Kein Wunder, dass all dies später einmal einen Teil der Menschheitsgeschichte darstellen sollte. Dadua spielte den letzten Akkord, und wir blieben schweigend sitzen - der letzten Note nachlauschend.
»Welche Schönheit entströmt dem Mund des Königs!«, rief jemand von der Treppe, die aus dem Hof zu uns heraufführte.
Wie ein Mann drehten wir die Köpfe, um nachzusehen, wer da gesprochen hatte.
»Welches Gefühl für seinen gefallenen Bruder! Welches Mitgefühl für die Verlorenen Y’sraels!« Ein alter Mann mit lockigem, geflochtenem Haar und wallendem Bart trat vor. Er war zwar alt, doch immer noch ausgesprochen gut aussehend.
»Wer bist du?«, fragte ein Gibori, der augenblicklich in Angriffsstellung ging, um Dadua notfalls zu verteidigen.
Der Mann nestelte eine Schriftrolle aus seiner Bauchschärpe und reichte sie dem Gibori. »Ich überbringe eine Botschaft von Hiram, dem Herrn über Tsor. Es ist eine Botschaft des Friedens an euren hochgeschätzten Dichterkönig Dadua.«
Er sprach unseren Dialekt. Wie nicht anders zu erwarten, lehnten sich die Giborim zurück, um das Geschehen zu verfolgen. Immerhin konnte das genauso unterhaltsam werden wie eine Geschichte.
Einer der jüngeren Giborim nahm die Rolle und wickelte sie auf. Die anderen Soldaten zogen ihn deshalb auf, denn fast keiner von ihnen konnte lesen. Der junge Soldat starrte angestrengt auf das Papier, ohne auf die Frotzeleien seiner Kameraden einzugehen. Schließlich rollte er die Botschaft wieder zusammen und überbrachte sie Dadua.
Der blickte auf die Schriftzeichen, ohne dass sein Rosetti-perfektes Gesicht irgendeine Regung erkennen ließ. »Mein Schreiber wird das vorlesen«, erklärte er gelassen. Er sah auf. »Chavsha, bist du hier?«
Unsere Blicke begegneten sich, und Cheftu erhob sich, um vor den König zu treten. Er war wie ein Mann aus den Stämmen gekleidet, er ließ sich sogar einen Bart wachsen, doch er bewegte sich immer noch mit der katzenhaften Eleganz, die den Ägyptern eigen zu sein schien.
»Dein Wille geschehe«, sagte Cheftu mit einer Verbeugung, bei der er einen Arm über die Brust legte, so als würde er Pharao einen Dienst erweisen. Dadua zuckte nicht mal mit der Wimper. Er reichte Cheftu die Schriftrolle, als hätten sie das schon tausendmal getan. Ich war hin- und hergerissen: Einerseits hätte ich am liebsten hysterisch gelacht, andererseits wäre mir beinahe der Lehmbecher aus der Hand gefallen. Wem machte Dadua hier etwas vor? Ich blickte wieder auf den Boten.
Er war groß und stand vom Alter ungebeugt, aufrecht und mit durchgestreckten Schultern da. Gekleidet war er in eine dezent gefärbte und gemusterte Tunika. Er stand zur Hälfte im Schatten, sodass kaum Details zu erkennen waren. Doch er besaß unleugbar Ausstrahlung.
»An Dadua, den Herrscher in der Höhe: Sei gegrüßt, mein Bruder, von Hiram, Zakar Ba’al von Tsor, deinem erhabenen Ebenbürtigen«, las Cheftu vor.
»Für wen hält sich dieser Hiram eigentlich, dass er sich anmaßt, ein Sohn Avrahams sein zu wollen, indem er sich erhabener Bruder< nennt?«, kommentierte ein Gibori.
»Er ist nicht beschnitten«, ereiferte sich ein Zweiter.
»Das ist poetisch gemeint«, erklärte Abishi. »Er weiß, dass sie keine Brüder sind. Er sagt das nur, damit seine Bitten gefälliger klingen.«
Ich beobachtete den Boten während dieses Wortwechsels unter den Giborim. Er schien sich darüber zu amüsieren, allerdings war seine Miene kaum zu erkennen. Locken fielen ihm in die Stirn, und das übrige Gesicht wurde von der rechteckigen Umrahmung seines Bartes verdeckt. Dennoch hatte ich ein komisches Gefühl. Vielleicht wegen seiner Nase?
Die Männer beruhigten sich wieder, und Cheftu las weiter. »Da du nun in Abdihebas Behausung wohnst, hast du gewiss bemerkt, dass er kein Mensch war, dem viel an Bequemlichkeit lag.«
»Das braucht uns kein Heide zu erklären!«, rief einer. Cheftu blickte auf, und ich sah sein Gesicht im Profil.
Mit kurzem Haar war er wirklich wunderschön, obwohl seine Schläfenlocken bereits wieder wuchsen.
Ich hörte einen leisen Aufschrei und drehte mich um.
Der Bote war ins Straucheln geraten und sank jetzt, gestützt von einem Gibori, zu Boden. Der Mann war totenbleich geworden, das konnte man selbst bei diesem Licht erkennen. Die Soldaten netzten seine Lippen mit Wein. Er starrte Cheftu mit riesigen Augen an. »Habe ich etwas Falsches gesagt, Adoni?«, fragte Cheftu, als wir Übrigen uns zu ihm umdrehten, um festzustellen, was der Bote an ihm gesehen hatte.
Der Mann schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
»Bitte«, sagte er gleich darauf, »fahre fort.«
Dadua hatte kein Wort gesprochen. An einem richtigen Königshof hätte er sich wahrscheinlich nicht dazu herabgelassen, mit diesem Mann zu sprechen. Doch jetzt schwieg er wohl eher, weil er misstrauisch war. So weit ich das aus meiner geistigen Landkarte memorierte, entwickelte sich Tsor in ökonomischer wie auch sozialer Hinsicht allmählich zu einer Großmacht. Was wollten sie hier? Oder warum kam Zakar Ba’al nicht persönlich?
Es konnte sich um einen Bluff handeln, um in die Stadt zu gelangen und uns genauso zu überlisten, wie wir die Jebusi überlistet hatten. Ich sah zu Zorak hinüber, der das Zwischenspiel vollkommen ignorierte und sehnsüchtig ins Dunkel starrte. Vielleicht war eine solche List nichts Absolutes, sondern von der individuellen Perspektive abhängig?
Cheftu senkte den Blick und las weiter. »Er, also Abdiheba«, schob Cheftu ein, als er weiterlas, »glaubte, dass körperliche Schmerzen den Sieg in der Schlacht garantieren.
Ein interessantes, doch unnötiges Ritual, wie ich meine. Den Berichten nach bist du ein Mann der Stärke, der Gnade und der Kunst. Darum schlage ich Folgendes vor, um der vereinten Ziele von Frieden und Handel zwischen unseren Völkern willen:
Der Mann, der diese Nachricht überbracht hat, ist mein oberster Baumeister und Architekt.« Cheftu sah den Boten an, genau wie wir alle. Tränen flossen über das Gesicht des Mannes. Hatte er Schmerzen? Seine Augen waren immer noch geschlossen, und er keuchte hektisch. Die Hände hatte er unter dem Hemd seiner Tunika zu Fäusten geballt. Etwas an ihm kam mir eindeutig bekannt vor. Cheftu las weiter.
»Er und seine Männer werden dir zum Zeichen dafür, wie sehr ich an dich glaube, einen Palast aus tsorischer Zeder erbauen -«
Die Menschen aus den Stämmen hielten den Atem an.
»- mit Nebengebäuden und Regierungsräumen. Eure Nation ist jung und stark, und sie setzt den Waden der Pelesti zu. Ich wünsche sie wachsen zu sehen.«
Ich schaute auf Dadua. Sein Blick war fest auf den Boten gerichtet; hatte er dieses unglaubliche Angebot überhaupt mitbekommen? Cheftu fasste zusammen:
»Sollte ha-Adon an seinem neuen Palast Gefallen finden, wird er sich vielleicht dazu herablassen, meine Karawanen sowie alle, die unter meinem Schutz stehen, von Ägypten aus durch sein blühendes Tal ziehen zu lassen. Erlaube meinem Architekten, deinen Palast zu erbauen, während du über diesen Handel nachsinnst. Ich freue mich darauf, meinem Bruder eines Tages von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Der Segen deines Gottes sei mit dir. Unterzeichnet Hiram, Zakar Ba’al von Tsor.«
Unsere Köpfe fuhren herum wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen. Dieser alte Mann war oberster Baumeister?
»Unmöglich«, antwortete Dadua. Wie ein Mann schauten wir ihn wieder an. Er stand auf. »Richte Zakar Ba’al aus, dass wir sein Angebot zu schätzen wissen, aber es nicht annehmen können.«
Chef tu sah vom einen zum anderen. Mit einem kaum merklichen Stirnrunzeln betrachtete er den Boten. Hatte er dasselbe eigenartige Gefühl wie ich? »Adoni«, sagte er. Dadua sah ihn zornig an. »Als Adonis Schreiber«, fuhr er fort, wobei er das Wort »Schreiber« betonte, »würde ich vorschlagen, dass wir dem Mann Obdach für die Nacht bieten und diese Sache besprechen, nachdem er sich ausgeruht hat.«
»Er wird nicht in meiner Stadt bleiben«, gebot Dadua.
Er klang nicht abweisend, sondern sagte das als bloße Feststellung. Cheftu sah wieder auf den Boten. Der Mann hatte die Augen niedergeschlagen, fast als könnte er den Anblick nicht länger ertragen.
Mein komisches Gefühl steigerte sich zu einer mulmigen Vorahnung, so als würde jemand nicht nur über mein Grab laufen, sondern darauf Polka tanzen.
Cheftu redete leise und hektisch auf Dadua ein, um ihn zu überreden, den Mann in einem der Wachhäuser schlafen zu lassen. Immer mehr Frauen verdrückten sich vom Dach nach unten, um dem Mann einen Schlafplatz zu bereiten, auch wenn dafür irgendeine Familie heute Nacht draußen im Wald schlafen musste.
»Das ist nicht nötig«, sagte der Bote plötzlich. »Wir haben schon ein Quartier.« Er verbeugte sich. »Vielleicht darf ich morgen vor ha-Adons Augen treten?« Im Gegensatz zu vorhin, als seine Stimme laut und kräftig geklungen hatte, sprach er jetzt beinahe schleppend. Hatte der Mann einen Schlaganfall gehabt? Sollte Cheftu ihn untersuchen?
Offenbar war ich nicht die Einzige, die sich darüber Gedanken machte. N’tan trat vor und bot dem Boten an, ihn zu untersuchen. Der Bote reagierte aufgebracht und wich unter Entschuldigungen zurück. Die Giborim wirkten angespannt und rückten kaum merklich an Dadua heran.
Der Bote wandte sich zum Gehen und kam dabei an uns Frauen vorbei. Einen Moment lang sahen wir einander in die Augen. Sein Blick wirkte gehetzt und entblößt, so als wären seine Gefühle eben mit dem Sandstrahler freigelegt worden. Qual und Freude mischten sich in seiner Miene, dann wandte er das Gesicht ab.
Schweigend saßen wir da und lauschten, wie er mit keineswegs müde klingenden Schritten den Rückzug über die Treppe antrat. Ein paar Giborim folgten ihm. Wie war er überhaupt in die Stadt gekommen? Hatte sich jemand darüber Gedanken gemacht?
Dadua wandte sich an Cheftu. »Was sollte das heißen?«
Wie viele Menschen, die nie Großzügigkeit erfahren hatten, misstraute er jedem, der mit vollen Händen gab.
In diesem Fall war sein Misstrauen wahrscheinlich berechtigt. Irgendetwas war an diesen Augen ...
»Wenn ich das richtig verstehe«, sagte Cheftu, »werden seine Männer dir einen Palast mit Nebengebäuden und Regierungsräumen errichten.«
Dadua blieb vorsichtig. »Und als Gegenleistung dürfen sie mein Königreich durchqueren?«
Cheftu zuckte mit den Achseln. »Und wahrscheinlich will er einen Platz, an dem seine Männer wohnen können.«
»Unmöglich«, urteilte Dadua wieder.
Abishi beugte sich vor. »Adoni, wir brauchen neue Häuser für unser Volk. Noch kommen wir so zurecht. Die Stammesbrüder und die Jebusi wohnen in ihren Sommerhäusern auf den Feldern und in den Weinbergen. Doch bald wird es Winter. Und hier ist der Winter kälter, als wir es gewohnt sind. Wo sollen die Menschen dann leben?«
Dadua zog die Stirn in Falten. »Ich werde nicht zulassen, dass ein Heide mit seinen Gefolgsleuten in meiner Stadt wohnt! Das wäre töricht!«
Yoav meldete sich bedächtig zu Wort. »Da hast du Recht, Adoni. Aber es muss eine Möglichkeit geben.«
»Könnten wir die Stadt vielleicht vergrößern?«, fragte N’tan. »Und ihn irgendwo außerhalb der Mauern bauen lassen?«
»Dort könnten wir ihn nicht beschützen«, wandte Yoav ein.
»Im Norden schon«, warf Abishi ein. Wir alle sahen ihn an.
»Er spricht die Wahrheit«, meinte ein weiterer, mir unbekannter General. »Zwischen hier und der Tenne der Jebusi gibt es Plateaus, die noch verbreitert werden könnten.«
Wieder sprach Abishi. »Ach, und weil sie sich zwischen dem unteren Tor und der Tenne befinden, könnte niemand dort eindringen.« »Und dennoch würden sie nicht innerhalb der Stadtmauern wohnen«, stellte Yoav klar.
Dadua durchbohrte Cheftu mit einem Blick. »Was meinst du dazu?«
»Sie handeln mit dem, was sie haben«, antwortete Cheftu. »Sie haben nichts, was sie dir sonst anbieten könnten, nichts von großem Wert. Sie außerhalb der Mauern bauen zu lassen, würde eine ganze Reihe von Problemen lösen. Noch dazu würden sie die Kosten für Material und Arbeit übernehmen.«
»Zum Ausgleich musst du sie nur durch das Land der Stämme reisen lassen«, sagte Abishi.
»Wir könnten sie sogar eskortieren«, ergänzte Yoav. »Auf diese Weise würden die Giborim zwischen ihren Einsätzen gegen die Pelesti in Übung bleiben.« Sein Blick tastete kurz die Zuhörer ab. Ich sah, wie Cheftus Miene sich verhärtete. Dieser Mann ließ sich wirklich keine Gelegenheit entgehen.
Dadua gähnte. »Ich werde darüber nachdenken.«
Im Chor antworteten wir: »Dein Wille geschehe.«
»Wenn ihr bei uns bleiben wollt, müsst ihr unsere Gesetze befolgen«, sagte Dadua.
Wir schmorten in dem engen, behelfsmäßigen Audienzraum im eigenen Saft. Abgesehen von dem Wasserfall in seinem Harem hatte Abdiheba keinerlei Sinn für Ästhetik gezeigt. Alle Bauten waren für einen Belagerungsfall konzipiert.
Bei dem Gedanken rutschte ich nervös herum.
Der Bote neigte den Kopf. »Ha-Adons Wille geschehe«, sagte er. Er klang wieder kleinlaut. Vielleicht war sein donnernder Auftritt auf dem Dach nur Show gewesen?
»Wann werdet ihr anfangen?«, fragte Cheftu.
Der Bote senkte den Blick und murmelte: »Morgen, Adon. Morgen werden wir einen Bauplatz vorbereiten.«
»Wie lange wird das dauern?«
»In drei Monaten von heute an werdet ihr in diesem Palast
wohnen.«
»Verzeih mir, Vater, doch das ist unmöglich«, sagte Abishi.
Der Bote sah ihn mit zornsprühenden Augen an. »Vor zwei Tagen hat euer Lehnsherr behauptet, es sei unmöglich, überhaupt zu bauen. Jetzt behauptet ihr, es sei unmöglich, ein Gebäude in drei Monaten zu errichten! Ich glaube nicht, dass dieses Wort das bedeutet, was ihr glaubt.« Er drehte sich wieder zum Thron und zu Cheftu, N’tan, Dadua und Yoav um.
