FÜNFZEHN

Der Anfang des Anfangs

Ponder öffnete die Augen und blickte ins Gesicht der Zeit. Ein Becher Tee wurde ihm angeboten.

Eine Banane steckte darin.

»Ah … Bibliothekar«, brachte Ponder hervor und nahm den Becher entgegen. Er trank, wobei die Banane versuchte, sich ihm ins linke Auge zu bohren. Der Bibliothekar glaubte, praktisch alles lasse sich durch das Hinzufügen von weichem Obst verbessern. Abgesehen davon war er sehr freundlich und immer bereit, zu helfen und jemandem eine Banane zu geben.* [* Ein magischer Unfall hatte den Bibliothekar der Unsichtbaren Universität in einen Orang-Utan verwandelt, und in seiner neuen Gestalt fühlte er sich so wohl, daß er alle, die ihm seine menschliche Natur zurückgeben wollten, mit ebenso einfachen wie unmißverständlichen Gesten bedrohte.]

Die Zauberer hatten Ponder auf einer Werkbank im Lagerraum schlafen gelegt. Uralte magische Ausrüstungsgegenstände bildeten bis zur Decke emporreichende Stapel. Die meisten von ihnen waren zerbrochen, und überall hatten sich dicke Staubschichten gebildet.

Ponder setzte sich auf und gähnte.

»Wie spät ist es?«

»Ugh.«

»Meine Güte, so lange habe ich geschlafen?«

Als sich die warmen Wolken des Schlafs auflösten, begriff Ponder, daß er das Projekt in den Händen der Senior-Fakultät zurückgelassen hatte. Der Bibliothekar nahm beeindruckt zur Kenntnis, wie lange die Tür hin und her schwang.

Der größte Teil des Hauptlaboratoriums war leer, und Licht zeigte sich nur im Bereich des Projekts.

Die Stimme des Dekans erklang. »Wie wär’s mit Harribert Wasfüreineüberraschung? Ist doch ein guter Name, oder?«

»Sei still.«

»Oder Kurt Nasowas.«

»Sei still.«

»Oder Hanswurst.«

»Sei endlich still, Dekan. Es ist nicht komisch. Es war nie komisch.« Zweifellos die Stimme des Erzkanzlers.

»Wie du meinst, Gertrude.«

Ponder näherte sich dem glühenden Projekt.

»Ah, Ponder«, sagte der Oberste Hirte und trat rasch vor ihn. »Jetzt siehst du schon viel besser …«

»Ihr habt irgend etwas … angestellt, nicht wahr?« erwiderte Ponder und versuchte, am Obersten Hirten vorbeizublicken.

»Bestimmt kann alles in Ordnung gebracht werden«, sagte der Dozent für neue Runen.

»Und die Welt ist noch immer rund, im großen und ganzen«, meinte der Dekan. »Frag Charlie Pfuscher hier. Eins steht fest: Er heißt nicht Mustrum Ridcully.«

»Ich warne dich, Dekan …«

»Was habt ihr gemacht?«

Ponder betrachtete seine Kugel. Sie war jetzt wärmer und auch weniger kugelförmig. Rote Wunden zeigten sich an der einen Seite, und die andere Hemisphäre bestand zum größten Teil aus einem riesigen, feurigen Krater. Die Welt drehte sich langsam und wackelte dabei.

»Die meisten Bestandteile konnten wir retten«, sagte der Oberste Hirte und richtete einen hoffnungsvollen Blick auf Ponder.

»Was habt ihr getan?«

»Wir wollten dir nur helfen«, entgegnete der Dekan. »Gertrude hier schlug eine Sonne vor …«

»Dekan?« fragte Ridcully.

»Ja, Erzkanzler?«

»Ich möchte nur darauf hinweisen, Dekan, daß der Scherz schon ganz zu Anfang nicht besonders lustig war. Es handelte sich um den armseligen Versuch, ein müdes Lachen aus einer Redewendung herauszuholen, Dekan. Nur Vierjährige ohne irgendeine Vorstellung von Humor reiten dauernd auf so etwas herum. Das wollte ich ganz offen aussprechen, Dekan, in aller Ruhe und im Geist der Versöhnung, um deiner selbst willen, in der Hoffnung, daß du dich erholst. Wir sind alle hier, um dir zu helfen, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, zu welchem Zweck du hier bist.« Ridcully wandte sich dem entsetzten Ponder zu. »Wir schufen eine Sonne …«

»… mehrere Sonnen …«, murmelte der Dekan.

»… mehrere Sonnen, ja, und … Nun, diese Sache mit dem In-Kreisen-fallen ist ziemlich schwer, nicht wahr? Man kriegt kaum den Dreh raus.«

»Du hast eine Sonne mit meiner Welt zusammenstoßen lassen?« fragte Ponder.

