelten Ton in Kajas Stimme ging Mémé zu ihr und strich ihr übers Haar. „Ja, klar, ruh dich erst einmal aus. Hier, nimm ein Stück Mohnkuchen. Du kannst mir alles morgen erzählen.“ „Das lässt mich ja hoffen, dass du mir ein paar Tage erhalten bleiben wirst“, neckte sie schließlich.
Dankbar nahm Kaja das angebotene Stück Kuchen an und biss herzhaft hinein. Dabei fiel ihr ein, dass sie seit heute Morgen nur von Müsliriegeln gelebt hatte. Kein Wunder, dass ihr schon der Magen knurrte. Endlich fiel ein wenig von der Anspannung von ihr ab. Der heiße Tee entfaltete seine beruhigende Wirkung und sie lehnte sich im Stuhl zurück, um ihre langen Beine neben dem Tisch ausstrecken zu können.
Mémé durchbrach das Schweigen: „Du hast vorhin Tim erwähnt. Hast du ihn bereits getroffen? Und was war mit deinem Auto los, dass sich Luc darum kümmern muss?“
„Ach ja“, seufzte Kaja, „mein Auto. Ja, wenn ich das wüsste. Es ist einfach stehen geblieben. Zum Glück nicht weit von hier, gleich vor der letzten großen Kurve auf der Landstraße wenn du vom Osten her kommst. Da ist zufälligerweise Tim vorbei gefahren und hat mich auch gleich erkannt. Er hat angehalten, um mir zu helfen.“
Sie musste lächeln, als sie an die kurze Begegnung zurück dachte. Wie lange hatten sie sich jetzt nicht mehr gesehen? Acht oder neun Jahre. Egal.
Laut sagte sie: „Auf jeden Fall ist es ein schöner Zufall, dass er gerade jetzt auch hier ist. Er wollte Luc in der Garage Bescheid sagen, damit er mein Auto abschleppt. Ich werde wohl morgen kurz bei ihm vorbeifahren um zu sehen, ob er schon etwas herausgefunden hat“, schloss sie ihren Bericht.
„Dann kannst du gleich meinen CD-Player mitnehmen, den du zum Abstürzen gebracht hast. Vielleicht kann er den ja auch reparieren“, antwortete Mémé.
Kaja zog eine Grimasse. Herrje, fing das vielleicht wieder an? Während ihrer Pubertät waren bei ihren heftigen Gefühlsausbrüchen laufend elektronische Geräte kaputt gegangen, Glühbirnen zerplatzt oder zumindest vorübergehend nicht mehr funktionstüchtig gewesen. Sie hatte zwischenzeitlich zwar gelernt, sich zusammenzunehmen. In der letzten Zeit fühlte sie sich allerdings immer mehr wie ein Dampfkochtopf, der kurz vor dem Explodieren stand. Diesem Umstand war auch ihre Abneigung gegen Handys zuzuschreiben. Die Dinger funktionierten garantiert nie, wenn sie sie brauchte.
Sie stand auf, um ihre Tasche zu holen, die immer noch auf der Bank vor dem Haus stand. „Ich füttere nur schnell mein kleines Raubtier“, sagte sie zu Mémé. Zorro, der sie genau verstanden hatte, folgte ihr eilig hinaus in den Flur und vor die Tür und dann wieder zurück in die Küche. Kaja lachte: „Du Lauser, hast schon wieder mitgekriegt, um was es geht, was?“ Sie füllte einen Napf mit Wasser, den anderen mit Trockenfutter und stellte es ihm an seinem gewohnten Platz auf dem Boden.
Mémé musste schmunzeln, als sie die beiden beobachtete. Die Verständigung zwischen Mensch und Tier war so einfach, wenn sich der Mensch nur die Mühe machte, sich auf das Tier einzulassen. Aber nein, die Menschen hatten es ja lieber kompliziert. Erst vermenschlichten sie die Tiere bis zum geht nicht mehr, bis der Hund nicht mehr Hund sein durfte, und dann rannten sie verzweifelt zu Hunde-oder anderen Flüsterern oder Tierpsychologen, wo sie teures Geld dafür bezahlten, ihre Tiere zu verstehen.