Seine Bewegungen wirkten ... vertraut. Ich zog die Stirn in Falten und versuchte mich zu entsinnen, wo ich ihn oder jemanden wie ihn schon einmal gesehen hatte.
»Euer Palast wird in drei Monaten noch nicht fertig sein, doch ihr werdet bereits darin wohnen können«, stellte der Bote klar. Wusste irgendwer, wie er hieß? Fand es niemand außer mir komisch, dass niemand das wusste? In meinem Kopf hörte ich Cheftus Warnung davor, seinen wahren Namen zu offenbaren.
»Wie kann ein so alter Mann .? Aber wie willst du ihn bauen? Ich sehe nicht, wie du Holz schleppen könntest!«, kommentierte ein Soldat.
»Er ist der Aufseher«, belehrte ihn ein anderer.
Der Bote sah den ersten Soldaten an und gab mir dadurch zum ersten Mal Gelegenheit, in sein Gesicht zu sehen. Ich schauderte. Irgendwie war er mir vertraut. Nicht auf Grund seines Alters oder der Gesichtsfarbe, sondern möglicherweise wegen der Kühnheit seines Blickes. »Ein kluger Einwand, mein beleibter Freund«, sagte der Bote. »Doch vielleicht sieht das Auge nicht alles.« Er lächelte und entblößte dabei große weiße Zähne. Das Gefühl, ihn zu kennen, wurde immer stärker.
Er richtete sich auf und schaute dabei in meine Richtung. Seine dunklen Augen waren tief wie das Meer und unter dichten Wimpern versteckt. Und fast faltenlos. Dieser Mann war längst nicht so alt, wie es schien; entweder das oder er hatte schon lange vor meiner Zeit Estee Lauder benutzt.
Er wandte sich wieder an Dadua. »Hast du schon entschieden, wo du wohnen willst, Adoni?«
Dadua sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich habe große Bedenken, ein Geschenk von einem Herrscher anzunehmen, den ich genauso wenig kenne wie seine Götter«, erklärte er. Er ließ sich nicht ins Bockshorn jagen.
»Würdest du gern oberhalb der Stadt wohnen?«
N’tan mischte sich ein. »Wir werden uns mit unserem Gott beraten und ihn fragen, wo der Palast erbaut werden soll.«
»Euer Gott ist Architekt?«
Der Bote klang beinahe sarkastisch.
»Shaday hat Himmel und Erde erbaut«, entgegnete N’tan kühl. »Wie sollen wir dich ansprechen?«, fragte er dann den Mann.
»So wie meinen Lehnsherrn, mit Hiram«, erwiderte er und richtete sich auf.
Cheftus Augen wurden eine Sekunde lang groß, dann sah er weg und kramte in irgendwelchen Papieren. Dieser Name hatte etwas zu bedeuten, aber was? Bisher waren wir noch keinem Hiram begegnet. War es ein historischer Name?
»Dein König verehrt Ba’al?«, erkundigte sich N’tan.
Der Bote wirkte leicht verstimmt. »Mein König verehrt keinen Gott, Adon. Er glaubt, dass die Erde in sich selbst fruchtbar ist. Er glaubt, dass Himmel und Meer ihre Plätze beibehalten werden. Er ist voller Zuversicht, dass es irgendwo eine unbekannte Gottheit gibt, die sich eines Tages offenbaren wird, doch bis zu jenem Tage will er keine falschen Götter anbeten.«
Schuss und Tor! Durch diese Antwort hatte er seinen König geschickt aus der Schublade »Götzendiener« geholt und es Dadua auf diese Weise ermöglicht, mit ihm Beziehungen aufzunehmen. Shaday verbot es nämlich, mit Ungläubigen ein Abkommen zu schließen. »Erzähl mir von dem Palast deines Herrn«, sagte Dadua.
»Darf ich mich setzen, Adoni? Nur weil diese alten Knochen
müde werden, das ist alles.«
Dadua ließ ihn nicht nur Platz nehmen, er bot ihm auch Wein und Brot an.
Interessant. Kein Salz. Da ich im Nahen Osten aufgewachsen war, wusste ich, dass man, wenn man Salz und Brot angeboten bekam, so lange unter dem Schutz des Hausherrn stand, wie das Essen im Verdauungstrakt des Besuchers blieb - wobei die Dauer allgemein auf drei Tage geschätzt wurde. Mein Vater hatte es sich zur Regel gemacht, seinen Darm immer erst zu leeren, nachdem er das Haus eines Gastgebers verlassen hatte.
Meine Mutter hatte ihm deswegen Vorhaltungen gemacht, denn dieses Verhalten war nicht gerade gesund.
Er hatte erwidert, sein Job verlange es so. Sie hatte düstere Andeutungen über Ärzte gemacht. Er hatte sie geküsst. Ende der Diskussion.
Der Bote leerte eben sein zweites Glas Wein und schien dabei jeden Tropfen zu genießen, ohne sich weiter um seine Zuhörer zu kümmern. Was für ein Schmierenkomödiant, dachte ich. Er wischte sich die Mundwinkel mit Brot aus, das er danach verspeiste. Die Giborim standen in der fast völligen Dunkelheit und verfolgten seine Vorstellung.
»Das Heim meines Herrn ist exquisit. Ashlar ...« Hiram brüstete sich mit den Wundern des Palastes. Er ließ sich beredt über gewachsten Stein, poliertes Zedernholz, handgeschnitzte Fensterbretter aus Elfenbein sowie über beschnitzte und mit »königlichen Darstellungen« beschlagene Möbel aus.
Dadua saß zurückgelehnt und scheinbar vollkommen ungerührt da. Ich sah zu Cheftu hinüber, der gedankenverloren seinen Schreiberkiel zwischen den Fingern zwirbelte und dabei auf den Boden starrte. Hörte er überhaupt zu?
»Und wie siehst du den Palast unseres Adoni?«, fragte Yoav.
Der Bote schenkte ihm ein atemberaubendes Lächeln, ein Lächeln, mit dem er Engel zum Weinen bringen konnte, so phantastisch sah er dabei aus. Er mochte schon über hundert sein, aber er konnte immer noch als Modell arbeiten. Dieses Gesicht, diese Zähne. Er war einfach makellos.
Er ist bestimmt schwul.
Und in diesem Moment begriff ich, wer er war.
Meine Haut vereiste. Auf gar keinen Fall; das war doch nicht möglich, oder? Ich sah zu Cheftu hinüber, der immer noch stirnrunzelnd seinen Federkiel kreisen ließ. Vielleicht hatte ich mich geirrt; vielleicht war ich übermüdet; vielleicht halluzinierte ich ja.
»Hat Adon eine große Familie?«, wollte Hiram wissen.
Daduas Stimme schwoll vor Stolz an. »Vier Frauen und elf Söhne.«
»Ach! Eine wunderbare Familie. Und Diener? Ich frage das, weil ich wissen muss, wie viele Räume und Treppen wir brauchen werden.«
Avgay’el sprang ein: Es war einfach sehenswert, wie sie und Dadua sich den Ball zuspielten. »Einhundert.«
»Ach! Das reicht, um es allen angenehm zu machen.« Hiram rülpste. »Ein guter Wein. Mein Becher ist leer.« Ein Mundschenk eilte herbei und schenkte das Gefäß wieder voll.
Ich hatte Recht! O Gott, o Gott. Ich konnte mich kaum noch still halten. Nur das Wissen, dass ich dadurch alle Blicke im Raum auf mich ziehen würde, hielt mich davon ab, kreischend die Flucht zu ergreifen. Das konnte doch nicht wahr sein ... das durfte doch nicht wahr sein! Bestimmt war die Welt nicht so klein?
Nicht an diesem Hof! Nicht zu dieser Zeit, bitte nicht! Wieder sah ich zu Cheftu hinüber. Er hatte noch nicht gemerkt, wer dieser Hiram war. Vielleicht würde er sich noch länger von dem Bart, den Locken, dem scheinbaren Alter hinters Licht führen lassen.
Der Bote hatte sich wieder gefangen und verkaufte Dadua weiter seine Träume. Terrassen und private Innenhöfe, geflieste Böden und plätschernde Brunnen. Mit Gold eingelegte Möbel - zu einem Spottpreis, weil die Möbel von seinem Bruder geschreinert wurden und nicht unter Hirams Angebot fielen -, und dann klatschte er sich mit der Hand auf die Stirn. »Ha-Adon, ich muss dich um Vergebung bitten!«
Plötzlich spannten sich alle im Raum an. Was hatte er getan?
»Mein Herr hat mir ein Mitbringsel, ein Geschenk mitgegeben. Ach! Was für ein nutzloser alter Greis bin ich doch!« Er drehte sich um und pfiff. Nichts. Er pfiff erneut. Immer noch nichts. Die eben noch entspannten Giborim waren auf der Stelle alarmiert. Einige Hände ruhten bereits auf den verzierten Heften ihrer Dolche.
Die Türen flogen auf und ein unförmiges Etwas wurde auf dem Rücken eines Riesen hereingetragen. Alle im Raum schnappten nach Luft, sowohl wegen des Gegenstands als auch wegen des Riesen. Der Gigant nahm das Ding vom Rücken herunter, woraufhin alle Anwesenden die Köpfe einzogen, um sie nicht versehentlich abrasiert zu bekommen, und setzte es ab. Mit einer befremdlich graziösen Geste zog er die Abdek-kung herab.
Wieder schnappten alle nach Luft.
Es war ein Thron, ein ausgesprochen eleganter Sessel, flankiert von zwei riesigen geflügelten Löwen. Das ganze Ding war so weiß, dass es zu glühen schien. Auf Armlehnen und Stuhlbeinen waren mit Gold Trauben und Granatäpfel hervorgehoben, kunstvolle Schnitzereien in ... mein Gott, war das Elfenbein? Der Gigant war wieder hinausgegangen und kehrte nun mit einem passenden Fußschemel zurück, der mit Zebrafell überzogen war.
Jetzt war mir klar, wie gefährdete Tierarten zu gefährdeten Tierarten werden konnten.
»Ha-Adon hat sich nach der Schönheit des Palastes, nach der Qualität der Arbeiten erkundigt«, sagte der Bote. »Dies soll dir als Beispiel dienen.«
Der Gigant kehrte mit immer neuen klobigen Paketen zurück.
Wir beobachteten, wie er sie auspackte und zusammensetzte. »Was ist das?«, rief schließlich ein Gibori.
»Ich zeigen«, antwortete er mit tiefer Stimme. Dann hob er den Thron hoch - auf dem bereits Dadua Platz genommen hatte. Die Giborim wollten ihm schon in den Arm fallen, doch er setzte Dadua gleich wieder ab und trat dann zurück. Er hatte etwas unter den Thron geschoben, eine Art Podest, und fügte nun weitere atemberaubend gearbeitete Teile zusammen.
Nur dass diese Teile nicht weiß waren, sondern schwarz glänzten und mit noch mehr Gold belegt waren. Lange arbeitete er, wobei er immer weiter in die Menge zurückwich, die sich bereitwillig zurückzog. Schließlich richtete er sich auf. Er war fertig?
Eine Folge von sieben breiten Stufen reichte, von kleineren geflügelten Löwen gesäumt, zum Thron hinauf.
Es war einfach ... wow!
»Findest du Gefallen an der Arbeit meines Herrn?«, fragte der Bote. »Möchtest du sein Geschenk annehmen?« Ich sah ihn noch mal an. Es war unübersehbar. Ich konnte gar nicht begreifen, dass ich diesen Mann nicht sofort wieder erkannt hatte.
Natürlich wirkte er ohne Stierblut und explodierende Vulkane ein wenig fehl am Platz. Von meiner Miene aufgeschreckt, warf Cheftu mir einen Blick zu. Er zog die Stirn in Falten, schien aber nicht zu verstehen, was ich ihm lautlos mitzuteilen versuchte, und sah gleich darauf wieder weg.
Dadua erhob sich wie ein wahrer König, schritt die Stufen hinab - die von dem Boten wegführten - und ging unten auf den Mann zu. Mit hoch erhobenem Kopf lud er den Boten ein, außerhalb von Jebus sein Lager aufzuschlagen und das Projekt fertig zu stellen, das sein Herr ihm aufgetragen hatte. Dadua bot an, dem Architekten im Rahmen seiner Möglichkeiten mit Soldaten und seinem Volk auszuhelfen.
Seine Gastfreundschaft reichte gerade so weit, wie sie militärisch abzusichern war. Sehr schlau, Dadua, dachte ich. Dieser
Bote ist eine gerissene alte - mir verschlug es fast den Atem, wenn ich mir bewusst machte, wie alte - Schlange.
»Als Pfand meiner Dankbarkeit für deinen Besuch«, sagte Dadua, »werde ich deinem Zakar Ba’al eine Sammlung von Schilden schicken, die wir bei unseren Schlachten als Beute genommen haben.«
Schilde? Die Zierschilde oder einfache Schilde? Ich war wenig beeindruckt.
Der Bote ebenfalls. »Ein ehrenvolles Unterpfand, das wir meinem Herrn bringen werden ... auf der Straße der Könige.«
»Ich werde euch eine Eskorte stellen«, sagte Dadua.
Schach und matt.
»Meine Dankbarkeit«, sagte er.
Er war es! Tatsächlich! Wie zum Teufel .?
Dadua wandte sich an seine Giborim. »Möge el haShaday euch segnen und euch schützen, sein Angesicht auf euch scheinen lassen und gnädig zu euch sein.«
Wir alle sagten: »Sela.«
Erst nachts sah ich Cheftu wieder. Da wir immer noch in dem improvisierten Palast wohnten und auf den Feldern arbeiteten, waren wir nur selten und immer nur für kurze Zeit allein. »Weißt du, wer das ist?«, fragte ich außer Atem. Uns blieben nur ein paar Augenblicke, bevor wir auf dem Dach erscheinen mussten.
Er küsste mich, aber ausnahmsweise ließ sein Kuss mich nicht alles andere vergessen. »Weißt du es?«, fragte ich.
»Aber natürlich - Hiram. Sein Name steht in der Bibel.«
Ich klappte den Mund auf, entschied mich dann aber um. Vielleicht sollte ich lieber nichts sagen, solange Cheftu ihn nicht wieder erkannte? Schließlich wollten wir jene Zeit unseres Lebens oder unserer Beziehung nicht noch einmal durchmachen müssen.
»Nachon!«, sagte ich enthusiastisch.
»Für wen hast du ihn denn gehalten?«
Ich küsste ihn lächelnd, ganz darauf konzentriert, ihn abzulenken. Doch die ganze Zeit über raste ein einziger Gedanke durch mein Gehirn: Tausend Jahre sind vergangen, und er lebt immer noch.
Das Elixier wirkt.
Am Tag nachdem David ihnen die Erlaubnis dazu erteilt hatte, begannen die Tsori mit dem Bauen. Klugerweise hatte Dadua sie außerhalb der Stadt angesiedelt, wo sie ihr »Quartier« aufschlagen sollten. Tagsüber kamen sie in die Stadt und verstärkten den Hügel, auf dem Dadua seinen Palast errichten wollte, sie errichteten Terrassen aus Stein, füllten sie mit Lehm auf und legten darüber dann die nächste Schicht an. Nachts arbeiteten sie an ihrem eigenen Quartier.
Innerhalb einer Woche hatten sie in ihrem eigenen Viertel die ersten Geschäfte eröffnet. Im Tsori-Viertel konnte man sich eine Art »Philadelphia«-Frischkäse kaufen, dazu eine Platte aus blauem Glas, um ihn zu servieren, Leintücher für den Tisch und die Gesellschaft eines Mannes oder einer Frau, mit dem oder der man das Essen genießen wollte.
Wenig später begannen die Handwerker der Tsori, in der Unterstadt eine Reihe von Regierungsgebäuden zu errichten, so-dass das Quartier der Jebusi zwischen den Giborim und dem Finanzamt eingefasst wurde. Die Jebusi hatten die Stadt aus wunderschönem Stein erbaut, doch sie hatten sie für den Kriegsfall errichtet und nach außen abgeschottet. Obwohl mir einleuchtete, weshalb es nur so wenige Fenster und so kleine dunkle Kammern gab, hoffte ich, dass die Tsori das besser machen würden.
Wir litten unter der Gluthitze des Sommers. Erst arbeiteten wir von der Morgendämmerung bis kurz nach Mittag, dann zogen wir uns in den Schatten der Bäume, in einen Hof oder, wenn
wir wirklich vom Glück begünstigt waren, in ein Haus zurück.