»Mehrere«, erwiderte Ridcully.

»Meine ist abgeprallt«, betonte der Dekan.

»Und hinterließ dabei dieses peinlich große Loch«, ergänzte der Erzkanzler. »Und riß auch noch ein großes Stück aus der Kugel.«

»Aber wenigstens haben einige Stücke meiner Sonne ziemlich lange gebrannt«, sagte der Dekan.

»Aber – aber im Innern der Welt. Das zählt nicht.« Ridcully seufzte. »Deine Maschine hier, Stibbons, behauptet steif und fest, eine sechzig Meilen durchmessende Sonne könne nicht funktionieren. Und das ist lächerlich.«

Aus tief in den Höhlen liegenden Augen starrte Ponder auf seine Welt, die wie eine gehbehinderte Ente taumelte.

»Es gibt kein Narrativium«, sagte er leise. »Jenes Universum weiß nicht, wie groß eine Sonne sein sollte.«

»Ugh«, sagte der Bibliothekar.

»Meine Güte!« entfuhr es Ridcully. »Wer hat ihn hereingelassen?«

Eigentlich war dem Bibliothekar der Aufenthalt im Forschungstrakt für hochenergetische Magie verboten, da er sich bei der Untersuchung von Dingen hauptsächlich auf seinen Geschmackssinn verließ. In der Bibliothek klappte das ausgezeichnet; dort diente der Geschmack als Basis für einen sehr komplexen und genauen Index. Weniger nützlich war er in einem Raum, der gelegentlich Stromschienen enthielt, die mit Tausenden von Thaum summten. Natürlich war das Verbot inoffiziell, denn wer einen Knauf ganz durch eine Tür aus massiver Eiche drehen kann, hat die Möglichkeit, jeden beliebigen Ort aufzusuchen.

Der Orang-Utan stützte sich mit den Fingerknöcheln ab, als er zum Projekt wankte und es probierte. Die Anspannung der Zauberer wuchs, als er die Einstellräder des Omniskops betätigte und den Fokus auf den am vergangenen Tag explodierten Schmelzofen richtete. Ein winziger Lichtpunkt war davon übriggeblieben, umgeben von schimmernden Gasschleiern.

Der Fokus glitt weiter, näherte sich den leuchtenden Gaswolken.

»Noch immer zu groß«, sagte Ridcully. »Nun, es war einen Versuch wert, alter Knabe.«

Der Bibliothekar wandte sich ihm zu, und das Licht der Explosion kroch über sein Gesicht. Ponder hielt unwillkürlich den Atem an.

Und ließ ihn dann zischend entweichen.

»Ich brauche mehr Licht!«

Die Kugeln auf dem Tisch rollten fort und fielen auf den Boden, als Ponder danach zu greifen versuchte. Schließlich hob er eine und ließ sie wackeln, während der Oberste Hirte ein angezündetes Streichholz hochhielt.

»Es wird klappen!«

»Freut mich!« erwiderte Ridcully. »Was denn?«

»Tage und Nächte!« sagte Ponder. »Und auch Jahreszeiten, wenn wir Fehler vermeiden! Ausgezeichnet, Herr! In Hinsicht auf das Wackeln bin ich mir nicht ganz sicher, aber vielleicht hast du es genau richtig hingekriegt!«

»Wenn’s darum geht, bist du bei uns an der richtigen Adresse«, erklärte Ridcully und strahlte. »Wir sind Spezialisten darin, alles richtig hinzukriegen. Äh … was haben wir diesmal richtig hingekriegt?«

»Die Drehung!«

»Dafür ist meine Sonne verantwortlich«, meinte der Dekan selbstgefällig.

Ponder tanzte fast vor Freude. Und dann wurde er ganz plötzlich ernst.

»Aber es hängt alles davon ab, ob es gelingt, die Bewohner zu täuschen«, sagte er. »Und derzeit gibt es dort unten noch niemanden … HEX?«

Ein mechanisches Rasseln wies darauf hin, daß HEX Aufmerksamkeit schenkte.

+++ Ja? +++

»Können wir irgendwie auf die Welt gelangen?«

+++ Für physische Dinge gibt es keine Möglichkeit, ins Projekt zu gelangen +++

»Ich möchte jemanden transferieren, der die Dinge von der Oberfläche aus beobachtet.«

+++ Das läßt sich bewerkstelligen. Auf eine virtuelle Art +++

»Virtuell?«

+++ Aber ihr braucht einen Freiwilligen. Jemanden, der getäuscht werden kann +++

»Das dürfte kein Problem sein«, sagte der Erzkanzler. »Immerhin sind wir hier in der Unsichtbaren Universität.«