Kaja drehte sich zu Mémé um und sagte: „Ich gehe dann mal nach oben und stell mich unter die Dusche. Brauchst du nachher meine Hilfe beim Vorbereiten des Abendessens?“
„Ja, gerne. Wenn du das machen könntest, bleibt mir genug Zeit, die Kerzen fertig zu machen, mit denen ich heute Morgen angefangen habe.“
„Gut abgemacht. Zorro lasse ich am besten hier unten, er ist ja sowieso am liebsten bei dir im Atelier.“
Mémé hatte vor ein paar Jahren den Schuppen, der ans Haus anschloss, in ein Atelier umgebaut. Was früher nur eine alte Bretterverkleidung gewesen war, um Heu und Holz zu lagern, erstrahlte nun dank einer hellen Holzfassade, die gerade erst begonnen hatte nachzudunkeln, in neuem Glanz. Auf der Südwestseite ließ eine hohe Fensterfront viel Licht in das Innere. Sollte es im Sommer zu heiß werden, konnten Sonnensegel vor die Fenster gezogen werden. Das Wachs sowie die schon fertigen Kerzen bewahrte Mémé unterirdisch in einem Kellergewölbe auf. Jetzt konnte sie arbeiten wie sie wollte und musste vor allem nicht immer alles am Abend wieder wegräumen wie früher, als sie noch in der Küche gearbeitet hatte.
Frisch geduscht kam Kaja eine halbe Stunde später in die Küche zurück und begann, den Kühlschrank zu durchforsten. Sie fand Trockenfleisch und Schinken aus der Region, etwas Crème Fraîche, drei Pellkartoffeln und Eier und entschied sich dafür, eine große Omelette zu backen. Sie verschwand durch eine kleine Tür an der rechten Seite der Küche in der Vorratskammer und machte noch einige Karotten und eine Zwiebel ausfindig.
Während sie die Zwiebeln klein hackte, erhitzte sie in einer Pfanne ein wenig Butter. Als sie fertig war, gab sie die Zwiebeln in das heiße Fett und ließ sie auf kleiner Flamme glasig werden. Sie schnappte sich die Küchenschere und ging aus dem Haus. An der Südseite des Hauses zog Mémé ihre Kräuter, die für den Küchengebrauch bestimmt waren. Das war recht praktisch, so hatte man alles immer frisch verfügbar. Sie suchte sich Thymian, Oregano und ein Büschel Schnittlauch zusammen, schnitt alles ab und sprach, in Gedanken an ihre Großmutter, den Pflanzengeistern ein kurzes Dankeschön aus.
Zurück in der Küche, schnipselte sie die Kräuter zu den Zwiebeln dazu und dämpfte sie ein wenig an, während sie die Kartoffeln schälte und klein würfelte. Das hätte ich auch besser am Anfang gemacht, schimpfte Kaja leise vor sich hin, jetzt bin ich wieder mal im Stress! Jetzt schnell noch den Schinken in Streifen schneiden und die Eier verquirlen. Sie gab alles in die Bratpfanne und rührte dann immer wieder um, während sie die Karotten schälte und raffelte.
Plötzlich kam Zorro in die Küche gestürmt und wollte gleich ein übrig gebliebenes Stück Schinken vom Tisch klauen, was er auch schaffte. Ohne zu überlegen warf Kaja den Kochlöffel, den sie in der Hand hatte Richtung Hund. Zorro, der das schon kannte, hatte sich jedoch in letzter Sekunde mit seiner Beute unter den Tisch verzogen.
„Wie ich sehe, hast du den kleinen Racker immer noch nicht besser erzogen!“, tönte Mémés Stimme aus dem Flur.
„Ja, wenn ich nur wüsste wie – ich kann ihn ja schlecht bitten, es bleiben zu lassen. Besser gesagt, kann ich das schon, nur interessiert das Zorro nicht wirklich“, antwortete sie leicht genervt. „Wenn du den Tisch deckst, mach ich schnell die Sauce für den Karottensalat fertig. Hast du noch irgendwo Senf? Den habe ich nämlich nirgends gefunden“, fragte Kaja.