An einem dieser Tage schwitzte ich gerade reglos vor mich hin, als Cheftu seinen Kopf um die Ecke streckte. »HaMelekh wünscht uns zu sehen«, sagte er.
»Kann ich erst noch baden?«
Er lächelte. »Ist dir heiß?«
Ich zupfte an meinem langärmligen Kleid mit hohem Kragen und hob dann das Kopftuch ab. Wegen meiner hellen Haut musste ich quasi in einer Rüstung arbeiten. »Ich werde mich nie wieder abkühlen«, beschwerte ich mich.
Er streckte die Hand nach mir aus. »Was erntet ihr gerade?«
Was ernteten wir eigentlich nicht? Die sommerliche Reifezeit traf genau mit der Sommerhitze zusammen. Die Trauben wurden immer praller; Pfirsiche, Birnen und Pflaumen fielen fast von den Bäumen, Gurken, Zwiebeln und Lauch mussten eingebracht werden. Jeden Tag zupften wir Salat. Zitronen und Limonen, aber keine Orangen. Kannte man die noch nicht?
Die Oliven reiften ebenfalls heran, die Granatapfelbüsche waren mit roten Blüten bedeckt, und die Feigen verströmten süßen Duft.
Ich folgte ihm - es war zu heiß zum Händchenhalten - durch den Hof auf die Straße hinaus und ein paar gottlob schattige Treppen hinab. Qiryat Dadua lag wie ausgestorben unter der brennenden Sonne. »In Ägypten muss es jetzt schlimm sein«, dachte ich laut.
Er schoss mir einen verdutzten Blick zu und ging weiter.
Zorak hielt Wache. Er grüßte uns beide und ließ uns ein.
Das nächste Déjà-vu, dachte ich. Dadua und Yoav hatten sich auf dem kühlen Boden breitgemacht und spielten wieder einmal ihr Brettspiel. Avgay’el webte mit hochgebundenem Haar und nackten Armen träge vor sich hin. Immer wieder nickte sie bei ihrer Schlacht gegen die Nachmittagshitze ein. Ahino’am saß an die Wand gelehnt, ein schlafendes Kind an ihrer Brust. N’tan hockte im Schneidersitz auf dem Boden und schnitzte.
Sie hatten keine einzige Lampe angezündet.
Yoav sah auf, blickte erst Cheftu, dann mich an und schaute dann wieder auf sein Spiel. N’tan bemerkte uns und sprang auf. »Che-Chavsha«, sagte er. »Und Klo-ee. Willkommen.«
Man ließ uns sitzen und bot uns Wein an. Dann wandte sich auch Dadua von seinem Spiel ab. Er hatte das Haar zum Pferdeschwanz gebunden und hockte in nichts als einem gemusterten Schurz auf dem Boden. Die Schläfenlocken hatte er hinter die Ohren geschoben, und er war barfuß. Seine olivfarbene Haut glänzte schweißig, aber selbst das sah gut bei ihm aus.
»Chavsha«, sagte er. »N’tan hat mir berichtet, dass du in der Wüste unschätzbare Dienste geleistet hat. Auch an meinem Hof hast du dich als unschätzbar erwiesen. Daher möchte ich dir gerne offiziell das Amt meines Schreibers übertragen.«
War ich die Einzige, die sah, wirklich sah, wie der Puls in Cheftus Hals zu rasen begann? Mein Gemahl senkte weltmännisch den Kopf. »Es ist mir eine Ehre, Adoni. Dein Wille geschehe.«
Die schwarzen Augen hefteten sich auf mich. »Yoavi behauptet, dass du zwar als Heidin gelebt hast, Isha, aber den Nefesh einer Stammesschwester hättest.« Ich spürte, wie ich rot zu werden begann. »Doch vor allem auf Grund deiner diplomatischen Erfahrung lade ich dich ein, G’vret Avgay’el als Hofdame zu dienen und ihr in Fragen des Zeremoniells mit Rat zur Seite zu stehen.«
Hofdame? Aber wir befinden uns in den Jahren vor dem JETZT, Chloe. Wenigstens kommst du auf diese Weise aus der Küche raus! Würde ich dadurch auch von der Feldarbeit erlöst? Auf jeden Fall bliebe mir fortan der Mühlstein erspart.
»Es ist mir eine Ehre, Adoni.« Ich versuchte mein Lächeln zu unterdrücken. Schließlich befanden wir uns in der Bibel. »Dein Wille geschehe.«
Zwei weitere Besucher gesellten sich zu uns. Einer davon war ein neuer Seher aus dem Stamm Gad, der andere ein Prophet, der im Negev gelebt und sich während seiner Prophezeiungen von Heuschrecken ernährt hatte. Ich warf Cheftu einen schnellen Blick zu, doch der war zu verblüfft, um auf mich zu achten.
Dadua setzte sich auf, sodass Ahino’am ein paar Kissen hinter seinen Rücken stopfen und seinen Weinbecher nachfüllen konnte. Wir Übrigen wurden von Sklaven bedient. Wieder einmal hatte mich das Rad des Schicksals tief beeindruckt; vor einem Monat war ich noch zu unwichtig gewesen, um diesen Raum betreten zu dürfen; nun bekam ich eine persönliche Einladung.
»Man hat Ägypter auf dem Weg hierher gesichtet. Pharao Semenchkare, soweit ich gehört habe«, sagte Yoav zu mir, ohne mich dabei anzusehen.
»Im Westen werden Bewegungen unter den Pelesti gemeldet, Isha«, sagte Abishi.
»Sie ist jetzt G’vret«, korrigierte Dadua seinen General.
»Tov, todah«, zuckte Abishi betreten zurück.
»Was für Bewegungen?«, fragte ich. Wadia würde doch nichts im Schilde führen?
»Das wissen wir nicht, doch wenn sie nicht aufhören, werden wir sie ersticken müssen.«
Scheiße, logischerweise wusste ich nicht genug über die Denkweise der Philister, um zu wissen, was sie da taten. Bitte, Wadia, mach keine Dummheiten.
»Aus welchem Grund sollte der ägyptische Pharao hierher reisen?«, fragte Dadua Cheftu.
»Er ist Ko-Regent Pharaos, nicht der eigentliche Herrscher«, meinte Cheftu vorsichtig. »Und was den Grund angeht, hat Hiram bereits demonstriert, in welch mächtiger Position Adoni sich befindet. Ägypten nutzt die Straße der Könige ebenfalls. Ich könnte mir vorstellen, dass Pharao oder wer auch immer da angereist kommt, bei dir um eine Audienz ersuchen wird, um sicherzustellen, dass diese Wegerechte erhalten bleiben.«
Eine kühlende Brise wehte durch die Fenster herein. Ein Gutes hatte Jebus: Ganz egal wie heiß es wurde, gegen vier oder fünf Uhr nachmittags kühlte es regelmäßig ab. Avgay’el, die leise am Webstuhl vor sich hingeschnarcht hatte, wachte auf und begann wieder zu weben. Aus dem Hof war das Lärmen von Daduas Kindern zu hören. Die Jungs kämpften wieder, doch das taten sie immerzu. Ihre Mütter schritten nie ein.
»G’vret«, sagte Dadua, »du sprichst Ägyptisch, also wirst du dafür sorgen, dass dieser Ägypter alles bekommt, was er möglicherweise braucht. Er ist mit einer ganzen Armee unterwegs, darum werden wir ihn nicht einladen, in meiner Stadt zu wohnen. Doch ich werde ihm zum Empfang ein Gastmahl und Unterhaltung bieten. So ist es doch Sitte, nachon?«
Seine Unsicherheit war einnehmend. »Nachon«, bestätigte ich. »Dein Wille geschehe.«
Als ich fortgeschickt wurde, sah ich, wie sich der Prophet und der neue Seher niederließen. »Chavsha, küss deine Frau und komm dann zurück, um alles aufzuzeichnen, was wir besprechen«, befahl Dadua. »Ach, Yoavi, erzähl ihnen von dem Haus.«
Yoav sah mich mit ausdruckslosen grünen Augen an.
»HaMelek hat euch ein Haus im unteren Bezirk der Giborim geschenkt.« Er wandte sich an Cheftu. »Eure Sachen wurden bereits hingebracht.« Sein Lächeln wirkte verschwörerisch.
»Die Besprechung findet beim Abendessen statt, dir bleiben also ein paar Stunden, um deine Schreibgeräte zusammenzusuchen, Schreiber Chavsha.«
»Todah, Adoni.« Cheftu stand auf.
»Leiste gute Dienste, Ägypter«, meinte Dadua.
»Dein Wille geschehe.«
Ich stand im Gang und wartete wie auf Kohlen darauf, dass Cheftu fertig wurde und sich zu mir gesellte. »Wir haben ein Haus!«, quiekte ich, sobald die Tür hinter ihm zufiel.
Zorak grinste. »Dadua nimmt sich der Seinen an«, sagte er.
»Sag Waqi, dass ich sie morgen am Brunnen sehe«, jubelte ich.
Cheftu grüßte Zorak, nahm mich an der Hand und verließ schweigend mit mir den provisorischen Palast. Sobald wir ins Freie traten, hörten wir von dem »Milo« genannten Gelände, auf dem die Tsori bauten, das Klirren der Werkzeuge. Ein weißer Kalksteinnebel hing in der Luft und legte sich über alles.
Mein Mann sprach auch kein Wort, als wir durch die Straßen spazierten, die gerade nach dem Mittagsschlaf erwachten. Die Sonne war immer noch heiß, doch der Wind hatte sich gedreht, sodass er jetzt kühlte und erfrischte. Ich liebte diese Stadt.
Er nahm mich bei der Hand und wanderte immer noch schweigend mit mir durch die schmaler werdenden Gassen. Das untere Gibori-Viertel war keine luxuriöse Gegend, aber wir hatten ein eigenes Haus!
»Endlich gehören wir dazu!«, flüsterte ich.
»Du bist so aufgeregt wegen unseres neuen Heims?«, fragte er.
»Na ja«, meinte ich lächelnd und auf Englisch, »mit einer Einschränkung: denn mein Heim ist immer dort, wo du bist. Aber ich möchte zu gern unser neues Haus sehen.«
Wir wanderten bergauf und bergab, durch schmale Gassen voller trocknender Wäsche, und stiegen schließlich eine Treppe hinauf.
Er stieß die Tür auf. »Willkommen, Geliebte«, sagte er.
»Unser erstes gemeinsames Haus«, meinte ich überglücklich.
»Oui.«
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
»Willst du nicht hineingehen?«, fragte er.
»Es bringt Unglück, wenn die Braut die Schwelle überschreitet; man muss sie ins Haus tragen.«
»Ach! Die Braut?«
Ich verschränkte die Arme. »Ich bin immer noch frisch verheiratet. Wenn wir zusammenrechnen, wie viel Zeit wir in den vergangenen drei Jahren miteinander verbracht haben, dann kommt wahrscheinlich nicht einmal ein Jahr zusammen!«
Er hob mich hoch und verzog das Gesicht. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich gestern Abend nicht so ... ähm ...«
»Enthusiastisch geliebt?«
Er lachte leise, trat dann über die Schwelle, knallte die Tür mit dem Absatz zu und schloss uns beide in der Dunkelheit unseres eigenen Hauses ein. »Ohne Enthusiasmus bestimmt nicht, chérie.«
Ich schmiegte mich in seine Arme und küsste ihn. Unser erstes Heim. Es war nicht gerade ein Coca-Cola-Moment, aber dennoch unvergesslich. Mir war jedenfalls nach Weinen zu Mute. Ich wand mich aus seiner Umarmung. »Komm, wir schauen uns alles an!«
Das Haus war lang, schmal und dunkel. Wie ein zu groß geratener Sarg. Wir gingen nach hinten durch, und dann sah ich etwas, das alles wettmachte. »Ein Zimmer mit Ausblick!«, rief ich. Das Haus war in einen Abschnitt der Stadtmauer hineingebaut. Und als Balkon diente uns die Brustwehr, von wo aus man auf die Felder, das Tal, den gegenüberliegenden Berg zu unserer Rechten und die Baustelle der Tsori links oben sehen konnte. »Wunderschön!« Ich hechtete mich auf ihn und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Wir haben ein eigenes Haus, Geliebter! Endlich gehören wir dazu!«
»Du, G’uret Klo-ee, gehörst zu mir«, betonte er.
In diesem Moment bemerkte ich das schwere Goldsiegel um seinen Hals, das flach auf seiner glatten Brust lag. »Schreiber Chavsha?« Ich betastete es. »Dein Amtssiegel.«
»Genau dieses.«
»Und was haben sie dir erzählt, während ich im Gang warten musste?«, wollte ich wissen.
Cheftu sah mich mit dem Anflug eines Lächelns an. »Dadua hat mich daran erinnert, dass wir von nun an vollwertige Kinder des Landes sind. Daraus ergeben sich gewisse Pflichten.« Er streckte einen langen Arm aus, schlang ihn um meine Taille und zog mich an seine Brust. Unsere Zehen berührten einander, und durch den Stoff meines Rockes spürte ich seine Knie. Eine kühle Brise wehte vom Balkon her ins Haus. Unser Haus. Ich schwebte im siebten Himmel vor Glück; selbst die Brise hatten wir!
»Und das wären ...?«, fragte ich ein wenig atemlos, weil er so angestrengt auf meinen Mund sah.
»Wir nehmen an allen Festen und Feierlichkeiten teil. In ein paar Wochen beginnt das Neujahrsfest, dann kommen der Tag der Sühne und das Sukkot.«
»Nachon«, sagte ich leise. »Keine Hefe im Frühjahr, wann war das, an Passah?«
Er legte einen Finger an meine Nase. »Du wirst fleckig.«
Spontan deckte ich die Hand über die Sommersprossen.
»Niedlich«, befand er.
»Das kommt von der Arbeit im Freien.« Wir unterhielten uns ganz ungezwungen, doch die Spannung zwischen uns wurde immer stärker und immer konzentrierter. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, woraufhin er tief Luft holte. »Gibt es noch andere Pflichten?«
»Ach, ken. Die heiligste Pflicht überhaupt.«
»Avayra gor er et avayra?«
Er küsste meine Fingerspitzen und ich seufzte leise. »Lo, die wichtigste Aufgabe im Land ist Folgendes.« Er beugte sich zu mir herunter, bis sein Atem warm über meine Haut strich.
Seine Lippen verharrten dicht über meinem Ohr.
»Seid fruchtbar und mehret euch.«
Mein Lachen verebbte zu einem leisen Seufzen. »O Chavsha, dein Wille geschehe.«

Dann trafen die Ägypter ein.
Mein Vater hätte sich bestimmt halb totgelacht, wenn er geahnt hätte, dass sein kleines Mädchen die Vermittlerrolle zwischen dem ägyptischen Thron und dem steinewerfenden David übernahm. Man hatte meinem Kommando eine eigene Küche für die Ägypter unterstellt, und ich hatte die Transuse geerbt, die für mich Getreide mahlte.
Ein paar pelestische Frauen und junge Bräute unter den Jebu-si rundeten mein diplomatisches Corps ab. Die Ägypter kamen nicht herauf in die Stadt, sondern schlugen ihr weitläufiges Lager von weißen Zelten, Wimpeln und Soldaten am gegenüberliegenden Hang des Kidron-Tales auf. Wie Katzen lauerten sie im Schatten, ohne sich der Stadt zu nähern. Es war an uns, den Kontakt anzubahnen.
Ich war bei Avgay’el und bürstete ihr Haar, wie es sich für eine Hofdame gehörte, als Yoav eintrat. Er grüßte erst sie, dann mich. »Am Hang sind es zweihundert Ägypter«, sagte er, schritt dabei auf und ab und kämpfte mit seinen Schläfenlocken. »Weitere tausend lagern im Hinon-Tal und noch mal tausend am Fuß von Har Nebo.«
»Haben sie schon irgendetwas unternommen?«, fragte ich, ohne das Bürsten zu unterbrechen.
»Lo.«
»Woher beziehen sie ihr Wasser?«
»Sie graben Brunnen.«
Sie hatten also vor, länger zu bleiben, und ihnen war klar, dass David ihnen die Stadt nicht öffnen würde. »Was steht auf den Wimpeln?«
»Semenchkare, ewig möge er im Aton leben«, antwortete er. Irgendwann würde ich ihn fragen, was er eigentlich für eine Ausbildung hatte. Ein Stammesbruder, der lesen konnte, war schon eine Seltenheit; dass einer fremde Sprachen verstand und lesen konnte, kam so gut wie nie vor.
»Unsere Stammesangehörigen geben vor, Oliven zu sammeln, doch in Wirklichkeit behalten sie die Ägypter im Auge.« Yoav lachte. »Sie sind besser als jeder Spion. Ich habe stattdes-sen Großmütter, die durch ihre Auffassungsgabe wettmachen, was ihnen an Augenschärfe mangelt.«
Es war bestimmt ein faszinierender Anblick: die Israeliten mit ihren bunt gemusterten Kleidern, Schärpen, Fransen und langen Locken neben den schlanken, ganz in Weiß und Gold gekleideten Ägyptern mit ihren geschminkten Augen und glatten Haaren.
»Sollen wir Pharao eine Depesche schicken, in der wir ihn fragen, ob er die Aussicht genießt, und uns ganz nebenbei erkundigen, aus welchem Grund er sich so weit von seinem flachen Land und seinen vielen Göttern entfernt hat?«
Yoav warf beide Hände hoch.
»Wie geht es mit dem Audienzraum voran?«, fragte ich. »Wird er in den nächsten Tagen fertig sein?«
Yoav zog die Achseln hoch. »Möglich. Ich werde mit Hiram sprechen.«
»Dann werden wir eine Botschaft an Semenchkare schicken, in der wir ihn einladen, sich am Hofe haMelekh Daduas und seines Gefolges vorzustellen.« Ich sah Avgay’el an. »Geht das mitten in der Ernte?«
Daduas Gemahlin lächelte.
»Gebt ihm, was immer er braucht.« »Dann entschuldigt mich, Adoni, G’vret.« Und schon war ich aus dem Raum gelaufen.
Zum Glück lag der Shabat zwischen Semenchkares Ankunft und dem Zeitpunkt, an dem ... Hiram von Tsor eintraf. Der Friede des Shabat-Nachmittags wurde durch einen Ruf von der Stadtmauer her durchschnitten. Jemand näherte sich dem Stadttor im Tal. Es war ganz in unserer Nähe, darum mischten Cheftu und ich uns unter die Menschenmenge, die verwirrt das Schauspiel verfolgte.
»Er kommt! Er kommt!«, hörten wir von unten her Rufe. Die Rufer standen auf der Straße und deuteten aufgeregt nach vorn. Wer kam?
»Hiram kommt! Hiram Zakar Ba’al kommt!«
Ich fasste die Rufer genauer ins Auge und stufte sie als Werbetrommler ein; es waren weder Jebusi noch Stammesangehörige. Offenbar gehörten sie mit zu der Mannschaft, die Hirams - gab es bei den Tsori eigentlich auch andere Namen?
- Bedeutung hervorheben sollte.
»Bei der Macht Shadays, was ist das?«, rief jemand, ein richtiger Stadtbürger. Wir spähten über die Steinmauer auf die Straße am Berghang uns gegenüber.
Hiram von Tsor, Zakar Ba’al, reiste ausgesprochen angenehm - und stilvoll.
»Zut alors«, hauchte Cheftu. »Was ist das für ein Ding?«
»Ein ... Elefant«, antwortete ich. Gut, ein Zwergelefant, sonst hätte er es kaum über die Hügel geschafft, aber trotzdem
- ein Elefant? Und die berittene Eskorte bestand aus einem Trupp von . Frauen? Sie waren kaum zu erkennen, aber sie sahen nicht wie Männer aus. Eine von ihnen schob den Schild zur Seite, und die Menge schnappte nach Luft.
Heilige Scheiße!
»Sind das Amazonen?«, fragte Cheftu mich.
»In Israel?«, entgegnete ich auf Englisch. »Ich hatte keine
Ahnung, dass es jemals im Nahen Osten Elefanten gab«, bemerkte ich. »Von Kriegerinnen ganz zu schweigen.« Doch im Hinterkopf hörte ich meine Mutter in ihrem weichen, korrekten britischen Akzent von Pygmäenelefanten aus Afrika erzählen. Gehörte Israel noch zu Afrika? Mir schwirrte der Kopf, während die Gruppe auf uns zukam. Auf dem Rücken des Elefanten schaukelte im Takt seiner Schritte eine kleine Nissenhütte.
Schon bei dem Anblick wurde ich seekrank.
Dieser farbenfrohe Zug näherte sich der Stadtmauer.
»Semenchkares Audienz soll morgen stattfinden«, sagte ich. »Aber Zakar Ba’al lässt uns kaum eine Wahl, wenn er einfach so vor den Stadttoren auftaucht.«
Cheftu sah zum Himmel auf. »Es ist noch eine ganze Wache hin, ehe Yom Rishon beginnt«, meinte er. »Allerdings wird er eine Weile brauchen, um auf diesem Vieh über die Hügel zu kommen«, kommentierte er. Die Anhöhe war bei weitem nicht so steil wie das Kidron-Tal oder der Abhang des Hinon-Tales, doch dort hatten bereits die Ägypter ihr Lager aufgeschlagen und dabei kaum einen Durchgang gelassen. Im Norden, im neuen, noch nicht ummauerten Abschnitt der Stadt, ließen die Tsori genau wie alle Stammesangehörigen an diesem Tag die Arbeit ruhen.
»Er hat kein Glück«, flüsterte ich auf Englisch.
»Er wird warten müssen.«
Nach einer Weile wurde es langweilig, die Amazonen und den Elefanten bei ihrem Zickzackmarsch durch die Hügel zu beobachten, darum kehrten wir in unser Haus zurück. Doch sobald an jenem Abend der Shofar erklang, hasteten wir zum Audienzraum. Neben uns eilten Soldaten die Treppen hinab, alle rannten mit fliegenden Rockschößen zum Palast. Dann platzten wir in den neuen Thronsaal.
Chaos.
Avgay’el war in Galakleidung, und ihr Haar fiel in die Hände eines Jebusi-Mädchens hinab, das sich tapfer abmühte, Daduas
Gemahlin zu frisieren, während es gleichzeitig mit ihr Schritt zu halten versuchte. Dadua war von seinem Sohn nass gemacht worden, darum wischte er hektisch an seiner einschultrigen Tunika herum, während Shana nach einer neuen kreischte.
N’tan stürzte mit blutfleckiger weißer Robe in den Raum.
Shana fuhr ihr an: »Du! Was soll das? Was bist du für ein Tzadik, so blutverschmiert hier aufzutauchen?«
»Ich habe das Omen geworfen«, brüllte er zurück, während er sich gleichzeitig die Tunika vom Leib riss und eine andere anzog. Es herrschte eine Hektik wie im Hinterzimmer einer Modenschau!
Die Anführer der Zekenim zogen ihre Umhänge gerade, während überall Sklaven herumrannten, die eine Illusion von Reichtum und Wohlstand zu schaffen versuchten, und die Gi-borim einander mit Rüstungsteilen aushalfen.
Ganz im Ernst, wenn der Mann auf einem Elefanten eingeritten kam, dann würde er auf den ersten Blick erkennen, dass Dadua keineswegs reich war und wir ebenso wenig im Wohlstand schwelgten. Schließlich war er derjenige, der uns einen Palast erbaute.
Doch hier ging es vor allem um Reklame, das war mir klar.
Darum bemühten wir uns alle verzweifelt, eine Illusion zu schaffen.
Zakar Ba’al traf keine Stunde später ein. Was sah er wohl?, fragte ich mich. Wir hatten uns in Formation aufgebaut: Frauen, Kinder, Soldaten, Leibwächter und Bedienstete, alle in Rot und Gold gekleidet - in der Annahme, dass sein Gefolge, da er ja aus Tsor kam, Königsblau tragen würde.
Wir befanden uns im neuen Audienzsaal in der Oberstadt. Es war ein geräumiger, oben offener Saal, allerdings überdacht von einem Baldachin aus erst tags zuvor gefertigten Leinenvorhängen, die mit fein gearbeiteten Troddeln zusammengehalten wurden. Die Wände aus Zedernblöcken glänzten, denn sie waren während des Einbaus mit Bienenwachs poliert worden.
Daduas Thron und Podest beherrschten die Bühne, während wir Übrigen uns zu beiden Seiten aufreihten. Ein blinder Musiker - warum waren die Musiker in der Antike eigentlich immer blind? - schlug in einem Winkel leise die Saiten. Es hätte mich beinahe umgehauen, als ich sah, dass Cheftu im Schneidersitz auf dem Boden hockte, bewaffnet mit Kiel und Schriftrolle. Der Schreiber Chavsha zwinkerte mir zu und schob sich dann die Schläfenlocken hinter die Ohren.
Er hatte Hiram den Baumeister zwar nicht erkannt, doch mir war klar, dass Hiram ihn erkannt hatte. Mich hatte Hiram natürlich nicht erkannt, weil es keine bessere Tarnung geben konnte als mein rotes Haar und meine bleiche Haut. Was hatte der Mann vor?, fragte ich mich.
Während wir auf den Auftritt des Königs warteten, überprüfte ich noch einmal die Sklaven. Sie standen mit Weinkrügen und Bechern, Körben voller frischer Feigen und Trauben, eingelegten Gurken und gegrillten ashqelonischen Zwiebeln als Erfrischungen bereit.
Alles war blitzblank gebohnert, gewienert und auf Hochglanz poliert. Die Spiele konnten beginnen.
Erst traten Zakar Ba’als Amazonen ein. Sie kamen mir vor wie Komparsen aus einem Billigfilm über Irre und Außerirdische. Sie hatten kaum einen Fetzen am Leib, sie sahen phantastisch aus - aber sie hatten nur eine Brust, die genauso wie ihre Narben frei zu Tage lag.
Insgesamt waren es zwölf. Alle bauten sich breitbeinig auf, eine Hand auf die Waffe gelegt. Sie sahen aggressiv, sogar gemein aus. Und außerdem sprachen sie kein Wort, sondern verständigten sich nur mit Handzeichen untereinander. Stumme Amazonen?
Als Nächstes kamen die Diener. Sie waren gepierct und tätowiert wie Punker und beinahe nackt. Sie legten sich in gleichmäßigen Abständen zwischen den Amazonen bäuchlings auf den Boden. Gut, dass der neue Audienzsaal so groß war. In
den alten Raum hätten nie so viele Menschen gepasst.
Danach traten die drei Leibdiener ein, junge Männer in Rök-ken aus Pfauenfedern. Dieses leuchtende Azurblau löste einen ganzen Schwall von Erinnerungen an Griechenland aus.
Die gesamte Mannschaft warf sich wie ein Mann zu Boden, als Hiram Zakar Ba’al in der Tür erschien. Wie vom Donner gerührt starrte ich ihn an. Diese falsche, verschlagene Ratte, dachte ich.
Ich sah zu Cheftu hinüber. Ihm war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Er sah aus, als hätte er zu viel Kürbis gegessen; sein Gesicht war irgendwie gelblich-grün. Man hätte ihn mit einer Pfauenfeder umhauen können.
Im Gegensatz zu seiner prunkhaften Entourage wirkte Hiram selbst eher unauffällig. Seine dunklen Locken waren kurz geschnitten, der Bart knapp gestutzt, seine Kleider wirkten fast düster, Schminke und Geschmeide hatte er nur zurückhaltend eingesetzt. Zwei Dinge bewirkten dennoch, dass er uns den Atem raubte. Zum einen trug er eine zusammengerollte Giftschlange um den Hals - keine Nachbildung aus Gold, sondern eine echte Schlange.
Zum anderen erkannte ich seine Augen wieder. Ich hatte sie erst kürzlich in seiner Maskerade als oberster Baumeister der Tsori gesehen. Was sollte das alles? Was war aus dem weißen Haar und Bart geworden? Ich verfolgte, wie er nach vorne schritt und die vergoldeten Fransen seines Schurzes leise über dem Klimpern des Musikers raschelten. Niemand aus Daduas Hofstaat sprach ein Wort, alle beobachteten ihn schweigend.
Er hatte den Blick so eindringlich auf Cheftu gerichtet, dass ich mich wunderte, wieso die Luft sich nicht entzündete.
Als ich ihn in seiner Verkleidung als Bote Hirams erkannt und als ich ihn darum gemieden hatte, hatte ich kaum glauben können, dass er immer noch am Leben war. Doch zugleich hatte ich eine leise Schadenfreude darüber verspürt, dass er gealtert war. Offensichtlich war sein Alter nur Maskerade gewesen.
Dion hatte immer noch das Aussehen und Gebaren eines . nun ja, des Fürsten der Dunkelheit. Angeblich war Satan ja das schönste unter allen Geschöpfen Gottes gewesen. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass Dion Satan gewesen war und es immer noch war.
Automatisch sah ich zu Cheftu hinüber. Sein fassungsloser Blick war auf mich gerichtet; selbst der blinde Musiker musste diese Dreiecksbeziehung bemerken. »G’vret«, flüsterte jemand, »die Ägypter sind da.«
Wie könnte es auch anders sein, dachte ich.
»Überprüft alle Vorratskammern und füllt noch mehr Weinkrüge«, kommandierte ich, während Dions verhasste Stimme die Segenswünsche eines Königs für einen anderen rezitierten.
HaNasi hieß den Herrn über Tsor mit gewandten Worten, wenn auch kühlem Blick willkommen. Dion erkundigte sich nach der königlichen Gesundheit und erhielt die Antwort von N’tan. Cheftu schien vollauf damit beschäftigt, den Wortwechsel aufzuzeichnen. Was er sich wohl dachte? Ich hatte immerhin gewusst, dass Dion am Leben war, aber wie mochte sich Cheftu fühlen?
Wieder entstand Unruhe am Eingang - die Ägypter -, und ein Mädchen trat ein, das den Boden mit weißen Blüten bestreute. An der Jugendlocke, den ummalten Augen und der kupferfarbenen Haut war deutlich zu erkennen, dass sie aus dem Niltal stammte.
Eine Abteilung ägyptischer Soldaten mit durch Schminke verlängerten Augen, weißen Schurzen und goldenen Rüstungen kam hinter der Kleinen herein, gefolgt von drei Priestern mit geschorenen Köpfen und Umhängen aus Leopardenfell, welche die Luft mit Weihrauch schwängerten.
In meiner Eigenschaft als Gastgeberin zählte ich die Ankömmlinge und versuchte zu überschlagen, wie viel sie wohl trinken würden. Überall huschten Sklaven herum und servier-ten den anwesenden - Gott sei Dank nicht vielen - Giborim sowie den ausgewählten Kleinkönigen, die sich Dadua angeschlossen hatten, Wein.
»Der Kronprinz Ober- und Unterägyptens! Der Ruhm des Aton in der Morgendämmerung! Er Der Sich Im Osten Erhebt, Er Der Mit Dem Aton Regiert!« Eine halbe Ewigkeit lang ließ der Zeremonienmeister die Titel in zwei Sprachen durch den Saal schallen. Noch mehr Gefolgsleute aus Hirams/Dions Entourage waren in den Raum geschlüpft, Ratgeber, Seher, Adlige, der übliche Rattenschwanz, den jeder König auf Reisen hinter sich herzog.
Und alle wollten Wein.
»Er Der Den Aton Liebt«, fuhr der Zeremonienmeister fort, »Tutenchaton!«
Um ein Haar wäre ich lang hingeschlagen.
Hätte ich irgendetwas in den Händen gehabt, wäre es mir bestimmt runtergefallen. Unmöglich! Ich musste halluzinieren oder träumen oder beides. Ich schaute zu, wie ein kleiner Junge auf einem goldenen Thron in Kleine-Jungen-Größe hereingetragen wurde. Ich erkannte sein wunderschönes Gesicht auf den ersten Blick, denn schließlich hatte mich dieser Anblick durch meine gesamte Kindheit begleitet!
Dies war der Kindkönig Ägyptens!
Tutenchaton? Tutenchamun? David und Tutenchaton?