„Ich hol ihn dir gleich, er steht in einem Tontopf neben den Konservendosen.“ Mémé platzierte den Topf mit dem grobkörnigen Senf neben ihre Enkelin und deckte den Tisch. Während Kaja den Salat fertig machte, verteilte sie das Rührei auf zwei Teller. Kaja stellte den Salat zusammen mit dem Fleisch und der Crème Fraîche in die Mitte und setzte sich zu ihrer Großmutter an den Tisch.
„Das schmeckt ja wieder einmal phänomenal“, lobte Mémé.
Dann war eine ganze Weile nichts mehr zu hören. Sie assen in einvernehmlichem Schweigen, zufrieden das einfache aber gute Essen genießend. Als sie fertig gegessen hatten, brachte Mémé Kaja auf den neuesten Stand, was das Dorfleben im letzten Jahr so gemacht hatte. Unterdessen räumte Kaja den Tisch ab und stellte die schmutzigen Teller in die Spüle.
„Lass nur“, unterbrach Mémé ihre Erzählungen, „ich mache den Abwasch dann, du hast ja gekocht.“
„Okay, danke“, sagte Kaja und schnitt sich noch ein Stück Kuchen ab. „Möchtest du auch noch eins“, fragte sie Mémé, während sie einen frischen Tee aufbrühte.
„Nein danke, aber eine Tasse Tee nehme ich gerne.“
Kaja füllte zwei Tassen mit dem aromatisch duftenden Tee und stellte sie auf den Tisch. Sie holte den Teekrug und ihr Stück Kuchen und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Behaglich streckte sie sich und seufzte: „Aah, hat das gut getan. Ich koche und esse so gerne, aber für mich alleine macht es einfach keinen Spaß. Und überhaupt habe ich meistens so viel um die Ohren, dass ich höchstens mal auswärts richtig zum Essen komme und das ist einfach nicht dasselbe.“ Zorro erhob sich von seinem Kaminplätzchen und setzte sich zu ihren Füssen. Besser gesagt auf ihre Füsse. Automatisch fing Kaja an, ihrem Hund die Ohren zu kraulen, was dieser sichtlich genoss. Als sie damit aufhören wollte, stupste er sie ungeduldig mit der Schnauze an.
„Ist ja gut, Kleiner, ich mach ja schon weiter.“ Zu Mémé gewandt meinte sie scherzhaft: „Er ist ein kleiner Tyrannosaurus Rex geworden. Ich habe ihn wohl zu sehr verwöhnt. Am besten, ich gehe mit ihm zur alten Mühle, da kann er sich noch ein wenig die Beine vertreten und sein Geschäft erledigen.“ Sie stand auf und schnappte sich die Leine. Wahrscheinlich würde sie sie nicht brauchen, aber man wusste ja nie. Mémé bekam – ganz wie in alten Zeiten – eine Umarmung: „Wir sprechen morgen ausführlicher, ich geh nachher gleich ins Bett, in Ordnung?“
„Ja klar, schlaf gut und träum was Schönes.“
„Du auch.“ Kaja folgte Zorro, der schon vorausgelaufen war, zur Haustür und die beiden verschwanden im Dunkeln.
„So“, sagte die alte Frau in die Stille hinein. „Du hast dich bis jetzt ja erstaunlicherweise sehr zurückhaltend und gesittet verhalten. Jetzt erzähl doch mal, was du von meiner Enkelin willst. Und wage es nicht, mich anzuschwindeln. Ich gebe dir auch einen aus.“
Sie stand auf und füllte ein Glas mit Milch und gab einen großzügigen Schuss Holunderschnaps hinzu. Mit dem Glas in der Hand setzte sie sich wieder an den Tisch und wartete. Plötzlich waberte ein blaues nordlichtartiges Flackern durch den Raum. Der Drache nahm langsam Gestalt an und ließ sich elegant auf dem Stuhl gegenüber nieder, ein freches Grinsen im Gesicht. „Hola Josephine, lange nicht gesehen…“