Nicht einmal Cheftu würde die Bedeutung dieser Verbindung begreifen. Dieser Abschnitt der Geschichte war mir allein vorbehalten. Während die Förmlichkeiten ausgetauscht wurden, nahm ich mein Zählen wieder auf. Tutenchaton war noch ein Kind, noch nicht einmal in der Pubertät, und hatte eine hohe, aber kräftige Stimme. Dann trat er beiseite, und der Zeremonienmeister begann eine neue Litanei von Titeln zu verlesen: Pharaos Ehrentitel.
Diesmal wurde Semenchkare angekündigt.
Ich blickte wieder zur Tür. Alles an ihm glänzte golden, von dem Diadem auf dem geschorenen Kopf über die Schminke um seine Augen bis zu den ... er hatte Brüste? Ich scheuchte einen Sklaven weg, der mich etwas fragen wollte, und starrte das androgyne Wesen vor mir an.
Natürlich wusste ich durch meine Schwester, dass unter den Ägyptologen des zwanzigsten Jahrhunderts umstritten war, ob Echnaton nun ein Mann oder eine Frau, hetero oder schwul, eine Transvestitin, ein Transvestit oder das Opfer einer unbekannten Krankheit gewesen war, die Männern Brüste wachsen ließ. Da Semenchkare sein Cousin war ...
Aber dieses Gesicht. Die Gesichtszüge waren vollkommen unägyptisch. Seine oder ihre Nase wirkten eindeutig griechisch.
Etwas zerplatzte, und ich wandte den Blick ab. Dion alias Hiram starrte Semenchkare ebenso an, wie er vor zwei Minuten Cheftu angestarrt hatte. Ich sah auf Cheftu, der sich ganz auf seine Arbeit konzentrierte, obwohl es nicht das Geringste zu schreiben gab, da niemand ein Wort sagte.
Der Hof war sprachlos, da dieses Wesen zwar kleine, doch deutlich erkennbare Brüste hatte, zugleich aber auch eine eindrucksvolle Ausbuchtung in seinem/ihrem Schurz vorweisen konnte.
Natürlich sah ich Semenchkare nur im Profil.
»Grüße des Pharao, der für alle Zeit im Aton regiert!«, sagte der Zeremonienmeister, der nun als Dolmetscher fungierte.
»Ägypten heißt Dadua ben Yesse in der Riege der Regenten willkommen.« Auch anhand der Stimme war es nicht auszumachen. Mann oder Frau? Die Giborim waren wie verzaubert und verunsichert. Die Amazonen ignorierten ihn/sie, und Dions Miene war keinesfalls die eines Menschen, die schon tausend Jahre lang gelebt hatte. Dazu wirkte er zu überrascht. Was sah er nur in Semenchkare?
Cheftu blickte auf, und der Mund blieb ihm offen stehen.
Ich kam fast um vor Neugier. Ich schob mich durch die Menge, um auf gleicher Höhe mit Semenchkare zu bleiben, der langsam durch den Saal schritt. Er wirkte groß, braun gebrannt und auf drahtige Weise kräftig; die Beine hatte er unter einem langen Schurz versteckt - doch die Arme waren die einer Frau?
Dadua wirkte angewidert, als Semenchkare sich seinem Thron näherte. Cross-Dressing war an diesem Hof nicht üblich. Im Gegenteil, religiöse Gesetze verboten, dass Männer und Frauen sich auf gleiche Weise kleideten. Ich huschte seitlich hinter Avgay’el, wo ich besser sehen konnte.
Vor mir stand eine als Mann verkleidete Frau. Und das Gesicht erkannte ich auch ohne schwarze Locken!
Schließlich hatte ich es selbst ein Jahr lang getragen. Der Boden sackte mir unter den Füßen weg; elegant, geschmeidig und mit eindeutig raubtierhafter Grazie trat sie vor.
Sie war Sybilla, die Seherin, in deren Körper ich damals auf Aztlan gesteckt hatte; dies war Dions Tante und der Körper, den Cheftu als meinen gekannt hatte. Gold glänzte auf ihrer dunklen Haut, während ihre mandelförmigen Augen uns bitterböse anfunkelten. »Pharao selbst hat viel zu viel zu tun, um dich zu besuchen und dich willkommen zu heißen.«
Sie baute sich mitten im Raum auf.
In meinem Kopf überschlugen sich die Schlussfolgerungen. Du hast deinen eigenen Körper wieder; Sybillas Geist hat schon eine ganze Weile in keinem Körper mehr gewohnt. Der ägyptische Körper wurde in Griechenland ausgelöscht. Womit zwei Seelen und zwei Körper übrig blieben. Ich war eine davon
- und steckte in meinem eigenen Körper. Womit nur noch eine Seele und ein Körper übrig blieben.
»ICH BIN sein geliebter Semenchkare.«
Der gesamte Hof schnappte nach Luft.
Die altägyptische, zeitreisende Priesterin RaEmhetepet in der Haut der aztlantischen Seherin Sybilla und verkleidet als Se-menchkare, Pharaos Ko-Regent, sah den Hofstaat erstaunt an. Bitte schau mich nicht an, dachte ich. Bitte übersieh mich.
»Das ist Blasphemie!«, schrie einer der Zekenim. »Steinigt sie!«
Sofort wurde er von seinen Stammesgefährten zum Schweigen gebracht. Pharao zu steinigen, schlug man nicht einmal im Scherz vor. RaEm und Dion starrten einander an; mir fiel auf, dass die Temperatur im Raum gestiegen war.
Meine verschiedenen Leben hatten sich an einem Ort versammelt. Mit jeder Faser meines Körpers verzehrte ich mich nach einer Zigarette. Cheftu starrte immer noch mit großen Augen auf die beiden. Dion funkelte Semenchkare wütend an. RaEm war . Pharao.
Herrschaftlich und vollkommen reglos saß Dadua auf seinem Thron. »Ich heiße dich willkommen, Semenchkare aus Ägypten. Um meiner Stammesgenossen und meines Gottes willen muss ich dich bitten, seinen Namen nicht auszusprechen.«
RaEm trug den blauen Helm, den Kriegshelm. Eine dünne Furche grub sich durch ihre nachgezogenen Brauen. Sie sah wirklich phantastisch aus - und wenn man wie ich wusste, was dieser Körper alles durchgemacht hatte, war das eine umso beeindruckendere Leistung. »ICH BIN mir deines Gottes nicht bewusst, Adon.«
Ich war beeindruckt; sie beherrschte unsere Sprache, wie sie auch immer heißen mochte: Hebräisch? Akkadianisch? Pele-stisch?
N’tan lächelte gezwungen.
»Der Name unseres Gottes lautet ICH BIN.«
Plötzlich ergab alles Sinn! Kein Wunder, dass ich nie hatte sagen können: »Ich bin.« Mit diesen Worten sagte man nicht nur etwas über die eigene Identität aus; dies war eine Aussage über die Ewigkeit, der perfekte Name für eine unergründliche Gottheit. ICH BIN war eine Umschreibung der Unendlichkeit: Ich war, was ich bin und was ich sein werde, endlos und unveränderlich.
»Wir dürfen Shadays Namen weder zum Fluchen, noch zum
Schwur verwenden; ausschließlich im Gebet und in völliger Ergebenheit sollen wir ihn anrufen«, fügte N’tan hastig hinzu.
Ich musste daran denken, wie oft mir »Gott« im Kopf herumgeisterte. Drohte mir keine Gefahr, da ich seinen wahren Namen nicht benutzt hatte?
»Als eure Götter Amun-Re, Hathor, Ma’at, als diese Götter in Ägypten gegen unseren Gott standen, da fragten eure Priester nach dem Namen unseres Gottes«, erklärte N’tan.
»Amun-Re ist genauso unerkennbar«, erwiderte RaEm steif. Ich war baff, wie geschlechtslos und zugleich schön sie war. Ob alle bemerkt hatten, dass sie eine Frau war? Oder ... ich war verwirrt. »Doch jetzt regiert der Aton. Und nur der Aton«, bekräftigte sie.
N’tan zuckte mit den Achseln. »Das tut nichts zur Sache, Pharao. Hier ist unser Gott als Shaday bekannt. Du wirst seinen Namen nicht im Munde führen.« N’tans Stimme klang eisern. Ich zuckte zusammen; er wollte Pharao Vorschriften machen? Mehr noch, er wollte RaEm Vorschriften machen?
Zu meiner Überraschung senkte sie den Kopf. »Ich werde mich bemühen, meinen Gastgebern Ehre zu bereiten.«
Dann dämmerte es mir: Ich war ihre Kontaktperson. Ich würde ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Ich musste mich auf die Lippe beißen, um nicht laut zu fluchen.
»Was führt dich den weiten Weg vom Nil hierher?«, fragte N’tan.
»Es ist die Zeit des Tributs, Zeit, mit einem neuen Bruder in der Familie zu teilen«, sagte sie. »Und Dadua im Verbund mit Ägypten willkommen zu heißen.«
Alle blieben wie angewurzelt stehen: Ägypten verlangte eine Abschlagszahlung dafür, dass es die Stämme in Frieden ließ.
N’tan hatte sich zu voller Größe aufgebaut und sah ausnahmsweise wirklich aus wie ein Prophet. »Uns ehrt« - er klang, als müsste er die Worte hervorwürgen - »das Interesse eures mächtigen Landes, und wir werden Meine« - jetzt huste-te er - »Majestät gewiss reichlich beschenken, wenn er in seine fruchtbare Heimat am Fluss zurückkehrt.«
Kühl und gefasst, von Kopf bis Fuß ein Pharao, ließ RaEm ihren Blick über die Anwesenden wandern. Sie hatte gut von Hatschepsut gelernt. »Ich werde den Sommer über eure kühlen Hügel genießen und dann freudig mit den Gaben eurer knospenden Nation nach Kemt zurückkehren.«
Nach langer Stille ergriff Dadua widerstrebend das Wort. »Ihr seid eingeladen, hier zu bleiben. Mein Palast befindet sich noch im Bau, doch wir werden alle Anstrengungen unternehmen, euch den Aufenthalt angenehm zu machen.« Mimi hätte ihm ein paar Punkte in der Gastfreundschaftsnote abgezogen, weil er es erkennbar an Enthusiasmus mangeln ließ. Doch andererseits befand sich sein Haus tatsächlich im Bau.
»Unsere Neujahrsfeiern beginnen übermorgen.«
RaEm reckte ihr Kinn eine Spur höher. »Ich wünsche euch dazu alles Gute. Werdet ihr die Feiern begehen?«
Dion starrte RaEm wutentbrannt an und sah dann zu Cheftu hinüber. Ich hätte am liebsten laut gelacht, weil Dion annehmen musste, ich sei sie, und darum erwartete, dass Cheftu dementsprechend reagieren würde. Andererseits wusste zwar RaEm, wie ich in meinem eigenen Körper aussah, Dion hingegen nicht. Sie sah Cheftu ebenfalls an, offenkundig überrascht, dass er immer noch am Leben war, und um ihn im Auge zu behalten, falls ich irgendwo auftauchte.
Und ich durfte all diese Leute verpflegen und unterhalten.
»Die Feierlichkeiten dauern einen ganzen Monat«, führte Dadua aus. »In ein paar Wochen werden wir das Totem meines Volkes in diese Stadt bringen, wo es seine neue Heimat finden soll.«
»Ich habe von diesem Wunder gehört«, sagte RaEm.
»Dann müsst ihr natürlich bleiben«, gab er kühl zurück. »Denn du bist ebenfalls eingeladen, Zakar ba’al.«
Dion neigte den Kopf kaum merklich.
Bei den Machtspielchen im modernen Wirtschaftswesen kam es oft darauf an, wer zuerst sprach. Hier setzte man die Heftigkeit und Tiefe des Nickens auf genau die gleiche Weise ein. In meiner Zeit hatte derjenige Macht, der die anderen warten ließ. Hier schien der- oder diejenige das Sagen zu haben, der bei einer Verbeugung am wenigsten den Kopf senkte.
Dadua hielt sich gut, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ihm die Erfahrung seiner Mitregenten fehlte. Er war wirklich eine Bibelgestalt aus der Bronzezeit. RaEm hatte schon in der Welt des zwanzigsten „Jahrhunderts herumgespielt. Und Dion hatte schätzungsweise das ganze letzte Jahrtausend durchlebt. Es verstand sich von selbst, dass die beiden ein geschliffeneres Benehmen an den Tag legten, doch Dadua war erkennbar ein König. Wie war RaEm Pharao geworden? Fragen über Fragen wirbelten durch meinen Kopf.
Avgay’el berührte meine Hand und fragte mich aus dem Mundwinkel: »Ist das Abendessen bereit?«
Hysterisches Lachen blubberte in mir hoch. Sie war mit einem Unsterblichen - nein, zwei Unsterblichen - sowie drei Zeitreisenden, dem Gründer der israelischen Nation und zwölf Amazonen in einem Raum, und sie zerbrach sich den Kopf wegen des Abendessens?
»Klo-ee?«, hakte sie nach.
Jawohl, sie zerbrach sich den Kopf wegen des Abendessens.
»Dein Wille geschehe«, sagte ich im Hinausgehen.
Das Neujahr (Rosh - erstes; ha - das; sharia - Jahr) begann mit dem Blasen des Shofar. Dann aßen alle Familien Süßigkeiten, beteten zu Shaday und bereiteten sich auf den Tag der Sühne vor.
Cheftu knackte Nüsse und aß die Kerne, während wir auf dem Balkon saßen und zuschauten, wie die Nacht den Himmel überzog. Zum ersten Mal, seit dieses merkwürdige Wesen einer RaEm-Transvestitin und Hiram der Wahre aufgetaucht waren, saßen wir in trauter Zweisamkeit zusammen.
»Sie ist Pharao?« Ich konnte es immer noch nicht fassen.
Er schnaubte.
»Hat sie dir irgendwas erzählt?«
»Lo, aber dazu war auch gar keine Zeit über all den Feierlichkeiten, dem Ernten, den täglichen Vorbereitungen und der Rückkehr des Totems.«
»Und er?«, hakte ich fast kokett nach.
»Lo, gar nichts.«
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah zu den Sternen auf.
»Wieso sind wir hier? Was haben wir nur mit der Menschheitsgeschichte angestellt, dass RaEm auf dem ägyptischen Thron gelandet ist? Meine Schwester, die Ägyptologin, würde total ausflippen, wenn sie wüsste, was für ein Chaos wir mit dieser wahnsinnigen alten Ägypterin veranstaltet haben!«
»Gefällt es dir hier nicht?«
»Ich bin mit dir zusammen, aber ich muss zugeben, dass ich es eigenartig finde. Nichts fliegt in die Luft, niemand ist krank. Es gibt keine Brände, keine Heuschrecken. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was wir hier sollen.«
Er sah auf. »Vielleicht einfach leben?«
Ich seufzte ruhelos. »Vielleicht.«
»Dadua hat eben das Plateau oberhalb des tsorischen Milo erworben«, kommentierte Cheftu. Wenn ich mich ganz weit aus der Südecke des Fensters lehnte, konnte ich es von unserer Wohnung aus sehen.
»Noch mehr Land, das wir besiedeln können?«
Cheftus Blick wurde bohrender. »Gibt es denn ein >wir<?«
»Dich und mich«, sagte ich. »Nur dich und mich.«
Wir ernteten die Oliven, indem wir Leintücher unter den Bäumen ausbreiteten und dann mit langen Stangen an den Ästen rüttelten, bis die Oliven herabregneten.
RaEm und Dion hatten ihre Lager auf zwei gegenüberliegenden Hügeln aufgeschlagen und wechselten sich mit ihren Audienzen bei Dadua ab. RaEm wollte Gold; Dion Zugang zur Straße der Könige. Dadua gab RaEm etwas Gold, und er gewährte Dion Zugang, allerdings nur in Begleitung einer Eskorte. Dennoch blieben die beiden, während sich ihre jeweiligen Gefolge in der Stadt tummelten, auf ihren Bergen hocken, wo sie sich von der Sonne auslaugen ließen, misstrauisch jede Bewegung des anderen verfolgten und versuchten, noch mehr aus haMelekh herauszupressen.
Cheftu schrieb: Briefe an Abdihebas ehemalige Vasallen, in denen er Tribut einforderte; Dokumente, durch die ein richtiger Staat mit einer Regierung entstand; und Aufzeichnungen der von N’tan erzählten Geschichten. Um ihn herum erbauten die Tsori die Stadt Jerusalem.
Avgay’el war wieder schwanger.
Mik’el zeigte sich überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit. Der Transuse wuchsen allmählich Brüste, und irgendwie schienen auch ihre Zähne immer besser in ihren Mund zu passen. Die Sommerhitze verblasste zum Altweibersommer. Und jede Nacht ergötzte sich Cheftu daran, mich nach bestem Vermögen zu schwängern.
Es war am Shabat-Morgen und im Hof des halb fertigen Palastes, in dem wir uns nach den langen Geschichten und der Feier des Vorabends immer noch befanden. Die Angehörigen des Hofstaates - Giborim, Ehefrauen, Priester, Seher und die allgegenwärtigen niederen Adligen - lagerten wie Katzen in der Sonne. Mein Kopf ruhte auf Cheftus Knien, während wir gemächlich Trauben naschten und dem müßigen Geklimper eines Musikers lauschten.
Aus dem Palast war ein Aufschrei zu hören; Türen knallten gegen Wände, gleich darauf folgte ein zweiter Schrei. Jemand rannte, und dann trat Dadua ins Sonnenlicht. Die Giborim gewöhnten sich allmählich daran, ihn wie einen König zu behandeln und ihm mit jener Höflichkeit zu begegnen, die ihm zustand, dennoch brauchten wir alle ein paar Sekunden, ehe wir niederknieten.
»Ich habe von Shaday gehört«, erklärte er ohne jede Vorrede. Das war eine wichtige Nachricht; Dadua hatte schon getrauert, weil Shaday so lange geschwiegen hatte. »Er hat mir erklärt, wie ich sein Haus erbauen soll«, sagte er.
Gottes Haus? Was meinte er wohl damit? Doch keine Kirche oder Synagoge - o mein Gott. Plötzlich musste ich gegen eine Gänsehaut und den unbändigen Wunsch ankämpfen, einfach wegzurennen. Gottes Haus - auf dem Tempelberg? Ich schluckte.
Dadua entrollte ein Papyrusblatt. »Ich habe geträumt und gleich darauf die Pläne aufgezeichnet.« Er winkte uns heran und begann dann, das Haus Shadays zu beschreiben.
»Es soll aus feinster Zeder und Gold gebaut werden«, sagte er. »Ein Tempel, der sich der Welt von seiner schönsten Seite zeigt und der Shaday zugleich ein Heim gibt.«
Ich schaute auf den Plan. Verglichen mit Karnak, wo Amun-Re verehrt worden war, oder Knossos, der Heimat der Muttergöttin, kam mir der Bau eher klein vor, doch dafür wirkte er sehr kunstvoll. »Es wird ein dauerhaftes Versammlungszelt werden«, sagte er.
Dadua deutete auf seine Zeichnung. »Der äußere Hof befindet sich hier, wo das Meer und die Feuer sind.«
Das Meer wurde durch ein riesiges Wasserbecken dargestellt. Riesig. Und es thronte auf dem Rücken lebensgroßer Bronzekälber. Die Feuer brannten oben auf stufenturmartigen Gebäuden, die als Opferstellen dienen sollten. »Dort befindet sich der äußere Hof, wo sich jene, die nicht den Stämmen angehören, aber an Shaday glauben, versammeln können, um seinem Ruhm nahe zu sein.«
Sein Finger fuhr weiter an die nächste Einfriedigung. »Hier wird sich der Hof befinden, in dem die Frauen beten können.
Hier und hier«, dabei fuhren seine Finger nach rechts und links, »werden die Vorratsräume für die Levim-Priester sein.« Der nächste Hof war der für die Männer, dann folgte der für die Priester, doch zum Gnadenthron selbst würde allein der Hohe Priester vordringen.
»Die zwei Pfeiler vom gegenwärtigen Tabernakel werden vor dem Bau stehen. Der gesamte Bau wird aus Kalkstein und Zedernholz errichtet, und alle Innenwände werden mit Gold überzogen, in das Granatäpfel und der geflügelte Löwe meines Stammes eingeprägt werden.«
Ich sah, wie einige Giborim die Brauen hochzogen. Mit diesen Einprägungen traf er eine klare Aussage.
Gottes Haus. Der Tempel in Jerusalem. David erklärte weiter, dass dieser Tempel keinem bestimmten Stamm gehören würde; er wäre das Eigentum dieser Stadt, die sich wiederum in Daduas Besitz befand. Die strategische Bedeutung Jerusalems würde nicht mehr allein darin liegen, dass die Stadt die Brücke zwischen den Stämmen im Norden und jenen im Süden darstellte, hier würde auch ihre heiligste Reliquie lagern. Da-dua wäre nicht nur König, er würde auch über den Glauben gebieten.
Er zeigte ein weiteres Schriftstück vor, das mit seiner leidenschaftlichen, aber unleserlichen Schrift bedeckt war. »Dies sind die Außengebäude, die Amtsstuben der Priester.« Er zeigte, wie sie durch einen unterirdischen Gang mit den tiefer liegenden Regierungsräumen verbunden werden sollten.
»Was ist das für ein Symbol?«, fragte Yoav und deutete dabei auf einen allgegenwärtigen Buchstaben.
»Mit Gold überzogen«, antwortete Dadua.
Der ganze Tempel sollte aus Gold sein.
Schweigend besah ich mir die Zeichnungen vom Tempel. Ich fragte mich, ob diese mutigen Soldaten wohl begriffen, dass dieser Bau einfach alles verändern würde. Hatten sie genug Gold mit heimgebracht, um ein solches Werk zu vollbringen?
»Was sagst du, N’tan?«
»Ganz ausgezeichnet, haNasil Diese Schönheit wird Shaday gewiss gefallen. Diese Pläne sind nicht schwer auszuführen. Doch brauchen wir sehr viel Gold dafür.«
Dadua sah seinem Propheten in die Augen, bis N’tan den Kopf senkte. »Dein Wille geschehe.«
Das Fest des Shofar oder Neujahr zog sich bis in die Zeit des Pflügens hin, unterbrochen nur vom Tag der Sühne.
Mit ernsten Gesichtern standen wir auf den Mauern, den Wehrgängen und Straßen der Stadt und beobachteten, wie ein Priester ein rotes Tuch um den Hals eines Geißbocks band.
Ein zweiter Ziegenbock wurde vor dem Totem in Qiryat Ye-rim geopfert, wo er alles mit Opferblut bespritzte. Diese Zeremonie hatten wir nicht zu sehen bekommen. Ein zweiter Bock, jener mit dem roten Tuch, das für die Verstöße des Stammes stand, wurde ins Hinon-Tal hinabgejagt, wo er sich von Müll ernähren sollte. Daher der Begriff des »Sündenbocks«. Der Überlieferung nach würde sich das rote Tuch auf wundersame Weise weiß färben, sobald Shaday dem Stamm die Verstöße verziehen hatte.
An diesem Tag gab es nichts zu essen. Wir badeten nicht und zogen uns nicht fein an, um auch äußerlich erkennen zu lassen, dass wir innerlich begriffen hatten, wie sehr wir uns um Gott bemühen mussten. Auch wenn Cheftu und ich nicht zu den Stämmen gehörten, befolgten wir das Ritual.
Am nächsten Morgen pflügten die Stammesbrüder wieder, und ich gab mir weiter alle Mühe, RaEm, Dion und dem ganzen surrealistischen Chaos aus dem Weg zu gehen. RaEm wollte mehr Gold; Dion beobachtete alles ganz genau. Er hatte Cheftu nicht weiter behelligt, vielleicht hatte er sich ja geändert?
In der Abenddämmerung versammelten wir uns auf den Klang des Shofar hin an den Stadttoren. Dadua stand hoch über uns, sodass die untergehende Sonne einen rötlichen Kranz um seine Haare legte. Der Hohe Priester Abiathar stand auf seiner einen Seite, seine Frauen warteten auf der anderen. Ich blieb neben Cheftu.
»Gutes Volk von Jebus«, begann Dadua, »meine Freunde, meine Familie, meine Giborim. Überall um uns herum hängen schwere Früchte an den Rebstöcken, überall um uns herum segnet el haShaday unsere Arbeit im Lande. Um ihn zu ehren, habe ich beschlossen, dass die Stadt Jebus fürderhin einen anderen Namen tragen soll. Niemand soll sich mehr an die Götter, die Traditionen oder die blutrünstigen Rituale der Jebusi erinnern.
Heute Nacht wird Jebus als eine eigenständige Stadt unter den Stämmen wiedergeboren. Eine Stadt, für die ich und die Giborim gekämpft und die wir erobert haben. Sie soll Tziyon heißen. Diesen Namen hat el haShaday selbst ihr verliehen.«
Was bedeutete Tziyon?
»Sie ist nicht länger ein Teil Binyamis oder Yudas, sondern eine Königsstadt.
Die Stadt soll dem Frieden und der Verehrung Shadays geweiht sein. Ich werde ihre Tore allen öffnen, die ihre Weisheit, ihr Wissen und ihr Können mit den Stämmen teilen möchten. Aus allen Ländern sollen Künstler anreisen können, um in ihren Mauern Kraft zu schöpfen. Handwerker aus allen Stämmen sind an meinem Tisch willkommen, wenn sie uns dafür ihre Fähigkeiten lehren. Gelehrte, Schreiber und Seher seien bis in alle Zeit eingeladen, hier zu lernen, zu diskutieren und einander wie auch uns etwas beizubringen.«
Mir blieb die Spucke weg. Er versprach damit praktisch eine Bronzezeitrenaissance!
Kein Wunder, dass David in die Geschichtsbücher eingegangen war. Vor allem das Geschichtsbuch!
Er war noch nicht fertig. »Das Viertel, das einst für seine Prostituierten und für die Läden voller Götzenbilder berüchtigt
war, soll zu einer Straße der Schauspieler werden.«
Schauspieler? Doch das Lexikon in meinem Kopf klärte mich auf: Schauspieler = Philosophen = Denker. In dieser Sprache gab es kein Wort für etwas so Stilles wie Denken, keine Vorstellung von einer Tat ohne sichtbares Ergebnis. Es gab keine Verben, die keine Bewegung bezeichneten.
»Schon jetzt sammeln wir Schriftrollen aus allen Ländern und Kulturen, um sie hier zu lagern und sie allen verfügbar zu machen, die Wissen suchen.«
»Eine Bibliothek?«, rief ich Cheftu über den aufbrandenden Jubel hinweg zu.
Er nickte grinsend.
Dadua deutete dorthin, wo der neue Markt angelegt würde; wie die Straße der Händler verbreitert würde; wo von hier aus im wahrsten Sinn des Wortes die neuen Viertel der Stadt mit vielen neuen Wohnungen in die Höhe wachsen würden.
Tziyon würde zu einem echten Kunstzentrum werden, dachte ich. Es war ein Aufruf an alle Künstler, in diese Stadt zu kommen, die bereits jetzt aus allen Nähten platzte. »Weiter oben«, sagte Dadua, »habe ich die Tenne der Jebusi erworben, und dort werde ich die Stiftshütte und das Totem errichten. Gleich morgen.«
Der Jubel war ohrenbetäubend.
Morgen würde der Hof und das gesamte Land mit dem Karren nach Qiryat Yerim reisen, gemeinsam mit fast allen anderen Stammesmitgliedern, die so viel Zeit erübrigen konnten, und den Thron hierher eskortieren, wo er für alle Zeiten bleiben sollte. Indem Dadua den Gnadenthron hierher brachte, begründete er seine Theokratie. Regierung wie Religion würden von denselben Organen und nach denselben Gesetzen regiert.
Gleich nach dem Abendessen würden Cheftu und N’tan zusammen mit den anderen Priestern, Sehern, Propheten et cetera aufbrechen.
Da sowohl Dion als auch RaEm noch hier waren, war ich immer noch rund um die Uhr im Dienst. Semenchkare - die uns mit ihren ständigen Forderungen nach mehr nervte, sei es Essen, Wein oder Daduas Gold - und Dion - der sich abwechselnd als Hiram der König und Hiram der Baumeister kostümierte - lagerten außerhalb der Stadt. Dion verfolgte von seinem Beobachtungsposten auf dem Berggipfel aus die Bauarbeiten an der Erweiterung der Stadt; Semenchkare, RaEm, saß in ihrem Lager ihm gegenüber und dachte sich ständig neue Möglichkeiten aus, wie sie sich Dadua verpflichten konnte. Morgen Abend würde ich die Verantwortung für ein noch größeres Fest tragen - diesmal mit (gefüllten) Wachteln, die eben nach Süden zogen und daher leicht zu finden waren.
»Shaday, der uns mehr schenkt, als wir erbitten, der unerschöpfliche Chesed zeigt, segne euch und eure Familien. Möge er sein Angesicht auf euch scheinen lassen und euch Frieden schenken.«
Wie auf Kommando leuchteten die ersten drei Sterne am Himmel auf.
»Morgen« hatte eben begonnen.
Gemeinsam mit Zorak, Waqi und dem Baby reihte ich mich in die Parade ein. Wir gehörten zu einer größeren Gruppe, der sich auch Yoavs Frauen, Abishi und seine neue jebusische Braut angeschlossen hatten. Der Weg aus Jebus herab war gesteckt voll. Die Menschen hatten bereits ihre Standorte am Straßenrand eingenommen, wo sie Kofferraumpartys ohne Kofferraum feierten. Der Wein floss in Strömen, Musik begleitete uns auf der gesamten zwölf Kilometer langen Wanderung, und alle schienen in fieberhafter Spannung zu sein - wie am Mardi Gras, wenn auch aus dem entgegengesetzten Motiv.
Yoav und die Giborim standen als Ehrengarde vor den Stadtmauern, während sich auf den Wehrgängen immer mehr Menschen drängten. Je näher wir Qirvat Yerim kamen, desto größer wurde das Gedränge. Trinkende, singende und tanzende
Menschen füllten die Straßen, die Hügel und Täler. Wären wir keine VIPs gewesen, hätten wir es wahrscheinlich nie auch nur in die Nähe des Totems geschafft. Trotzdem brauchten wir Stunden, ehe wir ankamen.
Dann sah ich Cheftu auf der gegenüberliegenden Straßenseite neben N’tan stehen. Er lächelte mich an und prostete mir schweigend mit seinem Weinschlauch zu. Die Menge stand vor einem scheunenartigen Bau, wo der Gnadenthron aufbewahrt wurde, seit die Pelesti ihn vor zwei Jahrzehnten zurückgeschickt hatten.
Wir warteten. Priester in vollem Ornat eilten um uns herum. Jeden Augenblick konnten nun die Tore auffliegen, und der Gnadenthron würde mit einem lauten Ruf herausgezogen. So hatte man es mir jedenfalls erklärt.
Als der Shofar erklang, verstummte die Menge wie ein Mann. Langsam wurde das Tor von bartlosen Lewim-Knaben aufgeschoben. Die Menschen hielten die Luft an. Shana zufolge, die mich trotz meines Status als Freigelassene immer noch für eine ignorante Pelesti hielt, hatte seit zwanzig Jahren niemand mehr dieses Totem der Stämme zu Gesicht bekommen. Selbst N’tan als Tzadik hatte nur ein einziges Mal einen kurzen Blick darauf geworfen.
Während dieser zwanzig Jahre waren Gerüchte und Legenden um den Gnadenthron gewuchert. Er hätte Seuchen ausgelöst, andere Götter bekämpft, die Elohim darauf würden darstellen, was Shaday für sein Volk empfand.
Wie das möglich sein sollte, war mir unerfindlich.
Neugierig und erwartungsvoll reckten die Menschen die Hälse. Dies war ihr Totem. Sie wollten es sehen, sie wollten feststellen, ob der Zauber noch wirkte, ob die Geschichten wahr waren. Es wäre eine einzigartige Waffe. Um mich herum flogen Wortwechsel hin und her, und dann wurde der Wagen herausgerollt.
Der Thron bestand aus einer rechteckigen Goldkiste. Darauf standen zwei geflügelte Wesen, Elohim, die einander unter den gemeinsam aufgespannten Flügeln umarmten. Vorgeblich thronte Gott persönlich zwischen den Elohim. Die Sonne gleißte auf der Abdeckung, jenem Fleck, an dem Shaday sich befand, wenn er bei seinem Volk war.
Ich blinzelte geblendet. War ich plötzlich in einem Monumentalfilm gelandet?
Der goldbeschlagene Karren wurde in majestätischem Trott von zwei weißen, zur Feier des Tages mit Blumengirlanden behangenen Ochsen gezogen. Allmählich überwand die Menge den ersten Schock, und der Lärmpegel stieg exponentiell an.
Der Be’ma-Thron, der Thron der Gnade. Nur dass ich ihn unter einem anderen Namen kannte, jenem berühmten Namen, unter dem er verloren gegangen war und unter dem er in unzähligen Romanen wieder ausgegraben wurde: als Bundeslade.
Wie hätte jemand zwischen den Elohim sitzen können? Sie waren zu eng, um - ich zog die Stirn in Falten und sah mir die goldenen Statuen genauer an. Hatten sie sich nicht umarmt? Jetzt standen sie einander gegenüber, eine männliche und eine weibliche Figur, und hielten sich an den Händen.
Ich hätte schwören können -
Die Ochsen trotteten weiter, und die Bundeslade schaukelte auf der Fläche des Karrens hin und her. Ich runzelte die Stirn; musste die Bundeslade nicht auf Stangen getragen werden? »Was ist da drin?«, fragte ich laut.
»Den Tzadikim zufolge«, antwortete der Mann neben mir, »liegen darin die Tafeln mit den Zehn Geboten. Die von Shadays Hand beschriebenen Tafeln. #aMoshe hat sie zu Boden geschleudert -«
»Du weißt, dass er wütend war«, ergänzte jemand anderes. »Aber woher hätten sie es wissen sollen? Unsere Ahnen hatten jahrhundertelang als Sklaven gelebt.«
»Unsere Vorfahren haben ein Götzenbild angebetet.«
»Wir waren Mizra -«
»Ach! Seid still«, mischte sich eine Frau ein.
Merkwürdigerweise verstummten alle und schauten weiter zu.
Nach einem Moment rückte der erste Mann, der etwas älter und gebildeter war, näher an mich heran, um meine Frage ganz zu beantworten. »Außerdem befindet sich darin Aharons Stab mit den Knospen, der bewies, dass el haShaday die Levim für alle Zeiten als Priester auserwählt hatte. Und schließlich enthält er noch einen Krug mit Manna, der Honignahrung aus der Zeit in der Wüste.«
Mein hilfsbereiter Nachbar erklärte mir außerdem, dass Gott selbst die Gewänder der Levim entworfen hatte: Sie sollten weiß sein, am Saum mit Glocken und Granatäpfeln verziert und weiß und golden bestickt. Dazu trugen die Priester turbanartige Kopfbedeckungen in Blau und Weiß, je nach Rang.
»Das da ist der Hohe Priester«, sagte Zorak zu uns, »Abia-thar.« Der Mann schritt ernst an uns vorüber, mit in der Sonne glänzendem Brustpanzer. »Diese Steine stehen für jeweils einen Stamm«, erläuterte Zorak. Ich besah mir den Schmuck des Hohen Priesters genauer. In den metallischen Panzer waren insgesamt zwölf Edelsteine in drei Reihen zu je vier Steinen eingearbeitet.
Trinkend und lachend verfolgten die Menschen aus den Stämmen, wie die Bundeslade vorbeischaukelte.
»Der Rubin auf dem Brustpanzer steht für Ruben, der Topas für Tsimeon, der Beryll für Gad, der Türkis für Yuda, der Lapislazuli für Y’sakhar, der Smaragd für Zebuion, der Hyazinth für Efra’im, der Achat für Mana’sa, der Amethyst für Binya-min, der Chrysolith für Dan, der Onyx für Asher und der Jaspis für Naftali«, spulte Zorak hastig ab. Ich sah auf Waqi, doch die war ganz und gar mit ihrem Baby beschäftigt.
»Hast du das auswendig gelernt?«, neckte ich ihn.
»Wir müssen alles auswendig lernen.« Er sah auf die Straße. »Wir sollen eine Nation sein, die nie vergisst.«
»Sela!«, mischte sich mein Nachbar ein.
Die Menschen streuten Blumenkränze vor den Wagen und ließen Blüten und Gebete auf die Priester herabregnen. Eine Frau tanzte vor der Bundeslade und hieß Gott dabei mit derart verführerischen Gesängen und Bewegungen willkommen, dass um sie herum Jubelrufe in die Luft aufstiegen.
Mit ihrem wogenden Leib, dem breiten Lächeln und ihren unmissverständlichen Gesten wirkte sie eher wie eine Heidenpriesterin als eine Verehrerin Gottes, doch was wusste ich schon? Daduas Lächeln saß wie festgeklebt auf seinem Gesicht, und der Schmuck seiner Krone und seiner Kleider stand jenem der Priester nicht nach.
Cheftu schaute der Frau zu; sie war zwar bezaubernd, doch sie erregte ihn nicht. Ihm erschien ihre Art des Feierns eher unpassend, einen lebenden Gott willkommen zu heißen. Hinter ihr sah er Chloe lächelnd neben ihrer Freundin Waqi stehen und in der immer noch heißen Sonne Wein trinken. Die Freudenstimmung war einfach ansteckend. Selbst die Priester lachten und wirkten leutselig.
Dadua fuhr hinter dem Gnadenthron in einem weiteren, mit Gold beschlagenen Karren, winkte den Menschen zu und nahm ihre Küsse sowie den angebotenen Wein entgegen. Von diesem Tag an war Jebus offiziell Tziyon, Hauptstadt der Stämme und seine eigene Stadt. Es war ein Freudentag.
Ein Tag der Götzenverehrung.
Es schien kaum einen Unterschied zwischen dieser Feier und den vielen ägyptischen Ritualen zu geben, an denen Cheftu teilgenommen hatte. Der Be’ma-Thron wurde verehrt wie eine Götzenstatue. Die Menschen waren außer Rand und Band, weil sie ihre Bundeslade in ihre Stadt überführten. Sie liefen und tanzten neben den Ochsen her.
N’tan stand an seiner Seite und beobachtete, wie der Thron vorüb er schaukelte. Er sah Cheftu an. »Wieso schaust du so ernst? Ist dies nicht der Tag, an dem wir auf den Rat der Steine hin den Thron in die Stadt bringen sollten?«
»Du warst noch nie in einem anderen Land, oder?«, fragte Cheftu.
»Genauso wenig wie in einer anderen Zeit«, bestätigte N’tan und setzte den Weinschlauch an. »Wieso fragst du?«
Cheftu schaute auf die torkelnde, tanzende, trinkende Horde und begriff, dass er sich in jeder anderen Zeit und an jedem anderen Ort hätte befinden können, an dem er schon gelebt hatte. Die menschliche Natur schien sich im Lauf der Jahrhunderte nicht zu ändern. »Shaday hat euch ermahnt, euch von allen anderen abzusondern, nicht wahr?«, sinnierte er. »Um das nicht zu vergessen, solltet ihr keine bunt gewebten Kleider tragen, keine gemischten Obstgärten anlegen und nicht zulassen, dass Milch und Fleisch gemischt werden?«
»B’seder«, bestätigte N’tan ungeduldig, während sie, von den schwitzigen Schaulustigen geschoben, weitergingen. Es war ein langer Weg zurück nach Jebus oder Tziyon, doch die Freude und Ausgelassenheit ließen ihn kürzer erscheinen.
»Ach, nun, diese Dinge sind allesamt als Beispiel gemeint. Sie sollen euch täglich daran erinnern, dass ihr euch von den Unbeschnittenen abheben sollt, nachon?«
N’tan starrte lächelnd auf den Thron. »Er ist mit Gold überzogen. Er ist wunderschön, nachon! Wird er nicht ausgezeichnet in Daduas Tempel passen - wie der größte Edelstein in der allerkostbarsten Einfassung?«
Cheftu blickte auf den Thron und schaute noch ernster. Hatte die Truhe vorhin nicht anders ausgesehen? Die männliche und die weibliche Goldstatue befanden sich an den gegenüberliegenden Ecken des Deckels, sodass mindestens ein Meter Abstand zwischen ihnen lagen. Er wandte den Blick ab.
Irgendetwas war ihm an dieser Sache vertraut, er wusste nur nicht was. Wieder traf sein Blick auf Chloes. Sie hauchte ihm über die Menschenmenge hinweg einen Kuss zu. Cheftu fing ihn auf und erwiderte ihn lächelnd. Er war überkritisch, ermahnte er sich, warum genoss er nicht einfach den Tag?
Weil ...
Die Prozession bewegte sich nur noch langsam voran, denn hier, kurz vor der Tenne von Kidon, dem letzten Halt vor Tziy-on, kam sie kaum noch durch die dicht stehenden, grölenden Stammeskinder. Von dort aus würde es bergauf in die Stadt gehen, doch das schien den Menschen gar nicht aufzufallen. Alle Hügel im Umkreis waren in Terrassen angelegt und mit Reben besetzt, vom Rot der Granatäpfel übersprenkelt und üppig mit den Gaben des Landes bewachsen. Es war ein zauberhafter Anblick. Doch Gott hatte sie ermahnt, sich von anderen Völkern zu unterscheiden, dachte Cheftu wieder. Vielleicht
Abrupt blieb die Menge stehen.
Etwas rutschte.
Etwas kippte.
Ein Levit rannte nach vorne.
»Loi«, schrien die Menschen.
Mit einem lauten Zzzzzp schoss Feuer aus dem herabrutschenden Gnadenthron.
Der Levit stürzte schreiend und seinen Arm haltend zu Boden. »Ich verbrenne! Helft mir! Hilfe!«
Die Ochsen gingen vor Schreck durch, und der Thron kam noch weiter ins Rutschen.
Mit offenem Mund und eine Hand auf die Brust gepresst, wand sich der Priester auf der Erde.
Der Thron knallte mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf den Boden, und Flammen schossen aus seinem Inneren.
Die Menschen flohen in einer Massenpanik, sie trampelten einander nieder, sie kreischten vor Angst, sie flohen vor ihrem Totem. Cheftu kämpfte sich zu dem Leviten vor, gegen die Strömung der rennenden Menge an, die dem Thron zu entkommen versuchte. Schließlich hatte sich Cheftu befreit und lief zu dem Mann, um an seiner Seite niederzuknien. Die Ochsen bäumten sich auf und kippten dadurch den Thron noch weiter in die Höhe, bis zwei Ecken sich in den Boden bohrten und die Abdeckung zur Seite glitt. Schreiend und kreischend warfen sich die Männer und Frauen aus den Stämmen zu Boden oder flohen vor Shadays Zorn in die Hügel.
Cheftus Hände fuhren über den Leib des Mannes, um festzustellen, was für Verletzungen er abbekommen hatte. Blutige Schaumflocken standen in den Mundwinkeln des Priesters. Die Haare standen ihm zu Berge, und schwarze Verbrennungsmale überzogen seine Brust. Cheftu schloss die blinden Augen des Toten und sah dann auf. Nur sieben Menschen - Gott sei Dank nicht Chloe -, die panischen Ochsen, das Todeswerkzeug und der Leichnam waren noch in der Nähe. Eine gespenstische Stille hatte sich herabgesenkt.
»Den Thron zu berühren bedeutet den Tod«, flüsterte N’tan.
»Ich dachte, damit sei eine Bestrafung gemeint, die wir nachstellen sollten.«
»Sieht aus, als hätte Yahwe euch diese Entscheidung abgenommen«, sagte Cheftu. Der Gestank versengten Fleisches stach ihm in der Nase. Er sah zu der Kiste auf, die fast senkrecht in der Straße steckte und irreführenderweise als Gnadenthron bezeichnet wurde.
N’tan trat einen Schritt vor. »Bleib stehen«, befahl Cheftu.
»Dieser Mann -«
»Tzadik«, mahnte einer der noch anwesenden Priester, »du darfst den Toten nicht berühren. Du bist ein Priester.«
War das noch eine Anspielung auf die religiösen Bräuche der Ägypter?, fragte sich Cheftu.
»Was ist passiert?«, fragte Dadua fassungslos, der, gefolgt von Avgay’el, von seinem Karren angelaufen kam. Er kniete neben dem Leichnam nieder, aber ohne ihn zu berühren, starrte dem Mann ins Gesicht und warf dann einen schiefen Blick auf den Thron. »Was ist los?« Seine Frau legte ihm die Hand auf
die Schulter, um ihn zu beruhigen.
»Shaday hat ihn niedergestreckt«, antwortete N’tan langsam. »Darauf steht der Tod.«
»Er hat versucht, den Fall aufzuhalten!«, platzte es aus einem Priester heraus.
»Was genau ist vorgefallen?« Dadua drehte sich zu dem jungen Mann um.
»Der Karren muss in ein Schlagloch gefahren sein.« Der Priester deutete auf den Thron. »Der Be’ma kam ins Rutschen und, und ...« Sein Gesicht fiel in sich zusammen. »Er hat versucht, ihn aufzuhalten! Sonst nichts. Er war nicht ... er hat nicht ...« Er schlug die Hände vor das Gesicht. Dadua schloss ihn in die Arme und blickte zugleich voller Zorn über die Schulter des Jungen.
Cheftu sah auf den Leichnam und rief sich ins Gedächtnis, was genau geschehen war. Was war das für ein Geräusch gewesen? Dieses Zzzzzp? Der Mann war zu Boden gestürzt, hatte seinen Arm und seine Brust umklammert und geschrien, dass er verbrenne. Woher waren die Flammen gekommen? Wo der Thron auf dem Boden aufgeschlagen war, hatte er die Erde ebenfalls geschwärzt und versengt. Cheftu wich vor dem Thron zurück. Was hatte das zu bedeuten?
»Wieso sollte Shaday das tun?«, fragte Dadua. »Ach, er berührte versehentlich -«
N’tan antwortete ihm monoton, mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Händen: »Wir haben Shaday und den Thron in unserer Mitte willkommen geheißen, als würde sich dabei alles nur um uns drehen.«
»Ihr habt euch wie Heiden aufgeführt.« Cheftu legte die Arme des Leichnams über Kreuz in die Sterbeposition.
»Wir haben uns gefreut!«, entgegnete Dadua zornig. »Wir waren überglücklich, ihn wieder in unserer Mitte zu haben! Wir hatten nichts Böses im Sinn!«
»Der Ägypter hat Recht«, widersprach der Tzadik. »Wir haben den Thron angebetet wie ... einen Götzen. Er gehört nicht uns, es ist der Sitz Gottes.«
Alle blickten auf den Thron, der, umgeben von einem Strahlenkranz versengter Erde, in der Erde steckte.
N’tan wandte sich an einen anderen Priester. »Holt ein paar Frauen, die den Leichnam herrichten sollen.«
Der Mann nickte bibbernd und mit kalkweißem Gesicht, dann rannte er los.
»Woran ist er gestorben?«, fragte N’tan und kniete neben Cheftu nieder.
»Siehst du diese Wunden?« Cheftu deutete auf die Stelle, wo der Priester die Finger in die Brust geschlagen und in sein Gewand gekrallt hatte. »Siehst du sein Gesicht? Die nach unten gezerrten Mundwinkel?«
N’tan grunzte.
»Ich glaube, sein Herz hat ausgesetzt«, erklärte Cheftu.
»Hierfür habe ich allerdings keine Erklärung.« Er drehte die Hand des Toten, die verkohlte Hand um. »Oder für das Feuer. Oder warum ihm das Haar zu Berge steht. Vielleicht haben sich mehrere Sachen ereignet. Ein Schlaganfall, als er begriffen hat, dass er es berührt hatte? Oder vielleicht .« Er drehte die Hand wieder zurück. »Ich weiß es nicht.« Er sah zu N’tan auf. »Wer war das?«
»Mein Onkel Uzzi’a.«
In diesem Moment traten Cheftu die Worte wieder vor Augen, die Bibelgeschichte vom fehlgeschlagenen Einzug der Bundeslade in Jerusalem. Wieso habe ich mich nicht früher daran erinnert?, dachte er. Vielleicht hätte ich etwas sagen, sie warnen können. Er blickte auf den Leichnam, auf die Brandmale an jenem Menschen, der nur hatte helfen wollen. Es ergab keinen Sinn.
»Was will Shaday?«, fragte Dadua in die Runde, während er in sicherem Abstand vor dem Thron auf und ab ging. »Dürfen wir unseren Gott nicht freudig verehren wie andere Völker?« »Ganz genau«, bestätigte N’tan. »Wir dürfen nicht wie andere Völker sein.«
»Wir sollen uns nicht freuen? Nicht feiern?« Daduas Stimme schwoll an.
Seine zweite Frau sah ruhig auf den Thron. »Vielleicht sollte unsere Freude ein anderes Motiv haben.«
Cheftu hustete und hoffte, dass er das Richtige tat.
»In Ägypten tragen wir unsere Totems auf den Schultern der Priester.« Er deutete auf den Thron. »Vielleicht sind ja darum diese Ringe daran angebracht?«
In jede Ecke waren oben und unten Goldringe eingelassen. Schwere Goldringe. »Wenn wir ihn auf unseren Schultern trügen, dann wären wir genau wie die Heiden«, meinte Dadua frustriert. Der Gestank verschmorten Fleisches hing immer noch in der Luft. Was hatte Uzzi’a verbrannt? Die Kiste schien aus reinem Gold zu bestehen.
Während Cheftu den Leichnam zudeckte, starrte Dadua auf den Thron und zuckte schließlich mit den Achseln. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »N’tan?«
Der Tzadik schüttelte den Kopf. »Wir wissen, dass wir ihn nicht berühren dürfen«, meinte er. »Das ist uns überliefert. Wer ihn berührt, muss sterben.«
Alle traten einen Schritt vom Gnadenthron zurück, so als wäre ihnen das eben wieder eingefallen. Cheftu blickte auf die Elohim. »N’tan?«, entfuhr es ihm entsetzt.
»Mah?«
»Die Elohim?«
Der Tzadik sah hoch, schrie auf und warf sich gequält in den Schmutz.
Dadua blieb wie vom Blitz getroffen stehen. »Dann stimmt es also«, flüsterte er. »Wenn Gott seine Gunst von uns wendet, sieht man das den Elohim an.«
Cheftu starrte die Truhe mit den Figuren an, die, einander zugewandt, an den gegenüberliegenden Seiten des Deckels gestanden hatten. Nun hatten sie sich den Rücken zugekehrt. Die eingelegten Augen der Frau waren in die Ferne gerichtet. Die Statuen hatten sich bewegt!
Dadua sprach mit verzweifelter, brechender Stimme: »Wie kann ich es wagen, diese Kiste in meine Stadt zu bringen, wenn ich weiß, dass sie jemanden töten kann, der nur helfen möchte? Wie können wir einem solchen Gott gefallen?«
Cheftu starrte den Thron an und nahm zum ersten Mal die Feinheiten daran wahr. In die Seiten waren Darstellungen von geflügelten Löwen, Symbolen und Buchstaben, Trauben und Granatäpfeln graviert. Der Deckel lag schief auf und ließ einen höchstens fingerbreiten Spalt frei. In diesem Moment sah er etwas Schwarzes auffliegen und verschwinden. Ein winziges schwarzes Ding. Dann noch eines und noch eines.
»Der Deckel ist offen«, sagte er.
»Nur Abiathar darf ihn berühren«, warnte ein weiterer Priester.
»Holt ihn«, befahl Dadua scharf.
Immer mehr winzige schwarze Punkte sah Cheftu aus der Öffnung trudeln. Er hatte eine Gänsehaut. Was war das? Was lebte in der Bundeslade? Er war nur froh, dass Chloe sich nicht im Umkreis dieses Dinges, was es auch sein mochte, befand. Er sprühte Feuer und war verpestet. Er bemerkte, dass die Umstehenden, deren Blicke fest auf die Bundeslade gerichtet waren, beim Reden auf sich selbst einzuschlagen begannen.
Eines der schwarzen Wesen landete auf ihm, als deutlich sichtbarer Punkt auf seiner weißen Tunika. Zaghaft zupfte Cheftu das Ding ab und betrachtete es im Licht des Spätnachmittags. Ein Floh. Der Thron hatte Flöhe?
»In der Wüste hat haMoshe das Gold des ägyptischen Götzenbildes zermahlen und jene, die davor getanzt und sich ehrlos verhalten hatten, davon trinken lassen«, setzte N’tan sein Gespräch mit Dadua fort.
»Aber Uzzi’a hat sich nicht ehrlos verhalten«, wandte Dadua ein. »Er wollte nur helfen und den Gnadenthron schützen. Er war kein Heide; im Gegenteil, er war ein auserwählter Priester von gutem Stand. Und doch hat Shaday ihn getötet«, sinnierte Dadua. »Lässt er uns denn gar keinen Spielraum?«
Der Tzadik wandte den Blick ab und schloss die Augen, als versuche er etwas in seinen Gedanken zu erkennen.
»Wir glauben, unsere Beweggründe würden unsere Taten rechtfertigen«, sagte N’tan wie in Trance. »Wir glauben, wenn wir aus den richtigen Gründen das Falsche tun, wird man uns verzeihen.« Der Prophet schlug die Augen auf.
»Doch dem ist nicht so. Shaday ist die Gnade, aber er ist auch die Gerechtigkeit. Letzteres vergessen wir zu oft.«
Als hätten sie ihre Namen gehört, begannen sich die Steine in Cheftus Schärpe zu bewegen. Der Stein der Gnade und der Stein des Urteils. Konnten sie ihm hierbei von Nutzen sein? Cheftu zerquetschte den Floh und gleich darauf einen zweiten.
Abithar kam die Straße heraufge schnauft, mit geschürzten Röcken und auf mühsam stapfenden weißen Stummelbeinen. Als er den Thron erblickte, blieb er stehen.
»Der Deckel ist auf«, keuchte er. »Auf die Knie, und zwar alle! Das ist Gotteslästerung! Ihr spielt mit dem Leben!«
Die inzwischen auf zwölf Menschen angewachsene Gruppe warf sich zu Boden. Cheftu hörte nur noch das Pochen seines Herzens. Als er wieder aufsah, rückte der Hohe Priester eben seinen Brustpanzer zurecht. Die Haare standen ihm zu Berge, und sein weißes Gewand war von schwarzen Punkten übersät.
Die Flöhe.
Dadua wandte sich an sie alle.
»Uzzi’a soll ein Staatsbegräbnis bekommen. Es ist bitter, Shaday als Lektion für die Mitmenschen dienen zu müssen.«
Dadua ließ Vorkehrungen treffen, den Sitz in der Scheune eines ortsansässigen jebusischen Bauern namens Obed unterzubringen, bis der König entschieden hatte, was weiter geschehen sollte. »Ich kann das Leben der Menschen in der Stadt nicht aufs Spiel setzen«, sagte er immer wieder.
Zu der Gruppe am Gnadenthron hatten sich inzwischen weitere Priester gesellt, die von Abiathar angewiesen wurden, einige von Obeds Sensenstangen durch die Ringe zu stecken. Vorsichtig hoben sie die Lade an. Alle warteten gespannt, ob die Elohim wohl Blitze schleudern oder noch jemanden niederstrecken würden. Als nichts geschah, trugen die Priester die Lade behutsam in die Scheune hinein. Einer der Priester machte sich daran, die Sensenstangen herauszuziehen, doch Obed hielt ihn mit einer Geste zurück.
»Dann hast du aber keine Sensen mehr«, wandte ein Priester ein.
»Der Thron hat jene, die ihn berühren, mit Beulen geschlagen, ken?«, fragte Obed.
Dadua nickte.
»Ich werde mir neue kaufen«, sagte er. »Mein Leib ist unbeschnitten wie der meiner Angehörigen, doch wir werden den Thron eures Gottes in Ehren halten.«
»Wir werden euch welche bringen«, beeilte sich der Priester mit einem Blick auf Dadua zu sagen.
Dadua sah auf den Thron und meinte leise zu N’tan: »Können wir ihn hier lassen? Wird er sie töten?«
»Ich bin kein Anbeter Molekhs«, erklärte Obed.
N’tan sah Cheftu an, der den Kopf schüttelte. Hatte Dadua ihren Austausch bemerkt?
»Lo, diesem Haus wird nichts geschehen«, meinte N’tan abwiegelnd. »Wir, die wir den Thron berührt haben, werden hingegen dafür bezahlen.«
Dadua wurde fahl. »Der Tod eines Priesters reicht ihm nicht?«
»Wir haben als Nation gesündigt. Wir hatten den Befehl, uns von den übrigen Stämmen abzusondern, Gott höher zu ehren als alle Idole und Legenden und die Natur, ihn mit unserem ganzen Leben zu ehren.«
Die Erkenntnis traf Dadua wie ein Schlag. Cheftu bekam mit, wie seine Miene sich veränderte, wie Zorn und Entrüstung zu Scham und Demut verblichen. »Ich habe sie zu Heiden gemacht«, stöhnte Dadua. Wie gefällt knickte er in die Knie. »Ich habe versucht, uns zu einer Nation wie alle anderen zu machen! Ich habe sie dazu verführt zu glauben, der Thron sei nichts als ein Kunstwerk, nicht der Sitz unseres leibhaftigen Gottes!« Er pulte ein paar Dreck- und Dungkrümel aus der Erde, die er sich in das Gesicht, in die Haare und auf sein irisblaues Gewand rieb. »Shaday, Shaday, ich habe gefehlt! Vergib mir, dass ich Deine Heiligkeit gelästert habe!«
»Bist du sicher, dass wir den Thron hier lassen sollen?«, fragte ein Priester. »Sollten wir nicht versuchen, ihn in die Stadt zu bringen?«
»Und noch mehr Menschen in Gefahr bringen, wo ich allein gesündigt habe?« Daduas Gesicht war von braunen Streifen überzogen. »Ani haMelekh. Ich trage die Verantwortung und die Strafe.« Tränen rannen aus seinen Augen. »Wir müssen, ich muss mehr über el haShaday erfahren. Ich muss nach Vergebung dafür streben, dass ich den Thron an den anderen Königen vorbeiziehen ließ, um sie zu beeindrucken. Ich darf nie vergessen, dass der Thron, die Hütte, unsere Rituale nicht uns, sondern Gott zustehen.«
N’tans spitze schwarze Brauen hoben sich erbost. »Du hast das aus Stolz getan? Um die Heiden aus Ägypten und Tsor zu beeindrucken?«
»Ich habe gefehlt, ich habe gefehlt!« Jetzt schluchzte Dadua ganz unverhohlen. »Ich dachte, was ich auch tue, kann nicht falsch sein, doch ich habe mich getäuscht.«
»El haShaday sieht mit mehr Liebe auf dich als je auf einen Menschen zuvor, doch er bleibt immer noch unser Gott, über allen Bergen, über dem Meer, über den Sternen«, zürnte N’tan. »Er lässt nicht zu, dass wir über ihn herrschen.«
Was heute überdeutlich geworden war, dachte Cheftu.
»Er ist unsterblich und unsichtbar; wir Erdenbürger hingegen sind nur aus Lehm geformt!« Der Tzadik machte auf dem Absatz kehrt und zog ab. Dadua schlug mit der Stirn auf den Dreck, wodurch er die Tiere aufschreckte, die eben weggeführt wurden, und die mitfühlenden Blicke der Priester erntete.
»Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so dürstet mein Nefesh nach Dir. Mein Nefesh verlangt nach Dir, Shaday, nach dem lebendigen Gott. Wann kann ich Dir ins Angesicht blicken? Meine Tränen dienen mir zur Speise Tag und Nacht, denn ich höre die Menschen fragen: >Wo ist dein Gott?< An diese Worte will ich denken und meinen Nefesh vor Dir ausschütten. Als Jüngling zog ich mit den Stammesbrüdern und wollte mit ihnen zum Hause Gottes. Frohlockend und dankend waren wir in der Schar jener, die da feierten.«
»Das heute war kein Frohlocken, kein Dank«, wandte ein anderer Priester ein. »Das war Habgier, wenn nicht Lust.« Er sank auf die Knie, beschmierte sein Gewand mit Dreck und rief aus: »Mein Nefesh ist betrübt und unruhig in meinem Guf. Ich harre auf Shaday, auch jetzt will ich ihn loben, denn er ist meine Rettung und mein Gott.«
Cheftu beobachtete, wie der Priester und Dadua jene Worte sprachen, die er als Psalm kannte, die ihm jetzt aber wie ein von Herzen kommendes Flehen erschienen, nicht wie eine poetische Niederschrift. »Auch wenn mein Nefesh betrübt ist, so will ich Deiner gedenken«, sagte der Priester. »Aus dem Land am Yarden bis zu den Höhen Hermons. Eine Tiefe ruft die andere im Rauschen der Fluten, und Deine Wogen gehen über mich.
Am Tage sendet el Shaday Seine Güte. Nachts höre ich Sein Lied in mir und bete zu dem Gott meines Lebens.«
Dadua schlug sich gegen die Brust und rief, vor dem Thron auf dem Boden liegend, zum Dach auf: »Ich sage zu Dir, Sha-day, meinem Fels: Warum hast Du mich vergessen?
Warum muss ich so traurig gehen, warum bin ich in Bedrängnis wie ein Feind?«
Seine Stimme brach, als er mit hoch erhobenen Händen aufstand. Die nächsten Worte entrangen sich seiner tränenrauen Kehle und seiner zerrissenen Seele: »Warum betrübt sich meine Seele? Was bist Du so unruhig in mir? Ich will auf Gott bauen, ich will an sein Chesed glauben. Ich will ihn loben, denn Er ist Gott, mein Gott.«
Gebrochen und demütig weinte Dadua still in seine Hände hinein. Avgay’el beobachtete ihren Gemahl mit gepeinigter Miene. Hinter ihm glühte der Thron. Die anderen Priester knieten ein paar Meter hinter dem König.
Bevor Cheftu die Tür schloss und Dadua, Avgay’el und den Thron zurückließ, warf er noch einen letzten Blick über die Schulter zurück.
Die Elohim umarmten sich.
Er floh.
FÜNFTER TEIL

13. KAPITEL
RaEm scheuchte den Fächerträger weg. Müßig griff sie nach einer Traube und zermalmte sie, während sie in die Sonne blinzelte. Die Stämme versteckten sich vor ihrem eigenen Gott in ihren Häusern. Sie lachte. Tuti, das kleine Balg, spielte in einem anderen Zelt, umgeben von ihr treu ergebenen Soldaten. Ihre Spione hatten bestätigt, dass der gut aussehende, arrogante Herrscher über die Stämme mit Schmutz beschmiert und von seinen Priestern allein gelassen im Dunklen saß und seinen Gott anflehte.
Und aus einem unerfindlichen Grund schenkte der König Cheftu - zum Teufel mit ihm - Gehör.
Hätte der König ganz allein im Dunklen gesessen, wäre sie vielleicht zu ihm gegangen. So aber wartete sie lieber ab. Sie hatte nicht den geringsten Grund, sich im Dung zu wälzen. Das Spielbrett lag vor ihr, die Hälfte der Spielsteine war bereits bewegt worden. Seufzend ließ sie die Hand darüber schweben.
»Ich spiele die Hunde, wenn du mir die Gunst gewährst, die Schakale zu übernehmen.«
Er sprach mit schwerem ausländischen Akzent. RaEm wälzte sich herum und sah Hiram über ihr stehen.
Er war makellos: in einen schlichten blauen Schurz gekleidet, mit ungebändigtem Haar und bis auf die Bleiglanzringe um die Augen ungeschminkt. Schlichtes, aber teures Geschmeide schmückte ihn. »Zakar Ba’al, nehme ich an?«, erwiderte sie langsam.
Sein Blick war berechnend. »Pharao Semenchkare, der Mann, der so erfreulich weiblich wirkt.«
RaEm lächelte. »Und der erfreulicherweise als Pharaos Geliebter sein Ko-Regent ist.«
»Unter anderen?« Er sah aufmerksam in ihre Augen, ihr Gesicht. Sein Blick wirkte bohrend.
»Pharao allein ist ein vom Glück begünstigter Mensch«, sagte sie.
Er starrte sie weiter an, mit einem Blick ohne jede Begierde, aber voller Neugier. »Und wie ist es mit dir?«, erkundigte sie sich. »Ziert eine Königin deinen Thron?«
Hiram lachte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe viele Gemahlinnen, Venas Nachwuchs.« Er beobachtete sie aufmerksam. »Welcher Mann in meiner Position hat das nicht? Doch leider keine Königin. Vielleicht weil sie Pharao zuerst aufgefallen ist?«